LexisNexis ImmoZak - Bauvertrags- und Immobilienrecht

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Zak-Herausgeber: Georg E. Kodek, Matthias Neumayr

1/2023

S. 1–20, ART.-NR. 1–11

März 2023

Immo

BAUVERTRAGS- UND IMMOBILIENRECHT

Herausgeber: Christian Prader, Martin Weber

THEMA

» Matthäus Uitz: Serienschadenklauseln in der Ha pflichtversicherung des BTVG-Treuhänders (Teil I: Ha pflichtrecht)

» Elias Ulrich: Die Auswirkungen der Entscheidung Gupfinger auf das Wohnrecht

RECHTSPRECHUNG

» Mehrkostenforderungen aus COVID-19 für Bauunternehmen beim „ÖNORM-Bauwerkvertrag“

» Kein (schlüssiges) Anerkenntnis durch Begleichung von Teilrechnungen und deren Indexierung

» Keine (analoge) Anwendung der Verjährungsfristen nach § 1489 ABGB im Anwendungsbereich des

§ 1111 ABGB

immozak.lexisnexis.at Österreichische Post AG, 20Z041967 P, LexisNexis, Trabrennstraße 2A, 1020 Wien, ISSN 2707-7500

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ImmoZak 1/2023

4. Jahrgang, 1. März 2023

immozak.lexisnexis.at 1 INHALTSVERZEICHNIS
Matthäus Uitz: Serienschadenklauseln in der Haftpflichtversicherung des BTVG-Treuhänders (Teil I: Haftpflichtrecht) 2 Elias Ulrich: Die Auswirkungen der Entscheidung Gupfinger auf das Wohnrecht 5 RECHTSPRECHUNG »BAUVERTRAGSRECHT Mehrkostenforderungen aus COVID-19 für Bauunternehmen beim „ÖNORM-Bauwerkvertrag“ 9 »VERGABERECHT Kein (schlüssiges) Anerkenntnis durch Begleichung von Teilrechnungen und deren Indexierung 10 »WOHNUNGSEIGENTUMSRECHT (Un-)Zulässige Rechtsgestaltung innerhalb der Wartefrist des § 5 Abs 2 WEG 11 Auslegung der Prozentschwelle des § 8 Abs 2 WEG 12 Zur Notwendigkeit der Zustimmung sämtlicher Miteigentümer im Bauverfahren 14 » MIETRECHT Keine (analoge) Anwendung der Verjährungsfristen nach § 14 89 ABGB im Anwendungsbereich des § 1111 ABGB 15 Kündigung: Keine Zurechnung des Verhaltens eines anderen, auch im Haus wohnenden Mieters 16 » VERTRAGSRECHT Entfall der Bindung der Vertragsteile bei einer Suspensivbedingung nach Beschwerdezurückziehung trotz „Genehmigung im zweiten Anlauf“ 17 » MAKLERRECHT Keine Provisionsmäßigung bei Verletzung nachwirkender Vertragspflichten 19 Impressum 20
THEMA

Mag. Matthäus Uitz, LL.B. (WU), M.Sc. Serienschadenklauseln in der Haftpfl ichtversicherung des BTVG-Treuhänders (Teil I: Haftpfl ichtrecht)

»ImmoZak 2023/1

Treuhänder, die nach § 12 BTVG tätig werden, sind nach den standesrechtlichen Grundsätzen der rechtsberatenden Berufe (Rechtsanwaltschaft und Notariat) pflichthaftpflichtversichert. Der zusätzliche Haftungsfonds des Haftpflichtversicherers schützt Bauträger und Erwerber vor permanenten Vermögenseinbußen, weil er die Wahrscheinlichkeit der ungeschmälerten Durchsetzung ihrer Schadenersatzansprüche gegen treuwidrig agierende Treuhänder erheblich erhöht. Gleichwohl enthalten die AVB der Haftpflichtversicherungsbranche typischerweise Serienschadenklauseln, die mehrere Schadenfälle zu einem einzigen Versicherungsfall zusammenfassen (Art 1.2. AHVB; Abschnitt B.1.2.1. EHVB; Art 3 Abs 1 lit c AVBV; Art 5.2. ABVN). Ihre Anwendbarkeit verringert die Deckungspflicht des Haftpflichtversicherers erheblich. Dieser zweiteilige Beitrag versucht, die Haftungsprinzipien des im Bauträgervertragswesen tätigen Treuhänders zu konturieren (Teil I) und denkbare Schadenursachen in Fallgruppen zu untergliedern, um ihre Eignung zur Herbeiführung von Serienschäden, wie sie in den gängigen AVB-Klauseln rechtsgeschäftlich definiert sind, in weiterer Folge zu prüfen (Teil II).1

1. Einbettung und Abgrenzung der Fragestellung

§ 12 Abs 1 S 1 BTVG verpflichtet den Bauträger zur „Bestellung“2 eines Treuhänders, der spätestens ab dem Zeitpunkt der Unterfertigung des Bauträgervertrages tätig werden muss und seinem Aufgabenprofil bis zum Ende der Sicherungspflichten iSd § 7 Abs 5 BTVG gegenüber den jeweiligen Erwerbern zu entsprechen hat. Hiervon kann der Bauträger nur absehen, wenn er für die Gesamtheit der allfälligen Rückforderungsansprüche des Erwerbers schuldrechtliche Sicherungen iSd § 8 BTVG bereitstellt (§ 12 Abs 1 S 1 BTVG). Das allgemeine Pflichtenprogramm des Treu-

1 Dank gebührt Herrn Hofrat des OGH Dr. Martin Weber für die Ermunterung zur Abfassung dieses Beitrages sowie Herrn RAA Dr. Markus Weichbold, BA, für die kritische Durchsicht des Manuskripts.

2 Zur normativen Bedeutung dieses Tatbestandselements, das in einer Verpflichtung des Bauträgers zum Abschluss einer auftragsvertragsähnlichen Vereinbarung über die Begründung einer Treuhandschaft besteht (§§ 1002 ff ABGB), sogleich näher in Abschnitt 2.

händers, das sich aus Gesetz und Vertrag ergibt (insb §§ 1002 ff ABGB), ergänzt § 12 Abs 3 BTVG um einen Katalog besonderer bauträgervertragsrechtlicher Belehrungs-, Überwachungs-, Rechnungslegungs- und Vermögenssicherungspflichten. Als Treuhänder dürfen ausschließlich natürliche Personen, die Notare oder Rechtsanwälte sind, sowie Rechtsanwaltsgesellschaften auftreten (§ 12 Abs 2 BTVG). Sie unterliegen allesamt berufsrechtlichen Haftpflichtversicherungszwängen (§ 30 iVm § 109a Abs 3 iVm § 109a Abs 6 iVm § 140a Abs 2 Z 8 NO iVm THR 19993 iVm VHR 1999;4 § 21a RAO).5

Wie die Materialien zur Stammfassung des BTVG belegen, stützte der historische Gesetzgeber seine Entscheidung für die Beschränkung des Kreises der als Treuhänder iSd § 12 BTVG in Betracht kommenden Personen auf die besagten Rechtsfreunde ua auf die Existenz dieser für sie geltenden Pflichthaftpflichtversicherungstatbestände, um „für eine möglichst weitgehende Sicherheit des Erwerbers gegen eine Verletzung der Treuepflichten“ zu sorgen.6

In der Haftpflichtversicherung sind gleichwohl AVB-Klauseln verbreitet,7 die „mehrere auf derselben Ursache beruhende Schadenereignisse“ per Fiktion als einzigen Versicherungsfall gelten lassen (Art 1.2. S 1 AHVB).8 Zu einem Versicherungsfall

3 Richtlinien der Österreichischen Notariatskammer vom 8. 6. 1999 über die Vorgangsweise bei notariellen Treuhandschaften idF 28. 4. 2022 (THR 1999), abrufbar unter https://www.notar.at/fileadmin/user_upload/ Notariatskammer/Informationen/Bekanntmachungen/Delegiertentags beschluesse/2022_04_28_-_THR_1999_-_Fassung_ao._DT_28-04-2022. pdf (zuletzt abgerufen am 12. 2. 2023).

4 Richtlinien der Österreichischen Notariatskammer vom 8. 6. 1999 über die Vertragsbedingungen der Haftpflichtversicherung idF 17. 10. 2019 (VHR 1999), abrufbar unter https://www.notar.at/fileadmin/user_upload/ Notariatskammer/Informationen/Bekanntmachungen/Richtlinien/ 2019_10_17_-_VHR_1999_-_Fassung_DT_2019-10-17.pdf (zuletzt abgerufen am 12. 2. 2023).

5 Statt aller Schauer, Das österreichische Versicherungsvertragsrecht3 (1995) 392; Reisinger in Fenyves/Perner/Riedler, VersVG (5. Lfg, 2020) § 149 VersVG Rz 9; Rubin in Fenyves/Perner/Riedler, VersVG (7. Lfg, 2021) § 158b VersVG Rz 77.

6 ErläutRV 312 BlgNR 20. GP 12; hierzu auch Pittl, BTVG3 (2019) § 12 BTVG Rz 5.

7 Hierzu etwa 7 Ob 70/14s = RdW 2014, 713 im Kontext der Geltungskontrolle des § 864a ABGB: „Serienschadenklauseln sind grundsätzlich nicht ungewöhnlich“; ebenso Fenyves, Die „Serienschadenklausel“ der Vermögensschadenhaftpflichtversicherung, VR 2015 H 6, 31 (37).

8 Allgemeine und Ergänzende Allgemeine Bedingungen für die Haftpflichtversicherung (AHVB 2005 und EHVB 2005, Version 2012); abgedruckt bei Fenyves/Keltner/Koban, Allgemeine Versicherungsbedingungen6 (2020) 9 ff

immozak.lexisnexis.at 2 ART.-NR.: 1 ImmoZak 1/2023
THEMA

werden üblicherweise auch „Schadenereignisse“ zusammengefasst, „die auf gleichartigen, in zeitlichem Zusammenhang stehenden Ursachen beruhen, wenn zwischen diesen Ursachen ein rechtlicher, wirtschaftlicher oder technischer Zusammenhang besteht“ (Art 1.2. S 2 AHVB). Bei der Deckung reiner Vermögensschäden, die für Haftpflichtversicherungen von Rechtsanwälten angesichts ihres rechtsberatenden Tätigkeitsspektrums wesenstypisch ist,9 gilt „mehrfaches auf gleicher oder gleichartiger Fehlerquelle beruhendes Tun oder Unterlassen als einheitlicher Verstoß, wenn die betreffenden Angelegenheiten miteinander in rechtlichem oder wirtschaftlichem Zusammenhang stehen“ (Art 3 Abs 1 lit c AVBV).10 Beinahe wortgleich lautet Art 5.2. ABVN, der typischerweise in Haftpflichtversicherungsverträge mit Notaren einbezogen wird.11 Schließlich ist auf die ähnliche Formulierung der Musterbedingungen für die allgemeine Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung in Abschnitt B.1.2.1 EHVB hinzuweisen. Diese versicherungsvertraglichen Nebenabreden heißen Serienschadenklauseln. 12

Ihre Anwendbarkeit reduziert das Ausmaß der Deckungspflicht des Haftpflichtversicherers signifikant: Bilden mehrere Schadenereignisse bloß einen einheitlichen Versicherungsfall, steht dem Haftpflichtversicherungsnehmer die vereinbarte Versicherungssumme, deren Erbringung ihm der Haftpflichtversicherer zur Befriedigung seines Befreiungsanspruches pro Versicherungsfall schuldet, nur ein einziges Mal zu.13 Der OGH unterwirft diese risikobegrenzenden Serienschadenklauseln – wie jede andere AVB-Klausel mit Risikoumschreibungszweck auch14 – der

9 Ausführlich Völkl/Völkl, Die Rechtsprechung zu den Bedingungen der Haftpflichtversicherung von Vermögensschäden für die rechtsberatenden Berufe (Rechtsanwälte, Notare, Wirtschaftstreuhänder), ÖJZ 2008, 41 (41 ff ); ferner zu Notaren Schauer, Einige Rechtsfragen der obligatorischen Haftpflichtversicherung für Notare, NZ 1999, 305 (309).

10 Allgemeine Bedingungen zur Haftpflichtversicherung für Vermögensschäden (AVBV 1951); abgedruckt bei Fenyves/Keltner/Koban, AVB6 44 ff; zu deren Verbreitung in Haftpflichtversicherungsverträgen von Rechtsanwälten Völkl/Völkl, ÖJZ 2008, 41 (41 ff ); ferner 7 Ob 17/21g = ZVers 2021, 122 (Salficky) = AnwBl 2021, 341 (Michtner).

11 Allgemeine Bedingungen für die Vermögensschadenhaftpflicht-Versicherung der Notare (ABVN 1978); abgedruckt bei Fenyves/Keltner/Koban, AVB6 57 ff; zu deren Verbreitung in Haftpflichtversicherungsverträgen von Notaren Schauer, NZ 1999, 305 (308 ff ); Völkl/Völkl, ÖJZ 2008, 41 (41 ff ).

12 Statt vieler Schauer, Versicherungsvertragsrecht3 404 f; Fenyves, VR 2015 H 6, 31 (31 ff ); von Rintelen, Berufshaftpflicht- und Betriebshaftpflichtversicherung, in Beckmann/Matusche-Beckmann, VersicherungsrechtsHandbuch3 (2015) § 26 Rz 219 ff; Maitz, AHVB/EHVB (2018) Art 1 AHVB 16 ff; Prader, Risiko untauglicher Baufortschrittsprüfer unter Beachtung der Serienschadenklauseln, ImmoZak 2020, 6 (7 ff ); Gisch/Wetzelberger, Die Serienschadenklausel in der Rechtsschutz- und Haftpflichtversicherung (Teil I). Rechtsschutzversicherung, versdb print 2022 H 9, 11 (11 ff ); RS0130550; RS0133573.

13 Zu dieser Eigenschaft von Serienschadenklauseln Schauer, Versicherungsvertragsrecht3 404 f; Fenyves, VR 2015 H 6, 31 (31, 34 ff ); von Rintelen in Beckmann/Matusche-Beckmann, Versicherungsrechts-HB3 § 26 Rz 219; Wilhelmer, Berufshaftpflichtversicherung (2022) Rz 2046, 2054 ff; zur umstrittenen Frage nach der Außenwirksamkeit von Serienschadenklauseln gegenüber den Geschädigten näher in Teil II dieses Beitrages.

14 Bedeutsam ist, dass Risikoumschreibungen in AVB, die weder den Versicherungstypus noch die Prämienhöhe festlegen, nach Auffassung des OGH „nicht eine der beiderseitigen Hauptleistungen“ der Versicherungsvertragsparteien betreffen, weshalb sie als Nebenvereinbarungen der Inhaltskontrolle des § 879 Abs 3 ABGB unterliegen; hierzu 7 Ob 194/11x

Einbeziehungs-, Geltungs- und Inhaltskontrolle, 15 wobei er im Kontext der Pflichthaftpflichtversicherung eines treuhänderisch tätigen Rechtsanwalts bislang offenließ, ob und bejahendenfalls unter welchen Voraussetzungen die Zusammenfassung mehrerer selbstständiger schadenstiftender Handlungen zu einem Versicherungsfall gröblich benachteiligend iSd § 879 Abs 3 ABGB ist oder nicht.16

Bemerkenswert ist, dass der Gesetzgeber – in Anbetracht seines in den Erläuterungen zur Stammfassung des BTVG dokumentierten historischen Willens bewusst – darauf verzichtete, „eine dem Schadenspotential des jeweiligen Projekts angepaßte Versicherungsdeckung von Gesetzes wegen“ vorzusehen, sondern sich vielmehr dafür entschied, die „Standesvertretungen“ dazu aufzufordern, hierfür „geeignete Konzepte zu entwickeln“.17 Da einem Bauträger regelmäßig eine Vielzahl an Erwerbern gegenübersteht, weshalb es viele Personen gibt, die der Treuhänder im Rahmen der Nicht- oder Schlechterfüllung seines Pflichtenprogramms schädigen könnte, entfaltet die Frage nach der Reichweite und Wirkung der Serienschadenklauseln in seiner Pflichthaftpflichtversicherung besondere Virulenz. Ihrer Konturierung durch Fallgruppenbildung widmet sich dieser Beitrag in seinem Teil II. Zuvor ist zu illustrieren, welche Haftungsgrundsätze für im Bauträgervertragswesen tätige Treuhänder gelten.

2. Grundsätze der Treuhänderhaftung

2.1. Haftung des Treuhänders gegenüber dem Bauträger

Schadenstiftende rechtswidrige Verhaltensweisen des Treuhänders iSd § 12 BTVG begründen seine Verschuldenshaftung nach

= Zak 2013/602, 327 (zum Elementarrisiko der Dürre); 7 Ob 227/12a (zur Kürzung der Entschädigung bei unrichtiger Quadratmeterangabe in der Haushaltsversicherung); 7 Ob 182/17s = RdW 2018/539, 710 (zur ClaimsMade-Klausel in der D&O-Versicherung); ferner G. Graf in Kletečka/ Schauer, ABGB-ON1.05 § 879 ABGB Rz 390/1; Laimer in Fenyves/Kerschner/ Vonkilch, Klang3 (2022) § 879 ABGB Rz 259 f; strenger hingegen Krejci in Rummel/Lukas, ABGB4 (2014) § 879 ABGB Rz 416.

15 Ist der Versicherungsnehmer Verbraucher, ist die Gültigkeit der vereinbarten AVB überdies an verbraucherrechtlichen Maßstäben (§§ 1 ff KSchG) zu prüfen, wobei insb das Transparenzgebot des § 6 Abs 3 KSchG zu beachten ist. Für die Rechtsstellung des Treuhänders iSd § 12 BTVG ist dies jedoch irrelevant, weil dieser stets Unternehmer kraft Unternehmensbetriebs gem § 1 Abs 1 Z 1 iVm § 1 Abs 2 KSchG ist; hierzu Fenyves, VR 2015 H 6, 31 (37 f).

16 7 Ob 70/14s = RdW 2014, 713 unter gleichzeitiger Bejahung der Zulässigkeit einer Serienschadenklausel, die eine zeitlich gedehnte Dauerhandlung des Schädigers mit nachteiligen Folgen für einen einzigen Geschädigten als einheitlichen Versicherungsfall bezeichnete; zur gegenwärtig höchstgerichtlich unklaren Rechtslage jüngst auch Michtner, Kein Serienschaden bei jährlicher Abschlussprüfung, ZVers 2022, 204 (207); ausführlich zur Beurteilung von Serienschadenklauseln nach § 879 Abs 3 ABGB Fenyves, VR 2015 H 6, 31 (39 f); ferner G. Graf in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.05 § 879 ABGB Rz 392/2; Laimer in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang3 § 879 ABGB Rz 303; Wilhelmer, Berufshaftpflichtversicherung

(2022) Rz 2261 ff

17 ErläutRV 312 BlgNR 20. GP 26.

immozak.lexisnexis.at 3 THEMA ART.-NR.: 1 ImmoZak 1/2023

allgemeinem Zivilrecht (§§ 1293 ff ABGB),18 wobei näher zu untersuchen ist, ob diese deliktischer oder vertraglicher Natur ist. Für die Beantwortung dieser Frage ist zunächst zu erläutern, dass die „Bestellung“ des Treuhänders durch den Bauträger, zu der ihn § 12 Abs 1 BTVG grundsätzlich verpflichtet, nicht durch einseitige Abgabe einer Nominierungserklärung erfolgt, wie es der Wortlaut der Norm nahelegt, sondern durch den einvernehmlichen Abschluss einer zweiseitigen Treuhandvereinbarung, die dem Auftragsvertragsrecht folgt (§§ 1002 ff ABGB)19 und – sofern die Einräumung außenwirksam ausübbarer Vertretungsmacht gewünscht ist – einseitige Bevollmächtigungserklärungen des Bauträgers ergänzen. Im Rechtsverhältnis zu diesem haftet der Treuhänder folglich nach den verschärften Grundsätzen der Vertragshaftung, die in der Erfüllungsgehilfenzurechnung nach § 1313a ABGB, der verschuldensbezogenen Beweislastumkehr zugunsten des Geschädigten nach § 1298 ABGB und der Haftung für bloße Vermögensschäden bestehen.20 Dies gilt ungeachtet des Inhalts der Parteienvereinbarung, weshalb die Vertragshaftungsgrundsätze im Rechtsverhältnis zum Bauträger sowohl dann Anwendung finden, wenn ihm der Treuhänder bloß verspricht, dem Pflichtenprogramm des § 12 BTVG Folge zu leisten, als auch dann greifen, wenn dieser – wie in der Praxis üblich21 – zusätzlich die Errichtung der Bauträgerverträge qua Abschlusses eines Auftragsvertrages übernimmt.22 Klarzustellen ist schließlich, dass der Inhalt des Vertragsverhältnisses für die Beurteilung der Rechtswidrigkeit einer schadenstiftenden Handlung des Treuhänders freilich von entscheidender Bedeutung ist.23

2.2. Haftung des Treuhänders gegenüber den Erwerbern

Auch das Rechtsverhältnis zwischen dem Treuhänder und den Erwerbern kann nach Maßgabe ihrer kongruenten Willenserklä-

18 Zum Haftungserfordernis des Verschuldens statt vieler Pittl, BTVG3 § 12

BTVG Rz 19.

19 Besonders deutlich H. Böhm/Pletzer in Schwimann, ABGB IV2 (2001) § 12

BTVG Rz 14, 27; ebenso Pittl, BTVG3 § 12 BTVG Rz 4, 8, der vom Abschluss einer „Treuhandabrede“ bzw einer „Treuhandvereinbarung“ spricht; in diese Richtung auch ErläutRV 312 BlgNR 20. GP 16, wenn sie betonen, dass der Treuhänder für den Bauträger „auch andere Aufträge“ übernehmen dürfe; aA augenscheinlich Gartner, BTVG4 (2018) § 12 BTVG Rz 27, der von „seltenen Fällen des vom Erwerber ‚benannten‘ Treuhänders“ spricht, die jenen Konstellationen haftungsrechtlich gegenüberstünden, in denen sich die „Haftung des Treuhänders“ auf den „jeweiligen Auftragsvertrag“ gründe, worin wohl zum Ausdruck kommt, dass der Autor auch die Begründung von Rechtsverhältnissen zwischen Bauträgern und Treuhändern für möglich erachtet, die nicht den Grundsätzen des Auftragsvertragsrechts folgen.

20 Ausdrücklich H. Böhm/Pletzer in Schwimann, ABGB IV2 § 12 BTVG Rz 27.

21 Dies bereits anerkennend ErläutRV 312 BlgNR 20. GP 26; ferner H. Böhm/ Pletzer in Schwimann, ABGB IV2 § 12 BTVG Rz 8 („Regelfall“); Gartner, BTVG4 § 12 BTVG Rz 4 f, der Bauträgern zur Vermeidung von „Koordinationsproblemen“ die Vereinigung der genannten Funktionen in einer Person nachdrücklich empfiehlt.

22 H. Böhm/Pletzer in Schwimann, ABGB IV2 § 12 BTVG Rz 27, 33 ff

23 7 Ob 104/10k = wobl 2011, 144 unter Betonung des Umstandes, dass das Pflichtenprogramm des § 12 Abs 3 BTVG freilich nicht für einen Vertragserrichter gilt, der nicht zugleich als Treuhänder iSd § 12 BTVG auftritt.

rungen dem Auftragsvertragsrecht der §§ 1002 ff ABGB unterliegen, wenngleich das Vorhandensein einer Vertragsbeziehung zwischen ihnen nicht zwingend erforderlich ist.24 Gleichwohl unterliegt diese Rechtsbeziehung in allen Fällen den soeben dargelegten Grundsätzen der Vertragshaftung. Denn die Treuhand iSd § 12 BTVG ist nach herrschender und zustimmungswürdiger Auffassung eine mehrseitige Treuhand, die in erheblichem Maße der Wahrung der Interessen der Erwerber dient, weshalb auch diese Treugeber sind.25 Der Umstand, dass dies von Gesetzes wegen gilt, zeitigt die Rechtsfolge, dass zwischen den Erwerbern als Treugebern und dem Treuhänder eine gesetzlich anerkannte Sonderrechtsbeziehung vorliegt, die erfordert, von den deliktischen Haftungsgrundsätzen zugunsten der Anwendung der Vertragshaftungsprinzipien abzugehen.26 Diese Ansicht ist für Treuhandschaften im Allgemeinen anerkannt27 und lässt sich auf die bauträgervertragsrechtliche Treuhand iSd § 12 BTVG übertragen.28

3. Zwischenergebnis

Als Zwischenergebnis ist festzuhalten, dass Verstöße des Treuhänders gegen jene Pflichten, die ihm das positive Gesetzesrecht (§ 12 BTVG), das gesetzlich anerkannte Sonderrechtsverhältnis zu den Erwerbern und die Treuhandvereinbarung mit dem Bauträger auferlegen, dessen Schadenersatzpflicht nach vertraglichen Haftungsgrundsätzen begründen. Dies gilt etwa dann, wenn einem Treugeber Schäden aus schuldhaft begangenen Fehlern des Treuhänders bei der Vertragsgestaltung, der Erteilung sonstiger fehlerhafter Rechtsbelehrungen, der irrigen Berechnung und Abfuhr der Grunderwerbsteuer oder der verfrühten oder verspäteten Auskehrung des in den Kaufpreiszahlungen

24 H. Böhm/Pletzer in Schwimann, ABGB IV2 § 12 BTVG Rz 16 f; Gartner, BTVG4 § 12 BTVG Rz 27. Nach den Vorstellungen des historischen Gesetzgebers (ErläutRV 312 BlgNR 20. GP 16) „wird“ der Treuhänder „in aller Regel auch zum Erwerber in eine vertragliche Beziehung treten“.

25 Nach ErläutRV 312 BlgNR 20. GP 16 zielt die gesetzliche Pflicht des Bauträgers zur Beauftragung eines Treuhänders „auf den Schutz der Interessen des Erwerbers ab“, woraus sich deren Treugeberstellung zwanglos ableiten lässt; ferner zur mehrseitigen Treuhand Friedl in Illedits/ReichRohrwig, Wohnrecht: Taschenkommentar4 (2022) § 12 BTVG Rz 6; Gartner, BTVG4 § 12 BTVG Rz 6; Prader in Schwimann/Kodek, ABGB4 § 12 BTVG Rz 1, 5; so auch Pittl, BTVG3 § 12 BTVG Rz 1, 8 f, wenngleich mit der zusätzlichen Bemerkung, es liege zwischen Bauträger und Treuhänder auch ein „echter Vertrag zugunsten eines Dritten, nämlich des Erwerbers“ vor (§§ 881 f ABGB).

26 Grundlegend Koziol, Österreichisches Haftpflichtrecht I3 (1997) Rz 4/42 ff, 4/48; Koziol, Grundfragen des Schadenersatzrechts (2010) Rz 4/12.

27 Umlauft, Die Treuhandschaft aus zivilrechtlicher Sicht, in Apathy, Die Treuhandschaft (1995) 18 (40); zustimmend Uitz in Schauer, VersVG (2023) § 74 VersVG Rz 91, am Beispiel der gesetzlichen Treuhand zwischen dem Versicherungsnehmer und dem versicherungsvertraglich drittbegünstigten Versicherten an dessen Rechten beim Abschluss einer Versicherung für fremde Rechnung (Fremdversicherung iSd §§ 74 –80 VersVG).

28 Im Ergebnis ebenfalls für eine vertragliche Haftung des Treuhänders gegenüber dem Erwerber H. Böhm/Pletzer in Schwimann, ABGB IV2 § 12 BTVG Rz 30, wenngleich mit der rechtsdogmatisch unterschiedlichen Begründung, dass die Treuhandvereinbarung zwischen Treuhänder und Bauträger hinsichtlich der nebenvertraglichen Sorgfaltspflichten ein Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter (= der Erwerber) sei.

immozak.lexisnexis.at 4 THEMA ImmoZak
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der Erwerber bestehenden Treuguts erwachsen. Da der Treuhänder per definitionem Rechtsanwalt oder Notar ist (§ 12 Abs 2 BTVG), unterliegt die Beurteilung der Rechtswidrigkeit seines Verhaltens in allen Konstellationen dem objektivierten Sorgfaltsmaßstab, der gemeinhin als „Sachverständigenhaftung“ bekannt ist (§ 1299 S 1 ABGB).29

Der Autor: Mag. Matthäus Uitz, LL.B. (WU), M.Sc., war Universitätsassistent am Institut für Zivilrecht der Universität Wien (Lehrstuhl Univ.-Prof. Dr. Martin Schauer), wissenschaftlicher Mitarbeiter im Evidenzbüro des Obersten Gerichtshofs und Volontär in der Rechtsabteilung des Vereins für Konsumenteninformation.

lesen.lexisnexis.at/autor/Uitz/Matthäus

Die Auswirkungen der Entscheidung Gupfinger auf das Wohnrecht

»ImmoZak 2023/2

Der EuGH hat seine Rsp zur Lückenfüllung durch dispositives Recht1 nunmehr auch auf einen sehr einfach gelagerten Fall ausgeweitet. Der bereits aus Dexia Nederland bekannte Rechtssatz, dass „sofern der Vertrag ohne die missbräuchliche Klausel fortbestehen könne – der Gewerbetreibende keinen Anspruch auf die Entschädigung [hat] […], die in einer dispositiven Vorschrift des nationalen Rechts vorgesehen ist, die ohne diese Klausel anwendbar gewesen wäre“, wurde nun auf eine Haftungsklausel in einem Kaufvertrag angewendet.2

Im folgenden Beitrag werden sowohl die rezente Entscheidung des EuGH als auch die Auswirkungen auf das Wohnrecht, die am Beispiel der E 10 Ob 24/21h dargestellt werden, aufgearbeitet.

1. Ausgangsfall

Gegenstand der Vorlage war eine Kaufvertragsklausel, die vorsah, dass der Unternehmer bei unberechtigtem Vertragsrücktritt oder unberechtigter Aufhebung des Vertrags durch den Kunden entweder die Erfüllung des Vertrags verlangen oder der Aufhebung des Vertrags zustimmen kann. Im Falle der Aufhebung wäre der Käufer verpflichtet, dem Unternehmer nach dessen Wahl entweder Schadenersatz in Höhe eines pauschal auf 20 % des Verkaufspreises festgelegten Betrags oder in Höhe des tatsächlich entstandenen Schadens zu zahlen. Fraglich war nun, wie

1 Zuletzt EuGH 27. 1. 2021, verb Rs C-229/19 und C-289/19, Dexia Nederland = Zak 2021/71, 43.

2 EuGH 8. 12. 2022, C-625/21, Gupfinger, Rn 31 und 37 = Zak 2023/15, 15.

im Lichte der bisherigen EuGH-Rsp über diese missbräuchliche Klausel zu entscheiden war.3

2. Entscheidung des EuGH

Der EuGH führte seine bisherige Rsp fort und entschied, dass der Unternehmer weder einen mit 20 % pauschalierten noch einen auf § 921 ABGB gestützten tatsächlichen Schaden geltend machen könne. Auch auf den Einwand des vorlegenden OGH, dass ein „solches Ergebnis der Systematik und den Werten des Zivilrechts widerspreche, die auf einem gerechten Ausgleich der Interessen der Vertragsparteien beruhen“,4 geht der EuGH ein: Seine strenge Spruchlinie trage dem Ziel von Art 7 der RL 93/13/EWG über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (Klausel-RL) Rechnung, der durch Aufrechterhalten des Abschreckungseffekts der Verwendung missbräuchlicher Klauseln ein Ende setzen möchte. Der Abschreckungseffekt bestehe darin, dass missbräuchliche Klauseln unangewendet bleiben. Deshalb könne sich ein Gewerbetreibender, der das vertragliche Gleichgewicht durch Auferlegung einer missbräuchlichen Klausel gestört hat, nicht auf das gesetzliche Gleichgewicht berufen, um den Folgen der Ungültigerklärung dieser Klausel zu entgehen.5

Warum es notwendig ist, dem Unternehmer die Rückfallposition auf das dispositive Recht zu nehmen, um einen ausreichenden Abschreckungseffekt zu erzielen, wird nicht näher erläutert. Dass missbräuchliche Klauseln unangewendet zu bleiben haben, ist bekannt; dies reicht dem EuGH aber nicht aus: Ein Unterneh-

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THEMA
ImmoZak
Foto: Patrick Hofmann 29 Gartner, BTVG4 § 12 BTVG Rz 27. 3 Zu den Vorlagefragen siehe Legath, ÖBA 2022, 128. 4 4 Ob 131/21z (Rn 25) = Zak 2021/598, 336. 5 EuGH 8. 12. 2022, C-625/21, Gupfinger, Rn 39.

mer, der gröblich benachteiligend vom dispositiven Recht abweicht, soll eben nicht in den Genuss desselben gelangen. Er soll für die Wahl der Klausel mit dem Entfall des Schadenersatzanspruchs „bestraft“ werden und sich eben nicht auf das dispositive Recht berufen können.

Stimmt man dem EuGH hinsichtlich dieser „Straffunktion“ zu, kann es keinen Unterschied machen, ob sich der Unternehmer (wie hier) auf dispositives Recht oder eben auf die Klausel stützt.6 Das hat auch der EuGH erkannt, weshalb er ausführt, dass „die Durchführung der in Art. 6 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 vorgesehenen Folgen [...] nicht von den prozessualen Entscheidungen dieses Gewerbetreibenden abhängen kann“. Ein veranschaulichendes Beispiel wäre eine völlig überhöhte (missbräuchliche) Verzugszinsenklausel. Eine Vielzahl an Verbrauchern würde wohl zahlen, weil sie von deren Zulässigkeit ausgehen. Wird die Klausel aber beanstandet, würde der Unternehmer nach bisherigem Verständnis mit einer Klage auf Zahlung samt der dispositiven 4%igen Zinsen nach § 1000 ABGB durchdringen. Er stünde also so, als hätte er die Klausel nie verwendet. Dass dieses Resultat die von der Klausel-RL bezweckte verhaltenssteuernde Wirkung erzielt, darf bezweifelt werden, weshalb der EuGH dem Unternehmer verwehrt, sich auf das die Klausel füllende dispositive Recht zu stützen. Ebenso zweifelhaft ist, ob das Zivilrecht hierfür das geeignete Regelungsinstrument ist.

3. Intransparente Klauseln

Anders gelagert ist der Fall bei intransparenten, also bei nicht klar und verständlich abgefassten Klauseln. Das Transparenzgebot beruht nicht auf den Art 6 und 7 der Klausel-RL, sondern auf Art 5 der RL. Während die RL im Falle missbräuchlicher Klauseln nämlich eindeutig die Unverbindlichkeit für den Verbraucher vorsieht, regelt sie im Falle intransparenter Klauseln, dass „bei Zweifeln über die Gültigkeit der Klausel“ die „für den Verbraucher jeweils günstigste Auslegung“ gilt. Nachdem sich der EuGH in seiner Entscheidung aber nur auf das langfristige Ziel von Art 7, dem Aufrechterhalten des Abschreckungseffektes, beruft und Art 5 (intransparente Klauseln) keine Nichtigkeitssanktion vorsieht, ist diese Rsp auf intransparente Klauseln nicht übertragbar.

Nichts anderes kann mE in Österreich gelten. Nur, weil der österreichische Gesetzgeber für intransparente Klauseln die gleichen Rechtsfolgen vorsieht wie bei missbräuchlichen Klauseln (und die RL sohin überschießend umgesetzt wurde), ist er doch bei Einführung von § 6 Abs 3 KSchG keinesfalls von der Unzulässigkeit der Lückenfüllung durch dispositives Recht im Falle missbräuchlicher Klauseln ausgegangen. Ein so weites Verständnis von Art 7 der Klausel-RL wurde wohl nicht erwartet, womit die Lückenfüllung durch dispositives Recht bei intransparenten Klauseln keinesfalls ausgeschlossen ist. Vielmehr stellt dies ein Paradebeispiel für einen Fall der gespaltenen Auslegung dar.7

nger, Rn 40.

7 So auch Spitzer, ÖJZ 2020, 761 (768); zuvor schon Told, JBl 2019, 623 (628), und Vonkilch/Knoll, RdW 2018, 563 (565); siehe aber 9 Ob 85/17s =

4. Wohnrecht

Die unzähligen Klauselentscheidungen zeigen, dass auch Mietverträge in hoher Zahl missbräuchliche Klauseln enthalten. Nachdem die Anwendung der Klausel-RL lediglich auf den Vertrag eines Gewerbetreibenden mit einem Verbraucher abzielt –die RL somit unabhängig vom Anwendungsbereich des MRG heranzuziehen ist – ergeben sich hieraus eine Vielzahl an Anwendungsfällen, in denen die ersatzlose Streichung eine maßgebliche Rolle spielen kann. Anhand der E 10 Ob 24/21h = ImmoZak 2022/7, 17, soll die Reichweite der EuGH-Rsp veranschaulicht werden.

5. Tierhaltungsklausel

Ausgangspunkt war eine Klausel über einen Genehmigungsvorbehalt, wonach Hunde und Kleintiere nur nach schriftlicher Bewilligung des Vermieters gehalten werden durften. Diese Klausel erachtete der OGH als missbräuchlich und schloss die entstandene Lücke durch Heranziehung des dispositiven Rechts (§ 1098 ABGB).

I. Vonkilch8 gibt dem OGH im Ergebnis recht, findet aber – anders als der OGH, der sich damit nicht befasst hat – eine mit der EuGH-Rsp zu vereinbarende Begründung für die Heranziehung des § 1098 ABGB. Sie geht davon aus, dass der Vertrag ohne die Klausel nämlich gar nicht fortbestehen könne, weil die Frage nach der Tierhaltung zur Durchführung des Mietvertrags notwendigerweise in eine Richtung entschieden werden müsse.

Für solche Fälle hätte der EuGH vorgesorgt: Liegt nach ersatzlosem Wegfall der Klausel ein eigentlich undurchführbarer Vertrag vor, gesteht der EuGH nämlich die Heranziehung des dispositiven Rechts in manchen Fällen sehr wohl zu. „Die ausnahmsweise bestehende Möglichkeit, eine für nichtig erklärte missbräuchliche Klausel durch eine dispositive nationale Vorschrift zu ersetzen, ist auf Fälle beschränkt, in denen die Streichung dieser missbräuchlichen Klausel den Richter zwingen würde, den Vertrag in seiner Gesamtheit für unwirksam zu erklären, was für den Verbraucher besonders nachteilige Folgen hätte, so dass dieser dadurch geschädigt würde.“9 Das dispositive Recht kann also ausnahmsweise herangezogen werden, um den Verbraucher zu schützen.

Ich gehe von einem deutlich eingeschränkteren Verständnis der Undurchführbarkeit bzw generell der Heranziehung disposi-

Zak 2018/361, 195; 8 Ob 1/18g; siehe im Übrigen auch EuGH 21. 1. 2023, C-395/21, D. V., Rn 52, wonach eine Klausel eines zwischen einem Rechtsanwalt und einem Verbraucher geschlossenen Vertrags über die Erbringung von Rechtsdienstleistungen, nach der sich die Vergütung Letzterer nach dem Zeitaufwand richtet und die daher den Hauptgegenstand des Vertrags betrifft, nicht bereits deshalb, weil sie dem Transparenzerfordernis gem Art 4 Abs 2 der RL nicht entspricht, als missbräuchlich anzusehen ist, es sei denn, der Mitgliedstaat, dessen innerstaatliches Recht auf den betreffenden Vertrag anwendbar ist, hat dies gem Art 8 der RL ausdrücklich vorgesehen.

8 wobl 2022, 293 (300).

9 EuGH 8. 9. 2022, C-80/21 bis C-82/21, D.B.P., Rn 67 und die dort angeführte Rsp.

immozak.lexisnexis.at 6 THEMA ART.-NR.: 2 ImmoZak 1/2023
6 So auch der EuGH 8. 12. 2022, C-625/21, Gupfi

tiven Rechts aus, was mE auch dem EuGH entspricht. Dies stützt bereits der Wortlaut: Einerseits soll es nach dem EuGH gerade nur eine „ausnahmsweise bestehende Möglichkeit“ sein und andererseits müsste die Unwirksamkeitserklärung durch den Richter, für den Verbraucher „besonders nachteilige Folgen“ haben, sodass dieser dadurch geschädigt würde. In einer weiteren Entscheidung streicht der EuGH nochmals besonders hervor, dass es nicht ausreiche, dass der Vertrag nur nicht fortbestehen könne, es bedürfe zusätzlich einer Bestrafung des Verbrauchers durch die Folgen der Nichtigkeit.10 Nur dann sei die ausnahmsweise Möglichkeit gegeben, dispositives Recht zur Anwendung zu bringen. Aber was heißt Bestrafung bzw Schädigung in diesem Zusammenhang? Ist davon auszugehen, dass die Nichtigkeit eines (Miet-)Vertrags immer gleich eine Schädigung für den Verbraucher darstellt,11 oder aber spielt es eine Rolle, wenn der Mieter einen im Verhältnis zum Gebrauchswert für ihn „schlechten“ Vertrag abgeschlossen hat, sodass er eigentlich keinen Schaden bei Wegfall des Vertrags hätte. Dann würde sogar ein „fairer“ Vertrag bereits ausreichen, um den Schaden aufseiten des Verbrauchers und damit die Heranziehung des dispositiven Rechts jedenfalls auszuschließen. Klargestellt hat der EuGH nun, dass zumindest nicht nur auf die rein wirtschaftlichen Folgen abzustellen ist, sondern auch die mit der Nichtigkeit verbundene mögliche Rechtsunsicherheit des Verbrauchers eine Rolle spielen kann.12 Wenn der Verbraucher also sein dringend bestehendes Wohnbedürfnis durch Wegfall des Vertrags nicht mehr befriedigen könnte, wird man von besonders nachteiligen Folgen sprechen können, sodass der Anwendung einer dispositiven Vorschrift zur Vermeidung der Gesamtnichtigkeit dann nichts im Wege stehen würde.

Allerdings muss klar sein, je größer man das Anwendungsfeld der Ausnahme zieht, desto häufiger wäre das dispositive Recht erst recht wieder anzuwenden. Gerade im Falle des Bestandrechts13 könnte die Ausnahme dadurch beinahe zur Regel werden.

Zudem darf nicht übersehen werden, dass sich aus der Entscheidung in der Rs Gupfinger ergibt, dass der EuGH ganz bewusst sogar ein erhebliches – „der Systematik und den Werten des Zivilrechts widersprechendes“ – Ungleichgewicht in Kauf nimmt, Rechtsverluste zulasten des Unternehmers also enorm sein können. Eine weite Auslegung der Ausnahme würde daher im Lichte der EuGH-Rsp wiederum nicht dem Ziel der RL entsprechen.

Das führt dazu, dass die Ausnahme nicht greift und der OGH die Klausel daher ersatzlos streichen hätte müssen. Dadurch, dass im konkreten Fall die Tierhaltung als solches der schriftlichen Genehmigung durch den Vermieter unterstellt worden ist und diese nun ersatzlos wegfällt, stellt sich die Frage, zu wessen Lasten diese fehlende Bestimmung geht. ME liegt die Antwort in der Natur des Vertrags selbst: „Bestand“ ist die Überlassung einer unverbrauchbaren Sache zum Gebrauch. Nachdem ledig-

10 EuGH 12. 1. 2023, C-395/21, D. V., Rn 60.

11 IdS wohl I. Vonkilch, wobl 2022, 293 (300).

12 EuGH 12. 1. 2023, C-395/21, D. V., Rn 61.

13 Siehe die Beispiele bei I. Vonkilch, wobl 2022, 293.

lich das dispositive Recht oder der Vertrag Einschränkungen hinsichtlich dieses Gebrauchs vornimmt, ist nach ersatzlosem Wegfall der Klausel von einem uneingeschränkten Gebrauch (hinsichtlich der Hunde- und Kleintierhaltung) auszugehen, weil eine Begrenzung weder aus der Klausel selbst noch aus dem dispositiven Recht abgeleitet werden kann. Dies bedeutet aber, dass der Mieterin tatsächlich – mit Ausnahme öffentlich-rechtlicher Beschränkungen – jegliche Hunde- und Kleintierhaltung gestattet ist.14 Aufgrund dieser vornehmbaren Risikoverteilung ist der Vertrag durch Wegfall der Klausel schon gar nicht undurchführbar, weshalb sich die Heranziehung dispositiven Rechts zur Lückenfüllung bereits deshalb verwehrt und sich die Frage nach der besonderen Nachteiligkeit für den Verbraucher schon gar nicht stellt. Mit diesem Ergebnis ist auch der „Straffunktion“ nach der Rsp des EuGH Genüge getan.

6. Anwendung auf andere Fälle

Dieses Ergebnis ist auf andere Fälle übertragbar. Darunter fallen etwa missbräuchliche Kostentragungsklauseln oder Kündigungsverzichte. Wenn dem Verbraucher durch die Klausel etwas auferlegt wurde, diese Klausel dann ersatzlos wegfällt, ist diese Pflicht dem Verbraucher schlicht nicht auferlegt worden. Gleiches gilt, wenn eine missbräuchliche Klausel vorsieht, der Mieter müsse die Wohnung vor der Rückstellung ausmalen.

Solche Klauseln, die den Zustand bei der Rückgabe regeln, aber missbräuchlich sind, können noch weitreichendere Folgen haben. Die Rückgabe müsste dann nur mehr im gegebenen Zustand erfolgen. Das führt wiederum dazu, dass der Unternehmer auch keinen Schadenersatz für die Beschädigung verlangen kann und die übermäßige Abnutzung hinnehmen muss. Insofern stellt dies einen vergleichbaren Fall im Mietrecht zur Rs Gupfinger dar. Wenn die Rückgabepflicht und Pflicht zur Endrenovierung einen untrennbaren Regelungspunkt bilden, geht I. Vonkilch auch hier von der Undurchführbarkeit des Vertrages aus und kommt wiederum zur Anwendung des dispositiven Rechts,15 konkret § 1109 ABGB. ME ändert der Wegfall einer solchen Pflicht aber nichts an der Durchführbarkeit des Vertrages, kann die Sache doch weiterhin zum Gebrauch überlassen werden. Abgesehen davon betrifft dies eine Pflicht nach Vertragsbeendigung (siehe § 1109 ABGB: „Nach geendigtem Bestandvertrage“), die bereits aus diesem Aspekt heraus nicht geeignet ist, etwas an der Durchführbarkeit des Vertrages zu ändern. Dass der Mieter die Sache danach nicht behalten darf, resultiert schon aus dem Wesen des Mietvertrages selbst. Immerhin fällt mit dem Wegfall des Vertrages die Überlassung zum Gebrauch weg, sodass es für den Mieter keinen Rechtsgrund mehr gibt und der Eigentümer mit herkömmlichen Behelfen die Wohnung herausverlangen kann. Im Ergebnis ist also auch in diesem Fall die Rückgabe im tatsächlichen Zustand mit Verlust allfälliger Schadenersatzansprüche – vorsätzliche Beschädigung ausgenommen – die Folge.

immozak.lexisnexis.at 7 THEMA ART.-NR.: 2 ImmoZak 1/2023
14 So bereits Ulrich, ÖJZ 2022, 517. 15 wobl 2022, 293 (303).

7. Ausblick

Es bleibt abzuwarten, wie sich die aktuelle EuGH-Rsp noch entwickeln wird, zumal einige Fragen offen sind. Die Besonderheit im Fall Gupfinger liegt – wie im Fall Dexia16 – darin, dass das dispositive Recht für den Verbraucher gegenüber dem in der Klausel vorgesehenen pauschalierten Schadenersatz nachteilig gewesen wäre.17 Anders als im Fall Dexia macht der einfache Sachverhalt der Rs Gupfinger den Rechtssatz des EuGH aber über weite Strecken verallgemeinerungsfähig. Das unterstreicht auch die aktuelle Entscheidung in der Rs C-395/21. Hier geht der EuGH im Falle einer unzulässigen Honorarklausel davon aus, dass ein Bereicherungsanspruch eine nachteilige Folge der Gesamtunwirksamkeit sein kann und somit nicht unanwendbares dispositives Recht darstellt. Zumindest bei Gesamtunwirksamkeit hätte der Unternehmer also einen Anspruch für bereits erbrachte Leistungen. Freilich ist dies wiederum in die Bestimmung der „besonders nachteiligen Folgen“ für den Verbraucher einzubeziehen, sodass möglicherweise doch dispositives Recht heranzuziehen wäre.

Im Ergebnis sind viele Fragen offen. Wie ist vorzugehen, wenn das dispositive Recht den Verbraucher besserstellt als die Klausel es täte oder wenn der ersatzlose Wegfall den Verbraucher gegenüber dem dispositiven Recht schlechterstellt? Also wenn dem Verbraucher nach dispositivem Recht etwas zustünde, was ihm die Klausel verwehrt. Dann wäre der Rückgriff auf das dispositive Recht nach der bisherigen Judikatur wegen der Missbräuchlichkeit der Klausel unzulässig, was teleologisch nicht zusammenpasst: Schließen die AGB des Unternehmers einen bestimmten, im dispositiven Recht vorgesehenen und dem Verbraucher zustehenden Schadenersatzanspruch aus, würde bei Wegfall der

Klausel und der anschließenden Nichtanwendbarkeit des dispositiven Rechts entsprechend der Rsp des EuGH dem Verbraucher der Schadenersatzanspruch weiterhin versagt bleiben. Ob dieses Ergebnis vom EuGH so beabsichtigt war, kann bezweifelt werden. Es erscheint wahrscheinlicher, dass er sich darauf beruft, dass der „Gewerbetreibende [und nicht der Verbraucher] keinen Anspruch auf die Entschädigung [hat] [...], die in einer dispositiven Vorschrift des nationalen Rechts vorgesehen ist, die ohne diese Klausel anwendbar gewesen wäre“. Letztlich verfolgen die Rsp des EuGH und die Klausel-RL den Zweck, den Unternehmer zu „bestrafen“, nicht aber den Verbraucher.

Spannend bleibt, wie sich die EuGH-Rsp auf jene des OGH auswirken wird. Um mit dem nationalen Zivilrecht völlig unvereinbare Ergebnisse zu vermeiden oder die Unwirksamkeit von Verträgen zu verhindern, könnte dieser nämlich gewillt sein, an zwei Schrauben zu drehen: Einerseits hätte der OGH die Möglichkeit, durch Ausdehnung seiner engen Auslegung des Hauptleistungsbegriffs die Klausel von vornherein der Prüfung nach § 879 Abs 3 ABGB zu entziehen. Andererseits könnte er die gröbliche Benachteiligung neu definieren.18 Beides würde der Rsp des EuGH zuwiderlaufen.

18 Siehe Perner, ZFR 2022, 573.

Der Autor:

Elias Ulrich, LL.M. (WU), absolviert derzeit die Gerichtspraxis im Sprengel des OLG Wien und war zuvor als Universitätsassistent am Institut für Zivil- und Zivilverfahrensrecht an der Wirtschaftsuniversität Wien tätig.

lesen.lexisnexis.at/autor/Ulrich/Elias

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immozak.lexisnexis.at 8 THEMA ART.-NR.: 2 ImmoZak 1/2023
Foto: WU Wien
16 Vgl im Detail Wilfinger, VuR 2021, 18. 17 Perner/Spitzer, ÖJZ 2022, 1053 (1055).

RECHTSPRECHUNG

BAUVERTRAGSRECHT

Mehrkostenforderungen aus COVID-19 für Bauunternehmen beim „ÖNORM-Bauwerkvertrag“

»ImmoZak 2023/3

ÖNORM B 2110: Pkt 7.2.1

ABGB: § 1168

OGH 21. 12. 2022, 6 Ob 136/22a

Wurde der Werkunternehmer infolge von Umständen, die auf Seite des Bestellers liegen, durch Zeitverlust bei der Ausführung des Werks verkürzt, so gebührt ihm gem § 1168 Abs 1 letzter Satz ABGB angemessene Entschädigung. Während das Risiko der neutralen Sphäre allgemein dem Auftragnehmer zugewiesen wird, werden für die Zuordnung der Gefahrtragung bei Störungen wegen „höherer Gewalt“ aufgrund der COVID-19-Pandemie in der Literatur verschiedene Ansätze diskutiert.

Die Streitteile gehen übereinstimmend von der Anwendbarkeit der ÖNORM B 2110 aus, die unter Pkt 7.2.1 der Sphäre des Auftraggebers ua Ereignisse zuordnet, wenn diese zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses nicht vorhersehbar waren und vom Auftragnehmer nicht in zumutbarer Weise abwendbar sind.

Im Sinn der weit überwiegenden Literatur sind die Folgen der Pandemie bei Anwendung der ÖNORM B 2110 grds der Sphäre des Auftraggebers zugewiesen. Die Kl ist daher grds berechtigt, den Ersatz von COVID-19-bedingten Mehrkosten von der beklP zu verlangen.

In Übereinstimmung mit der bisherigen Rsp und der überwiegenden Lehre sind aber auf der Grundlage des Gesetzeswortlauts in § 1168 Abs 1 S 2 ABGB („Wurde er … verkürzt, …“) für die erfolgreiche Geltendmachung von Mehrkostenforderungen die Behauptung und der Beweis von konkret entstandenen Mehrkosten erforderlich. Es bedarf daher sehr wohl auch einer entsprechenden klägerischen Behauptung der Mehrkosten als Verkürzung bzw Nachteil, kann es doch nicht lediglich darum gehen, die Preisvereinbarung für den Verzögerungszeitraum (zB durch Heranziehung des vereinbarten Stundensatzes) fortzuschreiben.

Weder der Verweis auf eine bloße Preisfortschreibung noch ein diesbezüglicher Saldo genügen den Anforderungen an die Behauptung einer konkreten Mehrforderung. Diese bloße Einpreisung anhand eines – offensichtlich nicht auf die konkrete Baustelle bezogenen

und anhand einer in einem Gutachten vorgenommenen abstrakten Kalkulation berechneten – Zuschlags ist unzureichend.

Durch § 273 ZPO wird nur die Beweislast erleichtert, nicht aber die (für die Prüfung der Schlüssigkeit allein maßgebliche) Behauptungslast abgenommen. Der Verpflichtung, die zur Ableitung des Begehrens sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach erforderlichen Tatsachen vorzubringen, wird der Beweisführer nicht enthoben.

Anmerkung:

Diese Entscheidung ist die erste, welche sich mit der Berechtigung von Mehrkostenforderungen eines Bauunternehmens aus den COVID-19-Schutzmaßnahmen im Frühjahr 2020 bei Vorliegen eines Bauwerkvertrages unter Vereinbarung der ÖNORM B 2110 beschäftigt.

Anlassfall ist eine Forderung eines Bauunternehmens für aus der COVID-19-Pandemie resultierende Mehrkosten iZm der Ausführung des Bauvorhabens, konkret Kosten für das Tragen von Schutzmasken und daraus resultierende Produktivitätsverlusten, Mehrkosten der Unterbringung in Einzelzimmern und Kosten für Desinfektionsmaßnahmen.

1. „Höhere Gewalt“

Beginnend mit dem Inkrafttreten des ersten Corona-Maßnahmenpakets („Lockdown“) mit 15. 3. 2020 traten auf zahlreichen Baustellen Leistungsstörungen auf, welche reflexartig mit dem Schlagwort „höhere Gewalt“ versehen wurden. Ereignisse der höheren Gewalt sind von außen kommende, nicht aus der Sphäre der Vertragspartner stammende, untypische und elementare Ereignisse, die auch durch äußerste Sorgfalt nicht verhindert werden können, wie Naturkatastrophen, akute Kriegsgefahr oder bürgerkriegsähnliche Zustände.1

Die COVID-19-Pandemie an sich hat jedoch unmittelbar keine Verzögerung oder Erschwerung von Bauleistungen verursacht, sondern vielmehr einzelne, durch COVID-19 kausal hervorgerufene Maßnahmen und Tatsachen.

2. Sphärentheorie

Die zur Auslegung des § 1168 ABGB entwickelte „Sphärentheorie“ soll die Frage beantworten, ob ein bestimmtes Risiko nach dem konkreten Vertrag oder nach der dem Vertrag zugrunde gelegten ÖNORM oder mangels vertraglicher Regelung nach dem dispositiven § 1168 ABGB dem Werkbesteller (AG) oder dem Werkunternehmer (AN) zugewiesen ist.2

immozak.lexisnexis.at 9 RECHTSPRECHUNG ART.-NR.: 3 ImmoZak 1/2023
1 Holly in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.05 § 1447 Rz 16. 2 Kletečka in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.03 § 1168a Rz 4 ff, insb Rz 10 und 19.

3. Sphärenzuordnung nach der ÖNORM B 2110

Nachdem in der vorliegenden Entscheidung unstrittig ein Vertrag zu beurteilen war, in welchem die Geltung der ÖNORM B 2110 vereinbart war, wurde zur Sphärenzuordnung nach § 1168 ABGB nicht abschließend Stellung genommen, weil es sich bei § 1168 Abs 1 ABGB eben um eine dispositive Norm handelt,3 der die speziellere (vertragliche) Regelung in der vereinbarten ÖNORM B 2110 vorgeht.

Pkt 7.2.1 der ÖNORM B 2110 ordnet der Sphäre des AG und damit seinem Risiko Ereignisse zu, die bei Vertragsschluss nicht vorhersehbar waren und vom AN nicht in zumutbarer Weise abgewendet werden konnten. Alle Ereignisse, die nicht unter Pkt 7.2.1 beschrieben sind, also nicht ausdrücklich der Sphäre des AG zuzurechnen sind, fallen gem Pkt 7.2.2 der ÖNORM B 2110 in die Sphäre des AN. Der OGH schließt sich der überwiegenden Literatur4 an, wonach die Folgen der Pandemie bei Anwendung der ÖNORM B 2110 grds der Sphäre des AG zugewiesen werden.5

4. Behauptungs- und Beweislast

Die für die Anwendung einer bestimmten Rechtsnorm erforderlichen Tatsachen müssen in einem Verfahren, in dem kein Untersuchungsgrundsatz gilt, durch Parteienbehauptungen in den Prozess eingeführt werden. Dabei trifft jede Partei die Behauptungs- und Beweislast für die Tatsachen, die Voraussetzungen der für sie günstigen Rechtsnorm sind. Es trägt daher derjenige, der einen Anspruch behauptet, für alle anspruchsbegründenden (rechtserzeugenden) Tatsachen die Behauptungs- und Beweislast. Umgekehrt hat derjenige, der den Anspruch bestreitet, die anspruchshindernden, anspruchsvernichtenden und anspruchshemmenden Tatsachen zu behaupten und zu beweisen.6

Die ÖNORM B 2110 schafft keine eigenständige Rechtsgrundlage für Ansprüche infolge von Störungen der Leistungserbringung oder Leistungsänderungen. Mangels anderslautender einzelvertraglicher Regelung war die Behauptungslast daher iZm § 1168 Abs 1 AGBG zu beurteilen.

In Übereinstimmung mit der bisherigen Rsp und der überwiegenden Lehre sind nach der vorliegenden Entscheidung auf der Grundlage des Gesetzeswortlauts in § 1168 Abs 1 S 2 ABGB („Wurde er ... verkürzt, ...“) für die erfolgreiche Geltendmachung von Mehrkostenforderungen die Behauptung und der Beweis von konkret entstandenen Mehrkosten erforderlich. Es kann etwa nicht lediglich darum gehen, die Preisvereinbarung für den Verzögerungszeitraum (zB durch Heranziehung des vereinbarten Stundensatzes) fortzuschreiben.7

VERGABERECHT

Kein (schlüssiges) Anerkenntnis

durch Begleichung von Teilrechnungen und deren Indexierung

»ImmoZak 2023/4

ABGB: §§ 863, 869, 914, 915 ÖNORMEN B 2111, B 2110, A 2060

OGH 28. 9. 2022, 7 Ob 214/21b

Öffentliche Ausschreibungen und (somit) deren Ausschreibungsunterlagen sind so auszulegen, wie sie sich einem durchschnittlichen Angehörigen aus dem angesprochenen Adressatenkreis erschließen. Ihre Klauseln sind – wenn sie nicht Gegenstand und Ergebnis von Vertragsverhandlungen waren – objektiv unter Beschränkung auf den Wortlaut auszulegen.

Dies hat zur Folge, dass sich diesfalls eine bisherige Abrechnungspraxis der Vertragsparteien in identen bzw ähnlichen Fällen als irrelevant erweist. Es ist vielmehr auf den objektiven Wortlaut der Ausschreibungsunterlagen abzustellen.

Ist eine klare Reihenfolge der Ausschreibungsunterlagen definiert, kann diese Unklarheiten wie Widersprüche zwischen den einzelnen Ausschreibungsunterlagen bereinigen.

Anmerkung:

1. Ausgangslage

3 RS0021858.

4 Pochmarski/Kober, ImmoZak 2020, 34 (36); Berlakovits/Hofer, bauaktuell 2020, 66 (67); vgl auch (zust für Preissteigerungen und Lieferengpässe) Schopper, ZRB 2021, 47 (48 insb FN 10); aA Gallistel/Lessiak, ZVB 2020, 171 (174 ff ).

5 RS0134215.

6 RS0106638.

7 RS0134216.

Indexierungen von Angebotspreisen haben insb in den letzten ein bis zwei Jahren an Bedeutung gewonnen und werfen immer wieder praktische Fragen auf. In casu wurde im Rahmen eines offenen Verfahrens wohl gem BVergG 20061 seitens des (späteren) AN das bereitgestellte Angebotsformular ausgefüllt, welches eine Beilage hinsichtlich der veränderlichen Preise und ihrer Berechnung pro Gewerk umfasste und die ÖNORM B 2111 zugrunde legte. Gleichzeitig wurde im auszupreisenden Leistungsverzeichnis als separates Dokument stattdessen nur einer dieser Indizes festgelegt, weshalb der AN in seinen nach Arbeitsfortschritt gelegten Teilrechnungen ausschließlich diesen heranzog. Eben dieser stieg im relevanten Vertragszeitraum höher als die restlichen Indizes. Der AG behielt daraufhin den seiner Meinung nach „überschießenden“ Teil des (bisherigen und noch offenen) Entgelts ein, weil laut ihm die (geringeren) Indizes pro Gewerk maßgeblich waren. Da er schon 30 Teilrechnungen in voller Höhe beglichen hatte, stützte er sich auf folgende Vertragsbestimmung: „Ent-

immozak.lexisnexis.at 10 RECHTSPRECHUNG ImmoZak 1/2023 ART.-NR.: 4
1 Dies ergibt sich (indirekt) aus dem Sachverhalt, nunmehr ist das BVergG 2018 maßgeblich.

scheidungen über die Ansätze und Mengen der Schlussrechnung werden durch die Abschlagszahlungen nicht vorweggenommen.“2

2. Conclusio des OGH

Laut OGH war die Einbehaltung des Differenzbetrags rechtens, weil einerseits die Reihenfolge der Ausschreibungsunterlagen (Vertragsbestimmungen vor Angebotsformblatt samt Beilage vor Leistungsverzeichnis) klar definiert und damit im Falle von Widersprüchen3 klar geregelt war, dass die Beilage des Angebotsformblatts mit allen gewerksspezifischen Indizes zur Anwendung gelangte. Andererseits sahen die Vertragsbestimmungen

(siehe oben, wortgleich wie Pkt 8.4.2.4 der ÖNORM B 2110 und Pkt 8.3.2.4 der ÖNORM A 2060) vor, dass Abschlagszahlungen der Schlussrechnung „nicht vorgreifen“. Sie sind laut OGH (somit) als Akontozahlungen bzw als Vorschuss auf das Schlussrechnungsentgelt zu verstehen4 und kein Anerkenntnis.5 Hintergrund ist, dass es sich bei (solchen) Abschlagszahlungen nicht um die Verrechnung einzelner voneinander unabhängiger Leistungen, sondern um die Verrechnung aufeinander aufbauender Teilleistungen im Rahmen des gesamten Bauprojekts handelt.6

3. Gefestigte Abwicklungspraxis

Die Ansicht der Vorinstanzen, dass die bisherige „gefestigte Abwicklungspraxis“ in identen bzw zumindest ähnlichen Sachverhalten durch Anwendung des nur im LV genannten Index bestand und auch hier greifen würde, wurde vom OGH mE zu Recht abgelehnt. Zwar gilt bezüglich Ausschreibungsunterlagen auch § 915 ABGB,7 allerdings setzt die Anwendung dessen 2. Halbsatzes eine undeutliche Äußerung voraus.8 Selbst wenn man diese als gegeben ansieht, ergibt sich in casu dennoch unzweifelhaft und damit auch deutlich, dass das Angebotsformblatt samt Beilage und damit die gewerksspezifischen Indizes vorgehen und anzuwenden sind. Die Ausschreibungsunterlagen jedes Verfahrens9 und damit jeder Vertrag sind objektiv auszulegen, insb wenn keine Verhandlungen vorgenommen wurden.10 Das Zustandekommen des Vertrags und allfällige Verhandlungen erfordern mE al-

2 Die Formulierung ist mit jener der ÖNORM B 2110 in Pkt 8.4.2.4 und der ÖNORM A 2060 in Pkt 8.3.2.4 ident.

3 Ein Widerspruch stellt laut OGH einen Fall einer undeutlichen Äußerung gem § 915 Satz 2 ABGB dar, vgl Heiss in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.02

§ 915 Rz 16; 7 Ob 152/06 p = ecolex 2007/257.

4 Rn 32 der E sowie Springer, ZVB 2022/104, 475.

5 Streng genommen stellte sich in casu die Frage nach einem schlüssigen Anerkenntnis gar nicht, weil laut OGH bei objektiver Auslegung die Zahlungen nicht dahin gehend gedeutet werden konnten, dass eine Vertragsänderung infrage kam, vgl Rn 31 und 32 der E.

6 9 Ob 32/16w = Zak 2016/634, 335; siehe dazu auch Hussian, bau aktuell 2016/15, und Wagner, ZVB 2017/10.

7 Neben § 914 ABGB, vgl BVwG 20. 2. 2014, W138 2000166-1; Heid/Ring in Heid/Reisner/Deutschmann/Hofbauer §§ 2 Rz 197; EuGH 7. 4. 2016, C-324/14, Partner

8 Heiss in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.02 § 915 Rz 16 mwN.

9 Streng genommen gehören zur Ausschreibung selbst auch sämtliche Fragebeantwortungen während eines Verfahrens sowie weitere Mitteilungen des Auftraggebers, wie zB Berichtigungen des Leistungsverzeichnisses usw.

10 Diese sind je nach Verfahrensart gem BVergG 2006 bzw BVergG 2018 zulässig oder nicht.

lerdings eine differenzierte Betrachtungsweise. Es kommt darauf an, ob der gegenständliche Aspekt (hier: die Indexierung pro Gewerk oder die Anwendung eines Index für alle) wenn auch indirekt tatsächlich auch verhandelt oder besprochen wurde,11 weil er ansonsten unverändert bestehen bleibt und sich die objektive Auslegung nicht ändert.12 Die E kann mE auch für die Auslegung der ÖNORM B 2110 in Pkt 8.4.2.4 sowie der ÖNORM A 2060 in Pkt 8.3.2.4 herangezogen werden, weil die Formulierung wortgleich und die Zielsetzung dieselbe ist. Als Praxistipp lässt sich ableiten, dass insb bei der Verwendung anderer Vertragsbedingungen (zB bei Anwendung des ABGB, selbst erstellter Versionen) oder einer Abänderung der ÖNORM B 2110 auf eine solche Klausel und ihre Formulierung Bedacht zu nehmen ist.

11 Vgl RS0008901, wonach die relevanten Aspekte tatsächlich Gegenstand und Ergebnis von Vertragsverhandlungen sein müssen und nicht generell Verhandlungen ausschlaggebend sind.

12 Vgl auch Rn 32 letzter Satz der E, der sich auf individuelle Verhandlungen bezieht.

WOHNUNGSEIGENTUMSRECHT

(Un-)Zulässige Rechtsgestaltung

innerhalb der Wartefrist des § 5

Abs 2 WEG

»ImmoZak 2023/5

WEG: § 5 Abs 3

OGH 2. 11. 2022, 5 Ob 124/22d

Nach § 5 Abs 3 S 1 WEG wird das WE durch die Einverleibung in das Grundbuch erworben. Erwerb ist dabei allein als konstitutive, erstmalige Begründung von WE zu verstehen. Hingegen gibt es bei einem derivativen Erwerb von Miteigentumsanteilen verbunden mit dem WE als dinglichem Recht keine Besonderheiten. Der Erwerb eines bestehenden, bereits im Grundbuch eingetragenen WE-Objekts folgt allgemeinen sachenrechtlichen Grundsätzen. Dies muss gleichermaßen für den Erwerb von Liegenschaftsanteilen gelten, mit denen im Zug der WE-Begründung entsprechend dem Nutzwertgutachten das WE an Kfz-Abstellplätzen verbunden werden soll, auch wenn die Verbücherung dieses Erwerbsvorgangs erst nach der WEBegründung geplant ist. Aus diesem Grund verbieten die Erwerbsbeschränkungen in § 5 Abs 2 WEG jedenfalls die Einverleibung des WE an einem Kfz-Abstellplatz zugunsten eines „Liegenschaftsfremden“ in einem Rang, der zeitlich vor dem Ablauf der Wartefrist liegt.

immozak.lexisnexis.at 11 RECHTSPRECHUNG ART.-NR.: 5 ImmoZak 1/2023
Alexander Sporer

Anmerkung:

1. Nichtigkeit des Titelgeschäfts

Der OGH hat nunmehr unmissverständlich klargestellt, dass gem § 5 Abs 2 WEG bereits der Abschluss eines Kaufvertrags über einen Kfz-Abstellplatz innerhalb der gesetzlichen Wartefrist an eine „liegenschaftsfremde“ Person unzulässig ist.1 Die daraus folgende Nichtigkeit des Kaufvertrags gem § 879 Abs 1 ABGB steht somit auch nach Ablauf der Drei-Jahres-Frist2 einer Grundbuchseintragung entgegen.3 Damit hat der OGH der weit verbreiteten Praxis, wonach ein innerhalb der Wartefrist abgeschlossener Kaufvertrag erst nach Ablauf der Frist dem Grundbuch zur Verbücherung vorgelegt wird, die Grundlage entzogen.4 Die E ist sowohl im Ergebnis als auch in ihrer Begründung jedenfalls zu begrüßen. Will man § 5 Abs 2 WEG nicht jegliche praktische Wirksamkeit nehmen, muss auch der Abschluss eines Kaufvertrags über einen Kfz-Abstellplatz im normierten Drei-Jahres-Zeitraum als unzulässig beurteilt werden.5

2. Begründung des OGH

Die gegenständliche E zeichnet sich in besonderer Weise durch eine umfassende Begründung und die gelungene Einordnung in den bestehenden Rechtsprechungskontext aus. Das Bemühen um eine methodisch einwandfreie Herleitung des Urteils durch den OGH zeigt sich insb an der inhaltlichen Auseinandersetzung mit seiner bisherigen Rsp: So hatte der OGH bereits in 5 Ob 151/08d = Zak 2008/758, 435, die Feststellung getroffen, dass die Wartefrist des § 5 Abs 2 WEG sowohl für den Titel als auch für den Modus des Erwerbsgeschäfts gelte. Die erwähnte E 5 Ob 151/08d war jedoch – wie der OGH dogmatisch korrekt herausarbeitete –deshalb nicht unmittelbar einschlägig, weil es sich bei dem damaligen Sachverhalt um die konstitutive Begründung von WE und nicht um einen derivativen Erwerbsvorgang handelte. Der OGH begnügte sich in 5 Ob 124/22d nicht mit der Übertragung des in 5 Ob 151/08d herausgearbeiteten Rechtssatzes auf derivative Erwerbsvorgänge, sondern unterzog § 5 Abs 2 WEG vielmehr einer umfassenden, den gesamten Methodenkanon ausschöpfenden Auslegung.

3. Rechtsfolgen für die Praxis

Auf der Grundlage des aktuellen Stands der Rsp stellt sich die Frage, welche rechtlich zulässigen Gestaltungsmöglichkeiten dem WE-Organisator innerhalb der Wartefrist des § 5 Abs 2 WEG noch bleiben. Dabei ist jedenfalls zu berücksichtigen, dass iSd E 5 Ob 124/22d der Kfz-Abstellplatz innerhalb der Frist für den Erwerb durch einen Eigentümer eines Bedarfs-

1 Prader, Anm zu 5 Ob 125/13p, immolex 2014/23; Prader, Anm zu 5 Ob 223/19h, immolex 2020/79.

2 Zum Beginn der Frist vgl T. Hausmann in Hausmann/Vonkilch4 § 5 WEG Rz 18.

3 Vgl Prader, immolex 2014/23; zustimmend Bittner, Anm zu 5 Ob 223/19h, NZ 2020, 377.

4 Vgl Dobler/Sollereder, Anm zu 5 Ob 223/19h, ImmoZak 2020/38, 70.

5 Vgl Prader, immolex 2014/23; Prader, immolex 2020/79; Bittner, NZ 2020, 377.

objekts „zumindest theoretisch“ zur Verfügung stehen muss und durch die Maßnahmen des WE-Organisators ein möglicher Erwerb nicht „faktisch unmöglich“ werden darf. Positiv hervorzuheben ist idZ, dass der OGH die Grenzen des gesetzlichen Gestaltungsansatzes des § 5 Abs 2 WEG nicht verkennt und deren Ausgestaltung als reine Wartefrist ausdrücklich betont. Ebenso ist die Klarstellung zu begrüßen, dass der WE-Organisator keinesfalls verpfl ichtet ist, den Eigentümern von Bedarfsobjekten innerhalb der Drei-Jahres-Frist einen Kfz-Abstellplatz anzubieten.6 Von besonderer Bedeutung für die Praxis dürfte auch die Feststellung sein, dass § 5 Abs 2 WEG der Einräumung von Nutzungsrechten während der Wartefrist nicht entgegensteht. Somit sollte sowohl die Begründung von Bestand- und Fruchtgenussrechten als auch deren grundbücherliche Sicherstellung grds zulässig sein; allerdings ist nicht auszuschließen, dass im Einzelfall eine Unzulässigkeit vorliegt, sofern die konkrete Ausgestaltung dieser Nutzungsrechte einen potenziellen Erwerb durch den Eigentümer eines Bedarfsobjekts „faktisch unmöglich“ macht. Unzulässig ist jedenfalls die Einräumung von Vorkaufsrechten, 7 die Bindung des WE-Organisators durch Anbot bzw Option oder der Abschluss eines echten Mietkaufs 8

6 Pittl in GeKo Wohnrecht II § 5 WEG Rz 19; Stabentheiner, wobl 2006, 277 (279); aA Zelger, wobl 2020, 359 (361).

7 Vgl 5 Ob 223/19h (Anm Dobler/Sollereder, ImmoZak 2020/38, 70); zum Erlöschen des Vorkaufsrechts und zum Entstehen des Vorkaufsfalles als maßgeblichem Zeitpunkt für die Verbücherungsfähigkeit: Höllwerth, Anm zu 5 Ob 223/19h, wobl 2020/118.

8 Vgl Prader, immolex 2014/23.

Auslegung der Prozentschwelle des § 8 Abs 2 WEG

»ImmoZak 2023/6

WEG 2002: § 8

WEG 1975: § 5

LG Innsbruck 15. 4. 2021, 54 R 31/21m

Nach § 8 WEG ist auf den Saldo der Zu- und Abschläge für ein Objekt abzustellen. Allerdings ist gem § 8 Abs 2 WEG abweichend von der Rechtslage nach dem WEG 1975 nach dem klaren Gesetzeswortlaut erst ein Überschreiten von 2 % relevant. Die Formulierung „Zuschlag oder Abstrich von nicht mehr als 2 vH“ lässt kein anderes Verständnis zu als jenes, dass auch Zuschläge und Abstriche von 2 % zu vernachlässigen sind. Widerspricht ein Nutzwertgutachten diesem Grundsatz, bildet es keine taugliche Eintragungsgrundlage und ist das Grundbuchsgesuch abzuweisen.

immozak.lexisnexis.at 12 RECHTSPRECHUNG ImmoZak 1/2023 ART.-NR.: 6
Philipp Dobler

Anmerkung:

1. Entscheidung des Rekursgerichts

Mit dieser E wendet sich das RekG von der hL1 ab, wonach sich durch das WEG 2002 an der „Zweiprozentgrenze“ bei der Nutzwertermittlung nichts geändert habe. Die dogmatisch ausführlich und wohlbegründete E des RekG verdient mE volle Zustimmung, schließlich ist der Gesetzeswortlaut des § 8 Abs 2 WEG 2002 2 abweichend von der Vorgängerbestimmung des § 5 Abs 2 WEG 1975 genau umgekehrt3 formuliert. Losgelöst von den ohnedies nicht bindenden Erläuterungen4 verbietet sich mE mit dem LG Innsbruck daher eine vom Gesetzeswortlaut abweichende Auslegung, sodass insoweit auch das bei unklaren Formulierungen maßgebliche Telos hier keine Rolle spielen kann.5

2. Tragweite der Entscheidung

Auf den ersten Blick könnte man meinen, dass es sich dabei um ein „lästiges dogmatisches Geplänkel“ handelt, das allen an der Abwicklung Beteiligten Mehrarbeit und einen Zeitverlust beschert. Das mag zwar letztlich auch zutreffen, die zentrale Rechtsfolge ist aber im BTVG zu finden. Schließlich erfordert die Fälligkeit der Weiterleitung des Treuhanderlags ua auch die Sicherung der Erlangung der vereinbarten Rechtsstellung,6 andernfalls die Sicherungspflicht nicht endet.7

Diese E des LG Innsbruck verdeutlicht nun aber, dass ein derart „untaugliches“ Gutachten gerade dem Sicherungszweck der Rechtsstellung zuwiderläuft. Und auch wenn dies durch ein neues Gutachten und gegebenenfalls auch via § 3 Abs 4 WEG einer Korrektur zugeführt werden kann, so darf aber doch die im Bereich des BTVG immer zu beachtende Insolvenz des Bauträgers nicht unbeachtet gelassen werden. Damit gelangt man wieder zu der Frage des Erfordernisses einer einverleibungsfähigen Titelurkunde,8 die aber im Licht des § 56 Abs 3 GBG9 zu werten ist.10 Richtigerweise setzt nämlich die Sicherung der

1 T. Hausmann in Hausmann/Vonkilch-WEG4 § 8 Rz 25 und Ofner in GeKo Wohnrecht II § 8 Rz 9.

2 Arg; „von nicht mehr als 2 vH“.

3 Arg: „von weniger als 2 vH“.

4 5 Ob 161/20t = wobl 2021/153, 534 (Schinnagl).

5 Siehe jüngst etwa bei vermeintlicher, aber „falsch“ formulierter Richtlinienumsetzung: 3 Ob 216/21t = Zak 2022/345, 194.

6 Dazu etwa Prader/Dobler, Zur Relevanz und den Folgen von Rechtsmängeln im Bauträgervertragsrecht, immolex 2021, 181 (184).

7 Dass auch die Rechtsstellung zwingend dazu gehört, habe ich bereits an anderer Stelle in immolex 2021, 303 [305]) dargelegt, wäre es doch eine Kuriosität, dass eine Sicherung für etwas nicht endet, das es gar nicht zu sichern gilt (s § 7 Abs 5 BTVG).

8 6 Ob 173/18m = immo aktuell 2019/24 (Höllwerth) = immolex 2019/7 (zust Prader); 5 Ob 141/18y = immo aktuell 2019/14 (Höllwerth) = immolex 2019/8 (zust H. Böhm) = wobl 2020/50 (zust Pittl); unklar hingegen, wenngleich vermutlich durch die Zurückweisung bedingt: 5 Ob 7/21x = immolex 2021/48 (abl H. Böhm); siehe dazu im Detail, Prader, immolex 2021, 303; jüngst aber ohne nähere Begründung ggt 8 Ob 26/21p = immo aktuell 2022/38 (krit Höllwerth), dazu abl H. Böhm/Prader, immolex 2022, 378.

9 Ausf schon Bollenberger, ecolex 2004, 258; K. Binder in Kodek, Grundbuchsrecht2 § 56 GBG Rz 10.

10 Dies setzt beim Liegenschaftskauf voraus, dass der Treuhänder bereits den gesamten Kaufpreis erhalten und bei Liegenschaftskäufen den Antrag auf Einverleibung gestellt oder einverleibungsfähige Urkunden sowie einen gültigen Rangordnungsbeschluss (dem die Anmerkung nach § 40

Rechtsstellung ein taugliches Nutzwertgutachten samt darauf fußendem WE-Vertrag voraus. Damit aber kann sich ein derartiges (mE vom Treuhänder zu prüfendes)11 Nutzwertgutachten als Hindernis für die Fälligkeit, verbunden mit einem Anspruch nach § 14 Abs 1 BTVG, erweisen. Auch wenn der gegenteilige Standpunkt vertretbar sein mag und daher den Treuhänder schadenersatzrechtlich entlasten könnte, ändert dies mE nichts an der Rechtsfolge des § 14 Abs 1 BTVG, da es für diesen Anspruch auf ein Verschulden nicht ankommt.12 Auch wenn sich diese Thematik vordergründig beim grundbücherlichen Sicherungsmodell stellt, darf nicht vergessen werden, dass die Sicherungspflicht generell solange besteht, bis die Sicherung der Erlangung der vereinbarten Rechtsstellung gewährleistet ist13 und damit der vorzeitige Wegfall der Sicherung auch beim schuld- oder pfandrechtlichen Sicherungsmodell14 zum nachträglichen Wegfall der Fälligkeit15 führt. MaW: Folgt man der bisherigen hRsp und L16 entgegen dem 8. Senat und Gartner, dass der mangelfreie Erwerb von WE zu sichern ist, kann der hier vom RekG aufgezeigte Rechtsmangel auch außerhalb des grundbücherlichen Sicherungsmodells dazu führen, dass – zB bei ausgelaufener Garantie nach § 8 BTVG – mangels aufrechter Sicherung vor Sicherungsende17 die (nun) ungesichert geleisteten Zahlungen flankiert vom Zinssatz des § 14 Abs 1 BTVG zurückgefordert werden können.

Christian Prader

Abs 2 WEG insoweit gleichsteht: Rassi, Grundbuchsrecht3 2.27 mwN) in Händen hat: RS0102658, zuletzt etwa zum Bauträgervertrag: 5 Ob 13/20b und 5 Ob 158/20a.

11 Prader in Schwimann/Kodek, BTVG (Sonderband 2019) § 7 Rz 16.

12 Pittl, BTVG3 161; Gartner, BTVG4 § 14 Rz 4.

13 Genau dies wird aber bei der ggt Ansicht des OGH 8 Ob 26 /21p (abl H. Böhm/Prader, immolex 2022, 378; Höllwerth, Glosse zu immo aktuell 2022/38) außer Acht gelassen, denn damit liegt eben die zugesicherte Rechtsstellung nicht vor; insoweit völlig zutreffend 5 Ob 7/20w: „Ein Rechtsmangel liegt vor, wenn der Veräußerer dem Erwerber nicht die Rechtsposition verschafft, die er ihm nach dem Vertrag verschaffen hätte müssen.“

14 Zum Sicherungsende: Prader in Schwimann/Kodek, BTVG § 8 Rz 7 und § 11 Rz 3.

15 3 Ob 123/13d = RdW 2014/86, 65 = Zak 2014/57, 36; H. Böhm/Pletzer in Schwimann, ABGB IV2 § 14 Rz 11.

16 Nachweise bei H. Böhm/Prader, immolex 2022, 378.

17 § 7 Abs 5 BTVG.

immozak.lexisnexis.at 13 RECHTSPRECHUNG ART.-NR.: 6 ImmoZak 1/2023
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ImmoZak 1/2023

Zur Notwendigkeit der Zustimmung sämtlicher Miteigentümer im Bauverfahren

»ImmoZak 2023/7

TBO 2018: § 29 Abs 2 lit a

WEG: § 16 Abs 2, § 52

ABGB: § 838a

VwGH 16. 11. 2022, Ra 2022/06/0093

Der Entfall des Nachweises der Zustimmung sämtlicher Miteigentümer nach § 29 Abs 2 lit a TBO 2018 kommt nur in solchen Fällen infrage, in denen die zivilrechtliche Zulässigkeit der Baumaßnahme nach den besonderen wohnungseigentumsrechtlichen Vorschriften einer gerichtlichen Überprüfung (insb nach § 52 Abs 1 Z 2 WEG 2002) unterzogen werden kann. Mangels einer solchen Möglichkeit für die schlichten Miteigentümer im Mischhaus sind in dieser Konstellation dem Bauansuchen die Zustimmungen sämtlicher Miteigentümer anzuschließen.

Anmerkung:

1. „Duldung und Unterlassung“ von Änderungen durch die übrigen Wohnungseigentümer

Die zur Begründung durch den VwGH angeführten Erläuterungen zur TBO 1988,1 mit welcher die Regelung zum Entfall des Nachweises der Zustimmung sämtlicher Miteigentümer eingeführt wurde, sind mE insofern irreführend, als sie von einem erhöhten zivilrechtlichen Rechtsschutz des WEers gegenüber dem schlichten Eigentümer ausgehen.2 Wiewohl nach dem Wortlaut des damals gültigen § 26 Abs 1 Z 2 WEG 1975 über Ansprüche betreffend die Duldung oder Unterlassung von Änderungen im außerstreitigen Verfahren entschieden wurde, wurden diesbezügliche Beseitigungs- und Abwehransprüche nach stRsp zur Vermeidung unsachlicher Differenzierungen entgegen dem Wortlaut im streitigen Verfahren behandelt.3 Die Streichung der Wortfolge „oder Unterlassung“ in § 52 Abs 1 Z 2 WEG 2002 diente der Klarstellung dieser Judikatur.4

2. Geltendmachung von Ansprüchen im streitigen oder außerstreitigen Verfahren

Mit der Neuregelung des außerstreitigen Verfahrens (AußStrG 2003) und der gleichzeitigen Einführung des § 838a ABGB (Inkrafttreten mit 1. 1. 2005) sollte eine eindeutige Zuständigkeitsregel geschaffen werden,5 welche Streitigkeiten zwischen den Teilhabern über die mit der Verwaltung und Benützung der ge-

1 Erläut zu § 21 Abs 2 lit a TBO 1998, LGBl 2001/74.

2 Zum Anspruch nach § 16 Abs 2 WEG und dessen (Nicht-)Anwendbarkeit im konkreten Fall siehe unten.

3 ZB 5 Ob 6/81 = MietSlg XXXIII/19.

4 ErläutRV 989 BlgNR 21. GP 81.

5 ErläutRV 471 BlgNR 22. GP 33.

meinschaftlichen Sache unmittelbar zusammenhängenden Rechte und Pflichten ins Außerstreitverfahren verweist.6 Zu den in § 838a ABGB genannten Streitigkeiten über solche Rechte und Pflichten zählt die Rsp auch im schlichten Miteigentum die Geltendmachung eines nur auf das Miteigentumsrecht (und nicht auf Beseitigung oder Wiederherstellung nach § 523 ABGB) gestützten Unterlassungsbegehrens gegen die Bauführung an gemeinsamen Teilen.7

Unterlassungsansprüche gegen eine eigenmächtige Änderung ohne vorhergehende Genehmigung bei Stützung des Anspruchs auf § 523 ABGB sind dagegen sowohl im Wohnungs-8 als auch im schlichten Miteigentum9 im streitigen Rechtsweg zu klären.

3. Differenzierung zwischen schlichten Eigentümern und Wohnungseigentümern nach der TBO 2018

Dennoch ist der E des VwGH im Ergebnis zuzustimmen, da der historische Gesetzgeber eine Differenzierung zwischen WEer und schlichten Eigentümern offenbar intentionierte.

Im Umkehrschluss muss dies mE bedeuten, dass die Zustimmung sämtlicher schlichter Miteigentümer sowie eines WEers nach § 29 Abs 2 lit a TBO 2018 ausreicht. Im Gegensatz zum schlichten Miteigentümer hat der WEer die Chance, im Verfahren nach § 52 iVm §16 Abs 2 WEG die Zustimmung der übrigen Miteigentümer und WEer gerichtlich zu ersetzen. Durch die Bestimmung der TBO, wonach bei im WE stehenden Objekten für die Erteilung der Baubewilligung nicht die Unterschrift aller WEer nötig ist, wird somit die Voraussetzung geschaffen, dass der betreffende WEer sich die „Reihenfolge“ zwischen Zustimmungseinholung der übrigen Mit- und WEer sowie Einbringung des Bauansuchens aussuchen kann.10 Dies kann uU Sinn machen, da im Genehmigungsverfahren nach § 16 Abs 2 WEG einerseits die baurechtlich relevanten Voraussetzungen zu berücksichtigen sind11 und andererseits eine Verneinung der Beeinträchtigung des Erscheinungsbildes durch die Baubehörde als Tatsache im Verfahren nach § 16 Abs 2 WEG verwertet werden kann.12 Im schlichten Miteigentum und somit auch bei Misch-WE13 ist ein solches Verfahren nicht zulässig,14 womit die „Chance“ auf die Zustimmung der übrigen Miteigentümer erheblich kleiner wird.

6 Zu den sich daraus ergebenden Auslegungsproblemen vgl H. Böhm/Palma in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.02 § 838a Rz 6.

7 2 Ob 71/12y = Zak 2012/702, 375.

8 Etwa 5 Ob 85/20s, siehe ImmoZak 2021/12, 20 (Jenewein).

9 5 Ob 275/08i = immolex 2009/74 (Edelhauser).

10 Eine aus der mangelnden Zustimmung der Miteigentümer entstehende Verzögerung bei der Bauführung kann jedoch gem § 35 Abs 1 TBO 2018 zum Erlöschen der Baubewilligung führen.

11 5 Ob 9/91 = MietSlg 43.387.

12 5 Ob 11/04k.

13 Seit dem WEG 2022 ist die Begründung von schlichtem WE nicht mehr möglich (§ 3 Abs 2, intertemporal zu bestehenden Mischliegenschaften siehe § 56 Abs 12).

14 5 Ob 41/18t = Zak 2018/744, 397 = immolex 2018/100.

immozak.lexisnexis.at 14 RECHTSPRECHUNG ART.-NR.: 7

MIETRECHT

Keine (analoge) Anwendung der Verjährungsfristen nach § 1489 ABGB im Anwendungsbereich des § 1111 ABGB

»ImmoZak 2023/8

ABGB: §§ 1111, 1489

OGH 21. 11. 2022, 4 Ob 122/22b

Für das Bestandverhältnis normiert §  1111 ABGB Folgendes: Der Bestandgeber hat seine Ansprüche gegen den Bestandnehmer aus Schäden am Bestandgegenstand oder eine übermäßige Abnützung desselben längstens binnen eines Jahres nach Zurückstellung des Bestandstücks gerichtlich geltend zu machen. Diese Frist ist nach stRsp eine amtswegig wahrzunehmende Präklusivfrist.

Der Bestandgeber kann seine Schadenersatzansprüche gegen den Bestandnehmer gem § 1111 ABGB binnen eines Jahres ab Rückstellung des Bestandgegenstands auch dann noch geltend machen, wenn der Schaden schon mehr als 30 Jahre zuvor verursacht wurde. Eine analoge Anwendung der in § 1489 S 2 ABGB geregelten absoluten Verjährungsfrist für allgemeine Schadenersatzansprüche findet in diesem Zusammenhang nicht statt.

Anmerkung:

1. Präklusionsfrist als alleiniges Kriterium

Eine Kernaussage der E liegt darin, dass für Ansprüche nach § 1111 ABGB einzig die einjährige Präklusionsfrist zu wahren ist. Eine analoge Anwendung der 30-jährigen absoluten Verjährungsfrist wird verneint. Zudem führte der OGH schon in einer früheren E1 aus, dass auch die dreijährige Verjährungsfrist des § 1489 S 1 ABGB nicht anzuwenden ist, welche Aussage nunmehr2 bestärkt wird. Eine (kumulative) Einhaltung der Fristen nach § 1489 ABGB ist damit nicht erforderlich. Insoweit wird für die Beteiligten zunächst Klarheit geschaffen: Unabhängig vom Zeitpunkt der schadensverursachenden Handlung, des Schadenseintritts und der subjektiven Kenntnis können Ansprüche binnen eines Jahres nach Rückstellung des Bestandobjekts geltend gemacht werden.

2. Gerichtliche Durchsetzung

Mit dieser E tritt auch das Bedürfnis für (vorbeugende) Feststellungsklagen während des aufrechten Bestandverhältnisses zur

Vermeidung einer allfälligen Verjährung3 in den Hintergrund. Nicht restlos geklärt ist mE jedoch, ob und unter welchen Voraussetzungen vor Rückstellung des Bestandobjekts überhaupt eine (positive oder negative) Feststellungsklage zulässig und zweckmäßig ist.

Grundsätzlich besteht vor der Rückstellung des Bestandobjekts kein Anspruch auf (Wieder-)Herstellung; der Bestandgeber kann die Reparatur der Bestandsache davor nur dann verlangen, wenn er ein berechtigtes Interesse daran hat.4 Im letzteren Fall wird der Bestandgeber idR direkt eine Leistungsklage und der Bestandnehmer zur Abwehr der behaupteten Ansprüche umgekehrt eine negative Feststellungsklage erheben können. Liegt ein solch berechtigtes Interesse jedoch nicht vor, ist die Geltendmachung erst nach Rückstellung zulässig. Dabei wird in der Rsp teils betont, dass während der Bestanddauer verursachte Schäden nicht unbedingt zu einem endgültigen Nachteil des Bestandgebers führen müssen und erst die Rückstellung einer beschädigten Bestandsache rechtswidrig ist.5 Ist die rechtswidrige (und schadensverursachende) Handlung6 jedoch erst die Rückstellung selbst, könnte vor diesem Zeitpunkt eine auf Schadenersatz gestützte Feststellungsklage des Bestandgebers wenig Erfolg haben. Doch auch eine negative Feststellungsklage des Bestandnehmers vor Rückstellung, sofern überhaupt zulässig, würde uU keine Bindungswirkung für die spätere Rückstellung entfalten.7 Umgekehrt könnte dem Bestandgeber angesichts der generellen Behauptungs- und Beweislastverteilung iZm § 1111 ABGB8 im Einzelfall sogar daran gelegen sein, einen Anspruch so spät wie möglich geltend zu machen, um den Bestandnehmer in eine schlechtere Beweisposition zu bringen. Hierauf kann aber – wie generell durch beide Vertragsparteien bei drohenden späteren Beweisschwierigkeiten – mit einem Beweissicherungsverfahren gem § 384 ZPO reagiert werden.9

3 Dazu Scharmer, wobl 2022, 255 (261); offenlassend, ob eine Feststellungsklage bei Ansprüchen gem § 1111 ABGB (nach Rückstellung des Bestandobjekts) zulässig ist: 1 Ob 206/19d = immolex 2020/40, 124 (Neugebauer-Herl); vgl Pesek in Schwimann/Kodek, ABGB-Praxiskommentar5 § 1111 Rz 28.

4 2 Ob 517/86 = MietSlg 38.183; 1 Ob 152/02p = RdW 2003, 634; RS0020636 (T3).

5 1 Ob 131/13s = Zak 2014/60, 37; vgl 4 Ob 3/19y = Zak 2019/275, 155.

6 Umgekehrt beruht die vorliegende Verjährungsthematik gerade auf der Überlegung, dass die schadensverursachende Handlung vor der Rückstellung liegt, würde sonst die Verjährungsfrist gar nicht davor beginnen (vgl zu § 1489 S 2 ABGB jüngst 4 Ob 178/20k = Zak 2021/97, 58 = ecolex 2021/275, 422 [Brandstätter] = EvBl 2021/73, 523 [Brenn] mwN); ähnlich zum Schadenseintritt iVm der Eröffnung der Insolvenz über das Vermögen des Bestandnehmers 8 Ob 294/01w; 8 Ob 155/03g = RdU 2004, 161 (Kerschner/Wagner); damit wird teils unterschiedlich beurteilt, worin die schadensverursachende Handlung und der Schaden genau liegen.

7 ZB wenn der Klage mit der bloßen Begründung stattgegeben wird, dass der Bestandgeber unabhängig von Verursachung oder Verschulden kein berechtigtes Interesse an einer Reparatur vor Rückgabe des Bestandobjekts hat.

1 1 Ob 131/13s = Zak 2014/60, 37, dort aber noch zur Abgrenzung des letztlich nicht anwendbaren § 1111 ABGB auf Beherbergungsverträge.

2 Rz 28 und 29.

8 Vgl Riss in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.02 § 1111 Rz 1; Lovrek in Rummel/ Lukas, ABGB4 § 1111 Rz 7, je mwN.

9 Vgl LGZ Wien 41 R 478/93 = MietSlg 45.687; 39 R 6/14t = MietSlg 66.697; Rassi in Fasching/Konecny3 III/1 § 384 ZPO Rz 17 mwN.

immozak.lexisnexis.at 15 RECHTSPRECHUNG ART.-NR.: 8 ImmoZak 1/2023

3. Abgrenzungsfragen

Letztlich gewinnt damit die Abgrenzung des von § 1111 ABGB erfassten Haftungsumfangs von allgemeinen schadenersatzrechtlichen Ansprüchen des Bestandgebers an Bedeutung. Für Letztere gilt nämlich gerade auch die dreijährige Verjährungsfrist des § 1489 S 1 ABGB, womit eine irrtümliche Einordnung eines Anspruchs unter § 1111 ABGB je nach Konstellation zu erheblichen verjährungsrechtlichen Konsequenzen führen kann.

nis hatte und infolgedessen dagegen auch nicht einschreiten konnte.1

2.2. War der Mieter aber in der Lage einzuschreiten (dh das Fehlverhalten des Mitbewohners zu unterbinden), kann er sich nicht auf sein Unvermögen oder etwa darauf berufen, dass er alle ihm zu Gebote stehenden bzw ihm nach der Sachlage zumutbaren Abwehrmittel ausgeschöpft habe.2 Wollte man dem Mieter den Einwand zugestehen, dass er alle zumutbaren Abwehrmittel ausgeschöpft habe, ihm aber subjektiv tatsächlich die Abhilfe nicht gelungen ist, wäre der Schutzzweck des Kündigungsgrundes unterlaufen, der primär darin liegt, die übrigen Hausbewohner vor Beeinträchtigungen zu schützen.3

Kündigung:

Keine Zurechnung des Verhaltens eines anderen, auch im Haus wohnenden Mieters

»ImmoZak 2023/9

MRG: § 30 Abs 2

OGH 17. 10. 2022, 6 Ob 26/22z

Den Mieter trifft nur dann keine Verantwortung für das unleidliche Verhalten der mit ihm in Hausgemeinschaft lebenden Personen, wenn er davon keine Kenntnis hatte und infolgedessen dagegen auch nicht einschreiten konnte. War der Mieter aber in der Lage einzuschreiten, kann er sich nicht auf sein Unvermögen oder etwa darauf berufen, dass er alle ihm zu Gebote stehenden bzw ihm nach der Sachlage zumutbaren Abwehrmittel ausgeschöpft habe; auch subjektives Unvermögen exkulpiert ihn nicht. Hat allerdings die dem gekündigten Mieter „zugerechnete“ Person selbst Zutritt zum Wohnhaus, weil sie über ein eigenes, nicht (oder nicht erfolgreich) gekündigtes Mietverhältnis verfügt, scheidet eine Zurechnung aus.

Anmerkung:

Die gegenständliche E thematisiert drei relevante Rechtssätze zur kündigungsrechtlichen Zurechnung des Verhaltens Dritter zum aufgekündigten Mieter.

1. Rechtsgrundlage

Basis nachstehender Detailausführungen ist, dass nach dem letzten Halbsatz des § 30 Abs 2 Z 3 MRG dem Verhalten des Mieters dasjenige seines Ehegatten und der anderen mit ihm zusammenwohnenden Familienangehörigen sowie der sonst von ihm in den gemieteten Räumen aufgenommenen Personen gleichsteht.

2. Relevante Rechtssätze

2.1. Dem Mieter soll die Verantwortung für das Verhalten der mit ihm in Hausgemeinschaft lebenden Personen jedoch dann nicht auferlegt werden, wenn er davon keine Kennt-

2.3. Die Verantwortung des Mieters für das unleidliche Verhalten der Personen, die mit seinem Willen den Mietgegenstand benützen, beruht erkennbar auf der Erwägung, dass durch die Beendigung des Mietverhältnisses auch erreicht wird, dass die Mitbewohner oder Gäste des Mieters die Hausgemeinschaft verlassen, sodass sie die Störungen des Hausfriedens nicht fortsetzen können. Voraussetzung für eine Zurechnung des Verhaltens von Mitbewohnern ist, dass das inkriminierte Verhalten unterbleibt, wenn die Kündigung erfolgreich ist. Hat die „zuzurechnende“ Person hingegen selbst Zutritt zum Wohnhaus, weil sie über ein eigenes, nicht gekündigtes Mietverhältnis verfügt, kann keine Zurechnung erfolgen.

3. Kritische Anmerkungen

Die diesbezüglichen Kausalitätsüberlegungen überzeugen vom Ergebnis her nicht.

3.1. Konkretes Beispiel

Dies sei an einem konkreten Beispiel kurz dargelegt: Dass sich der Mieter die festgestellten Störungen des Hausfriedens durch seine Gäste zurechnen lassen muss, ergibt sich bereits aus der einen Bordellbetrieb betreffenden E des OGH 1 Ob 52/97x. Stört der konkrete Gast eines Mieters durch sein Verhalten iZm dem vom Mieter geduldeten Besuch, sei es am Weg dorthin, sei es bei der Ausübung des Besuches, sei es am Rückweg, geht die Störung vom Ergebnis her zurechenbar von dem Mieter aus, der den störenden Gast in sein Objekt einlädt und ist daher dieser Mieter erfolgreich aufzukündigen, unabhängig davon, ob der Gast selbst über eigene Wohnungen im Haus verfügt. Wie die Bordell-E zeigt, kann es ja durchaus so sein, dass der Bordellgast ein friedliches Leben (zB in seiner im selben Haus befindlichen Wohnung) praktiziert und letztlich nur zu beanstanden ist, dass es im Rahmen der Ausübung des Bordellbetriebes, sei es auch durch den konkreten Gast, der im selben Haus über eine Wohnung verfügt, zu den entsprechenden Lärmstörungen oder sonstigen Belästigungen im Haus kommt. Hier unterbleibt auch die Störung, wenn der Bordellbetrieb beseitigt wird, weil die Störung ja vom Bordellbetrieb aus-

immozak.lexisnexis.at 16 RECHTSPRECHUNG
1/2023 ART.-NR.: 9
ImmoZak
3 2 Ob 152/18v = Zak 2018/779, 415; 6 Ob 189/13g = Zak 2014/102, 56.
1 StRsp RS0070371 sowie hL (Höllwerth in Hausmann/Vonkilch, Österreichisches Wohnrecht4 § 30 MRG Rz 25). 2 RS0070371.

geht und nicht vom Bordellbesucher, der im selben Haus wohnt. Die Rechtsansicht des OGH kann somit nicht überzeugen, wie das gegenständliche Beispiel zeigt.

3.2. Anwendung auf die aktuelle Entscheidung des OGH

Der konkrete Fall, der der E 6 Ob 26/22z zugrunde liegt, ist deshalb bemerkenswert, weil die Kündigung des Mietobjektes des konkreten Störers daran scheiterte, dass dort nur die Kündigungsgründe des § 30 Abs 2 Z 1 und Z 6 MRG geltend gemacht wurden, nicht aber der Kündigungsgrund des unleidlichen Verhaltens. Da diese Kündigung rechtskräftig für unwirksam erklärt und aufgehoben wurde, wobei sich nähere Details aus der oberstgerichtlichen E nicht ergeben, wurde wohl versucht, das Objekt des Vaters aufzukündigen, in dem der Sohn regelmäßig Mahlzeiten einnahm und auch übernachtete. Der Sohn ging auch immer wieder zwischen seiner Wohnung und der Wohnung des aufgekündigten Mieters (seines Vaters) hin und her, weshalb wohl die Zurechnung seines Verhaltens über die Mitbewohnerregelung wie oben aufgezeigt zutreffend erscheint.

Die E des OGH wäre auch nicht zu beanstanden, wenn sich tatsächlich aus dem Beweisverfahren ergeben würde, dass sich das störende Verhalten des Sohnes des gekündigten Mieters nicht im Rahmen bzw durch seine Besuchs- bzw Mitbewohnertätigkeit im aufgekündigten Objekt ergibt, sondern ausschließlich im Rahmen der Nutzung seines eigenen Objektes. Gerade eine solche eindeutige Zuordnung hat sich jedoch im Rahmen des durch den OGH zusammengefasst wiedergegebenen Sachverhaltes nicht ergeben, sodass wohl ein Kausalitätsverdacht des Inhaltes vorliegt, dass die zu beanstandenden Verhaltensweisen des Sohnes des Bekl jedenfalls auch im Rahmen der Ausübung seiner Mitbewohnerschaft in der Wohnung des Vaters gesetzt wurden, wo er regelmäßig isst und übernachtet. Eine Zurechnung dieses inkriminierten Verhaltens des Sohnes der aufgekündigten Partei wäre somit jedenfalls gegeben.

Der OGH vermeint in der gegenständlichen E, dass der Schutz der Hausgenossen vor den Störungen des Hausfriedens durch Mitbewohner des Mieters im vorliegenden Fall durch die Kündigung des Mietvertrages des Bekl (des Vaters) nicht oder jedenfalls nicht zur Gänze erreicht werden kann. Dabei übersieht der OGH allerdings, dass der Sohn sichtlich regelmäßig in der Wohnung des Vaters Mahlzeiten einnimmt und nächtigt. Sollte daher die Zurechnung des Verhaltens des Sohnes gegenüber dem Vater als Mieter im Haus zu einer erfolgreichen Kündigung des Vaters führen, wäre der Hausfrieden möglicherweise schon dadurch herbeigeführt, dass der Sohn einen Großteil seines bisherigen tagtäglichen Lebens anders gestalten muss, weil er Essens- und Nächtigungsmöglichkeit verliert und daher entweder tatsächlich auch sein eigenes Mietobjekt aufgibt oder generell sein Verhalten als Hauptmieter im Haus ändert, weil er nun zum „Selbstversorger“ geworden ist.

3.3. Notwendige Präzisierung

Die gegenständliche E müsste daher hinsichtlich ihrer rechtlichen Ausführungen (betreffend meine einleitenden Darlegungen zu Pkt 3. oben) dergestalt präzisiert werden, dass wohl zu dif-

ferenzieren ist, ob die betreffenden Störer in ihrer Eigenschaft als Gäste oder Mitbewohner die relevanten Störungshandlungen setzen, weil sie in diesem Fall dem Gastgeber bzw Hauptmieter zuzurechnen sind und dies zu einer erfolgreichen Kündigung dieses Hauptmietverhältnisses führen muss. Dabei ist es wohl nicht von Relevanz, ob die die Störung herbeiführenden Gäste auch selbst über Hauptmietverhältnisse im selben Haus verfügen. Dies kann und darf wohl nur dann von Relevanz sein, wenn das störende Verhalten nicht im Rahmen ihrer Besuchs- oder Mitbewohnertätigkeit entfaltet wird, sondern ausschließlich im Rahmen ihrer eigenen Stellung als Hauptmieter im Haus. Dann, aber nur dann, ist der oberstgerichtlichen E zuzustimmen.

VERTRAGSRECHT

Entfall der Bindung der Vertragsteile bei einer Suspensivbedingung nach Beschwerdezurückziehung trotz

»ImmoZak 2023/10

ABGB: § 897

OGH 16. 2. 2022, 7 Ob 114/21x

Aufschiebend bedingte Rechte entstehen mit dem Eintritt der Bedingung oder des Termins; bis dahin besteht bloß eine Anwartschaft auf die künftige Erwerbung des Rechts. Auch bei einem aufschiebend bedingten Vertrag treten seine Wirkungen erst ein, wenn die Bedingung verwirklicht ist. Bei Ausfall der Bedingung treten die Rechtswirkungen überhaupt nicht ein. Der Vertrag befindet sich daher vorläufig in einem Schwebezustand, der so lange dauert, bis die Genehmigung erteilt oder versagt bzw festgestellt wird, dass das Geschäft keiner Genehmigung bedarf.

Vereinbarungen in Verträgen unter der aufschiebenden Bedingung ihrer rechtskräftigen grundverkehrsbehördlichen Genehmigung durch die zuständige Grundverkehrsbezirkskommission stellen Suspensivbedingungen dar.

Ein Bescheid ist formell rechtskräftig, wenn er durch ordentliche Rechtsmittel nicht oder nicht mehr anfechtbar ist. Unter Rechtskraft im materiellen Sinn ist die Unwiderrufbarkeit und die Unwiederholbarkeit des Bescheids zu verstehen. Die materielle Rechtskraft eines Bescheids liegt vor, wenn dieser (auch) von Amts wegen – von der Behörde – nicht mehr aufgehoben oder abgeändert werden kann, sofern nicht eine der ausdrücklich vorgesehenen Ausnahmen in Betracht kommt.

immozak.lexisnexis.at 17 RECHTSPRECHUNG ART.-NR.: 10 ImmoZak 1/2023
„Genehmigung im zweiten Anlauf“

Nach Zurückziehung einer Beschwerde ist das Verfahren einzustellen, was keine Entscheidung über die Beschwerde in der Sache selbst ist. Die mit Bescheid der belangten Behörde erfolgte Entscheidung wird durch die Zurückziehung einer dagegen erhobenen Beschwerde rechtskräftig. Wird die als Suspensivbedingung für das Zustandekommen des Vertrags vereinbarte Genehmigung versagt und dieser Bescheid durch die Zurückziehung der erhobenen Beschwerden insofern rechtskräftig, besteht keine Bindung der Vertragspartner mehr, sodass auch eine Genehmigung durch die Grundverkehrsbehörde „im zweiten Anlauf“ nach Abtretung der von W* erworbenen Rechte und Pflichten an den Kläger nichts daran ändert.

Anmerkung:

1. Bewertung der Argumente des Berufungsgerichts

Das Augenmerk ist zunächst auf die Ansicht des Berufungsgerichts zu legen. Dieses vertrat nämlich im Gegensatz zum Erstgericht und dem OGH den Standpunkt, dass die Versagung der grundverkehrsbehördlichen Genehmigungen jener Kaufverträge, wo der Kläger und W* als Käufer auftragen, deren Ansprüche daraus nicht zum Erlöschen gebracht habe. In der gebotenen Ex-ante-Betrachtung sei es nicht ausgeschlossen gewesen, „dass ein zweiter Anlauf doch noch zum Ziel führen könnte“. Diesen Weg habe der Kläger eingeschlagen, indem er sich von W* dessen Rechte und Pflichten aus den Kaufverträgen abtreten ließ. Durch die folglich erteilten grundverkehrsbehördlichen Genehmigungen seien die aufschiebenden Bedingungen der Kaufverträge eingetreten.

Diese Ansicht ist mE in zweifacher Hinsicht wenig stichhaltig: Einerseits war nämlich selbst ex ante betrachtet ausgeschlossen, dass für die Kaufverträge die grundverkehrsbehördlichen Genehmigungen „im Zweiten Anlauf“ zu erwirken gewesen wären. Diesbezüglich zog W* nämlich seine Beschwerden zurück und schloss taggleich mit dem Kläger zwei schriftliche Abtretungsvereinbarungen ab. Aus diesem zeitlichen Ablauf und insb auch aus dem Vorbringen des Klägers selbst ergibt sich ein Zusammenhang zwischen der Zurückziehung der Beschwerden und dem Abschluss der Abtretungsvereinbarungen samt der Stellung von neuen Anträgen auf Erteilung der grundverkehrsbehördlichen Genehmigungen. Es war daher offenkundig, dass im Falle der Zurückziehung der Beschwerden hinsichtlich der Kaufverträge, in denen neben dem Kläger auch W* selbst als Käufer auftrat, die grundverkehrsbehördlichen Genehmigungen nicht mehr zu erwirken waren. Vielmehr hätten diese aufgrund der gewählten Vorgehensweise ex ante betrachtet lediglich für die aus Kauf- und Abtretungsverträgen bestehenden Rechtsgeschäfte des Klägers erteilt werden können.

Andererseits ist anschließend daran zu betonen, dass die „im zweiten Anlauf“ erteilten grundverkehrsbehördlichen Genehmigungen ausschließlich die aus Kauf- und Abtretungsverträgen bestehenden Rechtsgeschäfte des Klägers betrafen. Eine etwaige grundverkehrsbehördliche Genehmigung dieser Rechtsgeschäfte ist gesondert vom für die Kaufverträge maßgeblichen

Bedingungseintritt zu beurteilen. Falls die grundverkehrsbehördliche Genehmigung rechtskräftig versagt wird, steht damit fest, dass das Rechtsgeschäft ex tunc unwirksam war.1 Durch die Zurückziehung der Beschwerden wurden die mit Bescheiden der belangten Behörde erfolgten abweisenden Entscheidungen rechtskräftig.2 Sohin traten in Hinblick auf die Kaufverträge die Suspensivbedingungen nicht ein.

2. Bewertung der Argumente des OGH

Dem OGH ist zuzustimmen, dass erst mit Eintritt der Suspensivbedingung die Ansprüche auf Übergabe der Sache und Zahlung des Kaufpreises, welche W* an den Kläger abtreten wollte, entstanden wären.3 Aufgrund der Zurückziehung der Beschwerden und der damit einhergehenden rechtskräftigen Versagung der grundverkehrsbehördlichen Genehmigungen waren die Kaufverträge von Anfang an unwirksam. Folgerichtig konnten Rechte und Pflichten daraus in casu auch nicht wirksam abgetreten werden.4

Dem OGH ist daher sowohl im Ergebnis als auch in der Begründung zuzustimmen.

Einzig die Diktion des Höchstgerichts könnte an einer Stelle präziser sein. So wird vom Höchstgericht resümiert, dass mangels Eintritt der Suspensivbedingung die Kaufverträge unwirksam geworden wären. E contrario folgt daraus aber nicht (wie dies prima vista naheliegen könnte), dass die Kaufverträge bis dahin (voll) wirksam gewesen wären. Die Parteien treffen nach stRsp pendente conditione bereits Vorwirkungen, insb Treuepflichten.5 Gerade diese Vorwirkungen sind es, die durch die rechtskräftige Versagung der grundverkehrsbehördlichen Genehmigung rückwirkend vernichtet wurden.6

1 RS0038627 (T12); RS0061101.

2 Vgl VwGH Ra 2019/11/0090; Ra 2019/19/0233.

3 Vgl zB bereits 5 Ob 517/78 mwN.

4 Vgl RS0105777 (insb T7).

5 RS0017406.

6 So schon Steiner, JBl 1996, 413 [419] mwN; siehe dazu auch Riedler in Schwimann/Kodek, ABGB5 § 897 Rz 12 ff mwN.

immozak.lexisnexis.at 18 RECHTSPRECHUNG ART.-NR.: 10 ImmoZak
1/2023
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MAKLERRECHT

Keine Provisionsmäßigung bei Verletzung nachwirkender Vertragspflichten

»ImmoZak 2023/11

MaklerG: § 3

OGH 25. 5. 2022, 8 Ob 82/21y

Voraussetzung für den Provisionsanspruch des Maklers ist der Nachweis einer verdienstlichen, also dem Vermittlungsvertrag entsprechenden Tätigkeit, die geeignet ist, Vertragspartner aufzufinden – bei Namhaftmachung für das Zustandekommen nützlich war – bzw zum Vertragsabschluss zu bewegen. Bei der Mäßigung nach § 3 Abs 4 MaklerG handelt es sich um eine Art Vertragsstrafe. Allfällige Ansprüche auf konkreten Schadenersatz bleiben vom Mäßigungsrecht unberührt.

Eine Mäßigung des Provisionsanspruchs nach § 3 Abs 4 MaklerG hat nur dann zu erfolgen, wenn die Verdienstlichkeit des Maklers durch diesen Pflichtverstoß geringer als ohne diesen einzustufen ist. Die Sanktion der Provisionsermäßigung soll unabhängig von einem konkret beweisbaren Schaden immer schon dann eintreten, wenn wegen Vorliegens einer wesentlichen Pflichtverletzung davon auszugehen ist, dass der Makler nicht voll verdienstlich tätig geworden ist. Das Ausmaß der Mäßigung hängt davon ab, in welchem Maß die Verletzung einer wesentlichen Pflicht die Verdienstlichkeit des Maklers gemindert hat. Die Mäßigung der Provision ist direkt proportional zu den Pflichtverletzungen des Maklers vorzunehmen. Wie sich die Pflichtverletzung auf die Abwicklung des Geschäfts ausgewirkt hat, ist ohne Bedeutung. Auch kommt es nicht darauf an, ob durch die Pflichtverletzung ein Schaden eingetreten ist. Die Mäßigung der Provision kann auch noch nach Fälligkeit geltend gemacht werden, wenn die Pflichtenverletzung des Maklers erst später zutage getreten ist. Hat der Auftraggeber die Provision bereits bezahlt, kann er den Anspruch auf Mäßigung im Wege eines Rückforderungsanspruchs geltend machen. Die Verletzung nachwirkender Vertragspflichten (§ 7 ImmobilienmaklerVO) ohne zeitlichen oder inhaltlichen Zusammenhang mit der provisionspflichtigen Vermittlungstätigkeit ist für die mit dem Begriff der Verdienstlichkeit umschriebene Qualität und mit dem Erfolg ihrer für den Geschäftsabschluss adäquat kausalen Bemühungen nicht relevant und führt nicht zu einer Ermäßigung gem § 3 Abs 4 MaklerG. Der Anspruch auf Ersatz eines allenfalls durch die festgestellte Verletzung nachwirkender Vertragspflichten verursachten Schadens bleibt nach Satz 1 leg cit davon aber grds unberührt.

Anmerkung: 1. Voraussetzungen für eine Provisionsmäßigung Der Auftraggeber hat Anspruch auf Provisionsmäßigung, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind:1

 Anspruch auf Maklerprovision,  Verletzung „wesentlicher Pflichten“,  durch die vorgeworfene Pflichtverletzung wurde die Verdienstlichkeit des Maklers „geringer“.

Nicht erforderlich ist der Nachweis eines konkreten Schadens. Der Anspruch auf Mäßigung der Provision besteht unabhängig davon, ob beim Auftraggeber durch die Verletzung wesentlicher Pflichten und die damit einhergehende geringere Verdienstlichkeit tatsächlich ein Schaden entstanden ist.2

1.1. Anspruch auf Maklerprovision

Die erste Voraussetzung, die Provisionspflicht des Auftraggebers, war in einem anderen Prozess Streitthema und wurde zugunsten des Maklers geklärt: Der Makler hat Anspruch auf Provision.

1.2. Verletzung wesentlicher Pflichten

Die den Makler treffende Pflicht „zur Verschwiegenheit über alle ihm im Rahmen seiner Berufsausübung bekannt gewordenen Tatsachen“ ist zweifach normiert. In § 7 Immobilienmaklerverordnung als Standes- und Ausübungsregel und in § 3 MaklerG, der den Makler dazu verpflichtet, die Interessen des Auftraggebers zu wahren. Aus dieser Interessenwahrungspflicht lässt sich eine Pflicht zur Verschwiegenheit ableiten.3

Der Gesetzgeber misst der Verschwiegenheit durch die zweifache Normierung offenbar eine besondere Bedeutung zu. Das lässt den Schluss zu, dass ein Verstoß gegen die Verschwiegenheitspflicht „wesentlich“ ist. Die Verschwiegenheitspflicht wirkt nach Beendigung des Maklervertrags fort.4

1.3. Geringere Verdienstlichkeit

Bei der Verdienstlichkeit handelt es sich um die seitens des Maklers mindestens zu entfaltende Tätigkeit.5 Eine verdienstliche Tätigkeit liegt dann vor, wenn sie den Anforderungen des Maklervertrags entspricht und ihrer Art nach geeignet ist, für den Geschäftsherrn Vertragspartner aufzufinden bzw diese zum Vertragsabschluss zu bewegen.6 Die vertragsgemäße verdienstliche Tätigkeit muss zudem gesetzes- und standesgemäß erfolgen. Agiert der Makler bei der Vermittlungstätigkeit an sich (Zusammenführung der Vertragspartner) standes- und/oder gesetzwidrig, etwa weil er entgegen der Verschwiegenheitspflicht interne Preislimits und Verhandlungstaktiken preisgibt, schmälert das seine Verdienstlichkeit.7

1 Vgl Wortlaut § 3 Abs 4 MaklerG.

2 ErläutRV 2 BlgNR 20. GP 17.

3 Vgl Limberg in GeKo Wohnrecht II § 3 MaklerG Rz 7 f.

4 Kothbauer in GeKo Wohnrecht II § 7 ImmMV Rz 4.

5 ErläutRV 2 BlgNR 20. GP 19.

6 RS0062800.

7 Vgl etwa OLG Innsbruck 10 R 48/19p = ImmoZak 2020, 16 (Prader).

immozak.lexisnexis.at 19 RECHTSPRECHUNG ART.-NR.: 11 ImmoZak 1/2023

Findet der Makler jedoch einen Vertragspartner für seinen Auftraggeber in standes- und gesetzesgemäßer Art und Weise und verstößt er erst nachgelagert gegen die Verschwiegenheitspflicht oder gegen sonstige Pflichten, hat er mE keine Mäßigung seiner Provision zu befürchten. Freilich kann der Makler aber bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen Schadenersatzansprüchen ausgesetzt sein.

Kurzum: Verrät der Makler nach erfolgreicher Zusammenführung der Vertragspartner, also nach verdienstlicher Tätigkeit (etwa) geheime und interne Preislimits und die Verhandlungstaktik seines Auftraggebers, was dem Auftraggeber in seinem weiteren Geschäftsleben (etwa bei anderen Liegenschaftstransaktionen) ursächlich schadet, hat der Auftraggeber keinen Anspruch auf Mäßigung der Provision, kann aber gegenüber dem Makler allenfalls Schadenersatzansprüche geltend machen.

Dem OGH ist daher jedenfalls beizupflichten, wenn er bei Verletzung nachwirkender Vertragspflichten (§ 7 ImmobilienmaklerVO) ohne zeitlichen oder inhaltlichen Zusammenhang mit der provisionspflichtigen Vermittlungstätigkeit keinen Anspruch auf Mäßigung der Provision gem § 3 Abs 4 MaklerG erkennt.

ME ist die zeitliche Grenze aber ohnehin bereits früher zu ziehen, nicht erst bei der Verletzung nachwirkender Vertragspflichten: Hat der Makler seine verdienstliche Tätigkeit standes- und gesetzesgemäß entfaltet, begründet ein nachgelagerter Pflichtverstoß allenfalls Schadenersatzansprüche, aber keinen Anspruch auf Mäßigung der Provision, zumal jeder Pflichtverstoß, der der standes- und gesetzesgemäßen verdienstlichen Tätigkeit nachgelagert ist, die Qualität und das Ausmaß der Verdienstlichkeit nicht mehr berührt.

Herausgeber ImmoZak:

Dr. Christian Prader

Hofrat des OGH Dr. Martin Weber

Redaktion:

Mag. Wolfgang Kolmasch

E-Mail: wolfgang.kolmasch@lexisnexis.at

Herausgeber Zak:

SP d. OGH Univ.-Prof. Dr. Georg E. Kodek

VP d. OGH Univ.-Prof. Dr. Matthias Neumayr

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immozak.lexisnexis.at 20 RECHTSPRECHUNG ART.-NR.: 11
ImmoZak 1/2023

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