HEINZE
DEAR ILLUSTRIERTE FÜR DESIGN UND ARCHITEKTUR
Neue Münchner Freiheit MIT KOLLEKTIV A FLORIAN IDENBURG: SO – IL / CKÖ – KUNST KOMMT VON WOLLEN Design A S K – ATELIER STEFFEN KEHRLE / RELVÃOKELLERMANN Architektur EIN HAUS ZUM MITNEHMEN / BIOPHILIE MIT THE BOTANICAL ROOM / DIE VILLA ALS DORF Dossier #OUTOFOFFICE: WO ARBEITEN SIE EIGENTLICH? Nr. 3/ 2018 — 8,50 Euro
Interviews
ENGINEERS OF LIGHT
Das Licht der Zukunft. 23. – 27. Oktober 2018 Messe Köln, Halle 8.1 Stand B040 www.waldmann.com/orgatec
EDITORIAL
Zwischen 1981 und 1992 lief im deutschen Fernsehen die Serie Büro, Büro. Sie zeigte das alltägliche Büroleben in der Firma Lurzer KG, die Trimmgeräte herstellt, und ist vermutlich eines der letzten populärwissenschaftlichen Vermächtnisse der alten Arbeitswelt. Aus dem Büro verschwinden zusehends Papier und Hierarchie, der feste eigene Schreibtisch und, ja, auch die Arbeit, wie wir sie kennen. Aber ist das wirklich so? Wir haben Architekten, Designer und Künstler besucht und mit ihnen über ihren Beruf gesprochen. Unter anderem mit einem jungen Kollektiv, das wirklich eine neue Art der Zusammenarbeit lebt – und zwar ohne festen Ort. Aber auch mit Gestaltern, die unbedingt einen Raum für ihr Schaffen benötigen. Wir wissen: Die Arbeit erfindet sich laufend neu. Und niemand vermag vorauszusehen, was die Zukunft bringen wird. Einen Versuch, mehr Klarheit zu erlagen, startet alle zwei Jahre die Büromöbelmesse Orgatec. Einige der Themen, die uns dort erwarten werden, finden Sie in dieser Ausgabe. Ein Leben ohne Büro, das können wir uns trotzdem nicht vorstellen. Vielleicht sehen wir schon genauso antiquiert aus wie die oben erwähnte Fernsehserie heute? Die Beliebtheit von Trimmgeräten bleibt jedenfalls ungebrochen.
(v. l. n. r.): Lionel Esche, Stephan Burkoff, Lena Kwasow-Esche, Nils Rostek und Benedict Esche vom Kollektiv A (nicht im Bild: Jonas Altmann). Foto: Cyrill Matter
Ihr Stephan Burkoff
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WWW.HEINZE-DEAR.DE
IMPRESSUM Publisher
Geschäftsführer
Chefredakteur Editorial Director Art Direction Redaktionsleitung Redaktion
Katharina Horstmann Markus Hieke, Anne Meyer-Gatermann Tim Berge, Niklas Maak, Tanja Pabelick, Max Scharnigg, Anne Waak, Thomas Wagner
Lektorat
Anja Breloh
Konzept & Realisation
Gesamtvertriebsleiter Leiter Medienproduktion Druck Zeitschriftenvertrieb Danke an
Titelbild: Cyrill Matter
Stephan Burkoff (V. i. S. d. P.) Jeanette Kunsmann Nils Sanders / BÆUCKER SANDERS GmbH
Autoren
Fotografen
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HEINZE GmbH Das führende Bauportal für Produktinformationen, Firmenprofile und Architekturobjekte Dirk Schöning Bremer Weg 184 29223 Celle www.heinze.de an Infopro Digital company
Pino dell'Aquila, Iwan Baan, Wilfried Dechau, Nicole Franzen, Rafael Gamo, Martin Heck, Tanja Kernweiss, Naho Kubota, Annette Kuhls, Ricardo Loureiro, Cyrill Matter, Samuel McGuire, Myrzik & Jarisch, Julien Renault, Hanni Schermaul, Frank Schinski, Anna Schmidhauser, Thurstan Redding, Simone Vogel, Weisswert (Basel), Nadine Zöllner und hiepler, brunier Mitte Rand UG, Verlag für Inhalt & Kontraste Marienstraße 10, 10117 Berlin www.mitte-rand.de / mail@mitte-rand.de Jörg Kreuder Ulrich Schmidt-Kuhl Vogel Druck, Leibnizstraße 5, 97204 Höchberg MZV GmbH & Co. KG, Unterschleißheim Jonas Altmann, Benedict Esche, Lionel Esche, Lena Kwasow-Esche, Nils Rostek, Cyrill Matter und Vanessa Mohrig, Clara Blasius, Steffen Kehrle, Ana Relvão und Gerhardt Kellermann, Gabriella Gianoli, Carolin Würthner, Sofia Forelle, Kathrin Hasskamp, Kerstin König, Klaus Füner, Pia Heule, Björn Lutze, Frau Hartel, Thomas Stoffels, Miki Bunge, Peeke, Anton, Bjarne und Jasper
Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das Recht der Vervielfältigung. Kein Teil dieses Magazins darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlags Mitte / Rand reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
office for motion
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Halle 6 Stand B88/C89
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INHALT
DESIGN Editorial Impressum
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DOSSIER
Porträt A S K Atelier Steffen Kehrle
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#howtonotworkbetter
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Normcore fürs Büro Relvãokellermann
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Neue Münchner Freiheit Kollektiv A
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Off Duty Fotoessay
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Runder Schnitt Umbau in Porto
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Office / Cribs Drei Büros, die sich neu erfinden
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Objective Subject Office Triptychon mit Minibar Familienschatulle Wohnhaus in Au
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Übergang in die Zukunft Office Summit in Südafrika
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ARCHITEKTUR
MAGAZIN
Interview: Florian Idenburg Wir sollten das Banale umarmen!
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Tetra Villa Fardinando Fagnola und PAT. Studio
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Patio und Ratio Ein Haus, das sich nur zum Himmel öffnet
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Rahbaran Hürzeler Die Architektinnen über das Movable House
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Mit A nach B Kolumne von Niklas Maak
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Zuhause in der Kunst: CKÖ Es war nie unsere Absicht, ein Haus zu bauen.
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Porträt The Botanical Room
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Moden von Gestern: Der Trenchcoat Kolumne von Anne Waak
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Kalender Bücher Und morgen?
157 160 162
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VORSCHAU
THE BOTANICAL ROOM „AUCH KAKTEEN BEKOMMEN SONNENBRAND.“
AB 146 AbSEITE Seite 135
F LO AT E R B Y PA U L I N E D E LTO U R COR.DE/LAB
DE
STEFFEN
KEHRLE
DESIGN
A S K 11
A S K – ATELIER STEFFEN KEHRLE
TEXT: THOMAS WAGNER FOTOS: A S K AND FRIENDS
Wie man seine Arbeit öffentlich präsentiert, einen stimmigen Auftritt hinlegt, ist heutzutage essenziell. Der Designer Steffen Kehrle weiß das. Es ist nicht lange her, dass er das Erscheinungsbild seines Ateliers in Zusammenarbeit mit Wiegand von Hartmann neu gestalten ließ. Schon das Corporate Design verrät viel über Anspruch und Vorgehen des umtriebigen Designers. Dass sein „Atelier Steffen Kehrle“ nun unter dem zum Logo verdichteten Kürzel A S K firmiert, ist keineswegs Zufall: Die richtigen Fragen zu stellen, gehört bei Steffen Kehrle zum Programm. Er liebt es, sich Fragen auszudenken, sie im Kopf hin- und herzuwenden, sie zu filtern und immer weiter zu präzisieren, bis aus spontanen Ideen und noch vagen Vorstellungen nach und nach präzise Projekte werden, die oft über das Übliche hinausgehen und gängige Typologien transzendieren. Entsprechend weit gefasst ist der Horizont, vor dem Kehrle sich positioniert. Steffen Kehrle hat an einer Kunsthochschule studiert, an der Universität für angewandte Kunst in Wien. Die Weite des Spektrums der dort praktizierten Lehre,
Steffen Kehrle entwirft mit einem Sinn für das Wesentliche. Sein Industriedesign mit Betonung auf Industrie ist oft einfach, aber wirkungsvoll. Von einem, der auf zwei Flammen kocht. 12
erzählt er, habe ihm gefallen, ihn angeregt
DESIGN
Seite 11: Die aus Münchner Himmelsbildern bestehende Lichtinstallation hat A S K gemeinsam mit Yves Peitzner für die Lobby des Münchner Andaz-Hotels gestaltet. Foto: Martin Heck Links: Porträt Steffen Kehrle. Foto: Myrzik & Jarisch Mitte: Für Sitzfeldt fungiert Steffen Kehrle seit Beginn des Labels auch als Art Director. Dabei heraus kommen neben Sitzmöbeln auch schöne Kampagnenbilder. Rechts: Tritt Mono für Richard Lampert von A S K, 2014.
und seine Neugier immer wieder von Neuem geweckt – vor allem in Seminaren bei Designern wie Bořek Šípek, Paolo Piva, Ross Lovegrove und Hartmut Esslinger ebenso wie in anderen Fachbereichen unter Raf Simons, Gregg Lynn und Zaha Hadid, bei Künstlern wie Erwin Wurm. „Dieser Spirit“, so Kehrle, „hat natürlich auf mich eingewirkt, was mir heute zugutekommt.“ Einschränkend fügt er hinzu: „Was man an einer Kunsthochschule nicht lernt: Man braucht auch ein Business-Modell.“ Vor neun Jahren hat Kehrle sein eigenes Atelier gegründet, in München. Längst hat er seine Lektionen gelernt und sich erfolgreich positioniert: „Ich sehe mich“, erklärt er, „ganz klar als interdisziplinäres Atelier für Industriedesign. Wir arbeiten an den verschiedensten Sachen, vom Mini-Möbel bis zur Architektur. Wir haben schon die unterschiedlichsten Sachen gemacht, auch für Konzerne wie BASF und E.ON.
„Wir verstehen uns ganz klar als Designbüro, das Lust hat, neue Wege zu gehen.“ Zwar hatte Kehrle schon an „der Angewandten“ hauptsächlich Möbel entworfen, dabei aber stets das Bedürfnis verspürt,
möglichst abwechslungsreiche Projekte zu realisieren: „Wenn etwas anfängt, mich zu langweilen, dann war’s das. Deshalb versuche ich immer, an Projekten zu arbeiten, die herausfordern – was es nicht unbedingt einfacher macht und dazu führt, dass Projekte auch mal über mehrere Jahre laufen.“ Der Add Stool, ein Hocker, den er für Stattmann Neue Möbel gestaltet hat, war so ein Projekt, das seine Zeit gebraucht hat – am Ende länger als zwei Jahre. „Das liegt schlicht daran, dass der Anspruch, den wir an uns und unsere Arbeit stellen, sehr hoch ist.“ Von der Methode, für eine Firma gleich zehn neue Produkte zu entwerfen, um dann zu schauen, welches sich am Markt behaupten kann, hält er wenig. Für kleine Labels wie Stattmann Neue Möbel – mit Nicola Stattmann arbeitet er schon viele Jahre zusammen –, geht das ohnehin nicht: „Da gilt es, genau zu überlegen: What’s next? Ganz gleich, für was man sich entscheidet, es muss einfach top sein.“ Kehrle arbeitet gern im Team – möglichst an mehreren Projekten gleichzeitig. „Ich bin nicht der Typ, der im stillen Kämmerlein entwirft. Wir entwickeln ja nicht nur Produkte, sondern arbeiten auch an Installationen oder Szenografien, abseits der Gestaltung von Serienprodukten. Derzeit ist das ein Projekt im Schwabinger Tor, einem neuen städtebaulichen Komplex in der Münchner Leopoldstraße“, sagt er. Dort gestaltet A S K gemeinsam mit Yves Peitzner für die Lobby des Andaz-Hotels, dem Designableger des Hyatt, eine
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PORTRAIT
DESIGN
Foto: © Julien Renault
Mit dem Stapelhocker Add für Stattmann Neue Möbel verbindet A S K eine lange Entwicklungszeit. Das Ergebnis überzeugt umso mehr.
A S K – ATELIER STEFFEN KEHRLE
Lichtinstallation. „Die fragen immer heimische Künstler oder Designer, etwas mit einem Ortsbezug zu machen, in München also am liebsten etwas mit Brezn und Trachten – ungefähr in diese Richtung. Also haben wir uns mit dem Thema München auseinandergesetzt, und München ist nun mal weißblau. Nun realisieren wir eine Lichtinstallation, die sich mit dem Himmel über München beschäftigt“, so Kehrle.
„Es reizt mich, Industriedesign zu machen – mit Betonung auf Industrie.“ Eine Garderobe mit Mehrwert. Bazar für Rochard Lampert entwarf Steffen Kehrle 2016. Eine clevere Lösung für den Windfang. Eingeschobene Ebenen können als Ablage dienen. Foto: Myrzik & Jarisch
bekennt Kehrle, „Mich reizen neue Technologien und Automatisierungsprozesse; es interessiert mich, darüber nachzudenken, wie man neue Wege gehen kann, welche Wege überhaupt neu sind, welche neuen Werkstoffe es gibt. Aber bei all dem achte ich eben auch auf das Gesellschaftliche: Wie verändert sich die Gesellschaft? Was können wir als Designer überhaupt zu einer besseren Gesellschaft beitragen? Noch mehr Luxus? Noch mehr Konsum? – Ich selbst bin überhaupt kein Konsummensch, bei mir zuhause sieht es eher spartanisch aus.“ Steffen Kehrle auf eine spartanische Lebensführung festlegen zu wollen, wäre ein fataler Fehler. Das kulturelle Spektrum seines Ansatzes beschränkt sich keineswegs auf das Lebensnotwendige. Bei seinen Entwürfen regiert nicht allein der Zweck, auch der Genuss kommt zu seinem Recht, sucht Kehrle doch
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DESIGN
nach nicht weniger als einer zeitgemäßen Balance zwischen Luxus und Askese: „Ich mag gute Sachen, ich mag gutes Essen – aber ich will nicht zu viel essen; ich mag eine gute Einrichtung – aber ich will nicht zu viel eingerichtet sein. Und ich will vor allem nicht von der Mode abhängig sein. Genau das interessiert mich auch mit Blick auf die Gesellschaft: Wie macht man etwas richtig? Was kann ich dazu beitragen? Das verstehe ich auch als Herausforderung für mein Atelier.“ Dazu passt, dass Kehrle gewachsene kulturelle Strukturen schätzt und dem deutschen Furor, alles halbwegs Alte permanent bis zur Uniformität modernisieren zu müssen, skeptisch gegenübersteht: „So etwas wie die Wiener Kaffeehauskultur gibt es Deutschland nicht; es gibt Cafés, und mancher hat auch hierzulande sein Stammcafé, aber in Wien war ich jeden zweiten Tag im Prückel – und keiner hätte sich erlauben können, so ein Kaffeehaus umzubauen.“ Erst wenn sie in einem kulturellen Humus wurzeln, ergeben interdisziplinäre Projekte für Kehrle einen Sinn, ganz gleich, ob es sich um Essensbehälter, eine Badeinrichtung oder Sitzmöbel und deren Präsentation handelt – wie in der Kooperation mit dem Möbellabel Sitzfeldt, wo er als Creative Director agiert: „Wir haben intensiv daran gearbeitet – zusammen mit meinem Team, einem Fotografen und einem Stylisten – eine völlig neue Sitzfeldt-Welt zu entwickeln, samt kompletter neuer Bildsprache und Kommunikation. Dabei zeigen wir das Sofa auf einer Bühne und wie das Sofa zu einer Bühne des alltäglichen Lebens wird. Was machst du auf dem Sofa? Nichts Besonderes: Du sitzt, du liest, du schmust, du isst, du schläfst, du arbeitest, du spielst, du hörst Musik – und genau das zeigen wir, mit Leuten, die dazu passen: vom Münchner Clubbesitzer bis zum Fotografen. Wir wollten den Qualitätsanspruch und den Designanspruch in den Vordergrund stellen und eine überzeugende Lösung finden, die das Sofa mitten ins Leben holt, ohne sich in Folklore zu verlieren.“ So sehr Kehrle seine Neugier betont, Kontinuität und gewachsenes
Ein Sommermärchen 2018: Die Treppensitzgelegenheit für die Bayerische Staatsoper ist bei A S K ad hoc entstanden. Foto: Myrzik & Jarisch
Vertrauen spielen in der Zusammenarbeit ebenfalls eine zentrale Rolle. Mit Sitzfeldt beispielsweise arbeitet er seit acht Jahren zusammen, nicht nur, was Produktlinie, Bildsprache und Außendarstellung angeht. Gerade hat er für den Hersteller View ein Sofa in diversen Varianten vorgestellt, das aber darauf reduziert ist, was Kehrle für wesentlich hält: Eleganz, Minimalismus und Komfort. Und als wäre das noch nicht genug des kontinuierlichen Engagements, hat er aktuell noch ein neues Produkt in der Pipeline: ein Sitzmöbel, das Ted heißt und ein stabiler und ultraleichter Sessel ist, der von klug gesetzten Nähten in Form gehalten wird.
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A S K – ATELIER STEFFEN KEHRLE
Foto: © Myrzik & Jarisch
Der Sessel TED für Sitzfeldt befindet sich noch im Prüfstadium. Ein von DEAR durchgeführter Sitztest hat allerdings bereits seine Alltagstauglichkeit bewiesen.
DESIGN
Ein Stapelstuhl, der mit verwundenen Streben betört. Klapp für Arrmet.
Wer mit Kehrle über seine Projekte spricht, versteht sofort, weshalb er die Abwechslung liebt. Parallel zu seinen anderen Projekten arbeitet er beispielsweise an der Entwicklung eines Grills für ein Start-up. Der Trend gehe zum Zweitgrill – wobei sich immer die Frage stelle: Gas oder Holzkohle? „Gas ist super einfach“, meint der Designer. „Holzkohle bringt größere Hitze und Aroma, einfach mehr Geschmack. Also kombinieren wir beides miteinander, bauen ein Hybrid. Mit dem Ergebnis: Man kann entweder mit Gas oder mit Holzkohle grillen, aber auch mit beidem gleichzeitig. Kross anbraten auf Holzkohle und bei geringerer Temperatur auf Gas weitergaren. Das gibt es bisher nicht, das ist ein neues Patent.“ Steffen Kehrle erklärt, wo dabei die Schwierigkeiten liegen: „Erstens muss man die Idee haben, das verbinden zu wollen, und zweitens hat man es mit extremen Temperaturunterschieden zu tun, was materialseitig, in der Kombination von Guss- und Edelstahlteilen, eine besondere Herausforderung darstellt.“ Noch sind nicht alle Fragen beantwortet, aber das kann Kehrles Optimismus nichts anhaben: „Man braucht Geduld, aber die Zeit wird kommen, in der das Ding auf dem Markt sein wird.“ Ganz gleich, was er anpackt, eines ist immer zu bemerken: Kehrle versucht ständig weiterzudenken – in Richtung neuer, anders gearteter Produkte. Und dann steht in einer Ecke des Ateliers noch ein seltsames weißes Objekt, eine Mischung aus Kasten und Sitzgelegenheit, eine Art Sofa oder Pod, der aus sechs Teilen besteht und in den man sich zurückziehen kann. Steffen Kehrle nennt das sich noch im Stadium eines Prototyps befindende Objekt „ein bisschen simpel“, dabei trifft es exakt den Zeitgeist eines nomadischen Lebens und des Beweglich-Bleibens. Das Projekt entsteht, auch das überrascht, nicht für irgendein
Möbel-Label, sondern für Master & Dynamic, einen amerikanischen Hersteller hochwertiger Kopfhörer. Das komplette Möbel ist seine eigene Transportbox. Es besteht aus einem mit Integralschaum gepolsterten und mit Stoff bespannten Gerüst – außen hart und innen weich –, dessen Teile mittels Spritzguss-Scharnieren miteinander verbunden sind, wobei die Stabilität aus der Verbindung der Teile mit der zentralen Kiste entsteht. Die Idee dahinter: Hier können ein, zwei Leute sitzen, Musik hören, arbeiten. „So etwas“, erklärt Kehrle, „gibt es eben noch nicht, dafür existiert keine Typologie.“ „Um solche Projekte realisieren zu können“, bekräftigt Kehrle immer wieder, „brauchen wir moderne, engagierte und mutige Unternehmen und Unternehmer, die sich zu einem Projekt bekennen. Sie müssen uns und wir müssen sie leiten, sonst geht es nicht. Gelingt es, machen solche Projekte nicht nur Spaß, sie sind auch in jeglicher Hinsicht aussichtsreich – nicht nur, was das Profil des Ateliers angeht.“ Man versteht: Kehrle ist vernarrt in die Vielfalt, ob es, wie bei Sitzfeldt oder der eigenen Webseite, um die Bildsprache oder ob es um Industrieprodukte geht. Vor allem aber interessiert diesen unruhigen Geist, wie es weitergeht: Welche Dinge werden wir in den kommenden 20 Jahren brauchen?
www.ateliersteffenkehrle.com
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EDITOR’S PICK — SOMETHING NICE
BEOPLAY P6 Optimaler Sound braucht Power. Ein Speaker soll aber auch gut aussehen, wie die neue Herbst-Winter-Kollektion von Beoplay, gestaltet von Cecilie Manz für Bang & Olufsen.
STANDARD SOFA Bauhaus war gestern. New Tendency entwirft heute die Klassiker für morgen. 2018 stellt das Berliner Designstudio sein erstes Sofa vor. Aus pulverbeschichtetem Aluminium gefertigt, zeigt Standard Sofa eine gerade Haltung und klare Kante – erhältlich in drei Größen und mit drei verschiedenen Bezügen von Raf Simons für Kvadrat.
CHOUCHOU Manchmal sind die Grenzen zwischen Kunst und Design fließend. Wer auf dem handgefertigten Keramikhocker von Lorenzo Zanovello sitzt, wird selbst zur Skulptur. Das glänzende Objekt Chouchou gehört zur neuen Série Noir von Pulpo, die auf der Maison & Objet in Paris Premiere feierte.
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together
SAVE THE DATE ORGATEC, KÖLN 23—27 OKTOBER HALLE 7.1, STAND B/C 030-031
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INTERVIEW
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DESIGN
RELVÃOKELLERMANN „NORMCORE FÜRS BÜRO“
VON STEPHAN BURKOFF
Habt ihr ein Lieblingsobjekt? Wir sind mit allen Entwürfen extrem glücklich. Der faltbare Stehtisch Temp ist eine neue Lösung für diese Typologie und somit eines unserer Lieblingsprodukte der 252 Kollektion. Er konnte so nur in Zusammenarbeit mit Gumpo entstehen. Ein weiteres erwähnenswertes Produkt ist die TV Wall Lino. Sie hat uns die größten Kopfschmerzen bereitet. Wie bringt man einen Fernseher an einem Tisch oder mitten im Raum an? Obwohl das Produkt so einfach aussieht, hat es einige Zeit gedauert, bis es seine Form gefunden hat.
Auf der Orgatec 2018 zeigt ihr eine komplette Kollektion von neuen Büromöbeln für den Hersteller Gumpo. Mit welcher Aufgabenstellung habt ihr euch diesem Projekt genähert? Wir wollten simple und klare Produkte für die moderne Bürowelt gestalten, ohne dabei zu versuchen mit der Gestaltung in den Vordergrund zu treten. Dabei haben wir sehr viel Wert darauf gelegt, mit den internen Produktionsmöglichkeiten von Gumpo zu arbeiten. Auf diese Weise konnten wir neue Typologien und innovative Lösungen gestalten, die auch preislich attraktiv bleiben.
Sind die Objekte in ihrer weißen Schlichtheit auch eine Antwort auf das „Everything goes“-Büro? Die Lösungen, die wir entworfen haben, sind eine Antwort auf die Büros von heute – und das sind nicht nur offene Büros. Nichtsdestotrotz ist der Bürotrend „Everything goes“ da, und es besteht die Notwendigkeit, Möbel zu entwerfen, um diese neueren Anforderungen zu erfüllen. Deshalb ist die Kollektion auf das Wesentliche reduziert, das jedes Büros braucht. Wir würden sagen, die Kollektion ist ziemlich „normcore“.
Die Möbel sind bis aufs Äußerste reduziert. Wo verstecken sich die besonderen Details? Es war unsere Absicht, sehr reduzierte Lösungen zu schaffen, die den Anforderungen dieses Projekts entsprechen. Aber diese Produkte sind mehrschichtig. Die besonderen Details verbergen sich in ihrer Benutzerfreundlichkeit. Wir haben ein paar Aha-Momente entwickelt, die während der Verwendung erlebbar werden. An wen richtet sich die Kollektion? Architekten und Planer, die nach zeitgemäßen und dennoch unaufdringlichen Bürolösungen suchen. Die Kollektion soll sich in die Architektur integrieren, ohne den Komfort ihrer Benutzer zu beeinträchtigen.
Ana Relvao und Gerhardt Kellermann, © Tanja Kernweiss
Eure kreative Arbeit ist äußerst vielfältig. Gibt es einen Gestaltungsgrundsatz von Relvãokellermann? Wir lassen uns ungern einer Kategorie zuordnen. Für uns sind die unterschiedlichen Disziplinen in der Produktgestaltung essenziell, da sie sich gegenseitig bereichern. Wenn wir entwerfen, versuchen wir immer, den Überblick über alle Faktoren zu haben. Durch klare Analysen erhält man ein klares Produkt, das seine Intention, seinen Wert, seinen Zweck, seine Verwendung kommuniziert. Daher könnte Klarheit unser hauptsächliches Konstruktionsprinzip sein.
Was ist das Besondere an der Zusammenarbeit mit Gumpo? Es ist eher ungewöhnlich, dass ein Unternehmen mit mehr als 50 Jahren Erfahrung so offen ist. Unter der Leitung von Sebastian Waibel war das gesamte an dem Projekt beteiligte Team äußerst engagiert und willens, diese Kollektion zu realisieren. Ihre Unterstützung, ihr Know-how und ihr Engagement sind aus unserer Sicht unglaublich.
Für den Büromöbelhersteller Gumpo haben die Münchner Gestalter Ana Relvão und Gerhardt Kellermann eine schlichte und praktische Serie von Objekten für das Büro von heute entworfen. Die komplette Kollektion ist auf der Orgatec 2018 zu sehen.
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PROJEKTE
RUNDER
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SCHNITT
DESIGN
UMBAU
IN
PORTO
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PROJEKTE
Vieles hätte fßr einen Komplettabriss gesprochen. Heute weisen nur Details darauf hin, dass es sich um einen renovierten Bestand handelt.
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DESIGN
Ein tiefer, schattiger Raum, vier geheimnisvolle Türen und eine zentrale Wand mit ausgeprägter Rundung: Dieses Wohnhaus steckt in alten Gemäuern und ist doch so innovativ, wie es kaum ein Neubau ist. Realisiert hat den Umbau in Porto das junge und für seine experimentellen Ansätze bekannte Büro Fala Atelier.
TEXT: MARKUS HIEKE FOTOS: RICARDO LOUREIRO
Normalerweise erzählen alte Gebäude Geschichten aus der Vergangenheit – an diesem Bau aber kann man nur an wenigen Details ablesen, dass er aus einer früheren Zeit stammt. Marode Wände, ungünstiger Schnitt, schmuckloses Äußeres: Vieles hätte für einen Komplettabriss gesprochen. Dass die Bauherren und die Architekten sich für eine Umgestaltung innerhalb der existierenden Außenmauern entschieden, zeugt von einer begrüßenswerten Haltung gegenüber der Arbeit im Bestand. Die Nachbarschaft beschreiben die Architekten Filipe Magalhães, Ana Luisa Soares und Ahmed Belkhodja als wenig bemerkenswert. Dort stand das Haus lange Zeit leer, und hinter dem Gartentor verbarg sich ein großzügiger Garten. Einzig die enorme, nach vorn
strahlt in reinem Weiß, das Dach wird von einem hauchdünnen Wellblech bedeckt und den Eingang markiert eine leuchtend rote Tür. Zur Straße begrenzt ein meerblaues Tor das Grundstück. Ob das Haus neu oder alt ist, erkennt man allenfalls an Feinheiten – der Dachform oder dem Fenstergitter an der straßenseitigen Fassade. Der gravierende Eingriff findet im Inneren statt: Hier durchkreuzt eine kurvige Wand den Grundriss diagonal. Auf der größeren Seite dehnt sich bis tief in das Grundstück hinein der offene Küchen- und Wohnbereich aus. Eine neu geschaffene Fensterfront öffnet das Haus zum Garten. Und zur Straße hin ordnen sich hintereinander das Bad, ein Ankleidezimmer, eine Abstellkammer, das Schlafzimmer und der Eingangsbereich mit abgetrenntem
und hinten abfallende Dachschräge des Gebäudes stach hervor. Die Kubatur des Baus ließ das Architektenteam bestehen. Die neu verputzte Fassade
Flur an. Blickt man vom Wohnraum aus auf die vier blauen Türen in dieser Wand, ahnt man nicht, wie groß oder klein die
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PROJEKTE
Eine kurvige Wand durchkreuzt den Grundriss diagonal.
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Die Kßchenzeile findet Ruhe an der längsten Innenwand des Hauses.
DESIGN
Vier geheimnisvolle Türen führen in weitere Bereiche des Hauses, deren Größe man außen nicht erahnt.
Räume sind, die sich dahinter verbergen. Während der Flur nur so groß wie nötig ist, überrascht das Schlafzimmer mit seiner vergleichsweisen Großzügigkeit. Darüber hinaus ist dieses über den Kleiderraum mit dem Badezimmer verbunden. Bei der Möblierung des Wohnraums gingen die Architekten sparsam vor: eine korallenrote Küchenzeile mit weiß-grauer Marmorarbeitsplatte, ein separat platzierter Vorrats- und Einbaukühlschrank, daneben ein paar alte Holzmöbel und -stühle sowie zahlreiche Grünpflanzen.
Die höchste Stelle unterhalb des Daches markiert eine Kletterstange – ihr Zweck ist rein dekorativ. Wie in früheren Projekten, nimmt Fala Atelier auch hier seinem Umbau die Strenge und Ernsthaftigkeit und fügt ihm beinahe etwas Künstlerisches hinzu, das jeder selbst interpretieren darf. So beruht etwa die kreisförmige Terrasse auf dem „Why Not“-Prinzip: Warum ein Kreis? Warum nicht?! „Letztlich ist das Haus ein eher konventionelles Gebäude“, sagen die Architekten, „jedoch eines, das ungewöhnlich lebhaft ist.“ Der Aufwand, diese Dynamik zu erzielen, steht in
Es könnten vier Kammern sein, doch dahinter verbergen sich der Flur, das Schlafzimmer, ein Ankleidezimmer und das Bad.
einem ausgesprochen guten Verhältnis zum Resultat.
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PROJEKTE
Wellblech, AuĂ&#x;envorhang und Fensterfront: Die Rezeptur von Fala Atelier ist einfach und wirkungsvoll.
House with a Curved Wall Umbau in Porto, 2016/17 Projektarchitekten Fala Atelier / www.falaatelier.com Fotograf Ricardo Loureiro / www.ricardoloureiro.com
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Fliesenkollektion: SPOTLIGHT OPTIMA
SPOTLIGHT OPTIMA Ideale Maße für maximale Ideen
WWW.VILLEROY-BOCH.COM
PROJEKTE
OBJECTIVE SUBJECT OFFICE:
TRIPTYCHON MIT MINIBAR
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DESIGN
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PROJEKTE
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DESIGN
TEXT: ANNE MEYER-GATERMANN FOTOS: NICOLE FRANZEN
Weil der Wind so forsch um das Flatiron Building in New York saust, drückten sich nach der Fertigstellung des Gebäudes immer wieder Männer an der Ecke herum. Warum? Sie hofften auf hochfliegende Rocksäume und einen Blick auf Frauenbeine. Ganz in der Nähe blicken heute die Mitarbeiter eines Designstudios durch dramatische, bis zu fünf Meter hohe Oberlichter in den Himmel: Sie arbeiten auf dem Dach eines historischen Gebäudes. Gestaltet haben die neue Arbeitsumgebung für das renommierte Studio Objective Subject Office Rustam-Marc Mehta und Tal Schori von GRT Architects: Kein Großraum, sondern drei Kabinette sind das Ergebnis des jungen Architektenduos. Ihre drei Kabinette bieten eine intime Atmosphäre und zeigen dabei jedes für sich einen ausgeprägten, starken Charakter. Erst im Zusammenspiel gleichen sich die Extravaganzen aus. Wer bei Objective Subject Office eintritt, gelangt zuerst in eine zartrosa Küche, die auch für Besprechungen genutzt werden kann. Das Büro ist in ein milchiges Grau getaucht, und der Konferenzraum ist eine schwarze Klausur, die von Wand zu Wand mit
besonders bemerkenswert, weil er sich vom Üblichen der Bürogestaltung erfrischend abhebt. So auch dieses Detail: eine Bar mit erlesenen Spirituosen.
Teppich ausgelegt ist. Dieser Raum ist
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PROJEKTE
Der Salon mit seinem Teppich und dunklen Wänden saugt jede Aufregung auf, während das Tageslicht wie bei einem Alten Meister durch das Dachfenster strahlt.
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ANATOLE Sofa, Mobile Coffee Table, Workstation Jean-Michel Wilmotte
Meet us at Orgatec 23 - 27 October 2018 Stand: Hall 9.1 B038 C039 www.koleksiyon.de New York / Chicago / Dallas / London / Ä°stanbul / DĂźsseldorf / Frankfurt / Vienna Paris / Bordeaux / Nice / Marseille / Toulouse / Lyon / Barcelona / Bogota / Moscow Breukelen / Warsaw / Sidney / Singapore / Hong Kong / Dubai / Nicosia / Baku Almaty / Cairo / Amman / Riyad / Bahrain / Doha / Bangalore
PROJEKTE
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DESIGN
FAMILIENSCHATULLE TEXT: JEANETTE KUNSMANN FOTOS: SIMONE VOGEL
Hier wohnt eine junge Schweizer Familie im Garten der Großeltern. An ihrem Tisch finden alle einen Platz – auch die Kinder der Schwestern, die am gleichen Hang gebaut haben. 39
PROJEKTE
Lieblingsort der Familie ist die Küche: Von der Fensterbank blickt man direkt auf die Berge. Die fünf Meter lange Küchenplatte aus Beton wurde als ein Element in das fertige Haus geliefert.
Die Beziehung zwischen Architekten und Bauherrn kann man als Pingpong verstehen: Der eine wünscht und bezahlt, der andere verspricht, entwirft und baut. Beide müssen einander vertrauen. Ob das Werk am Ende gelingt, hängt vom Zusammenspiel ab. Mit von der Partie ist im Fall dieses Hauses die gesamte Familie: die Eltern, denen das Grundstück gehört, und die beiden Schwestern, die hier ebenfalls schon gebaut beziehungsweise die ehemalige Tierarztpraxis des Vaters umgebaut haben. Sie alle teilen sich dieselbe Adresse. Auch in der Schweizer Provinz, an der Grenze zum österreichischen Vorarlberg, gilt es als speziell, wenn man sein Wohnhaus in den Garten der Eltern bauen möchte. Für die große Familie regelt die Topografie die Aufteilung des elterlichen Gartens. Die Hanglage stellt auch für das neue Haus in Au Vorgaben an das Entwurfskonzept. Das Resultat sähe nicht nur gut aus – „es wohnt sich auch gut“, lobt Pia Heule. Seit einem Jahr lebt die Bauherrin mit ihrer Familie in dem Neubau, den das örtliche Büro Bänziger Lutze Architektur in den Garten ihres Vaters gebaut hat. Die junge Familie wollte kein ganz typisches Wohnhaus, sondern etwas spezielles, aber von einem Architekten, der aus der Nähe kommt – auch,
zeitgenössisches Wohnhaus aus Sichtbeton und Stahl. Als „ein ehrliches Material“, bezeichnet Heule den Baustoff, von dem sie ihren Mann überzeugen kann, obwohl er anfänglich noch eine gewisse Skepsis signalisiert. Die Betondecken, die sich konsequent durch das Haus Heule ziehen, gefallen ihm heute umso mehr. Durch ihren beruflichen Hintergrund als Marketingdirektorin bei dem Traditionsunternehmen Bauwerk Parkett bringt Heule ein ausgeprägtes Gefühl für Architektur, Raum und Oberflächen mit. „Das ist bei weitem nicht bei jedem Bauherrn so“, merkt der Architekt an. Pia Heule definiert gute Architektur über eine klare Formensprache und schöne Materialien. „Ich wollte ein Gebäude, das sich in seine Umgebung integriert. Es darf kein Fremdkörper sein“, findet sie. Gebaut wird ein Massivbau aus Beton. Damit der Ausblick aus dem dahinterliegenden Elternhaus gewährt bleibt, denken Bänziger Lutze ihren Neubau in die Tiefe: „Ein Geschoss versinkt eigentlich im Boden“, sagt der Architekt und ergänzt: „So kommt es auch zur Drehung im Baukörper.“ Während der untere Gebäudeteil in der Topografie verschwindet, dreht sich das obere Volumen der Sonnenausrichtung nach in Richtung
weil die Hanglage keine einfache Vorrausetzung war. Nach kurzer Recherche entdeckt Pia Heule das Architekturbüro von Markus Bänziger, Luzia Bänziger und Björn Lutze. Ihr gefällt der Neubau, in dem Architekt Björn Lutze wohnt, ein
Südwesten. Die Schlafzimmer im Untergeschoss orientieren sich nach Osten. „Wir wohnen ja eigentlich im Keller“, lächelt Heule. Wichtig war ihr dabei, dass man im tiefergelegten Erdgeschoss kein kaltes Gefühl bekommt. Dafür sorgten die
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DESIGN
Die Architekten haben bei der Planung des Hauses die Einbauten wie ein komplettes Möbelstück entworfen: Vom Eingang aus entwickeln sich die Wandeinbauten um die Ecke bis in die Küche, sie sind eine Sonderanfertigung vom Schreiner.
Möblierung und der Holzboden, der Wärme ins Haus bringt. Die Innenarchitektur verstehen Bänziger Lutze als Teil des Gebäudes: Regale, Treppe und Küche sind von den Architekten entworfen und in Zusammenarbeit mit dem Tischler geplant und ausgeführt worden. Durch die Entscheidung, den Beton nur innen zu betonen – „zeigt man ihn beidseitig, ist das sehr aufwendig“, wissen die Architekten –, braucht es einen materiellen Gegenspieler: Holz. Dazu gesellt sich ein drittes Material: Linoleum. „Es bringt nicht nur Farbe in den Raum, es ist ein weiches Material und dabei sehr samtig“, so Lutze. Die Flächen aus Linoleum bewähren sich im Alltag. Die Familie wollte keine Hochglanzküche, auch hier sollte das Materialkonzept prägend für den gesamten Raum sein. Durch das Vorwissen von Pia Heule bleibt bei der Planung wesentlich mehr Zeit für die Ausarbeitung der Details, die Architekten freuen sich über den Input. Speziell sind zum Beispiel die Griffe. Es sollten keine aufgesetzten Griffe sein, aber auch kein Touch-Griffsystem. Die Lösung findet die Bauherrin am Ende auf Pinterest: Die hinterlegten Öffnungen in den Schrankoberflächen bedeuten zwar einen Mehraufwand in der Produktion, den ihre Handhabe und Wirkung aber absolut rechtfertigt. Als es um eine passende Lösung für den Boden geht, liegt diese Pia Heule praktisch zu Füßen. Nach ein paar Vorüberlegungen steht fest, dass sich die Verschiebungen der
Wohngeschosse mit Formpark Parkett perfekt ausgleichen lassen. „Ein perfektes Match“, erzählt die Bauherrin. „Gerade zur Geometrie des Hauses mit Öffnungen in alle Richtungen passt der Boden einfach sehr gut.“ Heule kennt den Parkettboden, den das Studio Hannes Wettstein gestaltet hat, wie kaum jemand anderes: Es war ihre erste Produktentwicklung, die sie bei Bauwerk betreut hat. Jetzt konnte sie mit diesem ersten Innovationsprojekt das Zuhause für ihre eigene Familie einrichten. Einziehen konnten sie im Herbst 2017. Inzwischen hat die Familie alle Jahreszeiten einmal in dem Hanghaus im Garten erlebt. „Es ist tatsächlich genau so, wie wir es uns vorgestellt haben“, antwortet Pia Heule auf die Frage, ob sie im Nachhinein etwas ändern würden. Ein größeres Lob kann Architektur kaum bekommen.
Haus in Au Neubau, 2017, 250 Quadratmeter Bänziger Lutze Architekturen www.baenzigerlutze.ch
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FORMSACHE
GEPFLEGT
The Strongman Nutcracker von Marcel Wanders für Alessi. Foto: © Alessi
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DESIGN
DURCHDREHEN VON MAX SCHARNIGG
Was man mal machen kann: die Alessi-Firmenzentrale besuchen. Nicht nur, weil sie am Ortasee im Piemont liegt und man dort hervorragende Haselnüsse bekommt. Auch weil es irgendwie rührend ist, was bei Alessi immer noch passiert. Große Laser schneiden aus Stahlplatten filigrane Christbäume für das Weihnachtsgeschäft. Knorrige Fabrikarbeiter löten Tüllen an Wasserkessel, die sich irgendein Designer vor 25 Jahren ausgedacht hat und im Outletshop warten gleich vier reizende Damen auf eine Ansage des Kunden, ob er die Caffettiera von Richard Sapper in erster oder zweiter Qualität haben möchte, dann sprinten sie ins Lager und machen dabei „Allora!“ und andere schöne Geräusche. Auf der Toilette bei Alessi im zweiten Stock sieht es aus wie auf allen italienischen Toiletten mittleren Baujahrs: Ein Riss geht durchs Mauerwerk, der Wasserhahn tröpfelt, die Fliesen haben eine Patina, wie nur Fliesen auf stark frequentierten Toiletten sie erreichen können. Aber rechts neben der Schüssel steht knallgrün und lustig eine Design-Klobürste, so unpassend wie ein Springbrunnen in der Wüste. Angesichts dieser Klobürste habe ich das Prinzip Alessi erst vollkommen verstanden, es war eine Erleuchtung, ach was, die reinste Epiphanie. „I found love in a hopeless place!“ Denn hätte da jetzt nur eine langweilige deutsche „form follows function“–bürste gestanden, rutschfester Griff und Bürstenkopf in optimierter Passform, wäre die Trostlosigkeit vollkommen gewesen, das Örtchen ganz ohne Hoffnung. So aber, mit dem albernen Alessi-Kaktusgriff in Grün und einem Behälter wie ein Blumentopf, war die Botschaft eine andere: Die Hässlichkeit des Ortes verkam zur Karikatur, alles war nicht so ernst, das Ding genügte als innenarchitektonisches Augenzwinkern. Danach sah ich das ausgebreitete Sortiment dort in Crusinallo jedenfalls mit anderen Augen. Viele der Sachen waren Ausdruck bürgerlichen Ungehorsams, eine Satire auf den Ernst der Gestaltungswelt. Die Deutschen tun sich mit Alessi ja bisweilen ein bisschen schwer, besonders die Menschen unter 50.
All die figurativen Flaschenöffner und grinsenden Tischaufsätze, diese dekorative Wucht und Farben, die bei Alessi ganz selbstverständlich neben puristischem Jasper-Morrison-Sachen stehen, das hat man ja oft nicht verstanden. Aber dafür braucht man eben eine gewisse Reife oder noch besser: eine gewachsene ästhetische Frustrationstoleranz. Der große Alberto Alessi sagte später an diesem Tag beim Essen, während er formvollendet Grissini-Stäbchen in sich verschwinden ließ: „Sein Leben lang nur streng funktionales Design zu machen, ist doch wahnsinnig langweilig.“ So ungeheuer das klingt, wenn man in Rams-Land aufgewachsen ist, es ist irgendwie die reinste Wahrheit. Der menschliche Geist hat mehr Stimulation verdient als steriles Funktionsdesign. Der kann das schon verkraften, wenn es hier und da ein bisschen in der Optik kitzelt. Das Ornament mag zuckrig, fettig und ballaststoffreich sein, aber genau deshalb schmeckt es manchmal so gut. Gerade weil man so geradlinig und schnörkelfrei erzogen wurde, muss man sich später die heimliche Freude an Fransen, Löckchen und ein bisschen Pomp erarbeiten, man muss das zulassen können. Immer nur puristisch kann jeder, daneben ein bisschen gepflegt durchdrehen, das ist die eigentliche Kür! Es muss ja nicht unbedingt eine giftgrüne Klobürste sein. Wie wäre es mit einem Nussknacker in Form eines lustigen Muskelprotzes? Zusammen mit den sehr funktionalen Haselnüssen aus dem Piemont ist das eine wirklich kultivierte Kombination.
Max Scharnigg arbeitet als Redakteur für Stil und Lebensart bei der Süddeutschen Zeitung. Sein letztes Buch beschäftigte sich mit dem Thema gute Manieren im Netz. www.scharnigg.de
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DESIGN
NEWCOMER
VON TANJA PABELICK
CONCRETE STOOLS Die Hocker des kalifornischen Architekten und Designers J. Byron-H (Jerome Byron Hord) sind eine Serie von Unikaten. Die glasfaserverstärkten Betonskulpturen gibt es in drei verschiedenen Grundformen als Barhocker, kleine Bank oder Schemel und in individuellen Pastellnuancen von Vanillegelb bis Himmelblau. Der eigentliche Clou aber ist die Produktion. Der pigmentierte Beton wird in eine flache Form aus Gummi gegossen und muss so lange trocknen, bis er nicht mehr fließt, aber noch flexibel ist. Dann wird er über Grundformen aus Holz
Foto: © Samuel McGuire
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gespannt und kann final aushärten. Die Konstruktion ist eine abstrahierte Variante eines klassischen Dreibeiners, wobei die aufliegenden Punkte von einer Seite mit flacher Kante und der halbkreisförmigen anderen gebildet werden. Die besondere Eleganz des Entwurfes liegt in seiner beschwingten Form und schlanken Silhouette, die das brutalistische Material überraschend leicht und agil wirken lassen. www.jbyron-h.com
Gira Studio 1 Schalterprogramm 2 Installationsvarianten Rund und eckig, schwarz und weiĂ&#x;: Das neue Schalterprogramm Gira Studio setzt auf Kontraste. Als Aufputz-Variante im trendigen Design-Interieur oder als Unterputz-Variante im gehobenen Wohnraum. Kombiniert mit den Einsätzen aus dem Gira System 55 lassen sich mit Gira Studio viele moderne Designs und zukunftssichere Installationen realisieren. Weitere Informationen: www.gira.de/studio
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#HOWTONOTWORKBETTER
MACHE STETS ZWEI DINGE GLEICHZEITIG. IGNORIERE PROBLEME. HÖRE NIEMALS ZU. STELLE NICHTS IN FRAGE. UNTERSCHEIDE NICHT ZWISCHEN SINN UND UNSINN. VERWEIGERE VERÄNDERUNG. GIB NIE EINEN FEHLER ZU. DRÜCKE DICH KOMPLIZIERT AUS. REGE DICH AUF. UND BITTE STETS LÄCHELN.* *Inspiriert von How to Work Better, einem Kunstwerk von Peter Fischli und David Weiss.
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ARCHITECT @WORK GERMANY
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ARCHITECT MEETS INNOVATIONS Station Berlin 7.-8. Nov. 2018 Messe Stuttgart 5.-6. Dez. 2018 STILVOLLES FACHEVENT mit mehr als 500 von einer Fachjury kuratierten Innovationen EXKLUSIVES NETWORKING in einer einzigartigen Stimmung WWW.ARCHITECTATWORK.DE
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in Kooperation mit
CANADA
TURKEY
NORWAY
SWEDEN
DENMARK
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ITALY
SWITZERLAND
AUSTRIA
GERMANY
UNITED KINGDOM
FRANCE
LUXEMBOURG
THE NETHERLANDS
BELGIUM
IIIIIIIIIIIIIII Foto: Cyrill Matter, 2017
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TITEL
NEUE MÜNCHNER FREIHEIT
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Kollektiv A
VON JEANETTE KUNSMANN UND STEPHAN BURKOFF PORTRÄTS: CYRILL MATTER
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Für einen Prominenten entwerfen sie gerade ein Gebäude für dessen Kunstsammlung. In Berlin haben sie ein 20.000-EuroHaus gebaut, und in den Bergen soll bald das Zuhause für einen Schriftsteller entstehen. Das A steht für Architektur, im Kollektiv erhalten sich die fünf jungen Architekten ihre Freiheit. Geplant wird, wie sie das Leben verstehen: mit Optimismus. 51
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Begonnen haben sie zu dritt, heute sind sie zu fünft: Die Architekten Benedict Esche, Lionel Esche, Lena Kwasow-Esche, Jonas Altmann und Nils Rostek sind zusammen ein starkes Team. Eine Besonderheit bei ihrem Kollektiv A ist, dass es ohne festes Büro auskommt. Manchmal werden projektweise auch andere junge Architekten hinzugeholt. Klingt nach einem Experiment. Wir treffen die fünf am Ort des Geschehens, auf der Baustelle im ersten Obergeschoss eines Cafés, das sie gerade grundsanieren und umbauen. Sein Name könnte kaum passender sein: Münchner Freiheit. 52
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Ihr seid noch jung, voller Ideen und genießt eine gewisse Freiheit: Wenn man auf der einen Seite Architektur als Gesamtkunstwerk betrachtet und auf der anderen Seite Architektur als Dienstleistung, wo würdet ihr euch einordnen? Benedict Esche: Ich glaube, dass es schon immer um ein Gesamtbild geht. Was sich aber nicht negiert: Denn wir sind auch Dienstleister. Die Aufgabe stellt uns jemand. In dem Sinne sind wir Rahmenbauer. Und der Rahmen kann total kunstvoll sein. Der ist dann das Gesamtkunstwerk, aber zugeschnitten auf die Aufgabe.
Seit 2015 arbeitet ihr kontinuierlich zusammen, habt aber kein gemeinsames Büro, wohnt nicht mal alle in München. Wie funktioniert das praktisch? Wie geht ihr beispielweise mit Materialien um? Benedict Esche: Es ist alles digital.
Lena Kwasow-Esche: Es sind zwei Dinge, die ineinandergreifen. Erst durch die Aufgabe, die wir gestellt bekommen, und indem wir den Kontext analysieren, können wir kunstvoll arbeiten. Was wiederum auch nur eine Plattform für die Bauherren selbst ist. Sie bringen meistens eine starke Geschichte mit, einen Charakter, oder eine Philosophie. Wir versuchen, das widerzuspiegeln.
Und wo arbeitet ihr? Lena Kwasow-Esche: Im Flugzeug, im Zug und in der Hotellobby …
Vereint euch fünf der Gedanke, Architektur mehr als Dienstleistung zu sehen? Benedict Esche: Oho! Nils Rostek: (unterbricht) Ich glaube, dass Architektur dann stark ist, wenn sie diese Ganzheitlichkeit als Gesamtkunstwerk gewährleisten kann. Wenn man eine gute Idee hat, ist das Formale ein Endprodukt davon, was aber in verschiedenen Nuancen anders sein kann. Die Idee muss lesbar bleiben. Das kann man auch einem Bauherrn verkaufen. Und wenn er da so weit mitgeht, dann kann man als Architekt auch auf Ansprüche und Änderungen des Bauherrn eingehen. Wichtig ist, dass man eine Idee, ein starkes Konzept hat. Dann fängt Architektur an, Spaß zu machen.
Was bedeutet, dass eure Art zu arbeiten auch erst seit Kurzem überhaupt möglich ist. Ohne Internet hätte sich ein Kollektiv junger Architekten vermutlich nicht so einfach organisieren können … Benedict Esche: Wenn, dann auf jeden Fall viel langsamer.
Jonas Altmann: Im Homeoffice, im Café, auf dem Amt. Benedict Esche: Im Nachtbus von München nach Graz ... Lionel Esche: Zuhause und auch auf den Baustellen. Nils Rostek: Ja, oft sind wir direkt vor Ort, auf der Baustelle. Das ist super. Eigentlich sollte man immer so arbeiten, weil man alles sofort überprüfen kann. Wie tauscht ihr Informationen aus? Benedict Esche: Grundsätzlich kann man das Material, Heft oder Buch von Arbeitsplatz A nach B mitnehmen. Und man kennt es auch aus größeren Büros: Am Ende weiß man dort manchmal auch nicht mehr, wer welches Magazin wo abgelegt oder mitgenommen hat. Und wenn wir an klassische Bürowelten denken: Dort kann man oft beobachten, dass die Mitarbeiter aus verschiedenen Etagen auch nicht mehr direkt miteinander reden. Vielleicht treffen sie sich irgendwann einmal in
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der Kaffeeküche, aber sie könnten theoretisch genauso gut 10.000 Kilometer voneinander entfernt arbeiten, weil sie am Ende doch nur per Mail miteinander kommunizieren. Wir arbeiten nicht anders, nur vielleicht etwas gemütlicher: auf der Couch, im Bett und mal am Küchentisch.
Tonangeber? Oder seid ihr ohne Leitung organisiert? Jonas Altmann: Jeder von uns übernimmt eine Projektleitung.
Und wie geht ihr in den Entwurfsprozess? Erarbeitet ihr das Konzept alle fünf zusammen? Lionel Esche: Das ist ganz unterschiedlich und auch abhängig davon, wer gerade Zeit hat. Wenn wir an einem Wettbewerb teilnehmen, sprechen wir uns untereinander ab. Dann entwickelt sich eine Diskussion, in die sich jeder der fünf Köpfe einbringt, auch einer, der den Wettbewerb vielleicht gar nicht so gut kennt. So wird seine Meinung zu einer Kritik, die die anderen wieder voranstößt und weiterbringt.
Jonas Altmann: Es geht bei dieser Rolle letztendlich darum, den Betriebsablauf zu steuern. Sonst läuft es nicht. Und der Bauherr wünscht sich meist nur einen Ansprechpartner.
Und was macht ihr mit euren Modellen? Benedict Esche: Die werden wieder auseinandergebaut. Lionel Esche: … die schönen Präsentationsmodelle lagern bei uns zuhause. Lena Kwasow-Esche: Je nachdem, wie die Projekte verteilt waren, archivieren sich auch die Modelle in den jeweiligen Kellern … Der Mensch konserviert gerne. Aber ich glaube, uns hilft das Loslassen von den Dingen auch ein Stück, uns weniger in vergangenen Projekten zu bewegen. Unser Fokus richtet sich nach vorne. Welche Rolle spielt eure Webseite? Benedict Esche: Eine Webseite funktioniert wie eine Briefmarkensammlung. Sie ist einfach, chronologisch geordnet und ohne Hierarchie. Hierarchie ist ein gutes Stichwort: Gibt es bei euch pro Projekt einen
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Benedict Esche: Was bedeutet, dass derjenige das letzte Wort hat, aber auch, dass wir alle Frage diskutieren.
Und wie entscheidet ihr, wer welches Projekt adoptiert und begleitet? Benedict Esche: Das ergibt sich eigentlich aus dem jeweiligen Zeitplan und Ablauf, und daraus, wieviel Leidenschaft jemand gerade in ein Projekt geben kann. Zum Beispiel ist es bei den Wettbewerben so, dass wir diese zeitlich gar nicht mehr so intensiv betreuen können, aber Lionel bringt hier wahnsinnig viel Zeit und Energie ein. Oder das Projekt in der Musenbergstraße, für das Jonas wie ein Löwe um das Baurecht gekämpft hat. Aber jedem von den anderen bleibt trotzdem die Möglichkeit hineinzupiksen und etwas infrage zu stellen. Wir glauben, dass nur durch Diskussionen ein gutes Ergebnis entstehen kann. Bei welchen Themen seid ihr denn verschiedener Ansicht? Worum drehen sich eure Diskussionen? Benedict Esche und Nils Rostek: (zeitgleich und vehement): Baukosten. Alle lachen. Pause. Nils Rostek: Anspruch und Baukosten. Ideal und Realität – daran reibt man sich immer. Lena Kwasow-Esche: Manchmal muss einer wieder auf den Boden geholt
werden, weil er sich in den Wolken bewegt und mehr will, als die Kapazitäten hergeben können. Also muss er von den anderen geerdet werden. Aber wir wollen natürlich alle gerne immer mehr, als möglich ist.
20.000-Euro-Haus. Das Geländer ist in den Farben Schwarz-Rot-Gold gehalten. Die vorgefundene Struktur des Objekts war nach 1940 nicht mehr bewohnt und dementsprechend komplett zerstört. Das Fundament war jedoch noch gut in Schuss. So konnten die Architekten die günstigen Kosten realisieren. Das Geländer wurde restauriert und in den ursprünglichen Farbton gebracht.
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Haus für einen Physiotherapeuten, München, 2018. Der Bauherr, hier im blauen T-Shirt, zieht gerade ein.
Dachaufstockung Plinganserstraße, München, derzeit im Bau.
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Entwurf: Chicago Lakefront Kiosk, Projekt im Rahmen der Chicago Biennale 2015
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Als künstliche Ruine, die in einer klaren Struktur die Straße vom Strand abgrenzt und sich als offenes und häusliches Konglomerat zum Strand öffnet, soll der Kiosk neue Qualitäten schaffen.
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KOLLEKTIV A
Benedict Esche: Was auch spannend werden kann, mit einem winzigen Budget einen Traum zu erfüllen. Wie zum Beispiel bei dem 20.000-Euro-Haus in Berlin. Als wir auf Schrottplätze gefahren sind und Material gesammelt haben … das war schön. Jonas Altmann: (lacht) Das war eher schwierig. Benedict sagt, es war schön – Jonas sagt, es war schwierig. Jonas Altmann: Da sieht man unsere Rollenverteilung. Benedict Esche: Sagen wir, es war schwierig-schön! Ihr habt uns erzählt, dass ihr kein Manifest, sondern eine Grundlagenregelung für euch als Partner habt. Was verbindet euch? Benedict Esche: Regeln und Ausnahmen. Jonas Altmann: Wir sind Architekten, die gerne einfach bauen. Fürs Stadtmarketing funktioniert ein Bau von Zaha Hadid – was aber irgendwie nur eine Show-Architektur bleibt, weil sich unter der gemorphten Fassade oft auch nicht mehr als eine rechteckige Halle verbirgt. Ich denke, das ist ein Zeichen unserer Arbeit: Diese vereinfachte Ästhetik. Klarheit. Das verbindet uns. Lionel Esche: Es ist eine Klarheit, aber dann kommt dazu immer eine Ausnahme, so eine Art Störung, die in den Projekten verhaftet ist. Wie die Biberstütze, von der ihr erzählt habt? Benedict Esche: Genau. Eine spezifische Radikalität, das mögen wir gerne. Wie die Pendelstütze, die nur vertikale Lasten abträgt, aber für das Projekt trotzdem einen Sinn ergibt.
Würdet ihr euch als Idealisten bezeichnen? Nils Rostek: Schon. Jonas Altmann: Noch … Benedict Esche: Ich würde sagen, wir sind Idealisten mit einem Realitätsanspruch. Am Ende muss eine Idee auch umsetzbar sein. Wir können nicht die Welt verändern, aber in einem kleinen Rahmen können wir Zukunft gestalten und auch etwas ändern. Wir können Orte positiv aufladen und damit der Stadt einen kleinen Schubs geben. Durch jede unserer Architekturen zieht sich immer ein Thema durch, eine gewisse Geschichte. Und erst wenn diese Geschichte klar ist, eine Leitidee verfolgt, das kann auch ein abstraktes Wort sein, dann können wir ein Projekt entwickeln. Wie viele Projekte laufen denn bei euch gerade parallel? Benedict Esche: Der Neubau an der Kolbergstraße für Stefan Höglmaier, dann Potsdam, das Haus Seidenstücker in Berlin, das Café Münchener Freiheit, das Café Staatsbibliothek, das Café am Marienplatz. Abgeschlossen sind der Dachgarten am Stachus, die Dachgeschossaufstockung und ein Ausbau. Wettbewerbe und ein Ferienhaus in Tübingen. Zudem arbeiten wir gerade an Studien für Gaming- Hotels in Lissabon, Barcelona und Rom. Empfindet ihr eure Arbeit als politisch? Benedict Esche: Architektur ist immer politisch. Nils Rostek: Wenn ich ein Wohnhaus baue, bedeutet das keinen gesellschaftlichen Diskurs. Wenn ich etwas im öffentlichen Raum mache oder Diskurse anzettel, ist es auf jeden Fall politisch.
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Benedict Esche: Projekte wie das 20.000-Euro-Haus sind auch politisch: weil sie das Wohnen am Existenzminimum aufzeigen, und auch, dass dieser Traum mit wenig Budget möglich ist. Jonas Altmann: Na ja. Er ist möglich, weil wir als Architekten damit kaum Geld verdienen. Benedict Esche: Klar, das kann man sich ja ausrechnen: 20.000 Euro nach HOAI sind natürlich absurd. Aber aus diesem Grund haben wir das Projekt nicht angenommen. Jetzt ist es fertig. Auch das Haus für den Physiotherapeuten hatte ein winziges Budget. Weil wir finden, dass es auch eine Wichtigkeit hat. Und um zu zeigen, dass man auch mit ganz wenig hochqualitativ bauen kann. Für euch fing das Kollektiv mit einer Krise an: Ihr habt 2015 Unterkünfte für Flüchtlinge entworfen, die zunächst auch gebaut werden sollten. Formt euch das? Jonas Altmann: Das ist ja die Aufgabe, die man auch gerne als Architekt hätte: eine gesellschaftliche Aufgabe. Wobei das Thema schon vorher existierte: Der Mangel an Wohnraum in München war ja schon immer bekannt. Für uns war das ein Projekt, mit dem man in den Fokus treten kann – es handelt sich ja nicht um eine energetische Sanierung. Mit den Flüchtlingsunterkünften konnten wir uns eine Büroideologie aufbauen. Womit sich auch eine Vision herauskristallisiert, für die ihr steht. Spürt ihr denn, dass eure Generation vielleicht vor anderen Herausforderungen steht als die vorigen? Stehen wir vor einem Umbruch? Nils Rostek: Ich denke, das ist wahnsinnig komplex. Noch mal zurück zu dem kleinen Häuschen: Bei solchen Projekten muss man auch sehen, dass sie aus städtebaulicher Sicht kompletter
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Flüchtlingswohnheim, Musenbergstraße, Johanneskirchen, 2015, Rendering FIX-Visuals
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KOLLEKTIV A
Galerie an der Münchner Freiheit 7, München Rechts: Ausstellung des Independent-Architekturmagazins L‘Atelier von Barbara Woloszcyk mit einem Vortrag von Job Floris
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Wahnsinn sind. Eigentlich müsste man doch größere Strukturen planen und verdichten. Natürlich versuchen wir, aus einer Aufgabe das Beste zu machen, aber der Komplexität sind wir uns durchaus bewusst. Es gibt einfach klare Grenzen, denen wir als Architekten ausgesetzt sind. Wir können weder die Gesellschaft noch die Gesetzgebung ändern. Da wird es relevant: Wir können das Beste für einen kleinen Teil machen, und da verausgaben wir uns und handeln als Idealisten. Aber gesellschaftliche Veränderungen, die mehr als einen singulären Entwurf bedeuten, sind auf anderen Ebenen zu verhandeln. Benedict Esche: Auf der Metaebene sind wir als Architekten limitiert. Wir können Diskurse beginnen. Ist das der Grundgedanke, der letztlich auch zu eurer Galerie in München geführt hat? Benedict Esche: Da ging es uns vor allem darum, zu zeigen was Architektur alles kann. München ist schon eher ein Ort mit einer konservativen, etablierten Elite, die die Diskurse bestimmt und auch die relevanten Aufgaben baut. Es ist jedenfalls nicht die Stadt, in die ich als junger Architekt gehen würde, weil sie mich unterstützt. Man muss kämpfen. Und mit der Galerie wollten wir einen Exkurs und die Vernetzung in der Stadt fördern. Nils Rostek: Es war eine Art Vakuum. Benedict Esche: In München entwickelt sich langsam eine Szene von jungen Architekturbüros, die spannend sind. Mit denen man gerne am Abend bei einem Bier darüber diskutieren würde, wie man die Probleme dieser Stadt lösen könnte. Es fehlt ein Sprachrohr
Ihr habt in diesen Ort sogar jede Menge Geld investiert. Nils Rostek: Richtig. Aus einer sehr großen idealistischen Motivation heraus: Weil wir denken, dass mehr von den Architekten, die wir in die Galerie eingeladen haben, zum Beispiel in München bauen sollten. Unseres Erachtens würde München dadurch viel spannender werden. Stellt ihr denn fest, dass sich andere junge Architekten in einer vergleichbaren Gedankenwelt bewegen? Benedict Esche: Was wir sehen ist, dass es ein durchgehendes Kritikastertum gibt. Das haben wir auch versucht, mit der Galerie aufzubrechen. Dass wir aus derselben Generation damit aufhören, andere Büros zu „haten“. Es gibt genug Platz und Raum für alle. Der Obelisk, den wir in der Villa Massimo entwickelt haben, zeigt genau das. Es gibt noch so wahnsinnig viel Raum für uns alle. Die Zeit der großen Architekten geht auch langsam vorüber … Jonas Altmann: Die Berliner TechnoSzene hat das doch schon vorgemacht: Man will keinen Artist mehr, keinen Popstar auf der Bühne. Wer braucht noch einen Stararchitekten mit 300 Mitarbeitern, wenn jeder weiß, dass auch in den großen Büros die jungen Talente den Entwurf planen? Wie würdet ihr das Wettbewerbssystem verändern, wenn ihr etwas ändern könntet? Benedict Esche: Ich wünsche mir die offenen Wettbewerbe der Fünfzigerund Sechzigerjahre zurück, aus denen die großen Dreibuchstabenbüros stammen. Jeder kennt die Geschichte von gmp und dem Flughafen Tegel. Heute traut man so etwas jungen Architekten gar nicht mehr zu.
und ein Ort, an dem man sich trifft.
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KOLLEKTIV A
„Wer braucht noch einen Stararchitekten mit 300 Mitarbeitern, wenn jeder weiß, dass auch in den großen Büros die jungen Talente den Entwurf planen?“
Haus für einen Schriftsteller, bayerische Alpen, Bayern, Planung seit 2016
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Sie bekommen selten überhaupt eine Chance, es zu versuchen. Benedict Esche: Junge Architekten dürfen nicht mal an den Wettbewerben teilnehmen. Wenn man das verändern könnte, dann sollten die Verfahren auf jeden Fall zweiphasig sein. So könnten es sich auch kleinere und jüngere Büros überhaupt leisten, teilzunehmen. Das wäre ein System, das funktioniert. Nils Rostek: Es gibt ja noch das französische Prinzip: Man bewirbt sich, und nur vier Büros nehmen teil, werden aber auch dafür bezahlt. Dann muss man nicht gewinnen, um zu überleben – man könnte also fast sagen, jedes europäische Land bietet bessere Voraussetzungen für Architektenwettbewerbe als Deutschland. Habt ihr eine Vision oder eine Hoffnung für die Architektur – national wie international? Benedict Esche: Mehr Mut und auch wieder mehr Offenheit. Und mehr Zusammenarbeit zwischen den Büros wie mit Studio Spatio oder Atelier Fala. Jonas Altmann: Das sehe ich ähnlich. Aber ich finde auch, dass die HOAI reformiert werden muss. Unser Job ist falsch bezahlt. Lena Kwasow-Esche: Für mich ist der Punkt wichtig, der die Ausführung angeht, und auch die Produkte, die auf dem Markt sind. Da wird uns sehr vieles diktiert, was man als Architekt zu verwenden hat. Auch wenn die ENEV versucht zu regeln, dass heute ökologisch gebaut wird, entsprechen dem oft die Produkte gar nicht. Es wird enorm viel Kunststoff verbaut. Die Freiheit fehlt. Und auch, dass man kleinere Gewerke und Manufakturen fördert und so auch wieder Kreativität von innovativen neuen Studios, wie TFOB, die ihr vorgestellt habt. Müsste man viel stärker fördern!
Und woher schöpft ihr euren Optimismus? Lena Kwasow-Esche: Eigentlich aus den Gesprächen mit anderen jungen Architekten, aber auch Menschen aus unserer Umgebung: Nachbarn, Bauherren, Flüchtlingen. Also das Gegenteil zum klassischen Architekt mit seinem weißen Kittel im Atelier. Wie versteht ihr euren Beruf ? Benedict Esche: Es ist weit mehr als ein Beruf! Aber es bleibt auch ein Job, mit dem ihr Geld verdient, eure Miete bezahlt. Benedict Esche: Jetzt hast du etwas angestoßen. Lena Kwasow-Esche: Es verschwimmt mit Hobbys. Nils Rostek: Hobbys? Jonas Altmann lacht laut auf. Lionel Esche: Architektur ist etwas, das mir auch Kraft zurückgibt. Ich vergnüge mich daran, freue mich über neue Ideen und Gedanken. Benedict Esche: Architektur ist auch so wahnsinnig sinnstiftend. Lena Kwasow-Esche: Aber auch Künstler aus anderen Disziplinen inspirieren uns. Was ist für euch wichtiger als die Architektur? Nils Rostek: Freunde und Familie sind uns allen wichtiger als die Architektur. Es gibt dieses Zitat von Valerio Olgiati, dass er für Architektur sterben würde – das finde ich übertrieben. Da hast du ja nichts mehr davon. (Pause) Aber ich bin schon besessen. Architektur ist wichtig. Und super.
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Temp, Benedict Esche mit Bérangère Armand, aus dem Projekt New Beauties, 2018
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„Das Kollektiv ist eine Idealstruktur, um sich weiterzuentwickeln.“
Lionel Esche: Familie. Jonas Altmann: Das sind dann auch Architekten… Nils Rostek: Ich habe mein Studium mit einer unglaublichen Naivität angefangen. Meine Vorstellung von Architektur hatte nichts damit zu tun. Und dann ist es noch mal genauso: Wenn man nach dem Studium in die Realität kommt, ist es auch etwas anders. Deshalb glaube ich, die Frage stellt sich eher nach dem Dabeibleiben. Warum bleibt man bei der Architektur? Jonas Altmann: Ich glaube, weil man etwas selbst meistert. Man kreiert und steuert etwas, das einem eigentlich über den Kopf wächst – was man aber zum Schluss dennoch meistert. Das ist für mich das Faszinierende. Lena Kwasow-Esche: Bei mir ist es die Freude am Machen. Das Anfassen und die Recherche von Materialien. Es ist wie kochen, man schaut nach verschiedenen Kräutern, sucht nach neuen Rezepten. Es ist diese Suche – nicht nur das Resultat. Das verliert etwas an Bedeutung. Der Prozess des Machens bedeutet schon genug Freude. Wenn gerade überall die Zukunft der Bullshitjobs diskutiert wird. Wozu zählt für euch Architektur? Benedict Esche: Architektur ist sinnstiftend. Es gibt so viele Berufe, bei denen man sinnlos seine Stunden absitzt. Da
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sehe ich die Architekten doch in einer ganz guten Position – auch wenn man damit heute nur selten reich wird. Nils Rostek: Ich finde es total faszinierend, denn einen Musiker würde man niemals fragen, warum er Musik macht. Ist das Kollektiv die Antwort? Benedict Esche: Für mich ist das Kollektiv eine Idealstruktur, um sich weiterzuentwickeln. Jonas Altmann: Sehe ich auch so! Ich kann allein entwerfen, aber dann brauche ich ein Gegenüber. Ich brauche auch den Kritiker. Ohne den geht es nicht. Lionel Esche: Unsere kleinen Differenzen sind wahnsinnig gut und wichtig, weil dadurch erst die Reibung und die Diskussion entstehen, aus denen sich wiederum etwas entwickeln kann. Wie geht ihr mit Niederlagen um? Lena Kwasow-Esche: Nach vorne schauen!
Findet ihr euch mutig? Benedict Esche: Für einen Krankenhausbau wäre ich nicht mutig genug. Das müssten wir diskutieren, ob wir das machen. Jonas Altmann: Ja! Nils Rostek: Da geht schon noch was!
Kollektiv A Jonas Altmann studierte an der Hochschule München Architektur und ist seit 2014 in der Lehre tätig. Benedict Esche studierte Architektur und Baukunst an der Hochschule München, der Technischen Universität München und der Accademia di Architettura in Mendrisio in der Schweiz. Er ist ausgezeichnet mit dem Egon-Eiermann-Preis, dem Wittmannschen Stipendium und dem Senator Bernhard Borst Preis. Er ist Architect-in-ResidenceStipendiat des Goethe-Instituts in Rotterdam 2017 und Stipendiat der Deutschen Akademie Rom – Villa Massimo 2017/18. Lena Kwasow-Esche, studierte Architektur und Mode an der Central St Martins in London, der Hochschule München und der Universität der Künste in Berlin. Sie ist ausgezeichnet mit dem Max Taut Preis 2018. Lionel Esche studierte Architektur an der Technischen Universität München, der Polytechnischen Universität in Mailand und an der Universität der Künste in Berlin. Er ist ausgezeichnet mit dem Wittmanschen Stipendium, dem Senator Bernhard Borst Preis und dem DETAIL-Stipendium 2017/2018. Nils Rostek machte eine Ausbildung zum Schreiner. Er studierte Architektur an der Polytechnischen Universität in Madrid und der Universität der Künste in Berlin. www.kollektiv-a.de
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OFF DUTY
VON STEPHAN BURKOFF
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ODER DOCH?
ER BEGLEITET UNS OFT ÜBER JAHRE, VIELE STUNDEN AM TAG. WENN ES GUT LÄUFT, BEKOMMEN WIR NICHT VIEL VON IHM MIT. DANN IST ER ALT, WIRD NICHT MEHR GEBRAUCHT. EIN ZWEITES LEBEN HABEN BÜROSTÜHLE NICHT.
FOTOESSAY
Montag, 12. Juni 2017 um 08:21 Uhr, GervinusstraĂ&#x;e 26, 10629 Berlin
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Freitag, 3. August 2018 um 21:43 Uhr, NovalisstraĂ&#x;e 17, 10115 Berlin
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Freitag, 1. Dezember 2017 um 20:35 Uhr, Joachim-Friedrich-StraĂ&#x;e 32, 10711 Berlin
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Donnerstag, 26. Oktober 2017 um 16:29 Uhr, Calle Seconda de la Fava, 4562, 30122 Venedig
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Sonntag, 27. Mai 2018 um 16:57 Uhr, AlbrechtstraĂ&#x;e, 10117 Berlin
Mittwoch, 1. August 2018 um 19:50 Uhr, Via Agostino Depretis, 80133 Neapel
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P4 Raum für neue Zeiten
ORGATEC · Köln · 23.–27. Oktober 2018 Halle 7, A-038 – B-041 75
STUDIO VISIT
OFFICE CRIBS Heute wohnen wir im Studio und arbeiten zuhause. Ein Besuch bei drei Büros, die sich neu erfinden.
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Foto: © hiepler, brunier,
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IN DER DREIFACHEN HORIZONTALEN MIT KUEHN MALVEZZI
STUDIO VISIT
Kunstwerk: Michael Riedel. Foto: © Kuehn Malvezzi
„Erst heute morgen haben wir noch überlegt, was wir jetzt eigentlich mit unserer Handbibliothek machen sollen“, sagt Wilfried Kuehn und trinkt einen Schluck Espresso. Sein Blick wandert durch den Garten. „Aber vermutlich werden wir uns einfach davon trennen“, schließt er nach einer kurzen Pause. Mit dem Umzug von der Heidestraße in die Torstraße sollte sich nicht nur das Büro in die Vertikale ziehen – Kuehn spricht von einem Townhouse – das gesamte Team von Kuehn Malvezzi arbeitet seit Jahresbeginn hauptsächlich digital: „Es liegt kein Papier mehr auf den Tischen“, erklärt der Architekt. Die Umstellung ist enorm, aber effektiv: Alles wurde digitalisiert und archiviert, neben Nachschlagewerken wie dem Neufert konnten sogar die Telefone im Computer verschwinden. „Die Mitarbeiter nutzen zum Telefonieren ein Programm und die schlanken Kopfhörer vom Smartphone“, erklärt Kuehn. „Das funktioniert sehr gut.“ Freie Tische bedeuten auch Freiheit für Kreativität. Und eine flexible Platzwahl. Auch wenn es bei Kuehn Malvezzi sogenannte Projektarbeitsplätze gibt, wechseln die Mitarbeiter nicht jeden Tag ihren Schreibtisch. Simona Malvezzi und den Brüdern Wilfried und Johannes Kuehn, die 2001 ihr gemeinsames Büro gegründet haben, geht es
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dabei um Austausch. „Wir wollten ausschließen, dass sich durch die Verteilung auf die einzelnen Etagen am Ende kleine Gruppen bilden“, begründet Wilfried Kuehn das Arbeitsplatzkonzept. „Nun wechseln die verschiedenen Architekten ihren Tisch je nach Projekt und arbeiten mal im zweiten, mal im ersten Geschoss.“ In der dritten Etage wartet ebenfalls ein langer Tisch mit Blick auf die Torstraße, im Erdgeschoss trifft man sich auch mit Gästen und Fachplanern zu Besprechungen. „So ist man nie ganz raus, sondern bleibt im Geschehen.“ Der Eingang öffnet sich zur Straße. „Hier könnte auch eine Bar stehen, letzte Woche hatten wir im Entree ein kleines Fotoshooting“, erzählt der Architekt. Die vertikale Aufteilung der einzelnen Nutzungen pro Etage erlaubtes Kuehn Malvezzi, auf Türen zu verzichten: eine Offenheit, die bewusst gewollt ist. Eine schmale Treppe an der Seite verbindet die Büroetagen, wobei sich Garderobe, Wasserspender, Drucker und Plotter in den Nischen vor und nach der Treppe extrem gut platzieren. Einen Aufzug gibt es auch, er verschwindet hinter einer weißen Tür. Wir sitzen im rückseitigen Garten, in dem sich eine unglaubliche Ruhe ausbreitet, obwohl vorne die Torstraße tobt. Die vierspurige Durchgangsstraße gehört zu den angesagteren Adressen
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Die Architekten (v. l. n. r.): Johannes Kuehn, Simona Malvezzi, Wilfried Kuehn. Foto: © Wilfried Dechau
Berlins. Ruhe darf man im Gegenzug nicht erwarten. Dass man den Verkehr nicht hört, liegt an der Höhe des Vorderhauses. Und da Kuehn Malvezzi ihren Neubau mit den Geschosshöhen eines Berliner Altbaus entworfen haben, fällt dieser gar nicht so auf. Der Architekt redet von den Schallschutzfenstern: „Der Öffnungsflügel zur Torstraße ist ein Fenster, das sich in eine Wandtasche schiebt – ähnlich, wie es Schinkel für die Bauakademie geplant hatte.“ Das sieht gut aus, und es funktioniert. Akustik findet Wilfried Kuehn in einem Büro mit das Wichtigste: zehn Meter lange Akustikwände wurden vom Künstler Michael Riedel als textile Wandarbeit für den Ort gemacht, und deshalb sitzen die Architekten bei Kuehn Malvezzi auch alle an einem langen Tisch, der sich aus zehn Schreibtischen zusammensetzt. „Wir haben die Erfahrung gemacht, dass der Lärmpegel bei kleinen Gruppen und Kojen steigt“, sagt Kuehn. „Wenn man die Schreibtische so anordnet, dass sich alle sehen, ist es von Beginn an leise, und es bleibt auch leise.“ Was im Inneren sofort auffällt, ist der helle, weiche Boden: ein Magnesiaestrich, der gerade gewachst wurde, um
Steinpulver, vielleicht erinnert das Magnesium an die alten Skulpturen aus der Antike, denen man noch begegnen kann. „Der Boden war für uns ein Experiment.“ Die Sprache des Materials gewinnt in Zeiten der Digitalisierung an Bedeutung. Einen weiteren Gegenpol zum digitalen Büro bildet auch der Garten, den die Landschaftsarchitekten Atelier Le Balto gestaltet haben. Das Trio arbeitet regelmäßig mit Kuehn Malvezzi zusammen – Garten und Pavillon für das House of One in Berlin sind ein gemeinsames Projekt. Für das Architekturbüro hat das Atelier Le Balto eine reduzierte Oase geschaffen: Ein umlaufendes Betonplateau rahmt den Garten ein und führt wie ein „Kreuzgang“ um die Mitte, in die drei junge Robinien gepflanzt wurden. Als Abtrennung dienen Kirschbäume, die am Spalier wachsen und eine Wand bilden. So ergibt sich ein Raum im Garten, während sich der Kreuzgang sehr gut zum Telefonieren eignet, wie Wilfried Kuehn anführt. Auch wenn es einen Gärtner gibt, kümmern sich die Architekten selbst um die Bewässerung der Bäume und pflegen ihren Garten. „Das Büro verändert sich“, meint Wilfried Kuehn und beschreibt es als einen
die empfindliche Oberfläche zu schützen. Mit seiner fugenlosen Ästhetik betont er die Horizontale jeder Etage. Vielleicht spürt man das venezianische
sozialen Ort, deshalb gebe es auch so viele Coworking-Spaces. „Natürlich kann jeder einfach bei sich zuhause arbeiten, aber der Mensch sucht nach
Austausch“, sagt der Architekt. Für ihn ist das Büro zum Lebensraum geworden, ein sozialer Ort mit einer ganz anderen Bedeutung als vor 20 Jahren. Fehlt noch der Kaffee. Weil die Architekten keine Teeküchen mögen, haben sie in ihrem kleinen Gartenhaus einen Bartresen eingebaut, der aus der ehemaligen INIT Kunsthalle stammt und ein Stück Berlingeschichte transportiert. Praktischerweise kann man den Anbau so für verschiedene Anlässe nutzen. Heute riecht es nach frisch gemahlenem Espresso. Der lässt sich noch nicht entmaterialisieren.
www.kuehnmalvezzi.com
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Foto: © Anna Schmidhauser, Vitra
SZENENWECHSEL MIT KONSTANTIN GRCIC
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Ein Besuch im neuen Berliner Studio von Konstantin Grcic Design offenbart: So viel hat sich mit dem Umzug aus München gar nicht verändert. Fragt man den Industriedesigner Konstantin Grcic, was er selbst zum Arbeiten braucht, kommt seine Antwort unmittelbar: „Ich brauche den Raum. Und nicht irgendeinen, sondern meinen Raum.“ An erster Stelle steht für ihn dabei die Vertrautheit, die seine Bibliothek, die Werkstatt und Modelle erzeugen, und er ergänzt mit seiner ruhigen Art: „Ich bin niemand, der nur im Flugzeug oder unterwegs arbeiten kann, ich brauche eine Verortung. Und feste Mitarbeiter brauche ich auch.“ Bevor der Produktdesigner mit seiner Suche nach einem festen Büro in der Hauptstadt überhaupt beginnen konnte, hatte das Gebäude in der Kurfürstenstraße 13 bereits ihn gefunden. Grcic übernimmt im Mai das Atelier einer befreundeten Künstlerin. Die Adresse ist gut und in der Kunst-, Kulturund Architektenszene bekannt. Bereits 2007 zieht die Galerie Sommer & Kohl in die ehemalige Bettfedernmanufaktur, Prominente wie Thomas Demand oder Kasper König haben hier heute ihre Studios. Nach 17 Jahren in München ist es für Konstantin Grcic ein radikaler Neustart. „Ich bin hier ziemlich glücklich, und auch die Ecke rund um die Potsdamer Straße ist ein lebendiges, gutes Umfeld“, sagt er heute. Der L-förmige, offene Raum hat sich den Sommer über in eine Arbeitsumgebung entwickelt – die eingangs erwähnte Vertrautheit ist wiederhergestellt. Von seinem Studio in der dritten Etage, die eigentlich die vierte Etage ist, blickt man über die Nachbardächer hinweg in den Berliner Himmel. Durch einen transparenten PVC-Lamellenvorhang sieht man die Werkstatt, die gleichzeitig auch die Küche ist – aus praktischen Gründen, denn beide Nutzungen brauchen einen Wasseranschluss. Auf der gegenüberliegenden
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Der neue Stuhl Rookie von Konstantin Grcic für Vitra ist kein Checklistenstuhl und soll auch kein Statussymbol sein. „Es war eine Herausforderung, einen Bürostuhl zu gestalten, der auf unkonventionelle Art einfach ist, der aber alles kann, was man braucht. Bei Rookie geht es um Flexibilität und Veränderung.“ Für Grcic ist Rookie genau der Stuhl, den er als Nachfolger von Allstar machen wollte. Fotos: © Anna Schmidhauser, Vitra
Fensterseite stehen vier Schreibtische. Der Arbeitsplatz von Konstantin Grcic befindet sich in der Ecke und fällt dadurch aus dem Sichtfeld. Der Raum dazwischen ist noch nicht ausdefiniert: Ein Besprechungstisch soll hier aufgestellt werden, gerade versammelt sich hier aber eine Gruppe neuer Stuhlprototypen. „Ich wollte hier erst einmal einziehen und dann herausfinden, wie und wo etwas stehen muss. Manches weiß man relativ schnell, oder es bedingt sich durch den Grundriss. In München hatten wir eher ein Quadrat, was etwas flexibler war.“ Auch die Decke sei etwas niedriger als zuvor im Münchner Studio. Durch ihre Rippenstruktur verbessert sie zwar die Akustik, aber die hohen Bücherregale passten nicht. Was dafür neu ist: In Berlin hat das Grcic Studio freie Wandflächen, die fehlten im alten Atelier. Jetzt hängt eine Bildersammlung von Stühlen und anderen Möbeln über dem Bücherregal. „Die anderen zwei Wände sollen
frei bleiben“, erklärt der Designer und erinnert daran, dass man einfach diszipliniert damit umgehen müsse. „Ich mag gerne eine offene Bürostruktur, Aktivität um mich herum mag ich auch, ich kann darin gut Konzentration finden. Die Ruhe im Büro habe ich dann am Abend oder an den Wochenenden. Licht ist meines Erachtens ein wichtiger Aspekt. Hier haben wir viel Tageslicht. Ich gehöre zu den Leuten, die immer das Licht einschalten – auch tagsüber. Ich weiß, dass man es nicht braucht, und rührende Mitarbeiter schalten es manchmal wieder aus. Auch wenn man sparsam damit umgehen sollte: Ich schalte es immer ein, ich mag elektrisches Licht. Das Licht ist an, wir gehen vom Stand-by- in den Operation-Modus über. Die Arbeit beginnt.“
www.konstantin-grcic.com
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Kompakte Box im offenen Raum: Lucie Koldova führt ihr Studio in einer alten Autowäscherei in Prag. Die Arbeitsplätze sind lichtverwöhnt dank großzügiger Oberlichter. Fotos: © Lucie Koldova
BLACK BOX IM WHITE CUBE BEI LUCIE KOLDOVA
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Eine Box in der Box. Schwarz und Weiß. Drinnen draußen und draußen drinnen. Lucie Koldovas Studio liegt im Hinterhof eines Wohnhauses im Prager Stadtteil Dejvice – in einer Garage, die früher als Autowäscherei diente. Heute ist sie Werkstatt, Experimentierort und Schmiede für Leuchtendesigns mit Namen wie Sparkle, Macaron oder Capsula sowie Möbelentwürfe, die auf Chips oder Blossom hören. Die tschechische Designerin ist Artdirektorin des böhmischen Leuchtenherstellers Brokis und hat nach Jahren in Paris ihre Heimat in Prag gefunden. Ihr Studio, in dem sie mehrere Mitarbeiter beschäftigt, eröffnet mit nur einem bedeutenden Eingriff eine Vielzahl spannender Perspektiven: Mitten im Raum wurde eine schwarze Box platziert, die Lager, Sitznische und eine Dachterrasse mit Arbeitsplätzen in sich vereint. Alles dreht sich um diesen Würfel. Der Blick von unten schweift unwillkürlich und neugierig nach oben. Sofort ist klar, dass dort das kreative Herz des Studios liegt. Und von oben? – fällt der Blick über das Erreichte, die bestehenden Produkte oder Prototypen, die überhaupt die farbigsten Punkte in diesem sonst monochromen Raum sind. Als sehr komfortabel bezeichnet Lucie Koldova ihr Studio: „Uns trifft bei unserer Arbeit nie direkte Sonneneinstrahlung und dennoch erhalten wir sehr viel Tageslicht durch die Dachfenster.“ Und im Sommer haben sie es – auch dank der Hoflage – immer angenehm kühl, erzählt sie. Zu den schönsten Momenten zählt für die Designerin der Augenblick, in dem das Team vom stillen Arbeiten auf Entspannung umschaltet, der Musikregler aufgedreht wird und sie den Tag oder die Woche „gemeinsam als große Familie“ ausklingen lassen.
www.luciekoldova.com
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WWW.WILKHAHN.COM
ÜBERGANG IN DIE ZUKUNFT OCCO VON WILKHAHN WÄCHST HEUTE INS MORGEN Michael Englisch ist zugleich Chef der Produktentwicklung und Kopf der Designabteilung bei Wilkhahn. Gemeinsam mit Kommunikationsleiter Burkhard Remmers erklärt er, wie gutes Design entsteht.
Was sind die entscheidenden Paramter der Designidentität von Wilkhahn? Michael Englisch: Uns geht es schwerpunktmäßig um das integrative Gestaltungskonzept. Ganz zentral ist dabei, dass eine monolithische Form nicht allein durch eine Addition geometrischer Grundformen entsteht, sondern Formen und Funktionen nahtlos ineinander überfließen. Diese Grundidee ist ein Element in unserem Gestaltungskonzept. Alle anderen wie Funktionalität, Ergonomie und Produktsemantik sind nicht weniger wichtig und kommen noch hinzu.
Der neue Occo SC von Wilkhahn ergänzt die Occo-Familie um einen stapelbaren, lehnenlosen Stuhl. Seine ikonische Form entsteht aus einem Guss. Foto: Frank Schinski
Welche Fragen stellt sich die internationale Bürowelt? Burkhard Remmers: Die Kernfragen zu den neuen Arbeitswelten ähneln sich: Wie schafft man Attraktivität und Identität? Gerade bei IT-Firmen, die mit dem „War for Talents“ um die High Potentials kämpfen und dafür sorgen wollen, dass diese auch bleiben, verlagern sich viele Qualitäten, die eigentlich im Stadtraum zu finden sind, ins Büro. Es geht dabei um die Gestaltung des Büros, also um Atmosphärisches wie Gemütlichkeit und Privatheit, aber auch um Dienstleistungen wie Friseur oder Reinigung. Gepaart mit dem erwähnten gestalterischen Hedonismus führt das häufig zu einer enormen Beliebigkeit. Wenn man heute junge Leistungsträger gewinnen will, sollten aber gerade Sinnstiftung und die Identität der Company im Zentrum stehen. ME: Die Wohnlichkeit rückt sicherlich stärker in den Fokus. Es geht auch stark um Emotionalität. Es geht um Farbigkeit und Skulpturalität. All diese Dinge versuchen wir zusammenzubringen und in eine Konzeption zu übertragen, die uns dann in die Lage versetzt, neue Ideen, neue Produkte und
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Burkhard Remmers und Michael Englisch erklären die Designwelt von Wilkhahn anhand aktueller Orgatec-Neuheiten. Fotos: Frank Schinski
neue Settings zu entwickeln. Was mir dabei sehr wichtig ist: Nicht nur abzubilden, was jetzt gegenwärtig gut funktioniert, sondern auch die Projektion in die Zukunft zu gestalten. Wir werden auf der Orgatec eigene Settings zeigen, an denen man sieht, wie sich die Bürowelt entwickeln könnte, ohne eine allgemeingültige Lösung zu beschreiben. Jedes Unternehmen muss selbst einen Weg finden, eine Vision zu transportieren. Gerade das Thema Farbe unterliegt Trends kurzer Dauer. Ist es bei Möbeln, die zwölf Jahre benutzt werden sollen, eine besondere Herausforderung, den Ton zu treffen? ME: Wir versuchen, die Strömungen in den verschiedenen Regionen aufzunehmen. Und dabei gibt es immer wieder Verdichtungen, die wir als relevant erachten und bei denen wir uns fragen müssen: Was fangen wir damit an? Und vor allem, was fangen wir in Zukunft damit an? Wenn wir von einer Produktentwicklungszeit von 12 bis 36 Monaten und einer Produktlebensdauer von zehn Jahren sprechen, ist es unsere Aufgabe, eine Projektion zu entwickeln, die es uns ermöglicht, weit im Voraus zu ermitteln, welches Produkt auch in Zukunft funktionieren wird. BR: Da kommt der Familiengedanke unserer Produkte ins Spiel. Denn bei aller Individualität der einzelnen Objekte in den jeweiligen Zonen und Arbeitsbereichen entsteht eine Kohärenz, auch wenn die Produkte als einzelne unterschiedliche Anforderungen erfüllen. ME: Ich bin der Auffassung, dass durch die monolithischen Formen und das integrative Designkonzept auch eine andere Wirkung auf den Nutzer erzeugt wird. Die Form erscheint komplexer, ist aber leichter verständlich. Auch weil sie
bestimmte organische Elemente enthält, die gelernt sind. Fließende Übergange sind in der Natur deutlich fester verankert als im klassischen Produktdesign. Die Produktfamilie Occo hat einen Neuzugang bekommen. Was hat es damit auf sich? ME: Mit Occo sind wir erfolgreich gestartet. Um die Produktfamilie zu erweitern, lag es nahe, eine kompakte Version ohne Armlehnen anzubieten. BR: Jürgen Laub hat einmal gesagt, Occo sei eigentlich ein Stuhlbaukasten. Das stimmt: Es gibt vier Gestelle, die Schale in sechs Farben, und die kann dann quasi nackt, mit Auflage, mit Sitzpolster oder komplett gepolstert geliefert werden. Jetzt kommt noch eine Schale ohne Armlehnen hinzu, womit sich die Kombinationsmöglichkeiten verdoppeln. ME: Wie der Occo ist der SC stapelbar. Durch seine kompakten Maße eignet er sich hervorragend für Orte mit engerer Bestuhlung, zum Beispiel in Kantinen. Die Familie entwickelt sich immer weiter und auch mit dem Occo SC wird nicht Schluss sein. Es entstehen weitere Produkte. Eines davon wird auf der Orgatec zu sehen sein.
Das ganze Interview und mehr Bilder: www.heinze-dear.de/_0784
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TITEL
Foto: © Iwan Baan
DIE ZUKUNFT DER ARBEIT OFFICE SUMMIT IN SÜDAFRIKA
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In der Arbeitswelt erleben wir einen besonderen Moment. Die zunehmende Digitalisierung im Alltag, die Einbindung künstlicher Intelligenz und die vorangeschrittene Globalisierung sind der Ausgangspunkt eines erneuten Umbruchs. Gleichzeitig zeichnet sich eine Tendenz der Rückbesinnung ab – eine neue Wertschätzung des Individuums, die mit dem Bedürfnis nach Reanalogisierung und persönlicher Kommunikation einhergeht. Genau in diesem Spannungsfeld bewegen sich Architekten. Als echte Generalisten müssen sie dabei zwischen verschiedenen Ebenen vermitteln: der rationalen und der emotionalen, der monetären und der kreativen. Es gilt, Mensch, Struktur und Raum nachhaltig miteinander in Einklang zu bringen. Doch wie viel Freiheit zur Identitätsstiftung haben sie in der zunehmend standardisierten Bürowelt angesichts des steigenden Kostendrucks überhaupt? Wo sind die Grenzen der technologischen Möglichkeiten? Wo die Chancen? Und vor allem: Wird gute Architektur auch morgen noch das Produkt guter Architekten sein? Diese und viele weitere Fragen haben elf Architekten auf dem Office Summit in Kapstadt diskutiert. Ergebnis der intensiven Auseinandersetzung sind vier Kernthemen, die die Zukunftsperspektiven des städtischen Raums, der Bauaufgabe Bürokomplex und nicht zuletzt der Architekten umreißen.
TEXT: KERSTIN KÖNIG FOTOS: KLAUS FÜNER
Die Heinze-Summits versammeln führende Architekten und Innenarchitekten sowie visionäre Industrie-Partner zu mehrtägigen Intensiv-Workshops. Mehr Infos unter: www.heinze.de/events/architekturevents
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OFFICE SUMMIT IN SÜDAFRIKA
TECHNOLOGISIERUNG Reale und virtuelle Produktion werden in Zukunft zu einem intelligenten Gesamtsystem verschmelzen – Stichwort BIM, Rapid Prototyping und 3-D-Druck. Die Grenze zwischen Entwurf und fertigem Gebäude wird fließend und transparent. Welche Folgen hat das
Die neuen Technologien sind in erster Linie Hilfsmittel. Sie können dabei helfen, Ideen leichter und effizienter umzusetzen, komplexe Sachverhalte einfacher darzustellen und den Entwurf zu überprüfen. Planungs- oder Entwurfsfehler sind von Beginn an leichter erkennbar. Zudem können Bauherren unkomplizierter in die Kommunikation eingebunden und in den Entwurfsprozess integriert werden, ebenso wie weit entfernte Planungspartner. So kann zum Beispiel ein Modell überall auf der Welt simultan 3-D-gedruckt und von verschiedenen Partnern ortsunabhängig überprüft, kommentiert und optimiert werden. Diese Art der globalen Planung eröffnet allen Mitarbeitern neue Freiheiten und Wege in der Nutzung ihres kreativen Potenzials. Da der Sachstand primär virtuell über E-Mails und Online-Konferenzen geklärt wird, sinkt die Anzahl der echten Meetings, während ihre inhaltliche Qualität und Tragweite steigt. Die Klärung eventueller Konflikte oder anderer emotionaler Themen findet weiterhin bevorzugt im persönlichen Gespräch statt. Werden die neuen Technologien jedoch unsachgemäß eingesetzt, erhöhen sie lediglich den Planungs- und Arbeitsdruck auf den Architekten und machen ihn schlimmstenfalls zum Sklaven in unnötig verkürzten Prozessen. Das Ändern wird scheinbar einfacher und die Tendenz, echte Entwurfsarbeit durch Oberflächenspielerei zu ersetzen, nimmt zu. Zudem müssen Architekten aufpassen, nicht den Anschluss zu verlieren, da die Bauwirtschaft die neuen Technologien längst angenommen hat. Dennoch handelt es sich nur um Werkzeuge, die zwar Prozesse nachhaltig verändern – nicht jedoch die Inhalte. Selbst im Spannungsfeld von Technologie und Kreativität gilt: Entwurf bleibt Entwurf bleibt Entwurf – und dieser ist nicht digital zu ersetzen.
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NIKOLA JAROSCH — JAROSCH ARCHITEKTUR GREGOR MESCHEROWSKY — MESCHEROWSKY ARCHITEKTEN
für das klassische Architekturbüro?
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MOTIVATION Das bessere Verständnis von psychologischen und soziologischen Zusammenhängen in der Arbeitswelt führt zu immer weiter optimierten Strukturen und Prozessen. Die Arbeit muss sympathischer werden, um unter anderem zukünftige Leistungsträger der Generation Z zu begeistern und zu halten. Welchen Beitrag können Architektur und Einrichtung liefern, um
Als Gegentrend zur Digitalisierung zeichnet sich bereits eine beginnende Entdigitalisierung oder Reanalogisierung ab. Persönlichen Treffen wird wieder eine besondere Bedeutung beigemessen – ebenso wie den Orten, an denen sie stattfinden. Hier ist es an den Architekten, dem Raum die entsprechende Qualität und Atmosphäre zu verleihen. Sehr wichtig ist dabei der Genius Loci, der Bezug zum Ort. Gerade angesichts der fortschreitenden Globalisierung streben Arbeitnehmer immer mehr nach einer Identität, die nicht nur die Corporate Identity des Arbeitgebers, sondern vielmehr die Charakteristik des Standorts widerspiegelt. Unternehmen müssen also dem zunehmenden Wettbewerb um gut ausgebildete Fachkräfte nicht nur mit einer Stärkung ihrer Identität und ihres Markenkerns begegnen. Es braucht darüber hinaus eine Verankerung in der Stadt und in der Gesellschaft, da der Ort ein wichtiges Entscheidungskriterium für einen Arbeitnehmer darstellt. Tendenziell ist zu erwarten, dass die benötigten Büroflächen abnehmen werden. Im Gegenzug sollte die Qualität jedoch steigen. Ein Arbeitsplatz, der keine Orientierung und keinen Weitblick bietet, ist nicht mehr vertretbar. Transparenz und Öffnung sind wichtige Themen, da Mitarbeiter durchaus bewusst den Austausch mit ihren Kollegen suchen. Es muss nicht mehr einen Arbeitsplatz geben, der alles kann. In einem Büro sollten verschiedene Arbeitsplätze mit verschiedenen Funktionen und Qualitäten entstehen, die die Mitarbeiter in Bewegung halten. Dynamische Prozesse fördern die Motivation und die Kommunikation in einer Weise, wie es die Nutzung digitaler Medien, beispielsweise im Homeoffice, nicht bieten kann.
ARNE HANSEN — CITYFÖRSTER KILIAN KRESING — KRESINGS OLGA RITTER — RITTER JOCKISCH
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Unternehmen zu attraktiven Arbeitgebern zu machen?
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OFFICE SUMMIT IN SÜDAFRIKA
INDIVIDUALISIERUNG Der Grad an Individualisierung in der Arbeitswelt steigt kontinuierlich. Standardisierte Tätigkeiten und Strukturen verschwinden und/oder werden durch technologische Lösungen ersetzt. Die Zyklen werden immer kürzer. Teamergebnisse stehen zunehmend vor persönlichen Erfolgen. Wie kann Büroarchitektur einerseits auf individuelle Bedürfnisse reagieren und
Zunächst gilt es zu differenzieren, was Nachhaltigkeit in diesem Kontext bedeutet und in welcher Beziehung sie zur Individualisierung steht. Involviert man den Nutzer oder einen emotional orientierten Feel-Good-Manager in die Planung, führt das zu einem nutzeradaptierten Ergebnis, das kaum mit einer Standardisierung vereinbar ist. Sind die Ansprechpartner der Architekten hingegen rein rational denkende Facility-Manager, geht es vornehmlich um monetäre Ziele und Messbarkeit. In diesem Fall bedeutet Effizienz, in einem Raum die Schreibtischanzahl und die Mitarbeiter pro Quadratmeter zu maximieren. Das heißt, grundsätzlich existiert ein Interessenkonflikt zwischen Standardisierung und Individualisierung. Tragendes Argument gegen eine Standardisierung ist die Qualität des Gebäudes: Wird dessen Flexibilität aus Effizienzgründen überstrapaziert, entsteht eine Beliebigkeit, in der keine Atmosphäre mehr geschaffen werden kann. Unter diesen Umständen wird das Gebäude als Recruiting-Instrument für hochqualifizierte Fachkräfte hinfällig: „No Fun, no Nachwuchs!“ Nachhaltig wäre hingegen das Ermöglichen einer weiterführenden Adaptierbarkeit und Flexibilität der Räume, die über die individuelle Gestaltung hinausreicht. Architekten sollten Strukturen schaffen, die das zulassen – beispielsweise mithilfe einer gewissen Deckenhöhe (drei Meter plus für bessere Nachrüstbarkeit), einer im Raster flexiblen Bürotiefe oder größerer Lüftungsquerschnitte. Im Grunde geht es um drei Ebenen: „people, process, place“, also Mensch, Struktur und Raum. Der Planer muss den sinnlichen Anforderungen des Menschen gerecht werden, ohne dabei einen zukünftigen Nutzerwechsel und eine entsprechende Adaptierbarkeit der Struktur aus den Augen zu verlieren.
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SOFIA DE MELLO — O&O BAUKUNST OLIVER KETTENHOFEN — SCOPE ARCHITEKTEN GUIDO ROTTKÄMPER — DESIGN2SENSE
andererseits nachhaltig und zukunftssicher gestaltet werden?
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BÜROARCHITEKTUR Büroräume müssen heute zunehmend variabel gestaltet und vor allem eingerichtet werden. Gleichzeitig steigt der Kostendruck in entsprechenden Projekten. Die einfache Kombination von Tisch, Stuhl und Topfpflanze hat ausgedient. Welche Anforderungen stellt die moderne
Es gibt verschiedene Prognosen zur Zukunft der digitalisierten Arbeitswelt, die bis zur Abschaffung der Arbeit an sich reichen. Im Mittelpunkt sollte jedoch immer der menschliche Faktor stehen. Wie möchten Menschen arbeiten und vor allem leben? Aktuell entstehen in vielen wichtigen Wirtschaftszentren, wie zum Beispiel Stuttgart oder München, reine Arbeitsstädte, das heißt städtebauliche Monostrukturen ohne Mischcharakter. Hier muss die Architektur reagieren. Es braucht ein neues Verständnis eines ganzheitlichen Lebensraumes, der ebenso aus einer Arbeits- wie aus einer Wohnwelt besteht. Je mehr die Digitalisierung die beiden Welten miteinander verschmelzen lässt, desto wichtiger wird die Identität der Räume. Sie kann durch den Ort beeinflusst werden, durch die Unternehmensphilosophie oder auch durch die Nutzerbeteiligung. Im Grunde sollte gute moderne Büroarchitektur ein Möglichkeitsraum sein, in dem unterschiedliche Arbeitsszenarien stattfinden können. Räume bieten Menschen Orte der Begegnung und Kommunikation sowohl informeller als auch formeller Art. Dabei geht es immer darum, ein ausgewogenes Spannungsverhältnis zwischen dem Individuum und der Gruppe zu schaffen und gleichzeitig Möglichkeiten des Rückzugs zu bieten. In Zeiten von Pinterest und Instagram, in denen viele Eindrücke rein zweidimensional und visuell wahrgenommen werden, gewinnt die architektonische, mit allen Sinnen erfahrbare Qualität des Raumes eine ganz neue Bedeutung. Die Wahl, die Qualität und die Oberfläche der verwendeten Materialien sollten diesem Umstand Rechnung tragen. Das gilt ebenso für die Möblierung und Einrichtung der Arbeitslandschaften, da die Grenze zwischen Architektur und Innenarchitektur sich zunehmend auflöst. Als echte Generalisten müssen Architekten die Stadt, den Raum und auch das Individuum gleichermaßen im Fokus behalten.
AXEL FRÜHAUF — MECK ARCHITEKTEN IWETTA ULLENBOOM — ESTER BRUZKUS ARCHITEKTEN CHRISTOF TEIGE — AUER WEBER
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Arbeitswelt an die Architektur? Und wie verändert sich die Rolle der Architekten dabei?
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OFFICE SUMMIT TITEL IN SÜDAFRIKA
Der Office Summit in Kapstadt wurde ermöglicht durch:
Dormakaba ist der Partner für Premium-Zugangslösungen und Serviceleistungen. Das Unternehmen mit über 100-jähriger Tradition bietet ganzheitliche Lösungen rund um das Öffnen und Schließen von Türen – von Türbändern über Türschließer bis hin zu automatischen Türsystemen sowie Zeit- und Zutrittskontrollsystemen. Produkte von dormakaba sind Spitzentechnologie und genießen einen exzellenten Ruf. Zuhause. Europaweit. Weltweit. www.dormakaba.com
Flokk, norwegisch für „Herde“, ist mit den Produktmarken HÅG, RH, Giroflex, BMA, Offecct und RBM der führende Hersteller von Sitzmöbeln in Europa. Unsere Designs setzen neue Maßstäbe – von der Entwicklung bis zur Herstellung. Die unterschiedlichen Markenphilosophien stellen dabei immer das Wohlbefinden des Menschen in den Mittelpunkt. Rund 800 Mitarbeiter arbeiten weltweit gemeinsam an der Verwirklichung unserer Vision: Inspire great work. www.flokk.com
Licht und Design in Perfektion aus der Nähe von Hamburg: Das junge deutsche Unternehmen hat sich dem Licht in all seinen Facetten verschrieben. Egal ob Objekt- oder Wohnraumbeleuchtung, Kai Byok entwickelt und produziert mit seinem Team individuelle, modulare Leuchten, die höchste Adaptivität mit gutem Design kombinieren. Norddeutsche Sachlichkeit findet sich in den Entwürfen wie auch in der Firmenphilosophie wieder. Zahlreiche Designpreise zeugen von der Innovation, die Byok nationalen wie internationalen Erfolg sichert. www.byok.lighting
Teppichböden in höchster Qualität, dafür steht der Name Object Carpet. Seit über 40 Jahren produziert das im schwäbischen Denkendorf ansässige Unternehmen Bodenbeläge, die gleichermaßen Architekten und Privatkunden ansprechen. Zahlreiche Preise beweisen, dass die Kollektion in Design und Material immer auf der Höhe der Zeit ist. Ob strapazierfähige Teppichböden für den Objekt- oder edle Naturmaterialien für den Wohnbereich, Object Carpet bietet für jeden Anspruch den passenden Teppich. www.object-carpet.de
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EINE VERANSTALTUNGSREIHE VON
SAVE THE DATE PRODUKTINNOVATIONEN | AUSSTELLUNG | VORTRÄGE | NETWORKING SIR DAVID ADJAYE (ADJAYE ASSOCIATES) FLORIAN URBAN GEDDERT (PLUS4930 ARCHITEKTUR) CHRISTOPH RICHTER (RICHTER MUSIKOWSKI) MATTHIAS SCHRANNER (SCHRANNER NEGOTIATION INSTITUTE) PROF. RITZ RITZER (BOGEVISCHS BUERO) U.V.M.
04444 DEAR 23 an 01
21. UND 22. NOVEMBER 2018 LANDSCHAFTSPARK DUISBURG
KO N G R E SS Mehr Informationen unter www.heinze.de/kongress
EDITOR’S PICK — GREY ANATOMY
SE:MOTION Dieser Bürodrehstuhl ist unkompliziert, aber trotzdem vielseitig – quasi perfekt für Start-ups und Digital Natives. Durch die Entwicklung eines völlig neuen kinematischen Konzeptes konnten die Designer von Sedus bei se:motion auf eine herkömmliche Mechanik komplett verzichten.
BUZZISPARK Das neue Polstermöbel von Alain Gilles für den Antwerpener Hersteller BuzziSpace, umarmt die Sitzenden und sorgt für Ruhe: ein akustisches Schutzschild mit Kuschelzone. www.heinze-dear.de/_07941
SITZBOCK Fest im Sattel: Carsten Schelling, Sven Rudolph und Ralf Webermann vom Designstudio RSW haben für Wilkhahn ein Polypropylen-Objekt entworfen, das sich als komfortable Stehstütze oder Sitzbock in verschiedenen Haltungen für spontane Meetings verwenden lässt. Als kleine Herde verstreuen sich die Sitzböcke im Raum und können zum Feierabend kreuzweise übereinandergestapelt werden. www.heinze-dear.de/_07942
SAVOY 1100 Und was liegt unter dem Schreibtisch? Die Teppichfliese aus recyceltem Garn von Object Carpet hat einen urbanen Charme, gestaltet hat sie Matteo Thun.
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Bei Waldmann dreht sich alles um biodynamisches Licht, wobei die neue Stehleuchte nicht nur im Büro, sondern auch zuhause eine gute Figur macht.
VIVAA FREE VTL
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Für schönere Zusammenkünfte. Mit Designboden Arbeitsräume gestalten.
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WERKSBESUCH — WWW.STEELCASE.COM
Die Piazzetta im Steelcase Learning + Innovation Center in München
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WERKSBESUCH STEELCASE INNOVATION VON HERZEN
Wie wäre es, den Arbeitstag bei einem Flat White im firmeneigenen Café zu beginnen, den Rechner nach Belieben in einer Ruhezone aufzuklappen oder den Workshop mit Blick über die Stadt zu erleben? Das Learning + Innovation Center von Steelcase macht die Philosophie der Arbeitswelt von morgen schon heute erlebbar.
FOTOS: ANNETTE KUHLS
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WERKSBESUCH — WWW.STEELCASE.COM
LessThanFive steht für weniger als fünf Pfund. Leichter als 2,3 Kilogramm ist also dieser Konferenz- und Besucherstuhl von Michael Young für die Steelcase-Marke Coalesse. Zu hundert Prozent aus Carbonfaser gefertigt, lässt sich der stapelbare Stuhl ebenso hundertprozentig individuell gestalten.
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„Wir sind ganz bewusst in die Mitte der Stadt gezogen, da wir Teil der Community sein wollen.“
München ist nicht gerade für seine Auswahl an freien Immobilien im Zentrum der Stadt bekannt. Umso glücklicher kann sich ein US-amerikanisches Unternehmen schätzen, Ende 2017 mitten im Herzen der bayerischen Landeshauptstadt seine neue europäische Heimat gefunden zu haben. Das Steelcase Learning + Innovation Center (LINC) in der Brienner Straße liegt nur zehn Minuten Fußweg vom Hauptbahnhof entfernt. „Wir sind ganz bewusst in die Mitte der Stadt gezogen, da wir Teil der Community sein wollen“, sagt Fabian Mottl, Brand Communications Manager bei Steelcase, der uns in einem wohnzimmerartigen Loungebereich empfängt. Die 260 Mitarbeiter des Learning + Innovation Centers sind mit durchschnittlichen 35 Jahren auffallend jung und dabei überaus international: Dieser Arbeitgeber scheint ausgesprochen attraktiv zu sein. Auf fast 15.000 Quadratmetern über sieben Etagen führt Steelcase zum einen vor, wie seine Möbel in Aktion wirken. Zum anderen wird hier praktiziert, was Forscher und Trendbeobachter für die Arbeitswelt der Zukunft prophezeien. Im LINC stellt man sich den Herausforderungen, die der digitale Wandel für Unternehmen weltweit mit sich bringt. In den Räumen, die Teil des Brienner Forums sind, saß zuvor ein großer Energiekonzern, der mit seiner Innenarchitektur eher einen Behördencharakter pflegte. Dem Gebäude seine
heutige Gestalt zu geben, war entsprechend aufwendig. Zwei Jahre dauerte der Umbau. An der Umgestaltung beteiligt waren das Büro Henn Architekten und der Pariser Designer Patrick Jouin sowie ein Team interner Experten um James Ludwig, Vice President Global Design Engineering, und John Small, ehemaliger Director Design EMEA. „Um innovativ zu sein, müssen Unternehmen den Informationsfluss und Lernzyklen innerhalb der Organisation unterstützen, Entscheidungsprozesse beschleunigen und die Risikobereitschaft der Mitarbeiter fördern“, davon ist man bei Steelcase überzeugt. Praktisch sieht das so aus: Während der gänzlich neue Eingangsbereich fast unauffällig wirkt, führt ein holzvertäfelter Parcours, der bereits durch die Glasfassade hindurch sichtbar wird, direkt in den Mittelpunkt des Steelcase-Komplexes. Das LINC besteht aus drei Gebäudeteilen. Im zentral platzierten WorkCafé und Restaurant mit abwechslungsreicher, anspruchsvoller Küche kann man nicht nur gut Energie tanken, sondern genauso gut zusammenarbeiten und Ideen entwickeln. Die angrenzende verglaste, sich über die gesamte Gebäudehöhe erstreckende Piazzetta dient als Wintergarten. Wie bedeutend dieser Teil aus Sicht der Planer ist, spürt man anhand der Platzierung: Immerhin liegt das WorkCafé direkt oberhalb der Eingangshalle und in unmittel-
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Ausgestellt wie ein Kunstwerk: Der neue Arbeitsstuhl SILQ ist besonders für Büros geeignet, in denen häufig die Plätze gewechselt werden.
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Martin Knobel Specialist Corporate Communications
barer Nachbarschaft zur Leadership Community, einer hoch frequentierten, offenen Fläche im ersten Obergeschoss, die dem Austausch zwischen Führungskräften, Mitarbeitern und Besuchern gewidmet ist. Die darüberliegenden Geschosse verbindet eine diagonal durch das Gebäude verlaufende Treppe miteinander. Die Flächen rings um diesen offenen Kern wechseln zwischen Gruppenarbeitsplätzen, abgeschirmten Zonen, die etwa mit der Brody WorkLounge ausgestattet sind, oder Glasboxen, in denen sich Konferenz-, Video- und Telefonkonferenzräume sowie Einzelarbeitsplätze befinden. Selbst die Bereiche Finance und Human Resources, das ist eine Besonderheit, sind Teil des Open Space. „Die Gestaltung der verschiedenen Arbeitszonen basiert auf den Prinzipien Lernen, Zusammenarbeit, Kreativität und vor allem Vertrauen“, erklärt Martin Knobel, Specialist Corporate Communications bei Steelcase im Rundgang. Zwischendrin steht eine Neuheit wie eine Skulptur auf einem Podest: SILQ, ein Bürostuhl, der Komfort und Innovation miteinander verbindet. Seine extrem schlanke Sitzschale besteht aus einem einzigen Stück Carbonfaser-verstärktem Kunststoff. Der Stuhl kommt ohne komplizierte Einstellmechanismen aus und unterstützt so den regelmäßigen Arbeitsplatzwechsel. Ein kleiner Trick hilft zudem, noch mehr Bewegung und
Fabian Mottl Brand Communications Manager
Austausch unter den Mitarbeitern zu erzeugen: Während die Kopierer- und Materialräume am einen Ende der langgestreckten Etagen liegen, führt der Gang zur Toilette genau zur gegenüberliegenden Seite. Auf der Dachgeschossebene des Learning + Innovation Centers befinden sich neben Lernräumen verschiedene Workshopräume. „Diesen Raum nennen wir Sandbox“, definiert Martin Knobel ein mit Materialproben und Modellen ausgestattetes Studio. Hier werden gemeinsam mit Kunden und Gästen verschiedene Bedürfnisse erkundet. Am sogenannten Map Table lassen sich Details betrachten, die den Besuchern am Steelcase-Haus besonders gut oder auch mal weniger gefallen. Bei der vorherigen Führung durch das Gebäude haben sie dafür Orte digital registriert, die ihnen aus bestimmten Gründen aufgefallen sind. Darüber hinaus lassen sich mithilfe einer Virtual-Reality-Einrichtung mögliche Interior-Szenarien bereits bei der Planung dreidimensional erfahren. Zudem bietet die VR-Technik die Gelegenheit, virtuell andere Steelcase-Locations zu besuchen, etwa den Muttersitz in Grand Rapids im US-Bundesstaat Michigan. Im benachbarten dritten Gebäudeteil befindet sich ein Bereich, der Gästen streng verborgen bleibt. Auf fünf Etagen findet hier die Produktentwicklung statt: Dazu gehören Studios, eine Schreinerei, eine Schlosserei und ein Testlabor. Hergestellt wird im LINC allerdings nichts – das nächste Werk steht im nahe gelegenen
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WERKSBESUCH — WWW.STEELCASE.COM
„Das Learning + Innovation Center wird zu einem Ort, an dem die Freude an der Arbeit laufend optimiert wird.“
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Unternehmensführung, Administration, Kommunikation und Vertrieb finden auf gemeinsamen Ebenen im überwiegend offenen Raum zusammen. Für Konferenzen, Videokonferenzen und Telefonate lassen sich zeitweise Besprechungs- und private Räume buchen.
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DOSSIER
Rosenheim, wo die Tischproduktion für den europäischen Markt stattfindet. Hier in der Münchner Maxvorstadt werden die Bereiche Produktentwicklung, Vertrieb, Finanzwesen, Kommunikation, Auftragsabwicklung, IT, Marketing, Lieferkettenmanagement sowie Personal- und Rechtswesen vereint. Für Steelcase fungiert der Standort als Testlabor und Aushängeschild, aber auch als Treffpunkt sowohl für Mitarbeiter – dank Videotechnik sogar über alle Zeitzonen hinweg – als auch für Fachhändler, Kunden, Entscheidungsträger und Gäste. Das Learning + Innovation Center wird zu einem Ort, an dem die Freude an der Arbeit laufend optimiert wird – da bilden das WorkCafé und der nach Wünschen der Mitarbeiter ausgestattete Fitnessraum inklusive Yoga- und Trainingsangebot nur das i-Tüpfelchen. Innovation entsteht eben meistens im kreativen Freiraum, und Kreativität kommt stets von Herzen. Diesen Zusammenhang hat Steelcase schon lange verstanden.
Über das Unternehmen Mehr als 105 Jahre Erfahrung stecken in jedem einzelnen der qualitativ und innovativ herausragenden Produkte von Steelcase. Über 12.000 Mitarbeiter weltweit sorgen vom Stammsitz in Grand Rapids (Michigan, USA) über Sydney und Tokio bis nach München für Produktentwicklung, Beratung und Forschung am Puls der Zeit. Menschen mit Würde und Respekt zu begegnen und die Umwelt zu schützen, sind nur zwei der gelebten Grundprinzipien des internationalen Unternehmens. www.steelcase.com
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INTERVIEW FLORIAN IDENBURG
SO–IL
VON TIM BERGE
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SO–IL (v.l.n.r.): Florian Idenburg, Jing Liu und Ilias Papageorgiou. Foto: Naho Kubota
INTERVIEW
Berechnet im Computer, gefertigt von Hand: Die Fassade der Kukje Gallery in Seoul besteht aus 510.000 Metallringen.
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Grenzen überschreiten, die Welt verändern – oder einfach nur ein paar gute Gebäude bauen: Das in New York ansässige Büro SO–IL von Jing Liu, Ilias Papageorgiou und Florian Idenburg gehört trotz weniger realisierter Projekte zu den spannendsten Architektenteams unserer Zeit. Ein Gespräch mit Florian Idenburg über die Superdutchness, SANAA und die Auswirkungen schlechter Architektur. Ihr habt euer Studio im Jahr 2008 gegründet, im Jahr der letzten großen Finanzkrise. Geht es bei Architektur darum, Risiken einzugehen? Nicht automatisch. Aber wenn wir von Innovationen reden, sind Risiken unumgänglich. Für Architekten gilt es oft, herauszufinden und zu entscheiden, wieviel Risiko sie in ihre Projekte hineinschmuggeln können. Nach außen hin müssen sie den Anschein erzeugen, alles unter Kontrolle zu haben. Aber zu viel Kontrolle hemmt die Innovation. Es bleibt ein schmaler Grat! Wir haben von Anfang an versucht, dem Unkontrollierbaren einen gewissen Platz in unserer Arbeit zu sichern.
„Wir sollten das Banale umarmen!“
Muss man sich diese Art von Risiko leisten können? Mein Gefühl ist, dass die Menschen immer weniger Risiken eingehen wollen: Das macht es für uns schwieriger. Andererseits beinhaltet die Architektur von Natur aus das unerfüllbare Versprechen, die Welt verbessern zu können, obwohl niemand das mit Gewissheit behaupten kann. Für uns gehört Risiko zum Job dazu, verknüpft mit der steten Gewissheit scheitern zu können. Gibt es denn Unterschiede in der Risikobereitschaft zwischen Architekten in den USA und Europa? Es sind immer die aufstrebenden Länder, die bereit sind, die größten Risiken einzugehen. Für sie sind die Geschwindigkeit, das Neue und das Abenteuer am faszinierendsten. Manchmal sind es auch Regionen, die mit anderen Regionen gleichziehen wollen. Der Wille zur Innovation muss in der Denkweise der Menschen verankert sein. Wir haben das Gefühl, dass die Menschen in Südkorea sehr risikoaffin und in New York sehr risikoavers sind. Es macht aber auch Sinn, da New York viel konservativer ist und innerhalb seiner Strukturen kaum Bewegungsfreiheit herrscht.
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Die Demokratie des Lichts: Das Schattenspiel auf den öffentlichen Plätzen des Shrem Museum of Art verwischt die Grenzen zwischen zivilen und institutionellen Bereichen. Fotos: Iwan Baan
Oben: Tief durchatmen! Die tragbaren Kokons der L’air pour l’air-Performance sind von der Pflanzenwelt inspiriert und reinigen die Luft durch Atmung.
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„Wir wollen Häuser entwickeln, die bestimmte Zustände oder Gefühle hervorrufen.“
Du bist in Holland aufgewachsen und hast in Delft studiert – wie siehst du die niederländische Architektur der Gegenwart? Sie hat sich seit der Zeit, in der ich hier gelebt habe, sehr verändert. Die niederländische Architektur der Neunzigerjahre war progressiv, innovativ und mutig. 2018 war kein einziges Büro aus Holland in der Hauptausstellung der Biennale in Venedig vertreten. Ich bin mir nicht sicher, was passiert ist, jedenfalls hat sich die politische und wirtschaftliche Lage im Land im gleichen Zeitraum ebenfalls verändert – vielleicht ist es darauf zurückzuführen. Wie und warum bist du in New York gelandet? Eigentlich wollte ich genau dieser Superdutchness und diesem Supermodernism der Neunzigerjahre entfliehen. SANAA, für die ich in Japan gearbeitet habe, stehen genau für das Gegenteil: Ihre Häuser sind nicht diagrammatisch aufgebaut, obwohl sie sehr grafisch wirken. Sie besitzen eine Art von Poesie und Mehrdeutigkeit sowie eine starke Offenheit, die mich damals und heute faszinierten. Durch SANAA bin ich von Tokio dann im Rahmen des New Museum-Neubaus nach New York gekommen.
Wie gefangen in einem Gitternetz, formlos steht die Kukje Gallery wie ein Solitär auf dem Grundstück.
Was hat dich an den USA fasziniert? In den USA wird Architektur auf einem ganz anderen Level gelehrt und diskutiert als hier in Europa: sehr akademisch und komplex. Das hat mich erstmal nicht interessiert, bis ich verstanden habe, dass dadurch eine viel tiefere und fundiertere Analyse der gebauten Umwelt erzeugt werden kann. Welche Bedeutung haben Architektur und Architekten in den USA? Es gibt die Architektur, die wir aus den Magazinen kennen und die zu den Luxusgütern der Schönen und Reichen gehört, und es gibt die Architektur der Masse, die quasi ohne Architekten stattfindet und die keinen Stellenwert in der Gesellschaft besitzt. Die USA sind ein sehr ungleiches
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INTERVIEW
„Zu viel Kontrolle hemmt die Innovation.“
Land, und das wirkt sich auch auf die Architektur aus. Studieren kann man das Fach nur, wenn sich die Eltern die teure Ausbildung leisten können. Dadurch ist die Ausübung des Berufs einer bestimmten Klientel vorenthalten. Was hat Trump für dich geändert? Seine Wahl hat die Gesellschaft nachhaltig verwundet und verändert. Er hat die politische Diskussion auf das unterste Niveau geführt und dadurch viele progressive Denker davon abgebracht, Risiken einzugehen. Momentan gibt es sicherlich bessere Orte zum Leben. Wie kamen du und deine Frau Jing Liu darauf, euer eigenes Büro zu gründen? Und warum New York? Es fühlte sich nach dem richtigen Ort und dem richtigen Zeitpunkt an. 2008 war zwar die Zeit der letzten großen Finanzkrise, gleichzeitig betrat aber auch Obama die Bildfläche. Während in Europa immer mehr Nationalisten an die Macht kamen, begann in den USA eine sehr optimistische Zeitrechnung. Dazu kommt, dass wir von Anfang an global gedacht haben und der Architekturmarkt das auch zuließ. Hat es funktioniert? Bis zum heutigen Zeitpunkt auf jeden Fall (lacht). Wir haben sehr viele Projekte in der Kunstwelt realisiert – wie die Kukje Gallery in Seoul oder das Shrem Museum of Art in Davis. Wir wollen aber nicht nur gute Häuser für einen kleinen Teil der Bevölkerung bauen, sondern für alle. Daher sind wir sehr am Wohnungsbau interessiert. Können gute Gebäude eine gute Gesellschaft formen? Ich glaube schon. Auf jeden Fall können schlechte Gebäude Menschen negativ beeinflussen. Eine schreckliche Umgebung hat aus meiner Sicht einen subtilen Einfluss auf das Selbstwertgefühl und die persönliche Stimmung. Und wie
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man sich fühlt, so handelt man auch. Städte haben selbstverständlich einen ähnlichen Einfluss. Wie entwickelt ihr eure Häuser? Wir haben vor Kurzem ein Buch herausgegeben mit dem Titel Order, edge, aura. Diese drei Bereiche beschreiben unseren Ansatz. „Order“ steht für die Struktur eines Gebäudes – die auch auf Chaos basieren kann. „Edge“ beschreibt die Beziehung der Architektur und ihren Inhalten zu ihrem unmittelbaren Umfeld. Und „Aura“ handelt von der Materialität eines Hauses, seiner physischen Präsenz und seinem Volumen. Das kann ein Metallgewebe, aber auch eine Lichtwirkung sein. Für uns ist es viel interessanter, Häuser zu entwickeln, die bestimmte Zustände oder Gefühle hervorrufen. Wir brauchen Architekturen und Räume, die nicht einen bestimmten Nutzen haben, sondern viele verschiedene Funktionen in der Gegenwart wie auch in der Zukunft erfüllen können. Was sind eure „Solid Objectives“? Einer unserer Grundsätze ist es, dass Gestaltung allen Menschen zugänglich gemacht werden sollte. Ein gutes Beispiel ist das von uns entworfene Museum in Davis, das nicht nur aus architektonischer Sicht vollkommen offen ist. Es ist wirklich für jeden zugänglich. Ein weiterer Grundsatz ist, dass die von uns entworfenen Räume eine Form von Toleranz ausstrahlen: Die Nutzer sollen selber bestimmen, wie sie sich in der Architektur benehmen und verhalten. Geht es euch aber auch um Schönheit? Ich mag die Idee, denn der Begriff ist gleichzeitig auch eine Provokation in der heutigen Architektur, in der es nicht um Schönheit gehen darf. Er hinterlässt einen schlechten Nachgeschmack. Wir sollten das Banale umarmen!
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Außen amorph, innen White Cube. Chaos und Ordnung sind bei SO–IL gewünschte Begleiterscheinungen.
SO–IL 2008 von dem niederländischen Architekten Florian Idenburg (*1975) und der chinesischen Architektin Jing Liu (*1980) in New York gegründet, wird das Studio seit 2013 mit dem dritten Partner, dem griechischen Architekten Ilias Papageorgiou (*1980) geführt. www.so-il.org
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BRUTALISTISCHE HÜLLEN AUS DEN SIEBZIGERJAHREN VERKNÜPFEN SICH ZU EINEM MIKROSKOPISCHEN DORF.
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TEXT: ANNE MEYER-GATERMANN FOTOS: PINO DELL'AQUILA
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Sardonische Smaragdküste. Die Meeresoberfläche bricht auf, und aus dem Wasser fährt ein weißer Lotus Esprit an den Strand. 007 Roger Moore wirft mit spitzen Fingern einen Fisch aus dem Fenster, neben ihm sitzt Barbara Bach als KGB-Agentin Major Anya Amasova.
Die legendäre Szene aus dem Bond-Film Der Spion, der mich liebte wurde 1976 und 1977 an der Costa Smeralda auf Sardinien gedreht. Etwa zur gleichen Zeit, nur wenige Kilometer entfernt, bauen die Architekten Ferdinando Fagnola und Gianni Francione drei Villen, die ohne Weiteres ein Drehort für den Film hätten sein können. Jetzt sind diese Villen modernisiert worden. Die Planung hat Fagnola selbst in Zusammenarbeit mit dem PAT. Studio übernommen. Das Studio ist auf nachhaltige Architektur spezialisiert. Die brutalistischen Bungalows nisten hinter den Büschen. In die sanften Rundungen eines Hügels gesetzt, versinken sie in der Natur, weil ein Teppich aus Gras über sie gewachsen ist. Die Villen sind Bausteine eines Komplexes, der wie ein mikroskopisches Dorf auf Kommunikation ausgerichtet ist: Auf einer Plaza trifft man sich zum Plaudern, in der einen Villa verbirgt sich ein Hammam, während in der anderen Villa die Kinder im Lern- und Spielraum Vokabeln üben oder die Wände bemalen dürfen. Eine Achse und ein Wegesystem verbinden alle Gebäude. Hier sollen Familien mit Freunden Urlaub
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machen, Platz für Personal ist auch eingeplant. „Die spielerische Funktion eines Hauses am Meer überzeugte mich davon, eine offene Architektur zu entwerfen, die in viele Volumen aufgebrochen ist“, sagt Ferdinando Fagnola. Diese seien als leere Räume gedacht: „ein zentraler offener Raum für viele Nutzungsarten, um den die Funktionsräume und viele kleine Zimmer angeordnet sind – unter freiem Himmel“. Die Gebäude haben die Form von ineinander verschachtelten Kuchenstücken – jede Villa beinhaltet eine komplexe Struktur aus privaten Zimmern und Gemeinschaftsräumen. Villa 1 versteht sich als Angelpunkt: Hier sind Elternschlafzimmer, Küche und die zentralen Wohnzonen innen und außen angeordnet. Die Villa 2, „der Schmetterling“, hat Platz für Pool, Spa und Gästezimmer. Dieser Kubatur verordneten die Planer die radikalste Wandlung: In eines der Gebäude haben sie eine Achse geschnitten. Eine blaue Decke und ein hölzerner Weg markieren die zentrale Passage, rechts davon ist alles neu. Villa 3 dient als „Teleskop“ und ist als Erweiterung von Villa 1 gedacht, mit der sie über eine Treppe und ein Wegesystem verbunden ist. Hier gibt es ein weiteres Ess- und Wohnzimmer, Räume für Gäste und Personal und ein Lern- und Spielzimmer für Kinder, das sich die Auftraggeberin, die Gründerin eines Montessori-Kinderzentrums ist, gewünscht hatte. Auf einem Freiluft-Adventure-Weg können die Kleinen außerdem ihre motorischen Fähigkeiten trainieren. Die Gebäudehüllen aus den Siebzigerjahren sind erhalten geblieben. Als Kontrast zum brutalistischen Beton und Stahl arbeiten die Architekten mit mediterranen Farben: Eine leuchtend pinke Wand erinnert an die Blüten der Kletterpflanze Bougainvillea. Das Schlafzimmer in der ersten Villa
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strahlt azurblau, den Pool flankiert eine Wand in Aubergine, Mosaike in Mandarine, Limette, Tomate und Meerblau warten in den Badezimmern. Nachhaltigkeit spielte bei dem Umbau eine zentrale Rolle: Um den Wasserverbrauch zu reduzieren, haben die Architekten zum Beispiel die ehemals großen Rasenflächen auf ein Minimum reduziert und stattdessen Pflanzen gewählt, die resistent gegen Hitze und Trockenheit sind. In Der Spion, der mich liebte zerstört James Bond die Unterwasserstation des Meeresbiologen und Schurken Stromberg. Unter der Grasnarbe an der Costa Smeralda herrscht ein anderer Geist: Hier hat man ein Architekturschmuckstück erhalten und für die Zukunft ausgerüstet.
Villas in Sardinia Umbau an der Costa Smeralda Grundstück: 3,5 Hektar Villa 1: 680 Quadratmeter Villa 2: 485 Quadratmeter Villa 3: 360 Quadratmeter Januar 2012 bis März 2018 Architekten Ferdinando Fagnola und PAT. Studio www.patdesign.it
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PATIO UND
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EIN HAUS, DAS SICH NUR ZUM HIMMEL ÖFFNET
TEXT: TIM BERGE FOTOS: RAFAEL GAMO
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Die Casa la Quinta in der mexikanischen Kleinstadt San Miguel de Allende ist einerseits ein typisches Beispiel für die regionale Architektur, die sich schützend von der Sonne abzuwenden sucht – andererseits nutzt der Bau das Tageslicht für eine abstrakte Raum-Licht-Installation.
Die Bezeichnung „Ruhesitz” umschreibt den Charakter dieses Wochenendhauses am treffendsten. Die Bauherren waren vor Kurzem in den Ruhestand gegangen und wollten mit dem Neubau einen Ort schaffen, an dem sie sich entspannen und ihre neue Freiheit genießen können. Perfekte Voraussetzungen dafür bot dieses Grundstück: An drei Seiten türmten sich hohe Mauern auf. Für den Architekten Pablo Pérez Palacios galt es, den leeren Raum dazwischen neu zu definieren. So verschlossen das Gebäude nach außen ist, so offen ist es in seinem Inneren. Der Grundriss verzichtet weitestgehend auf Trennungen zum Außenraum, der durch drei Patios definiert wird, die sich in dem Volumen abdrücken. Jeder der Höfe besitzt seine eigene Identität, die durch unterschiedliche Proportionen und Nutzungen geformt wird. Der größte Patio bildet, zusammen mit dem anschließenden Wohnraum, das kongeniale Zentrum des Hauses. An drei Seiten türmen sich glatte gekalkte Wände empor, die den Himmel rahmen und ihn wie eine Raum-Licht-Installation von James Turrell aussehen lassen. Die Natur als abstraktes Kunstwerk, das das Haus umgibt und es durchdringt. So wirkt auch der Baum, der sich
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PROJEKTE Material Outside-In: Während man von auĂ&#x;en heute keinen Beton mehr sehen kann, haben die Architekten den Bestand im Inneren so belassen, wie er war. Jedes der 38 Apartments ist ein Unikat: manche mit zum Teil sieben Metern hohen Räumen, jedes mit Balkon.
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neben einem kleinen Pool und einer Hängematte der puristischen Hofgestaltung hinzugesellt, wie eine lebende Skulptur. Auch die zwei weiteren Patios widmen sich der architektonischen Seelsorge ihrer Bewohner. Kleine Gärten erzeugen eine gute Belüftung und einen angenehmen Tageslichteinfall in dem 350 Quadratmeter großen Haus. Überhaupt steht die Wohnqualität der Innenräume dem Erholungsfaktor der Höfe in nichts nach: Kühle Steinoberflächen am Boden und Einbauten aus Holz sorgen für eine behagliche Atmosphäre und ein gutes Klima. Ruhe und Entspannung sind allgegenwärtig in der Casa la Quinta. Die Architekten gliederten den einstöckigen Bau in einen Wohn- und einen Schlafbereich: Das Erdgeschoss ist eine fließende Abfolge von innen und außen liegenden Aufenthaltsbereichen sowie einer Küche, die geschickt platziert zwischen den drei Patios liegt, sodass man von ihr schnell jeden der drei Höfe erreichen kann. Grenzen – seien es physische oder atmosphärische – scheinen in diesem bemerkenswerten Neubau keine Rolle zu spielen. Das Innere, das gleichzeitig auch das Äußere des Hauses ist, erzeugt einen einzigen sozialen Raum, dessen Charakter durch das Zusammenspiel und die Kontraste von Licht und Schatten eine besondere Note erfährt.
Casa la Quinta San Miguel de Allende, Mexiko Fertigstellung: 2017 350 Quadratmeter Team Pablo Pérez Palacios und Alfonso de la Concha Rojas, Miguel Vargas, Blas Treviño, Jorge Quiroga
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RAHBARAN HÜRZELER: MOVABLE HOUSE
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„Wir hatten bis jetzt immer großes Glück mit unseren Bauherren“, sagen Ursula Hürzeler und Shadi Rahbaran. Das aktuelle Projekt der beiden Architektinnen ist eher klein, umso größer das Experiment: ein 100-Quadratmeter-Wohnhaus, das sich wie ein Möbelstück auf- und abbauen lässt.
VON JEANETTE KUNSMANN FOTOS: WEISSWERT, BASEL
Die beiden haben ein gutes Händchen. Kennengelernt haben sich Shadi Rahbaran und Ursula Hürzeler in Basel. „Es gab eine Verbindung über die Arbeit mit und für Herzog & de Meuron, aber wir waren vorher nie im gleichen Büro tätig“, sagt Rahbaran. Sie hatte zuvor bei OMA gearbeitet, Ursula Hürzeler bei Herzog & de Meuron, seit sieben Jahren führen die beiden ihr eigenes Studio. Mit dem Movable House lassen sie sich auf eine besondere Art des Bauens ein: Architektur ohne konkreten Ort.
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Es ist kein ganz gewöhnlicher Auftrag, ein Haus zu entwerfen, das sich wie ein Möbelstück wieder demontieren lässt. Wie kam es dazu? Ursula Hürzeler: Die Bauherren wollten, dass wir ein Haus für sie planen – aber sie wollten sich nicht festlegen: Das war die Ausgangslage. Als wir mit der Planung begonnen haben, gab es außerdem noch kein Grundstück. Für uns war das eine ungewohnte Situation, weil wir uns sonst in unseren Entwürfen immer sehr stark mit dem Ort auseinandersetzen. Der Impuls ging also von den Bauherren aus? UH: Ja. Der Bauherr leitet übrigens eines der progressivsten Ingenieurbüros, die wir hier in Basel haben. Wir kennen ihn schon länger und haben bereits bei einigen Projekten und Wettbewerben zusammengearbeitet. Wie sind Sie an den Entwurf herangegangen – ohne einen konkreten Ort als Vorgabe? UH: Wir mussten ein Konzept entwickeln, das aus sich heraus stimmig ist – mit der Vorstellung, wie es an verschiedenen Bauplätzen wirken würde. Es sollte kein Provisorium werden, sondern die gesamten Qualitäten eines normalen Wohnhauses haben. Aber es musste zerlegbar sein, einfach auf- und abzubauen. Diese Schritte bis
Ein privater Bauherr wünscht sich ein eingeschossiges Wohnhaus, das für keinen bestimmten Ort entworfen ist, sondern sich abbauen und woanders wieder aufbauen lässt. Die Architektinnen standen vor der Herausforderung, eine Konstruktion zu finden, die leicht ist, sich gut transportieren lässt und dennoch einen lebenswerten Raum schafft.
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hin zur Demontage haben wir im Entwurf natürlich mit bedacht. Shadi Rahbaran: Es war eine andere Ausgangslage als bei einem Standardhaus, weil wir die zweite Phase des Hauses mit bedenken mussten. Wände, Boden und andere räumliche Elemente haben wir extrem reduziert und alle Schichten minimiert, um den Rückbau zu erleichtern. Dieser Gedanke interessiert uns schon länger. Bei unserem letzten Projekt haben wir zum Beispiel versucht, die Holzkonstruktion erlebbar zu machen. Bewohner und Besucher sollen das Tragwerk verstehen. Die Tendenz sind ja heute eher zu viele Schichten, sodass man die Konstruktion gar nicht mehr sieht. Die Statik erlebbar zu machen, da geht das Movable House noch mal einen Schritt weiter. Es hat keine Verkleidungen, keinen Putz, keinen Gipskarton. Im Gegenteil: Die statischen Wände sowie alle Installationen sind sichtbar. Also geht es Ihnen auch um architektonische Ehrlichkeit? UH: Genau! Um das, was man heute durch die ganzen Vorschriften gar nicht mehr bauen kann. SR: Unser Rohbau war schon der Schlussbau. Und für Architekten ist der Rohbau immer spannend, weil man eben noch nicht alles verdeckt.
Und wie haben Sie es geschafft, für dieses Experiment eine Baugenehmigung zu bekommen? UH: In Basel macht es keinen Unterschied, ob ein Haus nur drei Monate, drei Jahre oder 30 Jahre steht. Wir mussten also eine normale Baubewilligung einholen. SR: Das war bei der Haustechnik und dem Energienachweis schon eine Herausforderung. Das Movable House ist ja quasi ein Glaspavillon. UH: Die Fachhochschule in Basel hat die bauphysikalischen Nachweise übernommen, so konnten wir diesen Aufwand tragen und alle Daten dynamisch berechnen lassen.
Das Aufrichten der vorgefertigten Holzkerne und des Deckensystems vor Ort erfolgte in nur zwei Tagen, die Produktion der Elemente nahm vier Monate in Anspruch.
Die Fachhochschule übernimmt auch die einjährige Messung der Raumtemperatur und des Verbrauchs von Heizung, Wasser und Strom. Gibt es schon Ergebnisse aus der Testphase? UH: Die Temperaturen im Haus waren bis jetzt immer sehr angenehm, obwohl wir diesen Sommer eine extreme Hitze hatten. Für technische Erkenntnisse ist es jetzt noch zu früh. Wie es sich im Winter verhält, müssen wir sehen. Und wie fällt das bisherige Feedback der Bauherren aus? UH: Sie sind sehr zufrieden! Eine Rückmeldung von ihnen betrifft die Akustik, die überraschend gut ist.
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Die auskragenden Dachelemente aus vorgespanntem Beton werden von vier Holzvolumen (Furnierschichtholz aus Buche) getragen. Auch wenn das Haus für keinen bestimmten Ort geplant ist, soll es sich durch die übereck verglasten Wohnräume zur jeweiligen Umgebung öffnen.
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Da waren wir uns zunächst nicht ganz sicher, denn es gibt viele harte Oberflächen aus Glas und Beton. SR: Die Schränke aus Holz absorbieren als große Volumen den Schall. UH: Und räumlich haben sie das Gefühl, dass das Haus größer ist als die tatsächlichen 100 Quadratmeter. Sie wohnen dort gerade zu viert – mit zwei kleinen Kindern.
Der kreuzförmige Grundriss gliedert die Fläche von knapp 100 Quadratmetern, wobei eine zentrale Rotunde alle Räume miteinander verbindet. Dieser kreisrunde Raum dient nicht nur als Flur, sondern ist ebenso Bibliothek und Rückzugsort.
Die Testphase dauert ein Jahr. Was passiert danach? UH: Wie lange das Haus an diesem Ort stehen bleiben wird, wissen wir nicht. Die Bauherrschaft hat verschiedene Optionen. Vermutlich wird es in drei oder vier Jahren zu eng für die Familie. Man kann den Pavillon auch um ein weiteres Geschoss aufstocken. Da an dem jetzigen Standort nur eingeschossig gebaut werden darf, müsste das Haus dann komplett umziehen. SR: Das Movable House ist nicht modular konzipiert. Man kann also keine Module anhängen und das Haus einfach so erweitern. Es soll eine Einheit bleiben. Sie werden also keine weiteren Typen entwickeln? UH: Wir denken, der Grundriss an sich bietet genügend Flexibilität. Er ist extrem kompakt, und die Räume sind so geplant, dass sie verschiedenste Nutzungen aufnehmen können. Beim Prototyp werden gerade zwei Räume als Schlafzimmer und die anderen beiden als Wohnräume genutzt. SR: Wir wollten ein Projekt schaffen, das auf 100 Quadratmetern möglichst viel Raumqualität bietet. Die Idee dabei ist, dass der Mittelraum alle Wohnflächen miteinander verbindet. Das Haus ist gut so, wie es ist: Die Dinge sollten in einem guten Gleichgewicht bleiben.
Movable House Prototyp für ein Wohnhaus in Modulbauweise / 97 Quadratmeter / Basel, 2018 Projektarchitekten Rahbaran Hürzeler Architekten www.rharchitekten.ch Tragwerksplanung ZPF Ingenieure AG / www.zpfing.ch Bauphysik Institut für Energie am Bau FHNW www.fhnw.ch Fotografen Weisswert, Basel / www.weisswert.ch
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MIT A NACH B
Mit dem ersten afrikanischen Geländewagen, dem Mobius, durch die Wildnis zum Kenyatta Kongresszentrum, dem schönsten Gebäude in Nairobi VON NIKLAS MAAK
Wir bleiben dabei, dass das SUV die unsinnigste Erfindung in der an Unsinn nicht armen Geschichte des Automobils ist. Das SUV ist schwer, hässlich, gefährlich für alle normalen Autos, deren Fahrer sich auf Stoßstangenhöhe des SUV befinden, und gefährlich auch für SUV-Fahrer, nicht umsonst steht in jedem amerikanischen Miet-SUV die Warnung „Higher Roll-over-Risk“. SUVs zeugen von einem wahlweise bräsigen oder ängstlichen Verhältnis des Fahrers zur Welt: Er kauft ein SUV, weil er es bequem haben und sich nicht die Mühe machen will, sich beim Einsteigen leicht nach unten zu beugen – dafür muss er dann nachher mehr Übungen bei der Reha machen. Er glaubt, auf einer Straße, auf der drei Blätter liegen, könne man ohne Allradantrieb nicht durchkommen. Er glaubt, dass man die anderen Verkehrsteilnehmer besser mit einer rollenden Stahlfaust einschüchtert, wenn man sicher durch die Stadt kommen will, und dass man dafür einen höheren Verbrauch in Kauf nehmen muss. Wer sich selbst der Welt als faul, ängstlich oder asozial vorstellen möchte, muss sich nur einen neuen Audi Q8 vor die Tür stellen, ein psychotisches Auto, das auf bewundernswert entschlossene Art und Weise
All das heißt nicht, dass es nicht Gegenden in der Welt gäbe, in denen es sinnvoll ist, ein wirklich robustes Auto mit Stollenreifen und größerer Bodenfreiheit zu fahren. Zu diesen Gegenden der Welt gehören große Teile Ostafrikas – und genau dort kann sich kaum einer ein SUV oder einen Land Rover leisten. Stattdessen werden schiffslieferungsweise all die klapperigen Mittelklasse-Toyotas mit gigantischen Laufleistungen, die in Europa und Japan niemand mehr haben will, nach Mombasa verschifft und dort für nicht wenig Geld – um die 10.000 Dollar – verkauft und von den Kenianern über matschige Pisten und durch tiefe Schlaglöcher gesteuert, wo sie nicht selten komplett auseinanderfallen. Diese Situation erlebte auch ein junger Informatiker namens Joel Jackson, als er als junger Mann für ein Jahr nach Afrika ging, um irgendwas Gutes zu tun; nach ein paar Wochen in denkbar ungeeigneten, scheppernden Mittelklasselimousinen auf Pisten, die in der Regenzeit eher Flüssen ähneln, kam ihm eine Idee, für die er in der Forbes-30-unter-30-Liste und von Wired als Visionär gefeiert wurde und die ihn zu einer Art Elon Musk von Afrika werden ließ. Er beschloss, anders als dieser, kein Elektroauto zu bauen, das sich nur die Upper Crust von
die Nachteile eines Geländewagens im Straßenverkehr (schwer, unübersichtlich) mit denen eines normalen Autos im Offroad-Einsatz (versinkt auf dem matschigen Acker dank breiter Sportreifen) vereint.
Ökohipstern in den Metropolen der Ersten Welt leisten kann, sondern ein Auto für alle, entwickelt in Afrika mit internationalen und kenianischen Ingenieuren. Ein Auto, das zum gleichen Preis eines zehn Jahre alten abgerockten Honda alles
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MAGAZIN
„Ein zuverlässiger Motor, starke Achsen und eine Ladefläche, auf der man acht Kinder und sechs Klimaanlagen transportieren kann.“ bietet, was die in Afrika verklappten rollenden Müllhalden der Industrienationen nicht haben: Einen zuverlässigen neuen Motor, starke Achsen, eine Ladefläche, auf der man acht Kinder, sechs Klimaanlagen, eine Kuh oder einen Strohballen transportieren kann und eine Bodenfreiheit, die einen auch durch die unschönsten Wasserlöcher kommen lässt. Geld kam unter anderem von der amerikanischen Lauder-Familie, die ein Kosmetikimperium besitzt, und mittlerweile arbeitet die Firma schon an einem zweiten Modell. Der erste Mobius, der erste afrikanische Geländewagen, sieht aus wie das Ergebnis einer Wette darum, was man an einem alten Land Rover alles weglassen kann. Er hat alles, was die Jeeps und Land Rover und Mercedes-G-Klassen mittlerweile verloren haben: ihren Minimalismus, das Leichte, das Werkzeughafte, das radikal Abgespeckte. Der Mobius wiegt nur 1.200 Kilo, hat einen stabilen Leiterrahmen, eine mattschwarze Karosserie und eine Plane gegen den Regen. Wir fahren den Mobius durch den Stadtverkehr von Nairobi. Die Leute staunen. Der Wagen ist offen, wir fühlen uns aber nicht unsicher, im Gegenteil: Wer offen fährt, zeigt, dass bei ihm nichts zu holen ist. Der Wind weht warm von Süden und mischt sich unter den Gestank der blauen Abgaswolken, in denen die bunt bemalten Matatu-Busse verschwinden. Hinter dem Southern Bypass hört die Stadt schlagartig auf, eine rote Piste führt in den Nationalpark, der Renault-Motor
brummt beruhigend, die Sonne brennt an dem Stoffverdeck vorbei auf den rechten Arm, der über eine kleine Klapptür ins Freie hängt. Das Lenkrad ähnelt dem eines Sportwagens, der Schwerpunkt des Autos ist tiefer als bei anderen SUVs, weshalb es schärfer um die Ecken geht. Wir fahren an Giraffen vorbei, die Zebras führen ihr Op-Art-Ballett auf, die Büffel schütteln ihre Hörner, vor denen jeder SUV-Kühlergrill erblassen muss, zwei Löwen dösen vor der im Dunst versinkenden Skyline von Nairobi im hohen Gras und heben erstaunt den Kopf: Da kommt was, das kann noch besser knurren als sie. Würde man jetzt immer weiter nach Süden fahren, käme man in die Dörfer, in denen sich noch heute kaum jemand ein Auto leisten kann. Um sie zu entwickeln und damit nicht alle in die ohnehin schon überfüllten Metropolen wie Nairobi drängen, wurde in Kenia viel unternommen. Das Bezahlsystem M-Pesa, mit dem man per Handy Geld überweisen kann, hat für einen enormen wirtschaftlichen Aufschwung gesorgt und setzt sogar die etablierten Banken unter Druck, die immer behaupteten, es gäbe überhaupt keine Möglichkeit, in den armen Dörfern der Provinz ein funktionierendes Banksystem aufzubauen. Die Chinesen haben einen neuen Schnellzug von Mombaza nach Nairobi gebaut, in dem das Ticket nicht mal zehn Dollar kostet. An der Bahnlinie siedeln sich in vergessenen Kleinstädten wie Voi plötzlich Start-ups wie Sote Hub an, der erste in ländlichen Gebieten operierende
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festsitzen. Ein Verkauf des Mobius in Europa, sagt ein Sprecher des Unternehmens, sei nicht vorgesehen. Wenn jemand vorhat, nach Afrika auszuwandern, hat er jetzt noch einen Grund mehr, es zu tun.
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„Wer offen fährt, zeigt, dass bei ihm nichts zu holen ist.“
© Mkimemia, CC BY-SA 3.0
Business-Inkubator Kenias, und sogar die Bauern im Westen des Landes arbeiten mittlerweile mit Drohnen und Mobiltelefon-Apps, die über Trockenphasen und Effizienzsteigerungsmöglichkeiten informieren und so laut der Organisation Precision Agriculture for Development (PAD) zu erheblichen Ertragsverbesserungen führen. Vielleicht wird bald, nach einer Phase der Urbanisierung Afrikas nach westlichem Modell, in dem die Stadt für den Fortschritt steht und das Land immer noch als das Reich der Vergessenen (arbeitslose Männer, Rentner), der Vergangenheit (Landromantik) und der Desaster (Trump, Brexit, AfD-Wähler) angesehen wird, eine afrikanische Avantgarde das Gegenmodell vorstellen: die „Villagization“, das Gegenmodell zur One-Way-Urbanisation, die Entwicklung von Zukunftsperspektiven auch in den Dörfern, auf dem Land. Das Auto dafür ist jedenfalls schon da. Der Mobius rumpelt durch ausgewaschene Flussbetten, über sandige Pisten und Felsblöcke, die den Unterboden von 90 Prozent aller SUVs vernichtet hätten, und hüpft schließlich aus dem Gras, durch das wir abkürzen, um einem Bullen nicht sein Nickerchen zu zerhupen, auf die Piste, die zurück ins Stadtzentrum führt. Als wir ankommen, ist es schon dunkel. Wir stellen den beruhigend knisternden Mobius am Straßenrand ab und gehen zum Kenyatta Konferenzzentrum, einem der schönsten modernistischen Gebäude Afrikas. Es besteht aus einem runden, über einhundert Meter hohen Turm mit Drehrestaurant und Heliport auf dem Dach sowie einem brutalistischen Kongresszentrum, das aus der Ferne ein wenig wie eine gigantisch vergrößerte kenianische Superhütte aussieht. Entworfen wurde es Ende der Sechzigerjahre als Symbol für das neue Selbstbewusstsein der Ex-Kolonie Kenia von dem unterschätzten norwegischen Betonmodernisten Karl Henrik Nöstvik (1925– 1992) zusammen mit jungen kenianischen Architekten; und entsprechend überzeugend verbindet es die Aufbruchsästhetik der internationalen Mid-Century-Moderne mit traditionellen Formen. Als Zugabe imitiert der rauhe Beton die Oberflächen der alten Lehmhütten. Und in gewisser Weise ist der Mobius in dem gleichen Geist gebaut: Auch er verbindet das technische Know-how der westlichen Industrienationen mit afrikanischem Erfindungsreichtum zu einer von allem Komfortschrott befreiten, wilderen, offeneren Form. Man könnte neidisch werden auf die Kenianer, dass sie mit so einem Gerät durch die warme Nachtluft über die Ngong Road brettern dürfen, während wir eingekeilt zwischen vollklimatisierten, durchgelederten, mit Assistenzsystemen vollgestopften SUVs mit unserem Elektroroller im morgendlichen Pendlerstau
Niklas Maak schreibt für das Feuilleton der FAZ und ist ein passionierter Autofahrer. Seine Kolumne Mit A nach B verbindet Architekturkritik mit Automobilexpertise.
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ZUHAUSE IN DER KUNST
CKÖ
El Mirage, Kalifornien, 2013. „In unseren Arbeiten entsteht stets ein Bezug zum Raum, der Architektur, dem Kontext.“ Was passiert, wenn dieser Bezugspunkt fehlt, zeigen installative Objekte, geprägt durch die präsenten Elemente Wind und Weite.
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Es war nie unsere Absicht, ein Haus zu bauen. 139
ZUHAUSE IN DER KUNST
Sara Widmer und Daniel Lütolf, CKÖ
Sara Widmer und Daniel Lütolf sind CKÖ, ein Künstlerkollektiv aus Zürich, das dabei noch viel mehr ist. Angefangen haben sie zu dritt. 2016 stieg Georg Krummenacher aus. Zum Interview in Basel erscheinen sie wieder mit Verstärkung: Daniel und Sara haben ihren Nachwuchs dabei. Ein Gespräch über Kunst um ihrer selbst willen, moderne Arbeitswelten und darüber, wie sich ein kreatives Leben und Familie vereinbaren lassen.
VON STEPHAN BURKOFF
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Was bedeutet CKÖ? Daniel: Das kommt eigentlich von „Kollektiv“. Vom kollektiven Arbeiten. Ein Freund mit türkischen Wurzeln hat die Idee ausgelöst. Es hieß erst Cöllektiv. Aber das war uns zu lang. Es blieb CKÖ. In eurer Arbeit hat der Raum oft eine besondere Bedeutung. Was fasziniert euch an der Erschaffung solcher Erfahrungen? D: Wir lieben es einfach, die Leute an die Hand zu nehmen und erleben zu lassen. Wie eine unserer jüngeren Arbeiten, Le Grand Dehors, in Bern: Dort haben wir den Kunstraum Grand Palais Bern in eine bauzaunähnliche Holzbeplankung eingepackt und die Menschen eigentlich ausgegrenzt, mit der Idee zu irritieren und sie an der gelben Wand entlang den Eingang suchen zu lassen. Das ist das, was uns interessiert. Sara: Uns fasziniert, dass man etwas erleben kann, aber eben auch körperlich. Dass man sich bewegen kann. Dass es in Bezug zu seinem Ort steht. An einen Ort zu gehen und zu schauen, wer ist da, was ist da, was gibt es für unsichtbare Details, beispielweise geschichtliche – das ist unsere Inspiration. Es geht um einen Dialog mit dem Ort. Und auch um den Irritationsmoment, der entsteht. Denkt ihr, man versteht das immer? D: Verstehen oder erfahren? S: Viele denken nicht als Erstes: „Ah, das ist Kunst.“ Sie merken aber, da ist etwas und das ist irgendwie komisch. Diesen Moment der Neugierde herauszukitzeln interessiert uns einfach. Die Mehrzahl eurer bisherigen Interventionen war temporär. Jetzt plant ihr euer erstes Kunst-am-Bau-Projekt für die Stadt Zürich. Ändert das die Herangehensweise? D: Es bedeutet vor allem viel mehr
Administration. Die ganzen Anträge, viele Sitzungen, Abstimmung mit der Bauherrenschaft, den Ämtern, der Sicherheit … alles in einem etwas größeren Stile aber auch mit vielen Einflussmöglichkeiten. Der Park war beispielweise gar nicht in der Ausschreibung enthalten. Wir haben unsere Arbeit erweitern können und dafür ein Konzept entwickelt. S: Wir hatten es uns immer so romantisch vorgestellt: Wenn wir jemals Kunst am Bau machen können, wird das total toll. Weil es dann permanente Werke sind und wir Geld verdienen (lacht). Es ist das pure Gegenteil. D: Also permanent sind sie! Aber es ist sehr viel Arbeit. Weil man so vielen Leuten in den Garten tritt, sozusagen. Häufig suchen eure Arbeiten eine Art Ausstülpung nach außen. Wohin eigentlich? S: In den öffentlichen Raum! D: Ja, das ist das Spannende: der öffentliche Raum. Bei unserer Arbeit Dormay Wouh in Basel ging es beispielsweise darum, dass der Kunstraum, ein White Cube, in einem alten Gemäuer versteckt liegt. Unsere Installation, die aus dem Kunstraum durch den Garten über die Mauer in den öffentlichen Raum ragte, ist dafür ein gutes Beispiel. S: Und da sind dann tatsächlich Leute, die da zum Teil häufig vorbeikommen und gar nicht wussten, dass es diesen Kunstraum gibt, neugierig geworden, um das Gebäude herumgelaufen und in den Kunstraum gekommen, um zu fragen: Dürfen wir mal in dieses Häuschen rein? Sie sind quasi Kunst anschauen gegangen, ohne sich für Kunst zu interessieren oder überhaupt zu merken, dass es sich um Kunst handelt. Es hat aber auch viel von Architektur. D: Ja, letztlich ist es formal wie ein Einfamilienhaus. Es hat eine
Entwässerung, Brandschutz, Fluchtwege, Notbeleuchtung, Geländer ... Es gab einen Bauantrag etc., und bei der Abnahme standen zwölf Leute da. S: Aber wir hatten nie vor, ein Haus zu bauen! Es hat sich so entwickelt – von der Idee aus. Ihr habt keinen Galeristen, eure Werke kann man eigentlich nicht kaufen – also die Antithese zum Kunstmarkt. Wo verortet ihr euch in der jungen Kunstszene? S: Unser Standpunkt ist, wir machen gerne, woran wir Spaß haben. Und dann ist es uns egal, ob es nun temporär ist, ob es Geld bringt … Wenn es um das ginge, dann würden wir jetzt an irgendeinem Schreibtisch sitzen. Und das tun wir nicht. Wir sagen uns: Wenn wir schon kein Geld damit verdienen, dann soll es so viel Spaß wie möglich machen. Du, Daniel, hast Architektur an der ETH in Zürich studiert, Sara Design an der KISD in Köln. Ist das, was ihr macht nun Design, Kunst oder Architektur? S: Zu Beginn war das nicht einfach. Da hieß es schon: „Ah, da sind die Designer und Architekten, die jetzt auch noch ein bisschen Kunst machen.“ D: Und das ist es ja nicht! Wir haben eine Riesenkontroverse ausgelöst, als wir uns für den Swiss Art Award in der Architektur beworben haben und den auch gewonnen haben – als Künstler! S: Die Architekturszene war brüskiert: Warum kriegen Künstler diesen Preis? Und die Kunstszene auf der anderen Seite: Aber das sind doch keine Künstler! Die Auswahlkriterien für den Award haben sich danach jedenfalls gravierend verschoben. Vielleicht waren wir daran nicht ganz unschuldig. Aber die Kategorien sind uns herzlich egal, und wir wollen uns da auch nicht einordnen.
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ZUHAUSE IN DER KUNST
Yummei, Galerie widmertheodoridis, Eschlikon und Museum Haus Konstruktiv, Zürich, 2015. Die Skulptur besteht aus zwei handelsüblichen Baustellen-Dumpern, deren Schaufeln mit einer umlaufenden Schweißnaht starr verbunden sind. Durch die Kraft der Hydraulik werden die jeweiligen Hinterräder in die Höhe gehoben.
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ZUHAUSE IN DER KUNST
Trotzdem sieht man klare Verweise zur Architektur in vielen eurer Arbeiten. Beispielweise das wiederkehrende Motiv des Rasters, wie bei Grid. Was bedeuten euch diese klaren Formen? S: Ich glaube, wir suchen uns gerne solche Regeln oder Vorgaben. Wir bewegen uns gerne darin. D: Wir machen auch wilde Sachen! Die sieht man nur nicht. Denn gleichzeitig sind wir auch das Gegenteil – das pure Chaos. Erst wenn es losgeht, wird organisiert. S: Vielleicht sind unsere Arbeiten auch eine Form von Strukturierung, die wir sonst nicht so haben oder die wir immer sehr zelebrieren müssen, damit alles läuft. Dormay Wouh 3400, Ausstellungsraum Klingental, Basel, 2015. Dormay Wouh schließt direkt an die Innenräume des Ausstellungsraums Klingental an und imitiert dessen Neutralität.
Grid, Kunsthalle Arbon, 2014. Grid ist ein gleichmäßiges dreidimensionales Rastersystem, das sich von der Decke bis zum Boden durch den gesamten Innenraum der Kunsthalle zieht.
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Brauchen wir eigentlich die Kunst? S: Darüber haben wir schon sehr lange diskutiert. Ich denke, wenn man eine Bedürfnispyramide sieht, kommt die Kunst nicht ganz zuletzt. Meiner Ansicht nach braucht eine Wohlstandsgesellschaft die Kunst nicht bloß als Objekt, sondern auch die Künstler, die sich entschließen, anders zu leben. Wir waren kürzlich zu einem Talk an der ETH eingeladen, bei dem es um diese Frage ging: Wie lebst du dein Leben? Ich finde das extrem wichtig. Geld verdienen, Kunst und Familie. Wie bekommt ihr das unter einen Hut? D: Ich unterrichte an der ETH im Fachbereich Architektur, aber mit einer Professur für Kunst. Daneben habe ich seit vielen Jahren ein Büro für Kunstproduktion – von wo ich viel meines Wissens habe –, und sonst sind wir im Atelier. Das fließt alles ineinander … S: Ich glaube, wir sind einfach sehr flexibel. Und oft ist es auch so, dass wir Freunde und Familie zum Essen ins Atelier einladen. Wir arbeiten, kochen nebenbei und haben dann noch Freunde bei uns. Es ist auch eine Frage der Organisation. Man muss
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aufpassen, dass man nicht ans Limit kommt. Es ist sicher ein Vorteil, dass wir ein Paar sind und uns gemeinsam organisieren können. D: Man kann auch wunderbar mit dem Kind spazieren gehen und gleichzeitig Kunst denken. Klappt super! S: Wir hatten außerdem Glück und haben von der Stadt ein großes Atelier bekommen. Da haben wir eine Küche eingebaut. Es steht sogar ein Kinderbett dort. Solche strukturellen Dinge sind natürlich auch wichtig. Wie funktioniert CKÖ ökonomisch? S: Na, eben gar nicht! Lacht ... D: Viele unserer Projekte kommen über Anfragen. Die Budgets gehen dann eigentlich immer für Material, Werkzeuge, Transport und Miete drauf. S: Meist kommen wir mit einer Null raus. D: Den tatsächlichen Lebensunterhalt verdienen wir woanders. S: Wir haben kein Erspartes, wir haben kein Auto, in den Urlaub fahren wir auch nicht wirklich … D: Aber trotzdem geht es uns sehr gut! S: Es ist eben auch ein Lebenstil. Wir finden das alles wunderbar!
Tsabell, Swiss Art Awards, Basel, 2014. Anlässlich der Einzelausstellung There häs Prosciutto on se Wall entstand im Sommer 2013 in der Altstadt in Zug das Raumobjekt The White Cube.
Ingrid, Arbon/Venedig, Zug, Hohenems, Romainmôtier, 2014/15. Ingrid, eine Leucht- und Klanginstallation begibt sich 2015 auf Reisen, um an verschiedenen Orten zu strahlen.
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PORTRÄT
THE BOTANICAL ROOM
Senecio kleinia – ursprünglich von den Kanarischen Inseln, wird intern bei uns auch Salamipalme genannt, verliert im Frühling alle Blätter und sieht erst im Herbst wieder schön aus.
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Foto: Nadine Zöllner
Der Dschungel wächst bei Instagram und Pinterest. Das große Comeback der Zimmerpflanze (#monstera, #maranta und #pilea) beginnt online, und plötzlich ist es wieder cool, grüne Geschöpfe als Mitbewohner zu haben. Sie zahlen zwar keine Miete, brauchen dafür aber nicht mehr als lauwarmes Wasser, Licht und etwas Liebe. Über die wachsende Erfolgsgeschichte von The Botanical Room.
TEXT: JEANETTE KUNSMANN FOTOS: HANNI SCHERMAUL
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Begonia bambusiformis – mit Begonien verbindet Hanni eine Hassliebe. Diese hier mag sie. Sie sagt, sie sähe aus, als hätte man Blätter auf einen Stock geklebt und ein paar pinkfarbene Ohrringe aus den 80ern dazu gehängt.
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Euphorbia aeruginosa – die dornige Raupe, wächst ursprünglich in Südafrika zwischen Felsspalten.
„Fast jeder hat doch ein schwarzes und ein weißes T-Shirt im Schrank. Bei Pflanzen ist es genau die gleiche Nummer“, sagt Hanni Schermaul und lacht. Das weiße T-Shirt im Botanical Room ist die Monstera deliciosa. Oder Pilea peperomioides, auch Ufopflanze genannt. Solche Zimmerpflanzen mag jeder, es sind wahre Bestseller. Persönlich mag Schermaul lieber Pflanzen, „die komisch aussehen“: die Freaks, zum Beispiel Euphorbia platyclada. „Diese Pflanze ist für mich besonders, weil sie ein irres Muster hat und so aussieht, als wäre sie schon tot. Sie heißt auch Dead Stick Plant.“ Um eine Vorstellung von der lebenden Toten zu bekommen, zeigt sie auf ihrem Smartphone ein Foto: erst ein Close-up, dann die Pflanze als Ganzes. Es sind schöne Bilder, die irgendwie an die Set Cards von Supermodels erinnern. Sie bezeichnet sich selbst als „Architektin im Ruhestand“, seit 2015 widmet sich Hanni Schermaul den „schönen Dingen des Lebens“, zum Beispiel: einfach mal den Pflanzenhandel revolutionieren. Das hat sie längst geschafft. The Botanical Room heißt ihr OnlineShop, den es seit Frühling 2018 auch als echte Adresse in Berlin-Kreuzberg
verkauft, da gibt es viele. Nur unterscheidet sich die Produktfotografie. Mir ist es wichtig, meine Pflanzen so zu inszenieren, dass sie selbst zum Designobjekt, zu Hauptdarstellern werden.“ Das Geschäftskonzept erklärt sich schnell: Im Botanical Room verkauft Hanni Schermaul ausschließlich Zimmerpflanzen und Accessoires von verschiedenen Designern, die sie stets aufs Neue kuratiert. Kräuter, Schnittblumen oder Balkonpflanzen gibt es bei ihr nicht. Aus einer ursprünglichen Schnapsidee entwickelte sich ein florierendes Geschäft. „Ich kündige einfach und mache einen Kaktusladen auf “, erinnert sich Hanni Schermaul. „Das habe ich mal so aus Witz gesagt, als ich noch im Architekturbüro gearbeitet habe.“ Ganz so einfach war es natürlich nicht. Eines Tages kündigt die Architektin tatsächlich ihren Job, geht für ein Jahr nach Griechenland und versucht, sich zu entspannen. „Ich war damals einfach zu beschäftigt und zu gestresst, um neue Ideen zu produzieren. Ich musste erst einmal lernen, keine Aufgabe mehr zu haben, mich treiben zu lassen.“ Nach drei Monaten fällt ihr der Kaktusladen wieder ein. Sie schreibt erst das Konzept, dann den Businessplan und fliegt
gibt. „Meine Idee war, Pflanzen anders als üblich darzustellen“, erklärt die junge Unternehmerin. „Ich bin ja nicht die Erste, die online Zimmerpflanzen
zurück nach Berlin. Ende 2016 steht alles, ihr Baby hat endlich einen passenden Namen gefunden und www.thebotanicalroom.com geht online.
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Senecio stapeliformis – auch Zuckerstangenpflanze und Pickle Plant genannt, aus dem südlichen Afrika, kann bis zu 50 Zentimeter hoch werden.
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Sulcorebutia rauschii – erinnert an ein Facettenauge, stammt aus Bolivien, je mehr Licht, desto violetter wird sie.
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PORTRÄT Gerrardanthus macrorhizus – auch Big Foot genannt, ist eine Kaudexpflanze aus Swasiland, klettert gerne an Wänden hoch.
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Ein gutes Jahr später explodiert das Geschäft. Alle wollen Zimmerpflanzen, entweder als Geschenk oder für das eigene Zuhause. Auch Shops und Büros engagieren The Botanical Room für die Begrünung ihrer Räume. „Ich kam früher in puncto Interior und Einrichtung bei Pflanzen schnell an eine Grenze“, erklärt Hanni Schermaul ihren schnellen Erfolg. „Die meisten Pflanzen, die verkauft wurden, hatte ich schon hunderte Male gesehen. Wenn ich dann eine schöne Pflanze fand, ging der Übertopf dazu meist gar nicht. Die angebotenen Pflanzenaccessoires waren nicht zeitgemäß und passten auch nicht in meine eher modern und minimalistisch eingerichtete Wohnung. Ich denke, dass ich da mit meinem Konzept bei vielen auf offene Ohren gestoßen bin.“ Bei Instagram folgen @thebotanicalroom aktuell 18.200 Abonnenten aus der ganzen Welt, der Online-Shop wächst. Verschickt wird von Montag bis Mittwoch, damit keine Pflanze zu lange bei DHL hängen bleibt. Zwei bis drei Tage gehen die botanischen Skulpturen auf Reisen, bis sie bei den Kunden in ihrem neuen Zuhause ankommen. Liegt eine Pflanze in ihrem Geschäft
Freundeskreis weiter. Doch zurück zur Dead Stick Plant und den weißen Shirts. „Die Pflanzen, die ich am liebsten mag, verkaufen sich nämlich leider am schlechtesten“, erzählt Hanni Schermaul. Woran das liegt? Die Menschen mögen klassische Schönheiten, das, was sie kennen und die Monstera bleibe eben die sichere Nummer. „Jeden Tag werden bestimmt 50.000 Fotos mit dem Hashtag Monstera bei Instagram hochgeladen. Die Monstera ist auch eine coole Pflanze. Aber tausend Bilder später bin ich persönlich einfach visuell übersättigt.“ Deshalb preist sie ihre Freaks immer wieder mit blühender Begeisterung an: im Laden, online und auch auf diesen Seiten. Die Makroaufnahmen zeigen die botanischen Sonderlinge mit neuem Fokus und anderer Ästhetik: eine Bereicherung für jeden Indoor-Dschungel. Und wer sich jetzt mal kurz an seine besten Mitbewohner erinnert: Waren die nicht auch immer Freaks?
mal wirklich im Sterben, nimmt Hanni Schermaul diese mit nach Hause und päppelt sie wieder auf. Solche Exemplare gibt sie dann meistens im
The Botanical Room Manteuffelstraße 73 10999 Berlin www.thebotanicalroom.com
MAGAZIN Euphorbia platyclada – auch Dead Plant oder Dead Stick Plant, ursprßnglich aus Madagaskar, ist vom Aussterben bedroht.
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Burberry Heritage Trench Reimagined. Foto: Thurstan Redding, Styling: Ruben Moreira
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Moden von Gestern
DER TRENCHCOAT VON ANNE WAAK
2018 wird in die neuere Fashion-Geschichte eingehen als das Jahr mit den bislang meisten, schnellsten und unerwartetsten Wechseln an den Spitzen der Luxus-Modehäuser. Die geniale und von Kritikern wie Käufern geliebte Phoebe Philo verlässt Céline, dafür kommt Hedi Slimane, der zuletzt Saint Laurent aufgemischt hat. Das Traditionshaus Louis Vuitton macht den ehemaligen Kayne-West-Stylisten und Streetwear-Designer Virgil Abloh zum Kreativdirektor der Menswear. Und bei dem vielleicht bekanntesten britischen Label Burberry wurde zuletzt der Brite Christopher Bailey nach mehr als 17 Jahren gegen den Italiener Riccardo Tisci (vorher bei Givenchy) ausgetauscht. Die Geschichte des Labels Burberry beginnt mit dem streng gläubigen Baptisten und Herrenausstatter Thomas Burberry, der Mitte des 19. Jahrhunderts seinen eigenen Laden im englischen Basingstoke eröffnete. Burberry erfand 1879 einen sehr haltbaren, wasserabweisenden Baumwollstoff namens Gabardine, ließ ihn sich patentieren und die Marke schützen. Ein „Burberry“ wurde in der Folge zur Bezeichnung für einen bequemen, hochgeschlossenen Herrenregenmantel mit kleinem Kragen, verdeckter Knopfleiste und kariertem Wollstoff als Innenfutter, das – geniale Idee – herausgeknöpft und auf Reisen als Morgenmantel verwendet werden konnte. Aus Gabardine ließ Burberry dann auch Sport-, Arktis-Expeditions- und Armeekleidung herstellen. Im Jahr 1917, als in England während des Ersten Weltkriegs der Stoff rationiert wurde, gab Burberry die Herstellungsrechte für Gabardine frei. Zur Armeekleidung der englischen Soldaten gehörte da schon längst der Trenchcoat, also ein „Schützengrabenmantel“, der genau dort gegen Regen, Schlamm und Matsch schützen sollte. In seiner Urform ist der Trenchcoat geräumig (für die Bewegungsfreiheit), mit zweireihiger Knopfleiste (um die Unterkleidung möglichst gut zu schützen), seine vielen Taschen fassen allerlei militärisches Zubehör und sein breites Revers
kann bei Bedarf zugeknöpft werden. Dazu kommen Ärmelspangen (zur Regulierung der Weite), Schulterklappen (um daran den Gewehrschulterriemen und Rangabzeichen anzubringen) und ein Gürtel mit Ringen zur Befestigung des Fernglases. Nach dem Krieg wurde der Trenchcoat in England auch von Zivilisten getragen und verbreitete sich auf dem Kontinent. Schließlich entdeckten den Mantel auch Frauen, Detektive und Exhibitionisten für sich. Aus dem beigen Wollkarostoff des Futters, dem sogenannten Burberry check, wurden ab Mitte der Zwanzigerjahre dann auch Schirme, Reisegepäck und andere Accessoires gefertigt. 80 Jahre später steckte das Unternehmen ausgerechnet wegen seines Markenzeichens in einer ausgewachsenen Identitätskrise. Das Karomuster des erfolgreichen Konzerns, das kurz zuvor noch ein Statussymbol der Vermögenden gewesen war, gefiel – das ist die Magie der Mode – nun auch den sogenannten Chavs, den modebewussten Fußball-Hooligans, Troublemakern und Neureichen. Das löste eine Aufregung aus, die rückblickend und in Zeiten ECHTER Probleme wie dem Brexit schwer nachvollziehbar ist. Der Höhepunkt der „chav panic“ – und Burberrys Tiefpunkt – war erreicht, als das frühere Soap-Sternchen Danniella Westbrook samt ihres Babys auf der Straße abgelichtet und auf die Seiten der Klatschpresse gehoben wurde – beide von Kopf bis Fuß und Kinderwagen in Burberry-Karo gewandet. Junge Frauen überall im Land übernahmen den Look, Fake-Burberry überschwemmte den Markt, Pubs und Clubs begannen, in Burberry-Karo gekleidete Gäste der Türen zu verweisen. Das Label war zum Witz geworden. Burberry reagierte, indem das Karo aus seinen Kollektionen verschwand. Von ursprünglich 20 Prozent aller Produkte war es im Jahr 2004 nur noch auf fünf Prozent zu sehen. Man ging hart gegen Fälschungen vor. Und langsam begannen die Leute wieder, Burberry zu tragen – nur eben ohne Logo. 2014 machte Burberry unter Christopher Bailey, der in der Zwischenzeit
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Burberry Heritage Trench Reimagined. Foto: Thurstan Redding, Styling: Ruben Moreira
sowohl Präsident als auch Chef-Kreativdirektor war, einen Gewinn von 2,4 Milliarden Pfund. Im vergangenen Jahr dann heuerte Bailey den russischen Jungdesigner Gosha Rubchinskiy für zwei Kollaborationen an. Rubchinskiy ist ein Fan jugendlicher Subkulturen und überzog Bomberjacken, Fischerhüte, Shirts und Shorts mit dem berühmten Karomuster, als wolle er den Briten ein übles Déjà-vu-Erlebnis bereiten. Bailey indes sagte, das Label sei gegenüber der Liebe der Chavs niemals arrogant gewesen, „weil ich denke, dass das ein wichtiger Teil unserer Geschichte ist”. Nun ja. Mit dem richtigen Abstand kann jeder Tiefpunkt als wichtiger Teil der eigenen Historie gesehen werden. Dieser Abstand ist offenbar nun erlangt. Und Bailey passé. Aber das Karussell dreht sich weiter. Tiscis erste Amtshandlung bestand im Redesign des Burberry-Schriftzugs, dem er einen serifenlosen Auftritt verpasste, außerdem ließ er ein Logo aus dem Jahr 1908 (neu) entwerfen, das an Thomas Burberrys Monogramm erinnert. Dem Trenchcoat selbst ist das alles ein bisschen egal. Gerade ist er in einer „re-imaginierten Heritage-Kollektion” erhältlich, in Designs, die sich aus dem Unternehmensarchiv speisen und den Klassiker in Details und Farbe behutsam modernisieren. Aus Gabardine und gefüttert mit Burberry-Karo, für Männer und Frauen und alle anderen (aber leider ohne herausknöpfbaren Morgenmantel). „Heritage” oder „DNA” sind seit etwa zehn Jahren Stichworte, mit denen Labels auf ihre Jahrzehnte bis Jahrhunderte zurückreichenden Wurzeln verweisen, um so durch Tradition, Handwerk und Kompetenz den Kunden ihre Daseinsberechtigung zu beweisen. Interessierte man sich in der Mode früher allein für die Zukunft, schaut man derzeit umso mehr zurück, je wilder der Wandel zuschlägt. „No matter the weather.”
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Anne Waak schreibt unter anderem für Monopol und Welt am Sonntag über Kunst, Kultur und Gesellschaft, sehr gern auch über Mode. Zusammen mit Annika von Taube und Holm Friebe veranstaltet sie das Talk-Format NUN – Die Kunst der Stunde. www.annewaak.de
MUST SEE
Thalia de Jong, Golden Boy Filmstill, 2015, HD-Video, Farbe, Sound, 2 Min.
Design 16. September 2018 bis 6. Januar 2019 Kreaturen nach Maß – Tiere und Gegenwartsdesign Marta Herford www.marta-herford.de 29. September 2018 bis 10. März 2019 Victor Papanek: The Politics of Design Vitra Design Museum Weil am Rhein www.design-museum.de 22. September bis 4. November 2018 Istanbul Design Biennale Istanbul Modern www.iksv.org Ab 22. September 2018 Das ist Leder! Von A bis Z Deutsches Ledermuseum Offenbach www.ledermuseum.de
20. bis 28. Oktober 2018 Dutch Design Week Eindhoven www.ddw.nl 23. bis 27. Oktober 2018 Orgatec – Arbeit neu denken Messe Köln www.orgatec.de 2. bis 4. November 2018 Designers Saturday Spotlight Japan Langenthal, Schweiz www.designerssaturday.ch 30. November 2018 bis 29. September 2019 Friedrich von Borries: Politics of Design. Design of Politics Die Neue Sammlung – The Design Museum Pinakothek der Moderne, München www.die-neue-sammlung.de
18. bis 22. Oktober 2018 Biennale Interieur Kortrijk www.interieur.be
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Denise Scott Brown vor der Skyline von Las Vegas, 1972. Foto: Robert Venturi
Architektur 26. Mai bis 25. November 2018 Architekturbiennale in Venedig www.labiennale.org 16. Juni bis 4. November 2018 Manifesta 12 – Palermo Atlas by OMA Orto Botanico, Teatro Garibaldi und andere Orte in Palermo m12.manifesta.org 29. September bis 4. November 2018 Transform S AM Schweizerisches Architekturmuseum, Basel www.sam-basel.org 29. September 2018 bis 13. Januar 2019 Hybrid Tbilisi – Betrachtungen zur Architektur in Georgien Deutsches Architekturmuseum, Frankfurt am Main www.dam-online.de
2. November bis 15. Dezember 2018 PPAG architects – Von der neuen Schule Architektur Galerie, Berlin www.architekturgalerieberlin.de 22. November 2018 bis 18. März 2019 Downtown Denise Scott Brown Architekturzentrum Wien www.azw.at
Agnieszka PolskaHorse Head, 2018, © Agnieszka Polska, Courtesy Zak Branicka Galerie, Berlin and OVERDUIN & CO., LA
2018 Kunst 11. Februar bis 16. Dezember 2018 Arthur Jafa Julia Stoschek Collection, Berlin www.jsc.berlin 31. Mai bis 28. Oktober 2018 The Playground Project. Outdoor Bundeskunsthalle Bonn www.bundeskunsthalle.de 9. Juni bis 4. November 2018 Michael Riedel – Grafik als Ereignis Museum Angewandte Kunst, Frankfurt www.museumangewandtekunst.de 1. September 2018 bis 24. März 2019 Andy Warhol – Pop goes Art Museum für Angewandte Kunst Köln www.museenkoeln.de
7. September 2018 bis 13. Januar 2019 Polly Apfelbaum Happiness Runs 21er Haus, Wien www.belvedere21.at
25. Oktober 2018 bis 13. Januar 2019 Robin Rhode Zurich Art Prize Haus Konstruktiv, Zürich www.hauskonstruktiv.ch
27. September 2018 bis 3. März 2019 Agnieszka Polska: The Demon’s Brain Hamburger Bahnhof - Museum für Gegenwart, Berlin www.smb.museum
16. November 2018 bis 24. Februar 2019 Philippe Vandenberg. Kamikaze Hamburger Kunsthalle www.hamburger-kunsthalle.de
29. September 2018 bis 13. Januar 2019 Lee Bul: Crash Gropius Bau, Berlin www.berlinerfestspiele.de
17. November 2018 bis 24. März 2019 Die Brücke Museum Frieder Burda, Baden-Baden www.museum-frieder-burda.de
29. September 2018 bis 27. Januar 2019 Bilder einer Sammlung 50 Jahre Kunsthalle Bielefeld Kunsthalle Bielefeld www.kunsthalle-bielefeld.de
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BÜCHER
a book more
elements of architecture* rem koolhaas
floor ceiling roof door wall stair toilet window its façade balcony corridor fireplace ramp escalator confusing elevator
继仁
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振宁
DIE BLÜTEN DER STADT
ELEMENTS OF ARCHITECTURE
Zwischen dem Asphalt der Stadt wächst es immerzu, man kann gar nichts dagegen machen. Der Autor Paul-Philipp Hanske und der Fotograf Christian Werner haben sich auf eine Suche nach der urbanen Natur begeben und spazieren anhand von 70 Pflanzenporträts durch alle Monate und Jahreszeiten. In diesem Kompendium begegnet man altbekannten Gewächsen wie Ahorn und Kastanie, Gänseblümchen und Löwenzahn, aber auch exotischen Entdeckungen: Wer kennt die Zaubernuss oder den Götterbau, die Dichternarzisse und die Mäusegerste? Letztere liebt zum Beispiel das Großstadtklima sehr und fühlt sich in der Stadt „pudelwohl“, weil es dort wärmer und trockener ist als auf dem Land. Der Mensch und die Pflanzen: Selbst in der Stadt teilen sie sich den gleichen Lebensraum. Wir lesen: „Aber die Natur endet nicht, sie schläft nur.“
Diese Publikation vom Rem Koolhaas, Stephan Trüby, Stephan Petermann und James Westcott und der niederländischen Gestalterin Irma Boom ist so etwas wie das Telefonbuch – oder gar die Bibel – der Baugeschichte. Auf über 2.500 Seiten reihen sich dichte Informationen aneinander: über Boden und Decke, Wand, Fenster und Tür, Fahrstuhl und Treppe. Braucht man das heute noch? Unbedingt! Nach jahrelanger Arbeit, jeder Menge Aufwand und enormer Recherche liegt nun ein umfassendes Nachschlagewerk über die Geschichte der Architektur in ihren Einzelteilen vor. Möglich war das durch die Mitarbeit von zwei Studios der Harvard Graduate School of Design, die auch schon an der gleichnamigen Biennale-Ausstellung von 2014 mitgearbeitet hatten. Mit Irma Boom zeigen sich auch Typografie und Gestaltung in den richtigen Händen. Es ist ein Buch voller Wissen: „Ich war schockiert, wie wenig ich etwa über
Die Blüten der Stadt, Paul-Philipp Hanske & Christian Werner, Suhrkamp Taschenbuch, Flexcover, 286 Seiten, 18 Euro.
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die Geschichte der Tür wusste, obwohl ich ein relativ kultivierter und an der Geschichte interessierter Architekt bin“, gibt Rem Koolhaas zu. „Wir haben
die Komplexität der Gegenwart und die der Vergangenheit entdeckt.“ Die umfangreiche Grundlagenforschung beginnt mit den sehr elementaren Bestandteilen eines Gebäudes: der Geschichte des Bodens und der Fläche, gefolgt von Wand, Decke, Dach sowie den Schwellenelementen Tür, Fenster, Fassade und Balkon. Im hinteren Teil reihen sich dann die jeweiligen Kapitel in den Elementen Korridor, Feuerstelle, Toilette, Treppe, Rolltreppe, Aufzug und Rampe aneinander. Die Mitte dieser beiden Wälzer leuchtet in Knallorange. Hier befinden sich unter anderem das Inhaltsverzeichnis, aber auch Essays und die Fotos aus der Ausstellung in Venedig. Man versteht: Dieses Buch kennt kein Hinten und Vorne, keinen Anfang und kein Ende. Niemand wird das je alles lesen können. Jeder will es haben.
Rem Koolhaas. Elements of Architecture, Gestaltung Irma Boom, Taschen, Hardcover, 2528 Seiten, 100 Euro.
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Zum Mitmachen laden Sie sich die HeinzeAR-App im Apple App Store oder bei Google Play auf Ihr Smartphone oder Tablet. Senden Sie uns nun einen Screenshot der installierten App zusammen mit Ihren Kontaktdaten per E-Mail zu und schon sind Sie mit etwas Glück dabei.
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UND MORGEN?
© Massimo Colonna
AUGEN ZU UND DURCH
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Die Realität bleibt stets das, für was wir sie halten. Auf der Bildebene unterscheidet man schon heute nur noch schwer, ob es sich um ein Rendering oder ein Foto handelt – und wenn es tatsächlich ein Foto ist, könnte sich dahinter auch ein Compositing verbergen. In der Arbeit des italienischen Künstlers Massimo Colonna wird genau diese Unsicherheit zum Thema. Selbstverständlich sind seine Kompositionen computergeneriert. Und dennoch will unser Geist sich darin wohlfühlen. Sanfte Töne, geometrische Ordnung und der offensichtlich festgehaltene Überraschungsmoment: Sie alle erzeugen gemeinsam ein Bild, bei dem sich das Auge ausruhen kann. Die Wahrheit zählt ja bekanntermaßen nicht immer zu den Orten, an denen wir das Glück finden. Insofern wundert es nicht, dass sich immer mehr artifizielle Welten ihren Weg in unseren Alltag bahnen. „Wahrscheinlich ist das, was die Leute sehen wollen, eine verzerrte Realität, die der Fiktion näher ist. Das ist nicht unbedingt eine schlechte Sache, Perfektion und Unvollkommenheit sind immer noch ziemlich subjektiv“, sagt Massimo Colonna über den Kontext seiner Arbeit. Die Illusion ist für ihn ein Mechanismus, der der Perfektion und Unvollkommenheit ihre Bedeutung nimmt. Auf der Suche nach der Realität stellen Bilder längst schon keine Hilfe mehr dar. Man muss sich zunehmend auf seinen Intellekt verlassen. sb www.massimocolonna.com
G A N Z S C H ÖN
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