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Smart City Emden

Digitalisierung ist die neue Daseinsvorsorge – mit dieser Überzeugung setzen die Stadtwerke Emden in der 50.000-Einwohner-Kommune im Nordwesten Niedersachsens ein beispielhaftes Konzept um. Neben Standortvorteilen für die Kommune hat man auch neue Geschäftsfelder im Blick.

Ein paar vernetzte Straßenlampen hier, ein Pilotprojekt zur digitalen Zählerauslesung dort und vielleicht noch ein

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Bürgerportal für die Verwaltung – so oder so ähnlich sehen viele Digitalisierungsprojekte in deutschen Städten und Gemeinden heute aus. Das bestätigt auch die Smart

City-Studie der Unternehmensberatung

Haselhorst Associates aus dem vergangenen Jahr: Von insgesamt 400 Städten mit über 30.000 Einwohnern weist lediglich ein

Viertel einen Digitalisierungsgrad von über zwölf Prozent auf.

LEUCHTTURM IM NORDEN „Allerdings dürfen diese Ergebnisse nicht darüber hinwegtäuschen, dass einige Leuchtturm-Kommunen der Entwicklung bereits einen großen Schritt voraus sind“, betont Haselhorst-Partner Jürgen Germies. Als Beispiel nennt er die ostfriesische Kleinstadt Emden, die er seit 2016 auf dem Weg zur Smart City begleitet. Wesentlich vorangebracht wurde und wird die Digitalisierung dort durch den kommunalen Versorger, die Stadtwerke Emden (SWE), die sich mit ihrer Strategie bereits 2017 den renommierten Stadtwerke Award in Gold sicherten.

Aus den ursprünglich 15 Digitalisierungsprojekten wurden bis heute 35, für die Umsetzung und Weiterentwicklung gibt es auf Seiten der Kommune inzwischen einen Chief Digital Officer sowie die Emden Digital GmbH, ein Tochterunternehmen der Stadtwerke Emden. Die Zahl der Mitarbeiter, die in den unterschiedlichen Projekten beschäftigt sind, hat sich in den vergangenen vier Jahren signifikant erhöht. Die KEPTN-App als gemeinsame digitale Informations- und Interaktionsplattform für die Bürger erfreut sich nach einhelliger Auskunft großer Beliebtheit.

FRÜHER START, KLARES COMMITMENT Doch was macht man in Emden anders als in anderen Städten der Republik? Jürgen Germies nennt zwei wichtige Aspekte: „Die Seehafenstadt hat bereits sehr frühzeitig damit begonnen, sich Gedanken um ihre digitale Fortentwicklung zu machen – und vor vier Jahren eine umfassende Digitalisierungs-Strategie erarbeitet.“ Politik und Verwaltung, Vertreter aus Wirtschaft und Wissenschaft sowie der kommunale Versorger saßen damals gemeinsam am Tisch, um relevante Themenbereiche zu identifizieren und in einer Gesamtplanung zusammenzu

Foto: pixabay (tzevena)

führen. „Es war schnell klar: Digitalisierung ist ein unverzichtbarer Bestandteil der kommunalen Daseinsvorsorge und gleichzeitig aktive Wirtschaftsförderung“, erinnert sich Manfred Ackermann, Geschäftsführer der Stadtwerke Emden und von Beginn an engagiert in der Planung und Realisierung. „Wirtschaftliches Wachstum, Lebensqualität und nicht zuletzt auch die angestrebte Klimaneutralität sind ohne Digitalisierung heute nicht mehr denkbar. Die Stadtwerke sind dafür prädestiniert, die nötige Infrastruktur aufzubauen und in Wert zu setzen“, führt er aus.

In diesem Verständnis sind digitale Angebote für Ackermann gleichzeitig ein wesentliches Instrument der Kundenbindung und Grundlage des künftigen Geschäfts: „Unsere wichtigsten Ertragsquellen waren bisher der Strom aus unseren Windanlagen und die Gasversorgung – in beiden Bereichen ändern sich die Rahmenbedingungen, so dass wir uns nach Alternativen umschauen müssen.“ Das war ein Treiber der „Smart City Emden“.

Wie Berater Jürgen Germies berichtet, sind alle Maßnahmen inzwischen exakt so

weit fortgeschritten, wie es der ursprüngliche Zeitplan vorgesehen hatte. „In Emden – und auch das ist vielleicht ein Unterschied zu anderen Kommunen – hat man die anstehenden Themen immer mit einer guten Mischung aus visionärem Denken und kaufmännischer Bodenständigkeit betrachtet“, stellt der Unternehmensberater heraus. Das habe zu einem sehr effektiven Projektmanagement und klugen Investitionsentscheidungen geführt – zum Beispiel bei der Infrastrukturentwicklung.

GUTE VERNETZUNG „Ohne schnelles Internet gibt es keine Smart City“, bringt Manfred Ackermann seine Überzeugung auf den Punkt – und hier gibt es in Deutschland bekanntermaßen erheblichen Nachholbedarf. In Emden nahm man die Sache selbst in die Hand und trieb den Glasfaserausbau voran: 2018 wurden die ersten Gewerbegebiete angeschlossen, im vergangenen Jahr folgten erste Wohngebiete. Über ihre Tochtergesellschaft vermarkten die Stadtwerke inzwischen erfolgreich eigene Breitbandangebote für Gewerbe- und Privatkunden. Nach Berechnungen der Stadtwerke wird sich die Investition von rund 50 Millionen Euro kurzfristig refinanziert haben. „Wir haben von vorneherein eng mit der Wohnungswirtschaft zusammengearbeitet, das hat dem Projekt erheblichen Auftrieb gegeben“, berichtet Manfred Ackermann.

Mit einem stadtweiten Glasfasernetz wollen die Stadtwerke Emden die Voraussetzung für vernetzte Prozesse und Services schaffen. Die eigenen Breitbandangebote werden erfolgreich vermarktet. (Foto: Stadtwerke Emden GmbH)

Ähnliche Synergien verspricht sich der Geschäftsführer der Emdener Stadtwerke auch mit Blick auf zwei weitere Infrastrukturprojekte: den Rollout der intelligenten Messsysteme und das LoRaWANNetz, das die Stadtwerke Emden zwischenzeitlich aufgebaut haben. Denn gerade im Kontext zunehmend intelligenter Gebäude sieht Ackermann Potenzial für neue Geschäftsfelder – vom RauchmelderService bis hin zum Submetering: „Statt einigen wenigen großen Ertragsquellen müssen wir künftig viele kleine Erlösmodelle vorhalten.“ Aktuell helfen verschiedene LoRaWAN-Applikationen schon bei

Digitalisierungsroadmap Emden: Die Smart City-Projekte im Überblick

der Optimierung eigener beziehungsweise kommunaler Prozesse, etwa in den städtischen Entsorgungsbetrieben oder bei der Überflutungsvorsorge.

Zu den strategischen Partnern der Digitalisierung in Emden zählt auch die Firma Siemens, die frühzeitig ins Boot geholt wurde und die Stadtwerke bis heute mit Know-how und Technologie unterstützt. So kommt in Emden beispielsweise die cloudbasierte IoT-Plattform MindSphere als zentrale Datendrehscheibe und damit weitere wichtige Säule der digitalen Infrastruktur zum Einsatz. Aktuell ist Siemens in Emden in den Themenfeldern Gebäudeautomatisierung und Verkehrssteuerung aktiv, insbesondere aber auch im Leitprojekt „Intelligente Energiestadt“.

INTELLIGENTE ENERGIESTADT

Ein erklärtes Ziel der Stadtwerke ist es, möglichst viel Strom aus regenerativen Energiequellen für die Versorgung der Privat- und Gewerbekunden verfügbar zu machen. Davon gibt es vor Ort reichlich: Dank der unmittelbaren Nähe zum Windpark am Larrelter Polder hat die Seehafenstadt Zugriff auf eine der größten Windfarmen Europas. Solar- und Photovoltaikanlagen auf privaten und öffentlichen Gebäuden sowie ein Biomasseheizkraftwerk ergänzen den grünen Strom-Mix der Stadt. „Schon heute können alle Emder Haushalte zu 100 Prozent mit Strom aus Erneuerbaren Energien versorgt werden“, berichtet Manfred Ackermann, der überzeugt ist, dass die Möglichkeit einer CO 2 -neutralen Energieversorgung nicht nur für Privathaushalte, sondern auch für die Industrie ein zunehmend wichtiger Standortfaktor wird.

SMART GRID Um solch eine Anforderung tatsächlich erfüllen zu können, sind jedoch Betriebsweisen und Technologien erforderlich, die es ermöglichen, die volatile Einspeisung und den Verbrauch aufeinander abzustimmen. Unterschiedliche Speichertechnologien, darunter sogar eine Power-to-Gas-Anlage, wurden in Emden bereits erprobt, doch auch diese können nur in einem intelligenten Netz Wirkung entfalten. „Auch dabei ist natürlich die Digitalisierung der Schlüssel“, sagt Stadtwerke-Chef Ackermann. Ein mit Siemens-Technologie ausgestattetes Schalthaus der Stadtwerke Emden ist bereits an die IoT-Plattform angebunden. Darüber hinaus will man die Smart- Meterund insbesondere auch die LoRaWAN-Infrastruktur nutzen, um die erforderlichen Daten aus dem Verteilnetz zu gewinnen, Anlagen zu steuern und Flexibilitäten zu nutzen.

ELEKTROMOBILITÄT In diesem Zusammenhang rückt zwangsläufig auch die Elektromobilität in den Fokus, die in Emden zudem eine besondere Bedeutung hat. „Das VW-Werk in Emden wird in den nächsten Jahren nur noch Elektrofahrzeuge produzieren“, erklärt Manfred Ackermann. „Wir erwarten also einen hohen Anstieg an E-Autos. Darauf wollen wir vorbereitet sein.“ Um die vertrieblichen Potenziale der neuen Verbraucher zu nutzen, haben die Stadtwerke ein Netz von über 40 öffentlichen Ladesäulen aufgebaut und bieten in Kooperation mit der Stadtsparkasse und einem ortsansässigen Monteur ein eigenes Produktpaket aus Wallbox, Photovoltaik und Speicher an.

Gleichzeitig galt es sicherzugehen, dass die Niederspannungsnetze in den Wohngebieten der VW-Mitarbeiter die zu erwartende Vielzahl gleichzeitiger Ladevorgänge tatsächlich verkraften können. „Gemein

Mit einer eigenen Ladeinfrastruktur und Produkten für den Endkunden bereiten sich die Stadtwerke auf den Hochlauf der Elektromobilität vor. Echtzeitdaten aus der Niederspannung und eine eigenes Lastmanagement sorgen für Netzverträglichkeit. (Foto: Stadtwerke Emden GmbH)

sam mit Siemens haben wir die fraglichen Ortsnetze einer genauen Analyse hinsichtlich ihrer grundsätzlichen Auslastung und eventueller kritischer Netzpunkte für Ladeinfrastruktur unterzogen.“ Parallel sollen Sensoren/Aktoren in Trafostationen, Kabelverteilerschränken und Ladesäulen künftig per LoRaWAN-Daten zum Live-Zustand des Netzes liefern und die Ladestationen intelligent steuern. Das Lastmanagement ist eine Eigenentwicklung der Stadtwerke Emden. „Wir sind bereit für die Elektromobilität“, sagt Manfred Ackermann – und das können vermutlich nur wenige Kommunen von sich behaupten.

Die Liste spannender Projekte ließe sich fortführen, auf der aktuellen Agenda stehen beispielsweise auch digitale Bildungsangebote für alle Generationen. Für Stadtwerkechef Ackermann steht fest: „Beim digitalen Wandel braucht man Mut zum Experiment und lernt ständig dazu. Patentrezepte gibt es nicht.“ Dass Stadtwerke das Thema angehen müssen, steht allerdings für ihn außer Frage. (pq)

Stadtwerke Emden GmbH, Manfred Ackermann, 26725 Emden, m.ackermann@stadtwerke-emden.de Haselhorst Associates GmbH, Jürgen Germies, 82319 Starnberg, j.germies@haselhorst-associates.com

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