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SINA VAN THIEL DAS RADSPORT-AUSNAHMETALENT IM INTERVIEW
from 0831 (05./06.2023)
Mit 20 Jahren blickt Sina van Thiel auf eine bewegende Radsportkarriere zurück. Ehrgeizig, motiviert und fokussiert schaffte sie es bereits auf zahlreiche Siegertreppchen und holt sich einen Titel nach dem anderen. Im Interview erzählt sie uns, wie sie so weit gekommen ist, warum es nicht leicht ist, ihre Leidenschaft mit ihrem Studium sowie ihrer Freizeit unter einen Hut zu bekommen und welche ambitionierten Ziele sie sich für die Zukunft gesetzt hat.
Du bist kürzlich „Deutsche Cyclocross-Meisterin“ der U23 geworden. Was genau ist Cyclocross?
Ein Cyclocross sieht optisch aus wie ein Rennrad, hat allerdings Reifen mit Stollen, damit man im Gelände auch Halt hat. Spannend ist: Erst in der zweiten Rundstrecke wird den Fahrer:innen gesagt, wie viele Runden insgesamt zu fahren sind. Bei einer Dauer von 45 bis 50 Minuten sind die Rennen sehr intensiv. Meist sind in den Strecken Hindernisse eingebaut, bei denen das Rad geschultert werden muss, vor allem die Sandpassagen sind kraftraubend. Cyclocross macht nicht nur das Talent auf dem Rad aus, sondern beinhaltet ein komplettes Körpergefühl.
Hast du dich auf Cyclocross spezialisiert oder trittst du auch in anderen Radsportarten an?
Eigentlich bin ich Mountainbike-Cross-Country-Fahrerin. Ich fahre den Weltcup und durfte schon mehrmals an Europa- und Weltmeisterschaften teilnehmen. Cyclocrossen habe ich nur mal ausprobiert, um neue Erfahrungen zu sammeln. Als Winterausgleich beziehungsweise als Abwechslung, um Spaß zu haben und technische Grundlagen zu trainieren.
Welche Radsportart macht dir persönlich am meisten Spaß?
Am meisten fasziniert mich Cross-Country. Der ständige Wechsel von anstrengenden Bergauf-Passagen und technischen Herausforderungen bei hohem Puls. Die Konzentration zu finden, um kraftsparend schnell ins Ziel zu kommen und dabei das taktische Fahren mit den anderen Sportler:innen nicht zu vergessen. Es ist ein Sport, der den gesamten Körper fordert. Das ist es, was mich fasziniert und das ist es, was ich liebe.
2019 wurdest du zu Kemptens Jugendsportlerin des Jahres gekürt und 2022 zur Sportlerin des Jahres. Was bedeuten dir diese Auszeichnungen?
Ich freue mich jedes Jahr, wenn ich eine Einladung der Stadt Kempten für die Sportgala erhalte. Es ist ein wunderschöner Abend mit Familie und Freunden und vor allem mit so vielen anderen Sportler:innen. Es ist schön zu sehen, wie viele talentierte Sportler:innen in Kempten für ihre Leistung geehrt werden und Anerkennung bekommen. Die Wahl zur Sportlerin des Jahres bedeutet mir unglaublich viel. Es ist nicht nur für mich, sondern auch für meine Eltern, meinen Trainer und meinen Verein ein Zeichen der Anerkennung. Es zeigt, dass die ganze Arbeit und das Weiterkämpfen sich gelohnt haben. Als Ferdinand Ganser meine Laudatio vorgelesen hat, hat es mir gezeigt, dass auch andere Personen mit meinem Sport emotional verbunden sind. Das gibt mir sehr viel Motivation und Willenskraft, um meine Träume zu verwirklichen.
Wie viel macht Radsport in deinem Alltag aus? Ist zusätzlich ein Studium oder ein „normales“ Sozialleben mit Freunden und Freizeit überhaupt möglich?
Ich habe letzten Winter angefangen, Wirtschaftsingenieurwesen Maschinenbau in Kempten zu studieren, musste allerdings feststellen, dass ein Studium in Vollzeit neben dem Sport nicht möglich ist. Zum Glück hat man als Sportler:in die Möglichkeit, vorab die Prüfungstermine zu besprechen, um Terminüberschneidungen mit Wettkämpfen zu vermeiden. Dank meiner netten Kommiliton:innen schaffe ich es, an Unterlagen von verpassten Vorlesungen zu kommen; ich bin immer von anderen abhängig, was nicht ganz einfach ist. Das Sozialleben ist bei mir auch etwas verschoben. Ich verbringe mit meinen Freunden im Sport definitiv mehr Zeit als mit anderen Freunden. Neben Training, Studium und anderen Pflichten bleibt dann leider nicht mehr viel Zeit übrig. Man muss als Sportler:in schon auch auf viel verzichten, und es ist schwierig, Freunde zu finden, die Verständnis dafür haben, dass man eigentlich gar keine Zeit für sie hat oder nicht die Zeit, die man ihnen gerne geben möchte.
Was bedeutet dir der Radsportclub Kempten und wie hat er dir auf dem Weg zu deinen Erfolgen geholfen?
Der RSC ist für mich die Leiter zum professionellen Sport gewesen. Mein Vater war schon lange vor mir im Verein. Er fing an, mich und eine ganze Gruppe junger Sportler:innen zu trainieren. Im Sommer zusammen Rad zu fahren und im Winter in der Halle Athletiktraining zu absolvieren. Das hat mich damals sehr vorangebracht und motiviert. Mittlerweile trainiere ich viel alleine, bin aber auch froh, wenn mich mein Papa oder meine Schwester beim Training unterstützen. Der RSC hat immer hinter mir und meiner Familie gestanden und an mich geglaubt. Ohne die Unterstützung des Vereins wäre ich nicht so weit gekommen. Deshalb weiß ich gar nicht, wie ich jemals genug danken kann. Es tut gut, den RSC Kempten hinter sich stehen zu haben. Auch Walter Eberle von Wildrad Wildpoldsried möchte ich an dieser Stelle danken, ohne ihn wäre ich nicht da, wo ich jetzt bin.
Wie trainierst du generell für Wettkämpfe? Hast du irgendwelche Tipps und Tricks für alle Nachwuchssportler:innen?
Je näher ein Wettkampf kommt, umso intensiver wird das Training. In der Wettkampfwoche fahre ich Intervalle, um den Körper darauf einzustimmen und vorzubereiten. Wie ich genau trainieren muss, schreibt mir mein Trainer in einen Trainingsplan. Ich finde, im Nachwuchsbereich ist das genaue Training noch nicht so wichtig. Es ist wichtig, den Kindern den Spaß am Sport zu zeigen, der Rest kommt automatisch. Klar kann gerne auch hier ab und zu schon ein wenig Intensität im Training eingebaut werden. Wenn die Kinder in der Gruppe trainieren, kommen kleinere Wettrennen auch von alleine. Kinder sollen Spaß an der Sache haben. Ohne Spaß wäre ich nie so weit gekommen.
Was sind deine nächsten Ziele?
Diese Saison habe ich mir vorgenommen, bei allen Weltcuprennen an den Start zu gehen und auch Übersee dabei zu sein. Außerdem ist es mein Ziel, unter den Top 10 zu landen und bei der Europa- sowie Weltmeisterschaft anzutreten. Auf lange Sicht wäre es mein Traum, für Deutschland bei Olympia starten zu dürfen.