Kleine Geschichte
Kleine Geschichte der Stadt
Konstanz Gert Zang
G. Braun Buchverlag
Erschienen in der Reihe: »Regionalgeschichte – fundiert und kompakt«
Karlsruhe www.gbraun-buchverlag.de
Einbandabbildung: Um 1799 hatte der Betrachter von der heutigen Wollmatinger Straße aus diesen Blick auf Konstanz und das Kloster Petershausen. Mit Fuhrwerken werden verwundete französische Soldaten in die Stadt gebracht. Der lange Zug wird von österreichischem Militär begleitet und bewacht.
© 2. Auflage 2012 by G. Braun Telefonbuchverlage GmbH & Co. KG, Karlsruhe Satz: post scriptum, www.post-scriptum.biz Druck: Orga-Druck, Riederich Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts gesetzes (auch Fotokopie, Mikroverfilmung und Übersetzung) ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Dies gilt auch ausdrücklich für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen jeder Art und von jedem Betreiber. ISBN 978 - 3 - 7650 - 8588 - 8
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
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Von der Siedlung um den Bischofssitz zur Reichsstadt
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Am höchsten Punkt der alten Stadt beginnt die Besiedlung – Strategische Bedeutung im Frankenreich – Bischöfe prägen die Stadt – Ein Riss geht durch die Stadt: im Investiturstreit tritt die Stadt eigenständig auf – Schritte auf dem Weg zur freien Reichsstadt – Handelsstadt. Stadt der Kultur – Der Aufstieg der Eidgenossen im Süden der Stadt und die Bedrohung durch das päpstliche Interdikt – Der erste Zunft aufstand. Die Juden als Sündenböcke
Das Konzil und die Konfrontation mit den Eidgenossen
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Das Konzil in Konstanz – Soziale und wirtschaft liche Spannungen – Raubzüge der Ritter auf der einen und eidgenössischer Banden auf der anderen Seite. Die Eroberung des Thurgaus durch die Eidgenossen – Blühende Kultur und Naturkatastrophen – Konstanz zwischen dem Schwäbischen Bund und den Eidgenossen – Die Stadt als große Verliererin
Die Reformation und der Dreißigjährige Krieg Eine neue Oberschicht und die Konfl ikte mit dem Klerus – Von der ersten Verbreitung lutherischer Lehren bis zur Reformation der Stadt – Das Taktieren der Stadt nach der Niederlage der Protestanten im Reich – Die Rekatholisierung der Stadt und die letzte Wirtschaft sblüte – Der Dreißigjährige Krieg und die Belagerung der Stadt durch die Schweden
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Inhalt
Absolutistische Zeit und Niedergang – neue Perspektiven im Biedermeier
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Erbfolgekriege und der Rat als absoluter Regent – Reformen von oben – Französische Revolutionsflüchtlinge. Schlachten um und in Konstanz – Die Stadtgesellschaft um 1810. Das Festhalten am Hergebrachten. Armut und Hungersnot – Die Auswirkungen der Pariser Julirevolution von 1830. Wirtschaft und Gesellschaft kommen in Bewegung – Das Scheitern eines Projekts zur Entwicklung der Stadt – Weitere Fronten: Die Kirchen-, die Eisenbahn- und die Judenfrage
Revolution, Restauration und Neuanfang in der »Liberalen Ära«
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Die Revolution von 1848. Hecker in Konstanz – Von der Nationalversammlung zur zweiten badischen Revolution 1849 – Politische Reaktion und wirtschaft liche Depression – Es gelingt nicht, die Wendung zur Liberalen Ära (1860) im Land in der Stadt unmittelbar nachzuvollziehen – Die Einweihung der Eisenbahn 1863 – Öffentliche Kritik der Stadtspitze – Die planmäßige Umgestaltung der Stadt – Die Gründerkrise erreicht Konstanz. In einer Ketten reaktion kommen viele Projekte zu Fall. Die Zeit der allgemeinen Depression
Der glänzende Aufstieg vor 1914 und das Desaster des 1. Weltkriegs Die rasante Entwicklung der Stadt – Die Anwendung der Technik und ein grenzenloser Optimismus – Der Fortschritt in Zahlen – Bewusstseinswandel – Drei große Probleme für die Zukunft . Naturkatastrophen – Die wachsende Not im Schatten des Krieges – Keiner rührt die Hand für die Monarchie. Die Weimarer Koalition regiert die Stadt – Gefährdete Sittlichkeit. Aufblühende Vereine – Die Inflation und ihre Folgen – Die Währungsreform. Zukunft sszenarien werden für die Stadt entwickelt
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Inhalt
7 Konstanz unterm Hakenkreuz
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Die Weltwirtschaft skrise und der gebremste Aufstieg der NSDAP in der Stadt – Die NSDAP reißt die Macht an sich – Die Kommunalpolitik der NSDAP in der Sackgasse. Der Anschluss der Deutschschweiz als Ausweg – Vereinzelter Widerstand – Kriegsbeginn und -ende
Besatzung und Not nach dem 2. Weltkrieg
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Das Leben nach der französischen Besetzung der Stadt. Materielle Not – Geistige Not. Die Verweigerung von Einsicht in Ursache und Schuld – Neue Demokratie, neue Gewerkschaften, Parteien und Vereine, neue Kultur – Erste Wahlen – Die Not erreicht 1947 ihren Höhepunkt – Währungsreform, dank einer Richtungsänderung in der französischen Politik
Aufbau und »grenzenloses« Wachstum in der Bundesrepublik
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Bundesrepublik, Adenauerzeit und Gründung des Südweststaats – Flüchtlinge und Beginn des Wirtschaft swunders – Wachstum und Ausdehnung der Stadt. Bauboom und Investitionen – Die Reisewelle. Campen als neue Form – Der Wahl des Oberbürgermeisters löst 1957 einen langen Konfl ikt aus. 1959 wird Dr. Helmle gewählt. Die weitere Expansion der Stadt – Die Gründung der Universität – Abzug der französischen Truppen. Schließung der Garnison – Eingemeindungen – Dr. Eickmeyer Oberbürgermeister. Bürgerentscheid für die Südeinführungen der »Autobahn«
Chronologie
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Literatur
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Bildnachweis
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Vorwort
Sie sind vielleicht oft oder selten, als Einwohner oder als Gast durch Konstanz gegangen: ihre Blicke blieben in der Regel »am Boden«, an den Geschäften und Passanten hängen. Manchmal ist ihr Blick vielleicht nach oben gewandert. Sie haben bildlich gemalte Hausnamen, architektonische Zieformen, bemalte Fassaden oder auch schmucklose, schmale Häuser gesehen, deren einzige Zierde ihr erkennbares Alter ist. Für einen flüchtigen Moment blieb ein Eindruck von Alter und Schönheit zurück. Vielleicht reicht ihnen, wenn sie das Buch zur Hand genommen haben, der bloße Augenschein nicht mehr und sie wollen mehr über die Zeit und das Leben erfahren, dessen Zeugen die Häuser sind. Sowenig wie das Gesicht die Biographie einer Person »erzählt«, so wenig lässt sich die »Lebensgeschichte« der Stadt einfach an ihren äußeren Erscheinungen »ablesen«. Man muß sie erzählen. Das will dieses Buch in kurzer Form tun. Es versucht die Grundzüge und -linien der Stadtgeschichte nachzuzeichnen, um verständlich zu machen, wie das, was uns heute »augenscheinlich« begegnet, im Lauf der Zeiten entstanden ist. Mit Hilfe der starken Untergliederung in Themen und Kästen können sie fast an jedem Punkt in den fortlaufenden und verwobenen Erzählfluss einsteigen. Die fehlende Überlieferung lässt für die ersten Jahrhunderte vieles im Dunkeln. Die Schrift lichkeit entstand erst im Laufe des Lebens der Stadt. In den letzten Jahrzehnten haben die Ausgrabungen von jahrhundertealten Gebäuderesten und Dingen erstaunliche Funde zu Tage gebracht. Vorstellungen vom Verlauf der Geschichte sind durch die archäologischen Arbeiten, der einzigen
Vorwort
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Alternative zur Überlieferung durch Schrift und Bild, korrigiert oder bestätigt worden. Das Buch fußt vor allem auf den Forschungen, die in der siebenbändigen Konstanzer Stadtgeschichte ihren Niederschlag gefunden haben. Die Reihe ist in der Zeit zwischen 1989 und 1996 beim Verlag Stadler erschienen. Mein Dank gilt deshalb den Autoren Helmut Maurer, Lothar Burchardt, Dieter Schott, Werner Trapp, Martin Burkhardt, Wolfgang Dobras, Wolfgang Zimmermann. Deren Ergebnisse konnten natürlich nicht im Einzelnen dargestellt und durch Anmerkungen belegt werden. Die angefügte Liste der Literatur bietet die Möglichkeit, vielen Einzelheiten und Nachweisen auf die Spur zu kommen.
Gewidmet ist dieses Buch meiner Frau Ingrid Zang und allen Freundinnen und Freunden auf der Reichenau
Von der Siedlung um den Bischofssitz zur Reichsstadt
Am höchsten Punkt der alten Stadt beginnt die Besiedlung Um die Besiedlung von Konstanz zu verstehen, muss man sich seine Lage vergegenwärtigen. Hier kreuzten sich mehrere Verkehrslinien auf dem Wasser und dem Land. Man würde heute sagen, der Ort war ein Verkehrsknotenpunkt. In Richtung Osten und Westen konnte man weite Strecken auf dem Wasser zurücklegen, was früher die bequemste und oft auch schnellste Verkehrsverbindung war. Flüsse und Seen waren die Autobahnen des Mittelalters. Dem auf dem Landweg von Süden oder Norden kommenden Verkehr ermöglichten zwei Engstellen, den See mit Hilfe von Fähren auf kürzestem Weg zu überqueren. Die innerstädtische Topographie wich jedoch von der heutigen Situation ab. Der See reichte deutlich weiter landeinwärts, die untere Marktstätte und Teile des Fischmarktes gehörten zur Flachwasserzone vor der Stadt. Nach Westen in Richtung Paradies war der Grundwasserspiegel sehr hoch. Das Gebiet war feucht und sumpfig, die Ufer waren unregelmäßig und schilfbesetzt. Der höher gelegene heutige Münsterhügel und die höher liegenden Teile der Niederburg, von denen abfallend die Wege zum Rhein und See führten, sind im Prinzip unverändert. Von diesem Münsterbezirk führt ein höher gelegener Geländerücken in das höher liegende heutige Kreuzlingen. Auf ihm läuft der Straßenzug, der noch heute durch die Hussen- und Wessenbergstraße markiert ist.
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Von der Siedlung um den Bischofssitz zur Reichsstadt
Fundament des aus der Mauer des spätrömischen Kastells vorspringenden Wehrturms
Auf dem Münsterhügel und in der Niederburg wurden bei Grabungen Reste keltischer Siedlungen nachgewiesen. Mit dem Alpenfeldzug des Stiefsohns von Kaiser Augustus Tiberius beginnt die Anwesenheit der Römer um Christi Geburt. Rund 50 Jahre später wurde vermutlich in Konstanz ein fester Stützpunkt errichtet. Ob erst dann ein Handelsplatz entstand oder schon vorher bestand, ist unklar. Folgt man den zeitlich bestimmbaren Münzfunden, dann waren die Römer von circa 14 n. Chr. bis 395 n. Chr. in Konstanz. Neben den Soldaten und den Händlern lebten auch vereinzelte Landwirtschaft betreibende Siedler, deren Gutshöfe im Raum Wollmatingen und Hegau bezeugt sind, in der Nähe von Konstanz. Der militärische Stützpunkt und die Handelssiedlung befanden sich im Umkreis des Münsterhügels. Um 300 erreichte die sogenannte alemannische Gefahr die Gegend. Ursprünglich im Hinterland gelegene Orte wie Konstanz ge-
Beginn der Besiedlung
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rieten nun an die Grenze und wurden befestigt. Auf dem Münsterhügel befand sich ein um 300 n. Chr. errichtetes, mit steinernen Mauern und Türmen gesichertes Kastell. Im Jahr 402 wurde die Region von den römischen Streitkräften geräumt. Ob bis 600 noch Romanen oder romanisch sprechende Bewohner zurückblieben, ist unklar. Der heutige Ortsnamen, der auf den Namen »Constantia« zurückgeht, könnte für eine solche Kontinuität sprechen. Der Name Konstanz geht unstrittig auf römische Wurzeln zurück. Zum ersten Mal lässt sich der Name »Constantia« in schriftlichen Quellen des 5. und 6. Jahrhunderts fassen. Auf diese stützte sich wiederum der sogenannte Geograph von Ravenna, der im 9. Jahrhundert Constantia in seine Aufzählung am Rhein liegender Orte einreihte. Als Namensgeber kommen nur zwei Kaiser mit vergleichbarem Namen in Frage, Kaiser Constans und Kaiser Constantius. Viel spricht für Kaiser Constantius II. (317 ?–361), der 355 am nördlichen Seeufer gegen einen alemannischen Stamm kämpfte. Um 300 n. Chr. war die Rheinlinie mit dem Bau steinerner Kastelle zur Verteidigungslinie ausgebaut worden. Das zu dieser Linie gehörende Konstanzer Kastell wurde jüngst bei Ausgrabungen entdeckt. Ein Münzfund belegt, dass das innerhalb des Kastells liegende Bad nach 347/48 erneuert wurde, also zur Zeit von Constantius II. Eine weitergehende Erneuerung der gesamten Wehranlage könnte zur Neubenennung der Siedlung geführt haben.
Ob unter der römischen Herrschaft frühchristliche Gemeinden entstanden waren und sich über den Abzug der Römer hinaus erhalten haben, ist ungewiss. Sicher kann man annehmen, dass die nördlich der alten Grenze lebende Bevölkerung nicht christianisiert war. Sicher ist, dass die Errichtung des Bistums nicht die Siedlung begründet hat, sondern die vorhandenen Strukturen zur Errichtung des Bistums geführt haben. Nachgewiesen ist heute, dass
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Von der Siedlung um den Bischofssitz zur Reichsstadt
die erste christliche Bischofskirche in die römische Befestigungsanlage gebaut wurde, an deren Stelle heute noch das Münster steht. Schrift liche Zeugnisse dafür gibt es nicht. Ob der Bischofssitz noch am Ende der spätrömischen Zeit oder in der Zeit der nachrückenden Alemannen errichtet worden ist, wissen wir nicht. Vermutlich bestand das Bistum seit dem Ende des 6. Jahrhundert, also seit 580/590. Das fällt mit einem wichtigen Einschnitt in der Geschichte der Region zusammen. Um 550 begann die Oberherrschaft der Franken, die die Alemannen in mehreren Kämpfen zwar besiegt, aber noch nicht dauerhaft unterworfen hatten. Von da an könnte die Missionierung der Heiden konsequent betrieben worden sein. Die ersten Kirchenvertreter befanden sich in einem Umfeld »heidnischer« Glaubensvorstellungen. Berichte des Mönchs Gallus aus St. Gallen sprechen von zwei Kirchen am Ort, einer innerhalb und einer außerhalb der Mauern, mit denen sicher die alten, noch intakten Kastellmauern gemeint waren. Die außerhalb gelegene war St. Stephan, die an der Straße stand, entlang derer die Römer Gräber angelegt hatten. Im Umkreis beider Kirchen, also innerhalb, aber mehrheitlich außerhalb der Mauern, dürften die Häuser der Bewohner gestanden haben. Groß war der Ort noch nicht. Über die Bewohner dieser frühen Zeit gibt es keine Zeugnisse. Die Siedlung entwickelte sich entlang der Geländeerhebung (Wessenberg-, Hussenstraße) in Richtung Süden.
Strategische Bedeutung im Frankenreich Rund hundert Jahre nach der Bistumsgründung entstanden in der Nähe zwei bedeutende Klöster (St. Gallen 719 und Reichenau 724 n. Chr.), die den Bischofssitz lange Zeit an Bedeutung übertrafen. Gelegentlich waren Abt- und Bischofsamt in einer Hand. Alle Gründungen standen in engem Zusammenhang mit der Unterwerfung und Christianisierung der Alemannen durch die Franken. Be-
Strategische Bedeutung im Frankenreich
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kanntlich heiratete Karl der Große mit dem gleichen Ziel die hochadelige Alemannin Hildegard. Mit ihr kam er 780 nach Konstanz. Wie sehr die drei christlichen Institutionen von den Franken als Einheit und als Träger ihrer Politik gesehen wurden, zeigt die Anwesenheit der Reichenauer und St. Galler Mönche beim Besuch Kaiser Karls. Beide Klöster erledigten den »Schrift verkehr« für das Bistum, d. h. sie schrieben die notwendigen liturgischen Texte ab und stellten Urkunden aus. In diesen traten zum ersten Mal »Bürger« von Konstanz als Zeugen auf und wurde Konstanz zum ersten Mal als Stadt bezeichnet. Um 800 herum scheinen sich die Wege getrennt zu haben. Neben dem Bischof treten nun Geistliche in Erscheinung, die weltliche und geistliche Aufgaben für den Bischof übernehmen und das Bistum mitverwalten. Sie sind die Vorform des späteren Domkapitels und Ausdruck einer Veränderung der Machtverteilung innerhalb des Bistums. Drei aus einem hochadeligen alemannischen Geschlecht stammende Bischöfe Salomo I., II. und III. (838–919) markieren diese Wende. Sie waren aufs engste mit den letzten Karolingern verbunden (Karl III., dem Dicken, Ludwig dem Kind und König Arnulf). Es gelingt ihnen, die Bedeutung der Bischofskirche zu heben. Zu den von ihnen erworbenen Reliquien zählte der Leib des heiligen Pelagius, der selbst Otto I. veranlasste, nach Konstanz zu kommen. In dieser Zeit wurde die Bischofspfalz »palastartig« ausgebaut, um die Herrscher angemessen beherbergen zu können. Salomo III. ließ als erster Bischof eigene Münzen prägen, was die Existenz eines entwickelten Handels nahe legt. Wie weit gespannt er war, belegen die Funde von Salomos Münzen in Polen. Seine Hauptrichtung ging sicher nach Italien. Dass die Fernhändler um die Stefanskirche herum wohnten, also unmittelbar vor der Bischofsmauer, liegt nahe. Ein Rechtsgeschäft erlaubt einen Blick auf die Bürger und ihre komplizierten Lebensverhältnisse. Warsind, ein mutmaßlicher Bürger der Stadt, heiratete um 925 eine Leibeigene des Klosters St. Gallen. Mit dieser Richild zeugte er vier Söhne und eine Tochter. Dem alemanni-
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Von der Siedlung um den Bischofssitz zur Reichsstadt
Von einem solchen Italienhändler berichtet das zwischen 800 und 1000 entstandene Gedicht »Schneekind«: »[…] Dieses Schwäblein, ein Konstanzer Bürger, fuhr mit dem Schiffe, wertvolle Waren zu handeln, weit über See, und er ließ die Gattin, die gern der Lüsternheit frönte, im Haus allein sein. […] Während dieser sich mühte, ergab sich daheim seine Gattin nicht der sehnenden Einsamkeit, sondern den Gauklern, den jungen, die sie, der längst aus dem Herzen geschwunden der Gatte, mit Freuden üppig verwöhnten, und sie, in der zweiten Nacht schon geschwängert, brachte nach rechter Zeit einen unrechten Sohn in die Wiege. Zweimal rollte das Rad des Jahres dahin, bis der Kaufmann kehrte zurück in die Heimat. Es eilt ihm entgegen sogleich die Gattin, sie führte das Söhnlein an ihrer Hand, und nachdem nun Küsse zum Gruße getauscht, da fragte mit Staunen der Hausherr: ›Sagst Du nicht gleich, woher dieser Knabe, so geht’s Dir an’s Leben!‹ Angsterfüllt, doch beherzt flieht die Gattin in listige Worte ›Einmal‹, sprach sie, ›nur hab in den nahegelegenen Alpen brennenden Durst mit dem Schnee ich gestillt – und schon wurde ich schwanger Schnee hat – verdammte Empfängnis! Allein mir gezeugt diesen Knaben‹.« Jahre später nahm der Kaufmann das »Schneekind« mit auf seine Handelsreise und verkaufte den falschen Sohn an einen Händler in der Ferne. Als er ohne ihn nach Hause kam, sagte er zu seiner Gattin, sie hätten sich nach einer stürmischen Seefahrt an ein ausgedörrtes Ufer gerettet und der Schneegezeugte sei »›zerschmolzen in den Gluten‹. So hat sein untreues Weib dieser Schwabe verhöhnt, und es hatte siegreich Betrug den Betrug überwunden – und das ist in Ordnung.«
Bischöfe prägen die Stadt
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schen Gesetz folgend musste er nun die fünf Kinder aufteilen und verschiedenen Rechtsverhältnissen zuordnen. Zwei Söhne gab er als Leibeigene nach St. Gallen. Die Tochter kaufte er vom Kloster St. Gallen frei. Bürgerlich frei blieben die beiden übrigen Söhne. Ein Gedicht, das Bischof Salomo III. seinem Amtsbruder in Verdun schickte, gibt uns einen Einblick in die Zeiten, in denen der Kampf aller gegen alle und die schnelle Gewaltanwendung an der Tagesordnung waren. Es gab keinen allgemeinen und dauerhaften Friedens- und Rechtszustand. Im Zweifelsfall musste man sich sein Recht mit dem Schwert oder mit einem Gottesurteil erkämpfen. Es heißt: »Wenige sind unter den Unsrigen einträchtigen Sinnes; alle hadern, der Bischof, der Graf und die Dienstmannen; unter einander kämpfen Mitbürger und Stammgenossen, das Stadtvolk murrt, auch in den Städten tobt der Aufruhr. Warum sollten nicht auch Verwandte die Zwietracht stacheln: Der Bruder fordert den Bruder zum Kampf mit den Waffen heraus. Die niedere Menge knirscht und wütet, alle Welt streitet, indem das Gesetz mit Füßen getreten wird. Die Höheren tun nichts besseres als alle anderen […]«
Bischöfe prägen die Stadt Auf Salomo III. folgte mit Konrad (934–975) ein berühmter Bischof aus dem hochadeligen Geschlecht der Welfen, der das Gesicht des Ortes nachhaltig geprägt hat: Er baute zahlreiche Kirchen, darunter vor allem die Mauritius-Rotunde, deren Vorbild er selbst auf einer Jerusalem-Pilgerfahrt gesehen hatte. In der Mitte stand die Nachbildung des heiligen Grabes aus Gold und Silber, die heute nicht mehr vorhanden ist.