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Rückblicke auf den alten Friedhof
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ie Geschichte des alten Friedhofs ist d ie G e s c h ic hte de r G emei nde Unterh au s e n, denn der Friedhof, die Stätte der Verstorbenen, war mit dem Dasein der Lebenden unmittelbar gegeben und blieb mit ihm verbunden, wie er auch in ihrer nächsten Nähe angelegt wurde. Wenn wir nach den Anfängen des alten Friedhofs fragen, müssen wir auch die Anfänge der Gemeinde kurz ins Auge fassen. Wer auf einen alten Friedhof zurückschaut, stellt sich ohnehin auf eine höhere Warte. Er sieht die Geschlechter kommen und gehen und überschaut Jahrhunderte, vielleicht Jahrtausende. Die Gemeinde Unterhausen ist ein Teil der alten Hauptgemeinde, die das ganze obere Echaztal einst umfasste. Als die alten Germanen von diesem schönen Tale Besitz ergriffen, ließen sie sich zunächst nieder, wo ein größerer anbaufähiger Boden zur Verfügung stand, in der breiteren Talmulde Pfullingen. Die Markung reichte aber bis nach Engstingen hinauf. Haupt und Führer und Vater dieser Urgemeinde, der Schwabe Phulo, wurde der Vater des ganzen Tales. Die Glieder der Anfangsgemeinde Pfullingen, gegründet ums Jahr 300 unserer Zeitrechnung, wurden zahlreicher, im oberen Tale winkte weiterer Boden zur Besiedlung und Anpflanzung und so entstanden die Gemeinden Hausen und Honau. Das mag ein paar Jahrhunderte nachher geschehen sein. Durch Geschick und Tatkraft waren einzelne Familien zu größerem Eigentum, zu zahlreicherem Herdenbesitz gekommen. Sie hatten damit ein weitergehendes Bedürfnis und Recht auf Weide und Wald der Allgemeinheit gewonnen und so wurde ihren Nachgeborenen freier Boden des oberen Tales zugewiesen. Als begüterte Mannen bauten sie sich nicht ärmliche Blockhütten sondern stattliche Gebäude und Gehöfte, förmliche „Häuser“ und das wurde zum Namen, den ihnen die Umwohner gaben: Hau s e n. Wer zu ihnen ging, wanderte zu den „Häusern“ oder „Hausen“ (eine ähnliche Wortbildung wie Wörtern und Worten) und so blieb der Name „Hau s e n“. Bald gab’s ein wenig weiter oben im Tal eine neue
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Siedlung, das obere im Unterschied vom unteren Hausen, Ob e r - u nd Unte r h au s en; ebenso eine solche auf der hohen Aue, dem vom Wasser umspülten hohen Wiesenplan „Honau“. Diese Gemeinden waren anfangs von selbständiger Bedeutung und Ansehen. Weil das Grafengeschlecht auf Achalm frühzeitig ausstarb, also keine mächtigen Männer diesen Gemeinden unmittelbar auf dem Nacken saßen, vermochten sich eine Anzahl von Familien länger im freien Stande zu behaupten und hatten keine Herren über sich als den deutschen König oder Kaiser. So nicht bloß in Reutlingen auch in Pfullingen, Hausen, Engstingen. Noch im Jahre 1160 sind freie Männer aus diesen Gemeinden in beratenden Versammlungen anwesend und beurkunden als Zeugen, wie es wörtlich heißt: sie (mit Namen aufgeführt) und sämtliche Freien vom Orte. Erst als in den Kämpfen der Zeit starke Geschlechter aufkamen, sich zu Landesherrschaften aufschwangen und ihren Besitz zu festigen und zu wahren suchten, wurden die Kleinen aufgesogen; es ging wie heute im wirtschaftlichen Kampfe. Die einst Freien wurden zu Untertanen, Dienstleuten, Hörigen ja Leibeigenen herabgedrückt. Wer seiner Existenz sicher sein wollte, musste einen Herrn über sich haben, musste sich „verherren“. Es kam das C h r i s te nt u m und mit ihm auch für Unterhausen eine K i r c he und ein F r ie d hof. Heute hat einen Friedhof mit zweckmäßiger neuzeitlicher Leichenhalle die wohlorganisierte steuerkräftige Gemeinde angelegt, eine solche starke Korporation gab es damals noch nicht, alles ruhte auf Einzelpersönlichkeiten. Wer hat nun damals Kirche und Friedhof angelegt, einen Pfarrer angestellt und zu ihrer Unterhaltung die Kirche mit Gütern und Einkünften ausgestattet? Wir haben aus jenen alten Zeiten keine urkundlichen Nachrichten, aber wir können aus der Tatsache, dass später der königliche Gaugraf die Rechte und Pflichten eines Schutzherrn über die Kirche besaß, zu dem sicheren, untrüglichen Schlusse kommen: es ging hier wie im nahen Reutlingen und Pfullingen, der deutsche König hat die Kirche gegründet und mit Hab und Gut begabt. Woher kam dem König solcher Großgrundbesitz in unserem Tale? Kraft der Eroberung. Das Land gehörte einst den Römern kraft des gleichen Rechts. Der römische Staat betrachtete sich als Eigentümer des Grund und Bodens. Als in diesem Zweikampfe der beiden großen mächtigen deutschen Stämme, der Franken und Alemannen, jene, die Franken, unter der einheitlichen Führung ihres Königs gesiegt hatten, gebärdeten sie sich als die Herren des Landes und ihr König verfügte frei über den alten römischen Grundbesitz, obwohl seit der Herrschaft der Römer schon ein paar Jahrhunderte verflossen waren. Um die Alemannen gefügig und die Einheit vollkommen zu machen, schien vor allem Glaubenseinheit nötig. Die Franken nahmen vom alten, an Kultur überlegenen Gallien bald dessen Sitten und Sprache an und wurden allmählich zu Franzosen. Auch das Christentum war früh nach Gallien gekommen und gewann auch die neuen Einwanderer. So fasste der König aus staatlichen Gründen den Entschluss, die etwas widerspenstigen heidnischen Alemannen durch das Christentum zu zähmen und mit ei nem Glauben, ei nem Fühlen sie seinem Reiche inniger zu verbinden. An wichtigeren Plätzen wurden
Kirchen gegründet – so am Sitz des Gaugrafen in Pfullingen eine Kirche zu Ehren des heiligen Martin, des Nationalheiligen der Franken. Das mag ums Jahr 600 geschehen sein. Wenn auch in Unterhausen nicht im gleichen Augenblick eine Kirche mit allen Erfordernissen eingerichtet wurde, so war doch, da man die kleinen Kinder möglichst frühzeitig gegen den Einfluss teuflischer Dämonen durch die Taufe schützen wollte, bald eine Taufkapelle Bedürfnis und so wurde hier ein Kirchlein gebaut und dem Täufer Johannes geweiht. Bald dürfte auch der Wunsch entstanden sein, an der Kirche einen eigenen ständigen Geistlichen anzustellen und Kirche und Pfarrei zur Sicherung der Existenz mit eigenem Gut auszustatten. Das geschah aus dem Königsgut. Wie in Pfullingen so auch hier wurden Kirche und Friedhof nahe an der Königstraße angelegt, um sie jederzeit leicht erreichen zu können. Die Talstraße führt nämlich erst neuerdings vom heutigen Bahnübergang in gerader Linie Tal abwärts, früher zog sie sich im Bogen zur Kirche hinunter, wie es heute noch an den Häusern oberhalb vom „Rössle“ sichtbar ist, sie kehren der Straße die Rückseite zu. Erben und Rechtsnachfolger der königlichen Gaugrafen zu Pfullingen waren die Grafen auf Achalm, dann die Welfen, die Grafen von Gammertingen und Vehringen. In den Händen der letzteren finden wir im Jahre 1331 Vogtei, Patronatsrecht und Widemhof (d. h. den Hof der Kirche). Die Grafen von Vehringen verkaufen alle Rechte um 190 Pfund Heller an Hugo Spechtshart, Priester von Reutlingen. Sodann verkauft 1360 sein Neffe Konrad Spechtshart, Schulmeister in Reutlingen, all diese Gerechtigkeiten um 76 Pfund jährlichen Leibgedings an die Pflege der Sondersiechen zu Reutlingen, einer gut situierten Verwaltung, von der ihm in jenem schweren Jahrhundert eine jährliche Rente sicher erschien. Infolge davon besetzten denn auch die Armenpflege, bzw. Bürgermeister und Rat der Stadt Reutlingen, die Pfarrei bis nach Einverleibung in Württemberg. Der deutsche König war auch Inhaber des großen Zehntens geworden, der Kaiser verlieh ihn 1360 an die Rempen in Pfullingen und diese verkauften ihn an die Armenpflege in Reutlingen. Man pflegte die Verstorbenen um die Kirche zu beerdigen, um hier in ihrer Nähe für sie zu beten und mit ihnen in Gemeinschaft zu bleiben – hervorragende Gemeindeglieder und Stifter unmittelbar an und sogar in der Kirche. Man schied den heiligen geweihten Ort scharf von der Welt durch eine trennende schützende Mauer und benützte den ummauerten Raum zugleich als Zufluchtsort für kriegerische Zeiten, daher wir in Unterhausen die Mauer heute noch teilweise sehr hoch sehen, mit Schießscharten und einem Umgang in der Höhe für die Verteidiger. Politisch war Unterhausen an die Herren von Greifenstein gekommen, die ihre Unabhängigkeit bis 1355 behaupteten, in welchem Jahre ihr Besitz auch in Unterhausen von den Grafen von Württemberg käuflich erworben wurde. Es gab in den so genannten Städtekriegen manche Zusammen-
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stöße zwischen Reutlingen und den Grafen, von denen Uhland singt: Wild rauschten ihre Flüge um Reutlingen, die Stadt, Bald scheint sie zu erliegen, von heißem Drange matt. Der wohlbefestigte Friedhof bildete eine starke Zuflucht, eine erwünschte Fliehburg für den umdrängten offenen Ort. Hier in diesem heiligen Boden fanden Tausende von Vorfahren der Heutigen ihre letzte Ruhestätte. Zeiten großen Sterbens kamen im Dreißigjährigen Krieg: In den Jahren 1635 und 1636 starben von beiden Gemeinden Unter- und Oberhausen 335 Personen und zwar bei einer Seelenzahl von im ganzen 551 (307 und 244), welche im Jahre 1607 gezählt worden waren, d. h. es starben 66 Prozent der Einwohner. Die Zahl der Taufen betrug in den 10 Jahren 1625 bis 1634 in Unterhausen 154, in Oberhausen 109, zusammen 263; in den 10 Jahren 1638–47 dagegen in beiden Gemeinden zusammen 73. Die Zahl der gesamten Eheschließungen sank in der gleichen Zeit von 60 Ehen vor dem Krieg nachher auf 24 in beiden Gemeinden zusammen, also auf zwei Fünftel. Es wurden allerdings in den Jahren nach dem „Friedlichen Einfall“ einige Kinder in Reutlingen getauft, nämlich 9 von Unterhausen und 6 von Oberhausen, auch einige Leute dort beerdigt. Das geschah nicht allein in Zeiten der Flucht in die befestigte Reichsstadt, auch treues Festhalten am evangelischen Glauben war manchmal die Ursache, denn die Gegenpartei legte es mit großem Eifer auf eine Rekatholisierung des Tales an. Ein evangelischer Prediger der Gemeinde war in den Zeiten der ersten Frühlingsstürme der Reformation ein Opfer seines Glaubens geworden und sollte keine Ruhestätte auf dem heimatlichen Friedhofe finden. Es war der Pfarrer Epplin, der 1526 das Abendmahl unter beiderlei Gestalt ausgeteilt hatte und sodann von den damaligen österreichischen Machthabern ergriffen, nach Urach geschleppt, eingekerkert, mit Ruten gestrichen und in Stuttgart öffentlich gehenkt wurde. Die meisten der hiesigen 16 P f a r r e r wurden hier beerdigt. Es waren seit der Reformation (bis auf die letzten vier) lauter Reutlinger Bürgersöhne: 1. Eberhard Roth, erwähnt 1545 2. Eusebius Beger, seit 1567 3. Michael Wucherer 1572 4. Johann Jakob Maurer 1618 5. Johann Jakob Rösch 1624 6. Bernhard Zwißler 1667 7. Matthäus Beger 1687 8. Matthäus Beger (Sohn) 1723 9. Philipp Gottfried Camerer 1746
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10. Johann Jakob Fischer 1773 11. Johann Joseph Camerer 1810 12. Joh. Christoph Fischer 1817 13. Ernst Gustav Zeller 1845 14. Gustav Wilhelm Keppler 1867 15. Wilhelm Hermann 1882 16. August Heinrich 1901–1924 Von den L e h r e r n nach dem Dreißigjährigen Krieg nennen wir mit langer Amtsdauer: Matthäus Bertsch, gestorben 1685 Hans Peter Hermann, gestorben 1720 Matthäus Bley, 35 Jahre Lehrer 1732–1758 „zum Vergnügen der Gemeinde“ Michael Wickh, ebenso 42 Jahre lang, 1759–1800, sodann kam Johann Christoph Wickh, sein Sohn Christoph Burk, der angesehener Pfarrersfamilie entstammt, war Gerichtsschreiber und Lehrer in Oberhausen rund 1580–1620 für beide Gemeinden und auch die Kinder der weiteren Flecken des so genannten oberen Talgerichts: Unter- und Oberhausen, Honau, Holzelfingen, Kleinengstingen. In den Büchern der Pfarrei ist eine lange Liste von Toten aufgezeichnet, oft früh verstorben und manchmal von solchen hohen Alters. Da stehen sie vor unserem Auge, die sich einst freuten und wirkten in frischer Schaffenskraft und nun zu Staub und Erde vermodert sind, darunter manch guter, trefflicher Mann, Schultheiß, Bürgermeister, Richter. Unter ihnen häufig die Namen Bertsch, Haid, Hermann. Dann und wann kommt der ehrende Beisatz: ein Ehrenmann, ein redlicher Bürger, eine ehrbare Frau, eine rechtschaffene Christin, ein mildtätiges Herz. Häufig kehrt der Wunsch: Der Herr schenke eine fröh liche Auferstehung! Stadtpfarrer Dr. Maier, Pfullingen
Pfarrer Heinrichs Grab
Neue Friedhofanlage in Unterhausen
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och über dem Talgrund des Wald umrauschten Echaztales, dessen landschaftliche Schönheit trotz der ziemlich dichten industriellen Besiedelung und der regen gewerblichen Betriebsamkeit seiner Bewohner immer wieder den Besucher in ihren Bann zwingt, am Hang des Lippentaler Hochbergs, in den so genannten Haldenäckern, ist im Laufe des letzten Jahres die neue Friedhofsanlage der Gemeinde Unterhausen entstanden. Der Wahl gerade dieses Platzes gingen eingehende Erwägungen voraus, denn trotz der anscheinenden Weiträumigkeit des Tales kamen für den Friedhof nur wenige Flächen in Frage, die aber alle mehr oder weniger große technische Schwierigkeiten boten, sodass eine Reihe von Projekten und Gutachten erforderlich wurde. Von der Erweiterung des alten Friedhofs, der landschaftlich und baulich überaus reizend zu Füßen der Dorfkirche und deren mächtigem Turm gelegen und von uraltem Epheu umsponnenen Mauern umschlossen ist, musste Abstand genommen werden, obwohl diese Erweiterung dem uneingeweihten Beschauer zunächst als die gegebene Lösung erscheinen möchte. Und zwar sowohl wegen der in Aussicht zu nehmenden Bebauung des anschließenden Geländes als auch wegen der Beschaffenheit des Untergrundes und dem Grundwasserstand. Außerdem war trotz der schwerwiegenden gefühlsmäßigen Gründe, die für ein Verbleiben des Friedhofes bei der Kirche sprachen, das Bedenken nicht von der Hand zu weisen, dass die stille Ruhe dieser abgeschlossenen Oase des Friedens infolge der Entwicklung der aufblühenden Gemeinde je länger desto weniger erhalten werden kann. So kam man zu dem Entschluss, den unabweislich gewordenen neuen Friedhof hinaus aus dem Wohnbezirk der Gemeinde auf die Höhe zu legen. Und wahrlich, wenn man auf dem neu geschaffenen, bequemen Zugangsweg die Höhe erreicht und von der Vorhalle der Leichenkapelle aus die neue Anlage überschaut, so erhält der für tiefe Natureindrücke empfängliche Beschauer den bestimmten Eindruck, dass der Platz für einen Friedhof wie geschaffen ist. Mächtige alte Baumgruppen grenzen talwärts das Friedhofsgelände ab gegen den tieferliegenden bebauten Grund, gestatten jedoch verschiedentlich reizende Durchblicke auf das Dorfbild, ein Sinnbild der von tiefen Gemütern geahnten und gefühlten geheimnisvollen Wechselbeziehungen zwischen dem stillen Reich der Entschlafenen und dem Ort der Lebenden. Bergwärts hebt sich die
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Flanke des Gebirges in steilem Anlauf über Äcker und grasige Halden, auf denen die, die hier nun im Frieden ruhen sollen von ihren Werken, oft in heißem und mühsamem Kampf ums tägliche Brot gerungen haben, hinauf zum grünen Wald, dessen schattenspendendes Blätterdach dem Müden labende Kühle verheißt und das brennende Auge erquickt, um sich dann in mächtigen Hängen, gegliedert von mancherlei Falten und Buchten, bis in die freie Höhe zu schwingen, über die die Wolken ziehen und die Wölbung des Äthers sich spannt über Berg und Tal, über Arbeit und Ruhe, Lust und Leid der Menschenkinder. Gegen Süden aber wird das Bild monumental. Überdeckt von dem dichten Mantel des Waldes, dessen Farbe im Wechsel der Jahreszeiten vom hoffnungsvollen Maiengrün bis zum wehmutvollen Gelb und Rot des Herbstes und dem reinen, von goldenem Sonnenlicht überflossenen und von blauen Schatten modellierten Weiß des Winters spielt, der nur manchmal unterbrochen wird von mächtigen Felsen, die in kühnen Zacken den Wald durchstoßen und sich nach dem Himmel recken, schieben sich die gewaltigen Berghänge zu dem mächtigen Talschluss hinter Honau zusammen. Ein unübersteiglicher Wall, eine uneinnehmbare Grenze, an der jeder Versuch des Menschen, sich durchzubohren in das dahinter liegende unbekannte Land, vergeblich bleiben muss. Hier ist das Ende, hier bleibt nichts übrig als sich demütig zu bescheiden in den von der gütigen Vorsehung dem Menschen bestimmten Rahmen. Da glätten sich die Wogen des Schmerzes, denn hier ist der Hafen. Da stillt sich die Sehnsucht, denn hier ist das Tor zur Heimat, hier winkt Ruhe und Frieden dem müden Kämpfer. Der Glaube aber erkennt im gewaltigen Wechsel von werden, Vergehen und Wiederkehren in der Natur die siegreiche Kraft des Ewig-Lebendigen. Solcherlei mögen die Eindrücke sein, die die einzigartige Lage des Friedhofs auf den gemütvollen Besucher ausübt. Erwähnt sei noch der schöne Blick vom Friedhof gegen Norden, in das von Immenberg und Ursulahochberg überragte Zellertal, ebenfalls einer landschaftlichen Perle. Beim Entwurf der Gesamtanlage wurden die geschilderten landschaftlichen Verhältnisse aufs sorgfältigste berücksichtigt. Der ziemlich steile Hang wurde zunächst in drei, durch bequeme Treppen verbundene Terrassen gegliedert, um ohne zu große Erdbewegungsarbeiten für die Gräberfelder ebene Flächen und eine ruhige Wirkung zu schaffen. Die Längsachsen dieser Terrassen schmiegen sich in leichter Krümmung der Wölbung des Berges an, sodass die in der frei bewegten Landschaft so störende Wirkung langer gerader Linien und mathematischer Figuren vermieden ist. Die Böschungen bieten Gelegenheit zur Anlage von Buschwerk und Hecken, die für die Grabsteine und Kreuze einen guten Hintergrund und für die Sänger aus der Vogelwelt, diesem stimmungsvollen Zubehör alter Friedhöfe, gute Nistplätze geben werden. An der nördlichen Grenze des Friedhofs, in der Achse der mittleren Terrasse, ist die Kapelle errichtet. Diese Lage wurde einerseits bestimmt durch die Absicht, die Trauerversammlung beim Verlassen der Halle den angedeuteten Eindruck der Landschaft empfangen zu lassen, andererseits durch die Notwendigkeit, ein so hohes Untergeschoss zu erlangen, das Raum bietet für die Unterbringung des Leichenwagens und der Geräte des Totengräbers. Sodann aber auch von der Notwendigkeit, dem neuen Zufahrtsweg eine solche Längenent-
wicklung zu geben, dass er von seinem Beginn beim Bahnübergang an bis zum Friedhofstor nicht mehr als höchstens 10 Prozent Steigung erhält. Das Gebäude enthält außer den erwähnten Untergeschossräumen im Erdgeschoss gegen Süden eine offene, mit Bänken versehene Vorhalle, einen Versammlungsraum, gegen Norden eine normale und eine besonders große Leichenzelle, letztere für Sektionen bestimmt, aber so angeordnet, dass sie im Notfall durch eine bewegliche Bretterwand in zwei normale Zellen geteilt werden kann. Außerdem Aborte für Männer und Frauen. Der freie Platz vor der Halle ist mittels einer Stützmauer auf die für eine größere Trauerversammlung erforderliche Breite gebracht. Zu diesem Platz führt eine bequeme steinerne Treppe empor, die ebenso wie die Stützmauer mit starkem eichenem Balkengeländer versehen ist, dass es dem Zahn der Zeit lange trotzen wird. An dem Podest dieser Treppe ist ein von Trauerweiden beschatteter laufender Brunnen vorgesehen. Der bemerkenswerteste Raum des Gebäudes ist der Versammlungsraum. Man betritt denselben von der auf flachen Spitzbogen ruhenden und mit sichtbarer, einfach getönter Balkendecke versehenen Vorhalle aus durch eine Doppeltüre und ist überrascht von der an alte gotische Kapellen der besten Zeit erinnernde Farbwirkung des Raumes, dessen Abmessungen genügen, um in normalen Fällen die Trauergemeinde aufzunehmen. Die Rückwand enthält die Türen zu den Leichenzellen, an den Seitenwänden befinden sich in den Nischen unter den gekuppelten dreifachen Fenstern bequeme Sitzbänke, ebenso in den Nischen rechts und links der Eingangstüre. Die von zwei Unterzügen auf ausgeschweiften Sattelhölzern getragene sichtbare Balkendecke ist ganz in Blau, Rot und Silber gehalten und erzeugt eine würdige kirchliche Stimmung. Die Diagonalbemalung der Balken mit der markanten Betonung der Mittelachse ergibt eine ausgezeichnete Steigerung der perspektivischen Raumwirkung und leitet auf das Mittelfeld der Rückwand hin, das mit einer zarten roten und grünen Tönen dargestellten symbolischen Totenerweckung Christi bemalt ist. Das Gemälde ist im Aufbau modern empfunden, ist aber infolge seiner natürlichen Formgebung trotzdem für jedermann verständlich und übt eine starke Wirkung aus. In einer Felsengruft, die wegen der beschränkten Höhe der verfügbaren Wandfläche geschickt zwischen den beiden Zellentüren versenkt ist, ruht eine zarte Jungfrau, noch umschnürt von Leichentüchern und Bändern, die staunenden Augen weit geöffnet, Oberkörper und Arme emporgehoben durch die unwiderstehliche Kraft des über ihr am Rande der Gruft stehenden Lebensfürsten, der den Sieg davongetragen hat und dessen Züge von dem heiligen Ernst und der Größe des Augenblicks Zeugnis ablegen. Zu beiden Seiten der Gruft die Angehörigen und Leidtragenden,
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deren Mienen und Gesten die durch das Wunder hervorgerufenen seelischen Gefühle andeuten, das zweifelnde Staunen, die sich bescheidende Ergebenheit, den starken Glauben, die sehnende Liebe, das jubelnde Glück. Im übrigen sind die Wände in einem warmen Ockerton gehalten und mit Sprüchen, die mit dem freien Pinsel geschrieben sind, sowie mit einfachen Initialen geschmückt. Der Raum, dessen Verhältnisse sehr glücklich gelungen sind, ist geeignet, eine beruhigende, tröstende und hoffnungsstärkende Wirkung auszuüben. Die Umfassungswände des Gebäudes sind aus dem im Tal heimischen Tuffstein ausgeführt. Diesem Material entsprechend ist auf alle feinere Gliederungen durch Gesimse usw. verzichtet und lediglich durch ruhige, wohlabgewogene Verhältnisse zu wirken versucht worden. Das Gebäude ist überdeckt mit einem einfachen Walmdach mit stark betontem Dachbruch, es ist mit tiefen, altfarbig engobierten Pfannen gedeckt und bringt das ganze Gebäude in glückliche Harmonie mit den einfachen großen Formen der umgebenden Natur. Die Einteilung der Friedhofsfläche ergab sich zwanglos aus der oben erwähnten Terrassierung des Hanges. Die beiden Hauptterrassen sind für Erwachsene, die schmälere, oberste Terrasse und die Fläche rechts des Einganges vor der Leichenkapelle für Kinder bestimmt. Durch Bepflanzung mit Linden, Eichen, Ahorn und dergleichen Laubbäume wurden die entstandenen langen Gräberfelder in Unterabteilungen zerlegt, die nach einigen Jahren, wenn die Pflanzen sich entwickelt haben, ziemlich geschlossene Raumbilder erzeugen werden. An den Zielpunkten der Wege und im Schatten der erwähnten Bäume sind steinerne Bänke angeordnet, die zu nachdenksamer Ruhe einladen. Der Platz um das Gebäude wurde mit großen Linden gesäumt, sodass später der Platz schattig, der Blick in den Talschluss in einen kräftigen Rahmen gefasst und das Haus mit der Natur verwachsen sein wird, sodass sich der jetzt noch ziemlich nackte Eindruck allmählich verlieren wird. Wesentlich hierzu beitragen wird auch noch die in Aussicht genommene Bepflanzung des Gebäudes und der Mauern mit Efeu. Ein besonderes Wort sei noch der in Aussicht genommenen Art der Grabanlagen gewidmet. Es ist eine bedauernswerte Tatsache, dass die allermeisten Friedhöfe nicht mehr die stille Schönheit und Ruhe der guten alten Vorbilder besitzen. Ursache davon ist, ebenso wie bei vielen sonstigen Erscheinungen der Zeit, letzten Endes die in den letzten Jahrzehnten vor dem Krieg mit der industriellen Entwicklung der Volkswirtschaft überhandnehmende Unterbewertung der seelischen und geistigen Qualitäten gegenüber den greifbaren materiellen. Kurz gesagt, der Materialismus, der sich langsam, aber tief in den weitesten Bevölkerungskreisen einnistete. Von ihm ging der bedauerlichste Einfluss aus auf die Geschmacksbildung des Volkes. Man begnügte sich nicht mehr mit den einfachen materialgerechten und daher echten Leistungen früherer Zeiten und den guten, von den Vätern ererbten und organisch entwickelten Formen der damaligen gewerblichen und künstlerischen Erzeugnisse. Alles musste prachtvoller, reicher und vornehmer werden, insbesondere mussten immer die „Anderen“ übertrumpft werden. Und da meist die für solche Wünsche erforderlichen Mittel nicht vorhanden waren, begnügte man sich immer mehr mit dem Schein, und zwar auf allen Gebieten, beim Hausrat, beim Hausbau, in der
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Kleidung, in der Kunst usw. So wurde allmählich die billige, zwar geschmacklose und unechte aber vornehm sich gebende Schundarbeit Herr über die handwerkstüchtigsten Leistungen des Gewerbes. Es ist nur z. B. zu erinnern an die Dutzendware billiger Möbel im „Renaissancestil“, an die Marmorfassaden aus Gips, an die Quadermauern aus Blechtafeln usw. Ein jeder kennt zahllose derartige Beispiele. So ging es auch auf den Friedhöfen. Da sieht man Grabsteine aus einem Stück bestehend, die aber „kunstvoll“ so gearbeitet sind, als ob sie aus vielen kleinen Steinchen zusammengesetzt wären, Blumenkränze aus Blech und Glasperlen, schwarze „Marmor“-Platten aus Glas, eiserne Kreuze mit ausgesprochenen Steinformen, Holzdenkmale, die Stein nachahmen, Marmorkreuze aus Porzellan, betende Engelfiguren, die hundertweise fabrikmäßig hergestellt sind und ebenso in Schwaben wie am Rhein und in Pommern rührselige Abnehmer finden. Das Bestreben, mit der den lieben Verstorbenen zu erweisenden Liebe und Ehre die Leistungen der Anderen zu überbieten, führte dazu, dass die Gedenkzeichen immer größer, immer auffallender, immer rücksichtsloser gegenüber den Nachbargräbern wurden. Außerdem wurde das Grab durch hohe und immer höhere Steineinfassungen und Eisengitter von den andern getrennt und hervorgehoben. Vervollständigt wird das Chaos durch protzige Verwendung polierten fremden Hartgesteins, das durch seine blitzenden Reflexe dem Auge unerträglich ist und durch seinen krassen Farbkontrast, der infolge der absoluten Wetterbeständigkeit des Materials der wohltätigen Patina des Alters nicht unterliegt, dauernd die Friedhofsstimmung zerreißt. Kurz, es entstanden allmählich die geschmacklosen öden und unruhigen Steinlager, zwischen denen man kaum noch den Erdboden, in den die Toten gebettet werden, sehen kann; die für den empfindenden Beschauer ein Greuel sind und jeden erhebenden Eindruck zerstören; die die Klassenunterschiede unnötigerweise noch im Tode betonen und damit Schmerz, Ärger und Neid hervorrufen. Also gerade das Gegenteil sind von dem, was ein Friedhof sein soll. Es muss jedoch gesagt werden, dass die Schuld z. T. auch an den Verfertigern und Verkäufern solcher Grabmale liegt, die offenbar mit dieser lagervorrätig gehaltenen und katalogmäßig in der Fabrik bestellbaren Ware ihr Geld bequemer verdienen als bei Verwendung von einheimischem Material und einfacher, bodenständiger und materialgerechter Formgebung. Aus diesen Gründen sind seit einigen Jahren bereits in mehreren gut beratenen Gemeinden besondere Friedhofsordnungen aufgestellt worden, die der Willkür steuern und durch einen gewissen Zwang dazu führen sollen, dass der Friedhof wieder wird, was er sein soll. Und so wurde auch für den neuen Friedhof in Unterhausen eine solche Ordnung festgesetzt, um von Anfang an die geschilderten Missstände zu verhindern. Als der wichtigste Bestandteil derselben ist zu erwähnen, dass die Gräber eine fortlaufende Rasenfläche bilden, auf der die Steine und Denkzeichen ohne Steinfassung vor einem durchlaufenden Hintergrund aus Hecken stehen. Die Abgrenzung der einzelnen Gräber kann durch die Bepflanzung in verschiedenartiger Weise erfolgen, wodurch ganz reizende Anlagen entstehen, wie durch die zahlreich ausgeführten Beispiele bewiesen ist. Ferner sind die Grabsteine, Kreuze usw. von nun an genehmigungspflichtig,
sodass die Möglichkeit besteht, Verunzierungen und Geschmacksverirrungen zu verhindern oder wieder zu entfernen und einen entsprechenden Einfluss auf die Verfertiger und Verkäufer auszuüben. Es ist zu hoffen, dass sowohl durch diese Maßnahmen wie durch die geschilderte Lage und die bauliche Gestaltung der gesamten Anlage die Gemeinde Unterhausen in wenigen Jahren, wenn die Anpflanzung soweit vorgeschritten ist, dass die zugrunde liegende Absicht noch besser als jetzt in die Erscheinung tritt, einen Friedhof besitzen wird, der wenig seinesgleichen im Bezirk und im Lande hat. Es muss anerkannt werden, dass dieses erfreuliche Resultat nur möglich war durch das verständnisvolle Eingehen der maßgebenden Instanzen der Gemeinde Unterhausen auf die Gedanken und Wünsche ihres technischen und künstlerischen Beraters, durch die vertrauensvolle Großzügigkeit, mit der ihm die Lösung der finanziell nicht unbedeutenden Aufgabe ermöglicht wurde. In diesem Zusammenhang sei besonders des Ortsvorstehers, Herrn Schultheiß Rehm, gedacht, der sich durch die während der Inflationszeit von Tag zu Tag steigernden finanziellen Schwierigkeiten nicht entmutigen ließ, das begonnene Werk mit allen Mitteln zu fördern und seine ganze Kraft einzusetzen, das vorgesteckte Ziel zu erreichen. Beachtenswerter Weise ist ihm dies ohne jede Belastung der Gemeinde durch eine Schuldaufnahme gelungen. Das Gemeindekollegium in Unterhausen hat sich mit diesem Werk ein bleibendes Verdienst um die Gemeinde erworben. Die ganze Anlage wurde mit wenig Ausnahmen von einheimischen Gewerbetreibenden ausgeführt. Entwurf, Planbearbeitung und Bauleistung waren Herrn Oberamtsbaumeister Staiger von Reutlingen übertragen. Die örtliche Bauführung lag in den erfahrenen Händen von Herrn Bauführer Dietrich Senner von Pfullingen. Die Erdarbeiten wurden von der Gemeinde in eigener Regie, z. T. unter anerkennenswerter, unentgeltlicher Mitwirkung einer größeren Anzahl von Gemeindeangehörigen ausgeführt. Die Maurer-, Steinhauer- und Dachdeckerarbeiten führte Maurermeister und Gemeinderat Reiff von Unterhausen mustergültig aus. Weiter sind beteiligt: Mit den Zimmerarbeiten: Zimmermeister Scheu, Unterhausen Flaschnerarbeiten: Flaschnermeister Vollmer, Unterhausen Gipserarbeiten: Gipsermeister Rehm, Unterhausen
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Schreinerarbeiten: Die Schreinermeister Wilhelm Reiff, Karl Reiff und Matth. Bley, sämtlich in Unterhausen Glaserarbeiten: Glasermeister Hagmann, Reutlingen Schmiede- und Schlosserarbeiten: Die Schmiedemeister Bader und Bosler, beide in Unterhausen Boden- und Wandbekleidungen: Fritz Fink, Pfullingen Dekorative Malerarbeiten: Christian Kämmerer, Stuttgart-Reutlingen Sonstige Malerarbeiten: Malermeister Christian Schmid, Unterhausen Gärtnerische Arbeiten: Ludwig Weiß, Unterhausen Einfriedungen und Geländer: Konrad Lamparter, Unterhausen Besondere Erwähnung verdient die Firma Christian Kämmerer-StuttgartReutlingen und der dieser Firma gehörende Künstler Herr Buchner. Ohne das Entgegenkommen dieser Firma, deren Augenmerk ersichtlich mehr auf die möglichst vollkommene Lösung der gestellten Aufgabe als auf die Höhe des Verdienstes gerichtet war, wäre die geschilderte dekorative Innengestaltung des Gebäudes nicht möglich gewesen. So ist hier in schwerer Zeit ein Werk geschaffen worden, von dem angenommen werden darf, dass es nicht nur dem dringenden Bedürfnis der Gemeinde entspricht, sondern auch einen Schmuck für dieselbe und das liebliche Tal bildet. Oberamtsbaumeister Staiger, Reutlingen
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