7 minute read
«Wir werden einen liberalen Kurs beibehalten»
Corona, Krieg, Teuerung, drohender Energiemangel: Die Herausforderungen, vor denen Liechtenstein steht, sind gross und vielfältig. Auch innenpolitisch zeichnen sich wegweisende Entscheidungen ab. Regierungschef Daniel Risch sieht die direkte Demokratie dabei als einen Vorteil unter anderen, die dafür sorgen, «dass es uns – verglichen mit fast allen Ländern dieser Welt – trotz allem relativ gut geht».
Interview: Heribert Beck
Wie haben Sie den Sommer verbracht? Konnten Sie trotz Krieg und Covid im Allgemeinen sowie Ihrer Corona-Erkrankung einige ruhige Tage geniessen? Regierungschef Daniel Risch: Vielen Dank für die Nachfrage. «Ruhig» trifft es vielleicht nicht ganz. Es geschieht aktuell sehr viel auf der Welt, was auch für unser Land direkte oder zumindest indirekte Folgen hat. Daher gab es in der Vergangenheit bestimmt ruhigere Zeiten. Trotz allem geht es unserem Land und auch mir persönlich den Umständen entsprechend gut.
Mit dem Staatsfeiertag erwacht das politische Leben in Liechtenstein traditionell wieder. Welche Themen werden das zweite Halbjahr dominieren? Wir starten im September in die zweite Hälfte des zweiten Jahres der Legislatur. Eine Zeit, in der viele Themen aus dem Regierungsprogramm dem Landtag vorgelegt und dort beraten werden. In der aktuellen geopolitischen Situation muss man aber auch davon ausgehen, dass das Krisenmanagement der Regierung weiter gefragt sein wird – das betrifft insbesondere den russischen Angriffskrieg und seine humanitären wie wirtschaftlichen Folgen, also bispielsweise Inflation, Energiepreise oder Sanktionen. Die Energiewende und das Klima werden uns ebenfalls beschäftigen. Was der Herbst bezüglich Corona mit sich bringt, hat ebenfalls einen direkten Einfluss auf die Arbeit der Regierung. Und dann ist da noch das Tagesgeschäft in den einzelnen Ministerien, das erledigt werden will.
Am 29. Juni hat der Landtag in einer Sondersitzung die Möglichkeit zur Wiedereinführung einer 2G-Regelung geschaffen. Wie stehen Sie zu dieser Massnahme? Es ist eine Möglichkeit, von der ich hoffe, dass wir sie nie brauchen werden. Gerade auch deshalb ist es wichtig, dass die Massnahme nur ergriffen werden kann, wenn sich auch die Schweiz dazu entscheidet – dies aus dem einfachen Grund, dass es wenig sinnvoll ist, wenn in der Schweiz 2G gilt und wir einen Lockdown verordnen müssen. Dann würden die Geimpften und Genesenen in Buchs im Restaurant sitzen, während die Gatsronomie bei uns für alle geschlossen wäre. Die Einführung von 2G im letzten Dezember war für mich in der Corona-Pandemie eine der schwierigsten Entscheidungen überhaupt – dies, weil wir einerseits keine andere Möglichkeit gesehen haben und andererseits wussten, dass das für einen Teil der Einwohnerinnen und Einwohner ein harter Einschnitt sein wird.
Was entgegnen Sie Personen, die von Verfassungsbruch sprechen und der Regierung vorwerfen, ihr Vorgehen nur nachträglich legitimieren zu wollen? Es geht nicht darum, etwas nachträglich zu legitimieren, sondern für die Zukunft vorzusorgen. Es lohnt sich bei dieser Thematik, das Urteil des Staatsgerichtshofs ganz zu lesen. Dieser erachtet die gesetzliche Grundlage via das Schweizerische Epidemien- und Covidgesetz, welche grundsätzlich über den Zollvertrag in Liechtenstein anwendbar ist, insbesondere bezüglich der 2G-Regelung als unzureichend. Die Regierung hatte diesbezüglich im vergangenen Dezember eine andere Rechtsmeinung, da der Staatsgerichtshof in Bezug auf 3G zum Schluss gekommen ist, dass die schweizerische Rechtsgrundla-
ge ausreicht und die Massnahmen auch angemessen bzw. verhältnismässig sind. Letzteres hält der Staatsgerichtshof für 2G ebenfalls fest, jedoch bedinge dies eine eigene Gesetzesgrundlage. Und daher hatte die Regierung aus meiner Sicht gar keine andere Möglichkeit, als dem Landtag die Schaffung der eigenen Grundlage vorzulegen, damit es im Herbst nicht zu einem allfälligen Regelungsgefälle mit der Schweiz kommt. Aber wie bereits gesagt, hoffe ich sehr, dass wir im Herbst nicht gezwungen sein werden, im Gleichschritt mit der Schweiz 2G erneut einzuführen. Denn das würde ja heissen, dass wir in diesem Herbst in Europa eine heftige Corona-Welle mit schweren Verläufen und vollen Spitälern haben, bei der auch die Schweiz und andere Länder keine andere Möglichkeit sehen würden.
Was erwarten Sie sich von den öffentlichen Diskussionen im Vorfeld der nun anstehenden Volksabstimmung? Ich hoffe, dass wir es schaffen, uns auch in dieser Frage mit Anstand und Respekt zu begegnen. Die Regierung und eine Mehrheit des Landtags sind sich einig, dass wir diese Möglichkeit für den oben beschriebenen Fall haben sollten. Wenn es bei der Volksabstimmung keine Mehrheit für den Vorschlag gibt, dann werden wir ohne 2G auskommen müssen. Wenn es eine Mehrheit gibt, kann die Regierung nur in einem sehr engen Rahmen und im Notfall auf diese Möglichkeit zurückgreifen – wir sind uns unserer Verantwortung dabei sehr bewusst.
Das Volk könnte auch in Sachen Casino-Verbot bald das letzte Wort haben. Wie stehen Sie zu dieser Frage? Auch diesbezüglich gilt, dass jeder demokratische Entscheid zu akzeptieren ist. Das gehört zu unserem politischen System, und das finde ich sehr gut so. Inhaltlich kann ich der Initiative allerdings nichts abgewinnen. Als Land mit einer wirt-
Daniel Risch, Regierungschef
schaftsliberalen Politik sollten wir nicht einen Markt öffnen und wenige Jahre später wieder komplett schliessen. Wir sehen an aktuellen Entwicklungen, dass der Markt auch im Geldspielbereich durchaus spielt. Was man ebenfalls nicht vergessen sollte, ist, dass das Öffnen des Geldspielmarkts die einzige Massnahme in der Sparphase im vergangenen Jahrzehnt war, die dem Staat auf der Einnahmeseite geholfen hat. Dies ganz im Sinne des Verfassungsartikels 24, in dem es heisst, dass die finanzielle Lage des Staates zu heben und besonders auf die Erschliessung neuer Einnahmequellen zur Bestreitung der öffentlichen Bedürfnisse Bedacht zu nehmen ist. Nichts anderes wurde damals gemacht. Und nun arbeitet man ja auch bereits daran, die hohen Hürden für den Markteintritt weiter anzupassen, sei dies mit dem Verhältnis von Tisch- zu Automatenspielen oder dem Austausch der Sperrlisten.
Selbst die vom Landtag beschlossene PV-Pflicht könnte noch vor das Volk kommen. Wie ist Ihre diesbezügliche Meinung? Ich hoffe sogar, dass sich die Bevölkerung aktiv oder passiv am eingeschlagenen Weg beteiligt. Aktiv, in dem sie sich bei einer allfälligen Volksabstimmung beteiligt aber auch bereits heute die Vorteile einer PV-Anlage sieht und nutzt. Oder passiv, in dem sie der Volksvertretung, sprich dem Landtag vertraut, und mit dem nicht Zustandekommen eines Referendums den Weg bestätigt. Es ist auch in diesem Zusammenhang wirklich sinnvoll, den ganzen Vorschlag der Regierung zu lesen. Dabei sieht man, dass es im ersten Schritt insbesondere um Neubauten geht und dass eine PV-Anlage gerade auch für den Immobilienbesitzer sehr viel Sinn ergibt. Und noch etwas zum Prozess: Wenn die Volkabstimmung nach einem erfolgreichen Referendum das letzte Wort im Gesetzgebungsprozess ist, dann ist die nun laufende Vernehmlassung einer der ersten Schritte. Wir haben also noch einen gewissen Weg vor uns.
Was sagen Sie ganz generell zu den Vorwürfen der Überreglementierung, Bevormundung der Bevölkerung usw.? Ich bin überzeugt, dass allfällige Vorwürfe in ganz vielen Bereichen überzogen bzw. nicht zutreffend sind. Ich habe aber sehr viel Verständnis dafür, dass sich die Menschen in Liechtenstein in diesen unsicheren Zeiten über dies und das aufregen. Ich bin aber genauso überzeugt, dass es uns in Liechtenstein – verglichen mit fast allen Ländern dieser Welt – trotz allem relativ gut geht.
Ein Ausblick: Rechnen Sie erneut mit einem Corona-Winter mit einschneidenden Massnahmen? Ich hoffe sehr, dass es nicht so sein wird. Was ich aber jeder und jedem versichern kann, ist, dass sich die Regierung ihrer Verantwortung bewusst ist und bei Bedarf schnell und konsequent handeln wird. Und wir werden auch weiterhin einen vergleichsweise liberalen Kurs beibehalten.
Und was erwarten Sie sich in Sachen Strom- und Gaslücke? Wie ist Liechtenstein vorbereitet und wie lautet Ihre Prognose? Der weitere Verlauf des Ukraine-Konflikts und die Folgen machen mir weit mehr Sorgen als die Corona-Pandemie. Bei Corona können wir viele Dinge – die Massnahmen, die Wirtschaftshilfen usw. – selbst bestimmen. Dies ist bei den Folgen des Ukraine-Konflikts nur sehr eingeschränkt der Fall. Die Politik hat im Rahmen ihrer Möglichkeiten aber auch diesbezüglich ihre Handlungsfähigkeit unter Beweis gestellt, zuletzt mit dem Anfang Juli verabschiedeten Aktionsplan zur Stärkung der Energiesicherheit und dem Entscheid des Landtags, 15 Millionen Franken zum Anlegen eines Gasspeichers für den Winter freizugeben.
Vorerst ist noch ein bisschen Sommer, und es bleiben ein paar Tage bis zum Staatsfeiertag. Wie werden Sie diesen verbringen und was wünschen Sie sich für den Rest des Jahres 2022? Ich werde grossmehrheitlich in Liechtenstein und in der Region sein und etwas mehr Zeit für die Familie und die Natur haben als sonst. Für den Rest des Jahres wünsche ich mir, dass wir gemeinsam die sich abzeichnenden Herausforderungen meistern – und ich bin sehr zuversichtlich, dass uns das trotz teils widriger Umstände gelingen wird.