LEADER April 2021

Page 50

50

Wirtschaft

«Es ist nicht angebracht, von Bedrohung zu sprechen» Der St.Galler Soziologe Patrick Ziltener ist Spezialist für Asien, speziell für China. Er unterrichtet an der Universität Zürich und war beim Staatssekretariat für Wirtschaft tätig. Unter Bundesrätin Doris Leuthard hat er ausserdem an den Verhandlungen zum Freihandelsabkommen mit Japan mitgewirkt. Professor Ziltener ordnet die Beziehungen der Schweiz zu China ein und skizziert, was der zunehmende Einfluss Chinas gerade auch auf Ostschweizer Firmen bedeutet.

Laut UNO haben «alle Völker das Recht, frei und ohne Einmischung von aussen ihren politischen Status zu bestimmen und ihre wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung zu verfolgen», darauf beruft sich China. China sieht das als Grundprinzip der Diplomatie und der Weltordnung, die sie ja auch mittragen. Aufgrund unserer Forschung können wir sagen, dass China sich selber, z. B. im Zusammenhang mit der neuen Seidenstrasse in Afrika, auch daran hält. Glaubt China wirklich, dass seine Menschenrechtsverletzungen niemanden etwas angehen? China sieht seine Politik sogar als vorbildlich. Es wird so argumentiert: «Schaut her, wir haben den religiösen und separatistisch motivierten Terror in Xinjiang besiegt, es herrscht Sicherheit und Stabilität, und es gibt Ausbildung und Jobs. Vergleicht das mit dem westlichen Krieg gegen den Terror in Afghanistan, Irak und Syrien!»

Patrick Ziltener, der Ton zwischen der Schweiz und China wird schärfer; der Bundesrat hat im Rahmen seiner neuen Chinastrategie, in deren Zentrum der Dialog um Menschenrechte stehen soll, Kritik an der Menschenrechtslage geübt, worauf China ihm «böswillige Labels» unterstellte. Warum reagiert China so empfindlich auf Kritik? Ja, die Schweiz hat in ihrer China-Strategie einige sensible Themen offen und direkt angesprochen. Die Reaktion Chinasist Standard, andere Länder haben das gleiche erfahren.

In Deutschland hat der Kauf chinesischer Investoren von erheblichen Anteilen an Firmen wie Daimler, Heidelberg oder Bosch für Irritationen gesorgt. Wie weit geht der «Ausverkauf der Heimat» in der Schweiz? Die erste grosse Welle ist abgeflaut, nicht zuletzt wegen den politischen Gegenreaktionen, doch China nutzt alle Register, wenn es darum geht, in einem priorisierten Techoder Wirtschaftssektor an die Spitze aufzuschliessen. Chinesische Firmen waren und sind bereit, 20 bis 50 Prozent mehr für ein westliches Unternehmen zu bezahlen als ihre Mitbewerber. Das heisst, es ist nicht vorbei, sondern chinesischerseits ist nur etwas Tempo zurückgenommen worden. Mit Saurer etwa haben sie eine Ostschweizer Marke für Stickereimaschinen übernommen, die als globale «Coca Cola»-Marke auf ihrem Gebiet gilt. Gut ist, dass es hier in der Ostschweiz noch viele Familienunternehmen gibt, die nicht einfach übernommen werden können.

Nicht nur Chinas Botschafter in der Schweiz, Wang Shihting, spielt die ewig gleiche Leier von der «Einmischung in die inneren Angelegenheiten Chinas» ab, wann immer China kritisiert wird. Warum diese Dünnhäutigkeit, dieses Nicht-Umgehenkönnen (oder -wollen) mit Kritik?

Gemeinhin wird den Chinesen unterstellt, mit ihren Investitionen seien sie nur am Know-how der jeweiligen Firma interessiert, das nach China transferiert werden soll. Unternehmen und Angestellte seien ihnen egal. Sicher wird Know-how und geistiges Eigentum transferiert.

LEADER | April 2021


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.