HEINZE
DEAR ILLUSTRIERTE FÜR DESIGN UND ARCHITEKTUR
Dossier
HEALTHCARE Interviews
SAM BARON MAX DUDLER ERWIN WURM Architektur
OFFICE KGDVS BRUNO TAUT IN BERLIN BRUTALISMUS IN ROM MINIAPARTMENT IN BARCELONA
Ein wildes Tier zum Anfassen
Nr. 2/ 2017 — 8,50 Euro
MIT DEM DESIGNER STEFAN DIEZ AUF DER DOCUMENTA 14
Smarter Zutritt bedeutet Vertrauen
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EDITORIAL
Wir befinden uns mitten in einem Superjahr: Superkunstjahr, Superwahljahr, Superwahnsinnsjahr. So etwas weckt natürlich Erwartungen: Kunst, die einem so richtig die Synapsen durchbläst, Wahlergebnisse, die Ordnung ins Chaos bringen, und Wahnsinn, der auch mal Positives hervorbringt. Stattdessen stellt sich Enttäuschung ein. Auf der Documenta in Kassel nur lange Gesichter, noch längere bei Theresa May in der Downing Street und ein Wahnsinniger, der … ach, lassen wir das. Man muss die Sache positiv sehen. Die Originalversion des Films Blade Runner spielt in unserer Zeit. Es hätte also schlimmer kommen können. Und letztlich entscheidet unsere Erwartungshaltung, wie wir die Welt erleben. Also gilt in diesem Sommer: Das Grillfest erst beim Aufräumen loben, Vertrauensfragen nur noch stellen, wenn es um die Liebe geht, und den Irrsinn zum Leitbild machen. So wie wir, mit einem Magazin von 200 Seiten Inhalt, vielen spannenden Persönlichkeiten, Projekten und Orten, an denen selbst wir noch niemals waren. Es ist schließlich auch das Jahr der Flunder. Wir finden das mega.
Stefan Diez, Stephan Burkoff und Jeanette Kunsmann: ein Superteam auf der Super-Documenta. Hinter der Kamera: Cyrill Matter.
Ihr Stephan Burkoff
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WWW.HEINZE-DEAR.DE
IMPRESSUM Publisher
Geschäftsführer
Chefredakteur Editorial Director Art Direction Layout Redaktionsleitung Redaktion Autoren
Lektorat Schlussredaktion Fotografen
Konzept & Realisation
Gesamtvertriebsleiter Leiter Medienproduktion Druck Zeitschriftenvertrieb
Titelbild: Cyrill Matter, 2017
Danke!
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HEINZE GmbH Das führende Bauportal für Produktinformationen, Firmenprofile und Architekturobjekte Dirk Schöning Bremer Weg 184 29223 Celle www.heinze.de HEINZE GmbH ist ein Unternehmen der DOCU Group www.docugroup.de Stephan Burkoff (V. i. S. d. P.) Jeanette Kunsmann Bæucker Sanders GmbH Nils Sanders Katharina Horstmann Julia Bluth, Markus Hieke Tim Berge, Jana Hermann, Claudia Simone Hoff, Norman Kietzmann, Niklas Maak, Tanja Pabelick, Max Scharnigg, Kathrin Spohr, Antje Stahl, Anne Waak Dr. Roland Kroemer Anja Breloh Luca Campri, Diego Cosme, Raphaël Dautigny, Sergio Ghetti, Fernando Guerra FG+SG, José Hevia, Rasmus Hjortshøj, Maija Holma, Markus Jans, Gerhardt Kellermann, Petra Kleis, Annette Kuhls, Nicoló Lanfranchi, Heidi Lerkenfeld, Cyrill Matter, Jonathan Mauloubier, Tobias Meyer zur Capellen, Rasmus Norlander, Erica Overmeer, Ludger Paffrath, PION Basia Kuligowska, Przemysław Nieciecki, Marco Ponzianelli, Bas Princen, Stefan Rother, Volta Saalburg, Jaïr Sfez, Suite.030, Lukas Suchorab, Jill Tate, Not Vital, Eva Würdinger, Marco Zanin Mitte Rand UG, Verlag für Inhalt & Kontraste Marienstraße 10, 10117 Berlin www.mitte-rand.de / mail@mitte-rand.de Jörg Kreuder Ulrich Schmidt-Kuhl Vogel Druck, Leibnizstraße 5, 97204 Höchberg MZV GmbH & Co. KG, Unterschleißheim Sam Baron, Stefan Diez und Diez Office, Porky Hefer, Dieter Rams, Sieger Design, Max Dudler, Arno Brandlhuber, Atelier Brückner, Bottega + Ehrhardt, 4a Architekten, Ma Yansong, Viktoria Modesta, Not Vital, Studio Erwin Wurm, Barbara Richter, Wiebke Becker, Klaus Füner, Andreas Koch, Sonja Kramer, Jörg Kreuder, Luis Lucas, Christian Maeder, Tanja Manz, Bodo Maslo, Torsten Petroschka, Sebastian Pfau, Alexander Sautter, Andreas Schmucker, Heike Bering, Stephanie Eckerskorn, Anja Giersiepen, Gabriella Gianoli, Marion Hämmerli, Gabi Hirsch, Claudia Neumann und Georg Maurer, Tina Nadler, Helena Strängberg Velardi, Laura Burlon, Steffen Matt, Daria Stankiewicz, Sandra Thomsen, Daniela Lürßen, Daniela & Ralf Schlagmann, Melanie, Charly, Peeke, Anton, Bjarne und Jasper Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das Recht der Vervielfältigung, kein Teil dieses Magazins darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlags Mitte/Rand reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
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INHALT
DESIGN Editorial Impressum Contributors
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DOSSIER
Sam Baron Anarchie in Keksdosen
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Laminiertes Einfühlungsvermögen Kinderklinik in Sheffield
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Bruno Taut Verwandlung in Berlin
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Architektur statt Antibiotika Alvar Aaltos Tuberkulose-Sanatorium in Paimio
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Wohncollage in Lissabon
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Membran zwischen Heilen und Glauben Dialysezentrum in Bangalore
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Kompakt gebaut Miniapartment in Barcelona Drei Farben Rosa Patisserie in Breslau
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Die Cyborg-Pioniere Innovative Prothesen und ihre neue Rolle als Fashion Statement
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Ein Tag (und eine Nacht) mit Stefan Diez auf der Documenta
41 Das Krankenhaus von Morgen Summit in Marrakesch
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Schweizer Möbel-Origami
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Bad Religion Von der Nasszelle zum Premium-Spa
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Japan am Drücker Interview mit Satoshi Ishikawa
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MAD Architects Architektur der Imperfektion
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ARCHITEKTUR
MAGAZIN
Der Rasterfahnder Max Dudler im Interview
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Speicher voll Silo-Umbau in Kopenhagen
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Mexikanische Metamorphose
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Vom Konkreten ins Abstrakte Aires Mateus spielen mit Volumen, Leere und Licht
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Im Bauch der Marmorinsel NotOna Island von Not Vital
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Solo für OFFICE KGDVS Ferienhaus in der Wildnis
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Hands-On Eindruck zum Ausdrucken
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Brutal Genial Die Villa Perugini ist ein Meisterwerk des Brutalismus – und verrottet seit 20 Jahren
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Zuhause in der Kunst Erwin Wurm fürchtet sich vor schlechter Arbeit
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Luxus im Doppelpack Studioparisien im Porträt
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From Lido with Love
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Formsache: Das Wandrad Kolumne von Max Scharnigg
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Mit A nach B Niklas Maak fährt mit dem Méhari nach Bordeaux
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Ziegen als Mitbewohner und Toskana-Feeling Die Herzschrittmacher von Lichtenberg
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Berlin-Lichtenberg von unten Fotos von Volta Saalburg
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Dieter Rams Must See Quarterly Moden von Gestern von Anne Waak Bücher People Und morgen?
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CONTRIBUTORS
All That Remains das Leben in der Erdbebenregion Abruzzen dokumentiert. Die Villa Perugini kennt der Reportagefotograf (ein Bekannter Antonino Cardillos, Architekt in der ersten AusFoto: Roger Eberhard
gabe) noch aus Kindertagen: Marco Ponzianelli ist nämlich in der Nähe des römischen Badeorts Fregene aufgewachsen. Zusammen mit Norman
Antje Stahl
Kietzmann ist er dorthin zurückgekehrt und hat den Zerfall des vielleicht verrücktesten Wohn-
Freie Autorin, lebt in Berlin. Studium der Philo-
hauses Italiens dokumentiert: Wer rettet diese
sophie und Kunstgeschichte in Berlin, Paris und
Perle des Brutalismus?
New York, war vier Jahre lang Redakteurin bei Monopol, schreibt jetzt für die FAZ und viele andere (Interview, L’Officiel, Art Agenda). Sie mag Ruinen, Fabriken und das Meer, hasst Flugzeuge und nimmt sie trotzdem: Wir haben Antje 2012 in Istanbul kennengelernt – auf einer ihrer zahlreichen Reisen, die sie als Reporterin, Kritikerin und Journalistin so macht: in die große, weite, aufregende Welt. Bald erscheint eine Monografie mit ihren Texten über Peter Miller bei Hatje Cantz.
Volta Saalburg Pendelt zwischen München und Berlin. Vielleicht hat sie dieser Umstand auch so unverblümt auf Lichtenberg blicken lassen? Für uns hat die Fotografin Berlins vielleicht letzte wilde Ecke erkundet und versucht die wahren Bilder hinter einem beginnenden Hype zu fassen. Ähnlich wie bei einem ihrer aktuellen Projekte, bei dem sie das Ende der Castorf-Ära in der Berliner Volksbühne
Marco Ponzianelli Er hat Jazzmusiker in London porträtiert, den Wandel auf Kuba begleitet und mit seiner Serie 12
dokumentiert. Volta Saalburg schaut den Dingen ins Gesicht. Ohne Theater.
VORSCHAU
Mit Stefan Diez auf der Documenta 14 in Kassel. Die Idee: über die Kunst einen neuen Zugang zu seiner Arbeit zu finden. Herausgekommen ist ein Stück, das die Grenzen des utopischen Kosmos des Münchner Designers ausmisst. Lernen Sie ihn kennen ab Seite 41.
Stefan Diez, 2017. Foto: Cyrill Matter
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DE
INTERVIEW
DESIGN
SAM BARON: ANARCHIE IN KEKSDOSEN Sam Baron arbeitet viel. Zwischen Paris, seiner Basis, Treviso, wo er bei Fabrica, Benettons Kreativ-Drehscheibe, als Chefdesigner lehrt, und Lissabon, seinem Heimatort, entwirft der studierte Künstler Objekte, die zwischen Designs und Kunst chan gieren. Wir haben mit ihm in Mailand über Humor, Druck und Hasenohren gesprochen. VON STEPHAN BURKOFF UND JEANETTE KUNSMANN
Wenn aus dem Deckel einer Keksdose Hasenohren wachsen, hatte wahrscheinlich Sam Baron seine Finger im Spiel – Curiosity von Sam Baron für Petite Friture
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INTERVIEW
Eine Wurst aus Glas, die leuchtet: So-Sage Rechte Seite: Pendelleuchte Lanterna Sam Baron für Petite Friture
Sam Baron. Foto: Marco Zanin/Fabrica
Viele Absolventen der Benetton-Schule Fabrica werden erfolgreich Kreative. Sie sind in ihrem zehnten Jahr bei Fabrica. Was ist das Geheimnis des Erfolgs? Ich glaube, es hat in erster Linie mit den strengen Aufnahmekriterien zu tun. Unsere Bewerber gehen durch ein mehrstufiges Verfahren. Sie müssen beweisen, was sie können, aber gleichzeitig auch zeigen, dass sie ebenso die sozialen Fähigkeiten besitzen, um in einem internationalen Umfeld zu lernen und zu arbeiten. Wir fordern die jungen Leute heraus und erzeugen gewissermaßen positiven Stress (lacht). Wenn sie dann bei uns ankommen, sage ich immer, dass sie alles vergessen sollen. All ihre Manierismen, die sie sich als talentierte Menschen angeeignet haben. Denn: Arbeitest du an einem Projekt mit einem Japaner, und der spricht kein Englisch, brauchst du eine kreative Verbindung, die nur gemeinsam entsteht. Kreativität ist unsere Sprache.
Für das neue Label Ars Fabricandi haben Sie mit Ihren Studenten eine Kollektion von Objekten entwickelt und beim Salone 2017 präsentiert. Was war die Idee dahinter? Die Idee war eigentlich, keine Idee zu haben (lacht). In unserem Briefing stand, nützliche Dinge zu entwerfen, die alltäglich sind, aber so, dass sie den Alltag zu etwas Besonderem machen. Die Studenten hatten nur sechs Monate Zeit für Entwurf und Prototyp – dafür aber nur wenige Auflagen. Interessant ist, wie unterschiedlich die Ergebnisse sind.
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Was lernen Sie von der nächsten Generation? Was man lernt, ist, sich anzupassen. Alles verändert sich so schnell und immer schneller, jeder ist heute so flexibel – im Guten wie im Schlechten –, dass alles möglich scheint. Es gibt Studenten, die kommen als Fotografen zu uns und schließen das Jahr bei uns als Grafikdesigner ab. Alles ganz unbefangen. Ich persönlich erlebe jeden Tag als Herausforderung: Ich bin Vater, Seelsorger, Kumpel und Lehrer zugleich. Unsere Studenten bleiben ein Jahr und wechseln zu unterschiedlichen Zeitpunkten. Es ist immer etwas los. Sie sind nicht nur in der Fabrica, sondern wohnen auch noch in Portugal und in Frankreich. Wie arbeitet und lebt es sich zwischen Treviso, Porto und Paris? Alles nur eine Frage der Organisation. Ich trage zum Beispiel nur Schwarz. Auf diese Weise lässt sich alles kombinieren und leicht ersetzen (lacht).
DESIGN
Wie ist die Verbindung zu Petit Friture entstanden? Amélie du Passage hat mich einfach angerufen. Zuerst habe ich ihr abgesagt, beim zweiten Anlauf hat es dann geklappt. Ich hatte gerade ein Ferienhaus in Portugal fertiggestellt und zeigte ihr Bilder davon. Darauf war eine Leuchte, die ich für das Objekt angefertigt hatte. Sie war sofort begeistert, und wir hatten unser erstes Produkt. Heute sind wir wie Freunde, haben Spaß und arbeiten dabei. Es gibt nicht viele Hersteller, mit denen ich auf diesem Niveau arbeite. Worauf dürfen wir uns von Sam Baron freuen? Ich arbeite gerade an einem Apartment-Projekt in Porto, gestalte den neuen Messestand für Established & Sons – ihr Comeback auf den internationalen Messen. Außerdem entwickle ich Keramik für einen schwedischen Hersteller und ich entwerfe Weinflaschen. Sie arbeiten viel. Brauchen Sie Druck? Ich finde Druck sehr gut. Ich glaube, Druck sorgt für Genauigkeit. Man muss nicht dafür sterben, aber ich finde Druck schon okay. Der Designprozess kann je nach Aufgabe eine Nacht oder ein Jahr dauern. Aber ein ambitioniertes Ziel zu haben, schadet nie.
Was ist das Ziel von Design? Es soll Probleme lösen. Keine großen Probleme – Designer sind keine Hirnchirurgen. Aber ich glaube, dass es bei Design immer weniger um die bloße Gestaltung geht. Es geht mehr darum, auf eine Aufgabe zu reagieren. Ich hasse es, wenn Designer denken, sie wären Künstler. Welche Rolle spielt Humor für Ihre Arbeit? Das Leben ist zu kurz, um zu ernst zu sein, nicht wahr? Ich nehme meine Arbeit zwar sehr ernst und versuche, mich professionell zu verhalten. Aber wenn ich jemanden sehe, der lächelnd eine Keksdose mit Hasenohren kauft, bin ich einfach glücklich. Eigentlich ist es nur eine blöde Keksdose. Aber es ist auch Anarchie. Man riskiert ja nichts. Und wenn man kann, warum nicht?
www.sambaron.fr www.fabrica.it
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EDITOR’S PICK — DER INNERE SCHWEINEHUND SOLL TANZEN
TINGEST TYNGDLYFTAREN Diese Hanteln aus Marmor tragen den unaussprechlichen schwedischen Namen Tyngdlyftaren, was übersetzt so viel wie „Gewichtheber“ bedeutet. Dabei helfen die Fitnessgeräte von Alexander Lervik ihrem Besitzer nicht nur, in Form zu kommen, sie tun auch dem Zuhause als schönes Wohnobjekt gut. Erhältlich in drei Farben und drei Gewichtsklassen. www.heinze-dear.de/_02181
SUPERGUFRAM: PUNCH A WALL Another Brick in the Wall! Die hängende Ziegelsteinsäule gehört unverkennbar zur neuen SuperGufram-Kollektion. Entworfen haben sie Job Smeets und Nynke Tynagel von Studio Job als eine von sechs radikal-ironischen Skulpturen zwischen Design, Comic und Kunst. Ein Imperativ: Punch a Wall provoziert, dass man zuschlägt. Als limitierte Edition wurde das gute Stück Mitte Juni auf der Design Miami in Basel vorgestellt und ist leider zunächst nur für Sammler zu haben. www.heinze-dear.de/_02182
RS BARCELONA YOU & ME Kenner wissen: Pingpong und Tischtennis sind zwei Paar Schuhe. Das Label RS Barcelona bietet mit You & Me (Entwurf: Antoni Pallejà Office) eine schicke Variante, die Profis und Amateure an einen Tisch bringt. Wem Weiß oder Schwarz zu langweilig sind, könnte die Special Edition Colorful! von Cristian Zuzunaga gefallen.
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DESIGN
Foto: © La Schaise – Smarin
LA SCHAISE Dynamisches Sitzen sollte leger sein, aber solide. Das meint die französische Designerin Stéphanie Marin. Mit La Schaise zeigt sie, dass ein ergonomischer Stuhl auch ganz anders aussehen kann als erwartet. Mit ihrer „healthy aesthetic“ schaffen es Marins Produkte auch auf die Documenta oder ins Centre Pompidou, wo sie noch bis zum 4. September 2017 parallel zur DavidHockney-Ausstellung zu sehen sind.
URBANEARS CONNECTED SPEAKERS Ebenso wie die Kopfhörer sind auch die Urbanears Lautsprecher nicht nur für die Ohren gemacht, sondern auch fürs Auge. Ein unifarbener, akustisch transparenter Stoff überzieht den knuddeligen Kubus und lässt ihn so zu einem für Wohnelektronik überraschend ästhetischen Objekt werden, das sich kaum als Fremdkörper anfühlt. Beide Varianten Stammen (349 Euro) und Baggen (449 Euro) sind jeweils in sechs Farben erhältlich und lassen sich zu einem Multi-Room-System kombinieren. www.heinze-dear.de/_02192
HANGING COCOON Der südafrikanische Designer Porky Hefer vermischt die Welten von Mensch und Tier. Mal entwirft der Ex-Werber ein als Überwachungskamera getarntes Vogelhaus, mal eine Schaukel mit Haifischzähnen. Sein Hanging Cocoon könnte ein Nest für ein Tier mit sehr langem Hals sein oder aber eine Höhle für müde Menschen. Manchmal finden auch beide darin Platz.
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PROJEKTE
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DESIGN
Am Berliner Engelbecken trifft die Architektur von Bruno Taut auf Mid-Century-Möbel und Kunst. Die einstige Freundin von Martin Kippenberger hat hier zwei Wohnungen in Ferienapartments verwandelt – inklusive kleinen Skandals im Schlafzimmer.
BRUNO TAUT: VERWANDLUNG IN BERLIN TEXT: NORMAN KIETZMANN FOTOS: SUITE.030
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PROJEKTE
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DESIGN Bett in der Nische, Kunst an der Wand und ein Puzzle aus Design-Raritäten wie die schwarzen Gradual-Ledersessel von Cini Boeri oder die weiße Leuchte aus zusammengesteckten Fiberglasplatten über dem Esstisch. Entworfen hat sie Enrico Botta in den Sechzigerjahren, in dieser Größe gibt es sie nur dreimal.
Bruno Taut ist in Berlin kein Unbekannter. Seine Hufeisensiedlung gehört zum UNESCO-Weltkulturerbe. Und auch sonst hat der Vorreiter des Neuen Bauens in Berlin zahlreiche Wohnhäuser hinterlassen. Bürogebäude aus seiner
Grundrissen nahm sie Abstand. „Für meinen Geschmack hat es nicht funktioniert. Es waren zu viele Wände eingeplant, die diese Deckenkonstruktion gestört hätten“, begründet die Bauherrin ihr Plädoyer für offene Grundrisse.
lern wie Morentz im niederländischen Waalwijk, Marc Boucherie in Köln oder Versus Gallery in München. „Ich könnte nicht sagen, dass ich einen speziellen Stil verfolge. Das findet sich einfach so. Dennoch glaube ich, dass gutes Design
Hand sind hingegen selten. Zu den wenigen Beispielen gehört das Haus des Deutschen Verkehrsbunds am Engelbecken, das von 1927 bis 1932 als Sitz der Transportarbeiter-Gewerkschaft nach Plänen von Bruno Taut (mit Unterstützung seines Bruders Max in den letzten Monaten) errichtet wurde. Auch später blieb die Nutzung erhalten: Mit der Gründung der DDR zog der Freie Deutsche Gewerkschaftsbund ein, nach der Wende übernahmen die Gewerkschaften ÖTV und ver.di die Räume. Fast acht Jahre standen sie aufgrund von Baumängeln leer, bis Ingenbleek Architekten 2010 mit dem Umbau begannen. Über eine befreundete Künstlerin erfuhr Gabriele Könen von dem Projekt. „Die Architektur von Bruno Taut hat mir schon immer gefallen. Also habe ich mir das Haus im Rohbau angeschaut“, erinnert sich die Kölnerin. „Die Etagen waren völlig entkernt und noch nicht in Wohnungen unterteilt.“ Ein Detail hatte es ihr besonders angetan: die während des Umbaus wieder freigelegten Kassettendecken aus Stahlbeton, die in den offenen Räumen eindrucksvoll zur Geltung kamen. Also kaufte sie eine Etage mit knapp 180 Quadratmetern und ließ sie in zwei fast gleich große Apartments unterteilen. Von den ursprünglich vorgesehenen
Die beiden Wohnungen lassen sich bei Bedarf zusammenlegen und können einzeln oder im Doppel über eine Internetplattform gemietet werden. Bei der Inneneinrichtung vertraute die Hausherrin auf ihr eigenes Gespür. Einige Gegenstände entnahm sie ihrem persönlichen Fundus. Der Großteil wurde eigens für das denkmalgeschützte TautHaus erworben.
ohnehin immer miteinander kombinierbar ist, egal, aus welcher Zeit es stammt“, erklärt die Hobby-Inneneinrichterin. Es ist ihr wichtig, dass die Dinge weder zu feminin noch zu maskulin wirken, sondern genau den Ton in der Mitte treffen. In der vorderen Wohnung zieht eine Gruppe schwarzer Gradual-Ledersessel die Blicke auf sich. Sie sind in den Siebzigerjahren von Cini Boeri für Gavina entworfen worden und verfügen über praktische Regalablagen an der Rückseite. Das Bett versteckt sich hinter Falttüren aus Nussbaum. „Diese Lösung war mir sofort vor Augen. Ich wollte ja keine Trennwände, und so musste diese Nische das Schlafzimmer werden“, sagt Gabriele Könen, die bei einem Schreiner gleich alles aus einem Guss bestellte: Das Bett mit ausziehbarem Kasten und die Küche sind aus demselben Nussbaum maßgefertigt wie die Falttüren. „Über dem Schlafzimmer liegt noch eine weitere Schlafnische, falls man dort mit mehreren Leuten sein möchte. Das Einzige, was noch fehlt, ist die Leiter“, erklärt die möbelaffine Kunstliebhaberin. Eine besondere Rolle spielt die weiße Plan-Leuchte über dem Esstisch, die in den Sechzigerjahren von Enrico Botta für den Hersteller Sundown entworfen wurde und aus Fiberglas-
„Bis ich alle Möbel gefunden hatte, vergingen knapp zwei Jahre. Am Anfang haben wir ein aufblasbares Sofa mit zwei aufblasbaren Sesseln hingestellt und eine Matratze auf den Boden gelegt“, erzählt Könen. Schließlich gelang es, ein Puzzle aus historischen Design-Raritäten stimmig zusammenzufügen. Fündig wurde Gabriele Könen online sowie bei ausgesuchten Vintage-Händ-
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PROJEKTE
„Ich glaube, dass gutes Design ohnehin immer miteinander kombinierbar ist, egal aus welcher Zeit es stammt“, meint Gabriele Könen.
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DESIGN
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PROJEKTE
platten zusammengesteckt wird. Nur dreimal ist sie in dieser Übergröße für eine Messe hergestellt worden. „Die Leuchte ist das Kernstück des vorderen Raumes. Sie ist fast schon ein Objekt und keine Leuchte“, sagt Gabriele Könen begeistert. Im Schlafzimmer der hinteren Wohnung beeindruckt ein Bett mit riesigen Füßen. „Mein damaliger Lebensgefährte war Künstler und hat in Österreich einen Frosch am Kreuz schnitzen lassen. Als die Arbeit in Bozen ausgestellt wurde, war es ein Riesenskandal, der durch die Presse ging“, erklärt die frühere Freundin von Martin Kippenberger. Bei diesem Schreiner, der einst den Frosch angefertigt hatte, gab Gabriele Könen dieses Bett in Auftrag – mit den größtmöglichen Füßen, die seine Drechselmaschine zu produzieren vermochte. Über dem Bett hängt eine Fotoserie von Thomas Ruff. Die Grafiken neben den pelzbehangenen Harry-Bertoia-Stühlen konnte die heutige Besit-
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zerin über die Griffelkunst-Vereinigung erwerben. „Das rostrote Wandobjekt in der vorderen Wohnung stammt vom Künstler Meuser, einem Freund meines damaligen Lebensgefährten. Es hat mich durch alle Wohnungen begleitet und passt dort einfach perfekt“, sagt Gabriele Könen, die die Hängung und Auswahl der Werke von Zeit zu Zeit immer wieder verändert. Was sie macht, wenn sie nicht gerade eine Wohnung einrichtet? Gabriele Könen ist seit 20 Jahren für eine Spedition in Köln tätig. „Wir transportieren ausschließlich Kunst und betreuen auch Sammlungen von Unternehmen wie der Deutschen Bank und E.ON“, erklärt sie. Dem Transport ihrer wohnlichen Preziosen sah sie daher stets gelassen entgegen – selbst bei äußerst fragilen Stücken wie der großen kupferfarbenen Artischocken-Leuchte von Poul Henningsen im Wohnzimmer der vorderen Wohnung: „Für sie hat unser Schreiner extra eine Transportkiste gebaut,
damit sie unversehrt ankommt. Viele dieser alten Stücke müssen besonders behandelt werden. Zum Glück wissen wir, wie wir damit umzugehen haben.“ Bei so viel Fürsorge für die Moderne hätten sich wohl auch die Brüder Taut in sicheren Händen gefühlt. Mehr Fotos: www.heinze-dear.de/_0221
Taut-Haus am Engelbecken Umbau, 180 Quadratmeter Bauherrin: Gabriele Könen Architekten: Ingenbleek Architekten + Ingenieure Engeldamm 70 / Michaelkirchplatz 1 und 2 10179 Berlin
DESIGN
WOHNCOLLAGE IN LISSABON
TEXT: MARKUS HIEKE
FOTOS: FERNANDO GUERRA, FG+SG
Wohnen mit experimenteller Note: Mit kleinem Budget haben Fala Atelier eine alte Garage in ein offenes Wohnloft inklusive Autostellplatz umgewandelt. 27
PROJEKTE
„Mit dem Eingriff beabsichtigten wir, die klarstmögliche Lesart der existierenden Struktur zu erzeugen und ihre Stärke zu betonen“, Nach Wunsch der Bauherren sollte in einer als Lager genutzten Garage ein großzügiges Loft entstehen. Bei dem Umbauprojekt in Lissabon lieferte das Ausgangsobjekt wenig Potenzial zum Erhalt. Ebenso ließ auch das Budget keine großen Sprünge zu. Die passende Planung und Umsetzung lieferte das Architekturbüro Fala Atelier aus Porto. Auf etwa 200 Quadratmetern entstand im Erdgeschoss des Fünfzigerjahre-Hauses ein offener Raum, der durch einen breiten Korridor betreten wird. Erhalten geblieben ist das alte Garagentor mit seinen Sprossenfenstern. Im vorderen Bereich des Lofts soll auch das Auto der beiden Bewohner geparkt werden. Da es außer dem Tor keine Fenster gibt, gelangt das Tageslicht durch vier quadratische Oberlichter, die im Zuge des Umbaus erneuert wurden, ins Innere. Auf den Blick nach draußen muss man bei dieser Wohnung leider verzichten, weshalb die Weitläufigkeit des Lofts unbedingt notwendig ist. Strukturiert durch eine zentrale Säule, ist der Raum in die Bereiche Kochen, Essen, Wohnen und Schlafen eingeteilt. An der Ecke zum Tor wurde eine runde Wand eingezogen, hinter der sich das Badezimmer und daneben ein Gäste-WC verbergen. Auf dem Weg nach draußen passiert man den Arbeitsbereich am Rand des Gangs.
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erklären die Architekten Filipe Magalhães, Ana Luisa Soares und Ahmed Belkhodja, die ihr Büro seit 2013 führen. Aus einer grauen Garage wurde selbst ohne konventionelle Fenster ein freundlich-helles Zuhause: Weiß gespachtelte Wände und eine Kassettendecke mit tief gezogenen Trägern, der Boden gänzlich aus poliertem Mikrozement. Abgrenzung und ein Minimum an Privatsphäre lassen sich durch große Vorhänge zwischen den Wohnbereichen erzeugen. Stärkstes Interieur-Element ist die Küchentheke aus weißem Marmor, die etwas in den Raum hineinragt. Und mit ihr die türkisfarbene, trichterförmige Abzugshaube. Bei der Möblierung wird schweren Ledersesseln ein graziles Can-Sofa von den Bouroullecs für Hay gegenübergestellt. Gestell: rot. Sorgfältig werden genau auf diese Weise immer wieder Akzente und Farbtupfer gesetzt. Schranktüren: orange, rot, gelb. Vorhänge: verschiedene Facetten Türkisblau. Und das Bad: ein Meer aus dunkelblauen Fliesen. Durch die lose Platzierung von Einrichtungsgegenständen im weitläufigen Raum ist eine außergewöhnliche Wohnsituation entstanden. Alles wirkt noch frei beweglich. Und ohne scharfe Konturen befindet man sich auch praktisch immer in jedem Bereich. Eigentlich wie vorher: So wurde die Garage funktional umgewidmet, ohne den Ursprung des Ortes zu ignorieren.
DESIGN
Loft im Erdgeschoss: Diese portugiesische Wohncollage wird allein von einer Säule strukturiert, die den offenen Raum in Bereiche zum Kochen, Essen, Wohnen und Schlafen gliedert.
Alle Fotos, Skizzen und Pläne: www.heinze-dear.de/_0227
Garage House Umbau, 200 Quadratmeter Bauherr: Privat Architekten: Fala Atelier, Filipe Magalhães, Ana Luisa Soares und Ahmed Belkhodja Lissabon
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KOMPAKT GEBAUT:
PROJEKTE
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DESIGN
MINIAPARTMENT IN BARCELONA TEXT: TIM BERGE FOTOS: JOSÉ HEVIA
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PROJEKTE
Arbeiten und Wohnen auf 70 Quadratmetern: Dieser Mix findet sich in dem Apartment eines Fotografen in Barcelona. Trotz hoher funktionaler Ansprüche wirkt die Wohnung keineswegs gedrängt, im Gegenteil. Das liegt vor allem an einer kompakten Box, die sämtliche Funktionen in sich versammelt.
Viel Stauraum, Privatsphäre und der Erhalt des Ein-Raum-Charakters waren das Briefing: Unterteilungen waren also ausgeschlossen. Das junge Architekturbüro Arquitectura-G aus Barcelona hatte bereits in der Vergangenheit mit klugen und ausdrucksstarken Sanierungen von kleineren Apartments auf sich aufmerksam gemacht – die Aufgabe lag ihnen. In diesem Fall war der Bauherr ein Fotograf, der die 70 Quadratmeter große Fläche nicht nur als Wohnung, sondern auch als sein Studio nutzt. Dazu braucht er sowohl einen Arbeits- und Schlafbereich als auch ein Badezimmer und eine Küche – aber auch: jede Menge Stauraum. Dafür greifen die Planer auf eine Raum-im-Raum-Lösung zurück: Sie platzieren eine Box in dem der Fensterfront abgewandten Ende des Raums. Diese ist in horizontale und vertikale Zonen unterteilt und nimmt alle geforderten Nutzungen in sich auf. Der übrige Bereich dient nun als lichtes Fotostudio. Die Box definiert nicht nur den Außenraum, sie erzeugt durch ihre kluge Organisation auch im Inneren ein kleines Raumwunder. Wand und Boden wurden von den Architekten aufgedickt und beinhalten den gewünschten Stau- und Funktionsraum. An der Seite, an der eine offene Küche integriert ist, besteht der Unterbau aus mobilen Schränken, die bei Bedarf verschoben werden können. Nach vorne, in Richtung der Fenster, befinden sich großformatige Schubladen im Sockel. Der Innenraum, in dem sich der Schlafbereich sowie das Badezimmer befinden, lässt sich über zwei Eingänge betreten. Dem Hausherrn bietet sich aber die Möglichkeit, die Box bei Bedarf über hohe Klapptüren, die sich an der dem Raum zugewandten Seite befinden, stärker zu öffnen. Gleichzeitig sorgen raumhohe Spiegel im Inneren für ein Gefühl von Großzügigkeit und Offenheit. Besonders die starke Ausdifferenzierung der Wohnkiste beeindruckt: Jeder Zentimeter scheint einer Nutzung zu dienen, was sich auch an der Oberfläche ablesen lässt. Vor- und Rücksprünge, Öffnungen und Fugen sowie glänzende und
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matte Oberflächen verleihen der Installation den Charakter einer Maschine, die durch ihre mintgrüne Färbung allerdings freundlicher Natur ist. „Unser größter Einfluss kommt von einer Gestaltungslinie, die ein angenehmes und sinnliches Wohnerlebnis zum Ziel hat“, erklären die katalanischen Designer ihr Konzept. „Wir sehnen uns nach einer Balance zwischen einer klaren und starken Geometrie und einer klugen Annäherung an Themen des Alltags.“ Genau das ist ihnen mit dem Umbau des Apartments gelungen: Die Box ist nicht nur Sinnbild einer funktionalen Verdichtung, sondern auch ein schönes Objekt und Möbelstück. Mehr Fotos: www.heinze-dear.de/_0230
DESIGN
Wer minimal und kompakt eingerichtet sein will, braucht eine freundliche Wohn-Maschine wie diese hier: Die raumhohe Box mit den vier KlapptĂźren bietet in ihrem Sockel auĂ&#x;erdem einen gut versteckten Stauraum.
www.arquitecturag.wordpress.com
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PROJEKTE
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DESIGN
DREI FARBEN ROSA
— Patisserie in Breslau TEXT: TANJA PABELICK FOTOS: PION BASIA KULIGOWSKA, PRZEMYSŁAW NIECIECKI
Surreales Wunderland: Beim Besuch dieser polnischen Patisserie landet man im plüschigpinken Innern eines Eclairs.
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PROJEKTE
Es ist, als wäre ein Schaumkuss-Ufo mitten in der urbanen Steinlandschaft gelandet. Im polnischen Breslau hat mit dem Nanan eine Patisserie eröffnet, die sich ganz einer französischen Gebäckspezialität verschrieben hat. Vom Tresen bis zur Leuchte zitiert das Interieur das süß gefüllte Eclair mit seiner glänzenden Glasur und der Creme im Innern. Allerdings nicht in Sahneweiß, sondern in Rosa, Nude und Pastellpink. Das Interieur der Feinbäckerei sieht aus, als wäre es einmal durch den Zuckerguss gezogen worden. Entworfen hat das monochrome Wunderland das ebenfalls aus Breslau stammende Buck Studio. Spezialisiert auf Innenarchitektur, Hospitality und Retail Design, kümmern sich die beiden studierten Architekten Paweł und Dominika Buck auch um die Identität und visuelle Kommunikation von Marken. Die niedrigen, ausladenden Loungesessel und runden Marmortische erinnern an die Inszenierung britischer Teehäuser und sind der richtige Ort für Entschleunigung. Bei 96 Quadratmetern Gesamtfläche bietet das Nanan mit seinen wandintegrierten Bänken und seinem raumgreifenden Sitzmobiliar allerdings nur 16 Sitzplätze. So präsentiert sich die Patisserie faszinierend und feudal und schafft eine ganz eigene Welt, in der es auch nicht überraschen würde, wenn man beim Besuch von einem weißen Kaninchen mit Taschenuhr bedient würde.
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DESIGN
Das Nanan trennt seine beiden Räume in einen Servicebereich fßr Sitz- und Laufkundschaft sowie einen Gastraum mit niedrigen Loungesesseln und runden Marmortischen.
Mehr Text und alle Fotos: www.heinze-dear.de/_0235
www.buck.pl
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EDITOR’S PICK RAUS AUS DEM HAUS — VON NORMAN KIETZMANN
HERMÈS OUTDOOR FABRICS Schluss mit der Stubenhockerei: Die neuen Outdoor-Stoffe von Hermès sind aus strapazierfähigem Canvas gefertigt und umfassen sechs geometrische Muster in atmosphärischen Farben. Die Sixtiesinspirierten Bezüge können für Matten, Poufs und Sitzkissen verwendet werden und entfalten vor allem in Kombination von mehreren Dekoren ihre Wirkung.
OK DESIGN AMA Eine Hängematte macht das Leben leichter. Ama ist aus Baumwolle und Nylon gefertigt und bringt bei vier Metern Länge gerade einmal drei Kilogramm auf die Waage.
DEDON BRIXX Auf den ersten Blick ist Brixx von Dedon überhaupt nicht als Gartenmöbel zu erkennen. Das von Lorenza Bozzoli entworfene Sitzprogramm transferiert die Anmutung und den Komfort gepolsterter Sofas für den Innenraum hinaus ins Freie – dank einer atmungsaktiven und wetterbeständigen Polsterung und eigens entwickelten Stoffen in sinnlichen Farben. www.heinze-dear.de/_02383
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KARTELL MATRIX Der japanische Designer Tokujin Yoshioka schlägt mit seinem Stuhl Matrix für Kartell eine Brücke zu den berühmten Metallmöbeln Harry Bertoias. Die Sitzschale ist aus zwei sich gegenseitig überlagernden Kunststoffgittern gefertigt. Im Zusammenspiel der beiden Ebenen entsteht eine stabile, leichte, lichtdurchlässige Struktur, die angenehm federt. www.heinze-dear.de/_02391
PAOLA LENTI SCIARA Mut zur Dekoration: Die Tischserie Sciara ist eine Kooperation des Möbelherstellers Paola Lenti mit der sizilianischen Modedesignerin Marella Ferrera. Sämtliche Ablagen sind mit Lavasteinen und Glasfliesen in unterschiedlichen Farben verkleidet.
TUUCI MANTA Die Sonnenschirme von Tuuci werden in Miami gefertigt. Ein besonders schönes Exemplar ist das Modell Ocean Master Manta, das an die elegante Physiognomie des gleichnamigen Rochens erinnert. Viele Details wie eigens entwickelte Klammern und Verschlüsse sowie die gesamte Bedienung der Segel und Seilwinden kommen aus dem Bootsbau. Kein Wunder: Schließlich hat Firmengründer Dougan Clarke ursprünglich Yachten gebaut! www.heinze-dear.de/_02393
AMES CARIBE Auf der Kölner Möbelmesse 2017 hat Sebastian Herkner die Kollektion Ames Sala erweitert. Caribe ist eine Serie geflochtener Stühle, Sessel und Tische, die von Kunsthandwerkern in Kolumbien zu fairen Konditionen gefertigt werden. www.heinze-dear.de/_02394
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MIT STEFAN DIEZ AUF DER DOCUMENTA 14
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DESIGN
KUNST DARF MAN NICHT ANFASSEN ABER BEGREIFEN Ein Tag (und eine Nacht) mit Stefan Diez auf der Documenta VON JEANETTE KUNSMANN UND STEPHAN BURKOFF FOTOS: CYRILL MATTER
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DESIGN Perfekter Begleiter für Kassel: Die Reisetasche Kuvert von Stefan Diez für Authentics wird nicht genäht, sondern aus einem Stück PVC-beschichteten Polyester gestanzt, gefalzt und verschweißt. © Diez Office
Stefan Diez mag Schmarrn. Und damit haben wir gleich doppelt Glück, denn: Wir sind nicht nur mit einem äußerst gut gelaunten Designer aus München auf der Documenta in Kassel unterwegs, sondern auch mit einem unausgeschlafenen, aber charmanten Schweizer Fotografen. Es ist Donnerstag vor der offiziellen Eröffnung der wichtigsten Kunstausstellung der Welt. Am Vortag durften die ersten Journalisten kommen, sehen und berichten. In den ersten Stunden lernen wir vor allem, was man auf der Documenta alles nicht darf: auf Gerüste klettern, die Schienen betreten oder die Kunst anfassen. Museumsaufsicht: „Haben Sie den Sand etwa angefasst?“ Besucher: „Nein, ich habe den Sand doch nicht angefasst. Ich wollte nur mal fühlen, ob es wirklich Sand ist!“ Nach den ersten 60 Tagen in Athen gastiert die Olympiade der Kunst jetzt endlich auch für 100 Tage in Kassel. „Von Athen lernen“ lautet die Losung der 14. Documenta, und wir entscheiden zwischendurch auf einem Spaziergang einstimmig, dass die Nummerierung wirklich verwirrend ist. Schnell einigen wir uns alle auf „2017“. Daran werden wir uns erinnern.
Mit The Parthenon of Books setzt Marta Minujín ein Zeichen gegen das Verbot von Texten und die Verfolgung ihrer Verfasser. Bis zu 100.000 einst oder gegenwärtig verbotene Bücher aus der ganzen Welt werden für die Installation benötigt. Einige fehlen noch. Platz zum Klettern für Stefan Diez.
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MIT STEFAN DIEZ AUF DER DOCUMENTA 14 Diese Documenta beginnt im Untergrund. Der beste Einstieg ist der stillgelegte Tunnel am KulturBahnhof: eine Zeitreise in das Jahr 2005.
Da im Kasseler Fridericianum das Nationale Museum für Zeitgenössische Kunst aus Athen seine bisher ungesehene Sammlung zeigen darf, es sich hierbei also keinesfalls um echte „Documenta-Kunst“ handelt, überspringen wir diese Ausstellung. Von dem Spektakel-Kunstwerk Parthenon of Books, das „Argentiniens Andy Warhol“ Marta Minujín auf dem Friedrichsplatz aus verbotenen Büchern installieren ließ, lockt uns der Untergrund. Direktor Adam Szymczyk empfiehlt als „möglichen Einstiegspunkt“ in seine Documenta 14 den stillgelegten Tunnel am KulturBahnhof, Kassels ehemaligem Hauptbahnhof. 1968 kurz vor der vierten Documenta eingeweiht, hielt hier 2005 die letzte Bahn. Seitdem ist es still geworden im Tunnel. Und dunkel. Die Eingänge zur Unterführung wurden geschlossen und asphaltiert. Auf dem Weg zu unserer ersten Station machen wir noch einen Schlenker zur Osteria auf dem Königsplatz. Beim Essen sprechen wir über die Hungertuchprojekte eines Designers (macht so was von keinen Spaß, sagt Diez), über laufende Projekte und über Kunst. — Braucht man ein besonders großes Ego, um als Designer erfolgreich zu sein? Es braucht einen besonders starken Willen. Man muss als Designer die ganze Zeit verteidigen, überzeugen und sich durchsetzen. Das kann man nicht, wenn man nicht von sich selbst überzeugt
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DESIGN Nächste Seite: Vorhang aus 300 skelettierten Rentierschädeln von Máret Ánne Sara. Die Künstlerin stammt aus dem Volk der Sámi. Die indigene Gemeinschaft kämpft gegen die 2007 durch das norwegische Rentierhaltungsgesetz zwingend vorgeschriebene Tötung von Renen – sie bilden die Lebensgrundlage der Sámi. In einem Urteil wurde festgehalten, dass die Tötung der Tiere eine Verletzung der Eigentumsrechte darstellt. Die norwegische Regierung hat Berufung eingelegt.
ist. Ich sehe Design als Kollektivleistung, dabei ist die Souverä-
eine Frage der Standpunkte. „Ein Privileg der Kunst ist, dass
nität des Designers, nicht sein Ego, gefragt.
sie sich den Freiraum behält, politisch zu agieren. Ich sehe sie aber nicht im Dienste von Problemlösungen.“ Wenn Kunst nicht politisch sein muss, hat Design eine politische Komponente? Sollten Designer politisch sein? Stefan Diez überlegt: „Für mich ist Design nicht politisch, sondern vielleicht im besten Fall sozial relevant.“ Pause. „Aber du hast eine Zeit lang in der Schlosserei bei Kraus Maffei gearbeitet“, fällt uns ein. „Natürlich hat Design für dich eine politische Dimension!“ Pause. „Ich habe dort Schweißen gelernt. Aber ja, sie stellen auch den Leopard II her: In diese Abteilung durfte ich aber nur mal ganz kurz reinschauen, arbeiten durfte ich dort nicht. Obwohl es mich, ehrlich gesagt, schon interessiert hätte. Man muss dabei vielleicht auch zwischen Moral und dem eigenen Empfinden unterscheiden.“ Wir reden über Doppelmoral, Krieg und Frieden durch Waffen. „Entweder man akzeptiert das Prinzip der Verteidigung. Oder man unternimmt etwas dagegen“, meint Diez. „Ist es vielleicht etwa ‚nicht so schlimm‘ wenn die Waffen schlecht gestaltet sind? Ist meine moralische Verpflichtung also damit erledigt, dass ich als Designer keine Waffen entwerfe? Nein, natürlich nicht!“
— Welche Künstler und ihre Werke spielen eine Rolle für dich? Die Ausstellung von Thomas Demand damals in der Neuen Nationalgalerie in Berlin ist eine Inspiration gewesen: wunderschön! Auch die Werke von Anne Imhof gehen mir nahe: Allein das ist ein Grund, nach Venedig auf die Kunstbiennale zu fahren! — Ist Kunst eher eine Erholung für den Kopf oder auch Inspiration für deine Arbeit? Kunst ist für mich keine direkte Inspiration, es gibt aber viele Gemeinsamkeiten. Eine gefällt mir besonders: Kunst wie Design suchen den Kontakt zum Alltag. Es ist schon so, dass Kunst ohne Kontext wenig Sinn macht, oder? Das ist bei Design ähnlich. Aber Kunst ist für mich keine direkte Inspiration, dass ich hingehe und sage: „Oh, diese Farben!“ Das wäre wirklich platt. Diez erinnert sich nicht mehr, wann er das letzte Mal auf der Documenta war – ist es nun fünf oder zehn Jahre her? Als Gedächtnisstütze helfen uns Ai Weiwei und seine 1001 Chinesen: 2007 – also zehn Jahre! Für Cyrill Matter ist es die erste Documenta, für Jeanette Kunsmann die dritte und Stephan Burkoff war das erste Mal 1992 in Kassel: auf der Documenta IX, vor 25 Jahren! Die Mauer war gefallen, Helmut Kohl Bundeskanzler, die Amerikaner wählten Bill Clinton zu ihrem neuen Präsidenten, und der Balkan ertrank im Krieg. Auf der Pressekonferenz zur Eröffnung der Preview-Tage fordert Adam Szymczyk, dass die Kunst auf der Seite der Verlierer stehen soll. Aber muss Kunst eigentlich überhaupt irgendetwas? Oder könnte es nicht auch ein Fehler sein, wenn sich die Kunst an den Problemen der Gesellschaft und der Welt abarbeitet, fragen wir uns. Wenn man von Kunst zu viel verlangt, funktioniert sie dann noch? Vielleicht alles nur
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DIE KUNST IST WIE MANCHMAL ZEIGT
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DESIGN
EIN WILDES TIER. SIE SICH AUCH.
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Michel Auder, The Course of Empire, 2017, digitale 14-Kanal-Videoinstallation, Farbe und schwarz-weiĂ&#x;, ohne Ton, ca. 40 Minuten, ehemaliger unterirdischer Bahnhof (KulturBahnhof), Kassel
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Abstieg in die Unterwelt: Durch einen verrosteten Übersee-
schöne Bedienung: „Vielleicht das erste Mal, dass ich verliebt
container, der einsam und verloren vor dem ehemaligen Hauptbahnhof von Kassel steht, gelangt man in das ehemalige unterirdische Zwischengeschoss – ein toller Effekt. Für uns beginnt an dieser Stelle die Documenta 2017: in einer jungen westdeutschen Ruine, die seit zwölf Jahren mehr und mehr verfällt. Eine Etage tiefer flackert zwischen zwei rostigen Rolltreppen eine Videowand mit 14 Kanälen: Überforderung sorgt für Konzentration. Der französische Filmemacher Michel Auder hat mit The Course of Empire (2017) eine Collage aus abgefilmten Fernsehnachrichten, die mitunter Demonstrationen gegen den Ersten Golfkrieg zeigen, Videos militärischer Operationen und sogenannten „Textfilmen“ (aus iPhone-Bildern sowie mit Schriften von Arthur Rimbaud und anderen sowie Passagen aus Alexander von Humboldts Reise in die Aequinoctial-Gegenden des neuen Continents) geschaffen. Wenn man sich umdreht, blickt man am Ende des verhältnismäßig kurzen Tunnels mitten ins Licht: Durch diesen Ausgang gelangen wir über die stillgelegten Gleise – die man ja eigentlich gar nicht betreten darf – in die Kasseler Nordstadt. Wir wollen in die Neue Hauptpost, das ehemalige Briefzentrum von Kassel: In dem Siebzigerjahrebau befindet sich jetzt für 100 Tage die Neue Neue Galerie, einer der vielversprechenden Documenta-Tipps. Weiß man aus den sozialen Medien. Im Treppenhaus der Neuen Neuen Galerie begegnet uns eine Frauengruppe, die Marcel-Proust-Bücher auf dem Kopf balanciert. Es ist eine Spazier-Performance der serbischen Künstlerin Irena Haiduk: eine „Armee schöner Frauen in voller Yugoform“. Ihre Borosana-Schuhe können die Besucher in der Ausstellung mit dem Titel Yugoexport kaufen, müssen dazu aber einen Vertrag abschließen, in dem sie versichern, dass sie die Schuhe nur zum Arbeiten tragen werden. Stefan Diez grinst. Ihn erinnert der jugoslawische Schuh an das Gegenteil von Arbeit: Er denkt an die Urlaube seiner Kindheit und eine
war“. Wir wundern uns, wie viele Frauen diese Schuhe kaufen. In Kassel gibt es diesen Sommer wohl viel zu tun. Auf dieser Documenta ist Performance-Kunst allgegenwärtig. Irena Haiduk hat zum Beispiel auch im Obergeschoss der Neuen Neuen Galerie eine Art Catwalk aufgebaut und eine Wartehalle installiert: ein perfekt inszeniertes Setting, das durch ihren „Blind Room“ ergänzt wird. Hier hören die Besucher eine Performance in totaler Dunkelheit, aber auf bequemen Liegestühlen, was wir natürlich ohne Zögern mitmachen. Auch Stefan Diez lässt seine Liege zurückkippen und hört den Stimmen zu, die ein Gespräch zwischen der Künstlerin und Srđa Popović, dem ehemaligen Anführer der Studentenbewegung Otpor!, vorlesen. Es geht um die Parallelen zwischen politischen Beratern der Organisation CANVAS (Zentrum für angewandte gewaltlose Aktion und Strategien) und Künstlern. Irgendwo in der absoluten Dunkelheit hört man ein tiefes Schnarchen.
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Full House – Design by Stefan Diez im MAK Köln, 17. Januar bis 11. Juni 2017. Foto: Gerhardt Kellermann
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DESIGN
Maria Hassabi, Staging, 2017 Neue Neue Galerie
Weiter geht es mit dem Taxi Richtung Ballhaus. Wir wissen nicht, dass dieser Ausstellungsort gleich neben
Kunst darf man in der Regel nicht berühren – die Arbeit eines Designers hingegen hat viel mit Haptik zu tun. Würde es helfen, Kunst „zu greifen“, um sie besser zu „be-greifen“? Wir sprechen über Ausstellungskonzepte, über die große Demand-Show in der Neuen Nationalgalerie und natürlich über die Diez-Ausstellung Full House im Museum für Angewandte Kunst Köln, die Mitte Juni abgebaut wurde und von der Elemente dann nach Doha verschifft werden. „Als wir diese Ausstellung entwickelt haben, war Anfassen im Sinne von Begreifen ein zentrales Thema“, erinnert sich Diez. „Ich war neugierig, wie die Leute mit den Exponaten umgehen, die im Grunde ihrem Wohlwollen ausgeliefert sind. Und bis dato ist nichts kaputtgegangen – (überlegt) bis auf den Deckel einer Kaffeekanne.“ Für Stefan Diez war es eine bewusste Entscheidung, in seiner Ausstellung eine Verbindung zwischen Betrachter und Objekt herzustellen. „Bei der Kunst wäre es irgendwie doch auch mal ganz gut, wenn die Distanz kleiner wäre“, sagt er, während wir an drei Frauen mit spitzen Schuhen vorbeischlendern, die in angespannter Starre auf einem pinken Teppich liegen. Staging heißt diese Live-Installation von Maria Hassabi: „Die Tänzerinnen schaffen keine Formen – sie verweisen darauf, wie wir Formen fühlen“, ist im Katalog zu lesen. „Wobei das ‚Nicht-Begreifen-Können‘ von Kunst weniger physisch ist, sondern damit zu tun hat, dass man sie manchmal einfach schlichtweg nicht versteht.“ Als wir die Neue Neue Galerie verlassen, wartet am Eingang Wolfgang Joop mit Entourage.
dem Schloss Wilhelmshöhe liegt, und machen eine Irrfahrt durch das autofreundliche, doch staugeplagte Kassel aus Kassel hinaus. Und fahren dann doch sofort wieder zurück und in die Neue Galerie, weil das Ballhaus an diesem ersten Donnerstagnachmittag noch gar nicht geöffnet hat. Schade eigentlich. Weiter also zur Schönen Aussicht 1. In der Neuen Galerie untersucht die Künstlerin Maria Eichhorn mit ihrem „Aufruf an die Öffentlichkeit, NS-Raubgut im unrechtmäßigen Besitz zu recherchieren und dem Rose Valland Institut mitzuteilen“, die Enteignung von jüdischem Besitz. Als wir vor einer Wand mit der 210-teiligen Porträtserie Real Nazis stehen, merken wir, dass es für heute genug ist. Der polnische Künstler Piotr Uklański versammelt hier auf einer raumhohen Fläche „NSDAP-Parteigrößen, Kriegshelden und Verbrecher“ (also echte Nazis) und mischt unter diese fiktionale Nazi-Ikonografien aus Hollywood, sodass man sich fragt, welche real sind und welche nicht. Eigentlich ein interessantes Spiel. Wir drehen eine Runde, vorbei am Beuys-Raum weiter durch die Arkade und langsam Richtung Ausgang: Kunstpause ist Prosecco-Pause! Und die beste Zeit für ein kurzes Interview.
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MIT STEFAN DIEZ AUF DER DOCUMENTA 14 Hier bleibt die Lichtquelle stets unsichtbar, und das Licht tritt allein über den Glasschliff des Zylinders aus. Guise, Diez Office, aus der Ausstellung Full House. Fotos: Gerhardt Kellermann
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DESIGN Kluge Anschläge: die Schreibmaschinenzeichnungen von Ruth Wolf-Rehfeldt, Neue Neue Galerie
— Stefan, du hast vorhin erzählt, dass deine allererste Ausstellung in der Pinakothek in München die beste war: Warum? Man kann die beiden Ausstellungen nicht vergleichen: Für die Inszenierung des Rosenthal Design Awards habe ich überdimensionale Blumenkästen aus gefalteten Aluminiumblechen über die Balustrade des Atriums der Pinakothek gehängt, sodass jedes der Objekte seinen eigenen Raum bekam. Somit standen die Arbeiten nicht in Konkurrenz zueinander und hingen dabei frei im Luftraum: Damit konnte ich einen Ort schaffen, wo vorher keiner existierte. Das sah, wenn man unten reinkam und nach oben schaute, super aus. Der Aufwand der Herstellung war ziemlich gering, aber der Effekt war groß. Und ich erinnere mich, dass Konstantin Grcic (Diez hat drei Jahre bei Grcic gearbeitet, Anm. d. Red.), sichtlich beindruckt war, als er reingekommen ist. Das hat mir damals viel bedeutet. Interessanterweise gibt es hier eine Parallele zu Full House im MAKK, denn auch dort fand die Ausstellung nicht im Ausstellungsraum, sondern auf den Durchgangsflächen statt. — Drei Dinge, die für deine Arbeit stehen: Instinkt, Handwerk und Verbindlichkeit? Zuversicht fehlt!
— Gibt es Grenzen, die du akzeptierst? Es gibt Grenzen vom Material her oder vom Fertigungsverfahren, die muss man akzeptieren: Es geht nicht darum, als Designer etwas zu beugen, also mit Gewalt zu verbiegen, um dann enttäuscht zu sein, dass das Material, dein Produkt oder deine Idee an irgendeiner Stelle in die Knie geht. Idealerweise entwirft man so, dass die Stärken eines Materials oder eines Verfahrens genutzt werden und dadurch Leichtigkeit entsteht, weil man eben nichts vergewaltigt. Ein japanischer Freund von mir – auch ein Designer – hat es mal ganz schön gesagt: Die europäischen Designer versuchen oft, das Material zu dominieren. Die Japaner akzeptieren Imperfektion und sind viel demütiger gegenüber dem Material. Und dann gibt es die eigenen Grenzen. Das sind dann die, die am schwierigsten zu akzeptieren sind. Was könnte aber eine andere Haltung sein, außer der, sie zu akzeptieren? — Ist Design denn für dich ein demokratischer Prozess? Nein, finde ich nicht. Design kann demokratisch sein, aber der Prozess ist kollaborativ. Design muss an die Grenzen gehen, das liegt nicht im Wesen des demokratischen Prozesses. — Wie es aussieht, bist du von deiner Arbeit auch, entschuldige das Wort: besessen. Was bringt dich dazu, immer weiter zu gehen? Meine Arbeit macht mich glücklich. Designer zu sein, kann im handwerklichen Sinne sehr zufrieden machen. Man schafft etwas aus sich heraus, was es so vorher nicht gab. Es ist manchmal ein Rätsel, eine Akrobatik für Geist und Hand und auch: Lust am Spiel!
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MIT STEFAN DIEZ AUF DER DOCUMENTA 14 Diez Office, Chassis für Wilkhahn: Dieser Stuhl wird mit Technologie aus der Automobilindustrie und aus Stahlblech gefertigt. © Diez Office
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MIT STEFAN DIEZ AUF DER DOCUMENTA 14
Links: Aluminiumregal New Order fĂźr HAY Foto: Gerhardt Kellermann und Jonathan Mauloubier Rechts: New Order im Studio von Stefan Diez Foto: Rasmus Norlander 56
DESIGN
Inzwischen liegt der erste Documenta-Tag hinter uns, und wir
— Kann man heute noch ruhigen Gewissens Produkte aus
befinden uns beim Abendessen. Stefan ist, so hört und liest man überall, ein guter Koch, der es sich nicht nehmen lässt, regelmäßig im Studio für sein Team zu kochen. Zeit, ans Eingemachte zu gehen:
Plastik entwerfen? Machen wir eine einfache Rechnung auf: Am Beispiel eines handgeflochtenen Korbs aus Afrika für 50 Euro: Der Korb besteht aus einer Mischung aus Weidengeflecht und Left-over-Plastikschnüren. Diesen Wäschekorb benutzt man vielleicht fünf Jahre, dann ist das Ding kaputt. Kauft man hingegen für 25 Euro einen Wäschekorb der aus Polyethylen hergestellt ist, nach 15 Jahren immer noch wie neu aussieht, und recycled werden kann – da ist es schwierig zu sagen, was besser ist. Das Dilemma ist, dass unsere Paradigmen längst keine Allgemeingültigkeit mehr haben. Alles ist relativ geworden.
— Woran erkennst du eine gute Idee? Sie eröffnet Interpretationsspielraum. Es geht mir darum, den Phänotyp einer Idee zu extrahieren. Ich bin kein Designer, der an Formalismen festhängt und die perfekte Proportion sucht: Veränderungen im Laufe eines Prozesses sollte man als Chance sehen und sich eben nicht festbeißen. Eine gute Design-Idee hält das aus, wird dadurch vielleicht sogar besser. Das wollten wir bei unserer Ausstellung Full House zeigen. — Wie viel Prozent der Zeit verbraucht ihr in deinem Studio ohne greifbares Ergebnis? Das Scheitern findet ja nicht nur am Ende eines Projektes statt, es kann jeden Tag passieren – also im Kleinen: Trial and Error, der Versuch und der Fehler. Du stellst eine Annahme auf den Tisch und schaust, ob sie standhält. Und wenn ich das mit einbeziehe, würde ich sagen, dass wir wahrscheinlich 90 Prozent unserer Zeit mit dem Error beschäftigt sind. — Das Eingestehen von Fehlern gehört also auch dazu. Aber wie du schon meintest: Scheitern muss man sich auch leisten können. Scheitern klingt immer negativ, obwohl man erst durch Fehler etwas lernen kann. Risiko und Verlust spielen beim Scheitern eine große Rolle. Es wäre ja wertlos, wenn man damit nicht auch etwas zu opfern bereit wäre. — Was sind die besten Argumente eines Designers? Relevanz, Schlüssigkeit und Prägnanz.
— Fällst du nach einem Projekt eigentlich auch mal in ein Loch – also: Ist der Weg eigentlich wichtiger als das Ziel? Es ist extrem wichtig, Dinge abzuschließen. Obwohl es schwierig sein kann, wirklich aus den Projekten herauszukommen. Es gibt eben nicht diesen einen Moment, wo es vollbracht ist. Ein Produkt wird vorgestellt, oft zu einem Zeitpunkt wo es noch nicht fertig entwickelt ist. Später kommt es auf den Markt, und dann kommen möglicherweise irgendwelche Schwachstellen zutage, und man ist als Designer wieder involviert. Wenn es gut läuft, bleibt das Produkt zehn Jahre oder länger auf dem Markt und damit wächst das Vertrauen des Nutzers. Eine Qualität, die mir jetzt erst so richtig bewusst geworden ist. — Klingt leidvoll, das muss man auch aushalten können … Etwas aushalten: Dahinter steckt etwas sehr Wichtiges! Nicht allem Druck sofort nachzugeben. Dann zeigen wir in Mailand eben mal gar nichts Neues, weil wir sechs Jahre nur an einem Projekt arbeiten! Sich also Zeit zu nehmen: Es geht nicht darum, immer neue Produkte zu machen. Ich finde es spannend, aus dem Potenzial, das wir gerade haben, komplexere, bessere Produkte zu schaffen.
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MIT STEFAN DIEZ AUF DER DOCUMENTA 14 Distanz zu seiner Arbeit kennt Diez nicht. Gibt es ihn denn auch ohne Design? „Ich habe mich irgendwann entschlossen, alles miteinander zu vermischen: Familie, Freunde, Arbeit“, antwortet er und fügt hinzu, dass er auch gerne am Wochenende im Studio sei. „Das ist für mich der schönste Ort. Dort gibt es viele nach außen gekehrte Gedanken, die mir beim Umherstreifen begegnen. Im Studio Diez gibt es immer viel zu tun und viel zu kommunizieren: Zwischendurch telefoniert Stefan Diez immer wieder mit Rolf Hay und bespricht mit seinem Team Materialbestellungen für Prototypen. Wie auf Preview-Tagen üblich, treffen wir eine Vielzahl wichtiger Leute. Stefan kennt sie alle. Und alle kennen Stefan Diez. Was wir nach diesem Tag nicht behaupten können, ist, wirklich ein Bild von der Documenta 2017 bekommen zu haben. Einigkeit besteht allerdings in der Antwort auf die Frage nach der Zugänglichkeit der weltweit wichtigsten Kunstausstellung. Das kuratorische Konzept bleibt uns allen schleierhaft – „Checkt ihr das?“
Documenta in Kassel 10. Juni bis 17. September 2017 www.documenta14.de
„Das ist ja unfair“, sagt eine junge Frau aus der Kunstgesellschaft abends auf einer Party. Es ist spät, die Bar noch offen, die Getränke gratis: der beste Moment also für große Gefühle, für Enttäuschungen, Glück und Spaß. „Ihr habt hier ein Date mit Stefan Diez und müsst euch gar nicht nur diese schlechten Ausstellungen anschauen!“ Immerhin kann sie noch lachen. In der Tat treffen wir viele Leute, die mit dieser Documenta 2017 nicht zufrieden sind, enttäuschte Gesichter, verzweifelte Menschen vor Kunst. Einer wie Stefan Diez aber lässt sich seine Laune nicht verderben: „Das tollste Kunstwerk, das ich heute gesehen habe, war das Hemd von Christoph (gemeint ist Christoph Amend, Chefredakteur vom ZEITmagazin, Anm. d. Red.)“, meint er. „Das war doch ein echter Jackson Pollock, oder?“ Diez grinst noch einmal, bevor er mit seiner roten Tasche in Richtung Bahnhof verschwindet.
PORTRÄT
SCHWEIZER MÖBELORIGAMI
DESIGN
TEXT: NORMAN KIETZMANN FOTOS: HORGENGLARUS
GA Stuhl aus dem Jahr 1955
So leichtfüßig geht Mid-Century: Hans Georg Bellmann hat in den Fünfzigerjahren eine Reihe wegweisender Möbel entworfen, von denen drei Exemplare jetzt von Horgenglarus neu aufgelegt werden. Der frühere Bauhaus-Student brachte Tische zum Tanzen und forderte sogar Charles und Ray Eames heraus. 59
PORTRÄT
Einpunktstuhl Das Design ist eine riesige Fundgrube,
terial eine verblüffende Leichtigkeit ab,
Bis zu fünf kompakte Tische ließen sich
aus der immer wieder spannende Dinge ans Tageslicht befördert werden. Ein Werk, das bislang fast nur in Fachkreisen wahrgenommen wurde, ist das des Schweizer Gestalters Hans Georg Bellmann (1911–1990). Völlig zu Unrecht, fanden die beiden Designforscher Joan Billing und Samuel Eberli. Die beiden Gründer der Agentur Design + Design organisierten im November 2015 eine umfangreiche Ausstellung über das Werk von Hans Georg Bellmann im Architekturforum Zürich und publizierten parallel dazu seine erste Monografie. Das Echo ließ nicht lange auf sich warten: Noch während der Ausstellungseröffnung wurde Marco Wenger, Geschäftsführer des Möbelherstellers Horgenglarus, von den Besuchern geradezu gelöchert: „Warum sind die gezeigten Arbeiten, die das Unternehmen einst produziert hatte, nicht mehr erhältlich?“ So entstand die Idee einer dreiteiligen Reedition-Serie, die den nach wie vor von Horgenglarus gefertigten Einpunktstuhl ergänzen soll: der Stapeltisch aus dem Jahr 1954, der GA Stuhl aus dem Jahr 1955 sowie der Ateliertisch aus dem Jahr 1953. Der rote Faden im Werk von Bellmann ist die Verwandlung von Holz: Anstatt sich in hölzener Schwere zu verlieren, rang der Schweizer Gestalter dem Ma-
die ihn auf eine Stufe mit zwei weiteren Pionieren der Sperrholz-Verformung stellt: Charles und Ray Eames. Vor allem der GA Stuhl, der von 1955 bis 1970 von Horgenglarus produziert wurde, stellt die konstruktive Raffinesse unter Beweis, mit der der Schweizer Gestalter eine dreidimensional geformte Sitzschale aus Sperrholz kreierte – ein Vorhaben, für das es bis dato keine technischen Erfahrungen gab. Seine Lösung basiert auf einer schlauen Teilung: Bellmann wählte eine etwas breitere Schale und durchschnitt sie in der Mitte. Bevor er sie mithilfe zweier Schrauben an einem Untergestell festzog, verdrehte er die beiden Elemente, sodass aus zwei gebogenen Flächen tatsächlich eine dreidimensionale Struktur wurde. Der Schnitt ist mehr als nur ein konstruktives Detail. Er trägt ebenso dazu bei, dass Licht durch die Rückenlehne hindurchwandern kann und das Möbel – das fortan den Spitznamen „Zweischalen-Stuhl“ erhielt – so mit einer leichten, schwebenden Erscheinung aufwartet. Ein weiteres Möbelstück Bellmanns, das nun wieder in Produktion genommen wurde, ist der Stapeltisch aus dem Jahr 1954. Als Vorlage dienten jene Tabletts, auf denen in den Fünfzigerjahren Stewardessen kleine Aufmerksamkeiten an die Fluggäste verteilten.
übereinanderstapeln, die Bellmann in seinem Atelier zur Aufbewahrung seiner Zeichen- und Malutensilien oder zum Abstellen einer Tasse Tee verwendete. Seine Leichtigkeit verdankt der Tisch den nach oben gebogenen Längskanten, die an einen sanften Flügelschlag denken lassen. Für wohnliche Atmosphäre sorgen Furniere aus Birke, Esche, Ahorn, Mahagoni oder Nussbaum, die sich vom schwarz lackierten oder verchromten Untergestell abheben. Statt die Kräfte mit senkrechten Füßen direkt nach unten abzuleiten, entschied sich Hans Georg Bellmann für eine Schrägstellung. Die physische Präsenz des filigranen Möbels wird damit noch weiter zurückgenommen, während zugleich ein ungewolltes Verrutschen beim Be- und Entladen vermieden wird. Der Stapeltisch findet einen Vorläufer im Ateliertisch, der nun ebenfalls von Horgenglarus wieder in Produktion genommen wurde. Ziel des Entwurfs war eine möglichst leichte Konstruktion, die mit wenigen Handgriffen demontiert und wieder zusammengebaut werden kann und somit auch für häufige Umzüge geeignet ist. Zusätzliche Stabilität erhält der Vollholzrahmen durch beidseitig verzahnte Ecken, die Stöße sicher abfangen und die Stabilität der aus Eiche, Nussbaum oder Buche
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gefertigten Tischplatte erhöhen. Auch hier sorgt die Schrägstellung der Beine für einen leichten, federnden Auftritt, der bis heute nur den allerwenigsten Tischen der Designgeschichte zuteil wird. Was bleibt, ist abermals die Erkenntnis, dass es „die“ Moderne gar nicht gegeben hat. Auch wenn berühmte Klassiker die Erinnerung dominieren, sind dennoch immer wieder spannende Entdeckungen zu machen. Die Möbel von Hans Georg Bellmann sind eine doppelte Bereicherung: Sie zeigen zum einen, dass auch in der Schweiz zur vorherigen Jahrhundertmitte wegweisende Experimente mit Formholz gelungen sind. Und sie beweisen, mit welch spielerischer Leichtigkeit Holzmöbel gedacht und konstruiert werden können. Viele der heutigen Neuheiten können sich davon eine Scheibe abschneiden. Die gesamte Bellmann Kollektion: www.heinze-dear.de/_0259
www.horgenglarus.ch www.designunddesign.ch
Bellmann, der am Bauhaus studiert hatte und als letzter Absolvent ein Möbeldiplom erhielt, bevor die Einrichtung durch die Nazis geschlossen wurde, arbeitete im Anschluss für kurze Zeit im Büro von Mies van der Rohe und übersiedelte dann zurück in die Schweiz. Aus Protest gegen das Nazi-Regime gab er 1936 seinen deutschen Pass ab und erhielt zwei Wochen vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges die Schweizer Staatsbürgerschaft.
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INTERVIEW
SMARTE TECHNIK, SANFTE PRODUKTEVOLUTION Seit 2016 ist Hans-Jörg Müller Leiter für Produkt und Design bei Gira. Das Unternehmen kennt er schon lange: Von 1991 bis 2006 hat er bei Gira in verschiedenen Positionen erst als Marketingmanager, dann als Leiter des Produktmanagements gearbeitet. Danach war Müller beim Sanitärausstatter Hewi tätig. Nun führt der Innovationsmanager Gira und das Thema Smart Home weiter in die Zukunft.
Mit der Gira X1 App lässt sich das intelligente Zuhause von unterwegs per iPhone, iPod touch oder Android-Gerät steuern.
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Was ist das Besondere an Gira? Gira hat eine 111-jährige Geschichte. Seit den Sechzigerjahren setzen wir klare, prägende Designakzente. Eine weitere Besonderheit ist, dass wir sehr verschiedene Zielgruppen haben: Wir bedienen einerseits den Elektro-Handwerker, gleichzeitig den Architekten und zunehmend auch den Endverbraucher. Gleichermaßen für alle interessant zu sein, ist eine sehr komplexe Aufgabe. In allen Fällen spielt das Design – damit meine ich mehr als die formale Hülle – eine immer größere Rolle. Wie entnehme ich das Produkt der Verpackung, und wie gut kann man die Infos darauf lesen? Wie mühelos lässt sich ein Produkt installieren? – Das spielt eine große Rolle für den Handwerker. Wir haben heute viele Produkte, bei denen es um Interfaces geht. Gira entwickelt also die Mischung aus einem guten Handwerksprodukt, sinnvoll innovativer Funktion, Langlebigkeit und gutem formalem Design. Dies ist eine komplexe Aufgabe. Gira hat als Hersteller von Schaltern angefangen, ist heute Komplettanbieter für intelligente Systemlösungen, Design, Funktionen und Interface. Was ist die Zukunft von Gira? Durch das Thema Smart Home wird die gesamte Breite der Wohnformen er-
DESIGN
Modular, kompatibel und flexibel: Die Türkommunikation übernimmt das Gira System 106.
reicht. Gleichzeitig glaube ich, dass wir auf mediale Standards aufsetzen müssen. Wir müssen dazu stets die Anforderungen der Installateure, Architekten und Endkunden im Blick haben. Dazu sind wir sehr viel unterwegs. Denn es geht heute um Orientierung in einer komplex fokussierten Angebotswelt: vom einfachen Wohnen bis hin zur Villa.
ADVERTORIAL
Sie waren bereits bis 2006 bei Gira und sind seit 2016 wieder im Unternehmen. Was hat sich seit Ihrem damaligen Weggang am meisten verändert? Die vernetzte Welt. Denn erst 2007 mit dem Smartphone und 2010/11 mit den ersten Apps wurde es möglich, per Knopfdruck intern oder extern das Zuhause zu steuern. Da hat Gira einiges entwickelt, anderes wird hinzukommen. Das Thema Sicherheit wird eine größere Rolle spielen. Unser eNet hat eine zweite, sehr hohe Verschlüsselung. Die Vernetzung der Funktionen wurde ein wichtiger Punkt in unterschiedlichen Wohnformen und Objekten. Sie sind Innovationsmanager: Was möchten Sie bei Gira erneuern? Für mich geht es vor allem um die maßvolle, kontinuierliche Weiterentwicklung unserer Produktsortimente. Wir haben ja sehr viele verschiedene Pro-
gramme und Geschäftsfelder. Ich sehe mich bei Gira als Jongleur: Ich halte alle Teller stets so in Bewegung, dass keiner herunterfällt. Man darf sie nicht zu langsam bewegen, sollte aber auch nichts übertunen. Das Internet der Dinge ist weiter auf dem Vormarsch. Gira kooperiert derzeit mit Partnern wie Dornbracht, Revox und anderen. Mit welchen neuen Bereichen wird Gira sich künftig vernetzen? Die ganzen Mediathemen, Audiosteuerung, laufende Bilder etc., kommen gerade hinzu. Das Smartphone gibt die Geschwindigkeit dieser Entwicklung vor. Die Frage wird sein: Was macht im Netzwerk zuhause Sinn? Was will man haben? Sicherer Zutritt ins Haus, die sogenannten Keyless-In-Systeme. Datensicherheit. Diese Themen existierten vor ein paar Jahren nicht. Alle Technologien wie Licht, Alarmanlage und Heizung waren früher voneinander separiert. Auch Funktionen wie Receiver oder CD-Player wurden mit eigenen Fernbedienungen gesteuert. Heute macht man alles per iPhone. Das ist eine kleine technische Revolution. Wie intelligent ist Ihr Zuhause? Ich habe ein sehr schönes Siebzigerjahre-Architektenhaus gekauft. Es ist perfekt in Schuss, sodass ich es nicht
sanieren muss. Ohne in die Bausubstanz einzugreifen, ist eine komplexe serverbasierte KNX-Lösung jedoch nicht möglich. Daher nutze ich Funklösungen und rüste schrittweise um. Ich mag es, mit meinem Haus per iPhone zu interagieren. Welche technische Entwicklung fehlt Ihnen persönlich? Keine. Ein Musiker sucht auch nicht nach dem perfekten Song, er macht Musik. Gira hat ja vieles herausgebracht, was Antrieb für andere Hersteller war. Aus dem spielerischen, freudigen Umgang mit dem Fortschritt kann sich schon so viel ergeben. Wenn wir das als Kultur erhalten und weiterbringen, dann ist das eine tolle Geschichte. Die Suche nach dem perfekten System, das man in zwei, drei Jahren haben möchte, blockiert. Macht zu viel intelligente Technik die Menschen blöd? Jeder muss selbst entscheiden, welches Maß an Steuerung, Technik er zulässt. Wie stark man sich davon leiten und lenken lässt. Ich arbeite übrigens relativ wenig mit Apps. Ich glaube, dass der große App-Hype auch schon hinter uns liegt. Für Gira ist intelligente Technik ein zentrales Mittel, um Dinge neu zu vernetzen. Das Kriterium dabei ist nicht die Masse, sondern das, was sinnvoll ist.
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EDITOR’S PICK KÜCHE — VON CLAUDIA SIMONE HOFF
CYLINDA LINE Es gibt Dinge, die gibt man nie wieder her. Die Stücke aus der Cylinda Line von Arne Jacobsen beispielsweise, die vor fünfzig Jahren aus einer schnell hingeworfenen Skizze entstanden sind. Nun hat Stelton die auffällig geformten Teekannen, Wasserkaraffen und Eisbehälter zum runden Geburtstag in kühle Farben aus Emaille getaucht. Sehr elegant in Kombination mit den Klassikern aus Edelstahl! www.heinze-dear.de/_02641
LEE WEST OBJECTS Flaschenöffner, Korkenzieher, Flachmann: Lee West entwirft praktische Dinge, die bei Carl Auböck in Wien gefertigt werden. Der englische Designer hegt eine Vorliebe für einfache geometrische Formen. www.heinze-dear.de/_02642
ANTON WIRE LIMITED EDITION GOLD Ein echtes Kind der Siebziger ist Wire von Verner Panton. Zum 46. Geburtstag des Entwurfs wird geklotzt statt gekleckert: Montana hat den Würfel aus verchromtem Stahl kurzerhand in ein Kleid aus 24-karätigem Gold gesteckt. Das Drahtobjekt ist ziemlich vielseitig: Es dient als Beistelltisch, Nachtschränkchen oder an die Wand montiert als Regal.
KEEP-IT COOL Das Label RIG-TIG koloriert Wasserflaschen, Brotdosen und Kühltaschen in edlem Dunkelgrau und kombiniert dazu Details in Pastelltönen. Die Kollektion Keep-it Cool von Halskov & Dalsgaard zeigt, dass Produkte für unterwegs und gute Gestaltung kein Widerspruch sind.
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DESIGN
SALATBESTECK NO. 15 Immer wieder mal wird die Tableware-Branche aufgemischt durch ein neu gegründetes Label. Im Fokus von Ro aus Dänemark: handgefertigte Produkte aus Holz, Keramik, Glas. Wie der Hygge-Look funktioniert, zeigt das Salatbesteck aus einem Stück Eschenholz. Der Entwurf von Firmengründerin Rebecca Uth spielt mit einer ausgeprägten geometrischen Form und der natürlichen Maserung des Holzes.
CLASSIC Eine Schere ist eine Schere ist eine Schere? Mitnichten, wie Classic von Fiskars zeigt. Die Allzweckschere entstand vor fünfzig Jahren, als ein Griff aus Kunststoff noch ein Novum war. Und erst die Farbe! Bis heute gibt es den Klassiker in knalligem Orange und für Linkshänder in einer roten Version. Die leicht gebogenen Klingen aus Edelstahl schneiden Papier, Garn und sogar Draht. www.heinze-dear.de/_02652
KINTO ALFRESCO Der Sommer ist da! Und mit ihm schöne Tage, an denen man draußen essen kann. Dafür braucht man Tassen und Teller, die unkompliziert sind – so wie Alfresco von Kinto. Leicht und stapelbar, lassen sich die lässigen Stücke mühelos von A nach B transportieren. Die Kollektion des japanischen Herstellers umfasst nur wenige, dafür aber multifunktionale Teile. Ein warmer Rotton lockert das schwarz-weiße Ensemble auf. www.heinze-dear.de/_02653
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EDITOR’S PICK BAD — VON KATHARINA HORSTMANN
VOLA HV1
FONTANE BIANCHE Kontraste aus schwarzem Edelstahl und weißem Marmor lassen die Armaturen und Waschtische von Elisa Ossino für Fantini und Salvatori absolut zeitlos wirken.
Glänzende Aussichten: Neben klassischem Chrom und leuchtenden Farben bietet Vola die ikonische Armatur HV1 von Arne Jacobsen auch mit exklusiven PVDBeschichtungen wie Gold oder Kupfer an. Die Oberflächenveredelungen sind resistent gegenüber Kratzern, Abrieb und Korrosion und bewahren ihren Glanz über viele Jahre hinweg.
www.heinze-dear.de/_02661
www.heinze-dear.de/_02662
ANTONIOLUPI ATLANTE Für Antoniolupi haben die Designer Silvia Nerbi und Andrea Bogazzi ein Waschbecken in Form einer antiken Säule entworfen, das aus einem Stück Marmor gefräst wird. Anstelle eines Kapitels krönt den mit Rillen versehenen Schaft von Atlante ein rundes Bassin. Im Zentrum der Vertiefung deckt ein ebenfalls aus Marmor gefertigtes Sieb den Abfluss ab. www.heinze-dear.de/_02663
DALLMER CERAFLOOR SELECT Exklusive Metalltöne hat auch Dallmer im Portfolio. Der sauerländische Spezialist für bodengleiche Duschrinnen bietet seine Designlinien wie Cerafloor Select mit matten PVD-Beschichtungen in Anthrazit, Rotgold und Messing an. Je nach Farbe setzen die besonders widerstandsfähigen Abläufe starke Akzente oder verschmelzen mit dem Bodenbelag im Badezimmer. www.heinze-dear.de/_02664
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VON DER NASSZELLE ZUM PREMIUM-SPA
DESIGN
Axor ShowerHeaven 1200 kombiniert vier Strahlarten. Foto: © Axor/Hansgrohe SE
BAD RELIGION
TEXT: CLAUDIA SIMONE HOFF
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VON DER NASSZELLE ZUM PREMIUM-SPA
Das Bad von heute muss ein Multitasker sein: Ort der Hygiene, Kontemplation und Entspannung, Spielfeld für gute Gestaltung und avancierte Technik. Und es gibt ein neues Zauberwort: Private Spa. Es verspricht Gesundheit, Fitness, Wohlbefinden. Wie diese Verheißung auf sechs Quadratmeter passt? Christian Sieger weiß es.
Das deutsche Badezimmer ist durchschnittlich 7,8 Quadratmeter groß. Daran scheint sich auch Sieger Design orientiert zu haben, als das deutsche Designbüro das Architekturkonzept Small Size Premium Spa (SSPS) entwickelt hat. Auf gerade einmal sechs Quadratmetern Fläche ist dort nämlich ein komplettes Spa für zuhause untergebracht – mit einer Trocken- und einer Nass-Zone. Doch wer glaubt, kleine Fläche bedeute kleiner Preis, der irrt. Man darf getrost davon ausgehen, dass das individualisierbare und zugegebenermaßen ziemlich ansehnliche Ensemble aus vertikalen und horizontalen Duschvarianten, (Doppel-)Waschtisch, ausgeklügelten Licht- und Duftszenarien locker den Preis einer Einzimmerwohnung in einem besseren Stadtteil Berlins kostet. Auch wenn Christian Sieger, Geschäftsführer und Marketing Direktor von Sieger Design, relativiert: „Die Architekturstudie lässt sich individuell adaptieren. Auch wenn wir bis dato nur Premiumbäder visualisiert haben, ist das Konzept selbstverständlich ebenso in preisgünstigeren Varianten umsetzbar. Die Kosten hängen insbesondere von den verwendeten Materialien und Produkten ab.“ Nun könnte man denken, dass, wer so viel Geld für ein Badezimmer ausgibt, sich nicht auf sechs Quadratmeter Fläche beschränken müsse. Weit gefehlt, wie Sieger meint: „Wir sehen
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einen Paradigmenwechsel: Da große Häuser auch eine Belastung darstellen, werden kleine, aber hochfunktionale Wohnräume für kommende Generationen einen hohen Attraktivitätswert haben.“ Hinzu kommt die stetig zunehmende Urbanisierung. Schätzungen gehen davon aus, dass im Jahr 2050 bereits 70 Prozent der Weltbevölkerung in Städten leben werden. Die Folgen sieht man schon jetzt in Metropolen wie London, Paris oder Hongkong: Die Immobilienpreise steigen ebenso rasant, wie sich die Wohnfläche verkleinert. Auch deshalb erweist sich die Idee vom Private Spa als zeitgemäß, geht es doch darum, „aufzuzeigen, dass man auf kleinem Raum in verdichteter Weise alles unterbringen kann, was ein hochwertiges Spa ausmacht“, sagt Sieger, der für Bad- und Sanitärhersteller wie Dornbracht, Duravit und Alape arbeitet. Im Münsterland betreibt Sieger Design eine regelrechte Badezimmer-Versuchsfabrik. Im hauseigenen Wasserlabor werden Versuchsreihen durchgeführt, die Wirkkraft des Wassers untersucht, gesellschaftliche und gestalterische Trends in echte (Sanitär-)Produkte umgesetzt. Überspitzt könnte man sagen: Erst war die Küche dran, jetzt das Badezimmer. Es wird zum Statussymbol, zum Distinktionsraum, mit dem man guten Geschmack und Zeitgeistigkeit demonstriert. Doch während die Küche vor allem der Kom-
DESIGN
Auf der ISH 2017 stellte Sieger Design ein Spa-Konzept fĂźr ein Hotelzimmer vor. Die noble SSPS Suite, eine Erweiterung der 2015 vorgestellten Studie, findet Platz auf acht Quadratmetern, das WC ist als separate Architektureinheit konzipiert. Mit dabei: luxuriĂśse Duschanwendungen, Dampfbad, vorprogrammierbare Licht-, Duft- und Soundszenarien. Fotos: Sieger Design
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VON DER NASSZELLE ZUM PREMIUM-SPA
Zonenarchitektur: Auf nur sechs Quadratmetern Fläche hat Sieger Design ein Spa mit ausgeklßgelter Trocken- und Nass-Zone untergebracht. Die Studie Small Size Premium Spa (SSPS) umfasst drei Designstile, hier Broadening Horizons. Foto: Sieger Design
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DESIGN
LifeSpa ist ein Konzept von Dornbracht, hinter dem die Idee einer gesundheitsorientierten Badgestaltung steckt. Es integriert Wasseranwendungen wie Wechselduschen, Güsse und Wassermassagen. Foto: © Markus Jans, Dornbracht
munikation dient, geht es im Badezimmer ruhiger zu. Soll es auch, denn schließlich wünschen sich die meisten Nutzer das Badezimmer als Rückzugsort, wo man entschleunigen und gleichzeitig etwas für die Gesundheit tun kann. Kein Wunder also, dass das Badezimmer von Architekten, Designern und Herstellern als (Intim-)Raum mit Wellness-Qualitäten und Rekreationsmöglichkeiten entdeckt wird. Wo man früher Gesundheit, Fitness und Wohlbefinden an externen Orten wie (Wellness-)Hotels und Fitnessclubs suchte, soll man dem Selbstoptimierungswahn nun auch zuhause frönen: mit programmierbaren Duschszenarien, zusammenklappbaren Saunen und gesundheitsversprechenden Accessoires – am liebsten alles in einem Raum und aufeinander abgestimmt. Unbestrittener Meister der Inszenierung von Wasser ist Dornbracht, wie auch auf der ISH 2017 zu sehen war. Der deutsche Hersteller zeigte mit LifeSpa einen ganzheitlich konzipierten, mit den eigenen Produkten ausgestatteten Spa-Bereich. „Gesundheitsvorsorge findet in der Zukunft zu einem großen Teil im eigenen Zuhause statt“, davon ist Andreas Dornbracht überzeugt. Neben dem Design ist auch die Technik der (Wellness-)Produkte von Dornbracht elaboriert, wie Horizontal Shower zeigt. Die von Sieger Design entworfene horizontale Dusche ist auch Kernelement der Weiterentwicklung des Small Size Premium Spa: Die acht Quadratmeter große SSPS Suite ist für Hotelzimmer und -suiten konzipiert und wurde im
Unterschied zum Vorgängermodell von Sieger Design um ein separates WC-Architekturmodul ergänzt, das von zwei Seiten begehbar ist. Sieger sieht das Potenzial der in verschiedenen Stilwelten erhältlichen Architektureinheit insbesondere bei Business-Hotels: „In den Bädern mangelt es häufig an Emotionen und Regenerationsmöglichkeiten. SSPS Suite bietet die Möglichkeit, Spa-Funktionen direkt im Gästezimmer zu verorten und so wachsenden Komfort- und Qualitätsansprüchen gerecht zu werden.“ Egal was man von Private Spas zum Preis einer Einzimmerwohnung, von Duftnebel und Smart Tools halten mag: Das Badezimmer ist neben der Küche der komplexeste Raum des Hauses – in funktionaler wie technischer und ästhetischer Hinsicht. Hier kristallisieren sich kulturelle Normen, gesellschaftliche Trends und persönliche Vorlieben. Im Badezimmer sind wir schließlich jeden Tag. Und zwar genau 49 Minuten.
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INTERVIEW
JAPAN AM DRÜCKER VON JEANETTE KUNSMANN
Seit 1980 fertigt Toto sein Washlet. Dass es heute keine außenliegenden Anschlüsse mehr hat, verdankt es den Gestaltern aus Europa. Warum aber soll man eine Toilette kaufen, die zwischen 2.000 und 10.000 Euro in der Luxusversion kosten kann? Ein Gespräch mit Satoshi Ishikawa, Managing Director Toto Europe
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DESIGN Kulturelle Unterschiede zwischen Asien und Europa findet man auch im Badezimmer. Natürlich. Die japanische Badkultur ist sehr ausgereift und wird weltweit geschätzt. Die Japaner baden jeden Tag! Aber bevor sie baden, duschen sie. Die Dusche dient der Reinigung, das Bad der Entspannung. In Europa werden Badewanne, Dusche und Toilette oftmals nicht getrennt – das ist in Japan unvorstellbar. Bei uns befindet sich auch die Toilette immer separat in einem Extraraum. Was irritiert Sie am meisten an den europäischen und an den deutschen Toiletten? Wir haben in Japan das Dusch-WC entwickelt, das wir bei TOTO „Washlet“ nennen. Anders als die Europäer, nutzen die Japaner in fast jedem Haushalt das Washlet, das heißt ein WC mit integrierter Bidetfunktion. Sie genießen die verbesserte Hygiene und den Komfort, außerdem wird kein Bidet benötigt. Ein Washlet findet man heute in über 75 Prozent der japanischen Haushalte. In Europa sind es nur knapp drei Prozent! Es ist nicht die europäische Toilette an sich, die uns irritiert – wir wundern uns nur manchmal, dass die Europäer zum Teil so zögerlich auf den Komfort eines Dusch-WCs anspringen. Andere wiederum wollen nichts anderes mehr, wenn sie es kennen. Wie ist Totos Strategie für den europäischen Markt? Und für den deutschen? Der europäische Megatrend ist, dass sich das Badezimmer immer mehr zum Wellnessraum und zum Spa-Bereich entwickelt. Die Menschen möchten im Badezimmer entspannen und regenerieren. Darauf sind unsere Produkte ausgerichtet. Sie bereichern das Leben, machen es angenehmer. Unsere Produkte, die wir dafür anbieten – ganz konkret die WashletTechnologie – gelten im internationalen Vergleich als die ausgereiftesten. Wir verfolgen unter anderem die Strategie, möglichst viele Menschen mit den Vorzügen unserer japanischen Sanitärprodukte vertraut zu machen. Daher gehen wir sehr stark auch über die gehobene Hotellerie. Auch Gesundheitseinrichtungen profitieren von unseren Produkten. Wir studieren Kunden, ihre Bedürfnisse und ihre Wünsche sehr genau und stimmen darauf in den jeweiligen Märkten die Produkteinführungen ab. Gibt es denn spezielle Produkte nur für Europa? Sicher gibt es die. In Europa sind, anders als in Japan, die meisten Toiletten Wand-WCs, was meiner Meinung nach viel
praktischer ist. Daher entwickeln wir für den europäischen Markt entsprechende Produkte – und das wiederrum ist sehr inspirierend für uns in Japan. So haben wir auch den europäischen Trend aufgegriffen, den Wasser- und Stromanschluss nicht mehr seitlich zu verlegen, sondern nicht sichtbar im Washlet zu integrieren. Wir kombinieren die jeweiligen Vorteile aus Deutschland, Europa und Japan und schaffen so einen sehr hohen internationalen Standard. Wie sieht das Badezimmer der Zukunft aus? Wie schon gesagt, Entspannung und Wellness werden sicher immer wichtiger: Life Anew war daher unser Leitgedanke auf der zurückliegenden ISH 2017, weil wir darin einen Trend für die Zukunft sehen – auch für das europäische Badezimmer. Ferner werden immer mehr digitale Medien Einzug ins Bad halten. Komfort, Hygiene und Wellness sind die Schlagworte für das Badezimmer der Zukunft. Wird das Bad zum Wohnzimmer? Manche essen ja sogar in der Badewanne … Es gibt viele Trends, das Bad wohnlicher zu machen oder in den Wohnbereich zu integrieren. Badewannen stehen im Wohnzimmer, oder das Badezimmer verschmilzt mit dem Schlafzimmer. Oder bequeme Sitzmöbel halten Einzug ins Badezimmer. Inwieweit sich dieser Trend fortsetzt, bleibt abzuwarten. Wellness steht bei einem Wannenbad im Vordergrund, noch stärker als der Hygieneaspekt. Die neuen digitalen Technologien sind zunehmend auch im Badezimmer verfügbar und werden dort integriert. Unter unseren Kunden, die sich eine Toto-Badewanne kaufen, sind etwa zehn Prozent, die sich gleich einen Bildschirm mitbestellen.
de.toto.com
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NEWCOMER
© Child Studio
© Kiwi Bravo und Alejandra Perini
© Studio Imke
NEWCOMER IN THE SHADOW OF A MAN — AKROBATISCHE LEUCHTEN Das Londoner Child Studio stellt mit der Serie In the Shadow of a Man Leuchten vor, die mit dem Licht jonglieren wie Zirkusakrobaten. Zwischen den Gipfeln der Holzgeometrie sitzt die Lichtquelle. Sie ist statisch – und erweckt beim Betrachter doch das Gefühl einer Momentaufnahme. Vier Versionen in Blockfarben haben Chieh Huang und Alexey Kostikov entworfen. Unter der Lasur bleibt die Maserung des Holzes erkennbar, sodass sie zum Ornament der Oberfläche wird. Chieh Huang und Alexey Kostikov www.childstudio.co
CÉTOINE — IRRITIEREND IRISIEREND
OBJEKT1000 — FUNKTIONALE GRAUZONE
Cétoine (der „Goldglänzende Rosenkäfer“) trägt ein in Grün- und Pink-Nuancen schillerndes Schild. Exakt die Farbtöne dieses Käfers finden sich auf dem gleichnamigen Entwurf der spanischen Designer Kiwi Bravo und Alejandra Perini wieder. Zwei extrudierte und in Facetten unterteilte Halbkreise bilden die Beine, wobei die glatten Flächen nach außen weisen und in ein Rechteck aus Metall eingefasst sind. Dadurch lassen sich mehrere Hocker zu Bänken zusammenrücken und die halben Zylinder setzen sich zu vollen zusammen.
Objekt1000 – das klingt nach Technik, Multifunktion und Futurismus. Imke Höfkers Metallobjekt allerdings ist von eindeutigen Eigenschaften befreit. „Was, wenn die Objekte, die uns umgeben, uns erst die Frage nach ihrem Sinn stellen würden?“, fragt Höfker. Ihr Ding besteht aus flachen Metallstreifen und einem hohlen Rohr. Sind die Streifen Füße und das Rohr ein Kerzenständer? Könnten wir Stifte reinstecken oder Bücher anlehnen? Erst durch Ausprobieren wird das Abstrakte sinnvoll. Auf dem Weg zur Funktion gibt es Einsichten, die man mit klar definierten Objekten nicht hat.
Kiwi Bravo www.kiwibravo.com Alejandra Perini www.alejandraperini.com
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Imke Höfker www.studioimke.com
DESIGN
© Christian Heikoop
© Kazuya Koike, Doogdesign
Foto: Norbert Van Onna
Diese Designer sollten Sie kennenlernen – unter 35, talentiert und ready for take-off.
VON TANJA PABELICK
GLISSADE — INDOOR-CAMPING
POINTS COLLECTION — SCHALEN-CODE
COLORS OF THE DAY — ZEIT OHNE ZEIGER
Camping-Equipment ist flach verpackt, leicht zu transportieren und selbstverständlich schnell aufgebaut. Talente, die auch im Wohnraum positive Nebenwirkungen haben. Christian Heikoop, Bachelor-Absolvent der Design Academy Eindhoven, hat sich von der Konstruktion einer Retro-Campingausrüstung zu seiner Serie Glissade inspirieren lassen. Gebogene Metallstangen und genähte Lederschläuche machen aus flachen Komponenten ein funktionales Objekt in 3D. Und aus einem angestaubten Produktklassiker ein salonfähiges Indoor-Möbel.
Die japanische Firma NC Industry durchlöchert seit 40 Jahren Dinge. Kazuya Koike von Doogdesign hat sich mit den Potenzialen des Traditionsunternehmens auseinandergesetzt. Er gestaltete Schalen und Schüsseln mit Bemusterungen, die als flaches Blech aus der Maschine kommen. Die perforierten Linien werden zu Sollknickstellen, und manuelles Biegen bringt sie in die vordefinierte Form. Die Points Collection besteht aus materialeffizienten und ultraleichten Objekten, die sich einfach in einem Briefumschlag versenden lassen.
Petrischalen machen sich neben ihrem natürlichen Habitat des Laborkühlschranks auch gut als Gefäß für getrocknete Pflanzen, Display für Schmuckstücke oder Gewürzdose. Die Designer Thomas Vailly und Laura Lynn Jansen haben ein Wandobjekt zwischen Zeitmesser und Leuchte entworfen, das wie eine übergroße Petrischale an der Wand hängt. Im Verlauf eines Tages verändert sich Colors of the day und bildet den Tag nicht in Sekunden und Minuten ab, sondern weist jedem Moment ein individuelles Farb- und Lichtspiel zu.
Christian Heikoop www.christianheikoop.com
Kazuya Koike www.doogdesign.jp
Thomas Vailly www.vailly.com Laura Lynn Jansen www.lauralynnjansen.com
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2 MEHR WASSER
1 MEHR OBST ESSEN
HEALTHCARE
DOSSIER
3 MEHR REGELN BRECHEN
TRINKEN
DREI REGELN FÜR EIN GESÜNDERES LEBEN:
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PROJEKTE
LAMINIERTES
TEXT: TANJA PABELICK FOTOS: JILL TATE
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DOSSIER
EINFÜHLUNGSVERMÖGEN
Die Grafikerin und Farbaktivistin Morag Myerscough hat einer Kinderklinik in Sheffield ein psychologisch wirksames Make-over verpasst. 79
PROJEKTE
FARBCODE: REGENBOGEN Laminat als Oberfläche lautete die Vorgabe. Morag Myerscough hat vier Farbfamilien entwickelt und die Muster samt Holzmaserung auf Papier drucken und laminieren lassen.
Ein einfühlsames Interieur wirkt nachweislich positiv auf kranke Menschen. Trotzdem sehen Kliniken oft abschreckender aus als jede Behörde. Es liegt an den strengen hygienischen Auflagen, argumentieren die einen. Es bleibt dennoch jede Menge Spielraum, beweisen andere. Wie gemütlich es tatsächlich werden kann, lässt sich im Umbau des Sheffield Children’s Hospitals erleben. Krankenhäuser sind traditionell so nüchtern gestaltet, dass der Ausdruck „klinisch“ mittlerweile für ein tristes und unterkühltes Interieur steht. Wer die Augen schließt, sieht Fliesen, flackernde Neonröhren und furniertes Buchenmobiliar. Wer sie allerdings zufällig im Sheffield Children’s Hospital wieder öffnet, bekommt eine quietschvergnügte Alternative serviert. Zu verantworten hat diese Morag Myerscough. Die Britin trägt einen strengen weißen Kurzbob und hat ihr Studio in einem weiß gestrichenen Fabrikgebäude eingerichtet – alles Übrige aber findet ausschließlich in Farbe statt. Sie selbst trägt Gewänder in Blockfarben, an den Wänden ihrer Arbeitsräume hängen Präsentationsblätter mit Neonbuchstaben und Pastell-Akzenten. Myerscough ist eine Gestalterin, die keine Grenzen zwischen den Disziplinen zieht. Sie nutzt Raum in jeder Dimension für ihre Installationen und Inszenierungen zwischen Grafik, Pop-Art und urbaner Intervention.
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Einige Beispiele aus der letzten Zeit: ein gigantischer Wasserball in einem Londoner Kreisverkehr und krawallbunte Kräne in der Skyline von Greenwich Peninsula. Myerscoughs Umgang mit Farbe ist teilweise so kühn und plakativ, dass sie den Zuschauer unmittelbar in eine Comic-Szene teleportiert. Dieser Effekt macht die Gestalterin auch zur optimalen Besetzung für die Umgestaltung eines Kinderkrankenhauses. Denn wenn ein Ort gut daran tut, mit Fröhlichkeit von seiner Funktion abzulenken, dann eine medizinische Einrichtung. Es ist nicht Myerscoughs erste Klinik. Schon 2015 hat sie einen Flügel im Royal London Hospital mit Pinsel und Farbe einer Transformation unterzogen. Damals allerdings die Flure und den Empfangsbereich, während sie im neuen Sheffield Children’s Hospital die Patientenräume gestaltete. „Ich habe noch niemals Schlafzimmer gemacht. Eine großartige Herausforderung. Im Vergleich zu Korridoren oder öffentlichen Bereichen sind sie sehr komplex – erst recht in einer Einrichtung für Kinder, bei der besondere Kontrolleinrichtungen berücksichtigt werden müssen“, sagt sie.
GETARNTE TECHNIK Das Projekt beinhaltet 46 Einzelzimmer und sechs größere Zimmer für Mehrfachbelegungen. Die räumliche Organisation stammt aus der Feder des Büros Avanti Architects. Sie versteckten viele der technischen Installationen; Steckdosen und Kabel verschwinden hinter Paneelen und lassen die Räume unmittelbar wohnlicher wirken. Speziell die von Myerscough geplante farbliche Neugestaltung wurde allerdings zu einer Hürde. Die Hygienevorschriften der Klinik
DOSSIER
schließen aus, dass die Grafiken direkt auf die Wände gemalt werden. Oberflächen müssen wischfest sein und zuverlässig zu sterilisieren. „Ich bekam die Vorgabe: Was immer ich auch machen will, ich muss es auf Laminat machen“, erklärt Myerscough. Eine Bedingung, die der Arbeit der Gestalterin eigentlich entgegenkommt. In vielen Projekten nutzt sie strukturiertes Holz als Basisebene für Siebdrucke mit kräftigen Farbflächen.
LAMINIERTES ARTWORK Bei der Laminatproduktion wird eine Holzoptik auf Papier gedruckt, auf Platten aufgebracht und dann mit einer Schutzoberfläche versiegelt. Für die Paneele des Sheffield Children’s Hospitals sollte ihre Arbeit vor dem Finish in den Fertigungsprozess eingebunden werden. Mit dem von ihr eingesetzten Siebdruckverfahren, bei dem jede einzelne Farbe über ein eigenes Sieb aufgestrichen wird, scheiterte sie allerdings. „Wir stellten schnell fest, dass es mit unseren Methoden nicht funktioniert. Nach ein bis zwei Farbaufträgen löste sich unter der feuchten Farbe das Papier auf “, erzählt sie im Rückblick. Sie stieg von dem partiell analogen Verfahren komplett auf eine digitale Umsetzung um. „Am Ende haben wir die Holzmaserung eingescannt, das ganze Muster digital auf Papier gedruckt und laminiert. Wir haben es hinbekommen – es hat aber ein Jahr gedauert.“
DER RAUM ALS MEDIZIN Auch bei der Farbpalette wich Myerscough von ihrer üblichen Handschrift ab. Die Nuancen sind kräftig, dazwischen mischen sich aber auch pudrige Töne. Um den Geschmack der Patienten zu treffen, ging sie den direkten Weg – und fragte nach. „Ich bin kein Experte, keine Krankenschwester und ich war auch noch nicht allzu oft im Krankenhaus. Kliniken
sind sensible Orte. Als Künstler musst du zwar deine Vision im Auge behalten, aber zur gleichen Zeit solltest du dich auch um die Sorgen der Menschen kümmern. Es ist viel mehr eine Kollaboration als ein Kompromiss.“ Besondere Anforderungen stellen etwa Patienten mit Konditionen wie Autismus oder eine Abneigung gegen kräftige Farben. Deswegen hat Myerscough insgesamt vier Farbfamilien entwickelt, die sich wiederholen. Es ist aber dennoch kein ausschließlich auf Kinder ausgerichtetes Interieur geworden. Eltern, Ärzte und Pfleger sollen sich hier ebenso wohl fühlen. Über allem steht die Idee, dass auch die Architektur einen wichtigen Beitrag zur Heilung leisten kann. Morag Myerscough ist überzeugt von den positiven psychologischen Auswirkungen, die Farbe und Gestaltung auf die Gesundheit haben. „Niemand fühlt sich besser, wenn er einen tristen grauen Raum betritt. Dass das Interieur vermittelt, dass Leute an dich denken und sich um dich kümmern – das ist die Herausforderung. Es macht die Menschen glücklicher und lässt sie daran glauben, dass man ernsthaft daran arbeitet, dass es ihnen besser geht.“
www.studiomyerscough.com
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PROJEKTE
TEXT: JEANETTE KUNSMANN
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Archivbild, © Alvar Aalto Museum
ARCHITEKTUR STATT ANTIBIOTIKA ALVAR AALTOS TUBERKULOSESANATORIUM IN PAIMIO
DOSSIER Auf der Dachterrasse sollten die Patienten in Paimio nach Plan frische Luft tanken.
Sanatorium mit 184 Betten zu planen:
Paimio Sanatorium. Foto: Maija Holma, © Alvar Aalto Museum
In der Literatur traf es zunächst die Liebenden und die Boheme, in der Realität später vor allem die Armen und das Proletariat. Von Mitte des 19. bis Mitte des 20. Jahrhunderts hatte eine Krankheit die Welt fest in ihrem Griff und ließ jedes Jahr allein in Deutschland Hunderttausende zugrunde gehen: die durch den Erreger Mycobacterium tuberculosis ausgelöste Tuberkulose, von den einen auch Schwindsucht oder Weißer Tod, von den anderen nach ihrem Entdecker Morbus Koch benannt. Das berühmteste Opfer, die Kameliendame Marguerite Gautier, aus dem gleichnamigen Roman von Alexandre Dumas, verhalf der Krankheit 1848 zu ihrer romantischen Komponente. Nur wenige Jahre später von Giuseppe Verdi musikalisch verarbeitet, eroberte die Schwindsucht von Venedig aus die Opernhäuser Europas: In La Traviata („Die vom Wege Abgekommene“) leidet eine Kurtisane an der bisher unheilbaren Krankheit – die Tuberkulose führt sie in den Tod. So romantisch dieser hier wirken mag, abseits von Literatur und Oper wünschen sich die Menschen Gesundheit und Heilung – die nicht immer leicht zu erreichen war. Ohne adäquate Behandlung mit Antibiotika suchte man andere Wege, um der Krankheit Einhalt zu gebieten. Besondere Lösungen fand man in Finnland, vielleicht auch weil dort Antibiotika erst in den Fünfzigerjahren, also verhältnismäßig spät, erhältlich waren. Und so beschäftigten sich nicht nur Ärzte und Wissenschaftler mit der Infektionskrankheit, sondern auch die finnischen Architekten. Alvar Aalto – er war gerade 34 Jahre alt – erhielt 1929 gemeinsam mit seiner Frau Aino Aalto den Auftrag, ein
Das Paar hatte sich mit einem besonderen Entwurf (Drawn Window) und 286 Betten im Wettbewerb durchgesetzt. In ihrem geplanten Neubau mit den vier markanten Flügeln, die über einen Mittelteil verbunden sind, sollten sich die an Tuberkulose Erkrankten erholen und genesen. Von 1930 bis 1933 in den hochgewachsenen Kiefernwäldern bei Turku gebaut, war das Tuberkulose-Sanatorium in Paimio bis Anfang der Sechzigerjahre in Betrieb, 1971 begann man, das Sanatorium in ein Krankenhaus umzubauen. Seit 1987 wird der Bau von der Uniklinik Turku als Therapiezentrum für Kinder mit körperlichen oder geistigen Behinderungen genutzt.
FENSTER VERSUS PETRISCHALE UND ANDERE IRRTÜMER IN PAIMIO Heute leitet eine fachkundige Dame durch die Flure des einstigen Sanatoriums und erzählt von einem fehlgeplanten Heizsystem, zu kurz geratenen Vordächern und dem unglücklichen Umstand, dass einige der eingebrachten Glasflächen kaum zu reinigen waren. Alvar Aalto hatte das Sanatorium und dessen Räume vor allem auf Sonnenlicht, Luft und Ruhe ausgerichtet. So mussten die damaligen Patienten, die zum Teil über Jahre dort blieben, jeweils täglich für mindestens zwei Stunden auf den Terrassen liegen, schweigen und atmen – und das auch im Winter bei Temperaturen von bis zu minus 19 Grad; Lesen war dabei verboten. Dafür gab es warme Fellschlafsäcke. Große Fenster, fröhliche wie zurückhaltende Farben (in Zusammenarbeit mit dem Künstler Eino Kauria) und eine speziell für den Komplex entwickelte Möblierung sollten den Heilungsprozess fördern. Das Fensterglas, so eine der Geschichten, die auf solchen Führungen immer gerne erzählt werden, wurde damals aus Deutschland geordert, denn in
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PROJEKTE
Oben: Sitzmöbel für Tuberkolosepatienten: Paimio Chair von Alvar Aalto, Archivbild Links: Archivbild eines Krankenzimmers in Paimio Rechts: Treppenaufgang im Paimio-Sanatorium. Foto: Maija Holma Alle Fotos: © Alvar Aalto Museum
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DOSSIER solchen Formaten war es vor Ort nicht zu beziehen. Zunächst per Schiff, dann per Eisenbahn und letztlich mit der Pferdekutsche transportierte man die Fenster nach Paimio. Die Antwort auf die Frage, wie viele der großformatigen Scheiben dabei zu Bruch gingen, ist überraschend: angeblich keine einzige.
DER LETZTE STUHL VON PAIMIO Neben der Architektur waren Aino und Alvar Aalto auch mit der gesamten Innenausstattung des Sanatoriums beauftragt. Sie haben sämtliche Einbauten geplant, ebenso alle Leuchten und Möbel, wie beispielweise den Paimio Chair, der den Patienten das Luftholen erleichtern sollte. Anders als die Stahlrohrmöbel des Bauhauses sollte dieser Sessel aus Holz sein, denn „viele von diesen vernickelten und verchromten Stahlmöbeln erschienen uns psychologisch zu hart für ein Milieu kranker Menschen“, schreiben Alvar und Aino Aalto. „Deshalb fingen wir an, mit Holz zu arbeiten, um von diesem warmen und schmiegsamen Material ausgehend durch zweckmäßige Konstruktionen die Basis für einen Möbelstil für Kranke zu schaffen.“ In den Achtzigerjahren empfand man diesen Stuhl allerdings als dermaßen aus der Zeit gefallen, dass man die vielen vorhandenen Originale von 1933 für umgerechnet etwa zehn Euro pro Stück verkaufte – der Rest kam auf den Müll. Unfassbar traurig, dass von den originalen Paimio-Sesseln heute tatsächlich nur noch ein einziger im Sanatorium steht. Von den OriginalAalto-Schränken in den Krankenzimmern hingegen, die die Patienten seinerzeit an hängende Särge erinnerten, kann man sich in einem historisch weitgehend erhaltenen Gebäudeteil sein eigenes Bild machen. Sicher hätten diese auf einem Schiff andere Assoziationen geweckt. Und die Vorhänge, ebenfalls ein Entwurf der Aaltos, wurden längst von Artek wieder ins Sortiment mitaufgenommen – ebenso wie der Beistelltisch 606 von Aino Aalto. Als vielleicht wichtigste Fehleinschätzung der beginnenden Moderne benennt die Paimio-Führerin die Annahme, die richtige Architektur (Licht, Luft, Sonne, Ruhe und Hygiene) könne Tuberkulose heilen. Das habe sich nie bestätigt, denn erst mit Einzug der Antibiotika konnte die Infektionskrankheit erfolgreich bekämpft werden. Schade, hatte Aalto mit seinem Sanatorium doch immerhin bewiesen, dass Gesundheits-
bauten neben einem hygienischen auch einem ästhetischen Anspruch folgen können. In Paimio werden Besucher und Gäste bis heute durch freundliche, zitrusgelbe Flure geführt, die Decke des Speisesaals ist opulent, während die großen Fenster auf der Westseite möglichst viel Tageslicht in den Raum lassen. Elegant geschwungene Treppenaufgänge, großzügige Erschließungen, farbenfrohe Markisen und ein weitläufiger Garten: Man wünscht sich, der zeitgenössische Krankenhausbau ließe sich wenigstens in Ansätzen davon inspirieren.
www.paimiosanatorium.fi
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Fassade als Vorhang: kmyf von Cadence Architects
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Fotos: © Sergio Ghetti + Cadence
PROJEKTE
DOSSIER
MEMBRAN ZWISCHEN HEILEN UND GLAUBEN DIALYSEZENTRUM IN BANGALORE
Tempel werden in der indischen Gesellschaft auch heute noch als Heiligtümer betrachtet. In unmittelbarer Nachbarschaft zu einer solchen Kultstätte einen Neubau zu errichten, ist daher eine heikle und von den Anwohnern kritisch beäugte Angelegenheit: Sie sehen sich als Wächter des kulturellen und religiösen Erbes. Dieser Herausforderung musste sich das Architekturbüro Cadence aus Bangalore stellen, als es ein Dialysezentrum neben einem historischen Tempel plante. Der architektonischen Geste, die selbstbewusst und zurückhaltend zugleich ist, gelingt ein perfektes Neben- und Miteinander. TEXT: TIM BERGE
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PROJEKTE aus dem Krankenhaus konfrontiert. Zusätzlich stellt die Idee einer filternden Membran für die Architekten „eine subtile Referenz auf das Dialyseverfahren“ dar. Die Fassade besteht aus geschichteten Ziegeln: einem traditionellen indischen Baumaterial, das aufgrund seiner Materialeigenschaften für ein gutes Raumklima in der subtropischen Region sorgt. Verkleidet ist die Mauerwerkskonstruktion mit Dämmmaterial und weißem Putz. Die helle und homogene Oberfläche sorgt für den skulpturalen Abschluss des Hauses und seine sinnliche, fast schon textile Qualität. „Das Gebäude hat etwas von Hand Gemachtes“, erklären die Architekten ihre Entwurfsidee. „Wir wollten ein himmlisches Gefühl schaffen und das Die Grundfläche ist mit etwas mehr als 200 Quadratmetern eher klein für ein medizinisches Versorgungszentrum dieser Art. Immerhin sollten 30 Betten an dem Standort inmitten des Zentrums der südindischen Metropole Bangalore untergebracht werden. Und dann ist da noch die direkte Nachbarschaft: ein skulpturaler und farbenfroher Tempelbau. Dieser wird seit Jahrhunderten von den Anwohnern verehrt und gepflegt – und spielt eine tragende Rolle in dem von religiösem Glauben geprägten Alltag. Die Architekten von Cadence reagierten auf den komplexen Kontext mit einem klugen Eingriff: Als weiße Leinwand positioniert sich ihr Neubau neben der religiösen Kultstätte und sorgt dadurch zumindest für einen farblich-neutralen Hintergrund.
SPIRITUELLE ATMOSPHÄRE Die 900 Quadratmeter Nutzfläche verstecken sich geschickt hinter der Hülle aus weißem Putz: Das Erdgeschoss ist zurückgesetzt und bildet einen halböffentlichen Bereich mit Café und Wartezimmer. Darüber stapelten die Architekten vier Etagen, die insgesamt 30 Betten in offenen Behandlungsräumen aufnehmen. Das Gebäudeinnere ist von seiner unmittelbaren Umgebung nahezu vollständig visuell abgeschlossen. Das Tageslicht gelangt nur über in den Faltungen der Fassade versteckte Fensteröffnungen in das Haus und sorgt als indirekte Lichtquelle für eine spirituelle Atmosphäre in den weiß gehaltenen Räumen. Die geschlossene Außenhülle funktioniert als Schutzschicht nach außen wie nach innen: Die Behandlungsräume wirken durch sie intim und sind vor Einblicken geschützt. Gleichzeitig werden die Besucher des Tempels und der umliegenden Häuser nicht mit Szenarien
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Gebäude, das nach Westen ausgerichtet ist, gegen die hellen Sonnenstrahlen schützen.“ Gelungen ist den Planern beides: Das Spirituelle zieht sich durch das gesamte Gebäude. Von seiner äußeren Gestalt bis hin zu der gedimmten Lichtstimmung im Inneren des Krankenhauses: Architektur und Medizin in einer himmlischen Symbiose.
www.cadencearchitects.com
DOSSIER
DIE CYBORG-PIONIERE INNOVATIVE PROTHESEN UND IHRE NEUE ROLLE ALS FASHION STATEMENT
Photo by Lukas Suchorab
TEXT: TANJA PABELICK Bionic Artist Viktoria Modesta mit The Spike, einem künstlichen Bein entworfen von der Bildhauerin und Prothesenspezialistin Sophie de Oliveira de Barata / Alternative Limb Project
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PROTHESENDESIGN
Die Armprothesen vom Start-up Open Bionics werden per 3D-Druck hergestellt.
Gutes Design ist ehrlich. Dieser Leitsatz lässt sich in der Gestaltung universell anwenden. Statt Ungewöhnliches, Auffälliges, Abweichendes zu tarnen, wird es herausgestellt und zum identitätsstiftenden Merkmal. So zeigen sich auch die neuen Prothesen, modisch und hyperfunktional, als in der Gegenwart gelandete Zukunftsvisionen. Und vor allem: bezahlbar.
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DOSSIER Die 29-jährige Musikerin Viktoria Modesta arbeitet als Model, trägt weit aufgetürmte Frisuren und erinnert in ihren grafisch geschnittenen Kurzkleidern an Lady Gaga. Dabei ist das herausstechende Attribut der gebürtigen Lettin eines, das gar nicht da ist. Viktoria Modesta fehlt der untere Teil ihres linken Beines. Bei ihrer Geburt war es deutlich kürzer als ihr rechtes, ihre Jugend verbrachte sie größtenteils in Krankenhäusern. Mit 19 Jahren und nach unzähligen Operationen beendete sie die Tortur – und ließ sich den unteren Teil des Beines amputieren: „Als ich aus dem Krankenhaus kam, trug ich meine
CHANCE ZUR SELBSTGESTALTUNG
Prothese, High Heels und einen Designer-Gehstock. Es gab nicht einen Moment der Reue.“ Heute nutzt Modesta ihre wechselnden Prothesen als modisches sowie künstlerisches und damit auch als gesellschaftliches Statement. Mal trägt die Sängerin eine technoide Version aus Stahl, mal eine integrierte Neonröhre, eines ihrer Videos zeigt sie mit einem zu einem Pfennigabsatz zulaufenden Spike. Sie selbst nennt sich Bionic Artist und performt auch mal gemeinsam mit einem 3D-gedruckten Orchester auf der Art Basel.
Community ist das ein toller Weg, um die Technologie voranzubringen, und das sind auch die Leute, die mit neuen Ideen kommen und uns vielleicht Wege zeigen, an die wir nie gedacht haben“, erklärt Joel Gibbard. Es ist die einmalige Chance, sich einen Teil seines Körpers selbst zu erschaffen. Vielleicht sogar mit Potenzialen, die über denen der Biologie liegen. Wie eine Version des Iron-Man-Armes für Erwachsene, stärker als das biologische Pendant, oder eine mit Werkzeugen ausgestattete Variante. Beinprothesen bekommen mehr Sprungkraft, Kletterer, Radfahrer oder Skiläufer integrieren spezielle Vorrichtungen. Mit ihnen können die sportlichen Leistungen sogar besser ausfallen als die der Konkurrenz. Wenn so aus dem Defizit der Andersartigkeit ein Vorteil wird, bedeutet das auch den Abschied vom Stigma.
PASSGENAU WIE EIN HANDSCHUH Viktoria Modestas Kooperationsprojekte mit generativen Fertigungsverfahren kommen nicht von ungefähr. 3D-Drucker sind ein wichtiger Innovationsmotor für Körperersatzteile: seien es Knochenteile oder Prothesen, Gefäße oder Hörgeräte. Ein Scanner vermisst den Körper, die digitalen Modelle werden formschlüssig an den Träger angepasst und mit den benötigten oder gewünschten Funktionen ausgestattet. 2015 gewann das Unternehmen Open Bionics den britischen James Dyson Award, der technologische Innovationen unter dem Motto „Gestalte etwas, das Probleme löst“ auszeichnet. Das Problem der Prothesen ist für die Gründer Samantha Payne und Joel Gibbard vor allem ihr Preis: Eine herkömmliche sensorgesteuerte Hand beginnt bei 50.000 Dollar. Die von Open Bionics kostet nur 3.000 Dollar. Sie funktioniert so gut wie die teuren Modelle und wird mit 3D-Printern innerhalb von 24 Stunden angefertigt. Mit integrierten Sensoren übersetzt die Prothese nach einer Eingewöhnungsphase die Muskelbewegungen des Trägers in Finger- und Handbewegungen.
Open Bionics bietet eine eigene Kollektion an. Zum Beispiel für Kinder. Unterarme von Cyborg-Ikonen wie Marvels Iron Man oder leuchtende Modelle, die an die Schwerter der Jedis aus Star Wars erinnern. Sie werden nicht als medizinische Ersatzteile empfunden und durch ihren offensichtlichen Mehrwert mit Stolz getragen. Außerdem ist das Datenpaket zum Druck Open Source. Jeder könnte sich das CAD-Modell kostenlos herunterladen, eine Hand selbst gestalten und mit dem Sensorkit zusammenschrauben. „Für die Maker
DER GRUSEL DES ALLZU MENSCHLICHEN Die vielen technischen Potenziale sorgen dafür, dass kaum noch jemand versucht, die Natur nachzubilden. Und das ist eine gute Entwicklung: Sozialpsychologische Untersuchungen im Bereich der Robotik haben bereits in den Siebzigerjahren bewiesen, dass Menschen eher von fleischfarbenen Humanoiden aus Plastik irritiert sind als von
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PROTHESENDESIGN Wie eine Strumpfhose: die Beinprothese Confetti von Furf Design Studio
Beinprothesen von The Alleles Design Studio
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DOSSIER Maschinenskeletten. Der japanische Forscher Masahiro Mori beschrieb den Effekt als Uncanny Valley („unheimliches Tal“) und meint damit die Akzeptanzlücke gegenüber künstlichen Wesen. Je näher sie dem Menschen in ihrer physischen Erscheinung kommen, umso verstörender wirken sie auf den Zuschauer. Es gilt der gute alte Leitsatz von der Form, die der Funktion folgt. In diesem Fall sieht eine technisch nachgebaute Extremität eben nicht aus wie das biologische Gegenstück.
DER KÖRPER IM KLEIDERSCHRANK Mittlerweile werden Prothesen wegen ihres ästhetischen Spielraumes auch für Mode- und Produktgestalter zu einem Thema. Zwei Designstudios machen derzeit mit durchaus unterschiedlichen Ansätzen Furore. Furf Design wurde von Mauricio Noronha und Rodrigo Brenner gegründet, kommt aus dem brasilianischen Curitiba und hat bisher vor allem Möbel und Wohnobjekte gestaltet. Ihr neuestes Produkt, Confetti, ist allerdings „die weltweit erste massenproduzierte, bunte, anpassbare, prothetische Beinverkleidung“. Hinter Confetti steht die demokratische Idee des einen Produktes für alle. Es lässt sich in der Höhe verstellen, passt auf die gängigen Knie- und Beinprothesen und kann individualisiert werden. Löcher im Schild bieten die Möglichkeit zur persönlichen Gestaltung, die farbigen Fronten können ausgetauscht werden. Die Prothese erhält den Charakter einer Strumpfhose, die jeden Tag auf das Outfit abgestimmt wird. Viele der Träger zeigen mit den neuen Prothesen auch einen neuen Umgang. McCauley Wanner, eine der Gründerinnen des kanadischen Unternehmens Alleles, stellt fest: „Durch Science-Fiction und Reportagen über Prothesen in den Massenmedien entwickelt sich eine neue, positive Wahrnehmung. Die Träger beginnen, ihre Prothesen stolz zu zeigen.“
VON DER MEDIZIN IN DIE MODE Wanner hat mit Alleles ein Designunternehmen gegründet, das maßgefertigte Verkleidungen für Prothesen anbietet. Und sich damit ganz klar als Teil der Modeindustrie begreift. Die Kollektion besteht aus bunten Prints mit floralen oder grafischen Cut-outs, zeigt Statement-Pieces mit Totenköpfen und Camouflage. Sie will Prothesen ganz klar aus der Ecke der Medizintechnik befreien. „Wir geben Menschen die Möglichkeit, sich auszudrücken.“ Die Reaktionen belegen, wie deutlich sich die ästhetische Intervention auswirkt. „Von unseren Kunden hören wir, dass sich ihr Alltag verändert. Das oft entgegengebrachte Mitleid schlägt in Bewunderung um. Sie werden gefragt, wo sie ihre Prothese herhaben, bekommen Komplimente“, erzählt Warren. Die Gadgetisierung der Prothetik mit Hyper-Potenzialen und modischem Profit ist Zeitgeist. Denn auch für den Rest der Gesellschaft ist die körperliche Verschmelzung nur noch eine Frage der Zeit. Während wir allerdings unsere Gadgets derzeit noch in Griffweite durch den Alltag tragen, leben die Pioniere der Cyborgs bereits ein neues Selbstverständnis.
www.viktoriamodesta.com www.thealternativelimbproject.com www.openbionics.com furf.com.br www.alleles.ca
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SUMMIT IN MARRAKESCH
DAS KRANKENHAUS VON MORGEN HEALTHCARE SUMMIT IN MARRAKESCH
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Die Bauaufgabe Gesundheitsbau ist möglicherweise die meistreglementierte, vielleicht die komplexeste und sicher eine der bedeutendsten. Nutzer und Betreiber haben höchste Erwartungen an Funktionalität, Komfort und Rentabilität.
ADVERTORIAL
Dementsprechend hoch sind die Anforderungen an die Architektur. Auch wenn die Menschen älter werden und länger mobil sind: Die Zahl der Krankenhäuser sinkt. Waren es 1990 noch rund 2.400 Einrichtungen in Deutschland, sind es heute gerade noch 2.000 mit weniger als 500.000 Betten, also einem Bett für jeweils 1.640 Bürger. Das Gesundheitswesen ist ein Wettbewerbssystem: Wer hier keine Anreize schafft, medizinisch oder qualitativ, hat es schwer. So kommt es, dass heutige Pflegezimmer Wohnzimmercharakter haben und neben Krankenhäusern Gästehotels für die Begleitung der Patienten entstehen. Auch ist die Zeit farbloser Linoleumschächte längst passé. Farben und Materialien sollen Sympathien, Vertrauen und Wohlfühlatmosphäre schaffen. Für Architekten bedeutet das Bauen für die Gesundheit deshalb eine besondere Herausforderung. Mit welchen Themenkomplexen sie sich während Entwurf und Planung beschäftigen und was diese für ihre Arbeit bedeuten, haben wir mit zehn deutschen Architekten aus dem Kranken- und Gesund-
heitsbau auf dem Healthcare-Summit in Marrakesch analysiert. Dabei herausgekommen sind vier Schwerpunkte, die von jeweils zwei Architekten ausgearbeitet wurden und Hinweise darauf geben, welche Faktoren heute und in Zukunft eine Rolle für den Gesundheitsbau spielen werden. Dabei gehen wir vom Großen ins Kleine, vom Politischen ins Konzeptionelle und stellen ehrliche Fragen zum Themenkomplex Gesundheit und Architektur.
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SUMMIT IN MARRAKESCH Sonja Kramer GSP Gerlach Schneider Partner Architekten, Bremen Sebastian Pfau Wörner Traxler Richter, Frankfurt
WETTBEWERBE IM HEALTHCARE-BEREICH Architekten nehmen an Wettbewerben teil – so weit, so üblich. Der Wettbewerb ist integraler Bestandteil ihrer Arbeitsrealität und der einzige Weg zu großen Projekten. Im Gesundheitsbau sind solche Verfahren von besonderen Anforderungen geprägt. Worauf es ankommt, ist aber auch Storytelling.
VON SONJA KRAMER UND SEBASTIAN PFAU Wettbewerbe für Immobilien im Gesundheitswesen sind durch hochkomplexe Aufgabenstellungen gekennzeichnet. Im Fokus steht zunächst die funktionelle Tauglichkeit eines Gebäudes: Als Aufenthaltsort für viele hundert Patienten in einer besonders sensiblen Situation und als Arbeitsplatz mit speziellen Anforderungen stehen die Bedürfnisse der Nutzer natürlich im Vordergrund. Eng damit verbunden sind die internen Abläufe und Strukturen. Aufwendige Beziehungsgeflechte der einzelnen medizinischen Bereiche sind hier die Regel. Darüber hinaus spielt der Aspekt der Wirtschaftlichkeit bei den zumeist großen Investitionsvolumina eine zentrale Rolle. Aufgrund des stetigen Wandels der medizinischen und technischen Anforderungen an das Gebäude dürfen Themen wie Flexibilität, Erweiterbarkeit und energetische Nachhaltigkeit ebenfalls nicht vernachlässigt werden. Diese heterogenen, in Teilen widersprüchlichen Rahmenbedingungen gilt es in einem Entwurf zu fassen. Natürlich kommt es dabei auch auf die klassisch-architektonischen Themen wie den Städtebau und die Gestalt eines Gebäudes an. Krankenhäuser gehören potenziell zu den wirtschaftlich aufwendigsten und großvolumigsten Bauvorhaben, oft an exponierten Orten gelegen, mit Bedeutung für eine Ge-
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meinde oder gar eine ganze Region. Die große Herausforderung ist daher, in einem ersten Schritt aus diesen mannigfaltigen Rahmenbedingungen das Wesen, das zentrale Thema der Aufgabe zu destillieren. Wenn dieses gefunden ist, besteht die nächste Aufgabe darin, eine möglichst klare und verständliche Antwort zu formulieren. Da es jedoch auf komplexe Fragestellungen meist keine einfache, eindimensionale Antwort gibt, gleicht die Arbeit daran oft der Erstellung eines Drehbuchs, bei dem um ein zentrales Thema einzelne Handlungsstränge und Charaktere möglichst schlüssig und logisch entwickelt und zu einem konsistenten Gesamtbild verarbeitet werden. Wie bei einem klassischen Architektenwettbewerb liegt der Feinschliff dann in der sorgfältigen Darstellung und der ansprechenden grafischen Vermittlung des Konzeptes. Natürlich gibt es Leitfäden, wie ein gutes Drehbuch anzulegen ist. Wie in Hollywood droht damit aber auch die Gefahr, wieder und wieder die gleiche Geschichte zu erzählen. Um als Architekt in diesem Segment dauerhaft innovativ und erfolgreich zu bleiben, ist es daher sinnvoll, sich mit Kollegen und anderen Berufsgruppen, wie Medizinern, Betriebswirtschaftlern oder Designern, zusammenzutun, um neue Ansätze zu entwickeln.
DOSSIER Christian Maeder Nickl & Partner Architekten, München Andreas Schmucker Schmucker und Partner, Mannheim
STANDARDS VERSUS INNOVATION IM GESUNDHEITSBAU Aus Innovationen werden Standards, aus Standards Regeln und Gesetze. Im Gesundheitswesen zeigt sich eine große Innovationskraft, gleichzeitig gibt es viele bekannte und erprobte Verfahren. Was verstehen wir unter Innovation im Gesundheitsbau, und um wen geht es hier eigentlich?
VON CHRISTIAN MAEDER UND ANDREAS SCHMUCKER In den technisch orientierten Fachdisziplinen findet Innovation planerisch nachweislich und laufend statt: Auf der Baustelle kommen immer wieder neue Herstellungsmethoden zum Einsatz. Auf Baumessen präsentieren innovative Anbieter neuartige Materialien und Werkstoffkombinationen. Mit der Zeit fließt technisch Machbares, das sinnvoll oder gewinnbringend erscheint, in Wünsche und Anforderungen der Bauherren und Geldgeber für Gesundheitsbauten ein. Im Falle einer breiten Akzeptanz folgen entsprechende Richtlinien, womit die Einhaltung solcher technischen Standards kontrollier- und messbar wird. Es ist davon auszugehen, dass Gesundheitsbauten gerade auch für öffentliche Auftraggeber unter der Prämisse begrenzter Mittel geplant und realisiert werden müssen. Die Innovationszyklen im Bereich der Gebäude- und Medizintechnik haben sich in den letzten Jahren beschleunigt, eine Umkehr des Trends ist für die nähere Zukunft nicht absehbar. Niemand kann mit Sicherheit wissen, wohin die Reise geht – es muss uns jedoch klar sein, dass aus diesem Nichtwissen entstehende Forderungen nach maximaler Flexibilität keine allein tragfähige Strategie darstellen. Wie wollen wir aber mit dem Nichtmessbaren, aber dennoch Wahrnehmbaren um-
gehen? Oder mit dem, was nicht gemessen wird, obwohl es möglich wäre? Im Gesundheitsbau sollen das Wohl der Patienten und ihre Genesung das oberste Ziel sein. Dazu trägt auch zufriedenes Personal an attraktiven Arbeitsplätzen entscheidend bei. Ist dieses Ziel auf dem heute in Deutschland vorherrschenden Weg gut erreichbar? Dieser Frage müssen sich alle an Planung und Errichtung künftiger Gesundheitsbauten Beteiligten stellen. Für tragfähige Antworten braucht es konzeptionelle Innovation, es muss der Patient im Mittelpunkt der planerischen Überlegungen stehen und es braucht gestaltete, soziale Räume für Menschen, die eben nicht unbedingt aus optimierten Kennzahlen entstehen. Es kann auch nicht alles, was einen guten Entwurf ausmacht, aus dem Raum- und Funktionsprogramm abgelesen werden. Letztendlich kann Architekten und Planer nur die Überzeugung weiterbringen, dass innovative und integrale Lösungsansätze mit der Zeit zu einem erneuerten Standard für die Gestaltung von Gesundheitsbauten führen, der die Verhältnisse zurechtrückt: im Sinne einer Healing Architecture.
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SUMMIT IN MARRAKESCH Tanja Manz Beeg Lemke Architekten, München Luis Lucas Lucas Architekten, Hainburg
INTERIEUR UND FARBE IM KRANKENHAUS Wer kennt das nicht? Das „Aaahh“ und „Ooohh“, wenn die Menschen von einem Raumeindruck überwältigt sind. Welche Rolle spielen Farbe und Interieur im Krankenhaus, und wie schafft man es, dass sich alle wohlfühlen?
VON TANJA MANZ UND LUIS LUCAS Für Architekten steht in erster Linie das räumliche Konzept, der Gesamtentwurf, im Zentrum einer Planung im Gesundheitsbau. Sie beschäftigt die Abfolge der Räume, die Ausformung des Raumes und die dahinterliegende Philosophie. Aber welchen Eindruck hat der unbedarfte Nutzer zuerst? Wird das Konzept, die Philosophie überhaupt erkennbar? In den meisten Fällen nicht. Was zum Betrachter spricht, ist die Oberfläche, die der Raum als Ereignishorizont bietet: die Form des Raumes heruntergebrochen bis zur Form des Türgriffs, die Oberflächen und Texturen sowie deren Farbgebung. Das gilt im privaten Wohnzimmer wie im Krankenhaus. Die besondere Schwierigkeit beim Krankenhausbau liegt darin, dass die Oberflächengestaltung nicht immer professionell entwickelt wird und dass unterschiedlichste Raumnutzer das Konzept akzeptieren sollen. Um wirklich ein Gebäude als Gesamtkonzept zu realisieren – was immer das Ziel ist –, das allen Ansprüchen standhält, müssen die verschiedenen Interessengruppen zum frühestmöglichen Zeitpunkt eingebunden werden. Die Patienten dürfen Zimmer erwarten, die ihnen sofort einen Eindruck von Geborgenheit und Sicherheit vermitteln, die den Heilungsprozess unterstützen und je nach Anwendungsfall auch anregend wirken können. Wie sehr wird
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aber die gute Absicht ad absurdum geführt, wenn die edle Oberfläche mit einem aggressiven Putzmittel zerstört wird, wenn filigrane Details durch Transportwagen beschädigt von der Wand hängen oder Farben gewählt werden, die der gewünschten Wirkung entgegenstehen. Es ist wahrscheinlich auch jedem Kollegen schon so ergangen, dass die wohl überlegte Konzeptionierung der Raumgestaltung durch die Benutzer, also die Mitarbeiter des Krankenhauses, bis an die Schmerzgrenze verändert wurde. Nach unserer Erfahrung liegt dies ursächlich daran, dass die Bauherren zu oft vor und während der Planung auf die Mitgestaltung der Mitarbeiter verzichten. Der Bauherr erwartet ein in jeder Beziehung effizientes Gebäude und geringe Investitionskosten. Da sind Anregungen durch den Nutzer erst einmal lästig. Spätestens wenn der Einzug näher rückt, beginnt dann die Modifikation. Es wäre wünschenswert, dass Bauherren und auch Architekten die Einbeziehung der Nutzergruppen nicht als lästige Pflicht, sondern als Chance erkennen, die Verbundenheit der Mitarbeiter und damit den bewussten Umgang mit dem Gebäude herzustellen und zu stärken.
DOSSIER Andreas Koch Architekten BDA RDS Partner, Hattingen Bodo Maslo Kossmann . Maslo . Architekten, Münster
PERSPEKTIVEN DER GRUNDRISSPLANUNG Der Krankenhaus- und Gesundheitsbau erfordert eine differenzierte Grundrissplanung: Medizinisch, prozessual und ökonomisch muss sie funktionieren. Flexibilität ist dabei eine der wichtigsten Eigenschaften einer nachhaltigen Planung.
VON ANDREAS KOCH UND BODO MASLO Grundrisskonzepte für die Planung von Krankenhäusern müssen im Hinblick auf Funktion und Technik Antworten auf die ökonomischen, medizinischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen bereithalten, um eine effiziente Pflege und Behandlung von Patienten zu gewährleisten. Dabei sind die Entwicklungen im Gesundheitswesen dynamisch und komplex. Der auf den Krankenhäusern lastende Kostendruck wird zu Konzentrationsprozessen führen. Viele Kliniken spezialisieren sich daher auf bestimmte Behandlungen, um überlebensfähig zu bleiben – mit Auswirkung auch auf die Flächennutzung. Die Verweildauer im Krankenhaus wird zudem weiter sinken. Dies wird zu einer Verschiebung von stationärer zu ambulanter Versorgung und zu einer Reduzierung der Bettenkapazität führen. Für nicht mehr benötigte Stationen müssen andere Nutzungskonzepte entwickelt werden. Gleichzeitig bewirkt die demografische Entwicklung, dass die Anzahl der Schwerstpflegebedürftigen steigt. Dem Zweiklassensystem der privat oder gesetzlich Versicherten ist Rechnung zu tragen. Die Struktur einer Pflegestation mit Einbett-, Zweibett- oder Dreibettzimmern muss hierauf flexibel reagieren können.
Der Fokus bei einer Neukonzeption darf dennoch keinesfalls allein auf die funktionalen und technischen Aspekte begrenzt werden. Das Krankenhaus der Zukunft als Gesundheitsdienstleister braucht vielmehr einen ganzheitlichen Ansatz im Sinne einer Healing Architecture, der durch den Einsatz von Licht, Farbe und innovativen Leitsystemen auch die emotionalen Bedürfnisse von Patienten nach Geborgenheit, Sicherheit, Orientierung und Kommunikation in einem unbekannten Umfeld ausreichend berücksichtigt und somit über die Verbesserung des psychischen und physischen Wohlbefindens einen signifikanten Beitrag zum Genesungsprozess leistet. Das Krankenhaus der Zukunft wird in nachhaltiger Bauweise errichtet und kann mit einer flexiblen Grundrissstruktur auf sich verändernde Rahmenbedingungen reagieren. Medizinische Dienstleistungen werden ergänzt um Angebote für die Gesundheitsvorsorge sowie um Orte des Erlebens: Kino, gastronomische Angebote und Parks beispielsweise. Auch die Erwartungen von Patienten und deren Angehörigen steigen. Ein angegliedertes oder in ungenutzten Stationen untergebrachtes Hotel ermöglicht es, die Familie in unmittelbarer Nähe „bei sich haben“ zu können.
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SUMMIT IN MARRAKESCH Alexander Sautter PL Architekten, Aachen Torsten Petroschka Sander.Hofrichter Architekten, Ludwigshafen
CHANCEN UND RISIKEN DER REVOLUTION BIM Bei Großprojekten und insbesondere bei Projekten für öffentliche Bauträger soll in Zukunft verstärkt die Datenwelt für Sicherheit und Planbarkeit sorgen. In einer Software sollen alle Planungsdaten zusammenlaufen und Änderungen global und umfangreich dargestellt werden. Kann das funktionieren?
Während die einen schon lange Erfahrungen mit Building Information Modeling (kurz: BIM) sammeln, ist die Abkürzung für andere noch ein Fremdwort. BIM, Methode der optimierten Planung, Ausführung und Bewirtschaftung von Gebäuden, wird als Revolution gefeiert und zugleich als unausgereift verschmäht. Nicht nur, dass verschiedene Software-Hersteller mit viel Aufwand um die Vorherrschaft in diesem Markt kämpfen. Die Komplexität und totale Transparenz der Prozesse stellt auch Architekten und Industrie vor neue Fragestellungen. Alexander Sautter von PL Architekten aus Aachen und Torsten Petroschka von Sander.Hofrichter Architekten aus Ludwigshafen haben ihre Erfahrungen auf dem Healthcare-Summit in Marrakesch ausgetauscht. Zwei, die sich auskennen, legen damit den Grundstein für einen ausführlichen Bericht in einem kommenden Magazin.
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Alle Fotos: Klaus Füner
Der Healthcare-Summit in Marrakesch wurde ermöglicht durch:
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Jung steht für edles Material, präzise Verarbeitung bis in die Details, für Haltbarkeit, Langlebigkeit in Funktion und Aussehen, für zeitloses Design und für einen beispiellosen Kundenservice. Das 1912 gegründete, heute 1.200 Mitarbeiter starke Unternehmen fertigt als Premiumanbieter von Schaltern, Steckdosen und Gebäudesystemtechnik mit TÜV-geprüftem Herkunftsnachweis „Made in Germany“ an drei Standorten: Schalksmühle, Lünen und – als Spezialist für Elektronik, die Tochterfirma Insta – in Lüdenscheid. www.jung.de
Nora Systems prägt als Weltmarktführer mit Stammsitz in Weinheim seit mehr als 65 Jahren die Entwicklung von Kautschuk-Bodenbelägen. Die hochwertigen, elastischen Bodenbeläge zeichnen sich durch ihre hohe Langlebigkeit aus. Sie enthalten keine Weichmacher, Halogene oder PVC. Aufgrund der hohen Elastizität des Werkstoffs Kautschuk bieten sie zudem erhöhten Komfort hinsichtlich Ergonomie und Akustik. Am Stammsitz in Weinheim arbeiten heute rund 850 Mitarbeiter, weltweit ist nora systems in über 80 Ländern aktiv. www.nora.com
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INTERVIEW
MAD ARCHITECTS: ARCHITEKTUR DER IMPERFEKTION EIN GESPRÄCH MIT MA YANSONG
VON NORMAN KIETZMANN
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Ma Yansong ist Chinas Archistar. Schon mit Mitte dreißig hat der 1975 geborene Pekinger seine ersten Prestigebauten realisiert, darunter das Museum von Ordos, das Opernhaus in Harbin oder die Absolute Towers im kanadischen Mississauga. Sein Faible für organisch fließende Formen verfeinerte der YaleAbsolvent im Büro von Zaha Hadid, bis er 2004 mit MAD Architects in Peking seine eigenen Wege ging. Ein Gespräch über wohnliche Pilze, imperfekte Fassaden und seine Verbindung zu traditionellen Tuschemalereien.
Ma Yansong, © MAD
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INTERVIEW Chaoyang Park Plaza, Peking, 2012–2017 Visualisierung: © MAD
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Büro von MAD Architects in Peking, © MAD Ma Yansong, was macht gute Architektur für Sie aus? Le Corbusier hatte ja einst den Begriff der „Wohnmaschine“ geprägt. Ich kann damit nichts anfangen, weil ich mit Maschinen nichts anfangen kann. In der Moderne haben sich die Menschen zu sehr auf die Technologie konzentriert. Sie wurde zum Werkzeug, um uns selbst zu bemächtigen. Sie hat uns zum Gott gemacht! Ich aber denke, dass wir uns in eine nächste Ära bewegen, wenn wir einfühlsamer gegenüber der Natur werden. Denn nur so sind wir in der Lage, Emotionen wahrzunehmen. Darum ist es wichtig, eine zweite Natur zu bauen, die unsere realen Erfahrungen in der Natur erweitert, anstatt sie zu limitieren. Wie stellen Sie sich das vor? Man sieht heute viele grüne Gebäude, die ihre eigene Energie erzeugen. Wir glauben, dass wir somit nachhaltig handeln. In diesen Gebäuden steckt viel Technologie, damit die Räume angenehm temperiert und komfortabel sind. Doch man fühlt die Natur nicht im Geringsten, weil es allein um die Kontrolle der äußeren Faktoren geht. Menschen brauchen nicht nur Funktion, sondern auch Emotion. Darum dürfen wir die Beziehungen zum Himmel, zum Wasser und zur Erde nicht verlieren.
Es geht also um unmittelbare Sinneserfahrungen? Ja, darum möchte ich mit meinen Gebäuden immer auch eine Landschaft bauen. Wir planen ja gerade das von George Lucas gegründete Lucas Museum of Narrative Arts in Los Angeles. Es wird wie eine Wolke sein, die über dem Boden schwebt und den darunterliegenden Raum frei macht, um dort einen Park oder einen urbanen Raum zu schaffen. Wenn man hinauf ins Museum geht, landet man am Ende des Rundgangs auf einer Dachterrasse und sieht den Himmel über sich. Das ist wie eine Abfolge von Erfahrungen, die man sonst am Meer, im Gebirge oder in einer Höhle macht. Es geht darum, verschiedene Möglichkeiten für einen Dialog mit der Natur aufzubauen. Darum möchte ich, dass meine Architektur immer ein Stück weit imperfekt ist. Inwiefern? Beim Entwerfen skizziere ich eine Form per Hand und scanne diese dann ein. Ich benutze kein Computerprogramm, um eine Geometrie zu erzeugen. Meine Gebäude sind im Grunde also sehr manuell. Man sieht vor allem bei großen Konstruktionen, dass die Kurven mitunter etwas seltsam wirken. Doch in dieser Imperfektion steckt die Emotion. Man fühlt den Menschen dahinter. Und man fühlt, dass es nicht sehr mechanisch ist. Da-
rum ist vor allem die erste Zeichnung sehr wichtig, weil sie immer am emotionalsten ist. Diesen Zugang versuche ich selbst bei sehr umfangreichen Projekten beizubehalten. Können Sie dafür ein weiteres Beispiel geben? Wir werden in diesem Jahr den Bürokomplex Chaoyang Park Plaza in Peking fertigstellen. Das Gebäude hat viele Linien, die allerdings nie parallel verlaufen. Sie wirken eher zufällig – wie eine sehr organische Handzeichnung. Je näher man kommt, desto stärker spürt man die Differenz zwischen diesen Linien und fühlt sich entspannt. Das ist wie bei traditionellen chinesischen Tuschemalereien: den Shan-Shui. In den grauen Feldern, in denen die Tinte ins Weiß verläuft, fühlt man das Leben. Sie beflügeln die Imagination des Betrachters, weil sie weder schwarz noch weiß sind, sondern genau dazwischenliegen. Das Interessante ist, dass die Shan-ShuiMeister nie in der Natur gemalt haben, sondern immer in geschlossenen Räumen. Sie haben sich die Landschaften vorgestellt, um ihre Beziehung zur Natur zu entdecken. Für sie war das eine Möglichkeit, mit dem Universum zu sprechen – ich denke, dass wir davon einiges lernen können.
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INTERVIEW bringt die Leute dazu, ihre Sinne zu benutzen und nicht die Augen. Die Gefühle, nicht die Fakten, stehen hier im Mittelpunkt. Ich glaube, dasselbe gilt sowohl für meine Gebäude als auch für dieses Sitzobjekt.
Wie wohnt man auf dem Mars? Vielleicht mit der MAD Martian Chaise Lounge aus der MAD Martian Collection, Gallery ALL, 2017
Auf neues Terrain haben Sie sich mit Mogu begeben: Ihr erstes Möbel entstand für den Mailänder Hersteller Sawaya & Moroni und ist ein organisch fließendes Sitzobjekt auf unterschiedlichen Höhenebenen. Wie sind Sie an diesen Entwurf herangegangen? Ich habe mir überlegt, wie es sich von einem Möbelstück der Moderne unterscheiden könnte. Ich mag die Idee des Modularen nicht, weil es auf einer ständigen Wiederholung basiert. Doch in diesem Falle wollte ich das Modulare herausfordern. Indem verschiedene Sitzhöhen auf organische Weise ineinander übergehen, sehen die Elemente nicht wie mechanische Bauteile aus, sondern wirken sehr natürlich. Man kann die Elemente auf unterschiedliche Weise zusammenstellen, ob dicht nebeneinander oder lose verteilt, sodass sich sehr komplexe Felder damit erzeugen lassen. Inwieweit folgen die Konturen dem menschlichen Körper? Um ehrlich zu sein: Gar nicht! Natürlich haben wir versucht, das Möbel einladend und interaktiv zu machen, damit verschiedene Sitzhaltungen möglich sind. Doch diese Haltungen sollten niemals allzu komfortabel sein. Ich sehe das Möbel als eine komplexe Landschaft wie im Park oder in der Natur. Solche Landschaften sind auch nicht für den
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menschlichen Körper gemacht, und dennoch kann man sich auf den Rasen setzen und entspannen. Für mich ist der menschliche Körper extrem flexibel – deshalb möchte ich keine Sitzhaltung vorgeben. Es geht mir vielmehr darum, eine Vielzahl an Möglichkeiten zu bieten, eine Landschaft für sich zu entdecken. Das öffnet die Sinne, weil man es mit dem eigenen Körper ausprobieren muss. Es geht also um die Interaktion mit dem Benutzer: Sie fordern die Orientierung heraus. Ich denke, dass es hierbei vor allem um den Boden geht. Also die Idee, dass etwas von unten wächst – genau wie ein Pilz (lacht). Das bezieht sich auch auf meine Architektur. Ein künstliches Objekt muss geerdet und in einen Kontext eingebunden werden. In diesem Fall ist der Boden ein wichtiges Element. Das erinnert mich an die Ausstellung Feelings Are Facts, die ich vor ein paar Jahren in Peking zusammen mit Ólafur Elíasson gemacht habe. Wir haben einen großen Raum mit Nebel gefüllt, bis man nichts mehr sehen konnte. Um dennoch Orientierung zu geben, waren die einzelnen Raumecken in unterschiedlichen Farben beleuchtet. Der Boden hatte ein leichtes Gefälle, sodass man nur mit den Füßen die Richtung versteht. Diese Erfahrung
Nachdem Sie nun Ihren Einstand als Möbeldesigner gegeben haben: Können Sie sich vorstellen, noch weiter in diese Richtung zu gehen? Das tue ich bereits. Auf der Design Miami Basel stelle ich im Juni eine Möbelkollektion für Gallery ALL aus Los Angeles vor. Das Thema ist spannend: Es geht um das Wohnen auf dem Mars (freut sich). Wenn wir eines Tages dorthin fliegen, brauchen wir natürlich auch Möbel. Und eben solche habe ich mir vorgestellt. Einen Teil der Ideen habe ich von der Erde übernommen. Doch gleichzeitig wollte ich auch den Mars respektieren, sowohl was die Formen der Landschaft als auch was seine markante rote Farbe anbelangt. Wir zeigen einen kompletten Raum mit Tisch, Lounge Chair, Kerzenhalter, Leuchter und Aquarium. Aquarium? Ja, wir wollen den Mars auch mit Fischen besiedeln. Und den Kerzenständer gibt es für den Fall, dass der Strom ausfällt!
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INTERVIEW
DER FAHNDER
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Foto: Stefan Rother, © Max Dudler
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INTERVIEW
Wenn es um Raster geht, ist Max Dudler nicht weit. Der Schweizer Architekt mit Büros in Berlin und Zürich ist ein vielbeschäftigter Baumeister – ein Faktum, das auch unser Gespräch beeinflussen sollte. Die Fragen liest er sich selbst vor, überspringt die, die ihm nicht gefallen, und geht mehrere Male während des halbstündigen Interviews an sein Telefon.
Herr Dudler, Sie gingen zum Studium nach Frankfurt und haben später in Berlin Ihren Abschluss gemacht. Warum sind Sie nach Deutschland gekommen, und wie haben Sie diese beiden Städte wahrgenommen? Ich kam Anfang der Siebzigerjahre nach Amsterdam und habe dort Günter Bock kennengelernt. Der hat mich quasi einfach mitgenommen. Nach einem Jahr bin ich weitergezogen nach Berlin, um an der Hochschule der Künste bei Ludwig Leo zu studieren. Die Atmosphäre der Stadt, die ja wie eine Insel funktionierte, hat mich sehr fasziniert. Darum sind auch viele, sehr unterschiedliche Leute nach Berlin gezogen: Diese Vielfalt war sehr außergewöhnlich. Beide Städte waren damals auch Zentren der Bürgerrechtsbewegung: Spielte das eine Rolle für Sie? Ich kannte zwar einige Leute aus der einschlägigen Szene, aber das Politische stand für mich nie im Vordergrund. Was waren die Unterschiede zwischen Bock und Leo? Über Günter Bock habe ich die internationale Architektur kennengelernt: Er kannte wirklich jeden! Ludwig Leo hatte ich bei einem Vortrag in Amsterdam kennengelernt und war sofort fasziniert. Er war ein exzellenter Analytiker. Und sein Umgang
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mit technischen Details war zu der damaligen Zeit neu: Ohne ihn wäre Sir Norman Foster nie der Architekt geworden, der er ist. Und ohne ihn hätte es auch das Centre Pompidou nie in der Form gegeben. Wie sind Sie dann zu Oswald Mathias Ungers gekommen? Erstaunlicherweise aufgrund einer Empfehlung von Ludwig Leo. Er sagte zu mir: „Max, du musst größer denken und bauen!“ Der geförderte Wohnungsbau war in Berlin damals die einzige Bauaufgabe für Architekten. Also bin ich zu Ungers und habe für ihn die Messebauten in Frankfurt realisiert: das Torhaus, die Galeria und die Messehalle 9. Ohne Ungers wäre ich nie so schnell zum Bauen gekommen – und zu der Zeit hat in Deutschland kaum ein Architekt mehr gebaut als er. Das Bauen ist der beste Lehrmeister. Welchem der drei Architekten fühlen Sie sich denn mit Ihrer heutigen Arbeit am nächsten? Ungers. Ungers hat, wie Aldo Rossi, die gewachsene europäische Stadt überhaupt erst wieder zum Thema gemacht – als alle anderen noch damit beschäftigt waren, utopische Gegenwelten zu entwickeln. Diese theoretische Auseinandersetzung – und gar nicht so sehr ihre Architektur – war enorm wichtig. Alle, die
bei ihm studieren durften, haben sehr davon profitiert: von Rem Koolhaas bis Hans Kollhoff. Bock, Leo und Ungers werden gerne als „Baukünstler“ bezeichnet: Wie sehen Sie diesen Begriff? Der Begriff „Baukunst“ ist doch sehr überladen. Im Angesicht eines verarmten Funktionalismus hat Ungers in seiner Zeit vehement auf dem Recht der Architektur als autonomer Kunst beharrt. Aber das ist noch etwas anderes, als wenn sich heute jeder Hinz als Baukünstler geriert und damit seine überflüssigen Ideen glorifizieren will. Ich persönlich ziehe den Begriff „bauen“ vor. Das ist doch das, was wir machen. Ob Kunst oder nicht, darüber sollen besser andere richten. Ihre Architektur wird ja oft als „reduziert“ beschrieben: Empfinden Sie das auch so? Da bin ich richtig dagegen (lacht). Reduziert ist man im Denken oder in Gefühlssachen: Aber meine Architektur ist es auf jeden Fall nicht. Im Gegenteil: Meine Bauten sind sehr sinnlich. Sinnlich und abstrakt zugleich. Richtig ist, dass wir vorsichtig in Bezug auf die Form sind. Wenn man die Qualitäten der Form und des Materials zur Geltung bringen will, muss man sich schon ein wenig konzentrieren. Meine Architektur entwickelt
ARCHITEKTUR
Kurzerhand werden die Fahrt im Aufzug und der Weg zum Taxi Teil der Unterhaltung, die zwar kurzweilig, aber dennoch nicht ohne Brisanz ist: Wir sprachen mit ihm über seine Ablehnung der Moderne, die erotisierende Qualität seiner Bibliotheksbauten (leider zum Teil gestrichen) und die Entstehungsgeschichte seiner Frisur.
sich immer aus einer städtebaulichen Setzung. Das Material und das Detail sollten sich aus diesem Gedanken ergeben. Sitzen die Häuser konzeptionell richtig, formulieren sie auch eine starke Beziehung zum Stadtraum und zum jeweiligen Gegenüber. Zur Architektur gehört ja immer auch der freie Raum. Wo das „reduziert“ ist, müsste man mir vielleicht einmal erklären. Welche Architekturepoche inspiriert Sie denn? Ich sehe die Geschichte insgesamt als etwas Lebendiges. Uns beschäftigt, wie es möglich ist, die in ihr versammelten Ideen für unsere Zeit und mit unseren Mitteln und unserer Sprache fortzuschreiben. Zu übersetzen. Weiterzubauen. Aber es gibt sicher Vorlieben und auch Vorbilder. Die Renaissance, wo sie beginnt abstrakt zu werden, die Frühmoderne, wie ich sie nenne, und ihre besondere Sensibilität für die Stadt. Architekten wie Schinkel, Loos und Taut, in dessen Haus wir hier gerade sitzen. Was ist mit der Moderne? Ein weites Feld. Wer oder was ist die Moderne denn überhaupt? Sind wir noch in der Moderne, oder ist sie schon vorbei? Die klassische Moderne jedenfalls ist aus meiner Sicht in eine falsche Richtung gegangen. Die Architekten wollten sich von der Geschichte eman-
zipieren, um so eine Art Überingenieure zu werden, und sind letztlich nur noch beim Formalen gelandet! Nicht ohne Grund ist Le Corbusier irgendwann Maler geworden. Ich habe mich als Schweizer jahrelang nicht getraut, etwas gegen ihn zu sagen. Aber mittlerweile kann ich es sagen: Einige seiner Gebäude sind nicht wirklich stadtverträglich. Als Kunstwerk geht es vielleicht, aber für die Stadt ist es eine Katastrophe. Sie sagen, dass die Architektur gleichbedeutend mit Lebensqualität ist: Was bedeutet das für Sie? Und wenn das so ist, wie steht es dann um die Baukultur? Architektur greift stark in unseren Alltag ein – aber gerade dieser einfache Aspekt wird sehr vernachlässigt –, von Architekten, aber auch von Nutzern. Häufig werden Einzelaspekte absolut gesetzt. So kommt es etwa zum Dämmwahn oder zur Eventarchitektur und dergleichen. Wenn Sie so wollen, fehlt uns wirklich eine Baukultur im Sinne eines Interesses für das Ganze, für die Stadt und den Menschen darin und mit welcher Qualität das Leben da vonstattengeht. Auch in Bezug auf die gestalterische Qualität. Wenn Sie ein Bild kaufen, müssen Sie sich mit diesem auseinandersetzen. Erst dadurch wird aus diesem Stück Leinwand Kunst. Vorher war es nur eine Tapete!
Diesen Gedanken kann man auch auf die Architektur übertragen: Die Leute müssen sich viel mehr mit ihrer Umwelt auseinandersetzen. Ansonsten geht das erotisierende Moment der Architektur mehr und mehr verloren. Erklären Sie mir bitte das erotisierende Moment Ihrer Architektur. Nehmen Sie unsere Bibliotheken; wir planen gerade unsere achte. Heute sind Bibliotheken echte öffentliche Orte. Man geht nicht nur ausschließlich dorthin, um im Stillen zu studieren. Es geht auch um Begegnung, um Austausch und eben auch um manch einen flüchtigen Blick. Dafür braucht es Räume, die eine gewisse Ausstrahlung besitzen, Räume, an denen sich Erinnerungen festmachen können, die aber auch eine Erinnerung an die Würde des Zwecks in sich tragen. Tatsächlich sind unsere Bibliotheken offenbar die besten Kontakthöfe, die man sich nur wünschen kann. Das stand sogar mal in der Zeitung ... Die letzte Frage: Wie sind Sie eigentlich zu Ihrer Frisur gekommen? Mein Bruder, der ein Jahr älter ist als ich, und ich hatten immer lange Haare! Aber irgendwann sah er aus wie ein alternder Hippie. Und ich wollte nicht wie ein alter Hippie aussehen, sondern wie ein seriöser Architekt.
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PROJEKTE
Eine Kathedrale aus Beton – der Hafenspeicher am Kopenhagener Nordhavnen vor dem Umbau. Bisher war das Industriegebäude für das Graffiti Hva Drikker Mølr bekannt.
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SPEICHER V O L L TEXT: FOTOS:
RASMUS
TIM HJORTSHØJ
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BERGE COAST
Gewaltig und majestätisch zugleich: Der ehemalige Getreidesilo im Kopenhagener Nordhafen war schon vor seinem Umbau von beeindruckender Gestalt. 17 Stockwerke purer Beton. 50 Jahre nach seiner Errichtung wurde er vom Architekturbüro COBE zu einem Wohnhaus umgewandelt, als identitätsstarkes Kunststück mit Verbindung zur Stadt.
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PROJEKTE
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ARCHITEKTUR Neuer Mantel aus verzinkten Stahlelementen, die Fassade als Skulptur: Sie besteht aus kantigen, dreidimensionalen Elementen, die auch gleichzeitig die Balkone bilden. In dem Glasaufbau auf dem Dach befindet sich ein Restaurant, das noch in diesem Jahr eröffnen soll.
Seit einigen Wochen beherbergt der 10.000 Quadratmeter große ehemalige Hafenspeicher seine neuen Nutzer: 38 Wohnungen wurden in den Betonkoloss eingebaut, von denen keine der anderen gleicht. Die Architekten und Bauherren wollten so viel wie möglich von dem rauen Geist und industriellen Charme der früheren Funktion in die Gegenwart übertragen – sowohl in Bezug auf das monolithische Äußere als auch in Bezug auf die beeindruckenden Innenräume aus Beton. „Unser Ziel war es, das Gebäude von innen nach außen zu entwickeln“, erklärt Dan Stubbergaard, Gründer und Direktor von COBE, „sodass die neuen Bewohner und das städtische Umfeld die Identität und das Erbe der Struktur erleben können.“ COBE behielt die für den Speicher charakteristische, schlanke und hohe Form bei und fügte ihr noch vier weitere Geschosse hinzu. Die Wohnungen verteilten sie tetrisartig in dem Baukörper – erst im Anschluss wurden die Fensteröffnungen in die dicke Außenhaut geschnitten. Als Außenhülle dient eine Fassade aus galvanisiertem Stahl. Sie ummantelt auch die neu hinzugefügten Balkone, die nun, als eine Vielzahl abstrahierter Speicherauslässe, die neue Identität des Silos definieren. Das geometrische Spiel der Fassade aus abgewinkelten, teils perforierten Metallelementen dient aber nicht nur als neues Gesicht der Transformation, sie schützt auch die Innenräume vor dem rauen Meeresklima. Die Architekten wünschen sich, dass die Stahlfassade mit zunehmendem Alter eine raue Patina bekommt, die an den ursprünglichen Hafencharakter erinnert.
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PROJEKTE
Material Outside-In: Während man von auĂ&#x;en heute keinen Beton mehr sehen kann, haben die Architekten den Bestand im Inneren so belassen, wie er war. Jedes der 38 Apartments ist ein Unikat: manche mit zum Teil sieben Metern hohen Räumen, jedes mit Balkon.
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ARCHITEKTUR
Für Dan Stubbergaard ging es mit der Transformation des Speichers um die Wiederbelebung des industriellen Erbes und die Entwicklung neuer Potenziale. „Auf die Weise können wir das, was viele Menschen als industriellen Müll betrachten, in einen Schatz verwandeln.“ Die räumliche Variation des alten Speichergebäudes, die durch verschiedene Funktionen der Lagerung und Handhabung des Getreides entstanden war, findet sich auch in den 38 Apartments wieder. Von ein- bis mehrgeschossig und mit Größen von 106 bis 401 Quadratmetern existieren unterschiedlichste Wohntypologien in dem Haus. Auch vor Deckenhöhen von bis zu sieben Metern schreckten die Planer nicht zurück. Im Zusammenspiel mit den rauen Betonoberflächen, die allein durch Betonschneidemaschinen an die neue Nutzung angepasst werden konnten, ergeben sich beeindruckende Räume, die mit dem Ausblick auf den Hafen konkurrieren. Alles Neue wurde auf die Außenseite der historischen Hülle verlegt: Auch die Rahmen der deckenhohen Fenster versteckten die Architekten hinter den vorhandenen Betonmauern. Neben der Wohnnutzung finden sich in dem Gebäude auch mehrere öffentliche Orte: Ein Dachrestaurant, das als separater Glaskörper das Silo krönt, und ein Veranstaltungsraum im Erdgeschoss machen das Haus auch für die Stadtbevölkerung zugänglich. „Der Speicher wird zwar bewohnt, aber auch eine Attraktion sein“, freut sich Stubbergaard. Mit dem Umbau haben die Architekten von COBE nicht nur die beeindruckende Wandlung eines Industriebaus vollzogen – sie haben auch einen neuen urbanen Anziehungspunkt in Kopenhagen geschaffen.
The Silo Umbau eines 17-geschossigen Silos in ein Wohnhaus mit 38 Apartments, 10.000 Quadratmeter, Vorhangfassade aus verzinktem Stahl. Bauherr: Klaus Kastbjerg und NRE Denmark Architekt: COBE Kopenhagen, 2013–2017 www.thesilo.dk
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PROJEKTE
M e x i k a n i s c h e
TEXT: NORMAN KIETZMANN FOTOS: DIEGO COSME
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ARCHITEKTUR
M E T A M O R P H O S E
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PROJEKTE
Architektur ist selten für die Ewigkeit. In den meisten Fällen beschreibt sie nur einen Moment auf einer langen Zeitgeraden. Wie spannend räumliche Verwandlungen sein können, zeigt das Studio Intersticial Arquitectura im zentralmexikanischen Querétaro: Dort haben die Architekten einen unscheinbaren Industriebau als atmosphärisches Atelierhaus wiederbelebt.
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ARCHITEKTUR Strukturiert wird die Casa Estudio von mehreren Innenhöfen und Einschnitten, die das Ensemble belichten und klimatisieren. Die Treppe führt vom Atelier hinauf in den Wohnbereich (Foto oben). Dort befindet sich unter anderem das Wohn- und Esszimmer (Foto links).
Es muss nicht immer Mexico City sein: Auch das 200 Kilometer entfernte Santiago de Querétaro ist gerade reichlich in Bewegung. Das Zentrum mit seinen kolonialen Prachtbauten gehört seit 1996 zum UNESCO-Weltkulturerbe – dennoch schwelgt man nicht in der Vergangenheit. Die 800.000-Einwohner-Stadt hat sich zu einem schnell wachsenden Zentrum der IT-Branche entwickelt und vermeldet das zweithöchste Pro-Kopf-Einkommen Mexikos. Dass dies durchaus architektonische Visitenkarten hervorbringen kann, zeigt ein Gewerbeviertel am Rande der Altstadt. Hier hat sich das vor Ort ansässige Büro Intersticial Arquitectura eines verfallenen Lagerhauses aus den Achtzigerjahren angenommen, um es zu einem Ateliergebäude, einer Casa Estudio, für einen Industriedesigner und eine Grafikerin umzubauen. „Die Herausforderung bestand darin, aus weniger mehr zu machen“, beschreibt Studio-Gründer Rodolfo Unda Cortés den Auftrag. Die Architekten standen vor einer kniffligen Aufgabe: Auf der einen Seite sollten sie mit möglichst geringen Mitteln auskommen. Andererseits galt es, dem unscheinbaren Zweckbau räumliche Qualitäten abzugewinnen. Die Lösung bestand in einer Addition von mehreren Patios, die gedämpftes Sonnenlicht ins Innere hineinholen und zugleich eine natürliche Klimatisierung des 160-Quadratmeter-Baus erlauben. Der Aufbau folgt einer klaren Teilung: Das Erdgeschoss dient als Atelier, während die Wohnräume im neu hinzugefügten Obergeschoss untergebracht sind. Auf Farbe, die spätestens seit Luis Barragán ein wesentlicher Aspekt der mexikanischen Moderne ist, wurde hingegen verzichtet. Stattdessen setzen Wände aus Terrakottaziegeln einen warmen Kontrast zu den betongefertigten Böden, Decken und Trägerelementen, auf denen die Stromleitungen freiliegend montiert sind. Die Dualität aus Tonziegeln und Sichtbeton zieht sich durch sämtliche Bereiche der Casa Estudio und verbindet sie zu einem stimmigen Ensemble.
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PROJEKTE Die Ziegelwände im Erdgeschoss gehören zum Bestand und wurden lediglich vom Putz befreit. Um die räumliche Erweiterung dieses Arbeitsraumes lesbar zu machen, haben die Architekten den hinzugefügten Gebäudeteil mit quadratischen Terrakottafliesen deutlich abgesetzt. Dieser Bereich definiert eine Pufferzone zwischen Innenraum und offenem Pkw-Stellplatz, von der aus eine außenliegende Betontreppe hinauf ins Obergeschoss führt. Auch hier setzen Wände aus gemauerten Terrakottaziegeln einen atmosphärischen Kontrapunkt zur sichtbar gelassenen Betonkonstruktion. „Es sind eindeutig die freiliegenden Materialien, die dem Gebäude seinen Charakter geben“, bringt Ian Pablo Amores Muguira, der zweite Studio-Partner von Intersticial Arquitectura, die Wirkung auf den Punkt. Um Rauheit mit Wohnlichkeit in Einklang zu bringen, setzen hölzerne Einbauschränke und Regale warme Impulse. In den Wohnräumen werden Pflanzen von eigens angefertigten Paneelen aus geflochtenem spanischem Rohr (Junquillo) eingefasst. Dieses wurde aus dem Umland von Querétaro gewonnen und setzt ebenfalls einen wohnlichen Kontrast zur rauen Konstruktion aus Sichtbeton. Der Charme der Casa Estudio liegt genau an dieser Stelle: Sie changiert zwischen den Stilen und bringt das Einfache und Raffinierte, das Warme und Kalte sowie das Einladende und Schroffe auf stimmige Weise unter einen Hut. Vorher-Nachher-Bilder, Modellfotos und alle Pläne: www.heinze-dear.de/_02119
Casa Estudio, Querétaro Umbau von einem Lagerhaus in ein Atelier, 160 Quadratmeter Architekten: Intersticial Arquitectura, Rodolfo Unda Cortés und Ian Pablo Amores Muguira Santiago de Querétaro, Mexiko
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TEXT: TIM BERGE
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FOTO: FERNANDO GUERRA, FG+SG
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PROJEKTE
Diese Brüder gehören zu den Shootingstars der Architekturwelt: Manuel und Francisco Aires Mateus haben sich einen Namen mit kleinen, aber kompromisslosen Bauvorhaben gemacht. Das Wohnhaus in der Altstadt von Alcobaça erkundet die Schnittflächen zwischen Alt und Neu, zwischen Innen und Außen, zwischen Original und Nachbildung.
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ARCHITEKTUR Das portugiesische Architektenduo Aires Mateus arbeitet oft mit Leere, auch wenn, wie in diesem Fall, ein Volumen als Bestandsbau bereits existierte. Konsequenterweise war einer der ersten Schritte, das historische Gebäude vollständig auszuhöhlen. Alles, was stehen blieb, waren die Außenmauern des Hauses aus dem 12. Jahrhundert – nur die Kubatur wollten Manuel und Francisco Aires Mateus konservieren. Sie steht aus ihrer Sicht für den Kontext des Gebäudes: Unregelmäßige Kanten und Höhen erzählen die Geschichte des unmittelbaren städtischen Umfelds und des Ortes Alcobaça. Alle anderen
Mehr Fotos: www.heinze-dear.de/_02123
Wohnhaus in Alcobaça Bauen im Bestand, 475 Quadratmeter Bauherr: Privat Architekten: Aires Mateus e Associados, Manuel und Francisco Aires Mateus Alcobaça, Portugal
architektonischen Elemente wurden so lange bearbeitet, bis sie ihrer ursprünglichen Funktion enthoben waren, dabei aber immer noch erkennbar blieben. Fenster und Türen wurden zugemauert und die Fassade abgemeißelt. Abschließend überzogen die Architekten die gesamte äußere Hülle mit einer weißen Kalkschicht, um alle übriggebliebenen Details zu vereinheitlichen. Kontrastiert wird dieser Vorgang durch neue Öffnungen in der Fassade, die wie aus einer dicken Masse herausgeschnitten wirken. Diese Lücken und Hohlräume zeigen die ganze Stärke der Wände und betonen das Volumen. Gleichzeitig sorgen sie für ein Spiel mit Licht und Schatten und die Verbindung von Außen und Innen. Den bestehenden dreigeschossigen Bau ergänzten die Architekten um einen flachen, ebenfalls weiß gekalkten Anbau, der an der Stelle alter Holzschuppen seinen Platz gefunden hat. Getrennt wird er von seinem großen Nachbarn nur durch eine schmale Treppe, die vom Altbau überragt wird. Zu einer Berührung beider Körper kommt es nicht. Um der Zweiteilung gerecht zu werden, existieren separate Eingänge: einer an der Straßen- und ein zweiter an der Gartenseite. Dabei hat der Zutritt zum Altbau einen dramatischen Effekt. Er führt in einen fast vollständig ausge-
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PROJEKTE höhlten Baukörper, der an die Treppenvisionen von Piranesi oder Escher erinnert: Ebenfalls vollständig in Weiß gehalten und mit einer durchgehenden Bodenoberfläche aus hellem Marmor ausgestattet, verläuft ein Aufstieg entlang der Außenmauern und erschließt so verschiedene Ebenen und Volumen, die unter anderem ein Gästezimmer und eine Bibliothek beinhalten. Die eigentliche Nutzfläche des Gebäudes zieht sich durch das auf Gartenebene liegende Erdgeschoss und den Erweiterungsbau: Neben Wohnbereich, Bad und Küche gibt es drei Schlafzimmer, die alle über einen eigenen kleinen Patio verfügen. Die Innenräume besitzen die gleichen Oberflächen wie im Altbau: weiße Wände und heller Marmorboden. Mit
seinem unregelmäßig, polygonal geformten Grundriss übernimmt der Anbau die gezackte Silhouette der Holzhütten, die früher auf dem Grundstück standen. Manuel und Francisco Aires Mateus dachten auch hier in der Logik eines Volumens, das sie über das Hinzufügen von Hohlräumen in einen bewohnbaren Raum transformieren. Die architektonische Konsequenz sind Einschnitte und Höfe, die das Innere mit dem Äußeren verbinden. In seiner Reduktion gelingt es dem Einfamilienhaus, sich perfekt in seinen Kontext einzufügen. Gleichzeitig fasziniert die Poesie dieser Architektur, die sich allein aus Volumen, Leere und Licht zusammensetzt.
Die Fassaden wurden mit einer weißen Kalkschicht versehen und halten so Neu- und Altbau zusammen. Die weiße Mauer zeichnet die Grundstücksgrenze nach.
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ARCHITEKTUR
IM BAUCH DER MARMORINSEL
TEXT: TANJA PABELICK FOTOS: NOT VITAL
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PROJEKTE
Inseln sind der ultimative Zufluchtsort vor dem Rest der Welt, und das Wasser ist ein natürlicher Jägerzaun. Inmitten der patagonischen Gletscherlandschaft dient eine Insel als Bühne für Installationen und besteht dabei komplett: aus massivem Marmor.
Big Stairs: 39 Stufen führen durch den weißen Block auf die Privatinsel NotOna Island, die komplett aus Marmor besteht. Entsprechend lange dauerte auch der Bau des fast 50 Meter langen Tunnels: Sechs Jahre widmete Not Vital den Installationen.
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ARCHITEKTUR Richard Branson hat eine, Johnny Depp und Julia Roberts auch. Inseln sind der ultimative Zufluchtsort. Im chilenischen Teil Patagoniens hat der Maler, Bildhauer und Grafiker Not Vital sein privates Eiland. Er kommt aus dem Engadin und ist Grenzgänger zwischen den Professionen. Vital beschäftigt die Beziehung von Mensch und Natur, aber auch die zwischen Material und Milieu. Sein Leben hat der Schweizer Künstler nomadisch ausgerichtet, mit einer intensiven Verbundenheit zur Heimat im Engadin und Stationen in China, Brasilien, Niger, Laos und Chile. Wo immer Vital auch landet, studiert er das lokale Handwerk und die Ressourcen. Beides macht er zu den Themen seiner monumentalen Objekte, die unmittelbar vor Ort errichtet werden und oft eher als Häuser denn als Skulpturen zur Interaktion mit der Landschaft einladen.
„Als Künstler war ich immer daran interessiert, das Material zu betreten und zu einem Habitat zu machen“, sagt Not Vital. Er schafft in seiner Arbeit eine Synthese von Architektur und Kunst. Vor einigen Jahren besuchte der Künstler Patagonien und erhielt das Angebot, im Lago General Carrera, einem See zwischen Argentinien und Chile, eine kleine Insel zu kaufen. Er war von der Szenerie beeindruckt, in der grauer Stein und weißblaues Eis, vereinzeltes Grün und das klare Blau des Himmels aufeinandertreffen. Entgegen seiner eigenen Tradition entschloss er sich, kein Haus darauf zu bauen, um die Har-
monie der Natur nicht zu stören. „Gerade weil ich kein Architekt bin, kann ich auch entscheiden, nicht zu bauen“, erklärt Not Vital mit Augenzwinkern. Ein temporäres Zuhause sollte hier aber trotzdem entstehen. Der Künstler entschied sich für einen Tunnel mit fast 50 Metern Länge. Er führt fast einmal quer über die Insel, durch den Felsenhügel im Zentrum und vor allem durch massiven Marmor. Von außen lässt nur ein kleines Fenster mitten im Felsen Rückschluss auf menschlichen Einfluss zu. Es ist im Zentrum des Tunnels platziert, an einem Ort absoluter Stille, umgeben von kaltem Fels, aber vor allem mit direktem Blick auf das atemberaubende Panorama Patagoniens und den 50 Kilometer langen St.-Valentin-Gletscher. Das Fenster ist außerdem so positioniert, dass der Blick über das Meer direkt auf den Sonnenuntergang gerichtet ist. Als Schlaflager dienen eine einfache Matratze und ein Schlafsack. Es gibt kein Bad, keine Küche, keine Möbel, nur den blanken Tunnel. Komplett aus Marmor, am Boden poliert und an den Wänden rau belassen. Der Berg selbst ist Vitals Skulpturenblock, der Raum ein homogener Hohlraum ohne Fugen, der die Struktur des Marmors an seinem natürlichen Entstehungsort offenlegt. Sechs Jahre hat es gedauert, den Tunnel und weitere kleine Eingriffe auf der Insel fertigzustellen. Aus dem Marmor, der für den Bau des Tunnels aus dem Felsen geschlagen wurde, entstand ein monumentaler Quader, der den Zugang auf die Insel markiert. Big Stairs hat Not Vital diese Skulptur getauft, durch die eine schmale Treppe vom Ufer auf die Anhöhe der Insel führt. Im Innern gibt es außerdem einen dreieckigen Raum, der durch den Tunnel zu erreichen ist. Bleibt die Frage nach dem Namen, den Vital seiner Insel gegeben hat. NotOna kombiniert Vitals Vornamen mit dem Namen der Urbevölkerung, der Ona, die einst hier lebten. Und ist damit eine Hommage an die Region. Dass der Name auch anders interpretiert werden kann, passt durchaus zum Selbstverständnis des Ortes. Denn ob sich gerade jemand auf der Insel versteckt, weiß man erst, wenn man sich selbst auf die Insel und in die heimlichen Katakomben unterhalb der unberührten Oberfläche begibt.
notvital.com
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PROJEKTE
Die Fassade wird stellenweise von Elementen aus Polycarbonat oder Aluminiumblechen unterbrochen. Die Dachaufbauten sind Kunstwerke von Pieter Vermeersch.
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Den Anfang für die Serie der Solo Houses hatte Pezo von Ellrichshausen vor vier Jahren mit seiner Wohnskulptur aus Beton gemacht – der zweite Streich für ein Ferienhaus inmitten der katalanischen Wildnis in Matarraña (Aragonien) kommt von den belgischen Architekten Kersten Geers David Van Severen: Jetzt wurde das Second Home von OFFICE KGDVS eingeweiht. Im Fokus ihres kreisrunden Gebäudes stehen die Durchdringung von Natur und Architektur und: die unbedingt bedingte Auflösung der Form.
TEXT: JEANETTE KUNSMANN FOTOS: BAS PRINCEN
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PROJEKTE Hula-Hoop-Grundriss: Durch den runden Catwalk ergibt sich ein 360-Grad-Panoramablick zu beiden Seiten. Nach außen öffnet sich das Solo House zur Landschaft, während sich im Kreis selbst ein geschützter Innenhof mit Pool befindet. Pläne: © OFFICE KGDVS
FAMILIENKREISE Was passiert, wenn Architektur nicht alltagstauglich sein muss? Wenn sie weder Vor- noch Aufgaben hat und weder
Der Kreis gilt als Symbol für Einheit oder Ewigkeit, für das Absolute, das Göttliche. Schon Platon hielt ein Kugelwesen für
Bauherren noch Nachbarn kennt, sondern allein von ein paar einsamen Olivenbäumen und wilden Wiesen umgeben ist? So eine Carte blanche klingt für viele Planer nicht unbedingt so reizvoll, wie man annehmen könnte: Denn sie schürt auch Ängste. Ein paar Eckdaten können schließlich hilfreich sein, um nicht ins Schwimmen zu geraten. Alles andere ist Kunst.
die erste Lebensform auf Erden und beschrieb die „vom Mittelpunkte aus nach allen Endpunkten gleich weit abstehende kreisförmige Gestalt [als] die vollkommenste Form“. David Van Severen und Kersten Geers haben sich für ihre Architektur aber möglicherweise weniger von Platon, sondern eher von einem Kreisel oder einem Hula-Hoop-Reifen inspirieren lassen. Das betonierte Fundament bezeichnen die Architekten selbst als eine Art „kreisrunden Catwalk“. Das Zentrum des 550 Quadratmeter großen Hauses bildet ein geschützter Innenhof mit Pool. Vier gleich lange Sehnen mit gleicher Steigung teilen die zwei Kreise verschiedenen Durchmessers mit identischem Mittelpunkt: So lautet die mathematische Beschreibung der Grundrissformen. Was kompliziert klingen mag, sieht simpel aus, und so gliedern die Architekten den Kreis auf einfache Weise in vier Gebäudesequenzen, zwischen denen sich weitere Räume zur Landschaft öffnen. Jede der abgeschlossenen vier Sequenzen misst 60 Quadratmeter, wobei die vier Sehnen des Kreises jeweils eine Reihe mit neun Stahlsäulen markieren. Würde man alle Sehnen verlängern und sich kreuzen lassen, ergäbe sich ein Quadrat, das den Kreis schneidet und in vier Bögen teilt: ein Bogensegment für das Wohnhaus, ein Segment für den Schlafbereich, das dritte für das Gästehaus und ein letztes für das Poolhaus. Damit genug Mathematik. Entscheidendes Element für diese minimale Architektur ist das Dach. Während die Glasfassade wie ein leichter Vorhang in den beschriebenen Sequenzen das Gebäude umrundet und ab und zu von Elementen aus Polycarbonat oder Aluminiumblechen unterbrochen wird, nimmt das Flachdach neben seiner schützenden Funktion die gesamte technische Infrastruktur auf. Photovoltaik, Wassertanks und Generatoren gruppieren sich auf der Dachkonstruktion, die einen Durchmesser von 40 Metern hat. Gestaltet wurden diese Dachobjekte von dem Maler Pieter Vermeersch. Auch sonst überzeugt
CASE STUDY IN DER SPANISCHEN TOSKANA Cretas, zwei Stunden südwestlich von Barcelona. Als der französische Immobilienentwickler Christian Bourdais 2010 inmitten der wundervollen Landschaft des Parks Ports de Tortosa-Beseit in Matarraña – eine Gegend, die man aus guten Gründen auch das spanische Pendant zur Toskana nennt – die ersten Pläne für sein Solo Project fasste, hatte er vor allem die amerikanischen Case Study Houses vor Augen. Nur sollte sein Wohnexperiment einen Schritt weiter gehen. Es sind zehn bewohnbare Skulpturen, die für sich alleine stehen, aber in der Summe zu etwas Größerem zusammenwachsen. Die Casa Solo Pezo des chilenischen Studios Pezo von Ellrichshausen Architects bildete als erste Fertigstellung 2013 den Auftakt der Solo Houses. Solo Houses gibt es nur im Plural, die Reihe will die erste Architektursammlung in Europa sein. Für die belgischen Architekten Kersten Geers und David Van Severen war die Umgebung dieser spanischen Toskana so beeindruckend, dass sie ein unsichtbares Gebäude entwerfen wollten – ein Haus, das in der Landschaft verschwindet. Gebaut wurde ihr Solo in Spanien auf einem natürlichen Plateau, das einen Blick aufs Meer erlaubt. Die Landschaft war es schließlich, die die Form definierte. Allein durch den kreisförmigen Grundriss ergibt sich ein 360-Grad-Panoramablick. OFFICE KGDVS haben ein demokratisches Haus entworfen, das weder Vorne noch Hinten hat: Alle Seiten, alle Fassaden sind gleich.
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ARCHITEKTUR
die Kooperation der Architekten mit anderen Disziplinen: Die Stuhl-Leuchte Solo Stools stammt von dem Künstler Richard
die Solo Houses jeweils mit der Gestaltung des Londoner Serpentine Pavilion beauftragt, und Fabrizio Barozzi und Alberto
Venlet, die Chaiselongue-Kollektion Wire S hat das belgische Designbüro Muller Van Severen exklusiv für das kreisrunde Ferienhaus entworfen. Hier schließt sich übrigens ein anderer Kreis: Fien Muller und Hannes Van Severen sind nicht nur beruflich, sondern auch privat ein Paar – wobei Hannes Van Severen der Sohn des 2005 verstorbenen Designers Maarten Van Severen und Bruder von David Van Severen ist.
Veiga bekamen 2015 mit dem Mies van der Rohe Award den Ehrenpreis, der fast so bedeutend wie der Pritzker-Preis ist. Ob sich aber alle Solo Houses so einfach und schnell realisieren lassen werden wie die beiden ersten, bleibt abzuwarten. Im Fall von OFFICE KGDVS ist das Ergebnis ein Haus, das alle Konventionen hinterfragt – das nichts muss und alles kann. Vorausgegangen war die Studie Solo Office, die Kersten Geers und David Van Severen Ende letzten Sommer auf der Biennale Interieur in Kortrijk präsentierten. Interessanterweise spielen ein Großteil der Solo Houses in der Wildnis mit Symmetrie und Strenge – fast so, als wären es die ersten und letzten Häuser der Welt.
SYMMETRIE IN DER WILDNIS Sou Fujimoto, Didier Faustino, Anne Holtrop, Bijoy Jain vom Studio Mumbai, MOS, Smiljan Radic, Kuehn Malvezzi, Tatiana Bilbao, Barozzi Veiga und Christ & Gantenbein heißen die nächsten Architekten, die ihre experimentellen Urlaubsarchitekturen in der spanischen Toskana zwischen Barcelona, Valencia und Saragossa verwirklichen dürfen. Für die Auswahl der zwölf Architekten für sein Solo-Project wählte Christian Bourdais den Begriff einer internationalen „New Garde“, was irgendwie ein neopostmodernes Kompositum aus Newcomer und Avantgarde zu sein scheint. Tatsächlich klingt die Runde vielversprechend, zudem wirkt es erleichternd, dass übergroße Namen wie John Pawson oder Peter Zumthor fehlen, die zum Beispiel neben MVRDV oder FAT Architecture Ferienhäuser für Alain de Bottons und Marc Robinsons Plattform Living Architecture entworfen haben. Bourdais beweist in mehreren Fällen einen guten Riecher: Sou Fujimoto (2013) und Smiljan Radic (2014) wurden nach ihrem Entwurf für
Alle Fotos und Pläne: www.heinze-dear.de/_02131
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PROJEKTE
Die Chaiselongue Wire S haben Fien Muller und Hannes Van Severen exklusiv für das Solo House entworfen. Foto: © Muller Van Severen
Solo Office KGDVS Stahlbetonkonstruktion mit Fassadenelementen aus Aluminium, Polycarbonat und Glas, 550 Quadratmeter Bauherr: Christian Bourdais / Solo Houses Architekten: OFFICE Kersten Geers David Van Severen / Diogo Porto Architects In Zusammenarbeit mit: Jan Lenaerts Künstlerische Interventionen: Pieter Vermeersch 2014–2017 / Einweihung: 24. April 2017 Polygon 13, Parcel 381, Cretas, Spanien www.solo-houses.com
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EDITOR’S PICK PACIFIC OFFICE — VON TIM BERGE
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LAMY AL-STAR PACIFIC Wenn es ums Schreiben geht, ist Lamy nicht weit. Die aktuelle Edition des Heidelberger Herstellers dreht sich ganz um die Farbe Blau: Besonders angetan hat es uns der Lamy AL-star pacific mit seiner türkisen Hülle aus eloxiertem Aluminium.
TYKHO RADIO Nicht nur die Farbe empfiehlt das Tykho Radio von Lexon für den nächsten Strandurlaub: Der Apparat ist durch seine Oberfläche aus Silikongummi auch spritzwassergeschützt und kann daher problemlos die ein oder andere Erfrischung aus kühlem Nass vertragen.
HAY STARFISH Die Inspiration für seinen Kartenhalter fand der spanische Designer Jordi López Aguiló in der Form des Seesterns: Visitenkarten, Notizen und auch schmale Objekte lassen sich problemlos zwischen den schmalen Rillen von Starfish einklemmen. Strandgefühl am Schreibtisch inklusive!
www.heinze-dear.de/_021372
VITRA PACIFIC CHAIR Ruhig und friedlich wie der Pazifik – und kein weiterer Apparat der Arbeitswelt. Der Pacific Chair von Vitra und dem Londoner Designduo Barber & Osgerby ist alles andere als eine Ansammlung von Steuerelementen und Hebeln, die den technischen Aufwand heutiger Büromöbel unter Beweis stellen. Im Gegenteil, der Stuhl ist die Ruhe selbst. www.heinze-dear.de/_021374
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WWW.WALDMANN.COM
RHYTHMUS FÜRS AUGE
Dass Licht nicht nur die Dunkelheit vertreibt, ist bekannt. Erst seit der Jahrtausendwende haben wir allerdings die wissenschaftliche Erklärung dafür: Hochsensible Fotorezeptoren auf der Netzhaut helfen, unseren Biorhythmus zu steuern, und sorgen für Wohlbefinden. Die Entdeckung dieses Zusammenhangs hat zu einer Revolution in der Innenraumbeleuchtung geführt: Human Centric Lighting, kurz HCL, nennt sich der neue Ansatz biologisch wirksamen Kunstlichts.
Leuchte Vivaa VTL, © Waldmann
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www.waldmann.com
ARCHITEKTUR Natürliches Licht umfasst das vollständige Farbspektrum und wechselt je nach Tageszeit seine Intensität – das können wir sehen. Während man lange davon ausging, dass die Ganglienzellen an der Rückseite des menschlichen Auges lediglich der Informationsverarbeitung aus den visuellen Rezeptoren – Zapfen und Stäbchen – dienten, weiß man es heute besser: Sie verfügen über eine eigene Lichtempfindlichkeit und reagieren dank des Fotopigments Melanopsin besonders im blauen Spektralbereich. Am Morgen, wenn die Blauanteile im Sonnenlicht sehr hoch sind, leiten sie die Information direkt an unsere „innere Uhr“ weiter. Infolgedessen produziert unser Körper das stoffwechselanregende Hormon Cortisol. Abends stimulieren hingegen erhöhte Rotanteile im Licht die Ausschüttung von Melatonin und leiten damit unsere Schlafphase ein. Obgleich dieser Schlaf-Wach-Rhythmus mit einer Periode von 24 Stunden genetisch vorprogrammiert ist, muss er doch mithilfe des richtigen Lichts täglich neu getaktet werden. Für Menschen, die den Großteil ihres Alltags in Innenräumen verbringen, kann das zum Problem werden. Besonders betroffen sind physisch eingeschränkte Senioren. Sie leiden vermehrt unter Schlafstörungen, chronischer Müdigkeit und Depressionen.
denburg. „Im Zentrum stand hier die Verbesserung der Lebensqualität pflegebedürftiger Menschen und insbesondere von Menschen mit neurodegenerativen Erkrankungen.“ Da das Konzept dieses Pflegeträgers vorsieht, die Fähigkeiten der Betroffenen vor allem durch nichtmedikamentöse Therapieformen zu fördern, spielte die Raumgestaltung eine tragende Rolle. So sind die beiden Pflegeeinrichtungen deutschlandweit die ersten, die ein biodynamisches Lichtkonzept in so großem Umfang realisiert haben. Das VTL-System kommt nicht nur in den tageslichtfernen Flurbereichen zum Einsatz, sondern im Essbereich, in den Ruheräumen, im Kaminzimmer, in den Gruppen- und Gymnastikräumen, im Eingangsbereich und sogar in den Büros der Mitarbeiter. Nach gerade einmal fünf Monaten ist der Erfolg schon deutlich spürbar. „Wir stellen fest, dass unsere Klienten merklich aktiver sind. Bei einigen können wir feststellen, dass der Tag-Nacht-Rhythmus wieder funktioniert, so wie wir es beabsichtigt hatten“, sagt Bekel und fügt hinzu: „Auch Mitarbeiter beschreiben, dass sie kaum noch müde sind während des Arbeitstages. Sie fühlen sich ausgeruhter und können nach eigenen Angaben sogar besser schlafen.“
ERFOLGREICH IN DIE DRITTE DIMENSION
ADVERTORIAL
Eine innovative Lösung bietet der süddeutsche Leuchtenhersteller Waldmann, der auf dem Gebiet des Human Centric Lighting eine Pionierrolle einnimmt. Gemeinsam mit seinem schweizerischen Tochterunternehmen Derungs hat er das Lichtmanagementsystem Visual Timing Light, kurz VTL, entwickelt, das die Simulation eines 24-Stunden-Lichtverlaufs ermöglicht. Es besteht aus den Leuchten Vanera VTL, Amadea VTL und Vivaa VTL, deren Lichtfarbe und -intensität mithilfe einer Dali-Steuerung an den Tagesablauf angepasst wird. Damit das Lichtsystem seine volle Wirkung entfalten kann, gilt es allerdings, weitere von der Natur vorgegebene Parameter zu beachten. So ist großflächiges Licht, das von oben direkt auf das Auge trifft und das gesamte Gesichtsfeld ausleuchtet, am effektivsten. Zusätzlich unterstützend wirken auch Raumfarben, die die blauen Lichtanteile optimal reflektieren. Und zu guter Letzt muss die Wellenlänge stimmen: Die maximale Empfindlichkeit von Melanopsin liegt zwischen 460 und 480 Nanometern. Vor allem Demenzkranke, die häufig an einer vollständigen Tag-Nacht-Umkehr leiden, profitieren von diesen Erkenntnissen.
In den Pflegetherapeutischen Zentren Altentreptow und Neubrandenburg kommt das Waldmann VTL-System Amadea zum Einsatz. © Waldmann
ZEITENWENDE IN DER PFLEGE „Es war von Beginn an die Zielsetzung, VTL als Teil unseres Konzeptes ‚Enriched Environment’ zu nutzen“, erklärt Gerd Bekel, Geschäftsführer und fachwissenschaftlicher Leiter der Pflegetherapeutischen Zentren Altentreptow und Neubran-
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EDITOR’S PICK LICHT — VON MARKUS HIEKE
STONED
JUNE Wie Glühwürmchen an einem Schilfrohr sitzen die Leuchtkugeln der Gartenleuchte June von Vibia an einem Stab. Neben der Bodenvariante gehören zur Kollektion des Emiliana Design Studios zwei Girlandenvarianten sowie eine tragbare Einzelleuchte und eine Tischleuchte. Für angenehmes Licht sorgen warmweiße LEDs.
Diese LED-Leuchte ist kein Ersatz für atmosphärischen Kerzenschein, vielleicht aber eine gute Alternative. Buster + Punch versteht es, aus klassischen Elementen zeitgenössisches Design zu kreieren. Mit Stoned hebt das Londoner Label seine 2015 vorgestellte Neuinterpretation der Glühbirne Buster Bulb auf ein neues Level. www.heinze-dear.de/_021402
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JUNG LED-STECKDOSE
Wie jede Kollektion des kanadischen Leuchtenherstellers Bocci trägt auch diese eine identifizierende Nummer: 76 ist ein halbes Oval, das an einen versteinerten Seeigel erinnert. Einzeln an der Wand oder als Gruppe pendelnd, changieren die Objekte zwischen dekorativem Detail und pompöser Lichtskulptur – zu sehen im Bocci-Haus an der Berliner Kantstraße.
Stromquell und Orientierungslicht in einem: Mit dieser Steckdose folgt Jung seinem Prinzip reduzierter Gestaltung. Dank bündig integriertem LED-Lichtstreifen beleuchtet das kleine Ding dezent den Boden. Erhältlich ist das LED-Licht für die Schalterserien LS und A. www.heinze-dear.de/_021404
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INTERVIEW
ARCHITEKTUR
HEBEN, SENKEN, DREHEN, SCHWENKEN:
ACHT ANTWORTEN VON GAMFRATESI GamFratesi gehören zu den großen Entdeckungen der letzten Jahre. Das Duo verbindet italienischen Stil mit skandinavischem Twist. Für Louis Poulsen haben Stine Gam und Enrico Fratesi gerade eine wendige Leuchtenfamilie entworfen, die sich am Erbe des dänischen Herstellers orientiert.
VON MARKUS HIEKE
Große Beweglichkeit auf kleinem Raum: Auf der Euroluce 2017 haben GamFratesi die Leuchte Yuh präsentiert – markant ihr Kabel, das mit dem Schirm auf und ab wandert.
Mit Yuh stellen Sie eine Leuchte vor, die problemlos mit der Leuchte AJ von Arne Jacobsen für Louis Poulsen als Duo auftreten könnte. EF: Das stimmt, das könnte sie wohl. Aber das Design ist natürlich anders, Yuh ist zeitgemäßer, flexibler, während AJ viel statischer ist. Letztendlich ist unser Ziel jedoch immer, mit der DNA einer Marke zu arbeiten. Foto: Petra Kleis
YUH BY LOUIS POULSEN
Stine Gam, Enrico Fratesi, haben Sie gerade einen Klassiker entworfen? Enrico Fratesi: Ich würde eher sagen, wenn etwas ein Klassiker wird, dann haben wir als Designer etwas richtig gemacht. Alles andere wäre ein viel zu großer Druck. Stine Gam: So etwas kann man erst mit der Zeit sehen. Natürlich wäre es das Beste, was passieren kann.
Wie würden Sie die DNA dieser Leuchte beschreiben? EF: In ihrer Ästhetik, der Form und Funktion ist
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INTERVIEW
Wie kam es zu Yuh? EF: Wir wurden von Louis Poulsen angefragt, eine Tisch-, Steh- und Wandleuchte zu gestalten. Dabei hatten wir generell
freie Hand. Unsere Idee war es, ein Produkt zu entwickeln, das nur wenig Raum einnimmt, dabei aber eine hohe Beweglichkeit aufweist. Hierbei spielen die Verstellbarkeit von unten nach oben, die Drehung des Schirms und die Neigung eine bedeutende Rolle. SG: Natürlich waren wir insofern beeinflusst, als dass wir das Erbe des Herstellers einbinden wollten. Wir wurden direkt von der AJ-Leuchte inspiriert. Auch da gibt es den Kreis, der parallel zum Boden verläuft, die Linien und Formen ähneln sich. Daneben haben wir das gedämpfte Licht der Leuchte PH von Poul Henningsen, das wir durch den Diffusor erreichen. Die Lichtquelle bleibt damit immer verborgen. Wofür steht der Name? EF: Yuh klingt phonetisch gleich wie das Wort „you“. Die Leuchte ist schließlich stets so ausgerichtet, wie du sie brauchst. Sie ist flexibel wie eine Arbeitsleuchte, ohne aber genauso technisch zu wirken. SG: Dabei ist die Form sehr geometrisch – eigentlich nur ein Kreis und eine Linie – und sie wird beeinflusst von der Bewegung. Dieser Einschnitt ermöglicht die Neigung, und mit ihm wird die Kreisform zur Linie. Das gibt ihr diese Originalität. Yuh hat all diese Funktionen, ohne kompliziert auszusehen. Sie wirkt eigentlich sehr, sehr einfach. Mit der Leuchte Yuh, einem Sessel für Porro, der aktuellen Showroom-Präsentation für Kvadrat und einem Schaufenster für Hermès sind Sie viel im Designbereich unterwegs – arbeiten Sie eigentlich noch als Architekten? EF: Tatsächlich steigt im Augenblick die Zahl der Architekturprojekte. In Paris haben wir eine Brasserie und ein Restaurant auf den Champs-Élysées gestaltet. In Kopenhagen ein Restaurant. Und auch den Messestand von Louis Poulsen auf der Euroluce in
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Mailand haben wir mit sehr architektonischem Anspruch entworfen. Ein weißer Kubus mit angedeuteten Treppen, teilweise kopfüber. EF: Wir haben ihn ein wenig wie eine Pop-upKarte gestaltet. Es wurden gewisse Schnitte gesetzt, um sie dann auffalten zu können. Zunächst haben wir das in Papier erarbeitet und dann in diese Wände hier übersetzt. Wird es mehr Projekte von GamFratesi für Louis Poulsen geben? EF: Davon kann man ausgehen. Statt mit vielen Herstellern zusammenzuarbeiten, bevorzugen wir es, Kollektionen weiterzuentwickeln. Wie bei Gubi beispielsweise, einem der ersten Unternehmen, mit dem wir zusammengearbeitet haben. Das war 2008: Seither ist die Kollektion immer weiter gewachsen, und das werden wir auch hier versuchen. So lernen wir die Firmen zu verstehen, und die Leute verstehen auch uns: GamFratesi.
Foto: Heidi Lerkenfeldt
die Leuchte sehr dänisch. Betrachtet man aber, wie die Funktionalität und Beweglichkeit umgesetzt wurde, ist sie eher italienisch – in dem Sinne, wie für sie Grenzen der Machbarkeit ausgelotet worden sind.
hgschmitz.de
System 106 Modulare und flexible Türstationen im Gira TürkommunikationsSystem
Produktdesign: Tesseraux + Partner
Das Gira System 106 ist ein modulares Türkommunikations-System in puristisch edlem Design. Es basiert auf einzelnen Modulen, die flexibel kombiniert und je nach Anforderung hoch, quer oder quadratisch angeordnet werden können. Hochwertige und robuste Designfronten aus Edelstahl, Aluminium und weiß lackiertem Metall sowie eine flache Bauweise sorgen für ein elegantes Erscheinungsbild an der Tür. Auszeichnungen: Iconic Awards 2014 Best of Best, Plus X Award 2014 in der Kategorie Bestes Produkt des Jahres, Plus X Award 2014 für High Quality, Design, Bedienkomfort und Funktionalität Mehr Informationen: www.gira.de/system106
HANDS-ON — HP
EINDRUCK ZUM AUSDRUCKEN: HP LATEXDRUCK
TEXT: MARKUS HIEKE FOTOS: ANNETTE KUHLS
Wie wäre es, wenn man für verschiedene Interiorprojekte jeweils individuelle Tapeten bedrucken könnte? Textilien oder Fensterfolien? Was, wenn sich Druckprodukte ohne Trocknungszeiten sofort weiterverarbeiten ließen? Mit einem Latexdrucker von HP ist das kein Problem. In Stuttgart erfahren wir, wie das Druckverfahren funktioniert – zu Besuch bei drei sehr verschiedenen Architekturbüros. 144
ARCHITEKTUR
STUTTGARTER NORDEN I
ADVERTORIAL
Das Atelier Brückner steht für Ausstellungskonzepte, Markeninszenierungen und Architekturen in regionalen wie internationalen Projekten von der Schweiz über den Libanon bis nach Saudi-Arabien. Derzeitiges Highlight ist die Planung für das Große Ägyptische Museum in Gizeh. Zum Thema Papier und Druckprodukt hat man bei Atelier Brückner einen besonderen Bezug. Eine Bibliothek samt eigener Bibliothekarin hält die Mitarbeiter dazu an, sich nicht nur online zu informieren. Das ganze Büro verfügt über bewegliche Wände, an denen Ausdrucke im Klein- und Großformat hängen. „Uns geht es darum, Raumgrafik im Maßstab 1:1 zu sehen und die Lesbarkeit von Schrift zu prüfen“, berichtet Eva-Maria Heinrich, Kreativleiterin der Grafikabteilung bei Brückner. So haben die Drucke oft eine Lebensdauer von wenigen Monaten und manchmal nur von zehn Minuten. Ist ein Projekt abgeschlossen, wird – abgesehen von den Modellen – ausschließlich digital archiviert. Trotzdem möchten sie den bestehenden Großformatdrucker – einen HP DesignJet – nicht missen. Die technische Neuerung von HP dürfte damit vor allem bei der Projektausführung interessant sein. Neben der Weiterentwicklung von bewegten Druckköpfen zu ganzen Druckleisten, die über die gesamte Rollenbreite
STUTTGARTER NORDEN II verlaufen und damit deutlich kürzere Druckzeiten ermöglichen, liegt der Fortschritt in der Tinte. Die nach wie vor wasserbasierte Farbe ist mit winzigen Latexpartikeln versetzt, die eine längere Haltbarkeit und bessere Brillanz erzielen. Daneben sorgt ein weiterer Zusatz für höhere Kratzfestigkeit. Bei der Museumsgestaltung ließen sich damit beispielsweise beanspruchte Oberflächen, Wände, Textilien oder Folien bedrucken. „Die finale Umsetzung der Raumgrafik übernimmt für uns die Druckproduktion“, erklärt Eva-Maria Heinrich.
„Aber es ist gut zu wissen, welche Möglichkeiten sich dadurch für unsere Projekte ergeben.“
Wenige Gehminuten entfernt empfängt uns Ernst Ulrich Tillmanns, einer der vier Gründer von 4a Architekten.
„Der Drucker ist für uns ein unverzichtbarer Mitarbeiter“, meint er, „ohne ihn geht gar nichts.“ Im Alltag verwenden Tillmanns und seine Kollegen einen Großformatdrucker, mit dem man gleichzeitig scannen kann. Auch das ist mit den Geräten von HP möglich. Über eine Schnittstelle lassen sich Pläne vektorisieren und anschließend sogar mobil auf dem iPad betrachten, mit Notizen versehen oder ausschnittsweise ausdrucken. Erstaunt ist Tillmanns hinsichtlich der erzielbaren Druckgeschwindigkeit: Bis zu 30 DIN-A1-Formate realisiert der neueste etwa einen Meter breite, feststehende Druckkopf pro Minute – flächig!
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HANDS-ON — HP Angelika Selg, Marketing Managerin bei HP, zeigt die möglichen Anwendungsbereiche eines HP Latexdruckers und erläutert einen wichtigen Vorteil der Latextinte: „Die Tinte ist wasserlöslich und nicht mit Lösemitteln versetzt. Damit ist sie etwa in sonst kritischen Bereichen wie Krankenhäusern geeignet.“ Kinderstationen ließen sich beispielsweise mit kindergerechten Wandmotiven inszenieren. Aber auch in Hotels, Restaurants und Ladenbereichen liefert der Latexdruck eine große Gestaltungsvielfalt. Weiches Kunstleder, selbst Bodenbeläge können bedruckt werden, zum Beispiel mit realistischen Stein- oder Holzmotiven. „Sichtbeton können wir gut“, scherzt Ernst Ulrich Tillmanns mit Blick auf Referenzen, die mithilfe des Verfahrens umgesetzt wurden. „Da brauche ich keinen Drucker. Aber wenn es einen richtigen Mehrwert hat, ist es für uns schon interessant.“ So wären bedruckte Fensterfolien im Spa-Bereich sicherlich denkbar.
STUTTGARTER WESTEN Zuletzt besuchen wir mit HP ein deutlich kleineres Architekturbüro im Westen der Stadt. Bottega + Ehrhardt werden häufig mit Umbauprojekten beauftragt. Zu ihrem Spektrum gehören Einfamilienhäuser, Shops, Agenturen, aber auch Messestände. Sieht man sich im Büro nach einem Großformatdrucker um, wird man hier nicht fündig. „Wir haben uns von Anfang an gegen einen Plotter entschieden“, erklärt Henning Ehrhardt, Büropartner neben Giorgio Bottega. Zu unbedacht gingen die Leute ihrer Erfahrung nach mit dem Medium Papier um, drucken einmal, drucken nochmal. Was wirklich in groß benötigt wird, wird vom Druckdienstleister gedruckt. Dass neue Druckverfahren auch hier Interesse wecken, liegt nicht zuletzt an der Lebensdauer der Drucke. Die besondere Pigmentierung der Tinten macht die Farben extrem lichtecht und bis zu 200 Jahre dauerhaft brillant. Hinsichtlich der Zahl an Gestaltungsoptionen sind die Architekten überzeugt, solange „der Druck nicht nur etwas Dekoratives bleibt“, so Henning Ehrhardt, sondern sich durch die Anwendung der Technologie ein echter Pluspunkt ergibt.
„Man sollte damit jedenfalls keine Oberflächen imitieren“,
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meint Falko Kühnel, Architekt bei Bottega + Ehrhardt, dabei verstecke sich der Druck hinter dem realistischen Motiv. „Sinnvoller wäre es ja, Motive zu verwirklichen, bei denen klar ist, dass sie gedruckt sind.“ Seitens des Latexverfahrens steht dem nichts im Weg: Vom Sonnenschutz bis zum Kissenbezug lassen sich ganze Interiors drucken. Dass HP mithilfe seiner enormen Medienbandbreite in die Architektur findet, steht damit außer Frage.
HANDS-ON — HP HANDS-ON — ARCHITEKTEN
ARCHITEKTUR
ATELIER BRÜCKNER Auf 1.800 Quadratmetern einer Fabriketage in Bad Cannstatt entstehen bei Atelier Brückner Architekturen, Ausstellungen und Szenografien für Projekte in aller Welt: die Deutsche Börse in Frankfurt, die grafische und inhaltliche Neugestaltung des Kopenhagener Meeresmuseums oder die Dauerausstellung Arabian Journeys für das sich in Fertigstellung befindliche King Abdulaziz Center for World Culture in Dhahran. Knapp 100 Mitarbeiter aus 25 Nationen beschäftigt das 1997 von Uwe R. Brückner und Shirin Frangoul-Brückner gegründete Büro mittlerweile. „Form follows content“, lautet der Leitsatz, der ihren Anspruch einer inhaltlichen Aufbereitung über die Schwelle des Funktionalen hinaus beschreibt.
WWW.ATELIER-BRUECKNER.COM
4A ARCHITEKTEN
WWW.BE-ARCH.COM
4A-ARCHITEKTEN.DE
Man könnte sie die Swimmingpool-Experten nennen. Dabei fing alles anders an: 1990 von den vier Architekten Matthias Burkart, Eberhard Pritzer (Partner bis 2001), Alexander von Salmuth und Ernst Ulrich Tillmanns gegründet, zählte 4a verschiedene Messeinszenierungen, kleinere Projekte und den ein oder anderen Industriebau in sein Portfollio. Mit dem Wettbewerbszuschlag für ein Freizeit- und Thermalbad in Tuttlingen (1997) begann die eigentliche Leidenschaft. Seither entstanden zahlreiche Bäder, Spas und Sportzentren in Deutschland, Österreich, Luxemburg und Russland. In Moskau führt 4a seit fast zehn Jahren ein Büro, das sich besonders auf den Ausbau von Wohnungen konzentriert.
BOTTEGA + EHRHARDT Entwurf mit klarer Linie: Bei Giorgio Bottega und Henning Ehrhardt gibt es keine dekorativen Details, solange sie keinen Zweck erfüllen. Im Ergebnis entstehen selbstbewusste Charaktere – mit homogen verkleideten Fassaden, ziegellosen Satteldächern oder mal sparsamen, mal markanten Fenstereinschnitten. Außer mit Neubauten von Ein- und Mehrfamilienhäusern bewies sich das Büro zuletzt im Rück- und Umbau eines Fünfzigerjahrebaus in Stuttgarter Hanglage. Darüber hinaus werden von Bottega + Ehrhardt Innenarchitekturen sowie Messe- und Ladenbau realisiert.
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BACKFLASH
TEXT: NORMAN KIETZMANN FOTOS: MARCO PONZIANELLI
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ARCHITEKTUR
BRUTAL GENIAL Die Casa Sperimentale ist ein Meisterwerk des Architekten Giuseppe Perugini, das er mit seiner Frau und seinem Sohn bei Rom errichtete. Seit mehr als 20 Jahren verrottet die Villa unter Pinienbäumen. 149
BACKFLASH
Giuseppe Peruginis Architekturexperiment in Fregene ist vielleicht das verrßckteste Wohnhaus Italiens. Seit Mitte der Neunzigerjahre steht es leer und verrottet ‌
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BACKFLASH
Film und Wirklichkeit liegen mitunter
… nur die Jugend des Küstenorts hat den Bau in Besitz genommen: Graffitis überziehen den Sichtbeton. Rechts: Eine rote Metalltreppe führt hinauf ins Haus.
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eng beieinander. In Fregene hatte einst Federico Fellini seine Villa gebaut. Der Küstenort ist keine hundert Jahre alt – eine Seltenheit in Italien. La grande bellezza gilt hier dennoch nicht. Der Sandstrand wirkt aschgrau-fade. Das Meer schimmert düster-grünlich und ist weit von kristallinem Azur entfernt. Doch genau an diesem Ort ohne Vergangenheit konnte etwas Neues erschaffen werden: nicht nur für den Regisseur Fellini, sondern auch für einen Architekten, der mit einer filmreifen Villa locker den Kulissen von Stanley Kubricks 2001: Odyssee im Weltraum das Wasser reicht. Drei Jahre nahm der Bau von 1968 bis 1971 in Anspruch. Die Idee der Gemeinschaft lag damals in der Luft. Und so plante Giuseppe Perugini das Ferienhaus für seine Familie zusammen mit seiner Frau Uga De Plaisant, die ebenfalls Architektin war, und seinem gerade erst 18-jährigen Sohn Reynaldo, der später dieselbe Berufswahl treffen sollte. Ihren Namen trägt die Casa Sperimentale (Experimentelles Haus) nicht ohne Grund. Sie ist ein Spielplatz der Avantgarde, an dem die Konventionen des Wohnens und Bauens geradewegs über Bord geworfen werden sollten. Vielleicht ist das auch der Grund, warum das verrückteste Wohnhaus Italiens seit dem Tod Giuseppe Peruginis 1995 verrottet. Ganz leer steht es seitdem dennoch nicht. Die Fassaden und Innenwände sind mit Graffitis überzogen. Einige davon sind noch ganz frisch. Flaschen stehen herum, Zigarettenkippen liegen auf dem Boden. Die Jugend von Fregene hat den Bau längst in Besitz genommen, der direkt an einen Park anschließt und rund anderthalb Kilometer vom Meer
ARCHITEKTUR
„Das Gebäude wirkt wie eine MayaPyramide, die mitten im Dschungel vor einem auftaucht.“
entfernt liegt. „Das Gebäude wirkt wie eine Maya-Pyramide, die mitten im Dschungel vor einem auftaucht“, sagt Marco Ponzianelli. Der Fotograf ist nur wenige Kilometer entfernt aufgewachsen und hat die Casa Sperimentale immer wieder besucht. Als wir ankommen, ist das Tor mit einer sichtbar neuen Kette verschlossen. Zuvor stand hier über Jahre alles offen. Wir nehmen an der Grundstücksseite eine kleine Öffnung im Zaun. Auch dieser folgt seinen eigenen Regeln: Anstatt gerade nach oben aufzuragen, wachsen aus einem konvexgewölbten Betonsockel metallene Zinnen heraus – als müsste eine stolze Festung verteidigt werden. Wie ein vor langer Zeit gelandetes Raumschiff steht die Villa plötzlich vor einem und wird von der Natur vereinnahmt. Moos überwuchert den Sichtbeton. Mit jedem Schritt, den wir auf den nadelbedeckten Boden setzen und ihn zum Knistern bringen, werden Vögel aus ihren Fassadenverstecken aufgescheucht. Unter das sanfte Rauschen der Baumwipfel mischt sich das leise Krachen von Düsentriebwerken. Der römische Flughafen Fiumicino liegt nur wenige Kilometer entfernt. Eine rote Metalltreppe führt vom Grundstück hinauf ins Haus. Der Wohnraum ist in Form von drei ineinander verschlungenen Kuben organisiert, die jeweils rund 35 Quadratmeter groß sind und in einem Gitterwerk übereinander geschichteter Betonbalken eingegangen sind. Wände, Decken und Böden bilden keine planen, geschlossenen Flächen. Sie springen vor und zurück und lassen ein fließendes Kontinuum entstehen, womit eine klare Definition und Abtrennung einzelner Etagen entfällt. Auf Innenwände wurde ebenso verzichtet. Lediglich die beiden Bäder, die in gestauchten Betonkugeln untergebracht sind und von außen an die Betonkuben angedockt
wurden, können mit runden Glastüren verschlossen werden. Die Fußböden und Decken sind jeweils in vier identische Segmente unterteilt, die von schmalen Fensterbändern getrennt werden. Das Sonnenlicht vermag somit durch das Haus hindurchzuwandern. Gleichzeitig werden immer wieder neue und überraschende Blickbeziehungen ermöglicht – wie beispielsweise zum Pool, der direkt unterhalb der Villa liegt und mit seinem modrigen Wasser eher an einen wilden Tümpel erinnert. Wenige Meter weiter sitzt auf dem Grundstück ein kugelförmiger Baukörper auf. Er hat einen Durchmesser von fünf Metern und diente einst als Meditationsraum. Auf dem Boden ist eine Sonnenuhr eingelassen. Tageslicht dringt durch ein gläsernes Fensterband ins Innere, das die Betonkugel diagonal in zwei Hälften unterteilt. Ein leises Flüstern genügt, um im Inneren dieses Raums zu lautem Gebrüll verstärkt zu werden. Casa Albero – Baumhaus – lautet ein weiterer Spitzname der Casa Sperimentale, bei der selbst Beton die Schwere seiner Materialität verliert. Das Gebäude bildet eine Metaebene, die mit dem Geäst der umliegenden Bäume zu einer Einheit verschmilzt. Brutalismus klingt an dieser Stelle unangemessen. Der Beton ist roh, gewiss. Doch „brut“, sprich hässlich, ist er keineswegs. Das Haus schwebt sanft und leichtfüßig unter den Wipfeln – und fasziniert selbst im Zustand einer Ruine. Dass neuerdings eine Kette das Haupttor verschließt, muss kein schlechtes Zeichen sein. Vielleicht hat das vergessene Architekturjuwel tatsächlich einen neuen Besitzer gefunden, der es vor dem Verfall bewahrt. Anders als bei Fellinis 2006 abgerissener Villa ist es dafür noch nicht zu spät. Doch die offenen Wunden im Sichtbeton zeigen: Weitere 20 Jahre sollten nicht vergehen.
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BACKFLASH
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ARCHITEKTUR
Auch die Betonkugel gehört zur Villa Perugini: Sie diente als Meditationsraum und ergänzt formal die beiden Halbkugeln, die an den Hauptbau andocken und die Bäder beherbergten. Casa Sperimentale / Casa Albero Architekten: Giuseppe Perugini, Uga De Plaisant und Reynaldo Perugini Via Porto Azzurro, 57 00054 Fregene RM, Italien Bauzeit: 1968–1971
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INTERVIEW
Erwin Wurm, Stand quiet and look out over the Mediterrean Sea, 2016/17, Performative One Minute Sculpture. Foto: Eva Würdinger, © Bildrecht, Vienna 2017
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MAGAZIN
ZUHAUSE IN DER KUNST: ERWIN WURM VON STEPHAN BURKOFF UND JEANETTE KUNSMANN
Erwin Wurm, Idiot II, 2010. Foto: Studio Erwin Wurm © Bildrecht, Vienna 2017
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INTERVIEW
Die einen lieben seine Arbeiten und wissen seine Kunst zu schätzen, die anderen rümpfen die Nase und machen sich nicht mal mehr die Mühe, den auf die Schnauze gestellten Lkw vor dem Österreichischen Pavillon in den Giardini zu verstehen.
Sie haben 1997 mit Ihren One Minute Sculptures begonnen: Seit 20 Jahren verfolgen Sie jetzt diese Serie, die eigentlich viel mehr durch einen Zufall entstanden ist. Wie erklären Sie sich den Erfolg dieser besonderen Skulpturen? Wenn man nicht aufpasst, haben die One Minute Sculptures eine gefährliche Seite: Sie operieren oft mit Humor, und manche von ihnen neigen dazu, klamaukig aufgefasst werden zu können. Da musste ich schnell die Handbremse ziehen und das Ganze sehr streng konzipieren, damit es keine Blödelei wird. Ich wurde so oft eingeladen, sie bei Eröffnungen oder Partys zu machen, das habe ich alles ganz strikt abgelehnt. Ich zeige sie nur im musealen Kontext, ganz selten auch mal im Galerie-Kontext. Am Anfang habe ich noch viele Fotos gemacht, damit dann aber auch bewusst aufgehört. Seit zehn Jahren gibt es nur noch die performativen One Minute Sculptures. Die Arbeit ist so angelegt – ich gehe ja immer vom Begriff des Paradoxen aus. Wenn man mit Paradoxie auf unsere Welt schaut, sieht man unter Umständen andere Dinge. Das interessiert mich. Wie viel Humor verträgt die Kunst – darf Kunst Spaß machen? Natürlich! Ich glaube ja an Epikur und an das,
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was er geschrieben hat: dass das Leben Lust, Spaß und Freude bereiten soll. Aber ich meine nicht Spaß im Sinne von: „Haha!“ Das interessiert mich nicht. Es geht um eine positive Einstellung allen Dramen unserer Existenz gegenüber. Wie gehen Sie damit um, dass vielleicht nicht alle Rezipienten diese Paradoxie erkennen? Also wenn man etwas macht und gibt es hinaus in die Welt, entwickeln sich ja die Dinge von selber weiter. Man hat immer weniger Einfluss und kann versuchen, noch ein bisschen was in die Wege zu leiten. Aber im Grunde genommen steht das Werk dann schon in der Welt. Mögen Sie den Menschen? Ja. Sehr! In Ihren Arbeiten geht es immer wieder auch um Raumerfahrung und Architektur. In welchen Räumen fühlen Sie sich selbst wohl? Ich habe relativ schnell am Anfang meiner Arbeit begonnen, mich mit Fragen unserer Gesellschaft auseinanderzusetzen – immer in Beziehung zum Skulpturalen gesetzt. Ich glaube, dass man erst, wenn man eine gewisse Programmatik hat, versuchen kann, sich in der Welt zurechtzufinden. Meine Programmatik ist eben das Thema des Bildhauerischen: also die Frage, ob ich der Tat-
sache des Zu- und Abnehmens irgendetwas Künstlerisches entringen kann. Ich bin darauf gekommen: Ja, weil Zu- und Abnehmen auch das ist, was man macht, wenn man eine Skulptur modelliert. Man fügt Volumen hinzu und nimmt es an anderer Stelle weg. Also könnte man auch sagen, Zu- und Abnehmen ist Bildhauerei. Ich habe immer versucht, all das, was uns umgibt und unsere Welt ausmacht, mit dem Begriff des Skulpturalen gleichzusetzen, und da bin ich auf die absonderlichsten Dinge gekommen! Ihr Elternhaus, die Autos und der Wohnwagen, in dem es auch um Möbel geht: In ihren Arbeiten spielen immer wieder Alltagsgegenstände eine Hauptrolle, die eigentlich wenig Raum für Paradoxie bieten. Die Industrie will aber Produkte herstellen, die möglichst eindeutig sind. Ist es ein Zufall, dass ausgerechnet solche Objekte die Basis Ihrer Arbeiten darstellen? Nein, weil alle Produkte, die in der Gegenwart erzeugt werden, für mich viele interessante Phänomene darstellen, die mich immer gereizt haben. Und warum interessieren sich die Leute für Design aus den Fünfziger-, Sechziger- und Siebzigerjahren? Ich weiß es nicht, ich habe nur festgestellt, dass es so ist. Wenn man diese
MAGAZIN
Den Künstler stört das vielleicht am allerwenigsten. Er gibt an den Preview-Tagen der Venedig-Biennale täglich zehn Interviews. Da steht er: Erwin Wurm, und grinst hinter seiner verspiegelten Sonnenbrille.
ganzen Architekturzeitschriften liest, sieht man meistens Berichte über Persönlichkeiten, die etwas in ihrem Leben erreicht haben. Sie werden immer durch ihren Besitz, ihre Häuser, durch ihre Möbel, durch ihre Autos dargestellt. Die Menschen sieht man gar nicht! Das erzählt ja viel über uns. Haben oder Sein, Erich Fromm – Sie erinnern sich. Das hat sich eindeutig in Richtung Haben verschoben. Das ist ja skurril, und da setze ich dann immer wieder an. Spannend, weil das auch eine Beobachtung ist, die wir in den vergangenen Jahren vor allem hier in Venedig gemacht haben: Welche Bedeutung hat für Sie die Biennale? Die venezianische Biennale ist die Mutter aller Biennalen. Dieser Begriff gefällt mir sehr. Es ist aber schon etwas anachronistisch und altmodisch, weil wir ja zumindest in Europa gerade dabei sind, die Nationalstaaten abzubauen. Genau darauf konzentriert man sich hingegen immer noch in den Giardini, und jedes Land muss sich darstellen. Aber es bleibt interessant – obwohl ich mich ja nicht als österreichischen, sondern als europäischen Künstler verstehe. Oder als Weltkünstler. Was eine nächste Frage wäre: Ist Österreich für Sie eigentlich der richtige
Ort – oder eher ein Handicap? Es ist zwar schwierig, hier zu leben, weil das Land sehr klein ist und die größte Tugend der Neid zu sein scheint. Trotzdem lebe ich sehr gerne in Österreich, weil ich dieses Skurrile, Schräge, Eigenartige brauche: Das ist der Steinbruch meiner Arbeit. Da hole ich meine Ideen her. Wie arbeiten Sie – wie kann man sich einen Tag von Erwin Wurm vorstellen? Das ist alles relativ geregelt. Ich habe ein funktionierendes Studio außerhalb von Wien. Entweder bin ich eh auf dem Land oder ich fahre aufs Land. Meine Ideen bekomme ich immer woanders, aber nicht im Studio. Dort werden sie einfach ausgeführt. Es ist viel Organisation und viel Arbeit – was mir aber auch Spaß macht. Wie entsteht aus der Idee ein Kunstwerk? Skizzieren oder schreiben Sie? Beides. Also ich skizziere und notiere immer alles in kleine Bücher, die ich dann ablege. Und dann kommt die Idee entweder wieder – oder sie hat sich von selbst erledigt. Wie die Idee realisiert werden kann, muss ich mir dann selbst überlegen. Und wenn ich mich entschieden habe, bespreche ich das mit meinen Mitarbeitern.
Woran erkennen Sie, ob eine Idee die Treppe enthält, die jemand anderes braucht, um den Sprung machen zu können? Durch viel Trial and Error. Als ich zum Beispiel das erste dicke Haus machen wollte, habe ich das Haus Moller von Adolf Loos genommen: Das Resultat war eine Katastrophe. Es war überhaupt nicht das, was ich wollte. Alles wurde abgerissen, ich habe viel Geld verloren. Ein Werk muss einfach mir selbst gegenüber standhalten. Ich schmeiße auch viel weg. Wie wichtig sind Ihnen denn Ruhm und Erfolg? Also positives Feedback ist lebenswichtig für jede Form von Arbeit. Das kann man bei den Amerikanern sehen – ich selbst bin ja im europäischen Schulsystem groß geworden. Die Amerikaner haben eine ganz andere Art, Kinder aufzubauen, indem sie immer zuerst das Positive herausstellen. Das weiß jeder aus Erfahrung: Wenn eine Arbeit positiv rezipiert wird – auch wenn sie schlechte Teile hat –, verändert das den Zugang vollkommen! Bekommen Sie Fanpost? Ja, immer wieder. Mit welchem Inhalt? Ich soll immer wieder etwas signieren.
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INTERVIEW
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MAGAZIN Erwin Wurm, Just about Virtues and Vices in General, 2016/17 Performative One Minute Sculpture, Beitrag Österreichischer Pavillon. Foto: Eva Würdinger, © Bildrecht, Vienna 2017
Stellen Sie denn unter den Käufern Ihrer Werke Ähnlichkeiten, Gemeinsamkeiten fest? Nein, ich weiß oft gar nicht, wer meine Kunst kauft. Das übernehmen meine Galeristen – ich lerne diese Menschen nicht kennen. Mir geht es am besten, wenn ich im Studio sein kann und arbeite. Wovor fürchten Sie sich als Künstler? Vor schlechter Arbeit. Das Qualitätslevel zu halten, ist nie locker, es bleibt immer problematisch. Wenn man etwas macht, das Erfolg hat, wiederholt man sich – dann kann man es irgendwann so gut, dass einem selbst dabei langweilig wird: eine Falle, in die man schnell gerät. Ich möchte meine Produktionen für mich spannend halten, das ist mein täglicher Kampf. Sie haben einmal gesagt: Was ich anderen Menschen zumute, muss ich auch mir selbst zumuten. Wo hört denn die Kunst auf? Ich meine damit, wenn ich andere fotografiere und zum Teil auch ziemlich lächerlich darstelle, inkludiere ich mich auch immer selbst. Man soll mir nicht den Vorwurf machen können, ich würde mich über andere lustig machen und mich selbst aber dabei ausschließen. Mir geht es ja nicht darum, jemanden als Trottel zu zeigen, sondern mir geht es um Grenzgänger-Situationen.
Wie viel Idealismus steckt in Ihren Werken? Viel. Wenn man jung ist und sich dafür entscheidet, Künstler zu werden, ist das gewaltig: Man weiß nicht, wie das ausgeht. In Wahrheit stürzt man sich damit ja ins Prekariat. Am Anfang hat man null Geld und möchte trotzdem Kunst machen. Und man bildet sich ein, Geld sei vollkommen wurscht. Ist es am Anfang auch, aber am Ende nicht mehr: Dann hat man Familie. Ich brauche kein Bungeejumping oder so etwas: Mein Leben als Künstler ist Bungeejumping genug. Hatten Sie denn mal eine andere Berufung? Diese Welt hat mich immer fasziniert. Als ich die Tür aufgestoßen habe zu diesem großen Land Literatur und Kunst, war ich gefangen. Ich könnte nie und nimmer nur in irgendeinem Büro sitzen. Nie und nimmer! Never ever! Ihr geheimer Wunsch, was die Kunstgeschichte in 200 Jahren über das Werk von Erwin Wurm schreiben soll? In 200 Jahren! Haha – ich hoffe, unsere Welt gibt es dann noch. Es ist Ihnen wirklich egal? Ich habe mir eines abgewöhnt, das habe ich von dem großen Oskar Kokoschka gelernt: Als er einmal gefragt wurde, ob er traurig ist, wenn er mal nicht zu einer
Ausstellung eingeladen wird, hat er geantwortet: Nein. Er freut sich, wenn er eingeladen wird, und wenn nicht, ist es auch wurscht. So halte ich es auch. Durch eigenes Wunschdenken kann man sich das Leben sauer machen. Wie kamen Sie auf die Idee mit dem Lkw? Ich weiß nicht einmal, wann die kam: Plötzlich war sie da! Aber ich habe ja schon viel mit Autos gemacht, auch mit Lkw. Die Themen Migration, Reisen, Fahren liegen mir am Herzen, auch der Massentourismus. Die einen fahren in den Ferien Richtung Süden, die anderen, also die Italiener, mussten ihr Land verlassen und sind Richtung Norden und haben dort Arbeit gesucht: dieser Wahnsinn! Selfies auf dem Lkw: Welche Rolle spielen für Sie die Medien und Kommunikation? Eine sehr wichtige: Sie bringen die Kunst aus den Institutionen heraus und vermitteln. Gemeint waren eher Wahrnehmung und Umgang. Auf dem Lkw soll man, oben angekommen, ein Selfie ... Ja, weil es eine One Minute Sculpture ist! Das Ganze hat damit begonnen, dass ich in den Neunzigerjahren die Leute eingeladen habe, Polaroids zu machen, und ich diese dann signierte – dabei ging es um die Autorschaft:
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INTERVIEW Die Besucher machen etwas nach meinen Anweisungen, und ich autorisiere ein Foto, das sie gemacht haben, als meine Arbeit. Das hat sich heute durchs Internet verändert. Glauben Sie, dass die geografische Position Österreichs eine Rolle spielt, dass Sie diese Themen interessieren? Es ist ein Transitland. Österreich war ja immer schon ein Vielvölkerstaat und hat auch als erstes Land in Europa den Islam anerkannt. (1912, Anmerkung der Redaktion) Da waren wir allen voraus. Natürlich, als Transitland, das direkt betroffen ist, spielt es eine Rolle. Ich wünsche mir, dass man in einem ausreichenden abgekühlten Maße normal darüber reden kann: Das kann man noch immer nicht. Man muss das Thema Migration aufklärerisch bearbeiten können. Noch zwei Fragen zum Schluss: Warum die Gurke? Warum nicht? Ich bin ja mit Essiggurken aufgewachsen. Und die Grundform einer Gurke erinnert mich immer an ein männliches Körperteil, das oft sehr speziell dargestellt wird. Betrachten wir die Kunstgesellschaft in Venedig: Ist die Kunst vor dem Kapitalismus noch zu retten? Es kann einen schon das Gefühl beschleichen, dass die Kunst erstickt wird durch das Geld. Andererseits war die Kunst immer mit dem Kapitalismus verbunden. Es ist eine Lüge zu behaupten, das sei nicht so gewesen. Kunst wurde immer von Sammlern gekauft: Entweder waren es Fürsten, Könige oder andere Magnaten, oder es war die Kirche, oder es waren Sammler, Händler etc. Nur einen kurzen Teil der Geschichte hat es anders funktioniert.
Pünktlich zur Eröffnung der Kunstbiennale in Venedig ist bei Hatje Cantz die 400 Seiten schwere Publikation zu Erwins Wurms One Minute Sculptures erschienen: Erwin Wurm One Minute Sculptures 1997–2017 Hrsg. von Christa Steinle, mit Texten von Peter Weibel, Simon Baker, Markus Gabriel, Christa Steinle, Gestaltung: Élise Mougin-Wurm, Studio Wurm Deutsch/Englisch, Leinen 49,80 Euro 2. Juni bis 10. September 2017 Erwin Wurm Performative Skulpturen 21er Haus, Wien www.21erhaus.at 7. Juli bis 3. September 2017 Erwin Wurm Museum Küppersmühle, Duisburg www.museum-kueppersmuehle.de 7. Juli bis 29. Oktober 2017 Erwin Wurm Lehmbruck Museum, Duisburg www.lehmbruckmuseum.de Noch bis zum 26. November 2017 Kunstbiennale Venedig www.labiennale.org
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PORTRÄT
MAGAZIN
STUDIOPARISIEN: LUXUS IM DOPPELPACK
Foto: Jaïr Sfez
Das Büro als Showroom: zu Besuch bei der Innenarchitektin Laurène Barbier Tardrew und dem Szenografen Romain Jourdan 163
PORTRÄT TEXT: JANA HERRMANN FOTOS: STUDIOPARISIEN
Cartier, Viktor&Rolf, Gas Bijoux – selbst Karl Lagerfeld holt sich kreativen Input bei Studioparisien, die es ohne einen gemeinsamen Bekannten wahrscheinlich nicht geben würde. Laurène Barbier Tardrew und Romain Jourdan trafen sich zum ersten Mal 2007, als ein gemeinsamer Freund ihnen den Auftrag verschaffte, eine neue Duftkreation von Viktor&Rolf bei Sephora auf den Champs-Élysées in Szene zu setzen. Was für beide eigentlich nicht mehr als ein willkommener Nebenverdienst sein sollte, entpuppte sich als Grundstein der heutigen Kreativagentur Studioparisien. Die Inszenierung des Parfums gefiel der künstlerischen Leiterin von Cartier so gut, dass sie Studioparisien weitere Projekte anvertraute. So konnten sich die beiden jungen Franzosen schnell einen Namen in der Luxusbranche machen. „Im Grunde genommen ist die Existenz unseres Studios das Ergebnis einer Verkettung glücklicher Umstände“, resümiert Romain Jourdan die mittlerweile zehnjährige Zusammenarbeit. „Ohne den damaligen Auftrag für Viktor&Rolf wären wir uns mit Sicherheit nie über den beruflichen Weg gelaufen. Und wir haben das Glück, dass die kreative Chemie zwischen uns von Beginn an stimmte.“ Als sie sich kennenlernten, richtete Laurène Barbier Tardrew für ein schwedisches Architektenbüro Pari-
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MAGAZIN Eine Wandleuchte kann nicht nur mit Licht, sondern auch mit Reflexionen und Schatten spielen: Applique Fragment Ambiance (links) und Applique (rechts) von Studioparisien, Fotos: Studioparisien
ser Wohnungen ein, während Romain Jourdan als Szenograf und Art Director einer Werbeagentur hauptsächlich in der Modebranche beschäftigt war. Ihre gemeinsamen Projekte für Cartier und andere Kunden realisierten sie jahrelang „im Off “, wie sie selbst sagen. Als die Aufträge jedoch immer zahlreicher und umfangreicher wurden, entwickelte sich dieses Modell zu einem nicht unerheblichen Problem. „Wir fakturierten mal auf den einen, mal auf den anderen Namen, dann wieder über meine Agentur oder Laurènes Architektenbüro. Irgendwann konnten die Leute gar nicht mehr verstehen, dass wir zusammengehören“, erinnert sich Jourdan. „Als es selbst unseren Ansprechpartnern bei Cartier zu kompliziert wurde und sie uns dringend zu einer gemeinsamen Identität rieten, haben wir beide unsere ursprünglichen Jobs gekündigt.“ Das war die Geburt von Studioparisien und liegt jetzt vier Jahre zurück. Ein potenzieller Garant für den Erfolg ihrer Agentur war die zwar punktuelle, aber regelmäßige Zusammenarbeit mit Cartier. Projekte derart bekannter Marken bekommen automatisch viel Aufmerksamkeit, allein schon von der Konkurrenz. Wenn Cartier etwas Neues macht, weiß Hermès als Erstes davon. Als Designer öffnen sich so viele Türen, auch weil die Entscheidungsträger des Öfteren die Häuser wechseln und der Personenkreis deshalb eigentlich immer derselbe bleibt. Prinzipiell ist es ja genauso wie in der Mode: „Wer einmal bei Chanel war, kann für jedes bedeutende Modehaus der Welt
arbeiten“, so Jourdan. Dank ihres schon vorhandenen Bekanntheitsgrades klopften auch bei Studioparisien schnell neue Kunden aus den unterschiedlichsten Branchen an. Für das familiengeführte Juwelierhaus Boghossían aus Genf setzte das Kreativduo auf der berühmten Biennale des Antiquaires in Paris diamantene Schmuckkollektionen in Szene und arbeitete in diesem Rahmen eng mit den in Frankreich renommierten Ateliers Jean-François Lesage, Maison Charles sowie Goossens zusammen. Aus der Modebranche wurde das Unternehmen Loris Azzaro Couture auf Studioparisien aufmerksam und beauftragte es mit der Gestaltung ihres Haute Couture Salons in der schicken Rue du Faubourg Saint-Honoré. Auch Karl Lagerfeld ließ sich von den jungen Franzosen einen Showroom kreieren, in dem er in Paris seine neue Marke Karl vorstellte. Für den Schmuckhersteller Gas Bijoux entwarfen Studioparisien ferner ein neues Store-Konzept und für die Unternehmensgruppe Black Code zwei Restaurants, die das kulturelle und gastronomische Erbe Asiens zelebrieren. Und wie kann man für Auftraggeber so unterschiedlicher Universen der richtige Ansprechpartner sein? Genau das sei der Punkt, der ihre Arbeit so interessant mache: „Wir lieben es, uns in immer wieder neue Welten hineinzuversetzen“, erklärt Romain Jourdan und ergänzt: „Wir haben ja auch keinen festgelegten Stil, sondern nur Prinzipien. Bei allen Projekten setzen wir als Allererstes die DNA der jeweiligen Marke um.
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PORTRÄT
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MAGAZIN Spiegelkabinett mit Plüschteppich und Marmortisch: Salon Haute Couture Loris Azzaro, Rue du Faubourg Saint-Honoré, Paris, Konzept und Store Design: Studioparisien, 2015, Fotos: Raphaël Dautigny
So ist ein Showroom von Karl Lagerfeld für uns selbstverständlich puristisch und schwarz-weiß, während die Boutiquen von Gas Bijoux in warmen, mediterranen Farben gestaltet sind. Diesen Grundwerten verschaffen wir dann einen Wow-Effekt. Zum Beispiel durch ausgefallene Perspektiven, subtile Proportionen, besondere Materialien, Lichtspiele oder Bewegungsformen.“ Laurène Barbier Tardrew und Romain Jourdan sind stets darum bemüht, „traditionellen Klassizismus in elegante und zeitgemäße Raumformen umzusetzen“, um so eine kontrastreiche Architektur zu erzeugen. „Das ist für uns eine Form von Pariser Ästhetik, deshalb musste auch unbedingt das Wort parisien in unserem Agenturnamen vorkommen“, wirft Laurène Barbier Tardrew ein. „Wir sind zudem beide in Paris geboren und aufgewachsen. Die Stadt hat so viele Facetten: Mode, Haussmann und das wahnsinnig reiche Kulturangebot. So etwas prägt. Dieser Pariser Code ist sozusagen unsere DNA und unser persönlicher Anspruch an Ästhetik.“ Konsequenterweise sind auch ihre eigenen Büroräume mitten im Herzen des Künstlerviertels Marais in diesem Stil eingerichtet. In dem großzügigen Ein-Raum-Appartement (auf Französisch: studio) finden sich alle klassischen Codes des Haussmann-Stils – Fischgrätparkett, hölzerne Balken, Stuck und verschnörkelte Fenstergitter – die das Duo durch Licht, Formen, Farben und konträre Materialien diskret durchbrach. „Ich liebe die Kombination aus geometrischen und verspielten Linien“, sagt Laurène Barbier Tardrew, die sich in ihrer Funktion als Architektin stets um den technischen Teil aller Projekte kümmert. „Das habe ich definitiv von meinem ehemaligen Chef aus Schweden gelernt.“ An der skandinavischen Architektur fasziniert sie, dass es trotz der puristischen und linearen Formen fast immer ein fließendes Element oder
Detail gibt. „Für unsere Büroräume habe ich ein System entwickelt, das jeglichen Stauraum unsichtbar macht und somit mehr Raumvolumen und Ordnung erzeugt. Besonders stolz bin ich auf unsere deckenhohe begehbare Box, die nicht nur als Raumteiler dient, sondern in der sich auch unser Drucker und sämtliche Papiervorräte befinden.“ Romain Jourdan zeigt eine vergleichbare Begeisterung für seine selbstentworfenen Lichtinstallationen. Sie leuchten Ecken aus, strukturieren Wände oder kontrastieren das dunkel gehaltene Büromobiliar. Sein persönliches Highlight ist eine auffällige Wandleuchte aus goldenen, vertikal ausgerichteten Tetris-Elementen. „Wir haben dieses Konzept für das Juwelierhaus Boghossían entworfen, das sich Kreationen im Stil von Gerhard Richter wünschte“, erzählt er enthusiastisch. Trotz internationaler Inspirationen und Auftraggeber stellen wir nach unserem Besuch fest: Mehr Paris geht nicht. Selbst extravagante Elemente und auffällige Kreationen durchbrechen niemals die Pariser Codes der stimmigen Eleganz, und auch menschlich gehen Laurène Barbier Tardrew und Romain Jourdan miteinander um, wie es typischer nicht sein könnte. Sie diskutieren mit ausgeprägter Gestik, flirten, streiten und berühren sich wie ein leidenschaftliches Liebespaar, das sie jedoch nicht sind. Dafür gehören sie auf beruflicher Ebene fest zueinander und betonen mehrmals: Sollte sich einer der beiden aus ihrer kreativen Verbindung lösen, bekommt Studioparisien sofort einen neuen Namen.
www.studio-parisien.fr
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FROM LIDO
WITH LOVE FOTOS: LUCA CAMPRI MODEL: TIRSA V DE PARGA DESIGN: DARIA STANKIEWICZ
ONE, UNO — one piece cross back swimsuit in tomato
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TWO, DUE — one piece classic swimsuit in tomato
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Sich in Bademoden aus Venedig in einer spanischen Architekturikone sonnen: Die Wohnsiedlung La Muralla Roja (1973) an der Costa Blanca von Ricardo Bofill – warum hat er eigentlich noch keinen Pritzker-Preis bekommen? – symbolisiert in Bonbonfarben die Utopien der Postmoderne. Heute kann man die Apartments bei Airbnb buchen. Mit den zeitlosen Einteilern und Bikinis des jungen italienischen Labels Lido hat man gleich das passende Outfit.
THREE, TRE — two piece thin strap bikini in indian jade
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TWO, DUE — one piece classic swimsuit in cobalt blue
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TWO, DUE — one piece classic swimsuit in cobalt blue
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www.lido-lido.com
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FORMSACHE
Bike Hook von Sandra Thomsen
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DAS WANDRAD KOLUMNE VON MAX SCHARNIGG FOTO: TOBIAS MEYER ZUR CAPELLEN
Man muss es sagen: Manche Dinge werden häufiger designt
Touchscreen-Geräte für sich reklamieren. Meine Prognose ist
als andere. Beistelltische zum Beispiel sind jedes Jahr in einer so erdrückenden Vielzahl neu zu sichten, dass man wahrscheinlich sein ganzes Leben lang jede Woche mit einem anderen verbringen könnte. Aber wer will das schon? Angesichts des vergleichsweise geringen Wirkungsgrads eines Beistelltisches ist das jedenfalls eine wirklich fragwürdige Übermacht. Ähnliches gilt für Teelichtbehältnisse jeder Art, Hocker oder Experimentalgarderoben für Single-Wohnungen. In den letzten Jahren hat sich dazu noch ein weiterer Gestaltungsliebling breitgemacht: die stilvolle Fahrradaufhängung. Kaum etwas wird einem von Designamateuren und Eltern ja begeisterter weitergeleitet als eines der immer gleichen Bilder, die ein Vintage-Fixie-Retro-Minimaldings-Fahrrad an einem dieser Wandträger aus Eiche meterhoch im Flur schwebend zeigen. Toll! Das blitzsaubere Fahrrad, die blitzsaubere Wand dahinter und die sagenhafte Konstruktion für 129 Euro, die all dies möglich macht. Die ist schnell gefräst, wirkungsvoll fotografiert und umgehend verkauft, als Geschenk für all jene kuratiert Wohnenden, die schon alles haben. Vor allem ein Fahrrad. Im Gegensatz zu Hockern und Beistelltischen ist so ein häuslich schwebendes Fahrrad an der Wand im dritten Stock schon wirklich sagenhaft unrealistisch. Aber wir Menschlein lieben einfach die Idee. Eine Idee, in der wir barfuß auf Altbaudielen stehend der Sonne zusehen, wie sie durchs geputzte Fenster auf unser geputztes Fahrrad scheint, das wir dann einfach mit einem Arm aus seinem Holzbett heben und pfeifend durchs Treppenhaus tragen, um dann durchs hemmungslos vibrierende Viertel zu „unserem“ Bäcker zu radeln. Yeah! Gutes Leben, ökologisches Bewusstsein, urbane Smartness und Universal-Pfiffigkeit, all das steckt in dem hölzernen Fahrradhaken. Vor allem ist, anders als der Beistelltisch, das Wohnfahrrad mal eine Ausstattungsidee, die wirklich unserer Generation gehört. Sonst kann die ja nur Speakerboxen und
trotzdem, dass man an dem Holzträger – freie, stabile Wand vorausgesetzt – das Fahrrad genau zweimal aufhängt. Beim zweiten Mal schleppt man es mit schon deutlich gedimmter Begeisterung nach oben, kollidiert mit absteigenden Nachbarn, strauchelt bei der Suche nach dem Wohnungsschlüssel, donnert die Pedale gegen den Türstock und hat beim finalen Aufhängen einen kurzen, aber eindrücklichen Eindruck vom Wesen der Bandscheibe. Uff, da hängt es dann erst mal und tropft ein bisschen nach. Am nächsten Tag nimmt man, muss ja schnell gehen, mal lieber den Bus. Zwei Tage später kauft man sich ein hässliches Fahrrad mit Trekking-Aufbauten und Gelsattel. Das ist aber natürlich nur für den Hof, das darf nicht ins Haus.
Max Scharnigg (*1980) arbeitet als Redakteur für Stil und Lebensart bei der Süddeutschen Zeitung. Er sammelt dänische Leuchten und englische Kletterrosen. Sein letztes Buch beschäftigte sich mit dem Thema gute Manieren im Netz. www.scharnigg.de
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MIT A NACH B
MIT DEM MÉHARI
Wenn man als Kind in den späten Siebzigerjahren mit seinen Eltern in Südfrankreich Urlaub machte und Glück hatte, bekam man im Supermarkt ein Norev-Auto geschenkt, ein französisches Spielzeugauto aus Plastik. Norev war für französische Kinder das, was Siku für deutsche, Matchbox für britische und Bburago für italienische Kinder war. Von Norev gab es auch ein kleines rotes Plastikauto, das eher wie eine Wanne auf Rädern aussah und, so wie ein nordafrikanisches Renndromedar, Méhari hieß. Sehr erstaunt war man als Kind, wenn man dann in den Straßen von Mimizan das Original entdeckte: Es sah genauso aus wie das Plastikspielzeug – und war tatsächlich auch aus Plastik. Der Citroën Méhari war, genaugenommen, ein Citroën 2CV, dem man die Karosserie weggenommen hatte. Von der „Ente“ hieß es immer, die Citroën-Chefs hätten „vier Räder mit einem Regenschirm“ darüber bestellt, aber sie bekamen vier Räder, vier Türen, vier Kotflügel, sechs, schließlich acht Scheiben, eine Heckklappe und ein Rollverdeck. Das war zu viel. Es musste noch radikaler gehen. 20 Jahre nach der Erfindung der Ente ließ man nur noch Motor, Chassis, Windschutzscheibe und Räder übrig und baute eine Plastikwanne darüber, die auf ein Gerippe aus Stahlprofilen genietet wurde und zu der es als Extras zwei lächerliche Plastiktürchen und eine Art Zeltdach gab. Das war’s. Eigentlich war das Vehikel als Ultraleichtfahrzeug für den militärischen Einsatz im Sand entworfen worden, aber es war für wirkliche Kriegseinsätze zu schwächlich motorisiert, weswegen es der Zivilbevölkerung überlassen wurde, die aus dem Ernstfallvehikel ein Gerät fürs offene Leben machte: Fischer, Touristen, Hippies, Aussteiger, Menschen, die die Beobachtung des DAX gegen die Beobachtung des Dachses eingetauscht hatten, fuhren den Méhari, die Botschaft war
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Amour statt Armee. Vom Mai 1968, dem das Antiauto ideologisch sehr nahe war, bis zum Oktober 1987 wurden insgesamt 144.953 Méhari gebaut. Das erste Mal in meinem Leben fuhr ich einen Méhari, als ich bei Freunden von Freunden in Cap Ferret einen im Garten ihres Hauses stehen sah und ihn so gebannt anschaute, dass mir die Gastgeberin (welche die herrlich trockene Art der Hanseatin, die sie ist, mit der Nonchalance der Französin, die sie auch ist, verbindet) schließlich mit einem knappen „Hier, fang!“ die Zündschlüssel zuwarf. Ich setzte mich in, nein, auf den Méhari, der leicht wippte wie das Dromedar, nach dem er benannt ist. Der Fahrersitz erinnerte an das Mobiliar, auf dem man bei Elternabenden im Kindergarten hockt. Ich fingerte den winzigen Zündschlüssel irgendwo unter dem quasi senkrecht stehenden Lenkrad in eine Ausbeulung in der Plastikkarosserie. Am Tag zuvor hatte ich unten am Bassin, wo die Austernbänke sind, einen Fischer gesehen, der das Innere seines Méhari mit dem Gartenschlauch reinigte. Auf die Pritsche kann man Fischkisten oder die Einkaufstüten stellen, aber wenn man zu sportlich in die Kurve geht, sind sie danach auch wieder leer. Trotzdem steht der Méhari für das, was allgemein die Lehre des Sommers fürs Leben ist: Alles muss einfacher, leichter, offener, wärmer werden. Ich zog den Choke und legte den Rückwärtsgang ein, und der Méhari machte einen fröhlichen Satz nach hinten. Die Kinder,
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VON CAP FERRET NACH BORDEAUX VON NIKLAS MAAK
vom Lärm des Zweizylindermotors aufgescheucht, sprangen auf die Ladefläche, es sah aus, als hätte sich der Whirlpool selbstständig gemacht – sechs Kinder in einer Plastikwanne. Ich fuhr um einen Rond-Point, und das Auto nahm gefühlt einen 45-Grad-Neigewinkel an: der berühmte 2CV-Effekt, der ja auch eine Hommage an das Motto der Stadt Paris ist. Fluctuat nec mergitur – von den Wogen geschüttelt, wird sie doch nicht untergehen. Die Kinder jubelten. Ich verließ die Straße (der Méhari stammt aus einer Zeit, als man das Leben nicht vom Worst-, sondern vom Best-Case-Szenario her betrachtete, also nicht über Frontalzusammenstöße und Airbags und Gurtstraffer nachdachte) und rumpelte über eine Sandpiste ans Meer. Der Dyane-Boxermotor schnatterte jetzt wie ein Rasenmäher auf Dope, der Méhari hüpfte erfreut an den Dünen entlang, das Getriebe heulte mit dem Wind um die Wette, der nicht über, sondern in den Wagen hineinfuhr, was an dem elend heißen Tag ein Vergnügen war: Offener konnte ein Leben sich nicht anfühlen. Ich setzte die Kinder am Strand ab, wendete in einer Sandfontäne und fuhr vorbei am alten Leuchtturm und an der reizenden kleinen Schmalspurbahn, die die Touristen von der Fähre an den Atlantik bringt, Richtung Bordeaux. So musste sich das Autofahren in den frühen Tagen angefühlt haben, als das Auto noch eindeutig der Nachfolger des Pferdes war und nicht der der Kutsche, also bevor die Karosseriebauer dem großen Galoppier- und Luftzirkus mit Türen und Scheiben ein Ende machten. Es ist Autofahren in seiner reinen Form: keine Servolenkung, keine Airbags, keine Massagesitze, kein Infotainment, sondern eine Intensivierungsmaschine: Die Sonne brennt stärker, der Wind reißt an den Haaren, das Lenkrad an den Armen, das Motörchen, das sich ein paar tiefere Töne abringt, dröhnt in den Ohren, die Plane flattert wie eine Fahne im Sturm, man riecht das warme Harz der Pinien und das Meer, und immerhin gibt es ABS. Nicht das Bremssystem, sondern die Karosserie: Sie ist aus Acrylnitril-Butadien-Styrol-Copolymerisat, kurz ABS.
Auf der Schnellstraße fühlt man sich dann eher, als sei man in einer Tupperdose auf eine Autobahn geschossen worden, tonnenschwere Touaregs und Cayennes donnern vorbei, hinter deren abgedunkelten Scheiben die klimatisierten Insassen auf ihre iPhones starren, auch die Fahrer, es ist ein wenig beunruhigend: Weiter als bis auf die stillen, weiß verstaubten Plätze des sommerlich verlassenen Bordeaux mag man mit dem Méhari nicht unbedingt fahren. Trotzdem ist er natürlich eigentlich das Auto der Stunde: leicht, offen, ein Vehikel des ewigen Sommers und ein Beweis, dass Spaß und Sparen kein Gegensatz sein müssen, ein Haushaltsgerät eher als ein Statussymbol, fähig, sechs große oder neun kleine Leute luftgekühlt an einen Atlantikstrand zu befördern, fünf Kisten Wein und Fisch und Austern vom Markt zu holen oder als Doppelbett auf vier Rädern zu dienen: Was will man mehr? Wer unbedingt auch Méhari fahren will, kann sich einen gebrauchten oder einen aus Alt- und Neuteilen neu gebauten kaufen (www.mm-mehari.de) – oder sich über drivy.com ab 60 Euro am Tag einen mieten: https://www.drivy.com/location-voiture/france/marque/ citroen/modele/mehari
Niklas Maak (*1972) schreibt für das Feuilleton der FAZ und ist ein passionierter Autofahrer. Seine Kolumne Mit A nach B verbindet Architekturkritik mit Automobilexpertise. Seine Kolumne Autopilot läuft auf www.heinze-dear.de in der 50. Folge.
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REPORTAGE
San Gimignano von Arno Brandlhuber in Berlin-Lichtenberg. Foto: Erica Overmeer
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ZIEGEN ALS MITBEWOHNER UND TOSKANA-FEELING DIE HERZSCHRITTMACHER VON LICHTENBERG
VON ANTJE STAHL
Es ist schon jetzt eine der schönsten
den Osten vorgewagt. Die Tochter von
oder zur Massage zu gehen. An jedem
Auswanderungsgeschichten, die Berlin jemals lesen wird – auch wenn man als gelangweilter Prenzlauer-Berg-Bewohner immer höllisch aufpassen muss, dass man nicht in die Sozialromantikerfalle tappt, also das Elend glorifiziert, weil man selbst nicht drin leben muss. An einer mehrspurigen, lauten Kreuzung mit vielen Autos, Trams und Lkws inmitten des großen Bezirks Lichtenberg fällt der Blick auf einen Regenbogen, der die traurigen, grauen Fassaden einiger Plattenbauten verziert. Man hatte ganz vergessen, wie furchtbar Stadtverschönerungsmaßnahmen sein können. Die Pioniere der Hauptstadt aber haben es auf das Industriegebiet etwas weiter die Herzbergstraße hinauf abgesehen. Hier stehen zwar noch einige Wohnhäuser, sogar ein Altbau hat gegenüber einer ehemaligen Margarinefabrik die DDR überlebt. Aber die Gebäude, die das Sammlerehepaar Barbara und Axel Haubrok, Architekt Arno Brandlhuber, die Künstler Christopher Roth und Nikolai von Rosen und der Journalist Georg Diez erworben haben, gehören zum Bestand der Betriebe, die hier einmal geführt wurden. Einige Jahre ist das nun schon her. Nun aber soll sich etwas regen in diesem rauen und harten Teil von Lichtenberg. Corinna Hoffmann, heißt es, habe sich nun auch in den Wil-
Erika und Rolf Hoffmann, deren Kunstsammlung in den Sophie-Gips-Höfen in Mitte ausgestellt wird, hat gerade das Grundstück Herzbergstraße 125–126 a gekauft. In Berlin-Mitte hat sie ein großes Haus zwischen Torstraße und Linienstraße umbauen lassen, in dem man die schönsten Swimmingpoolund Dachterrassen-Abende verbringen kann. Damit wächst der Personenkreis, der sich vom alten Kunstzentrum Mitte verabschiedet, sich lieber in die Nähe von Schrotthändlern und Autowerkstätten und Plattenbausiedlungen begibt, als der Fertigstellung des Berliner Stadtschlosses (Franco Stella) oder dem Bau eines weiteren Shopping- und Erlebniszentrums, dieses Mal inklusive Surfwelle (Jürgen Mayer H.), zuzuschauen. Wohin wird das die neue Nachbarschaft führen? Das ehemalige Gelände der VEB Elektrokohle Lichtenberg, des einzigen Betriebs, der die DDR mit Grafit versorgte: Über der Einfahrt steht ein Rundbogen mit dem Schriftzug „Dong Xuan Center“, dahinter liegt eine Riesenfläche, auf dem ein vietnamesischer Großmarkt eingerichtet wurde. In die vielen langen weißen Lagerhallen tauchen täglich Hunderte von Menschen ab, um hier Gemüse, Plastikspielzeug, Klamotten, Pflanzen, Möbel, Kabel, Fernseher zu kaufen, zum Friseur, ins Nagelstudio
Eingang und zu den Seiten werden Suppenküchen und Restaurants betrieben, Holzbänke und Plastiktische stehen da direkt neben einem Parkplatz, auf dem gefühlt Tausende parken können. Hinter den Hallen weg von der Herzbergstraße hinein in die große Industriebrache wurde die Erde mit Beton versiegelt, um zu verhindern, dass die Chemikalien, die hier einmal zum Einsatz kamen, ins Grundwasser durchsickern. Im Mai 2016 verbrannte eine knapp 4.000 Quadratmeter große Halle, in der 22 Gewerbetreibende Lagerflächen angemietet hatten und mit allerlei giftigem Zeug hantierten. Erst dahinter trifft man auf zärtliche Hinweise – Spuren einer Oase. Der grüne Palmen-Wasserquelle-Hängematten-Lebensretterfleck in der Wüste ist tatsächlich der einzige Vergleich, der einem zu dem einfällt, was einem hier begegnet. Hinter einem Bauzaun stehen Topfpflanzen, und zwischen zwei Betontürmen wächst Gras auf einem Schuttsandhügel. Christopher Roth wünscht sich Ziegen als Mitbewohner. Er ist einer der Eigentümer des ersten Betonturms, der zum Lager erklärt wird, in dem er aber auch arbeiten, schlafen, wohnen und vor allem denken könnte. Der Elfenbeinturm stand den Produktionsstätten und Arbeitern jedenfalls noch nie
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REPORTAGE so nah wie hier. Ins Erdgeschoss des zweiten ist ein großes Loch eingelassen. „Es wurde wohl für die Lastzüge gebraucht, die den Grafit durch den Turm transportierten“, erzählt Arno Brandlhuber. „Vielleicht könnte man es mit Süßwasserfischen bevölkern – das Grundwasser steigt sowieso die ganze Zeit nach oben – und ein Fischrestaurant eröffnen!“ In Brandlhubers Büro in der Brunnenstraße steht das Modell des Turms, der dem Architekten gehört. Er könnte Platz für eine Werkstatt, ein Office oder auch für Ausstellungen bieten. Das alles wird zurzeit von Brandlhuber und seinem Team in Erwägung gezogen. Sein Turm besteht im Unterschied zum anderen nur aus zwei Etagen; genutzt werden soll voraussichtlich vor allem die Ebene direkt unterm Dach. Man würde es über eine Freitreppe quer durch den Raum erreichen und so hoch über der Stadt stehen, dass man bis zum Teufelsberg im
Blick in die Fahrbereitschaft des Sammlerehepaars Haubrok. Foto: Ludger Paffrath
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Westen Berlins schauen kann. (Würde man ein Kaugummi auf den Boden spucken, bräuchte es länger als drei Sekunden, um anzukommen – die beiden Türme sind über 45 Meter hoch, die Hochhausgrenze in Berlin liegt bei 22 Metern.) Zwischen ehemaliger Abhörstation der Amerikaner und Elektrobetrieb der DDR würde sich plötzlich eine Blickachse ergeben; aber das Gespräch zwischen Ost und West, die schöne Wiedervereinigung ist kein Bild, das Brandlhuber anstrebt: Er nennt die Türme San Gimignano, will also eher Toskana-Feeling als Denkmalatmosphäre. Allein ist er damit in diesem Bezirk Lichtenberg ja auch nicht. Auf der Landsberger Allee, der breiten Zufahrtsstraße von Friedrichshain/Prenzlauer Berg, richtete Hinrich Baller Ende der Neunzigerjahre das Castello ein: eine Art Märchenburg, in der man oben wohnen und unten shoppen kann. Es steht mit seinen verzierten Geländerchen, grünen Wieschen und gläsernen Pyramidchen wie ein von einem Kind vernachlässigtes Spielzeug zwischen den ganzen Plattenbauten – zu allem Überfluss hängt im Garten eine Mini-Stoffmaus kopfüber auf einem Balken. Menschen sieht man hier an einem Nachmittag im Mai keine. Der Einzug der Kunst und Kultur in dieses oder jenes Viertel ist ja an und für sich immer dieselbe schöne Geschichte, die dazu führt, dass teure Modegeschäfte und hässliche Coffeeshops nachziehen und die Bewohner vertreiben, was wiederum die linken Lager ärgert. Meistens steigen die Mieten, immer fällt das alles erklärende Wort „Gentrifizierung“.
MAGAZIN Für Lichtenberg aber sind die Neuankömmlinge eher die Herzschrittmacher, die dem Bezirk bislang fehlen. Das Problem ist nur, dass es im Herzbergstraßen-Viertel eigentlich gar keine Bewohner geben soll. Auf dem Gelände der sogenannten Fahrbereitschaft, das Axel Haubrok bezogen hat, wurden die Autos der DDR geparkt und auf Vordermann gebracht, mit denen das hohe Personal der Republik durch die Gegend chauffiert wurde. Es gibt rund um das Hauptgebäude einen großen Garagenhof, Autowerkstätten, Pförtnerhäuschen und in einem Seitengebäude noch eine Kegelbahn für das Feierabendvergnügen. Selbst das Mobiliar aus dem Palast der Republik, erzählt Haubrok, befinde sich in Lagerräumen auf dem Gelände. Einige der Unternehmen, etwa der Arbeiter-Samariter-Bund, gehören seit Jahren zu den Mietern. Dass ein Sammlerehepaar, das Konzeptkunst liebt (auf dem Hof hört man eine Stimme, die Ziffern aus On Kawaras Kunstbuch One Million Years vorliest), Künstlern nun Werkstätten vermietet, ihnen sogar eine neue Halle von Arno Brandlhuber schenkte, die gerade eingeweiht wurde, ist eben nicht selbstverständlich. Voraussichtlich soll sogar eine weitere Ausstellungshalle gebaut werden. Haubrok will, im Unterschied zu anderen Sammlern, kein solitäres Privatmuseum einrichten – Rahmenbauer und Architekten, Tontechniker, Fotografen, Mechaniker und Künstler können sich ab sofort in der sanierten Fahrbereitschaft jederzeit zur Hand gehen. Allein für diese Haltung sollte das Sammlerehepaar einen Preis bekommen. Aber viele aus Bezirks- und Senatsämtern scheinen das Bauhauswesen entweder vergessen zu haben oder von einem Beschützerinstinkt gegenüber den Industrie- und Gewerbebetrieben getrieben zu sein, die hier seit mehr als hundert Jahren werkeln: von Siemens über VEB Elektrokohle Lichtenberg,
von besagter Margarinefabrik über Metall- und Holzfabriken bis hin zu Schrotthändlern und Autowerkstätten. Die machen alle Dreck und Lärm, und dagegen kann die Kultur- und Dienstleistungsgesellschaft, sollte sie sich davon belästigt fühlen, theoretisch klagen. Deshalb ist auch die Kunst in diesem Stadtteil von Lichtenberg eigentlich kein willkommener Gast – mehr. Vor dem Dong Xuan Center steht noch das Kulturhaus des VEB Elektrokohle Lichtenberg, in dem 1989 die Einstürzenden Neubauten ihr erstes Konzert im Osten gegeben haben – und das beweist, dass in dieser Gegend nicht nur geschuftet, sondern auch getanzt und musiziert und konferiert wurde. In der Herzbergstraße 123 sitzen zudem Filmleute, andere Häuser werden von Musikern besetzt, und in der Margarinefabrik haben sich bereits vor Jahren Künstler eingemietet. Auch ein Catering Service ist hier gerade eingezogen, der Veranstaltungen in der Stadt mit Steaks und Gnocchi versorgt, diese sogar zu einem Spottpreis als Mittagstisch anbietet. Auch hat der Bundesrat gerade ein Gesetz verabschiedet, das sogenannte „urbane Gebiete“ erfassen wird: „Der neue Baugebietstyp erlaubt den Kommunen, dass künftig auch in stark verdichteten städtischen Gebieten oder in Gewerbegebieten Wohnungen gebaut und Gebäude als Wohnraum genutzt werden dürfen“, heißt es in einem Artikel auf bundesregierung. de. Aber die Pioniere, nein Hüter des alten Berliner Punk-Geistes werden sich trotzdem weiter mit den Bauämtern herumschlagen müssen. Auf dem Grundstück von Corinna Hoffmann stehen einige der wenigen verlassenen Wohnhäuser des Viertels. Ob man darin in Zukunft schlafen und speisen oder sogar schwimmen darf, entscheidet hoffentlich keiner, der keinen Gin Tonic mag. „Gin Tonic is anti-connoisseurship“, schrieb Georg Diez einmal:
„You cannot hide behind bullshit. There is a certain emancipatory spirit in it that is rare.“
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REPORTAGE
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MAGAZIN
Berlin Lichtenberg von unten
FOTOS: VOLTA SAALBURG
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INTERVIEW
DIETER RAMS NIEMAND HAT DAS DEUTSCHE DESIGN SO RADIKAL VERÄNDERT WIE ER: AM 20. MAI 2017 FEIERTE DIETER RAMS SEINEN 85. GEBURTSTAG. VON NORMAN KIETZMANN
Die Gestaltung wird heute mehr und mehr von Faktoren wie dem Marketing bestimmt, die mitunter in eine ganz andere Richtung als die Designer drängen. Wie lässt sich dieser Interessenkonflikt unter einen Hut bringen? Indem Vertrauen aufgebaut wird. Ich glaube, dass ich das Glück hatte, sehr früh Unternehmerpersönlichkeiten gefunden zu haben, bei denen ein gegenseitiges Verständnis vorhanden war. Das hat dazu geführt, dass ich mich in einer verantwortungsvollen Position, die ich damals bei Braun hatte, nicht an die Marketingabteilung oder an die technischen Abteilungen gerichtet habe, sondern direkt an den Vorstandsvorsitzenden. Der Einfluss oder die Etablierung des Designs innerhalb des Unternehmens an höchster Stelle ist nicht nur wichtig, sondern Voraussetzung, damit gutes Design gelingt. Design sollte immer Chefsache sein. Wenn Sie sich das Design von heute anschauen, was stört Sie dann? Am meisten stören mich diese Beliebigkeitsprodukte, die inzwischen oft den Vornamen „Design“ bekommen. Das ist die Spitze des Eisberges. Hinzu kommt, dass sich jeder, der will, Designer nennen darf. Es gibt heute Hairdesigner, Naildesigner und so weiter. Ich habe irgendwann einmal
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in New York ein Schild gesehen in einer Bäckerei mit der Aufschrift „We have the best designed cookies“! Der Begriff „Design“ ist unglaublich ausgefranst. Ich bedaure das sehr, weil das unseren doch so wichtigen Beruf verwässert. Dennoch gibt es in den letzten Jahren eine zunehmende Rückbesinnung auf schlichtere und zurückhaltendere Formen, wie sie die Produkte von Apple zeigen. Empfinden Sie diesbezüglich eine gewisse Genugtuung: „Ich hab’s ja schon immer gewusst“? „Ich hab’s schon immer gewusst“ wäre überheblich. Designer sollten nie überheblich sein. Aber es freut mich natürlich, dass gewisse Tendenzen, wenn auch noch sehr wenige, in diese Richtung gehen. Gerade das enge Verhältnis, das bei Apple zwischen dem Designer Jonathan Ive und der Unternehmerpersönlichkeit Steve Jobs besteht, erinnert mich stark an meine Anfänge bei Braun in den Fünfzigerjahren. Es gibt natürlich inzwischen auch andere Designer, die ähnlich arbeiten, wie beispielsweise Jasper Morrison oder Naoto Fukasawa. Letzterer hat mit Muji etwas, wovon wir damals bei Braun nur träumen konnten, nämlich eigene Geschäfte, mit denen er eine breite Masse erreichen kann. Dennoch können Sie gutes Design an zehn Fingern abzählen. Daran hat sich bis heute wenig geändert. Das gesamte Interview: www.heinze-dear.de/_02190
Dieter Rams. Ein Stilraum Das Museum Angewandte Kunst in Frankfurt zeigt anlässlich des 85. Geburtstags von Dieter Rams den Stilraum: einen Raum mit wechselnden Exponaten und der Modellsammlung von Braun als Dauerleihgabe. www.museumangewandtekunst.de
Dieter Rams bei Vitsoe, © Rams Archiv
„Gutes Design ist so wenig Design wie möglich.“ Was meinen Sie damit? Für mich war immer entscheidend, die Dinge auf das Wesentliche zu reduzieren, um Klarheit zu bekommen. Man darf sich nicht von den Dingen, mit denen man sich umgibt, dominieren lassen. Die Dinge sollten zurücktreten können, im Hintergrund bleiben. Erwin Braun, der damals zusammen mit seinem Bruder Artur das Unternehmen Braun geleitet hat, sagte einmal: „Unsere Geräte sollen sein wie ein guter englischer Butler. Sie sollen da sein, wenn man sie braucht, und im Hintergrund verbleiben, wenn man sie nicht braucht.“ Besser kann man meine Arbeit gar nicht erklären. „So wenig Design wie möglich“ bedeutet daher für mich die Reduktion der Formensprache.
MUST SEE QUARTERLY
MUST SEE Ich ist ein Anderer, 2014 Mode, Styling & Konzept: Leonie Barth Foto: Lucie Marsmann Rechts: Sylvie Fleury, Evian Bottle, 1998
Design 22. März bis 23. Oktober 2017 Jasper Morrison. Thingness Bauhaus-Archiv Berlin www.bauhaus.de 19. Mai bis 29. Oktober 2017 Food Revolution 5.0 Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg www.mkg-hamburg.de 21. Mai bis 15. Oktober 2017 Dieter Rams. Ein Stilraum Museum Angewandte Kunst Frankfurt am Main www.museumangewandtekunst.de 25. Mai bis 29. Oktober 2017 Faraway. So Close 25. Design Biennale (Bio 25) Ljubljana, Slowenien bio.si 21. Juni bis 1. Oktober 2017 Roboter. Arbeit. Unsere Zukunft Vienna Biennale 2017 www.viennabiennale.org
24. Juni bis 1. Oktober 2017 SUR/FACE. Spiegel Museum Angewandte Kunst Frankfurt am Main www.museumangewandtekunst.de 13. Juli bis 22. Oktober 2017 Smart Materials Satellites Bauhaus Dessau: Stahlhaus, Siedlung Dessau-Törten www.bauhaus-dessau.de
SUR/FACE. Spiegel Es sind makellose Oberflächen, die den Raum verdoppeln, polierte Glasflächen, in denen wir unsere Eitelkeiten spiegeln – oder unser Selbst reflektieren. Das Frankfurter Museum Angewandte Kunst blickt diesen Sommer in die Spiegel der Kunst, des Designs und der Architektur. Über 100 Exponate versammelt SUR/FACE. Spiegel im Richard-Meier-Bau, darunter Objekte von Ettore Sottsass, Dan Graham und Andy Warhol. Reflecting! Bis zum 1. Oktober 2017
14. Juli bis 24. September 2017 Ettore Sottsass. Rebell und Poet Vitra Design Museum, Schaudepot Weil am Rhein www.design-museum.de 25. August 2017 bis 7. Oktober 2018 Design Studio: Prozesse Museum für Gestaltung – Schaudepot, Zürich www.museum-gestaltung.ch
22. Juni bis 1. Oktober 2017 Bikes! Das Fahrrad neu erfinden Grassi Museum Leipzig www.grassimuseum.de
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MUST SEE QUARTERLY
QUARTERLY
Architektur 4 . März bis 10. September 2017 Making Heimat Deutsches Architekturmuseum Frankfurt am Main www.dam-online.de 8. April bis 24. September 2017 The Brutalism Appreciation Society Hartware Medienkunstverein Dortmunder U, Dortmund www.hmkv.de 1. Juni bis 11. September 2017 Assemble. Wie wir bauen Architekturzentrum Wien www.azw.at 3. Juni bis 10. September 2017 Together! Die Neue Architektur der Gemeinschaft Vitra Design Museum, Weil am Rhein www.design-museum.de 22. Juni bis 29. Oktober 2017 Do Things – eine Ausstellung von Something Fantastic BNKR München www.bnkr.space
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23. Juni bis 1. Oktober 2017 Ruinen der Gegenwart KAI 10 / Arthena Foundation, Düsseldorf www.kaistrasse10.de 23. Juni bis 8. Oktober 2017 Francis Kéré: Serpentine Pavilion 2017 Kensington Gardens, London www.serpentinegalleries.org
Die Anti-Eigenbrötler Zusammen kommt man weiter: Das Vitra Design Museum in Weil am Rhein zeigt die Ausstellung Together! Die Neue Architektur der Gemeinschaft. In Gehrys Museumsbau werden Projekte kollektiver Baukultur nicht nur in Form von Modellen, Fotos und Filmen gezeigt: Auch ein voll ausgestattetes Mock-up erlaubt Einblicke darin, wie sich Zusammenhalt und Privatsphäre keineswegs ausschließen. Noch bis zum 10. September 2017
1. Juli bis 12. November 2017 In Land Aus Land. Swiss Architects Abroad S AM Schweizerische Architekturmuseum, Basel www.sam-basel.org 7. Juli bis 19. August 2017 huggenbergerfries Architektur Galerie Berlin www.architekturgalerieberlin.de 24. August bis 13. September 2017 Same Same but Different Ampelphase 8 im Vitra Showroom Frankfurt am Main www.ampelphase.com 16. September bis 7. Januar 2018 Peter Zumthor. Dear to Me Kunsthaus Bregenz www.kunsthaus-bregenz.at
Links: Moriyama House, Tokio © Dean Kaufman Rechts: Bibliothek Genossenschaft Kalkbreite, Zürich 2014, © Müller Sigrist Architekten. Foto: Martin Stollenwerk
Gartenansicht, 30. Mai 2017 Foto: Sibylle Pietrek, 2017 © Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland GmbH
Landschaft 13. April bis 15. Oktober 2017 IGA Berlin: Ein Mehr aus Farben Gärten der Welt, Wuhletal und Kienbergpark www.iga-berlin-2017.de 13. April bis 15. Oktober 2017 Der Persische Garten Bundeskunsthalle Bonn www.bundeskunsthalle.de 3. Juni bis 30. Juli 2017 Doug Aitken: The Garden Installation für die ARoS Triennale ARoS Aarhus Art Museum aros.dk
Orientalische Oase in Bonn Der Garten ist ein von Menschen gemachtes Paradies. Und nicht von ungefähr ist das Wort „Paradies“ ein Vermächtnis aus dem alten Persien. „Man muss nicht erst sterben, um ins Paradies zu gelangen, solange man einen Garten hat“, weiß ein persisches Sprichwort. Parallel zur Ausstellung Iran. Frühe Kulturen zwischen Wasser und Wüste lädt bis Mitte Oktober ein persischer Garten, den der Düsseldorfer Landschaftsarchitekt Georg Verhas auf dem Museumsplatz der Bundeskunsthalle angelegt hat, zum Verweilen ein.
Doug Aitken, The Garden, 2017 Foto: Anders Sune Berg
7. Juli bis 3. Oktober 2017 Roberto Burle Marx: Tropische Moderne Deutsche Bank KunstHalle Berlin www.deutsche-bank-kunsthalle.de
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MUST SEE QUARTERLY Art and Alphabet Manipulierte Alphabete, überlagerte Schriften und mit dem Körper nachgestellte Buchstaben: Die Ausstellung Art and Alphabet ist ein Wechselspiel zwischen Schrift und Bild, Sprache und Kunst. Ab 21. Juli 2017 in der Galerie der Gegenwart der Hamburger Kunsthalle: Nicht verpassen!
Paulina Olowska (*1976) Alphabet, 2005 1 von 26 farbigen Karten (eine für jeden Buchstaben des Alphabets) © Courtesy Galerie Buchholz, Berlin/Cologne/New York
Kunst 5. Februar bis 26. November 2017 Jaguars and Electric Eels Julia Stoschek Collection Berlin www.jsc.berlin 17. März bis 24. September 2017 Moving Is in Every Direction Environments – Installationen – Narrative Räume Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart, Berlin www.smb.museum 28. April bis 8. Oktober 2017 Zwischen Räumen Zentrum für Kunst und Öffentlichen Raum Schloss Biesdorf www.zkr-berlin.de 28. April bis 25. Juli 2017 Second Home – Erika Hock Sammlung Philara, Düsseldorf www.philara.de 13. Mai bis 26. November 2017 Kunstbiennale in Venedig www.labiennale.org
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21. Mai bis 3. September Duett mit Künstler-in Partizipation als künstlerisches Prinzip Museum Morsbroich, Leverkusen www.museum-morsbroich.de 22. Mai bis 12. November 2017 Tino Sehgal Fondation Beyeler, Riehen www.fondationbeyeler.ch 2. Juni bis 24. September 2017 Chinafrika. Under Construction Galerie für Zeitgenössische Kunst, Leipzig gfzk.de 10. Juni bis 17. September 2017 Documenta in Kassel www.documenta14.de 10. Juni bis 1. Oktober 2017 Skulptur Projekte Münster www.skulptur-projekte.de 10. Juni 2017 bis 10. Juni 2018 Generation Loss, Jubiläumsausstellung Julia Stoschek Collection, Düsseldorf www.julia-stoschek-collection.net
7. Juli bis 3. September 2017 Erwin Wurm Museum Küppersmühle, Duisburg www.museum-kueppersmuehle.de 7. Juli bis 29. Oktober 2017 Erwin Wurm Lehmbruck Museum, Duisburg www.lehmbruckmuseum.de 21. Juli bis 29. Oktober 2017 Art and Alphabet Hamburger Kunsthalle www.hamburger-kunsthalle.de 18. August bis 30. September 2017 Seid umschlungen Ruhrtriiiennale, Festival der Künste Metropole Ruhr: von Bochum bis Duisburg www.ruhrtriennale.de 16. September bis 12. November 2017 A Good Neighbour Elmgreen & Dragset 15. Istanbul Biennale bienal.iksv.org
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Fotografie & Mode 27. April bis 13. August 2017 Fotografien werden Bilder. Die Becher-Klasse Städel Museum, Frankfurt am Main www.staedelmuseum.de
Fotografien werden Bilder Was eint, was trennt die Arbeiten der Schüler von ihren Lehrern? Das Städel Museum zeigt über 200 Fotografien von Bernd und Hilla Becher, Volker Döhne, Andreas Gursky, Candida Höfer, Axel Hütte, Tata Ronkholz, Thomas Ruff, Jörg Sasse, Thomas Struth und Petra Wunderlich.
5. Mai bis 17. September 2017 Thomas Struth. Figure Ground Haus der Kunst, München www.hausderkunst.de 19. Mai bis 20. August 2017 Andreas Mühe. Pathos als Distanz Deichtorhallen Hamburg www.deichtorhallen.de 28. Mai bis 1. Oktober 2017 Wolfgang Tillmans Fondation Beyeler, Riehen www.fondationbeyeler.ch 3. Juni bis 19. November 2017 Mario Testino. Undressed Helmut Newton. Unseen Jean Pigozzi. Pool Party Museum für Fotografie Helmut-Newton-Stiftung, Berlin www.helmut-newton.de
Links: Thomas Ruff, Interieur 1 D, 1982, chromogener Farbabzug, 47 x 57 cm, Leihgabe des Künstlers © Thomas Ruff; VG Bild-Kunst, Bonn 2017 Rechts: Volker Döhne, Ohne Titel (Bunt), 1979/2014, Farbabzug nach Diapositiv, 37 x 47 cm, Privatsammlung © Volker Döhne, Krefeld 2017
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FOLGE 2 — PAISLEY
Es wird als Tropfen beschrieben oder als Blatt mit spitz zulaufendem, gebogenem Ende, manche erinnert die Form an die Darstellung einer Amöbe aus dem Biologieunterricht: Die Rede ist vom Paisleymuster. Es ist seit mehr als 200 Jahren mal mehr, mal weniger in Mode. Seine Geschichte erzählt etwas über Textilproduktion, Globalisierung, wie Trends entstehen – und wieder vergehen.
Paisley-Tuch von Josephina Fridrix, porträtiert von Henri-François Riesener (1767–1828), Öl auf Leinwand, 1813
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Acne Studios Dulcia Diamond Paisley Blue: bodenlanges Paisley-Kleid von Jonny Johansson aus der Sommerkollektion 2017, © Acne Studios
Moden von gestern VON ANNE WAAK
In der indischen Region Kaschmir wurden seit dem 11. Jahr-
pularitätsschub erlebten die Schals 1842, als Queen Victoria
hundert Schals gewebt, die als Schulterumhänge zur Männergarderobe gehörten. Das Muster, das uns heute als Paisley begegnet, war schon im antiken Babylon bekannt. Die Tropfenform geht wahrscheinlich auf die Sprosse der Dattelpalme zurück, die in der Region eine vielfältige Symbolik besitzt. Schon die Frauen und Geliebten der Herrscher im alten Rom schätzten die Schals aus Kaschmirwolle; Marco Polo soll von seiner ersten Orientreise gleich mehrere Exemplare mitgebracht haben. Auch in Russland waren sie beliebt, aber es dauerte bis Ende des 16. Jahrhunderts, bis die Stoffe auch in Europa bekannt wurden. Der indische Mogul Akbar der Große holte damals persische Weber ins Land und sorgte für den Export der Produkte; ein Jahrhundert später brachte Napoleon seiner Frau Josephine bei seiner Rückkehr von einem Feldzug einen Schal mit nach Paris. Das teure Gewebe wurde zum beliebten Geschenk unter Adligen, auf zahlreichen Porträtgemälden der Zeit ließen sich die Damen mit Schal darstellen. Es war um etwa 1775, als die wenigen Weltreisenden jener Tage – Forscher, Militärangehörige und Mitglieder der Britischen Ostindien-Kompanie – begannen, die wärmenden Schals als Mitbringsel zu verschenken, und sie so langsam auch außerhalb der Königs- und Fürstenhäuser popularisierten. Die Original-Kaschmirschals wurden von Hand gewebt. Das Muster war so kleinteilig, dass die Herstellung eines Exemplars Monate dauerte. Die Nachfrage wurde aber bald so groß, dass Webereien begannen, auf Jacquard-Webstühlen günstige Nachahmungen aus Wolle und Seide herzustellen. Statt bis zu 100 Pfund kostete ein Exemplar nur noch etwa 12 Pfund. Paris und Lyon wurden genauso wie Norwich und Edinburgh zu europäischen Zentren der Schalproduktion, die schottische Stadt Paisley schließlich stieg um 1800 ins Geschäft ein, wurde zum Namensgeber des Musters und für Jahrzehnte zum wichtigsten Produktionszentrum. Einen erneuten Po-
einige Exemplare erwarb. Sie zog längliche Schals den quadratischen vor und bestimmte so die Mode der kommenden Jahre. Zur gleichen Zeit lebten fünf Paisley-Designer in der Stadt, die pro Jahr bis zu 500 verschiedene Muster entwarfen. Der Import indischer Schals kam zum Erliegen. Um 1860 übernahm der 15. Lord of Hay of Newhall, Paul Hay, das Paisley in den Tartan seines Clans und sorgte damit wiederum für die wachsende Bekanntheit des Musters. Farben und Größe selbst unterlagen Moden: So waren erst kleine Schals in blassen Farben gefragt, schwarze Paisleys kamen erst um 1820 auf. 20 Jahre später ging der Trend zu elaborierten Mustern und großen Schals, die die Damen über der Krinoline trugen. Schon Ende der 1840er-Jahre hatte das Bedrucken das Weben des Musters abgelöst, und die Preise sanken dramatisch. Mit rund einem Pfund war der Paisleyschal auf einmal für jede Frau erschwinglich. Zudem erschwerte der Deutsch-Französische Krieg den Nachschub an Materialien, die Industrie kollabierte. Am schwerwiegendsten aber war, dass die Krinoline von der Tournüre abgelöst wurde. Über den am Gesäß gebauschten Rock fiel der Schal nicht mehr schön, und er kam nach fast hundert Jahren aus der Mode. Das Wissen um das Handwerk des Paisleymuster-Webens ging in der Folge verloren. Das gedruckte Paisleymuster selbst jedoch ist einer der großen Wiedergänger der Mode: Durch die Beatles erlebte es Ende der Sechzigerjahre sein großes Comeback – Paisley passte zur Hippie-Vorliebe für psychedelische Muster. Die nächste Welle erlebte es 1985, als es neben der Mode zum Beispiel auch in der Einrichtungslinie des Designers Ralph Lauren auftauchte: auf Bettwäsche, Tischdecken und Duschvorhängen. In diesem Sommer feiert das schwedische Label Acne es großflächig auf Blusen und Kleidern, Topman druckt es auf Herrenhemden, Anzüge und Krawatten. Fortsetzung folgt.
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AMUNT In Tübingen fing alles an: Mit ihrem ersten Projekt, dem Low-Budget-Wohnhaus JUSTK, gründeten Sonja Nagel (*1972), Jan Theissen (*1972) und Björn Martenson (*1966) vor acht Jahren nicht nur ihr Büro AMUNT Architekten Martenson Nagel Theissen, sondern auch eine gemeinsame Haltung: für eine Architektur, die weder eitel noch glossy ist, sondern aus dem Kontext entsteht und absolut alltagstauglich bleibt. Dass die Häuser und Umbauten von AMUNT dabei etwas anders aussehen als das Gewohnte, ergibt sich aus der wunderbaren Unbefangenheit des Trios. Mit Texten von Christian Holl, Moritz Küng und AMUNT und Fotos von Brigida González und Filip Dujardin. 2G, Walther König, 160 Seiten, 39,95 Euro
HELLO, ROBOT Das Cover kommt von Christoph Niemann, das Layout hat ein Algorithmus gestaltet: natürlich nicht ohne das wachsame Auge der Art Direction des Berliner Studios Double Standards. Hello, Robot. Design zwischen Mensch und Maschine beschäftigt sich mit der Zukunft, die in der Vergangenheit längst begonnen hat und in der Gegen-
wart gelebt wird. Interessant wird es vor allem dort, wo es um die Widersprüche geht: um unsere ambivalente Beziehung zum Roboter und zur digitalen Welt. Vom niedlichen Roboter-Kumpel, Humanoiden, die nicht atmen und essen müssen, und Algorithmen, die unseren Alltag bestimmen. Plus alle Hardfacts, die man über Robotik wissen sollte. Vitra Design Museum, 328 Seiten, 49,90 Euro
ASSEMBLE. WIE WIR BAUEN Noch eine Monografie, die man unbedingt haben sollte: weil es ein Buch an der Schnittstelle ist. Das Londoner Kollektiv Assemble bewegt sich in seinen Projekten gekonnt zwischen den Sujets Architektur, Design und Kunst. Und so kommt es auch, dass die Gruppe erst mit einem der renommiertesten Kunstpreise Europas ausgezeichnet wurde (dem Turner Prize 2009, überreicht von Sonic-Youth-Sängerin Kim Gordon!) und jetzt ihr Werk im Architekturzentrum Wien zu sehen ist. Begleitend zur Ausstellung legt die 18 Mitglieder fassende Gruppe hiermit ihre erste Publikation vor. Was nach so vielen Interventionen im Stadtraum, Bauten und Möbeln längst überfällig war. Park Books, 160 Seiten, 29 Euro
TAG DER OFFENEN TÜR: INGRESSI DI MILANO Dieser Bildband eröffnet ungeahnt prächtige Räume, an versteckten Orten mitten in der Stadt. Hinter den Haustüren und Toren Mailands ist die Eleganz des vergangenen Jahrhunderts erhalten geblieben und beseelt den Alltag in den Eingangshallen der italienischen Metropole, wo sogar der vom Aussterben bedrohte Berufszweig des Pförtners weiterlebt. Karl Kolbitz hat für das Buch 144 der schönsten Eingänge von Häusern Mailands dokumentiert, die zwischen 1920 und 1970 gebaut worden sind – darunter Werke der renommiertesten Architekten der Stadt, wie Giovanni Muzio, Gio Ponti, Luigi Caccia Dominioni und Piero Portaluppi. Taschen, 384 Seiten, 49,99 Euro
WELTENTWERFEN „Design“ ist ein allgegenwärtiger Begriff. Designt werden heute neben Gegenständen auch Prozesse, Lebenswelten und sogar Flüchtlingsunterkünfte. Für Friedrich von Borries ist Design ein Machtinstrument, das wir uns aneignen müssen. Denn: „Gutes Design hilft beim Überleben.“ edition suhrkamp, 143 Seiten, 14 Euro
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PEOPLE
DEAR LAUNCH AUFSCHLAG IN MAILAND Wie aufregend, wenn ein Online-Magazin in der echten Welt erlebbar wird und so viele kommen! Zum Salone del Mobile 2017 in Mailand wurde es auf der Via Statuto in Brera eng. Den Magazin-Launch haben wir mit vielen Freunden, Partnern, Designern und Architekten gebührend gefeiert. Danke für den schönen Abend an unsere Partner Jung, Anker und Gigacer! Fotos: Nicoló Lanfranchi
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HEINZE SUMMIT MARRAKESCH Zehn Architekten. Drei Partner. Eine inhaltliche und intensive Exkursion. Die Heinze-Summits vereinen fachlichen Austausch mit aufregenden Reisezielen und führen Fachmann und Profi zusammen. Über Krankenhausarchitektur haben wir in Marrakesch gesprochen. Vielen Dank an unsere Gäste und die Partner Dormakaba, Jung und Nora Systems. Fotos: Klaus Füner
UND MORGEN?
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Moby Store Die schwedischen Entrepreneure Maria De La Croix und Tomas Mazetti haben sich etwas Neues ausgedacht: den selbstfahrenden Supermarkt. VON STEPHAN BURKOFF
© Wheelys
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Ihr Konzept Moby, ein 24/7-h-Supermarkt auf Rädern, braucht keine Angestellten, keine Kasse und kein eigenes Lager. Er fährt autonom auf unseren Straßen und, wenn wir wollen, direkt vor unsere Tür. Wie bei den Kaffee-Fahrrädern, die Maria De La Croix mit ihrer Firma Wheely als Letztes erfolgreich auf dem Markt platziert hat, ist die Idee dahinter aber weitaus weniger kommerziell, als man denken würde. „Ich möchte, dass Familien oder andere Gemeinschaften die Läden kaufen, sodass es nicht zu einem Konzern wird, der alle Läden in der Welt besitzt“, sagt Mazetti in einem Interview. „Anstatt in einem Lager für Amazon zu arbeiten, kannst du dein eigenes kleines Geschäft besitzen.“ Und wie funktioniert Moby? Über eine App kann man das rollende Lädchen nach Hause bestellen – angeblich auch in abgelegene Viertel oder gar ländli-
che Regionen. Die Tür öffnet sich per Smartphone; alles, was man einscannt, wird direkt von der Kreditkarte abgebucht und steht am Ende als Tüte zum Mitnehmen bereit. Der Kleinstladen soll frische Lebensmittel und andere Dinge des täglichen Bedarfs vorrätig haben. Wenn etwas anderes gewünscht wird, kann man es bestellen: Die Pakete stehen dann beim nächsten Besuch bereit. Solarzellen auf dem Dach sollen Technik und Motor mit Strom versorgen, ein zentrales Lager die Logistik regeln. Die Technologie für das autonome Fahren wird derzeit in Kooperation mit der Hefei-Universität in China entwickelt. Mit einem Kaufpreis von etwa 30.000 Euro und einer zusätzlichen Servicepauschale wird damit auch für kleine Gemeinden ein eigener Supermarkt wieder denkbar. Bis 2018 soll Moby auf der Straße sein.
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20/ GutjAhr 21/ PLAttENFIX 22/ Schlüter-Systems 23/ Sopro 24/ wedi
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59/ AXA
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Fliesenverlegezu
19/ BLANKE
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57/ AIA AG
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ist mir Favoriten Favoriten Favoriten Favoriten Favoriten bekannt Produkt- Preis-Leistungs- Innovation Technischer Optik/ ▾ qualität Verhältnis Support Gestaltung möglich Favoriten Favoriten Mehrfachnennungen Favoriten Favoriten aftl. Problemlösungs66/ AGC Interpane Sonnenschutzglas, Funktions- und Designverglasungen ◯ ◯ ◯ ◯ ◯ ◯ Favoriten Hilfestellung bei Partnersch ist mir tung vermögen Vor-Ortetenz Verhalten Fachkomp beste Objektbera bungen 67/ dormakaba Glasbeschläge bekannt für Dreh-, Pendelund SchiebetürenBeratung ◯ ◯ ◯ ◯ ◯ ◯ Ausschrei ◯ ▾ ◯ ◯ 68/ EControl-Glas dimmbares Glas – Verschattung für Fassade und Atrium ◯ ◯ ◯ ◯ ◯ ◯ ◯ ◯ ◯ ◯ ◯ ◯ tz 69/ GLASSOLutIONS Funktionsgläser für Fassade und Innenanwendungen ◯ ◯ ◯ ◯ ◯ ◯ ◯ nentwässerung, Kellerschu ◯ ◯ Objekt- und Freifläche ◯ ◯ ◯◯ Boden Glas-Sandwich-Fassade, Glass Sandwich Panel GSP® ◯ 70/ iconic skin ◯ ◯ ◯ ◯ ◯ 25/ ACO Platten für Wand- und ◯ ◯ keramische Fliesen und ◯ ◯ ◯◯ 71/ SAINt-GOBAIN GLASSPutze Funktionsgläser wie Schall- und Wärmeschutzgläser ◯ ◯ ◯ ◯ ◯ ◯ 26/ AGrOB BuChtAL Beschichtungen, WDVS, ◯ ◯ Farben, Lacke, Lasuren, ◯ ◯ ◯◯ 72/ Schott utomation Brandschutzverglasungen für Fassaden, türen, Dächer ◯ ◯ ◯ ◯ ◯ ◯ 27/ Brillux Gebäudea ◯ ◯ Elektroinstallationstechnik, ◯ ◯ eger ◯◯ Bereich Funktionsglas (Wärme-/Sonnen-/Schallschutz, Klima) ◯ 73/ SEMCO ◯ ◯ ◯ ◯ ◯ 28/ Busch-ja Fassade, erdberührtem ◯ ◯ Abdichtung von Dach, ◯ ◯ ◯ 74/ SOLArLuX ◯ ◯ ◯ ◯ ◯ ◯ 29/ CArLISLE ◯ für Boden, Wand, FassadeGlas-Faltwände, Balkon- und Fassadenverglasungen ◯ ◯ Schaumglas-Dämmsysteme ◯ ◯ S ◯ n 30/ Deutsche FOAMGLA ◯ partner für Architekte ◯ ◯ kompetenter Ansprech ◯ ◯ ◯ 31/ dormakaba nagementkennen und bevorzugen sie im bereich „glas/glas-konstruktionen“? ◯ Welche _____________________________________________________________________________________________________________________________________________________________ Zutrittsmahersteller sowieanderen me ◯ ◯ Beschläge, Griffsyste ◯ ◯ ◯ Bauens 32/ FSB ◯ Leistungsphasen des ◯ ◯ Objektberatung in allen ◯ ◯ ◯ 33/ GEZE ◯ e, türen, tore, Zargen Mehrfachnennungen möglich ◯ aussenWandbekleidungen ◯ Feuer-/rauchschutzabschlüss ◯ ◯ ◯ ng 34/ hörmann ◯ ge Flachdach-Abdichtu ist mir Favoriten Favoriten Favoriten Favoriten Favoriten ◯ ◯ Produkte für die hochwerti ◯ ◯ ◯ bekannt ProduktPreis-Leistungs- Innovation ProduktOptik/ 35/ Icopal ◯ Putz, Fassade, Estrich ◯ ◯ für holz-/trockenbau, ▾ qualität Verhältnis auswahl Design Beratung ◯ ◯ ◯ ich 36/ Knauf Gips ◯ für Objekt- und Wohnbere 75/enCOSENtINO DEKtON® ultrakompakte◯Oberflächen ◯ ◯ ◯◯ ◯◯ ◯ ◯ ◯ Boden- und Wandflies ◯ k 37/ Marazzi ◯ denbeläge aus Kautschu ◯ 76/ FACID by EPS + Schüco Die flexible textile Fassade ◯ ◯◯ ◯◯ ◯ ◯ ◯ nachhaltige Objekt-Bo ◯ ◯ r 38/ nora systems ◯ Grün- und Steildäche ◯ PrEFA Fassadensysteme aus Aluminium ◯ ◯◯ ◯◯ ◯ ◯ ◯ Systemlösungen für77/Flach-, ◯ ◯ 39/ Paul Bauder ◯ toffe und Oberflächen holzwerks rhEINZINK Falzsysteme, rauten, Paneele ◯ ◯◯ ◯◯ ◯ ◯ ◯ Systemanbieter für78/ ◯ aus titanzink◯ ◯ 40/ Pfleiderer ◯ bekleidungen aus titanzink ◯ 79/ rieder Smart Elements Fassadenelemente aus Glasfaserbeton, Betonplatten ◯ ◯◯ ◯◯ ◯ ◯ ◯ Dachdeckungen, Fassaden ◯ ◯ re 41/ rhEINZINK ◯ , raffstoren), Garagento ◯ 80/ Salzgitter Bauelemente trapezprofile, Kassettenprofile, ◯ ◯◯ ◯◯ ◯ ◯ ◯ Sonnenschutz (rollladen ◯ Sandwichelemente ◯ 42/ rOMA ◯ ungen für Schiebefenster titanzink-Bekleidungen in diversen Oberflächen ◯ 81/ VMZINC® (umicore) ◯ ◯ ◯ ◯◯ ◯ ◯ ◯ individuelle Sonderlös ◯ ◯ 43/ unlimited solution ◯ fenster, tageslichtspots ◯ ◯ Dachfenster, Flachdach ◯ ◯ ◯ Küche 44/ VELuX ◯ sungen für Bad/WC und ◯ Design-Armaturenlö ◯ im bereich „außenwandbekleidungen“?______________________________________________________________________________________________________________________________________________________________ Welche anderen hersteller kennen und bevorzugen sie utomation 45/ VOLA hutzsysteme, Gebäudea Sonnensc für __________ Beratung _______________ _______________ _______________ _______________ 46/ WArEMA _______________
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ist mir Favoriten Favoriten Favoriten Favoriten Favoriten bekannt Produkt- Preis-Leistungs- Innovation Technischer Einfache Favoriten ▾ qualität Support Bedienung Favoriten Verhältnis Favoriten Technischer Favoriten n ◯ Optik/ ◯ Support ◯ ◯ ◯ stungs- ◯Innovatio Design Produkt- Preis-Lei bekannt Verhältnis ◯ 83/ Busch-jaeger haussteuerung, Gebäudesystemtechnik, Bedienpanels ◯ ◯ ◯ ◯ ◯ ◯ qualität ▾ ◯ ◯ ◯ 84/ GIrA / KNX-System intelligente Produkte für intelligente Gebäude ◯ ◯ ◯ ◯ ◯ ◯ ◯ ◯ ◯ ◯ ◯ steme ◯ ◯ ◯ ◯ ◯ ◯ ◯ elektronische Schließsy Gebäudesteuerung, Elektroinstallation ◯ ◯ nelle85/undhager konventio ◯ ◯ ◯ 47/ ASSA ABLOY ◯ 86/ innogy / Einbruchschutz ◯ ◯ ◯ ◯ ◯ ◯ linder, Schließsysteme heizung, Licht und Geräte steuern ◯ ◯ Schlösser, Schließzy ◯ ◯ ◯ 48/ BKS hinein? ◯ 87/ juNG dem KNX-System◯ ◯ ◯ ◯ ◯ ◯ ◯ ung: Wer darf wann wo intelligente haussteuerung mit ◯ ◯ moderne Zutrittslös ◯ ◯ 49/ dormakaba ◯ t, Beschläge 88/Zutrittsma Merten –nagemen SmartFamily intelligente haus- und Gebäudesteuerungssysteme ◯ ◯ ◯ ◯ ◯ ◯ ◯ ◯ elektronisches ◯ ◯ ◯ len 50/ FSB ◯ ttungswegen, türzentra ◯ ◯ Sicherheit in Flucht-/re ◯ ◯ ◯ 51/ GEZE atung ◯ k, Objektber türtechni anderen hersteller kennen und bevorzugen sie im◯bereich „smart◯home“?_____________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________ ◯ undWelche Fenster◯ ◯ 52/ Gretsch-unitas nlagen ◯ ◯ Sprachalarm- und Feststella ◯ de-, Brandmel ◯ ◯ utz ◯ 53/ hekatron Brandsch ◯ tzte Zutrittslösungen 3 ◯ ◯ elektronische/kabellose/verne ◯ ◯ ◯ t 54/ SALtO Systems ◯ Komfort und Sicherhei ◯ Zutrittskontrolle mit Stil, ◯ 55/ Schüco elung und Zutrittskontrolle _______ Systeme zur türverrieg _______________ _______________ _______________ _______________ 56/ WINKhAuS _______________ _______________ _______________ _______________ “? systeme eitstechnik/zutrittskontroll en sie im bereich „sicherh r kennen und bevorzug Welche anderen herstelle
Welche anderen herstelle
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