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Zwischen Zeilen
Über die öffentlichen Räume Luganos und ihre Potentiale
Thesisbuch
Herbstsemester 2022
Von Rebecca Baer
Das vorliegende Thesisbuch verbindet das Thesisprojekt mit der theoretischen Annäherung an die Thematik «Lugano -Città in Transizione». Im Zentrum steht dabei die Umnutzung und Weiterentwicklung des ehemaligen BSI Gebäudes an der neu entstehenden Tramhaltestelle Cappuccine inmitten der Innenstadt von Lugano.
Ausgehend von der Analyse zum Gebiet rund um den Perimeter und der Feststellung einer fehlenden Vernetzung und einem Mangel an öffentlichen Räumen für Diskussion, Austausch und Aneignung steht der öffentliche Raum und seine Übergänge im Zentrum dieser Arbeit. Unter Beizug der Theorien von Walter Benjamin, Richard Sennett, Jan Gehl und Herman Hertzberger werden die Voraussetzungen, Qualitäten, Bedeutung für das Stadtleben und das soziale Potential des öffentlichen Raumes untersucht. Der öffentliche und gemeinschaftliche Raum ist dabei keine «leere Fläche», sondern kann zu einem Ort voller Möglichkeiten werden. Ein Ort, der die vielen vorhandenen und über die Zeit gewachsenen Schichten, Zonen, Nutzungen und Bewohner*innen Luganos miteinander verbindet, anstatt sie zu trennen. Die Arbeit soll aufzeigen, wie die Chancen des öffentlichen Raumes, dem Platz zwischen den Häusern, zur vielschichtigen Vernetzung des Perimeters und seiner Bewohner*innen genutzt werden können, um weg von Stadtfragmenten und hin zu einem zusammenhängenden Stadtgefüge und zu mehr Gemeinschaft zu führen.
Thesisbuch Herbstsemester 2022
Zwischen Zeilen
Über die öffentlichen Räume Luganos und ihre Potentiale
Verfasserin
Rebecca Baer
Chriesimatt 16
6340 Baar
Begleitung Thesisbuch
Prof. Dr. Oliver Dufner
Begleitung Thesisprojekt
Prof. Peter Althaus
Buchdruck
Inhalt
Lucerne University of Applied Sciences and Arts
HOCHSCHULE LUZERN
Technik & Architektur
Technikumstrasse 21
6048 Horw
Master in Architektur
Herbstsemester 2022
Datum: 12.01.2023
1 Prolog
2 Lugano
2.1 Gestern
2.2 Heute
3 Cappuccine
3.1 Ausgangslage Thesisprojekt
3.2 Geschichtliche Entwicklung
3.2 Vision
4 Vorgefundes
4.1 Das Gebiet rund um Cappuccine
4.2 Die öffentliche Räume darin
5 Über öffentliche Räume
5.1 Soziales Potential
5.2 Über das Vernetzen
5.3 Ambivalenzen und Verbindungen
5.4 Aufbruch in die Vertikale
5.5 Mehr als nur Zwischenraum
5.6 Das Leben auf Stufen
5.7 Zwischen Innen und Aussen
5.8 Home-Base
6 Epilog
7 Literaturverzeichnis
8 Abbildungsverzeichnis
9 Redlichkeits erklärung
Über die öffentlichen Räume Luganos und ihre Potentiale
«Liebe Sara,
Ich habe dir eine Postkarte von meinem Wochenendausflug nach Lugano versprochen, hier ist sie! Vom etwas höher gelegenen Bahnhof sind wir gemütlich zur Kathedrale San Lorenzo spaziert. Die schmalen Gassen und Treppen, die von dort aus in die Stadtmitte führen, sind gesäumt von kleinen Läden und Cafés, die nur so zum Verweilen und Stöbern einladen. Und erst die Arkaden, Innenhöfe und Plätze, die langsam zur Seepromenade führen... Sie sind gefüllt mit Menschen und Leben. So ganz anders als wir es kennen. Es erinnert mich fast schon an die kleinen Städtchen in der Toskana, in denen wir letztes Jahr zusammen waren. Auch hier kann man sich so richtig treiben lassen…
Bis ganz bald, deine Hannah»
Der Tourismus im Tessin boomt. Gerade seit der Corona-Pandemie ist der Südkanton eines der beliebtesten Reiseziele der Schweizer und Schweizerinnen. 1 Vor allem auch der Hauptort Lugano lockt jedes Jahr unzählige Tourist*innen an. Gründe dafür sind sicherlich die milden Temperaturen durch die über 2000 Sonnenstunden pro Jahr, die aussergewöhnliche Lage am See mit umliegendem Bergpanorama, sowie das mediterrane Flair der Stadt. 2 Die schmalen und verwinkelten Gassen, die Hänge überwindenden Treppen und die gepflasterten und von schattigen Arkaden umgebenen Piazze der Altstadt Luganos werden von den Besuchenden zum Flanieren und Verweilen geschätzt. Die unterschiedlichen Raumanordnungen entlang der Topographie ergeben interessante Wegführungen, Ausblicke und Aufenthaltsmöglichkeiten. Cafés, Bars, Restaurants, Kleiderläden und Postkartenständer prägen und beleben das abwechslungsreiche und vielfältige Bild der bevölkerungsreichsten Stadt im Tessin.
Der Architekt Mario Botta zeichnet ein ganz anderes Bild der Stadt: Für ihn ist Lugano «eine luxuriöse Vitrine oder baulich betrachtet ein legalisiertes Desaster. Zwischen Edelboutiquen und dem Finanzdistrikt fehlen Orte für ein Zusammenkommen, für Austausch, für Diskussionen.» 3 Die Altstadt Luganos hat sich über die Jahre stark transformiert. Aus der über Jahrhunderte organisch gewachsenen Stadt hat sich mehr und mehr ein Touristenmagnet, Finanzzentrum und dienstleistungsorientiertes Stadtwesen herausgebildet. Der Einzelhandel mit bekannten Marken entlang der Via Nassa, der Bankensektor rund um die Piazza di Riforma, die Gastronomie entlang des Seeufers und den Arkaden, sowie Wohnungen im oberen Preissegment haben nach und nach das ältere, differenzierte Angebot von Nutzungen innerhalb der Altstadt ersetzt. Glaubt man der Aussage von Mario Botta, wird der historische Kern nun vor allem von Besuchenden genutzt oder dieser lässt zumindest zu wenig Platz für die Bedürfnisse und eine mögliche Aneignung durch die lokale Bevölkerung. Ausserhalb der Kernstadt ändert sich dann das Bild der Stadt recht deutlich: Statt geschäftigem Treiben findet man hier breite Strassen voll von Fahrzeugen und leere Trottoirs. Tourist*innen verirren sich nur selten aus der Altstadt in die neueren Stadtteile – sie bewegen sich vor allem zwischen Bahnhof und Uferpromenade oder verweilen auf den Piazze des historischen Ortsteils.
Die Wahrnehmung der Stadt Lugano und deren öffentlichen Räume schwankt so zwischen zwei Polen – dem alltäglichen Erleben der einheimischen Bevölkerung und dem kurzfristigen und situativen Eindruck der Tourist*innen. Um ein Gefühl für die Entstehung dieser Diskrepanz zu finden, befasste ich mich mit genau diesen öffentlichen Räumen - ihrer Ausformulierung, ihrer Nutzung und schliesslich ihren Chancen. Das Vorgefundene und meine Erkenntnisse daraus formen die Grundlage der im Rahmen dieser Thesisarbeit entstandenen Haltung gegenüber der Stadt und des Entwurfs. Die Lage des Projektperimeters Cappuccine direkt zwischen dem historischen und hochfrequentierten Ortskern und den neueren, wenig belebten Stadtteilen bietet dafür die Ausgangslage.
2.1 Gestern
Die Stadt Lugano kann städtebaulich als ein Ort betrachtet werden, der sich über die Jahrhunderte stark veränderte und sich stetig weiterentwickelte. Noch heute sind diese geschichtlichen Entwicklungen in der vielfältigen Ausformulierung des Stadtbildes ablesbar und prägen sowohl die Bebauungsstruktur, als auch die öffentlichen Räume. Es lohnt sich daher, einen Blick auf die wichtigsten geschichtlichen Wendepunkte der Stadtentwicklung zu werfen und mögliche Gründe für ebendiese Entwicklungen aufzuzeigen.
Die Gemeinde Lugano liegt im Sottoceneri, also unterhalb des Monte Ceneri, dem Höhenzug, der die Magadinoebene vom Vedeggiotal trennt. 4 Als ursprüngliches Fischerdorf entwickelte sich das Siedlungsgebiet Luganos halbkreisförmig am Westufer des gleichnamigen Sees, mit etwas Abstand zur Mündung des Flusses Cassarate. Der Ort ist eingebettet in die Talebene zwischen drei Bergen, dem Monte Brè im Osten, dem Monte San Salvatore im Westen und dem Sighignola am gegenüberliegenden Seeufer. Die Zugänglichkeit und Vernetzung mit der Deutschschweiz und Italien war auf Grund der Lage zwischen den Bergen und am See schwierig und das Wachstum des Ortes entsprechend langsam, aber stetig. Über die Zeit ergaben sich trotz der topographischen Herausforderungen wichtige Handelsrouten vom Süden her in Richtung der Alpenpässe im Norden, welche sich in Lugano kreuzten. Entsprechend konnte sich der inzwischen zur Stadt angewachsene Ort ab dem 9. Jahrhundert als Markt- und Handelsplatz im Süden der heutigen Schweiz etablieren. Daneben bildete sich Lugano auch bereits früh zu einem bedeutsamen religiösen Zentrum aus. Sowohl die Cattedrale San Lorenzo, sowie einige der zahlreichen, unterschiedlichen Orden angegliederten Klosterund Kirchenbauten stehen heute stellvertretend für diese Zeit und prägen noch immer das Stadtbild. 5
4 Wikipedia, 2022.
5 Historisches Lexikon, 2022.
Während in anderen Gebieten im 18. und 19. Jahrhundert die Industrialisierung das Stadtleben und den Wohlstand stark veränderte, zog diese grösstenteils an Lugano und dem gesamten Tessin vorbei. Zu wenig vernetzt war der Südkanton mit der Deutschschweiz und dem nördlichen Italien. Ein durch die Industrialisierung vorangetriebenes Bevölkerungswachstum blieb aus und eine moderne Stadtplanung, wie sie in vielen anderen Städten im 19. Jahrhundert notwendig wurde, ergab sich in Lugano nie. Die Stadt wuchs weiterhin organisch und in langsamem Tempo entlang der Ränder des Kerns. Statt einer dichten Stadt des 19. Jahrhunderts finden sich so an den Hängen in unmittelbarer Nähe zur Altstadt locker bebaute Wohnzonen mit freistehenden Villen, welche von der oberen Mittelschicht gebaut und bewohnt wurden. 6
Ende des 19. Jahrhunderts öffneten der Damm zwischen Melide und Bissone, sowie der Bau des Gotthardtunnels den noch ländlichen Kanton für den Tourismus und die Wirtschaft – sowohl von der Deutschschweiz, als auch von Mailand her. Rasch entstanden Industriebetriebe, die von den günstigen italienischen Arbeitern profitierten. Der Kanton und die Stadt Lugano erlebten einen wirtschaftlichen Aufschwung. Lugano entwickelte sich ausgehend von der Gründung der Banca della Svizzera Italiana, kurz BSI, im Jahr 1873 zu einem der 3 wichtigsten Finanzplätze der Schweiz und die wirtschaftlichen Tätigkeiten verlagerten sich nach und nach in den Dienstleistungssektor. Der Tourismusstandort Lugano wurde ausgebaut: Hotels entlang der Uferpromenade und die beiden Funicolare auf den San Salvatore und den Monte Bré zogen Reisende aus der Schweiz und den umliegenden Ländern an. Die Bevölkerung verzeichnete durch diese Entwicklungen einen enormen Zuwachs. 7
2.2 Heute
Heute zeichnet sich, wie einleitend erwähnt, ein kontroverses Bild der Stadt Lugano. Im Gegensatz zum stark florierenden Tourismus in der Altstadt schwächte sich die Attraktivität der Region als Wohn- und Arbeitsort im Verlaufe der vergangenen Jahrzehnte immer stärker ab – so rangierte das Tessin 2018 auf einem der letzten Plätze des Credit-Suisse-Standort-Ratings. Die Gründe dafür lassen sich auch in Lugano selbst finden – und viele davon sind Auswirkungen der historischen Entwicklung des Ortes. Noch immer gehört der Pendlerverkehr von Grenzarbeitern aus Italien zum Alltagsleben der Stadt. Fast 75'000 Menschen pendeln inzwischen jeden Tag ins Tessin, die meisten davon mit dem Auto. 8 Folglich entsteht in der Stadt einerseits Verkehrsüberlastung, verbunden mit Lärm, zum anderen wird das Lohnniveau durch ausländische Arbeiter*innen gedrückt. Bis zu 20% tiefer sind die Löhne in Lugano als in der übrigen Schweiz, die beruflichen Perspektiven eingeschränkt, und die Armutsquote dafür umso höher.
Der wirtschaftliche Aufschwung machte sich auch in einer gesteigerten Bautätigkeit und einem Immobilienboom während den 1960er Jahren bemerkbar. Viele Einwohner*innen Luganos zogen in Einfamilienhäuserquartiere an den Stadtrand. Das Siedlungsgebiet erweiterte sich innerhalb kürzester Zeit in der gesamten Talebene und entlang der Hänge rund um das Seeufer. Die damals fehlende städtebauliche Planung prägt das heutige Bild von Lugano – weiträumig zersiedelte Flächen durch unkontrolliertes Wachstum, niedrige Dichte und heterogene Bebauungsstruktur.
Gleichzeitig zieht es auswärtige Anwohner – auch viele Reiche aus dem Ausland – nach Lugano. Circa 10% des Wohnungsbestandes lassen sich als Zweitwohnung deklarieren. 9 Sei es das milde Klima, das mediterrane Flair, die Lage zwischen Zürich und Mailand, der nahegelegene Flughafen oder die Pauschalbesteuerung – die Zuwanderung treibt die Mieten in Lugano in die Höhe. So weit, dass vor allem Familien und junge Leute aus dem Zentrum in umliegende Täler oder andere Kantone ziehen müssen. Der Wohnungsleerstand nimmt zu, und dies obwohl genügend Nachfrage nach kostengünstigem, zentralem Wohnraum bestehen würde. Lugano kämpft als eine der einzigen Schweizer Städte mit einer Abnahme der Einwohnenden - ganz im Gegensatz zum schweizerischen Trend. 10 Das städtische Leben, die Kultur und die Gemeinschaft sind dabei die Leidtragenden.
Die Stadt Lugano zeigt sich den Herausforderungen bewusst. Vor allem die Abnahme der ständigen Wohnbevölkerung sei besorgniserregend – nicht nur aus wirtschaftlicher Sicht, sondern auch für die Gesellschaft selbst, so der Tessiner Ökonom Ivano D’Andrea.11 Die vom Abbau des Finanzsektors hinterlassenen Lücken versucht die Stadt mit einem Ausbau des Kultur- und Bildungsnetzwerkes zu schliessen und so die Lebensqualität und Attraktivität der Stadt zu erhöhen. So wurde nach einer fast 15-jährigen Planungsphase
2015 das Kultur- und Kunstzentrum LAC – Lugano Arte Cultura eröffnet. Des weiteren werden die SUPSI und auch die USI kontinuierlich ausgebaut, damit junge Leute für ihr Studium weniger auf andere Kantone ausweichen. 12 Jüngere Bestrebungen der Stadt zielen vor allem darauf ab, die beruflichen Perspektiven zu verbessern und den Kanton auch für gut ausgebildete Arbeitnehmer*innen attraktiver zu machen.
Zur Steigerung der innerstädtischen Lebensqualität soll neben dem Ausbau des kulturellen Netzwerks und der Berufsangebote auch der grossflächige Ausbau des öffentlichen Verkehrs beitragen. Das voraussichtlich ab 2027 verkehrende Tram der RTTL (Rete tram-treno del Luganese) verbindet die Kernstadt Luganos mit den Agglomerationen des «Piano del Vedeggio» und Ponte Tresa. Neben den beiden geplanten Haltestellen der «Stazione Nord» und der «Piazza ex scuole» wird zukünftig auch die dazwischen liegende Haltestelle «Cappuccine» vom neuen Tram bedient werden. Sie wird zu einer wichtigen Schnittstelle zwischen der neuen öffentlichen Mobilitätsinfrastruktur und dem Stadtgefüge, denn sie liegt direkt am Ausgangspunkt des neu entstehenden Tramtunnels. Die Planer der neuen Verbindungsstrecke gehen davon aus, dass die lokalen Auswirkungen der neuen Infrastruktur mit denen des Gotthardbasistunnels oder des Tunnels durch den Monte Ceneri verglichen werden können.
Hauptargument ist dabei, dass durch die enorme Reduktion der Fahrzeit durch die neue Tramlinie – um bis zu 2/3 der Zeit – die Siedlungs- und Gewerbegebiete des Valle del Vedeggio mit den Orten Manno und Bioggio und dem Flugplatz in Agno näher ans Zentrum rücken, die Vernetzung stärken und den motorisierten Individualverkehr in der Innenstadt reduziert wird.
11 NZZ, 2022.
12 Begehung vor Ort, September 2022.
3.1 Ausgangslage Thesisprojekt
Die neu geplante Haltestelle «Cappuccine» wird dabei direkt zwischen dem zweizeiligen Gebäudekomplex der ehemaligen Banca della Svizzera Italiana, kurz BSI, zu liegen kommen. Bis zur Auflösung der Bank im Jahr 2016 wegen Verstosses gegen die Geldwäschereivorschriften lag hier der Hauptsitz, der auf Private Banking und Vermögensverwaltung spezialisierten Bank. Die Bankgeschäfte, sowie das Gebäude an der Via Pietro Peri 23 ging daraufhin über in die Zürcher Privatbank EFG International. 13 In den nun leerstehenden Gebäuden der ehemaligen BSI mitten in der Innenstadt Luganos und im Hinblick auf die Entstehung der Tramverbindung und der Haltestelle «Cappuccine» bietet sich im Rahmen dieser Thesisarbeit die Möglichkeit zum mutigen Neudenken des Gebiets und zur Transformation der bestehenden Gebäudesubstanz hin zu neuen Nutzungen, neuen oder wiederentdeckten Qualitäten und neuen Möglichkeiten.
3.2 Geschichtliche Entwicklung
Bis über das Mittelalter hinaus bestand der Stadtkern von Lugano aus sechs Stadtbereichen und entwickelte sich über ein Strassennetz, welches in verschiedenen Richtungen zu den Stadttoren von Santa Margherita, Cappuccine, degli Angeli und San Lorenzo führte. Die Porta delle Cappuccine stand dabei an der Einmündung der heutigen Via Pietro Peri in die Via Cantonale. Vor diesem Tor gründeten die Humiliaten im 14. Jahrhundert das Kloster S. Caterina, sowie die zugehörige Kirche Santa Maria Immacolata. 1747 entstand in direkter Nachbarschaft, auf der gegenüberliegenden Seite der Via Cantonale das Kloster S. Giuseppe. 14
Nach der Auflösung des Klosters S. Caterina wurde das von den Schwestern vom Heiligen Kreuz in Menzingen (ZG) geführte Istituto femminile Sant’Anna – eine katholische Mädchenschule – von der Via Nassa an die Via Peri verlegt. Bis 1910 wurden durch den St. Galler Architekten August Hardegger diverse Umbauten an dem bestehenden Gebäude vorgenommen, sowie ein Erweiterungsbau erstellt, in dem sich fortan die Schulräumlichkeiten, sowie die Schlafsäle der Mädchen befanden. Das ursprünglich dreistöckige Gebäude wurde so einerseits auf vier Geschosse aufgestockt und um kolossale korinthische Säulen ergänzt und erhielt andererseits einen rechtwinkligen Nordflügel mit abgefaster Ecke an der Kurve der Via Cantonale. Dieser fasste zugleich den grossen privaten Hof an der Rückseite des Gebäudes, welcher direkt an den sich über den Hang erstreckenden weitläufigen Garten des Klosters und der Schule anschloss. Durch die U-Form des Gebäudes und die private Nutzung grenzte sich das Gebiet sowohl während der Nutzung als Kloster, als auch während der Phase des Mädcheninstituts stark vom umliegenden Stadtgefüge ab. 15
Nach der Schliessung der Schule und deren Abbruch in den 70er Jahren gewann Claudio Pellegrini 1973 den Wettbewerb eines privaten Investors zur Überbauung des Areals. Die Öffnung zur Stadt und die Möglichkeit einer Durchwegung waren dabei wichtige Entwurfselemente und prägen die Setzung des Ensembles aus den zwei am Hang gelegenen Wohnkomplexen und dem zweizeiligen Ost-West ausgerichteten Bürogebäude angrenzend an die Via Cantonale. Während das Projekt bei der Baueingabe 1975 noch Abstand hielt zur Kernzone, wächst der 1983 fertiggestellte Bürobau mit dem angrenzenden, historischen Gebäudekomplex zusammen. Die beiden Zeilenbauten fügen sich aus jeweils 3 sogenannten Blöcken aus einer Stützen-Platten-Struktur und dazwischen gespannten massiven Erschliessungs- und Infrastrukturkernen. Die Gebäudeteile sind stark im Schnitt gedacht und suchen auf mehreren Ebenen den Bezug zum umliegenden Terrain. Obwohl die beiden Zeilen grundsätzlich gleich gedacht sind, ergeben sich durch die Ausrichtung, die Reaktion auf den historischen Bestand bei der südlichen Zeile und die um eine Achse zueinander verschobene Setzung unterschiedliche räumliche Qualitäten. Terrassierte Freiräume im Zwischenraum der Zeilen wirken als verbindendes Element. Im Erdgeschoss fanden verschiedene Läden und ein Restaurant ihren Platz, in den Obergeschossen mieteten sich unterschiedliche Büros ein. Der neu entstandene öffentliche Fussweg durch das Gebiet Sant‘Anna und die sogenannte Piazza angrenzend an die Via Cantonale verzeichneten eine hohe Frequentierung.
Die anfangs eingemietete BSI kaufte nach und nach den gesamten Gebäudekomplex. Das Restaurant im EG wurde geschlossen und aus vielen verschiedenen Gebäudenutzern wurde eine homogene, eher introvertierte Büronutzung. Während in der Anfangszeit die Durchwegung auch aufgrund der unterschiedlichen eingemieteten Gewerbe und Büros gut funktionierte und der öffentliche Raum entsprechend frequentiert war, verwahrloste der Gebäudezwischenraum durch die alleinige Nutzung durch die BSI zunehmend. Aufgrund der darauffolgenden unerwünschten Nutzung der öffentlichen Durchwegung als nächtlicher Aufenthalts- und Rückzugsort wurde das Areal in der Folge privatisiert. Nach der Auflösung der BSI 2016 steht das Gebäude bis heute leer. Zäune und Tore verhindern das Betreten des Perimeters.
3.3 Vision
Die jetzige Bebauung wurde von Architekt Pellegrini als durchlässiger und multifunktionaler Teil des Stadtnetzwerks mit öffentlicher Erschliessung geplant – ganz im Gegensatz zur früheren Entwicklung als Kloster und Mädchenschule und zur jetzigen Situation als privatisiertes und wenig belebtes Stück Freiraum inmitten der Stadt. Heute zeichnet sich das Bild einer Sackgasse zwischen den Gebäuden. Für die neue Tramlinie der RTTL müssen die gemeinschaftlichen und auf mehreren Ebenen angelegten Bereiche zwischen den beiden Zeilenbauten fast komplett rückgebaut werden. Dies führt zum einen dazu, dass die zwei Gebäudeteile komplett voneinander getrennt werden – das Ensemble und der mittige Freiraum wird durchschnitten – und zum anderen, dass der gesamte durchgängige Raum im Erdgeschoss und somit auch die vormalig öffentliche Nutzung dieser Flächen verloren geht – aus der jetzigen Piazza wird ein Gleisbett.
Mit der in dieser Thesisarbeit angedachten Umnutzung und dem Neudenken des Gebiets und der bestehenden Gebäudesubstanz soll dieser Entwicklung entgegengewirkt werden. Die Lage des Perimeters angrenzend an den historischen Ortskern, das am Hang gelegene Wohngebiet und das Gewerbegebiet in Richtung Molino Nuovo, sowie als Startpunkt der Öffnung zum Valle del Vedeggio durch das Tram, weist dem Areal der ehemaligen BSI eine strategisch wichtige Rolle innerhalb des Stadtgefüges zu. Der Perimeter mit dem Bestandesgebäude hat auf verschiedensten Ebenen das Potential durch das Anbieten von neuen Wegverbindungen, öffentlichen Nutzungen und gemeinschaftlichen Aussenund Innenräumen auf verschiedenen Ebenen eine vernetzende Funktion in der Stadt Lugano zu übernehmen. So kann langfristig ein belebtes Stück Stadt mit Raum für Diskussion, Austausch und Aneignung entstehen, wie es Architekt Mario Botta forderte.
4 Vorgefundenes
4.1 Das Gebiet rund um Cappuccine
Die geschichtlichen Begebenheiten der Entwicklung von Lugano führten zu der spezifischen Ausformulierung der Stadt und der heute wahrgenommenen Diskrepanz der Nutzung der öffentlichen Räume innerhalb des Stadtgefüges und zwischen den verschiedenen Stadtteilen. Der Perimeter Masterthesis ist umgeben von drei sehr unterschiedlich ausformulierten Quartieren. Diese unterscheiden sich aufgrund ihrer zeitlichen Entwicklung – in Abhängigkeit der Geschichte Luganos – in ihrer Nutzung, Bebauungsform, Topographie, Erschliessung und Durchwegung. Durch die Via Cantonale und das Richtung Bahnhof ansteigende Terrain sind die drei Gebiete relativ klar voneinander abgetrennt. Das Areal der ehemaligen BSI liegt inmitten dieser Bereiche und lässt sich keinem davon klar zuweisen.
Die exBSI grenzt im Südwesten direkt an den über Jahrhunderte organisch gewachsenen Ortskern der heutigen Altstadt, welche den Ursprung der Siedlungsfläche Luganos darstellt. Die sich entlang des Westufers des Luganersees halbkreisförmig ausdehnende Bebauungsstruktur lässt sich grösstenteils auf die Zeit zwischen Mittelalter und dem 19. Jahrhundert zurückführen. Charakterisiert wird dieses Gebiet durch dichtstehende und verwinkelte Bauvolumen, welche durch eine Vielzahl an unterschiedlichen Durchwegungen, Plätzen und Gassen durchbrochen werden. Während sich grosse Teile des historischen Kerns in der Talsohle befinden, breiten sich vereinzelte Bebauungen auch entlang der Hanglagen in Richtung des Bahnhofs und der Cattedrale San Lorenzo aus.
Das ebenfalls am Hang liegende Wohngebiet grenzt im Westen an den Perimeter. Viele seiner Bauten entstanden ursprünglich zu Beginn des 19. Jahrhundert als herrschaftliche Villen ausserhalb des Stadtkerns. Die Bebauung richtet sich entlang der Topographie und in Richtung des Sees aus und wird charakterisiert durch die lockere Setzung von Punktbauten in grossen Freiflächen und privaten Gärten. Die Bebauungsdichte ist im Gegensatz zur Altstadt und im Verhältnis zur Nähe des Ortszentrums vergleichsweise niedrig. Auch die beiden von Claudio Pellegrini geplanten und gebauten Mehrfamilienhäuser auf dem ehemaligen BSI Areal können diesem Stadtbereich zugeschlagen werden, auch wenn diese in ihrer Volumetrie und Setzung bereits einen Übergang zum nordöstlich des Perimeters angrenzenden grossmassstäblicheren Gewerbegebiet suchen.
Die als Gewerbegebiet bezeichnete und ab dem 19. Jahrhundert entstandene Stadterweiterung wird durch den Corso Enrico Pestalozzi von der Altstadt getrennt. Das Gebiet am Rande der Kernstadt könnte ursprünglich als eine Art Vorstadt bezeichnet werden. Hier fanden kleinere Handwerksbetriebe und Fabriken, sowie Wohnungen für die unteren Bevölkerungsschichten ihren Platz. In den letzten 50 Jahren kam es schrittweise zu grossen Veränderungen. Viele der historischen Bebauungen wurden durch grosse Gebäudekomplexe und Erweiterungen mit Infrastruktur und Dienstleistungsbetrieben ersetzt. Das Stadt-Bauen in grossen Massstab mit neu angelegten orthogonalen Strassen wurde hier zur Aufgabe.
4.2 Die öffentlichen Räume darin
Die beschriebenen Bebauungsstrukturen führten auch zu Differenzen in der Ausformulierung des Raumes zwischen den Gebäuden. Während sich der historische Stadtkern langsam und ohne Planung entwickelte, wurde das heutige Gewerbegebiet ab den 1970er Jahren in einem von Baurecht und Zonenplan kontrollierten Prozess überarbeitet. Dass dabei Gebäude oft als freistehendes Objekt im Raum ohne Gedanken an die daraus entstehenden Zwischenräume – die öffentlichen Räume aus Strassen, Wegen und Plätzen – gedacht werden, stellte Architekt Herman Hertzberger in einem Interview von 2017 fest. 16
Im historischen Kern finden sich in hoher Dichte diverse Varianten des öffentlichen Raumes. Das Gebiet ist fast zu jeder Tageszeit belebt. Enge Gassen öffnen sich zu Plätzen, manchmal überraschend, manchmal ablesbar. In rhythmischen Abständen wechseln sich so Enge und Weite ab. Die Blickachsen durch die verwinkelten öffentlichen Räume werden geführt und ermöglichen trotz der hohen Dichte eine leichte Orientierung. Die Topographie entlang des Hanges wird durch die öffentlichen Räume überwunden, sie passen sich an die Begebenheiten an. Die so entstehenden Stufen und Brüstungen vor den die Gassen säumenden Geschäften werden nicht selten von Passanten als Sitzgelegenheit genutzt. Die Treppen, Wege und Plätze erweitern sich entlang der ehemaligen Hauptgassen in Arkaden, Galerien, Nischen und offene Treppenhäuser. Dies erzeugt eine Überlagerung zwischen Innen- und Aussenraum, Privat und Öffentlich. Grenzen verschwinden oder sind zumindest flexibel. Es ergeben sich aneigenbare Bereiche: Möglichkeitsräume, die mal privater, mal öffentlicher genutzt werden. Sie werden bespielt durch Cafés, Restaurants und Läden. Es wird zum Verweilen eingeladen. Nicht selten treffen sich die Blicke zwischen den Passanten, ohne dabei Unbehagen auszulösen. Die Nischen und ruhigeren Ecken bieten Rückzugsbereiche innerhalb der geschäftigen Atmosphäre der Altstadt.
Als Kontrast zur dichten und verwinkelten Bebauung der Altstadt kann das locker bebaute Wohnviertel betrachtet werden. Die Quartierstrassen sind gesäumt von Gartenmauern, Toren und Hecken, die den öffentlichen Raum klar von den privaten Grundstücken abtrennen. Höhenunterschiede zwischen dem Strassenniveau und den Wohnräumen verstärken die Grenzwirkung. Die für das Wohnen gewünschte Privatsphäre wird so erzeugt. Visuell sind die Grenzen zwar zumindest teilweise durchlässig - man kann die Zugangswege und Treppen zu den freistehenden und von begrünten Freiflächen umgebenen Wohnhäuser durch die Abgrenzungen erkennen – dennoch bleibt der öffentliche Raum und somit der Raum für soziale Interaktion auf den Strassenraum begrenzt. Begegnungen unter Nachbaren finden hier statt.
Abb. 20. Eindrücke aus dem Wohngebiet: Prunkvolle Hauseingänge mit Treppen und privaten Gärten
Abb. 21. Orthogonale Baukörper definieren einen breiten, wenig belebten Strassenraum. Die Hofräume sind privatisiert.
Das Gewerbegebiet zeichnet durch seine grossmassstäbliche und in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts entstandene Bebauung nochmals ein anderes Bild der Gebäudezwischenräume. Der öffentliche Raum ist hier von den breiten, orthogonal angelegten Strassen geprägt. Die Gehwege werden davon regelrecht an den Rand gedrängt und ein Aufenthalt wird unattraktiv, Orte zum Verweilen findet man kaum. Entsprechend leer sind auch die Strassen. Die sozialen Kontakte beschränken sich auf das seltene und unpersönliche Kreuzen auf den Trottoirs. Dies trotz der Tatsache, man sich hier eigentlich immer noch in der Innenstadt befindet. Teilweise lassen Arkaden eine Übergangszone zwischen öffentlichem Raum und privatem, gewerblichen Raum erahnen. Ihre Grössen und Materialiät im Zusammenspiel mit den breiten Strassenräumen lassen aber kaum die gewünschten und bekannten Qualitäten der Arkaden in der Altstadt erahnen. Sie bleiben rein funktional. Schranken trennen die hofseitigen Freiräume ab und so auch die strassenabgewandten Erschliessungen. Ein unerwartetes Element innerhalb dieser eher ernüchternden öffentlichen Räume trifft man entlang der Via G.B. Pioda an, hier greift die innere Nutzung des Cinema Corso in den Aussenraum: die Kinokasse ist in einer Nische direkt am Trottoir untergebracht. Wie bereits in der Altstadt kommt hier das Gefühl von verwischten Grenzen und aneigenbaren Räumen auf.
Meine eigenen Erkenntnisse vor Ort werden durch eine Untersuchung des Gebiets im Schwarzplan, als Gebäude und Grund, und in einer Adaption des Nolli-Plans verstärkt. 17 Gezeichnet sind hier die Erdgeschossgrundrisse und somit die Art und Weise, wie die Bauten auf dem Boden stehen. Diese Art von Darstellung zeigt auf, wie sich der öffentliche Raum zwischen den Gebäuden entwickelt und wie er an die privaten Gebäude geführt wird. Im Falle von Lugano lassen sich dabei auch die drei festgestellten Gebiete unterscheiden: Während im Wohn- und Gewerbegebiet im herkömmlichen Schwarzplan im Gegensatz zur dichten und verwinkelten Altstadt relativ grosse Freiräume entstehen, kehrt sich im Nolli-Plan das Bild. Nur die Strassen bleiben weiss. Die Erdgeschosse im historischen Stadtkern hingegen weisen mehr Freiräume auf, als im Schwarzplan. Hier findet sich in den erlebten Arkaden und Nischen eine Erweiterung der öffentlich zugänglichen Fläche. Zudem wird deutlich, dass der Perimeter der ehemaligen BSI mit keinem der umliegenden Gebiete verknüpft ist. Der Bereich bildet sich wie eine Enklave innerhalb der Stadt ab.
Gerade im Hinblick auf den Ausgangspunkt dieser Arbeit – die festgestellte Diskrepanz zwischen der Wahrnehmung des öffentlichen Raumes in der Altstadt und der Aussage von Botta – lassen sich für das Areal Sant’Anna mehrere Angriffspunkte für die weitere Entwicklung des Gebiets und den Räumlichkeiten der ehemaligen BSI herausschälen. Die fehlende Vernetzung und Durchlässigkeit der Stadträume und des Perimeters sind genauso ein Thema, wie der Fakt, dass die drei Stadtteile unterschiedliche Gefühle und Assoziationen hervorrufen: Man fühlt sich wohl, sicher und eingeladen zum Verweilen oder fast schon verloren, abgewiesen und vom Verkehr verdrängt. Wie diese unterschiedlichen Qualitäten zustande kommen und wie die notwendigen Übergänge zwischen Öffentlichkeit und Privatheit, zwischen Innen und Aussen und zwischen verschiedenen Nutzungen und Zonen ausformuliert sein sollten, möchte ich in der Folge und im Rahmen des Entwurfes für das Areal untersuchen.
5 Über öffentliche Räume
5.1 Soziales Potential
Architektur und das soziale Leben haben eine starke Verbindung. Oftmals wird die Architektur als formales Element, als eine reine Ausdrucksform, wahrgenommen. Jedoch kann Architektur auch als eine Art Werkzeug verstanden werden, ein Werkzeug, dass soziales Leben innerhalb der Stadt begünstigt oder eben verhindert. Öffentliche Räume sind dabei die Art von Räumen, an denen verschiedene, sich meist unbekannte Nutzer aufeinandertreffen. Dadurch ergeben sich Möglichkeiten, neue Kontakte zu knüpfen, sich den Raum gemeinsam anzueignen und Regeln für das städtische Zusammenleben zu definieren. Es sind die öffentlichen Räume, die Orte an denen Menschen zusammenkommen, die die Stadt zu dem machen was sie ist. Gemäss Tim Rieniets gehen aus dem zufälligen oder beabsichtigten Aufeinandertreffen von Menschen im öffentlichen Raum zwei unterschiedliche Nutzen hervor: gegenseitige und gemeinschaftliche. Gegenseitige Nutzen können zum Beispiel das Austauschen von Informationen sein, ein Weiterhelfen oder eine Aufgabenteilung. Sie bilden die Basis für die Entstehung eines Mehrwertes durch das Zusammenleben. Der gegenseitige Nutzen entwickelt sich dann nach und nach zu einem gemeinschaftlichen: Durch das Zusammentreffen, Arbeiten oder den sozialen Austausch entsteht eine Gesellschaft – eine Gemeinschaft innerhalb eines Wohnblockes, eines Quartiers oder einer Stadt, die sich ihrer Diversität bewusst ist und diese schätzt. So wird das Zusammenleben innerhalb einer Stadt zu einer Ressource, aus der ein Nutzen für den Einzelnen und die Gesellschaft hervorgehen kann. 18
Das Potential der Stadt als Ressource ist dabei abhängig von den öffentlichen Räumen, genauer gesagt von ihren räumlichen Qualitäten. Jan Gehl schreibt dazu in seinem Buch «Leben zwischen Häusern»: «Auf Strassen und in Stadträumen von geringer Qualität findet nur das absolute Minimum an Aktivität statt. Die Leute wollen nach Hause. Ist jedoch die Gestaltung des öffentlichen
Raumes attraktiv, ergeben sich dort notwendige Aktivitäten zwar gleich häufig, allerdings dauern diese meist länger. Darüber hinaus ergeben sich viele freiwillige Aktivitäten, weil Ort und Situation dazu einladen, stehen zu bleiben, sich hinzusetzen, zu essen, zu spielen, usw. In einem ansprechenden Umfeld ist also ein ganz anderes, breiteres Spektrum menschlicher Aktivitäten möglich. Soziale Aktivitäten sind jene, die von der Anwesenheit anderer im öffentlichen Raum abhängen: das Spiel von Kindern, Begrüssungen und Gespräche, gemeinsame Aktivitäten verschiedenster Art und als die meistverbreitete soziale Aktion – passive Kontakte, wie das Sehen und Hören anderer Menschen.» 19
Oftmals sind es dabei wohl die kleinen Dinge, die den öffentlichen Raum und somit die Stadt selbst lebenswert gestalten und als Aufenthaltsort auszeichnen. Die Dinge, die man meist kaum wahrnehmen würde: Eine Sitzbank mit Aussicht auf einen belebten Platz, eine Säule zum Anlehnen, während dem man auf jemanden wartet, eine Treppe, die zum kurzen Ausruhen einlädt oder eine Arkade, die vor einem kurzen Sommerregen schützt. Diesen Dingen vom grossen zum kleinen Massstab möchte ich mich auf dem Perimeter der ehemaligen BSI, inmitten des heterogenen Stadtgefüges Luganos annehmen. Es sollen sich Räume entwickeln, die Platz bieten für Kultur und die Gemeinschaft Luganos. Räume, die zum Zusammenkommen einladen, Diskussionen fördern und nachhaltig eine Gesellschaft ermöglichen, die auch Aussenstehende einlädt und einschliessen kann. Räume, die zwischen dem Öffentlichen und dem Privaten vermitteln, Abstufungen zulassen und so aneigenbar sind und bleiben.
5.2 Über das Vernetzen
Der Soziologe Richard Sennett definiert innerhalb unserer heutigen Städte zwei Arten von Rändern: Grenzen und Säume. Säume sind dabei durchlässige Ränder und Grenzen nicht. Eine Grenze ist für ihn ein Rand, an dem ein Ort oder eine Funktion endet. Oftmals ergeben sich so entlang Grenzen Bereiche, die wenig genutzt werden. Den Gegenpol dazu bilden die Säume: Sie wirken wie Zellmembranen und zeichnen sich durch das Zusammenspiel zwischen Durchlässigkeit, Offenheit und Widerstand aus. Sie haben das Potential aus Rändern im städtischen Gewebe belebte Orte zu schaffen. 20
In der persönlichen Annäherung an das Gebiet rund um die ehemalige BSI und dessen geschichtlicher Entwicklung wurde deutlich, dass sich rund um den Perimeter drei sehr eigenständige und differenzierte Stadtteile herausgebildet haben, welche wenig miteinander in Kontakt treten. Der Perimeter selbst setzt sich dabei wie eine Art Enklave innerhalb des Stadtgefüges ab. Seine Ränder können dabei als Grenzen im Sinne von Richard Sennett beschrieben werden – Zäune, Tore und Strassenzüge verhindern, dass verschiedene Bereiche und Gruppen miteinander interagieren. Die Stadtteile werden in verschiedene funktionelle Zonen aufgeteilt. Dabei wäre eine Vernetzung mit dem umliegenden Stadtnetzwerk durchaus möglich und die Umwandlung der Grenzen in Säume machbar. Brigitte Jilka, die Stadtbaudirektorin Wiens, hat dazu einen passenden Begriff eingeführt: «Repassieren» 21 . Die Umnutzung des Gebiets Sant’Anna soll wie eine wieder aufgenommene Laufmasche beim Häkeln die angrenzenden Stadtteile zu einem grossen Ganzen verbinden. Als repassierendes Element wird dazu der öffentliche Raum und die Architektur
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22 Uni Weimar, 2022.
Mir kommt als Referenz der möglichen Vernetzung die Lithographie «Relativity» vom niederländischen Künstler Maurits Cornelis Escher von 1953 zu Hilfe. Der Druck zeigt ein für Escher typisches Motiv: Widersprüchliche Treppen, die Personen in alle möglichen, der Schwerkraft widersprechenden Richtungen führen. Während die Szene eine unrealistische und dadurch nicht funktionierende Wegführung darstellt, kann sie auch als das Gegenteil interpretiert werden: Unterschiedliche Ebenen, Räume und Nutzungen verbinden sich durch die Treppen zu einem grossen Ganzen. Die Plattformen und Stufen führen von überall her zu überall hin. Aus voneinander getrennten und unterschiedlichen Gravitationen folgenden Bereichen wird über das dargestellte Treppenhaus ein grosser durchlässiger Raum.
Das Gebiet der ehemaligen BSI blickt auf eine abwechslungsreiche und lange Geschichte zurück. Über Jahrhunderte wurde das Areal am Rande des ursprünglichen Stadtkerns weiterentwickelt, immer wieder neugedacht, öffentlich zugänglich gemacht und danach wieder privatisiert. Noch heute sind die Spuren dieser Entwicklungen in vielen Bereichen der bestehenden Bausubstanz als zugemauerte Torbögen, mit Erweiterungen verschossene Baulücken und einst öffentliche und nun hinter Gittertoren versteckte Arkaden ablesbar. Im Rahmen der Weiterentwicklung des Gebietes werden diese einst bestehenden Verbindungen wieder geöffnet. Ehemals private Durchwegungen und Innenhöfe erweitern so das bestehende Raumgefüge, bekommen einen neuen Nutzen, ermöglichen neue Bezüge und stellen Verbindungen zwischen vorher voneinander abgeschotteten Stadtteilen her. Das Verhältnis zwischen Durchlässigkeit und Widerstand, Offenheit und Geschlossenheit, Enge und Weite, Blickachsen und akustischen Umgebungen spielt dabei eine wichtige Rolle. Denn es sei genau dieses Verhältnis, dass die Grenzen schlussendlich auflöst und nicht der gänzlich offene Raum, die Leere, und so auch die vollkommene Ungeschütztheit. 23 Entstehen soll ein vernetztes Stück Stadt, eine Abfolge von unterschiedlichen öffentlichen Räumen, die mit den umliegenden Quartieren als ein einheitlicher Stadtraum gelesen werden können.
Abb. 29. Situationsplan der neuen Wegverbindungen als Vernetzung mit dem bestehenden Stadtgefüge
Abb. 30. Gegenüberstellung
Bestand und Öffnung an der Via
Abb. 31. Gegenüberstellung
Bestand und Öffnung an der Via Antonio Galli in Richtung der Wohngebäude von Claudio
Abb. 32. Gegenüberstellung
Bestand und Öffnung am Salita M. e A. Chiattone in Richtung des privaten Innenhofes des jetzigen Manora-Restaurants
Abb. 33. Gegenüberstellung Bestand und Öffnung des Innenhofes des ehemaligen Klosters S. Caterina
Abb. 34. Gegenüberstellung Bestand und Öffnung an der
5.3 Ambivalenzen und Verbindungen
1925 besuchte der deutsche Philosoph und Kulturkritiker Walter Benjamin zusammen mit der Schauspielerin und Regisseurin Asja Lacis die süditalienische Stadt Neapel. Sie fanden dort ein organisches, chaotisches, aber wohl auch faszinierendes Stadterleben vor, welches sie im Essay, oder wie sie selbst es nannten, dem Denkbild Neapel festhielten. Ihre Beschreibung der Stadt beschreibt wohl auch in gewissem Mass die neu entstehende Vernetzung und die unterschiedlichen öffentlichen Räume, die sich dadurch ergeben: «Porös wie dieses Gestein ist die Architektur. Bau und Aktion gehen in Höfen, Arkaden und Treppen ineinander über. In allem wahrt man den Spielraum, der es befähigt, Schauplatz neuer unvorhergesehener Konstellationen zu werden. Man meidet das Definitive, Geprägte. Keine Situation erscheint so, wie sie ist, für immer gedacht, keine Gestalt behauptet ihr »so und nicht anders«.» 24 Strassen und Plätze waren schon immer die Grundelemente, um die Städte herum organisiert wurden, um die öffentlichen Räume herum. Es braucht dabei immer eine differenzierte Struktur, die unterscheidet zwischen Haupt- und Nebenschauplätzen. 25 Denn so heterogen wie die Bewohner*innen einer Stadt, sollten auch ihre öffentlichen Räume sein. Verschiedene Nutzergruppen haben andere Anforderungen an die Räume, die sie bespielen sollen. Andere Voraussetzungen, damit Räume angeeignet werden können. Grössere Gruppen brauchen mehr Platz, kleinere Gruppen Intimität, damit sie sich innerhalb einer zu grossen Fläche nicht verlieren. Es gilt also, sich von der Vorstellung zu entfernen, dass man nur einen bestimmten öffentlichen Raum entwerfen kann, der von der gesamten Öffentlichkeit genutzt werden kann. Der öffentliche Raum sollte vielmehr, ganz im Sinne der Durchlässigkeit, einem Netzwerk aus unterschiedlichen öffentlich genutzten Flächen entsprechen. Nur so können verschiedene Nutzergruppen sich die Bereiche aneignen und im besten Fall mit weiteren Gruppen interagieren. 26 Dies entspricht wohl auch dem, was man an der Stadt liebt: die Ambivalenzen; die Heterogenität und das Spiel mit Gegensätzen.
In Lugano lassen sich vor allem im historischen Kern diese angesprochenen Ambivalenzen finden. Es sind die engen Gassen, die sich mit grosszügigen Plätzen abwechseln, die entstehende Distanz oder Nähe, das Wechselspiel zwischen Innen und Aussen oder Öffentlich und Privat in den Arkaden, die Homogenität und Heterogenität der Nutzungen, Tourist*innen oder Bewohner*innen, der Wechsel zwischen Anonymität und Gemeinschaft entlang der Hausfassaden und die möglichen Freiheiten bei gleichzeitigem Rückhalt und Heimatgefühl. Ambivalente Stadtgefüge fördern und lassen eine Diversität an Nutzungen zu, erzeugen für das Stadtleben signifikante öffentliche Räume und vernetzen diese mit der angrenzenden Stadt. Die Ambivalenzen erfüllen im Zusammenhang mit der Abfolge von verschiedenen öffentlichen Räumen für Jan Gehl auch ein weiteres wichtiges Bedürfnis an die Stadt: Dem Bedürfnis nach Anregung und Abwechslung. Andere zu erleben, Differenzen wahrzunehmen und zu erkennen, kann einem selbst zu neuen Handlungen inspirieren, forciert Interaktion und bildet so die Grundlage für ein aktives und facettenreiches Zusammenleben innerhalb der Stadt.
24 Benjamin (1991). S.309.
25 Gehl (2020). S.85.
Abb. 35. Erdgeschoss mit neuer Durchwegung und Anschlüssen an die bestehenden Wege und Treppen
Das Projekt auf dem Gebiet der ehemaligen BSI spielt genau mit diesen Gegensätzen und Ambivalenzen. Entlang der neuen oder wieder entdeckten Wege in und aus dem Perimeter siedeln sich zum einen unterschiedliche Nutzungen an, zum anderen werden auch unterschiedliche räumliche Qualitäten und Massstäbe gesucht.
Vom Salita M. eA. Chiattone gelangt man über den ehemals privat genutzten Platz über eine schmale Treppe, die unter einem Gebäude hindurchführt, in den als Werkgasse bezeichneten Bereich auf der Südseite des Projekts. Hier ermöglicht die ebenerdige Öffnung der ehemaligen Tiefgarage und die Anpassung des Terrains die neue Ansiedlung einer Erdgeschossnutzung. Durch die Öffnung des Untergeschosses entsteht entlang der bislang ungenutzten Rasenfläche eine Abtreppung aus ebenerdig zugänglichen Räumen. In Zusammenspiel mit den umliegenden Bestandesgebäuden und der Erschliessung der beiden Hofräume des ehemaligen Klosters S. Caterina ergibt sich so ein Netz aus intimen und kleinmassstäblichen Gebäudezwischenräumen, die durch ihre zufällige geometrische Form als eine Erweiterung des Altstadtgefüges gelesen werden können.
Das ein Zusammenhang zwischen den architektonischen Dimensionen und der Wahrnehmung des öffentlichen Raumes dazwischen besteht, liegt an den Distanzen und der Art, wie man sich in den Räumen bewegt. In engeren Gassen mit weniger Platz, nimmt man Häusern, Details und die sich darin befindenden Mitmenschen sehr direkt war. Erst dadurch erzeugt sich die Intimität und persönliche Atmosphäre. 27 Bespielt wird die Werkgasse durch die in der ehemaligen Einstellhalle angesiedelten Werkstätten und Handwerksbetriebe. Jeweils Samstags kann hier zwischen den Gebäuden zudem ein Handwerkermarkt stattfinden. Die Werkgasse verbindet sich räumlich, durch eine Passage auf Erdgeschossniveau und im 1. Obergeschoss, und visuell durch Sichtbezüge mit dem Zwischenraum der beiden Zeilen und somit dem Ankunftsort des Trams an der Haltestelle Cappuccine. Jan Gehl schreibt dazu: «Sichtachsen sind wichtig. Wenn Menschen einen Raum nicht sehen, werden sie ihn nicht nutzen.» 28 Der Blick von der Haltestelle und von der Werkgasse in den jeweils anderen Raum weckt die Neugierde der Passant*innen.
Die Werkstattterrasse im 1. Obergeschoss bildet den in der Höhe gestaffelten Übergang zum grosszügigen Platz im 2. Obergeschoss. Hier verknüpft sich auch die direkte Wegverbindung in Richtung Cattedrale S. Lorenzo und Bahnhof, welche über den begrünten am Hang gelegenen Grünraum in die Via Cattedrale endet. Die Piazza Sant’Anna ermöglicht eine gewisse Grosszügigkeit innerhalb des Perimeters. Auf ihr können unter freiem Himmel grössere Veranstaltungen, mit vielen Teilnehmenden, wie Konzerte, Freilichttheater, Open-Air Kinos oder Versammlungen stattfinden. An normalen Wochentagen lädt die Fläche zu Ballspielen oder zum Inlineskaten ein. Die direkt angrenzende und als Sitzbank ausformulierte Stützmauer in Richtung Hang lädt zum Verweilen und Beobachten ein. Das in der südlichen der beiden Zeilen gelegene Café bespielt beide Zeilenseiten – sowohl den Platz, als auch den Gebäudezwischenraum. Seine grosszügigen Faltfenster lassen die Grenzen zwischen Innen und Aussen, zwischen Café und Platz und zwischen ausserhalb der Zeilen und innerhalb der Zeilen verschwinden und zu Membranen werden.
«Schwämme sind porös, weil sie Wasser aufnehmen – doch dabei behalten sie ihre Form. In ähnlicher Weise ist ein Gebäude durchlässig, wenn es einen freien Fluss zwischen innen und aussen gibt, ohne dass seine Funktionen oder seine Form darunter litten.»
Von Norden her wird die bestehende Durchwegung von Architekt Claudio Pellegrini wieder für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht.
Der schmale geschwungene Weg verbindet in Zukunft die neue Unterführung am Bahnhof und den neuen Campus der Hochschule durch den Gebäudezwischenraum mit dem Tramstopp Cappuccine und der Stadt. Zudem ermöglicht sie ein direktes Zusammenspiel zwischen den beiden bestehenden Wohngebäuden des Areals und den neuangesiedelten Nutzungen.
Der öffentliche Raum im Erdgeschoss der beiden Gebäudezeilen wird bestimmt durch die Funktion der Haltestelle. Der schmale längliche Raum übernimmt infrastrukturelle Aufgaben: Sitzmöglichkeiten für wartende Pendler, Billettautomaten, eine Bäckerei für einen Cappuccino to go und verschiedenste Einkaufsmöglichkeiten und kleinere lärmunempfindliche Atelierflächen mit Anlieferung im Untergeschoss. Das Fab-Lab verbindet die Werkgasse räumlich und funktionell mit der Haltestelle.
Der Tunnel, sowie die beiden Gleisbette trennen den Zwischenraum in zwei Bereiche – links vom Gleis und rechts vom Gleis. Durch das langsame Fahren der Züge ist jedoch ein Queren dieser Zone dennoch möglich. Die räumliche Abgeschlossenheit der Situation lässt den Blick nach oben wandern: Zum freien Himmel und zu einer neuen vernetzenden Struktur, die über den Gebäudezwischenraum hinweg spannt. Sie verbindet sämtliche der verschiedenen und bis anhin beschriebenen öffentlichen Räume und Wegführungen miteinander zu einem zusammenhängenden Wegnetz. Zudem erzeugt sie im Erdgeschoss ein Wechselspiel aus geschützten, überdachten Bereichen und offenen Zonen mit visuellen Beziehungen zu den verschiedenen Geschossen. Sechs grosse Wendeltreppen leiten die Fussgänger*innen nach oben, in die Vertikale der beiden Zeilen.
Abb. 43. Blick von der Erschliessungsstrasse zur Casa Bianchi, die zum Eingang führende Brücke im Vordergrund
5.4 Aufbruch in die Vertikale
Die von Westen nach Osten abfallende Topographie des Perimeters in Verbindung mit den neuen Wegverbindungen, Gassen und Plätzen, lässt es zu die horizontale und vom Erdgeschoss aus gedachte Organisation von Gebäuden und öffentlichen Räumen zu hinterfragen. Ich komme in dem Zusammenhang auf Mario Botta zurück. Seine Casa Bianchi in Riva San Vitale von 1972, ein kompaktes Einfamilienhaus in Hanglage, wartet mit einer interessanten Schnittlösung auf. Die am oberen Ende der Parzelle gelegene Erschliessungsstrasse ermutigte dazu, das Haus vom Dach her – also vom obersten Punkt her – zu denken. Statt wie üblicherweise die Eingangssituation im Erdgeschoss anzusiedeln, überspannt im obersten Geschoss eine rot lackierte Stahlbrücke den Raum zwischen der Strasse und dem obersten Geschoss. Dieses wird so funktionell zum Erd- und Eingangsgeschoss – ebenerdig zugänglich auf Terrainniveau. Die Wohnräume verteilen sich entsprechend in der Vertikalen von oben nach unten um den mittigen Erschliessungskern. Immer wieder entstehen optische oder räumliche Beziehungen zur Topographie des Hanges. Das eigentliche Erdgeschoss, mit allseitigem Zugang zum Terrain, wird in diesem Projekt sogar nur als Nebennutzfläche für die technischen Installationen genutzt. 29
Wie im Projekt von Botta schliessen die Werkgasse, die Werkstattterrasse, die Piazza Sant’Anna und die Durchwegung von Claudio Pellegrini auf unterschiedlichen Ebenen an den Bestand an. Die reine Öffentlichkeit des Erdgeschosses verlagert sich so in die Vertikale und verteilt sich auf verschiedene Ebenen. Gebäudepassagen erzeugen zudem die von Richard Sennett geforderte Durchlässigkeit und vernetzen den Raum zwischen den Zeilen mit der umliegenden Stadt. Dies führt dazu, dass die Gegensätze zwischen den beiden Gebäudezeilen und dem umliegenden Stadtgefüge aufgehoben werden. Und zwar nicht, in dem man sämtliche Funktionen und öffentlichen Räume aneinander anpasst – so würden die geforderten Ambivalenzen und Anregungen verloren gehen – sondern in dem man das Gebäude seine Umgebung durchdringen lässt und gleichzeitig die Umgebung mehr in das Gebäude eindringt, so dass das eine zum anderen wird. 30
5.5 Mehr als nur Zwischenraum
Im Gebäudezwischenraum finden die verschiedenen Ebenen ihre Anknüpfungspunkte an der im Zusammenhang mit der Haltestelle Cappuccine erwähnten Struktur. Diese legt sich wie ein zweiter Layer über die beiden Zeilen und eröffnet Möglichkeiten, die den Bestand in seinen räumlichen und funktionellen Ausmassen sprengen würden. Mittels raumhaltenden Fachwerkträgern überspannt die Struktur jeweils in Längsrichtung von bestehendem Kern zu Kern. Darauf abgelegt sind H-Träger, welche wie Kragarme eine Schicht aus Aussenräumen und Erschliessungsflächen über die Längsfassaden der beiden Zeilen legen.
Als Referenz für den Raum zwischen den beiden Häuserzeilen greife ich wiederum auf Neapel zurück. Dieses Mal jedoch nicht auf den Essay von Walter Benjamin und Asja Lacis, sondern auf das mit hohen Erwartungen verknüpfte Sozialwohnungsprojekt Vele di Scampia, welches ab den 1960er Jahren am Stadtrand von Neapel von Franz di Salvo geplant und gebaut wurde. Die Gebäudekomplexe bestehen jeweils aus zwei parallel stehenden und maximal 14 Stockwerken hohen Zeilenbauten, die durch einen zentralen Hohlraum getrennt und durch Treppen, Auszüge und Galerien miteinander verbunden werden. Die zentrale Erschliessungszone sollte nach dem Willen der Planer die Integration und den Aufbau einer Gemeinschaft von den Bewohnenden fördern und soziale Kontakte einfacher möglich machen. Das Projekt sollte so nach di Salvo die charakteristischen Züge einer neapolitanischen Gasse und ihr Potential zur Interaktion in einer modernen Version nachbilden. Auch wenn die Vele di Scampia heute zu einem Grosssteil nur als Inbegriff für die gescheiterten italienischen Sozialwohnungsbauten der Nachkriegszeit stehen, üben die zwischen den Gebäudezeilen schwebenden Erschliessungsgalerien auf mich eine starke Faszination aus. 31
31 Bereits vor der Fertigstellung der Stadterweiterung verkam das Gebiet zu einem Drogenumschlagplatz und zu einer Hochburg für Vandalismus und Kriminalität. Neben der Besetzung der Neubauten nach einem grossen Erdbeben, können dafür folgende architektonische Gründe genannt werden: Der Gebäudezwischenraum wurde in der Planung massiv verkleinert, die filigrane Stahlstruktur durch eine Beton-Stahl-Konstruktion ersetzt und die geplanten Gemeinschaftsbereiche nicht umgesetzt.
Die Zwischenräume zu den Fassaden lassen unterschiedliche Blickachsen zu, sowohl von der horizontalen Galerie aus, als auch von den schmalen Treppen zu den Wohnungen. Es ist so auch möglich beim Nachhausekommen Nachbarn der unteren oder oberen Geschosse zu sehen. Spontane und informelle Kontakte können zustande kommen. Die Durchblicke und Treppen schaffen zusammen mit den vertikal gestapelten Erschliessungspodesten ein Spiel aus Weite und Enge, das trotz der enormen Gebäudezwischenraumhöhe einen menschlichen Massstab annimmt und Intimität erzeugt. Obwohl diese innerhalb der Nachbarschaft Potential hätten haben können, sind entlang der Erschliessungspodeste keine Aufenthaltsmöglichkeiten eingeplant und auch die privaten Aussenräume wenden sich davon ab. Durch den unterschiedlichen Ausbau der verschiedenen Wohnungszugänge durch die Bewohnenden – mit Gittern, Erker formenden Fenstern oder vor Blicken schützenden Tüchern – ergibt sich trotz der stark geschlossenen Fassade dennoch ein diverses und lebendiges Bild.
Die Aufenthaltsqualität und Gemeinschaftsbildung um die zentrale Erschliessung, die in den Vele vermisst wird, findet sich in einer weiteren Referenz. Die Pasaje General Paz in Buenos Aires wurde 1925 von Architekt Pedro A. Vinent geplant. Es handelt sich dabei um eine vollwertige Passage mit 2 Ein- und Ausgängen, die sich über einen gesamten Häuserblock erstreckt und als eine frühe Form des kollektiven Wohnens bezeichnet werden kann. Die 57 Wohneinheiten auf 4 Geschossen richten sich komplett auf die Passage aus – Fenster in andere Richtungen sind nicht möglich – und werden vom Erdgeschoss her über offene Treppen, Lauben und Podeste erschlossen. Kleine Brückenähnliche Podeste und teilweise überdachte Podeste verbinden die beiden Wohnzeilen links und recht miteinander. Kontakte unter den Bewohner*innen werden durch die räumliche Nähe und die konstanten Sichtbezüge forciert. Dennoch ergeben sich durch die leichten Vor- und Rücksprünge der Fassaden und den der Bewegung folgenden Lauben auch geschütztere und introvertiertere Bereiche entlang der nach oben offenen Passage. Die üppige Begrünung, die Haptik der Materialien mit farbigen Keramikplatten oder hellem Putz und die Leichtigkeit der Konstruktion und Geländer der Erschliessungsschicht tragen zum lebhaften und einladenden Bild der mittleren Erschliessungs- und Aufenthaltszone ein. Die Passage könnte fast als grosses gemeinschaftliches Wohnzimmer mehrerer Einheiten interpretiert werden.
Analog zur Idee der «promenade architecturale» von Le Corbusier, erlebt man den Gebäudezwischenraum der ehemaligen BSI in dem man ihn durchgeht. Es entsteht durch die Bewegung im und um den Zwischenraum eine Dramaturgie, die intensivere Raumsituationen zulässt und so Menschen eher anzieht und festhält. 32 Die neu eingeführte Struktur entwickelt sich grundsätzlich ab dem 2. Obergeschoss, auf dem Niveau der Piazza Sant'Anna. Über drei grosszügige Podeste sind die beiden Zeilen miteinander verbunden. Ausgehend von diesen Podesten greifen einläufige Treppen zu den Laubengängen des 1. Obergeschosses und verbinden diese so wiederum mit dem Erdgeschoss, sowie in das 3. Obergeschoss.
Die Wegführung der Haupterschliessung der oberen Geschosse ist als mäandrierender Weg zwischen den beiden Zeilen ausgestaltet. Die Idee ist, dass jede Ebene der Struktur ihren eigenen Ablauf bekommt, und sich so nie mit der darunterliegenden Ebene deckt. Brücken, Podeste und Treppen wechseln auf jedem Geschoss die Position. Man bewegt sich im Zwischenraum von einem Geschoss ins nächste - erfährt dabei den Raum in der Diagonalen. Es ergeben sich eine Vielzahl von Blickbezügen in verschiedenste Richtungen, die wir teilweise so aus unserem Alltag nicht kennen: nach vorne in die Laubengänge, zur Seite auf die daneben liegenden Podeste und schräg nach oben oder unten. Nach Hertzberger sind es genau diese Blickkontakte, welche charakteristisch und fundamental für das Entstehen von sozialen Kontakten und somit für die Bildung einer Gemeinschaft sind. 33
Die Versetzung der Treppen führt dazu, dass man sich nicht nur vertikal, sondern auch horizontal über einen Laubengang durch die Struktur bewegt, bevor man den Zwischenraum wieder in der Diagonalen quert. Jan Gehl verweist darauf, dass mäandrierende Wege dazu führen, dass mehr Leute unterwegs sind. Die Erschliessung wird belebter, attraktiver, fördert ungeplante Zusammentreffen und lädt zum Verweilen ein. 34 Die Struktur spielt dabei mit unterschiedlichen Sichtbeziehungen und gleichzeitig den Möglichkeiten, anderen zu begegnen oder eben aus dem Weg zu gehen. Blickachsen in alle Richtungen werden durch Leerräume und Diagonalen maximiert und Aufenthaltsorte entlang der Erschliessung mit Podesten, Brücken und Auskragungen generiert. Sie charakterisieren sich durch unterschiedliche Raumempfindungen wie Weite und Enge, hellere und dunklere Bereiche, geschütztere und offenere, privatere und öffentlichere Zonen. Die Erschliessung wird so zu einem Erlebnisraum, der mit den Empfindungen innerhalb der Strassen und Plätze einer Stadt verglichen werden kann. 35
Die Vorstellung eines horizontal und vertikal durchgehenden und verschiedenste Situationen ermöglichenden Raumgefüges stützt sich auch auf die Entwurfsphilosophie von Herman Hertzberger ab. Dieser versucht in seinen Projekten immer in einzelne Geschosse geteilte Gebäude zu vermeiden. Er sucht nach einem Kontinuum, einer Vernetzung und einem gleichzeitigen Möglichkeitsraum. Als wichtigstes Element dafür sieht er die Erschliessung, die Treppe und ihre Podeste. 36
34 Gehl (2020). S.123.
35 Hertzberger (2010). S.176.
36 Hertzberger, 2018.
Abb. 54. Visualisierung der erschliessenden Struktur mit unterschiedlichen räumlichen Qualitäten
«We
5.6 Das Leben auf Stufen
Treppen haben in der geschichtlichen Entwicklung der Architektur ein wahres Auf und Ab der Bedeutung und Wichtigkeit erlebt. Während sie einst zu den prächtigsten architektonischen Elementen gezählt wurden, welche mit Anmut und Grazie begangen wurden, entwickelte sich mit dem Aufkommen der Mobilität die Treppe zu einem Hindernis. Nach und nach wurden sie durch Maschinen ersetzt, wie beispielsweise Aufzüge, Rolltreppen, Sessellifte und Seilbahnen. Oftmals werden Treppen nun nur als letzter Ausweg genutzt, wenn alle anderen Möglichkeiten des vertikalen Transportes versagen. 37
Jedoch darf bei der Betrachtung der Treppen nicht vergessen werden, dass deren Nutzung nicht rein auf den Erschliessungszweck begrenzt werden muss. Bereits seit der Antike sind Amphitheater und grosse Treppen vor öffentlichen Gebäuden beliebte Punkte für geplante und spontane Zusammentreffen. Stimmt die Lage, die Breite der Treppe und ihre Materialität, laden sie konstant zum Hinsetzen ein. Dazwischen liegende Podeste dienen als Aussichtspunkte auf die unteren Ebenen, oder wie Walter Benjamin es in seinem Essay Neapel ausdrückte, als Bühne für die auf den Stufen sitzenden Zuschauer. 38 Die Rolle der Treppe und der angrenzenden Podeste als Aufenthalts- und Kommunikationsraum sowohl im öffentlichen Raum, als auch innerhalb von Gebäuden wird oftmals unterschätzt.
Wie Georges Perec es ausdrückte: Wir sollten wieder lernen, mehr in Treppenhäusern, in der Erschliessung zu leben. Aber wie? 39 Ein weiteres Mal komme ich zurück zur Lithographie «Relativity». Die Treppen üben wie bei der ersten Betrachtung eine starke Präsenz innerhalb der Szene aus. Gleichzeitig ergeben sich jedoch durch die Menschen, die die Treppen benutzen weitere mögliche Bespielungen des Raumes: Jemand sitzt da und liest, zwei Personen schauen von erhöhten Bereichen in die unteren Geschosse, und die Wege von verschiedenen Nutzer*innen kreuzen sich.
37 Rudofsky (1995). S.159.
38 Benjamin (1991). S.310.
39 Perec (2008). S.38.
Die Erschliessung wird so zu einem aneigenbaren Raum mit Kommunikationsdispositiv, von der Monofunktionalität zur Bespielbarkeit. Türen und Wandöffnungen verbinden imaginäre Innenräume über das Treppenhaus mit dem Aussenraum, es entsteht eine Art Schwellenzone, die verschiedene Bereiche miteinander vernetzt.
Die ergänzende Struktur zwischen den beiden Bestandeszeilen der ehemaligen BSI, soll genau diese Funktionen ebenfalls übernehmen können. Zusätzlich zur reinen Erschliessung und Vernetzung, sollen sich auf allen Ebenen Aufenthaltsqualitäten für die Bewohnenden, aber auch für die Öffentlichkeit ergeben. So wie die Struktur ein Wechsel zwischen öffentlicheren und privateren Wegen, Treppen und Plätzen ermöglicht und geteilte Flächen anbietet, sollen auch Teile des Arbeits- und Wohnalltags auf der Struktur geteilt werden. Dadurch werden aus den zur Erschliessung dienenden Flächen, Räume in denen gelebt wird und das Stadtgeschehen auch oberhalb des Erdgeschossniveaus seinen Platz findet.
Dadurch dass sich so mehr Menschen am selben Ort befinden, sich begegnen und längere Zeit verbringen, können sich soziale Kontakte und Aktivitäten entwickeln, die letztendlich zu einer offenen und lebendigen Gemeinschaft führen. 40 Es entsteht eine Schwelle zwischen Stadt und Privatheit: Es begegnen sich Bewohner*innen und Fremde zufällig, genau wie im öffentlichen Raum der Strasse. 41 Die Idee sollte so sein, Orte und Raumabfolgen zu schaffen, wo Leute sich treffen können, sei es nun zufällig oder durch ein abgemachtes Treffen, und wo gemeinschaftliche Interessen einen Platz finden, Diskussion und Austausch stattfinden. Diese Funktionen benötigen nicht unbedingt viel Platz, jedoch braucht es dafür Räume, die für die Situation angemessen sind: nicht zu gross, offen zugänglich, einladend, flexibel und divers. 42 Die Aufenthaltsräume entlang der Erschliessung werden zu Möglichkeitsräumen, die durch die Menschen, die sie benutzten angeeignet werden können. Passant*innen können die vorgefundenen Situationen immer wieder neu interpretieren und als Ressource nutzen.
40 Gehl (2020). S.8.
41 Wolfrum (2018). S.79.
42 Hertzberger (2010). S.19-22.
Durch leichte Ausbuchtungen der Struktur ergeben sich so Sitzoder Arbeitsnischen mit kleinen Tischen mit Aussicht auf die Stadt oder das Geschehen entlang der Fassaden und auf den Treppen. Die geschlossene Brüstung in dem Bereich löst nicht nur die Absturzsicherung, sondern sorgt auch für eine gewisse Intimität. Herman Hertzberger verweist dabei auf einen unserer Urinstinkte: Das Bedürfnis der Sicht nach Vorne, bei gleichzeitigem Schutz. 43 An einigen Stellen weitet sich die Struktur gar zu schwebenden Terrassen aus, für Tische, einen Grill oder spontane Konzerte. Im 2. Obergeschoss ergeben sich durch die Pergolen mit Sitzbänken und schützenden Vorhängen zusätzliche flexibel nutzbare, privatere Bereiche. Als mögliche Arbeits und Sitzungsräume in den warmen Jahreszeiten können so Synergien der Gewerbe über den Zwischenraum hinweg genutzt werden. Immer wieder ergänzen Pflanztröge die Struktur. Sie sorgen für ein angenehmes Klima, dienen als Sichtschutz und spenden im Sommer zusätzlich Schatten. Im obersten Geschoss empfängt eine Outdoorbar die Gäste der Veranstaltungssäle. Sitzstufen ersetzen hier Tische und Stühle und ermöglichen gleichzeitig den Blick über die Stadt in Richtung San Salvatore. Die Fensterfronten der Dachgeschosse lassen sich komplett zur Struktur öffnen und erweitern so den Innenbereich in die Öffentlichkeit.
Die Struktur kann so zu einer Bühne für die Stadt und ihre Bewohner*innen werden. Die zugänglichen Flächen können von allen bespielt werden. Wie Walter Benjamin es in Bezug auf Neapel ausdrückte: «Balkon, Vorplatz, Fenster, Torweg, Treppe, Dach sind Schauplatz und Loge zugleich.» 44
Nicht nur in der neuen Struktur, sondern auch entlang von dieser, siedeln sich in den Wohngeschossen halböffentliche Nutzungen an. Im Bereich der Treppen befinden sich von Fassade zu Fassade durchstossende Räumlichkeiten, die die private Wohnfläche ergänzen und gemeinschaftliche Aktivitäten fördern. Man trifft sich häufiger zufällig, und es können nachbarschaftliche Freundschaften entstehen. Sie haben unterschiedliche Funktionen auf den Geschossen und führen dazu, dass man sich immer wieder durch die vernetzende Struktur bewegt. Die Räume verleiten zudem dazu, tägliche Arbeiten im Haushalt und des privaten Lebens, mehr in den öffentlichen Raum zu verlagern. 45 Alle diese Räume verfügen über grosse öffenbare Fronten, sie können also je nach Öffnungsverhalten einen privateren Charakter einnehmen, oder sich als räumliche Erweiterung zur öffentlichen Erschliessung zählen. Unter anderem finden sich so vom Erdgeschoss bis zum Dachgeschoss verteilt entlang der mäandrierenden Erschliessung drei Waschsalons, zwei Fitnessräume, ein Spielzimmer, eine gemeinschaftliche Werkstatt - die zudem auch der Stadtbevölkerung nach Anmeldung offen stehen kann und zwei Arbeitsräume im Sinne von Co-Working Plätzen.
Der vertikale Weg durch den Zwischenraum und die damit verbundenen Nutzungen finden ihren Abschluss in den halböffentlichen und öffentlichen, überhohen Dachräumen, die sich in den Fachwerkträgern der Struktur aufspannen. Hier finden in der südlichen Zeile in abgetreppter Anordnung eine Social Kitchen, ein informeller Raum mit Tischen und einer offenen Küche an der gekocht wird; eine grosszügige mit Sonnensegeln geschützte Terrasse und ein Gewächshaus, mit Gemüse und Früchten für die Social Kitchen, ihren Platz. Die nördliche Zeile öffnet sich durch ihre Nutzung noch klarer für die Öffentlichkeit der Stadt Lugano. Das Foyer Pubblico gegenüber der Social Kitchen kann als Teil der grossen Erschliessungsstruktur gelesen werden. Es ist Innen- und Aussenraum zugleich. Die Nischen, Ecken und Podeste darin können für unterschiedlichste Zwecke temporär angeeignet werden. Der Sala Comune bietet Platz für Workshops, Tagungen, Präsentationen, Vereinsverantstaltungen oder Ausstellungen. Die Tribüne im Sala Culturale lädt dazu ein, kleinere Konzerte oder Theateraufführungen von lokalen Chören, Schulen oder Theatergruppen zu besuchen.
5.7 Zwischen Innen und Aussen
Ob die gemeinschaftlichen Flächen innerhalb der neuen Struktur zum Benutzen einladen, hängt auch von der räumlichen Beziehung zur privaten Umgebung – beispielsweise der Wohnung – und dem Übergang der beiden Bereiche ab. Strenge Grenzen, die ein klares Innen oder Privat und ein klares Aussen oder Öffentlich definieren, sind dabei eher hinderlich. Sie hemmen Personen in die Öffentlichkeit zu gehen, wenn es nicht notwendig ist. 46 Fassaden und Raumschichten, die als poröse Grenzen oder, wie in Kapitel 5.2 eingeführt, Membranen im Sinne von Nischen, vertieften Eingänge oder Bepflanzungen in der Vorzone ausgebildet sind, übernehmen die Funktion eines verbindenden Elements zwischen Innen und Aussen, zwischen Privat und Öffentlich, und erleichtern es den Benutzer*innen zwischen diesen Bereichen hin und her zu wechseln. Eine Entscheidung zwischen den beiden Gegensätzen ist nicht notwendig. 47
Die räumliche Gestaltung der Fassaden bietet zudem die Möglichkeit Aktivitäten und somit auch soziale Beziehungen innerhalb der ergänzenden Struktur zu fördern. 48 Sie sind beliebte Aufenthaltsbereiche entlang von Gebäuden, da sie die Qualitäten von Innen und Aussen miteinander vereinen: Man kann beide Bereiche überblicken, dabei eine gewisse Distanz zu Fremden und Schutz wahren, und geniesst gleichzeitig einen guten Überblick. Notwendig dafür sind räumliche Anregungen, die die Bewohner*innen dazu ermutigen ihren Wohnbereich auf den öffentlichen Raum auszudehnen und so wiederum der öffentliche Raum an Qualität und Leben gewinnt. 49 Diese Schwellenräume sind dabei für soziale Kontakte genauso wichtig, wie es schützende Wände für die Privatsphäre sind. 50
46 Gehl (2020). S.109.
47 Gehl (2020). S.109.
48 Gehl (2020). S.89.
49 Hertzberger (2009). S.41.
50 Hertzberger (2009). S.35.
Abb. 69. Fassade des Zwischenraums: Arkaden mit Sitzgelegenheiten im Erdgeschoss, Nischen und Aufenthaltsbereiche in den oberen Geschossen
Im Erdgeschoss des Projekts am Cappuccine bilden die bestehenden Stützen eine Übergangszone zwischen den neuen Fassaden und dem Haltestellenraum des Trams in Form eines Arkadenraumes. Dieser bricht mit der strikten Trennung zwischen Aussen- und Innenraum, in dem er beide Bereiche verbindet. 51 Die Arkade bietet einerseits Schutz vor Witterung und andererseits ergeben sich Möglichkeiten zum Stehen und Verweilen. Nach Jan Gehl müssen Plätze zum Anhalten nämlich erst gefunden werden. Nicht jeder Raum lädt zum Stehen und Warten ein: Säulen oder Pfeiler jedoch können zu physischen Stützen und Rückzugsbereichen werden, in dem man sich daran anlehnt oder zumindest nicht frei im Raum stehen muss. 52 Das urmenschliche Bedürfnis nach guter Sicht bei gleichzeitigem Schutz ist dadurch gegeben.
Die Werkstätten, Verkaufsflächen und Atelierwohnungen im Erdund 1. Obergeschoss verfügen über ein multifunktionales Schaufenster, welches die Funktion eines vermittelnden Elements zwischen Aussen- und Innenraum übernimmt. Das mit einem Faltfenster oder Hebefenster ausgestattete und 80cm tiefe Fenster lässt sich vollständig öffnen. Die auf Sitzhöhe geplante Brüstung kann bei geöffnetem Zustand als Sitzbank genutzt werden, mit einem kleinen Tisch ergänzt wird das Fenster zum Aufenthaltsbereich entlang des Laubenganges. In geschlossenem Zustand können hier die Werkstücke ausgestellt werden. Visuell bleibt die Verbindung zwischen innen und aussen vorhanden. Denn sehen zu können, was sich im öffentlichen Raum abspielt, kann ebenfalls dazu anregen sich dazuzugesellen. 53
Die bestehenden Kerne werden zu zweigeschossigen Maisonettewohnungen umgenutzt. Ihre Erschliessung funktioniert jeweils halbgeschossig versetzt zu den Laubengängen über eine Treppe entlang der Fassaden. Dieser Höhenversatz erzeugt zum einen Privatsphäre für die Wohneinheiten, andererseits erweitert sie den privaten Wohnbereich auf die Treppe hinaus. Ob als Platz für Topfpflanzen oder als Ort, an dem man sich im Sitzen die Schuhe anzieht. Wie Jan Gehl es formulierte: «Die Eingangsstufen sind der natürlichste Platz zum Verweilen vor der eigenen Wohnung.» 54 Der Schwellenraum zwischen Innen und Aussen erweitert sich durch die Stufen auch in die Vertikale entlang der Fassade.
Die erschliessenden Laubengänge in den oberen Geschossen sind charakterisiert durch Vor- und Rücksprünge der Fassaden. Leicht vorstehende Eingangsbereiche werden entlang der Laube mit Sitzbänken ergänzt. Diese schaffen eine räumliche Distanz, eine Schwelle zum privaten Innenraum, und gleichzeitig die Möglichkeit mehr Leben aus der Wohnung vor die Türe zu verlegen. Denn «Da, wo sich etwas abspielt, möchte man innehalten und zuschauen, und das ist schon Grund genug, zu versuchen, die Architektur zur Vermehrung der Sitzgelegenheiten beitragen zu lassen.» 55 Die Sitzflächen sind bewusst zwischen jeweils zwei Wohnungen gespannt. So kann die Fläche von beiden Seiten aus bespielt werden und es können Konversationen zwischen Nachbaren gefördert werden. Vielleicht wird die Bank aber auch zu einem Blumenfenster, oder dem Ort, an dem man die Einkaufstüten abstellt, wenn man nach Hause kommt.
Zwischen den Eingangsbereichen springt die Fassade in Form einer grossen Fensterfront zurück. Die so entstehende Nische pro Wohneinheit ist schützende Vorzone und halbprivater Aussenraum zugleich. Der Punkt dabei ist eigentlich der, dass diese Nischen theoretisch gesehen zwar noch zur Erschliessungsfläche gehören, jedoch aufgrund ihrer räumlichen Abgeschlossenheit auch als privat gelesen werden können. Es ist daher akzeptabel, sie von beiden Seiten her zu nutzen und die Zugehörigkeit auch immer wieder neu zu verhandeln. 56
54 Gehl (2020). S.145.
55 Hertzberger (1995). S.182.
56 Architecture and Education, 2022.
Im Gegensatz zu den Vele in Neapel sind so im Projekt für den Perimeter der ehemaligen BSI die Aussenräume und Wohnungen bewusst zur aktiven Gemeinschaftszone hin orientiert. Es entsteht die Möglichkeit zur Offenheit und Durchlässigkeit zwischen öffentlichen und privaten Räumen. Raumhohe Faltfenster und Vorhänge entlang der Nischen erlauben Abstufungen und eine Regelung der Privatsphäre. Die Aktivitäten der privaten Wohnung können, bei kompletter Öffnung, frei nach aussen fliessen. Wie auch beim Beispiel in Neapel kann so die Erschliessungsstruktur durch die Bewohnenden angeeignet werden und es entstehen abwechslungsreiche und identitätsstiftende Fassadenabschnitte, die den Gebäudezwischenraum zusätzlich beleben. An einem Ort wird vielleicht eine Hängematte aufgehängt, eine Wohnung weiter steht ein Töggelikasten, der von immer anderen Personen bespielt wird oder die Einsicht in die Wohnräume wird durch einen üppigen Urwald an unterschiedlichen Topfpflanzen verdeckt.
5.8 Home-Base
Ganz im Sinne einer diversen und offenporigen Stadtentwicklung wird auch bewusst auf verschiedene Wohnungstypen wertgelegt. Neben den verschiedenen Gewerbe-, Atelier-, Werkstatt- und öffentlichen Flächen sprechen sie unterschiedliche Personen in unterschiedlichen Lebenslagen und Altersstufen an. So kann innerhalb des neu entwickelten Gebiets eine heterogene und lebendige Wohnkultur entstehen, die auch zu Austausch und Diskussion anregt.
Die Grundrisse bauen auf der Bestandesstruktur mit massivem Kern und dazwischen gespanntem Stützen-Platten-System auf und nutzen die jeweiligen räumlichen Eigenheiten. Es ergeben sich dadurch zwei vom Grundsatz her stark unterscheidende Wohnungstypen.
Die Stützen-Platten-Struktur lädt dazu ein, flexible und frei einteilbare Einheiten zu entwerfen, welche sich rund um die acht bestehenden Stützen entwickeln. Richard Sennett führt dazu im Zusammenhang mit der von ihm geforderten Durchlässigkeit die Bezeichnung der Schale ein: «Schalen schaffen Formen, deren Möglichkeiten sich nicht in einer im Voraus festgelegten Konfiguration erschöpfen. Die Schale sorgt so für Durchlässigkeit innerhalb des Gebäudes, da es nur wenige Barrieren gibt. Sie laden zum Weiterdenken und Verändern ein.» 57
So entstehen in diesen Bereichen funktionsoffene Einheiten, welche sowohl zur gewerblichen Nutzung, als auch zum Wohnen dienen können. Dies auch um die Heterogenität und eine Funktionsüberlagerung auf den Geschossen zu fördern. Das Prinzip der Funktionsmischung ist dabei eine der Voraussetzungen für die Integration von verschiedenen Menschen und Aktivitäten, welche sich über den gesamten Tag verteilen und so die öffentlichen und halböffentlichen Flächen rund um die Uhr beleben. 58
Die Einheiten entwickeln sich um sechs frei in die bestehende Struktur gestellte Trennwände aus Blockholz. Diese trennen grundsätzlich drei kleinteilige Wohn- oder Gewerbeflächen voneinander ab, die vom Gebäudezwischenraum an die Aussenfassaden durchstossen. Durch die freie Setzung der Wände sind die Einheiten jedoch mit einfachen Mitteln zu einem fliessenden Raum zusammenschaltbar. Dies erhöht die gegebene Flexibilität und Durchlässigkeit zusätzlich und fördert eine langfristige Nutzbarkeit der Flächen. Je nach Nutzung und Wohn- oder Arbeitslayout ergänzen reversible Wände aus Blockholzplatten die Grundrisse und unterteilen die Flächen in kleinere Räume und Nischen.
Wie auch bereits im Aussenraum sind auch innerhalb der Wohnungen geschützte Bereiche notwendig. Ich mag dabei die Umschreibung von Herman Hertzberger: Es kann keine Abenteuer geben, ohne eine Home-Base in die man zurückkehren kann. 59 Ein Ort, an dem man sich wohlfühlen und alleine zurückziehen kann. Ein Ort, der somit die Grundlage dafür bildet, dass man überhaupt mit anderen Interagieren kann. 60 Durch den Einsatz von grossformatigen Drehtüren sind die Wohnungsgrundrisse private Kammern und Loft zugleich. Sie lassen den Übergang zwischen den gemeinschaftlich genutzten Räumen und dem privaten Zimmer flexibel steuern. Sind sie komplett geöffnet, ergibt sich ein Schwellenraum, der von beiden Seiten aus bespielt werden kann: Als eine Erweiterung des Kinder- oder Schlafzimmers, oder als zur Vergrösserung des Wohnzimmers. Alle Räume können gemeinschaftlich genutzt werden, oder aber als intimer, geschützter Rückzugsort.
Wenn man in einer kleineren Wohnung lebt, wird die Beziehung zu den aneigenbaren Aussenflächen in der Struktur und den gemeinschaftlichen Räumen entlang der Treppen stärker. Nutzungen, die in der eigenen Wohnung auf Grund der Grösse nicht möglich sind, werden in den öffentlichen Raum verlagert. Einerseits durch die in Kapitel 5.5 erwähnten gemeinschaftlichen Nutzungen, andererseits aber auch durch die Möglichkeit, die Wohnfläche bei steigenden Temperaturen durch die Faltfenster auf die Laube hinaus zu erweitern. Die Grenze zwischen Privat und Öffentlich verschwimmt für eine gewisse Zeit.
Die Grundrisse sind geprägt von der bestehenden Treppe innerhalb des Kerns, sowie den grossen vertikalen Steigzonen und Liftschächten. Die bestehende Treppe wird zum Hauptelement der Maisonettewohnungen, ganz nach dem Wunsch von Georges Perec, der wie in Kapitel 5.5 eingeführt das Leben wieder mehr auf die vertikale Erschliessung verlegen möchte. Es wird um und auf der Treppe gelebt: Die Garderobe findet sich auf dem ersten Treppenpodest, eine Arbeitsnische auf dem zweiten. Das Bett im Kinder- oder Gästezimmer findet leicht erhöht in einer Nische auf dem bestehenden Treppenlauf Platz. Die Küche und der Wohnraum sind über den Luftraum der ehemaligen Steigzonen mit dem oberen Schlafzimmer verbunden. Faltelemente im Schlafzimmer lassen hier wiederum eine Regulierung des Öffnungsverhaltens zwischen den beiden Zonen zu. Wie Georg Simmel es ausdrückte: «Because the human being is the connecting creature who must always separate and cannot connect without separating.» 61
Während sich die durchgesteckten Wohnungen bewusst horizontal ausbreiten und die Konfrontation mit dem öffentlichen Raum suchen, sind die Kerne durch ihre strukturelle Ausformulierung mit massiven, grösstenteils geschlossenen Aussenwänden introvertiert. Sie spielen bewusst mit dem Bedürfnis nach Schutz und Rückzug und öffnen sich nur mit Sichtbezügen durch runde Fenster und den höhenversetzten Zugang zum Laubengang zum Gebäudezwischenraum.
Abb. 85. Grundrissvariation mit angrenzenden Aussen- und Erschliessungsräumen in der Struktur des Zwischenraumes im 4. Obergeschoss
Mein persönliches Erleben der Stadt Lugano und deren öffentlichen Räume und die Diskrepanz zum Empfinden von Einheimischen, allen voran Mario Botta, legten den Grundstein für diese Thesisarbeit und der Auseinandersetzung mit dem Potential und der Wichtigkeit von öffentlichen Räumen innerhalb einer Stadt, ihren Übergängen und Schwellenräumen. Und nicht zuletzt auch mit den sozialen Interaktionen, die sich durch eben diese Räume ergeben oder eben nicht ergeben können. Mario Botta selbst umschrieb das ganz schön: «Die Stadt ist die leistungsfähigste, schönste, flexibelste und intelligenteste Form der menschlichen Ansammlung, die dem Menschen bekannt ist. Es gibt keine andere Form menschlicher Zusammenballung, die es ermöglicht, das schreckliche Gefühl der Einsamkeit und der Abgeschiedenheit zu leben und zu überwinden, und die sich gleichzeitig dem sozialen Leben - der Mensch ist schliesslich ein soziales Tier - so frei öffnet wie die Stadt.» 62
Vieles dreht sich im Moment darum, wie wir in Zukunft in unseren Städten leben wollen. Die Gesellschaft ist in einem ständigen Wandel, das Zusammenleben verändert sich. Während unserer Arbeit fokussieren wir uns meist auf die Architektur als Objekt, die Bauten selbst. Für mich waren die letzten knapp vier Monate der Versuch einer Umkehrung dieser Herangehensweise. Ich bin von dem ausgegangen, was zwischen den Gebäuden übrig bleibt, dem Raum zwischen den Häusern, zu dem sich auch der öffentliche Raum zählt. Es war für mich eine Suche danach, wie der Zwischenraum und seine Übergangszonen eine mögliche Antwort darauf geben könnte, wie wir in Zukunft zusammenleben wollen.
Ausgehend vom Massstab der Stadt und der Feststellung der fehlenden Vernetzung habe ich mich mit Hilfe der Theorien von Richard Sennett, Herman Hertzberger und Jan Gehl, sowie dem Essay Neapel von Walter Benjamin in immer kleiner werdenden Massstäben mit Räumen befasst, die Menschen zusammenbringen können. Dabei stand zwar jeweils die Öffnung und Verwebung von verschiedenen Bereichen im Zeichen der Gemeinschaft und der sozialen Interaktion im Vordergrund, jedoch immer auch das Bewusstsein dafür, dass das Bedürfnis nach Privatheit genauso allgegenwertig ist, wie das nach dem Zusammensein. Das eine kann ohne das andere gar nicht existieren. Die Übergänge dazwischen sind entscheidend. Gebäude und öffentliche Räume dürfen porös sein, ausfransen und ineinander übergehen. Sie sollten es sogar. Denn genau diese räumlichen Situationen werden zu vermittelnden Elementen und sorgen dafür, dass sowohl der privatere Bereich, als auch der öffentliche gerne genutzt werden. Funktionierende gemeinschaftliche Räume brauchen immer Ambivalenzen, Eigenheiten, die sie aneigenbar und heterogen belassen, wie unsere Gesellschaft ist. Oftmals sind es wohl Nuancen, die den Unterschied machen: Sitzgelegenheiten entlang von Plätzen, Nischen entlang einer Fassade, eine Säule an die man sich anlehnen kann oder eine Zimmertür, die geschlossen werden kann.
Heute, nach diesen vier Monaten, glaube ich, dass die Verantwortung dafür, wie unsere Architektur in Zukunft aussehen und wirken sollte nicht nur eine ist, die sich mit materiellen Ressourcen, einem nachhaltigen Umgang mit bestehender Bausubstanz und Suffizienz auseinandersetzt, sondern vor allem auch eine, die sich um die wichtigste Ressource einer Stadt, eines Ortes auseinandersetzen sollte: mit dem Zusammenleben von uns Menschen selbst. Diese Arbeit war mein Weg, mich genau diesem Thema zu widmen und wohl auch der Ausgangspunkt, mich - um es mit den Worten von Mario Botta zu sagen - auch in Zukunft für eine Architektur «mit Orten für ein Zusammenkommen, für Austausch und Diskussionen» einzusetzen. 63
7 Literaturliste
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Abb.1: Malerischer Blick über Lugano in Richtung Monte San Salvatore, Kunstwerk von Daniele Buzzi, ca. 1945. Aus: https://www.1stdibs.com/en-gb/ furniture/wall-decorations/posters/ original-vintage-poster-lake-lugano-swiss-riviera-sailing-mountains-travel-art/id-f_21415432/ (10.11.22)
Abb.2: Stahlstich nach William Henry Bartlett, 1834. Aus: https://www. kunstfreund.eu/Lugano-Gesamtansicht-Lugano-Canton-Tessin (16.12.22)
Abb.3: Luftbild Lugano. Aus: https://map. geo.admin.ch (16.12.22)
Abb.4: Funicolare degli Angioli und eines der im 18. Jahrhundert gebauten Hotels. Aus: https://www.luganocultura.ch/ oggetti/2271-hotel-bristol-e-funicolare-degli-angeli-a-lugano?i=35 (17.12.22)
Abb. 5: Voraussichtliche Bevölkerungsentwicklung in den verschiedenen Regionen der Schweiz. Aus: Entwicklung - Referenzszenario 2020-2050 Bundesamt für Statistik Schweiz, herausgegeben am 27.11.2020.
Abb.6: Planausschnitt des Projektes zum Ausbau des öffentlichen Verkehrsnetzes. Aus: Semesterunterlagen Hochschule Luzern Technik & Architektur.
Abb.7: Luftbild Lugano. Aus: https://map. geo.admin.ch (16.12.22)
Abb.8: Das Instituto femminile Sant'Anna von der Cantonale aus gesehen. Aus: Historisches Archiv Lugano.
Abb.9: Skizze: Städtebauliche Situation der Mädchenschule. Aus: Eigene Darstellung.
Abb.10: Skizze: Vernetzung mit dem Stadtgefüge durch öffentliche Aussenräume und Wegverbindungen. Aus: Eigene Darstellung.
Abb.10: Skizze: Erneute Privatisierung des Areals durch die Nutzung der BSI. Aus: Eigene Darstellung.
Abb.12: Skizze: Impressionen des Perimeters. Aus: Eigene Fotografie.
Abb.13: Umliegende Stadtteile um den Perimeter. Eigene Darstellung.
Abb.14: Historischer Kern - Via Cattedrale. Aus: https://www.pinterest.ch/ pin/275634439671498414/ (17.12.22.)
Abb.15: Wohngebiet: Blick in den Salita dei Frati. Aus: Eigene Fotografie.
Abb.16: Gewerbegebiet: Blick in die Via Emilio Bossi. Aus: Eigene Fotografie.
Abb.17: Skizze: Durchdringung des Baukörpers durch den öffentlichen Raum. Aus: Eigene Darstellung.
Abb.18: Situative Eindrücke aus dem historischen Kern. Aus: Eigene Fotografien.
Abb.19: Skizze: Strassenraum endet an Gartenmauern, Hecken oder Zäunen. Aus: Eigene Darstellung.
Abb.20: Situative Eindrücke aus dem Wohngebiet. Aus: Eigene Fotografien.
Abb.21: Skizze: Orthogonale Baukörper definieren einen breiten, wenig belebten Strassenraum. Aus: Eigene Darstellung.
Abb.22: Situative Eindrücke aus dem Gewerbegebiet. Aus: Eigene Fotografien.
Abb.23: Schwarzplan Lugano. Aus: Eigene Darstellung.
Abb.24: Darstellung der öffentlich zugänglichen Räume Luganos. Aus: Eigene Darstellung.
Abb.25: Vernetzung des Komplexes mit dem bestehenden Stadtgefüge. Aus: Eigene Darstellung.
Abb.26: Graphische Interpretation einer Grenze nach Richard Sennett. Aus: Eigene Darstellung.
Abb.27: Graphische Interpretation eines Saumes nach Richard Sennett. Aus: Eigene Darstellung.
Abb.28: Lithographie «Relativity» von M.C. Escher, 1953. Aus: https://moa.byu. edu/m-c-eschers-relativity/ (25.11.22)
Abb.29: Situationsplan der neuen Wegverbindungen als Vernetzung mit dem bestehenden Stadtgefüge. Eigene Darstellung.
Abb.30: Gegenüberstellung Bestand und Öffnung an der Via Cattedrale. Aus: Eigene Darstellung.
Abb.31: Gegenüberstellung Bestand und Öffnung an der Via Antonio Galli in Richtung der Wohngebäude von Claudio Pellegrini. Aus: Eigene Darstellung.
Abb.32: Gegenüberstellung Bestand und Öffnung am Salita M. e A. Chiattone in Richtung des privaten Innenhofes des jetzigen Manora-Restaurants. Aus: Eigene Darstellung.
Abb.33: Gegenüberstellung Bestand und Öffnung an der Via Pietro Peri. Aus: Eigene Darstellung.
Abb.34: Gegenüberstellung Bestand und Öffnung des Innenhofesdes ehemaligen Klosters S. Caterina. Aus: Eigene Darstellung.
Abb.35: Erdgeschoss mit neuer Durchwegung und Anschlüssen an die bestehenden Wege und Treppen. Aus: Eigene Darstellung.
Abb.36: 1. Obergeschoss mit neuer Durchwegung und Anschlüssen an die bestehenden Wege und Treppen. Aus: Eigene Darstellung.
Abb.37: 2. Obergeschoss mit neuer Durchwegung und Anschlüssen an die bestehenden Wege und Treppen. Aus: Eigene Darstellung.
Abb.38: Werkgasse mit Blick in Richtung Haltestelle Cappuccine. Aus: Eigene Darstellung.
Abb.39: London Court, Perth. Aus: https://www.museumofperth.com.au/ london-court (16.12.22)
Abb.40: Sitzmöglichkeiten an der Piazza Sant'Anna mit Blick auf das Café. Aus: Eigene Darstellung.
Abb.41: La Défense, Paris: Möglichkeitsraum durch Grosszügigkeit, bei gleichzeitiger Bespielung und räumliche Begrenzung durch Treppe. Aus: https:// siegerarchphoto.com/grande-arche-dela-defense (26.12.22)
Abb.42: Haltestelle Cappuccine mit Blick in die überspannende Struktur. Aus: Eigene Darstellung.
Abb.43: Blick von der Erschliessungsstrasse zur Casa Bianchi, die zum Eingang führende Brücke im Vordergrund. Aus: https://archeyes.com/ bianchi-house-at-riva-san-vitale-mariobotta/(26.12.22)
Abb.44: Schnittfigur der Casa Bianchi. Aus: https://archeyes.com/bianchihouse-at-riva-san-vitale-mario-botta/ (26.12.22)
Abb.45: Südfassade: Weganknüpfungspunkte auf den verschiedenen Terrainniveaus. Aus: Eigene Darstellung.
Abb.46: Schematische Darstellung der ergänzenden Struktur. Aus: Eigene Darstellung.
Abb.47: Vele di Scampia am Stadtrand von Neapel. Aus: https://www.italynotes. com/stories/le-vele-di-scampia (26.12.22)
Abb.48: Detailansicht der Erschliessungsstruktur. Aus: https://www. italynotes.com/stories/le-vele-discampia (26.12.22)
Abb.49: Exemplarischer Wohnungsgrundriss mit Ausrichtung weg vom Zwischenraum. Aus: https://vebuka.com/ print/110902165011-54bfe4b1894940b/ Vele_di_Scampia (23.12.22)
Abb.50: Blick in die Pasaje General Paz in Buenos Aires mit seitlichen Erschliessungen und verbindenden Podesten. Aus: http://www.openhousebsas.org/ pasaje-general-paz (17.12.22)
Abb.51: Querschnitt mit mittiger Erschliessungsfigur. Aus: Eigene Darstellung.
Abb.52: Schematische Darstellung der vertikalen Wegführung. Aus: Eigene Darstellung.
Abb.53: Blickbezüge innerhalb der Struktur. Aus: Eigene Darstellung.
Abb.54: Visualisierung der erschliessenden Struktur mit unterschiedlichen räumlichen Qualitäten. Aus: Eigene Darstellung.
Abb.55: Stufen vor der New York Public Library werden auf unterschiedlichste Weise zum Sitzen und Verweilen genutzt. Aus: https://commons. wikimedia.org/wiki/File:%28NEW_ YORK_PUBLIC_
LIBRARY%29_%282987740376%29.jpg (23.12.22)
Abb.56: Lithographie «Relativity» von M.C. Escher, 1953. Aus: https://moa.byu. edu/m-c-eschers-relativity/ (25.11.22)
Abb.57: Perspektive und Grundrissausschnitt Pergola. Aus: Eigene Darstellung.
Abb.58: Perspektive und Grundrissausschnitt Sitzstufe. Aus: Eigene Darstellung.
Abb.59: Perspektive und Grundrissausschnitt Tisch entlang der Struktur. Aus: Eigene Darstellung.
Abb.60: Gemeinschaftlicher Waschsalon und Spielzimmer. Aus: Eigene Darstellung.
Abb.61: Gemeinschaftliches Arbeitszimmer und Fitnessraum. Aus: Eigene Darstellung.
Abb.62: Gemeinschaftliche Werkstatt im 1. Obergeschoss. Aus: Eigene Darstellung.
Abb.63: Grundriss Dachgeschossnutzungen vom 6. bis ins 8. Obergeschoss. Aus: Eigene Darstellung.
Abb.64: Gewächshaus im Dachgeschoss der südlichen Zeile mit Zugang zur Gemeinschaftsterrasse. Aus: Eigene Darstellung.
Abb.65: Längsschnitt durch die Dachgeschossnutzungen. Aus: Eigene Darstellung.
Abb.66: Eingangssituation in Lugano. Aus: Eigene Fotografie.
Abb.67: Skizze: Abschotten, Aktivitäten wenden sich vom Zwischenraum ab. Aus: Eigene Darstellung.
Abb.68: Skizze: Öffnen, Nutzungen öffnen sich zum Zwischenraum. Aus: Eigene Darstellung.
Abb.69: Fassade Zwischenraum. Aus: Eigene Darstellung.
Abb.70: Arkadenraum im Erdgeschoss entlang der Tramhaltestelle. Aus: Eigene Darstellung.
Abb.71: Grundrissausschnitt der Arkade entlang der Haltestelle. Aus: Eigene Darstellung.
Abb.72: Grundrissausschnitt der Schaufenster im 1. Obergeschoss. Aus: Eigene Darstellung.
Abb.73: Tiefes Schaufenster der Atelier- und Werkstatträume im 1. Obergeschoss. Aus: Eigene Darstellung.
Abb.74: Grundrissausschnitt der Treppenzugänge zu den Maisonettewohnungen. Aus: Eigene Darstellung.
Abb.75: Grundrissausschnitt der Nischensituationen am Laubengang. Aus: Eigene Darstellung.
Abb.76: Nischenräume als Eingangsund Aussenbereiche der Wohnungen in den Obergeschossen. Aus: Eigene Darstellung.
Abb.77: Schematische Darstellung des Bestandesgrundrisses Stützen-Platten. Aus: Eigene Darstellung.
Abb.78: Konzeptskizze Grundriss Stützen-Platten. Aus: Eigene Darstellung.
Abb.79: Mögliche Grundrissvariante im 4. Obergeschoss. Aus: Eigene Darstellung.
Abb.80: Visualisierung Grundriss Kammern. Aus: Eigene Darstellung.
Abb.81: Visualisierung Grundriss Loft. Aus: Eigene Darstellung.
Abb.82: Grundriss der Maisonettewohnungen im Kern. Aus: Eigene Darstellung.
Abb.83: Schematische Darstellung des Bestandesgrundrisses Kern. Aus: Eigene Darstellung.
Abb.84: Axonometrie der Maisonettewohnung innerhalb der Bestandesstruktur. Aus: Eigene Darstellung.
Abb.85: Grundrissvariation mit angrenzenden Aussen- und Erschliessungsräumen in der Struktur des Zwischenraumes im 4.Obergeschoss. Aus: Eigene Darstellung.
9 Redlichkeitserklärung
Hiermit versichere ich, dass die vorliegende Arbeit mit dem Titel: Zwischen Zeilen
Über die öffentlichen Räume Luganos und ihre Potentiale selbstständig durch mich verfasst worden ist, dass keine anderen Quellen und Hilfsmittel als die angegebenen benutzt worden sind und dass die Stellen der Arbeit, die anderen Werken - auch elektronischen Medien - dem Wortlaut oder Sinn nach entnommen wurden, unter Angabe der Quelle als Entlehnung kenntlich gemacht worden sind.
Baer Rebecca
Baar, 12.01.2023
Über die öffentlichen Räume Luganos und ihre Potentiale