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2.2 Das Gurzelen-Areal
Die Stadt Biel hat eine interessante historische Entwicklung durchgemacht. Sie befand sich bereits im frühen 20. Jahrhundert in einer ähnlichen Situation, wie heute mit der Überbauung des Gurzelen-Areals. Wie bei der Verlegung des alten Bahnhofes wird erneuert eine wertvolle Fläche inmitten der Stadt freigelegt. Diese ermöglicht es, wie schon bei der Entstehung des Bahnhofareals, ein ganzes Quartier neu zu konzipieren und zu prägen.
Der umliegende Kontext des Gurzelen-Areals, das im Moment von der Bieler Bevölkerung zwischengenutzt wird, ist geprägt von einer Vielzahl unterschiedlicher Entwicklungen und erlebt aktuell eine umfangreiche Neugestaltung. Dazu gehört einerseits der repräsentative Hauptsitz von Swatch mit den Museen „Cité du Temps“, der vom japanischen Architekten Shigeru Ban geplant wurde, die neuen Gebäude des gleich angrenzenden Wohnparks „Jardin du Paradis“, sowie der öffentliche Park der „Schüssinsel“. Auf der heute als Parkplatz genutzten Fläche, die an das alte Fussballstadion angrenzt, entsteht zukünftig eine Überbauung mit vorwiegend genossenschaftlichen Wohnungen. Nördlich grenzt das Areal an die Schulanlage Champagne, die 1962 vom Architekten Max Schlup entworfen wurde. In Zukunft wird der Bestand zusätzlich durch einen Schulhaus-Neubau ergänzt. Des Weiteren werden die Strassen an die Quartierentwicklung angepasst und aufgewertet.
Abb. 7. Luftbild des Gurzelen-Areals 2019: Die unterschiedlichsten Strukturen treffen aufeinander. Die jeweiligen Typologien nehmen keinen wirklichen Bezug zueinander und erzeugen so das heterogen geprägte Stadtbild.
Die bestehende Stadtstruktur von Biel, die sich von Zentrum bis hin zur westlichen Grenze des Areals erstreckt, definiert sich vorwiegend durch geschlossene und teils offenen Zeilenbauten. Gleich angrenzend an das Areal befinden sich kleinere Wohnsiedlungen des 20. Jahrhunderts, die sich besonders durch ihren hohen Grünflächenanteil und ihre regelmässige Aufreihung, sowie durch sich ähnlich sehender Gebäude auszeichnen. Markant für das ganze Quartier ist das Hochhaus Champagne welches 1968 erbaut wurde. Es ist bis heute das höchste Gebäude von Biel.
Abb. 8. Hochhaus Champagne
Abb. 9. Angrenzende Zeilenbauten an das Gurzelen-Areal mit regelmässiger Fassadengestaltung
Das Gurzelen-Quartier ist somit stark geprägt von einer sehr heterogenen Stadtstruktur. Es handelt sich dabei um einzelne historische gewachsene Quartiere. Über die Jahre sind diese, in sich vielleicht einheitlich erscheinenden Strukturen gewachsen, kollidieren nun aber, durch die Bebauung des alten GurzelenAreals, an diesem einen Punkt. Heute fühlen sich viele Architekten jedoch nicht mehr verpflichtet, in einem ohnehin bereits unzusammenhängenden Stadtbild, sich an übergeordnete, städtebauliche Regeln zu halten, um so ein einheitliches Stadtbild zu fördern. Vielmehr werden die Abwechslung, Differenzierung, Diversität, Variation und Vielfalt zu gleichbedeutenden Begriffen von Qualität.9 So werden Projekte entworfen, welche sich gegenseitig an Originalität und Individualität übertreffen, jedoch keinen direkten Bezug mehr zueinander nehmen.
Das Projekt auf dem Gurzelen-Areal wird einen wichtigen Einfluss auf das gesamte Quartier und die Stadt selbst haben. Es bietet, ähnlich wie die Entwicklung des Bahnhofquartiers, die Möglichkeit in einem grossflächigen Massstab zu denken und eine gewisse Regelhaftigkeit in den Ort zu bringen. Es wird nach einer städtebaulichen und architektonischen Lösung gesucht, die erneut als Referenzpunkt der Stadt dienen kann, um so ihre zukünftige Weiterentwicklung zu fördern.
Abb. 10. Hauptverkehrsachse in Richtung Zentrum mit Uhrenindustrie (links) und Wohnbauten (rechts)
Wie bereits mit dem Bahnhofquartier aufgezeigt wurde, kann ein einheitlich geprägtes Stadtbild Einfluss auf die Entwicklung eines Ortes haben. Es hat auch gezeigt wie wichtig die Ausnahmen sind. Das Verlangen nach grösstmöglicher Einheitlichkeit, welche sich durch das strikte Einhalten von Regeln definiert, benötigt aber als erstes die Auseinandersetzung mit dem Phänomen der "Monotonie" und der "Diversität" im Städtebau sowie in der Architektur. So wie zu viel Einheitlichkeit zu Unbehagen führen kann, so muss auch in der Stadt das entsprechende Gleichgewicht zwischen Einheit und Vielfalt gefunden werden.
Abb. 11. Industriegebiet südlich der des Flusses, der Schüss und des öffentlichen Parks, der Schüssinsel
Abb. 12. Zaunweg: Quartierstrasse der Wohnsiedlungen
9 PATIJN 1978, S. 15.
3 Monotonie und Diversität
Abb. 13. Symbolbild zur Erfassung des Monotonie-Empfindens zu gleichförmig wiederkehrenden Situationen (1968)
Der Begriff der "Monotonie" wird oft, in Bezug auf die Architektur, vorerst als ein Sammelbegriff für Einheitlichkeit, Regelmässigkeit, Rhythmus und Wiederholung verstanden.10 Meistens taucht er jedoch in negativer Bedeutung auf und wird dabei als jener Grenzbereich von Langeweile und fehlender Qualität bezeichnet, den es zu vermeiden gilt. Aufgrund der gegebenen Sprachkonvention wird er mit etwas Negativem assoziiert. Wo immer der Begriff auftaucht, findet er sich in negativer Verwendung wieder und ist mit dieser untrennbar verbunden.
Und trotzdem beschäftigen sich die Architekten nach wie vor mit der "Monotonie", vermeiden jedoch die Verwendung des negativen Begriffs. So umgehen ihn zum Beispiel die Smithsons sorgfältig, indem sie ihn in ihrem Buchtitel mit „Ohne Rhetorik“ umschreiben. Darin äussern sie sich vorsichtig dazu mit positiven Ausdrücken wie „Ruhe als Ideal“ oder „Das Geheimnis der Wiederholung“.
Des Weiteren wird die "Monotonie" zum Inbegriff für die Erfahrungen, welche mit den vielen Wohn- und Grosssiedlungen der klassischen Modernen und der Nachkriegszeit gemacht wurden.11 Viele der Wohnbauviertel werden immer wieder, aufgrund der stetigen Wiederholung der gleichen Elemente und deren identischen Inhalt, als „monoton“ wahrgenommen. Bilder von endlosen Fassadenmustern, regelmässig aufgereihten Wohnblöcken oder Glasfronten gehörten dabei zu den sich durchsetzenden Eindrücken der Massenkritik.12 Die „Monotonie“ hat innerhalb der Ideologie des Modern-Movements eine einseitige, wenn nicht sogar tendenziöse Deutung gefunden. Durch die ständige Verbindung mit der Moderne erhält der Begriff zusätzlich eine Art „historische Dimension“13, die ihn in seiner negativen Deutung nur noch zusätzlich bestärkt.
Abb. 14. Alison & Peter Smithson: Without Rhetoric An Architectural Aesthetic 1955-1972
10 11 12 13 OECHSLIN 1978, S. 55. PATIJN 1978, S. 16. VON MOOS 1977, S. 4. OECHSLIN 1978, S. 56.
Ein weiterer Grund für die Ablehnung lässt sich aus der heute gegenwärtigen Angst begründen, dass sich die Monotonisierung der Architektur in unserer Kultur, respektive unserer Welt widerspiegeln könnte.14 Man sieht in ihr die Gefahr, dass die Individualität verloren geht. Denn die Städte scheinen sich äusserlich immer mehr zu gleichen, was wiederum das Verhalten ihrer Bewohner beeinflussen kann.
In der Architektur wird noch heute die "Monotonie" oft mit der Regelhaftigkeit sich wiederholender Elemente in Bezug gebracht. So wird die Abfolge einer einfachen Reihung mit einheitlichen Abständen oft damit in einen Zusammenhang gestellt. Im Grundriss zeigt sie sich in dieser Hinsicht über regelmässige Achsen, ein einheitliches Raster oder über eine klare symmetrische Anordnung. Oft spielt in der Herleitung der "Monotonie" der Verzicht auf Ornamente eine entscheidende Rolle. Sie kann somit auch über die Reinheit von geometrischen Körpern zum Ausdruck gebracht werden. Die technische Entwicklung unterstützt dies besonders, da sie es ermöglicht, exakte, äusserst präzise und identische Produkte herzustellen. Mit der Massenproduktion ist die "Monotonie" aber auch zur normalen Ausgangslage der heutigen Zeit geworden. Sie erlaubt es Elemente in Mengen herzustellen und diese dann beliebig oft zu wiederholen.15
Jedoch handelt es sich bei der "Monotonie" auch um einen Begriff, der kaum reflektiert wird. Denn wie kaum ein anderer Begriff in der Architektur ermöglicht er es Dinge zu beschreiben und gleichzeitig zu verallgemeinern. Von der Wirkung, der Form, der Funktion, bis hin zum ästhetischen Ausdruck, kann alles mit diesem Begriff zusammengefasst und zum Ausdruck gebracht werden.16 Und noch immer ist er weit entfernt von einer konkreten inhaltlichen Bezeichnung. Da der Begriff im Bezug zur Architektur kaum präzisiert wird, ist auch ein konkretes Verständnis schwierig. Ihm fehlt die begriffliche Ambivalenz, die es erlauben würde, ihn umzuwerten.
14 15 16 LAMPUGNANI 2014, S. 71. VOGT 1978, S. 7-9. OECHSLIN 1978, S. 55.
Im Vergleich zur "Monotonie" wird die "Diversität" hingegen als ein positiver Begriff wahrgenommen. Sie hat eine breite Verwendung und dient zur Unterscheidung und Anerkennung vielfältiger Merkmale, wie der Atmosphäre, der Struktur und Lebensformen auf biologischer, wie auch auf kultureller und sozial-gesellschaftlicher Ebene.17 In der Architektur wird sie vor allem im Bereich des Siedlungs- und Wohnungsbaus verwendet und findet sich in anderen Begriffen, wie Abwechslung, Differenzierung, Variation und Vielfältigkeit wieder.
Das Leben in einer individualisierten Gesellschaft wird heute gefordert und als selbstverständlich angesehen. Die „Diversität“ und das Bedürfnis des Menschen nach Individualität stellt sich oft in einen direkten Zusammenhang. Es besteht der Wunsch, sich voneinander zu unterscheiden. Die Forderung nach Variation ist hierbei ein typisches Anliegen. Das Verlangen nach Individualität liegt nicht nur in der Identifikation, sondern auch in einem allgemeinen menschlichen Streben nach persönlicher Differenzierung. Wird der „Diversität“ aber nicht nur eine ästhetische, sondern auch eine funktionelle Bedeutung gegeben, indem sie als Identifikationsfaktor oder als Mittel zur Förderung von sozialen Kontakten eingesetzt wird, so wird ein gewisser Einfluss der Umgebung auf das Verhalten der Bewohner vorausgesetzt.18 Das Leben der Bewohner wirkt sich somit auf die „Diversität“ aus und die Architektur kann wiederum Einfluss auf das Verhalten der Menschen haben.
17 18 MARIJKE 2020, S. 15. PATIJN 1978, S. 16-19.
4 Der monotone Städtebau
HSLU - Technik & Architektur | Architecture Master Thesis Schema Städtebau | Gurzelen Biel | FS20 | Student Gisiger Noah
Die heutigen Städte haben zum Teil eine Überzahl an Schauobjekten und das stetige Verlangen nach Variation verunklärt immer mehr das Bild der Stadt. Es wird versucht Unterscheidungsmerkmale zu verdeutlichen, wo gar keine existieren. So wird man im Alltag immer mehr einer Vielzahl an unterschiedlichen Reizen ausgesetzt. Aber die Stadt muss nicht immer aufregend sein. Diese übergeordnete Individualität in der Stadt, die heute so oft gefordert wird, sollte nochmal überdacht und vielleicht sogar hinterfragt werden. Der chaotische Wandel der Stadt darf nicht widerstandslos zum Ausdruck gebracht oder sogar vorgeschrieben sein. Eher sollte das Ziel seine, diesen einzudämmen. Die monotone Einheitlichkeit ist oft ehrlicher und angemessener als die zwanghafte Variation.19 Die Architektur sollte einen Ort nicht unnötig verunklären, sondern durch ihre Komposition von Bauvolumen und deren Ausdruck eine Ruhe ausstrahlen, um das Wohlbefinden der Bewohner zu fördern.
Es stellt sich somit die Frage, wie einheitlich eine Stadt geplant werden soll oder ob sich eine zu grosse Einheitlichkeit im Plan der Stadt nicht negativ auf diese auswirkt. Dass man die "Monotonie" schnell eintönig wahrnimmt, wird in vielen Diskussionen immer wieder als Argument aufgegriffen. Denn die Einheitlichkeit und Repetition von Elementen werden in der Geschichte der Architektur immer wieder als langweilig bezeichnet.
Abb. 15. Schematische Komposition von punktuellen und linearen Elementen
Grosse und geordnete Stadtstrukturen sind aber auch als Notwendigkeit zur Regulierung der chaotischen Stadt. Sie ermöglichen es erst, sich der gewachsenen Unordnung des urbanen Raums zu widersetzen. Denn auch was heute bereits als qualitätsvoll und vielfältig betrachtet wird, hat einen grossen Anteil an Einheitlichkeit und Regelhaftigkeit. Sie hat durchaus ihre Berechtigung obwohl sie so oft als negativ betrachtet wird. Selbst was uns so bildhaft und vielfältig erscheint, ist noch immer geprägt von einer gewissen Ordnung.
19 LAMPUGNANI 2015, S. 21.
Abb. 16. Symbolbild einer geordneten Stadt: Plan der Ville Contemporaine von Le Corbusier (1922)