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6.1 Zwischen Gestaltung und Selbstbestimmung

Wie in den vorangehenden Kapiteln aufgezeigt wurde, ist ein gewisses Mass an Regelhaftigkeit in der Stadt und der Architektur notwendig. Sie lässt entsprechend auch eine gewünschte Vielfalt zu, ohne das gesamtheitliche Konzept der Einheitlichkeit zu stören und ermöglicht es sogar diese zu bereichern. Aber wie verhält es sich in den öffentlichen Räumen? Denn auch dieser hat einen grossen Einfluss auf die Architektur und dessen Bewohner. Besonders auf sozialer Ebene besteht in ihm das Potenzial zur Förderung einer gemeinschaftlichen, kollektiven Nutzung. Sollten die Freiräume möglichst einheitlich oder vielfältig vordefiniert werden oder sollten sie den Bewohnern der Stadt die Möglichkeit bieten diese selbst zu gestalten und zu bespielen?

Abb. 50. Perspektive der Hofsituation der Zeilenbauten

6.1 Zwischen Gestaltung und Selbstbestimmung

Die Ausprägungen im öffentlichen Raum können vielfältig sein und die Anforderungen an diese werden immer komplexer. Sie bilden die Freiräume des städtischen Lebens, haben eine repräsentative Funktion für die Stadt, sind Räume der sozialen Interaktion und sollten zusätzlich den klimatischen Gegebenheiten entsprechen. Auch ist das ökonomische Interesse an ihnen gross, da sie besonders in den Städten als Treffpunkt genutzt werden.33 Der Zustand und die Gestaltung der öffentlichen Räume wird aber auch durch die gesellschaftlichen Verhältnisse definiert, in welchen sie sich befinden. Entsprechend sollten auch die Faktoren der zukünftigen Entwicklung mit in Betracht gezogen werden.

Abb. 51. Heutige Zwischennutzung des Gurzelen-Areals durch die Aneignung der Bewohner von Biel

Die Gestaltung der Öffentlichen Räume kann, genauso wie ihre Anforderungen vielfältig und unterschiedlich sein. Um zum Beispiel die Dimension eines Platzes zu definieren, kann dies abgesehen von den umgebenden Gebäuden, durch die Bodenbeläge oder Niveauunterschiede in der Höhe geschehen. So ist es möglich den Platz über eine einheitliche Materialisierung zu definieren, oder ihn durch das differenzieren unterschiedlicher Beläge in einzelne Bereiche aufzuteilen.

33 POLINNA 2017.

So können die Übergänge zwischen den einzelnen Bereichen akzentuieren werden. Dies hat einerseits einen weiteren atmosphärischen Effekt auf den Betrachter, kann aber auch die Funktion des öffentlichen Raumes definieren.

Durch die Anordnung von Bäumen kann in den Freiräumen zusätzlich eine gewisse Ordnung erzeugt werden. Man kann dabei unterscheiden, ob diese in regelmässigen Abständen gepflanzt werden, die auf einer klaren Achse oder einem Raster basieren, oder ob es sich eher um eine freiere, respektive natürliche Setzung handelt. Die Art und die Grösse der Bepflanzung hängt stark von den klimatischen Bedingungen ab und hat einen grossen Einfluss auf das Wohlbefinden vor Ort. So nimmt sie Einfluss auf die Beschattung, sowie den Schutz vor Niederschlag, kann aber auch als Sichtschutz dienen. Die Gestaltung und Anordnung hangen aber vor allem davon ab, welchen Charakter die geschaffenen Freiräume haben sollten.

„Die Frage der Monotonie ist letzten Endes kein rein ästhetisches, sondern ein gesellschaftliches Problem" - "Der flexible Bau ist nicht von sich aus flexibel; flexibel ist das Leben, das sich in seinem Inneren entfaltet. So muss das Haus weitmöglichst ein Bau für viele Zwecke sein. Das System, das sich der Mensch baut, und das System, in dem er sich bewegt, sind zwei verschiedene Dinge“34, Hans Schmidt

Mit diesem Zitat spricht Hans Schmidt die Thematik der Flexibilität von Räumen und deren Funktion an und bezieht sich dabei auf die spezifischen sozialen Umstände und die Lage im städtischen Kontext. Obwohl er sich hier auf das Haus in Bezug zur Architektur bezieht, kann dies genauso auf den öffentlichen Raum übertragen werden. Es sollte vermieden werden, voreilig von der Gestaltung auf den sozialen Wert zu schliessen. Über die Qualität des Lebens sagt weder ein monotones noch ein interessant gestaltetes oder vielfältiges Umfeld etwas aus.

34 ROSSI 1978, S. 10.

Totale Reglementierung und Kontrolle hat in der Ausgestaltung eines Projektes, sowie im Bereich des Zusammenlebens, einen grossen Einfluss auf das Verhalten der Bewohner. Dies sollte aber nicht bedeuten, dass komplett darauf verzichtet werden muss. Vielmehr ist ein bestimmtes Mass an Kontrolle in gewissen Bereichen Voraussetzung für ein freies Leben.35 Die Einheitlichkeit im öffentlichen Raum sollte somit nicht zwingend vermieden, sondern viel mehr durch den Bewohner beeinflusst werden. Die Bevölkerung erhält somit mehr Eigeninitiative zur individuellen Ausgestaltung der Freiräume und deren Instandhaltung.

Anhand der immer knapper werdenden Freiräume in den Städten wird deutlich, dass die Definition des öffentlichen Raumes ausgeweitet werden muss. Grössere, geordnete, aber auch unordentliche Freiflächen, ohne vordefinierte Gestaltung, bieten neue Chancen zur Belebung der sie umgebenden Stadt. So können durch die Überlagerung unterschiedlicher Nutzungen, neue urbane Qualitäten geschaffen werden.

35 VON MOOS 1977, S. 2.

Abb. 52. Oerlikon Park, Zürich (2001)

Der Oerlikon Park befindet sich inmitten einer Wohnsiedlung in Zürich und wird räumlich durch die ihn umgebenden Gebäude gefasst, wodurch auch seine Grösse gekennzeichnet wird. Seine rechteckige Grundfläche wird durch die durchlaufende Hauptstrasse in zwei Teile geteilt. Die geometrische Anordnung der Objekte ist ein durchgehendes Merkmal des Parkes. Die Bäume sind in einheitlichen Abständen angeordnet und erstrecken sich über die gesamte Fläche um den Platz, sowohl auf der Wiese wie auch dem steinigen Untergrund. Sie bilden eine markante Einheit über die gesamte Fläche des Freiraumes. Die verschiedenen Raumelemente und Bodenstrukturen tragen zur Vielfalt im Park bei. Der Platz zeichnet sich zusätzlich durch erhöhte Plattformen und die sich somit ergebenden Niveauunterschiede aus. Die Parkfläche teilt sich, durch die Differenzierung der Bodenbeläge in deren Materialität aus Gras, Stein und Holz, in unterschiedliche Bereiche auf. Die Achsen des Parks werden in Längsrichtung durch einen Brunnen und in der Querachse durch den roten Pavillon, markiert. Der blaue Turm schafft durch seine Höhe eine vertikale Dimension im Park. Er dient als Orientierungs- und Identifikationsmerkmal und bricht aus dem sonst monoton wirkenden Baumraster aus. Der Park dient durch seine Atmosphäre und der Gliederung der unterschiedlichen Bereiche als Ort der Ruhe und Entspannung. Durch seine Vielfalt an Elementen, differenziert sich der Park je nach Standpunkt und Blickwinkel und wirkt doch als eine Einheit.

36 ZANGGER 2015.

Abb. 53. Wohnüberbauung Maiengasse, Basel (2018)

Der dreigeschossige Baukörper von Esch Sintzel Architekten schafft durch seine V-Form, die in den bestehenden Blockrand eingreift, unterschiedliche Freiräume. Zum Blockrand hin liegen ruhige Gärten und Spielwiesen. Der Bau öffnet sich hin zur Maiengasse mit einem gekiesten Hofplatz, der mit Hängeleuchten überspannt ist. Die Bewohner haben sich den Freiraum vorsichtig angeeignet und ihn mit diversen Möbeln, Pflanzentrögen und Spielzeugen ausgeschmückt. Der Hof bildet das Herz der Wohnüberbauung und bildet einen Markanten Charakter für das gesamte Quartier. Die Veranda mit hölzernen Säulen und Sitzbänken können die Bewohner über einzelne Stufen betreten. Sie bildet einen Übergangsraum zwischen dem Hof und dem Wohngeschoss. Die Überbauung der Maiengasse in Basel zeigt eine feinfühlige Verdichtung innerhalb der Stadt. Der Hof wird für das Wohnen, inklusive Kindergarten gezielt belebt, ohne grossen Anspruch an eine aufwendige Ausgestaltung des Aussenraums zu haben. Der Raum bildet so einen subtilen Übergang zur Stadt. Aus dem Hinterhof wird ein Vorplatz. Der sorgfältig detaillierte Holzbau, die präzis gestaltete Fassade und die vielfältig entworfenen Grundrisse stehen für eine massvolle Verdichtung und schaffen eine hohe räumliche Qualität und Einheitlichkeit.

37 PETERSEN 2018.

Abb. 54. Geroldsgarten, Zürich

Das brachliegende Industriegelände im Zürcher Kreis 5 am Fusse des Prime Towers hat sich in einen modularen Stadtgarten verwandelt. Ein vielfältiges Angebot an Nutzungen, von kleinen Shops, Küchen, Kunst, Nutzgärten und verschiedene Veranstaltungen, haben hier zusammengefunden. Es wurde ein Ort der Begegnung geschaffen. Die gesamte Aussenraumgestaltung spiegelt sich in den bunt zusammengewürfelten, mobilen Containern wieder. Es wird grosser Wert auf die Gemeinschaft und Individualität der einzelnen Bereiche gelegt. Als wäre es selbstverständlich, hat sich die Zürcher Bevölkerung den alten Baubestand angeeignet und mit neuem Leben gefüllt. Mit wenigen Eingriffen und einer Einfachheit entstehen hier neue Nutzungsmöglichkeiten. Das Geroldareal ist in einem stetigen Wandel und wird regelmässig von Künstlern und Kreativen neu gestaltet.

38 SCHMIDT 2017, S. 122-137.

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