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3.2 Geschichtliche Entwicklung
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4 Bahnhof
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Bis über das Mittelalter hinaus bestand der Stadtkern von Lugano aus sechs Stadtbereichen und entwickelte sich über ein Strassennetz, welches in verschiedenen Richtungen zu den Stadttoren von Santa Margherita, Cappuccine, degli Angeli und San Lorenzo führte. Die Porta delle Cappuccine stand dabei an der Einmündung der heutigen Via Pietro Peri in die Via Cantonale. Vor diesem Tor gründeten die Humiliaten im 14. Jahrhundert das Kloster S. Caterina, sowie die zugehörige Kirche Santa Maria Immacolata. 1747 entstand in direkter Nachbarschaft, auf der gegenüberliegenden Seite der Via Cantonale das Kloster S. Giuseppe. 14
Nach der Auflösung des Klosters S. Caterina wurde das von den Schwestern vom Heiligen Kreuz in Menzingen (ZG) geführte Istituto femminile Sant’Anna – eine katholische Mädchenschule – von der Via Nassa an die Via Peri verlegt. Bis 1910 wurden durch den St. Galler Architekten August Hardegger diverse Umbauten an dem bestehenden Gebäude vorgenommen, sowie ein Erweiterungsbau erstellt, in dem sich fortan die Schulräumlichkeiten, sowie die Schlafsäle der Mädchen befanden. Das ursprünglich dreistöckige Gebäude wurde so einerseits auf vier Geschosse aufgestockt und um kolossale korinthische Säulen ergänzt und erhielt andererseits einen rechtwinkligen Nordflügel mit abgefaster Ecke an der Kurve der Via Cantonale. Dieser fasste zugleich den grossen privaten Hof an der Rückseite des Gebäudes, welcher direkt an den sich über den Hang erstreckenden weitläufigen Garten des Klosters und der Schule anschloss. Durch die U-Form des Gebäudes und die private Nutzung grenzte sich das Gebiet sowohl während der Nutzung als Kloster, als auch während der Phase des Mädcheninstituts stark vom umliegenden Stadtgefüge
Nach der Schliessung der Schule und deren Abbruch in den 70er Jahren gewann Claudio Pellegrini 1973 den Wettbewerb eines privaten Investors zur Überbauung des Areals. Die Öffnung zur Stadt und die Möglichkeit einer Durchwegung waren dabei wichtige Entwurfselemente und prägen die Setzung des Ensembles aus den zwei am Hang gelegenen Wohnkomplexen und dem zweizeiligen Ost-West ausgerichteten Bürogebäude angrenzend an die Via Cantonale. Während das Projekt bei der Baueingabe 1975 noch Abstand hielt zur Kernzone, wächst der 1983 fertiggestellte Bürobau mit dem angrenzenden, historischen Gebäudekomplex zusammen. Die beiden Zeilenbauten fügen sich aus jeweils 3 sogenannten Blöcken aus einer Stützen-Platten-Struktur und dazwischen gespannten massiven Erschliessungs- und Infrastrukturkernen. Die Gebäudeteile sind stark im Schnitt gedacht und suchen auf mehreren Ebenen den Bezug zum umliegenden Terrain. Obwohl die beiden Zeilen grundsätzlich gleich gedacht sind, ergeben sich durch die Ausrichtung, die Reaktion auf den historischen Bestand bei der südlichen Zeile und die um eine Achse zueinander verschobene Setzung unterschiedliche räumliche Qualitäten. Terrassierte Freiräume im Zwischenraum der Zeilen wirken als verbindendes Element. Im Erdgeschoss fanden verschiedene Läden und ein Restaurant ihren Platz, in den Obergeschossen mieteten sich unterschiedliche Büros ein. Der neu entstandene öffentliche Fussweg durch das Gebiet Sant‘Anna und die sogenannte Piazza angrenzend an die Via Cantonale verzeichneten eine hohe Frequentierung.
Die anfangs eingemietete BSI kaufte nach und nach den gesamten Gebäudekomplex. Das Restaurant im EG wurde geschlossen und aus vielen verschiedenen Gebäudenutzern wurde eine homogene, eher introvertierte Büronutzung. Während in der Anfangszeit die Durchwegung auch aufgrund der unterschiedlichen eingemieteten Gewerbe und Büros gut funktionierte und der öffentliche Raum entsprechend frequentiert war, verwahrloste der Gebäudezwischenraum durch die alleinige Nutzung durch die BSI zunehmend. Aufgrund der darauffolgenden unerwünschten Nutzung der öffentlichen Durchwegung als nächtlicher Aufenthalts- und Rückzugsort wurde das Areal in der Folge privatisiert. Nach der Auflösung der BSI 2016 steht das Gebäude bis heute leer. Zäune und Tore verhindern das Betreten des Perimeters.
«Entwerfen kann nichts anderes sein als Fortbauen auf dem Darunterliegenden und es sozusagen verbauen. Der Gedanke, jemals von einem unbeschriebenen weissen Blatt auszugehen und dieses vermeintlich mit unwirklichen und sterilen Konstruktionen zu füllen, ist unsinnig und hat auch negative Folgen.»
Herman Hertzberger Strukturalismus in Architektur und Städtebau
3.3 Vision
Die jetzige Bebauung wurde von Architekt Pellegrini als durchlässiger und multifunktionaler Teil des Stadtnetzwerks mit öffentlicher Erschliessung geplant – ganz im Gegensatz zur früheren Entwicklung als Kloster und Mädchenschule und zur jetzigen Situation als privatisiertes und wenig belebtes Stück Freiraum inmitten der Stadt. Heute zeichnet sich das Bild einer Sackgasse zwischen den Gebäuden. Für die neue Tramlinie der RTTL müssen die gemeinschaftlichen und auf mehreren Ebenen angelegten Bereiche zwischen den beiden Zeilenbauten fast komplett rückgebaut werden. Dies führt zum einen dazu, dass die zwei Gebäudeteile komplett voneinander getrennt werden – das Ensemble und der mittige Freiraum wird durchschnitten – und zum anderen, dass der gesamte durchgängige Raum im Erdgeschoss und somit auch die vormalig öffentliche Nutzung dieser Flächen verloren geht – aus der jetzigen Piazza wird ein Gleisbett.
Mit der in dieser Thesisarbeit angedachten Umnutzung und dem Neudenken des Gebiets und der bestehenden Gebäudesubstanz soll dieser Entwicklung entgegengewirkt werden. Die Lage des Perimeters angrenzend an den historischen Ortskern, das am Hang gelegene Wohngebiet und das Gewerbegebiet in Richtung Molino Nuovo, sowie als Startpunkt der Öffnung zum Valle del Vedeggio durch das Tram, weist dem Areal der ehemaligen BSI eine strategisch wichtige Rolle innerhalb des Stadtgefüges zu. Der Perimeter mit dem Bestandesgebäude hat auf verschiedensten Ebenen das Potential durch das Anbieten von neuen Wegverbindungen, öffentlichen Nutzungen und gemeinschaftlichen Aussenund Innenräumen auf verschiedenen Ebenen eine vernetzende Funktion in der Stadt Lugano zu übernehmen. So kann langfristig ein belebtes Stück Stadt mit Raum für Diskussion, Austausch und Aneignung entstehen, wie es Architekt Mario Botta forderte.