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4.1 Das Einheitliche Bild der Stadt

Um ein städtebaulich einheitliches Bild zu erzeugen, ist es fast unumgänglich, dies über ein grossflächigeres Gesamtkonzept durchzusetzen. Das Definieren von klaren Regeln bildet die Grundlage für einen einheitlichen Städtebau. Durch das konkrete Festlegen von Strassen und Durchwegungen, der Art der Typologien, sowie der Materialität von Bodenbelägen oder Fassaden ist es möglich eine Stadt und deren Wahrnehmung zu prägen. Das Denken über einen grösseren Massstab ist somit eine der ersten Voraussetzungen, eine gewisse Ruhe in die Stadt zu bringen. Die Wiederholung identischer Typologien kann so innerhalb eines geordneten Systems ein stark ausgeprägtes Gesamtbild erzeugen.

Durch die Repetition kann ein Rhythmus in der Stadt wahrgenommen werden. Dieser wird umso stärker und eindrücklicher, desto öfter er wiederholt wird. Aber auch in den festgelegten Vorschriften besteht noch immer die Möglichkeit für diverse Adaptionen, um eine gewisse Vielfalt im Gesamtkonzept zu erzeugen. Denn ist keine Differenzierung erkennbar, so wirkt dies oft eher unrealistisch und lebensabtötend. Durch das Definieren einer klaren Ordnung in der Stadt ist es auch möglich, Unregelmässigkeiten mit einzubinden und diese zu akzentuieren, ohne das einheitliche Gesamtbild zu stören. Viel mehr können die leichten Veränderungen zu einer gewissen Vielfalt im städtischen Raum beitragen. Auch in einer vielfältig erscheinenden Umgebung kann eine gewisse Regelhaftigkeit erzeugt werden, indem ein bestimmtes Element immer wieder in einem ansonsten unregelmässig erscheinenden System auftaucht.

Abb. 17. Stadtplan der Hochhausstadt von Ludwig Hilberseimer

Abb. 18. Hochhausstadt, Ludwig Hilberseimer (1927)

Die Hochhausstadt von Ludwig Hilberseimer ist Extrembeispiel an welchem sich die reine Wiederholung identischer Einheiten in einem übergeordneten System widerspiegelt. Der Architekt untersuchte verschiedene Vorhaben zur Lösung der Verkehrsproblematik in den Vereinigten Staaten, wie zum Beispiel mit der Anwendung von erhöhten Strassen, die von Satellitenstädten beeinflusst werden. Die Idee für die Hochhausstadt von Hilberseimer beruhte auf einem Schema zur Organisation der Beziehungen zwischen den einzelnen Stadtteilen.

Die utopische Vorstellung der Stadt ist geprägt durch eine ausserordentliche Einförmigkeit, die sich durchaus als „monoton“ bezeichnen lässt. Dies begründet sich durch das entsprechende Entwurfskonzept. Jedes Gebäude der Hochhausstadt verkörpert eine eigenständige Einheit und kann individuell als kleine Stadt gelesen werden. Ziel war es, die zurückzulegenden Wege innerhalb der Stadt möglichst zu verkürzen und er entschied sich deshalb für das Übereinanderschichten der Funktionen in der Vertikalen. Die daraus entstehende Folgerung sind Gebäudeblöcke, die alle identisch zueinander sind. Jeder Block, unabhängig seiner Lage innerhalb der Grossstadt, dient den gleichen Aufgaben und ist entsprechend gleich aufgebaut. Das Konzept wurde konsequent und ohne Ausnahme durchgezogen. Es gibt keine Grünzonen und keine andersartigen Gebäude, bis auf wenige Ausnahmen im Zentrum und an den Enden der Mittelachse. Bei Hilberseimers Hochhausstadt besteht keinerlei Differenzierung von der Mitte bis zu ihren Rändern. Viel mehr hört die Stadt einfach plötzlich auf. Auch sind in der Höhe der Bauten keine Entwicklungen von niedrigeren zu höheren Bauten festzustellen. Sie werden durch die vertikale Schichtung alle Funktionen in einem Gebäude vereint.

Das perspektivische Bild der Strassen genügt, um den Aufbau und die Architektur der Hochhausstadt aufzuzeigen, die auf einfachen geometrischen Körpern, deren Wiederholung und Gleichförmigkeit beruht. Die schlanken Wohnscheiben präsentieren sich zusätzlich durch ihre einförmige, rhythmisierte Lochfassade. Die Hochhausstadt wirkt durch ihre Form der Wiederholung von Gebäuden und der immer gleichen Strassen beinahe schon surreal und appelliert an das Unendliche. Innerhalb der geometrischen Megastruktur der Stadt als Ganzes, spielt das Prinzip der endlosen Wiederholung identischer Einheiten eine konkrete Rolle, wirkt jedoch beinahe schon zwanghaft.

20 21 FASCHINGEDER 2010, S. 292-294. HILBERSEIMER 1978, S. 17-21.

Abb. 20. Ansichtsplan der Rue de Rivoli in Paris

Abb. 19. Rue de Rivoli, Paris (~1848)

Die Rue de Rivoli in Paris ist eine der prominentesten Strassen der französischen Hauptstadt und wurde in einer absolut uniformen Architektur errichtet. Grosse Gebäudeblöcke unterschiedlicher Grösse mit durchlaufender Arkade prägen den geradlinigen Raum der Strasse. Die einheitliche Gestaltung verleiht der Strasse künstlerischen Sinn, sowie ein repräsentatives und nobles Erscheinungsbild. Sie wurde als eine repräsentative Prachtstrasse im Herzen der Stadt konzipiert und erzeugt so eine monumentale Einheit und Einfachheit im Stadtbild. Die Fassaden zeichnen sich durch den einheitlichen Beigeton des Sandsteins aus, der sich von der graublauen Farbigkeit des Zinkdaches abhebt. Ihre horizontale Gliederung entsteht durch die durchlaufenden Gesimse und die schwarzen Eisengeländer auf einheitlicher Höhe über die gesamte Länge der Strasse. Die Arkadenzone im Erdgeschoss ist in die Gebäudeblöcke mit eingebunden und rhythmisiert so zusätzlich den städtischen Raum.

Die Repetition eines einfachen klassischen Elements ermöglicht eine verbindliche Fassadenordnung. Hinter den einheitlichen Gebäuden befinden sich grosse wie kleine, regelmässige und unregelmässige Parzellen. Das Motiv der Wiederholung rhythmisiert und ist der Hauptbestandteil des Gestaltungskonzepts. Mit der Rue de Rivoli wird ersichtlich, welche Wirkung eine stetige Wiederholung und Proportionierung von Gebäuden und deren vielfältigen Elemente auf die Stadt haben kann.

22 LAMPUGNANI; STÜHLINGER; TUBBESING 2019, Band 2, S. 41-49.

Abb. 22. Reformierter Bebauungsplan von Dulsberg nach Fritz Schumacher Abb. 23. Backsteinarchitektur der Dulsberger Laubengänge

Abb. 21. Dulsberg, Fritz Schumacher (1921-1931)

Die Planung von Dulsberg in Hamburg gründet auf einem grossflächigen Gesamtkonzept eines reinen Wohngebietes, welches von Fritz Schumacher reformiert und umgesetzt wurde. Durch die städtebaulichen Figuren des Bebauungsplans und weiteren Rahmenbedingungen wie den Blockgrössen und der Materialisierung ist ein abwechslungsreiches Bebauungsgebiet entstanden. Dieses wurde fast vollständig privaten Unternehmern überlassen. Schumacher sah sich in diesem Prozess individueller baulicher Auseinandersetzungen mit den festgesetzten Vorschriften als „dirigierender Architekt“.

Das die Bauten so einheitlich wirken, liegt insbesondere an den festgelegten Zielsetzungen Schumachers. Er hat nicht nur den Strassenplan und dessen Aufteilung festgelegt, welcher die Typologien der Baukörper definiert, sondern hat auch die einheitliche Materialisierung in Backstein vorgeschrieben. 1921 entstanden die ersten Hochbauten im nordwestlichen Teil von Dulsberg. Diese zeigten, dass diese städtebaulichen Grundsätze sowohl auf das Gesamtgebiet als auch auf einzelne Teilräume angewendet werden können. Die Besonderheit seiner Planung liegt insbesondere darin, dass ihr Wert erst dann erkennbar wird, wenn man sie innerhalb des Rahmens ihrer Umgebung betrachtet. Die gartenarchitektonische Gliederung des Grünzuges der blockweise organisierten Siedlung war richtungsweisend für das gesamte Gebiet. Die Ausgestaltung des zentralen Grünzuges ist vorwiegend mit geometrischen Formen und streng gegliederten Teilräumen ausgearbeitet. Die gärtnerischen Einzelräume harmonieren mit der Baustruktur und schaffen so eine weitere Einheit in der Vielfalt des Gesamten.

23 SCHNITTER 2018, S. 15-24.

Abb. 25. Vielfältige Fassadenfronten der Herengracht

Abb. 24. Herengracht, Amsterdam

Zu Beginn des 17. Jahrhunderts wurde in Amsterdam, auf Initiative des damaligen Stadtbaumeisters, mit der Grundlage einer umfangreichen Stadtentwicklung begonnen. Sie sah vor, entlang der grossen Grachtenzüge Bauplätze für elegante Wohnungen zu entwickeln mit dem Ziel eine einheitliches Stadtbild zu generieren. So wurden zuerst die vier grossen Kanäle, auch Grachten genannt, Quaimauern und Wege angelegt, welche die einzelnen Blockgrössen definierten. Die einzelnen Blöcke wurden anschliessend in regelmässige 8.5 Meter breite Parzellen unterteilt und an Unternehmer oder Privatleute verkauft. Aufgrund des Vorkaufsrechts eines Parzellenbesitzers auf die Nachbarsparzelle entstanden nicht selten Doppel- oder Mehrfachparzellen, womit trotz der regelmässigen Aufteilung die Häuserbreiten variierten. Trotzdem enthielten die Bauvorschriften präzise Richtlinien zur Bebaubarkeit und Konstruktion der Gebäude.

Die Fassaden mussten geschlossen auf die Fluchtlinie der Parzelle gebaut werden und die Materialisierung war in Stein oder Ziegel auszuführen. Durchgänge in den Hinterhof waren untersagt, sodass ein durchgehend bebauter, lückenlos gefasster Raum entstand. Jenseits der Vorschriften und der Vereinheitlichung waren die Bauherren jedoch frei in der Gestaltung der Fassaden. Auch die Gebäudehöhen wurde nicht eingeschränkt. Aufgrund des weichen, torfigen Bodens wurde aber die Gebäudehöhe von vier bis fünf Geschossen nur selten überschritten. Bis auf wenige öffentliche Gebäude sind die Strassenzüge durchgängig mit giebelständigen Wohnhäusern bebaut.

Die Grachtenräume sind ein Beispiel für eine barocke Stadtplanung, die trotz streng auferlegten Regeln eine Vielfalt und belebte Individualität erzeugen. Nicht nur städtebaulich und architekturtypologisch sind die Grachtenräume stimmig aufgebaut. Auch die Bauweise der stadträumlichen Oberflächen ziehen sich einheitlich durch den gesamten Kanalraum. Von den Quaimauern aus gebranntem Klinker, den Uferkanten aus schweren Granitplatten, bis hin zu den gepflasterten Fahrbahnen und Gehwegen, ist alles durchdefiniert. Den Häuserfassaden werden durch die immer wiederkehrenden Formen und Materialien in der Reihe eine gewisse Anonymität zuteil, während sie durch die handwerklich individualisierten Eingangsstufen und Geländer zusätzlich bereichert werden.

Die Variation der Häuserbreiten entlang des Kanals mögen zwar vielfältig erscheinen, dennoch taucht das Grundmass der 8.5 Meter breiten Parzellen immer wieder auf, sodass beim Anblick der Giebelfassaden die Regelhaftigkeit wieder erkennbar wird. Durch die unterschiedlichen Fassadengestaltungen werden die individuellen Geschmäcker der Bewohner erkennbar. Gleichzeitig lassen sich diese dicht aneinander gedrängten, unterschiedlichen Häuserfronten zu einer einheitlichen Reihe zusammenfassen. Die Balance zwischen Regel und Ausnahme, Einheit und Vielfalt, Anonymität und Individualisierung erzeugen so ein spannendes Bild der städtischen Komposition.

24 LAMPUGNANI; STÜHLINGER; TUBBESING 2019, Band 2, S. 114-123.

Abb. 27. Situationsplan des Gurzelen-Areals inklusive grösser Umgebung

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