DEAR Magazin 01 | 2018 | Ole Scheeren

Page 1

HEINZE

DEAR

ICH HABE KEINE ANGST

Ole Scheeren

ILLUSTRIERTE FÜR DESIGN UND ARCHITEKTUR

MARCEL WANDERS TITUS SCHADE Design

FABIO NOVEMBRE LIGHT & BUILDING 2018 MARMOR IN DER GALAXIE Architektur

BERG, BOND & BETON KINDERGARTEN OHNE KRACH THE GREAT SCANDINAVIAN DREAM MODELLE: FREUNDE DES HAUSES

Nr. 1/ 2018 — 8,50 Euro

Wie Technologie die Bauwirtschaft verändert

SIMSALA BIM

Dossier

Interviews




EDITORIAL

Foto: Cyrill Matter

Vieles im Leben lässt sich nicht kontrollieren, denn erstens kommt es immer anders und zweitens, als man denkt. Selbst, wenn Sie ihr Smartphone auf der Rückseite mit Marmelade beschmieren, wird es aufs Display fallen. Vorhersehung, Schicksal, Zufall? Es spielt keine Rolle, wie man solche Ereignisse nennt. Wichtig ist die Haltung, mit der man ihnen begegnet. Manche versuchen mit jeder Kraft alles zu steuern – ein ungleicher Kampf: zum Scheitern verurteilt und Ursprung unendlicher Anspannung. Andere lassen die Dinge sich entwickeln und nehmen es nicht so schwer. Positives Denken kann der Schlüssel zu einem angenehmen Leben sein. Wir befinden uns schließlich im chinesischen Jahr des Hundes. Sein Geschenk ist die Fähigkeit, unkonventionelle Lösungen für alte Probleme zu finden. Wer die Dinge einfach laufen lässt, wer in seiner Arbeit einen Ort der Kontrolle sieht und wer ohne Angst Großes vollbringt, erfahren Sie in dieser Ausgabe. Ein Magazin, ganz anders, als man denkt. Wir haben das kontrolliert. Ihr Stephan Burkoff

6


TRIO BY TEAM FORM AG COR.DE


IMPRESSUM

WWW.HEINZE-DEAR.DE Publisher

Geschäftsführer

Chefredakteur Editorial Director Art Direction & Layout Redaktionsleitung Redaktion

Autoren Lektorat Schlusslektorat Fotografen

Konzept & Realisation

Gesamtvertriebsleiter Leiter Medienproduktion Druck Zeitschriftenvertrieb

Titelbild: Cyrill Matter

Danke an

8

HEINZE GmbH Das führende Bauportal für Produktinformationen, Firmenprofile und Architekturobjekte Dirk Schöning Bremer Weg 184 29223 Celle www.heinze.de HEINZE GmbH ist ein Unternehmen der DOCU Group / www.docugroup.de Stephan Burkoff (V. i. S. d. P.) Jeanette Kunsmann Nils Sanders / BÆUCKER SANDERS GmbH Katharina Horstmann (kh) Tim Berge (tb), Jana Herrmann (jh), Markus Hieke (mh), Norman Kietzmann (nk), Tanja Pabelick (tp), Kathrin Spohr (ks) Clara Blasius, Dina Dorothea Falbe, Niklas Maak, Max Scharnigg, Anne Waak, Anna Weidemann Dr. Roland Kroemer Anja Breloh Iwan Baan, Ferréol Babin, Hélène Binet, Bruce Damonte, Alex Fradkin, Florian Geddert, Miguel de Guzmán und Rocío Romero. Imagen Subliminal, José Hevia, Annette Kuhls, Enrico Meyer, Cyrill Matter, Simon Menges, Thomas Neumann, Jack Neville, Francisco Nogueira, Frans Parthesius, Fabian Remmert, Alexander Roan, Olaf Rohl, Daniel Stauch, Dietmar Strauss, Uwe Walter Mitte Rand UG, Verlag für Inhalt & Kontraste Marienstraße 10, 10117 Berlin www.mitte-rand.de / mail@mitte-rand.de Jörg Kreuder Ulrich Schmidt-Kuhl Vogel Druck, Leibnizstraße 5, 97204 Höchberg MZV GmbH & Co. KG, Unterschleißheim Ole Scheeren, Emma Aulanko und Nicolas Probst, Florian Geddert, Nadine Hartmann, Nadine Bartels, Wiebke Becker, Hannah Grabner/Galerie Eigen+Art, Christiane Faller, Loretta Stern & Matti Klemm, Petra Frerichs, Ulrike Hilck, Melitta John, Mathias Kutt, Michael Lang, Bärbel Rogge, Andrea Sammartano, Michael Sülzer, Sabine Wunsch, Melanie, Charly, Peeke, Anton, Bjarne und Jasper

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das Recht der Vervielfältigung. Kein Teil dieses Magazins darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlags Mitte / Rand reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.


K.1

Gutes Design spricht für sich! Der Berker K.1 fügt sich perfekt in jedes zeitlosklassische Interieur ein. Dabei setzt der Schalter durch seine konturierte, kantige Formensprache eigene Akzente. Ein zentraler, moderner Klassiker im Berker Programm, der Qualität und Stilsicherheit verkörpert. hager.de/berker

17DE0324

Besuchen Sie uns auf der Light + Building in Frankfurt am Main vom 18. - 23. März 2018 Halle 8 Stand G90/H90


INHALT

DESIGN Editorial Impressum Contributors

4 6 12

32

DOSSIER

Interview: Marcel Wanders

16

Formsache: Höhlenforschung Kolumne von Max Scharnigg

24

Apartmentumbau in Lissabon

26

Leben auf 10 mal 70 Metern

32

Biophilic Design: Büro im Wald

38

Marmor in der Galaxie Office for Political Innovation

45

Fabio Novembre Ritter der dritten Dimension

55

Interview: Ferréol Babin

71

Newcomer

76

45

Simsala BIM? Digitale Chancen und analoge Preziosen

78

Architekten über BIM Wie kommt es, dass die Politik in den Bauprozess eingreift?

80

BIM wird den Planungsprozess neu organisieren

82

BIM verändert die Kommunikation mit Bauherren und Fachplanern

84

Freunde des Hauses Ein Fotoessay mit Modellen von OMA, Barkow Leibinger, EM2N, Annabelle Selldorf, Pezo von Ellrichshausen u. v. m.

86

55

86


ARCHITEKTUR

MAGAZIN

Titelstory: Ole Scheeren Die Realität der Möglichkeiten

118

Die fünfte Fassade und der dritte Lehrer Kindergarten in Tübingen

138

Berg, Bond und Beton Alpine Spa in Bürgenstock

145

The Great Scandinavian Dream 155 Mylla Hytta von Mork-Ulnes Architects Light+Building 2018

162

Ateliers Editions Serge Mouille Handwerk zwischen Vernunft und Folie

171

Backflash: Kalkulierte Krümmungen Die Muschelschalen in Beton von Ulrich Müther

174

Zuhause in der Kunst: Titus Schade Architektur kann einen emotionalen Raum ausbreiten

181

Moden von Gestern: Der Kaftan Kolumne von Anne Waak

188

Mit dem Panamera zur Villa Malcontenta Kolumne von Niklas Maak

190

Kalender Bücher Und morgen?

194 198 202

181

145

118

138

162

181


VORSCHAU

SEITE 118 12

Foto: Cyrill Matter

Ole Scheeren kennt keine Probleme, er denkt in MĂśglichkeiten. Vielleicht ist das ein Grund dafĂźr, dass der junge Architekt niemals Angst hat. Und so erfolgreich ist.


hgschmitz.de Interfacedesign: schmitz Visuelle Kommunikation

Gira X1 – das Smart Home im Griff.

Auszeichnung Interfacedesign: German Design Award 2017, Winner in der Kategorie Excellent Product Design Building Red Dot Award: Communication Design 2014, Best of Best für höchste Designqualität Mehr Informationen: www.gira.de/x1


C

CLARA

O

N

T

BLASIUS

R

DINA

I

B

U

DOROTHEA

FALBE

T

MARKUS

O

R

S

HIEKE

Stille Wasser sind tief, heißt

Dina Dorothea Falbe hat Ar-

Wir freuen uns heute immer

es. Clara Blasius ist ein Beweis

chitektur in Weimar und Delft

noch, dass Markus Hieke vor

für die Wahrhaftigkeit dieser

studiert und forscht nun an

bald fünf Jahren den Weg in un-

Redewendung. Sie überzeugt

der

Groningen

sere Redaktion gefunden hat.

uns immer wieder mit glaskla-

zum Schulbau in der DDR. In

Markus ist wie ein Fels in der

ren Analysen, bester Organisa-

ihrem 2017 erschienenen Buch

Brandung des Buchstabenmee-

tion, sprachlicher Präzision und

Architekturen des Gebrauchs

res und außerdem ein geübter

ihrem fundierten Wissen in

betrachtet sie öffentliche Bau-

Beobachter mit einem Blick fürs

Kunst, Architektur und Gesell-

ten der Sechziger- und Sieb-

Wesentliche. Mit diesen Eigen-

schaft. Bald müssen wir sie

zigerjahre in Deutschland. Für

schaften ausgestattet, ist er für

leider gehen lassen, damit sie

eine umfassende Aufbereitung

dieses Heft nach Amsterdam

Ihren Master meistern kann. Be-

des Werkes von Ulrich Müther

gefahren, um sich mit Marcel

vor sie uns verlässt, hat sie noch

war sie demnach bestens vor-

Wanders zu unterhalten. Nicht

etwas dagelassen. Nämlich ei-

bereitet. Sie spannt einen Bo-

alles, was Wanders entwirft,

nen Text über eine außerge-

gen von der Insel Rügen über

trifft den Geschmack der Re-

wöhnliche Hütte in Norwegen.

Wolfsburg bis nach Tripolis.

daktion. Das Interview schon.

14

Universität


15


DE


Foto: © Marcel Wanders

DESIGN

17


INTERVIEW

MARCEL Der polarisierende Niederländer wurde bereits mit vielen Labels versehen. Wir sparen uns das und sprechen mit ihm übers Lernen, Lieben und Leben. Sein Büro bezeichnet Marcel Wanders

als kleines Studio, dabei sind dort mehr als 50 Mitarbeiter beschäftigt – für ein Designbüro eine große Zahl. Rastlos kreiselt er seinen Stift auf dem Tisch. Und sonst: immer eine Spur abgehoben. Sein Design ist streitbar. Ein Besuch in Amsterdam.

Knotted Chair – 1996: Ursprünglich für Droog Design entworfen, staunte Marcel Wanders nicht schlecht, als er eines Tages einen Anruf von Giulio Cappellini erhielt. Der wollte den Sessel aus geflochtener Kordel gerne produzieren. Hergestellt wird er aus Kohlenstoff- und Aramidfaserkordel, die durch eine Imprägnierung aus Epoxidharz stabilisiert wird. Foto: © Marcel Wanders

18

Zunächst eine persönliche Frage: Sie haben in letzter Zeit einige Hotelinteriors gestaltet. Dabei kennt ihr Niederländer euch doch vor allem mit Campingurlaub aus – zumindest aus deutscher Sicht. Kann man sich einen Marcel Wanders im Caravan vorstellen? Nun, erstmal würde ich sagen, dass wir nicht sehr viele Hotels gestaltet haben, obwohl wir dafür recht bekannt sind. Tatsächlich haben wir in den vergangenen 15 Jahren gerade mal sieben Hotels realisiert. Andere mögen mehr Projekte in kürzerer Zeit schaffen, bei uns dauert die Planung und Umsetzung eines Hotelprojekts wegen der zahlreichen Details gute fünf Jahre, oder sogar sieben wie beim Mondrian in Doha. Zum Thema Camping: Das ist wirklich nichts, wofür ich mich besonders begeistern kann. In der Hinsicht bin ich wohl nicht sehr holländisch.


DESIGN

WANDERS VON MARKUS HIEKE

Dabei hat es etwas Romantisches, und Ihre Arbeit ist ja auch in gewisser Weise verträumt. Als Puma mal den Wunsch hatte, mit mir zusammenzuarbeiten, überlegten wir gemeinsam, worauf unser Projekt hinauslaufen könnte. Die Idee war es schließlich, eine urbane Outdoor-Kollektion zu gestalten. Der Titel des Projektes lautete I hate camping. But I love lounging with style. Entstanden ist ein Zelt, gedacht für Dachgärten und mit Zubehör, wie einem isolierten Trolley, in dem man Champagner und Ananas und so weiter kühlen konnte. Das beantwortet vielleicht alles. Er überlegt kurz und lacht. Mein Bruder hatte mich mal eingeladen, ihn zum Oerol, einem Kulturfestival auf der Insel Terschelling, zu begleiten. Er und seine Freunde waren alle in Flipflops und T-Shirt, und dann kam ich – zu dem Zeitpunkt habe ich ausschließlich schwarze Anzüge getragen – und hatte so auch dort einen an. Wir saßen also gemeinsam im Gras und diskutierten endlos, was wir zum Essen bereiten wollten. Um das Thema zu beenden, rief ich im Studio an, fragte, wo die nächste Pizzeria sei, und bestellte 20 Pizzen. Auf einem kleinen Kocher etwas Essbares zuzubereiten, ist einfach nicht mein Ding.

Luxushotels hingegen schon. Gerade wurde das Hotel in Katar eröffnet. Mich erinnern die Bilder davon an einen gigantischen Blumenstrauß. Das Hotel spricht für das, was die Menschen von Doha erwarten. Während ein Produkt theoretisch überall funktionieren kann, muss ein Interiordesign etwas mit dem Ort zu tun haben. Wir arbeiteten mit regionalen Handwerkern und lokalen Mustern. Im Nahen Osten gibt es die sogenannte heilige Geometrie, die wir verwendeten, und dafür setzten wir wesentlich weniger Blumen als gewöhnlich ein. Auf Ihrer Website heißt es, im Hotel Grand Portals Nous auf Mallorca, das Sie zuletzt fertiggestellt haben, werden die Gäste dank „verwöhnender Erholung verjüngt“. Worin besteht die Herausforderung, dieses Ziel mithilfe von Design zu unterstützen? Jeder Ort hat seine Zielgruppe mit eigenen Ansprüchen. Der durchschnittliche Mallorca-Besucher kommt für sechs bis acht Tage und möchte einfach nur entspannen – den Strand, das schöne Wetter und fantastisches Essen genießen. So gestalteten wir einen Ort, den man bis ins letzte Detail mögen wird. Indem Sie die Vorzüge der Insel in Ihrem Interior einfangen. Nun, zu-

nächst versucht man, den Betreiber in Hospitality-Aspekten zu beraten. Erst dann spielen die visuellen Eindrücke hinein – mit dem Ziel, dass sich das Land im Gebäude widerspiegelt. Auf Mallorca wollen Sie sich ja nicht wie in Tokio fühlen. Dafür versuchen wir etwas, das sehr schwierig ist: Der Ort soll zwar neu entstehen, aber auch authentisch wirken. Aufträge können aber auch ganz anders aussehen. Sie haben einmal gesagt, dass Sie gerne eine Moschee gestalten würden. Ist das immer noch Ihr Wunsch? Ja, ich studiere seit fünf Jahren eine neue Designsprache, weil ich gerne eine Moschee im Nahen Osten gestalten würde. Nun habe ich tatsächlich eine Anfrage bekommen, eine Moschee zu realisieren – allerdings ist das noch nicht ganz sicher. Wenn das Projekt kommt, wird es lange dauern. Allein die entsprechenden neuen Formen zu finden! Meine Blumen kann ich da jedenfalls nicht verwenden. Für Ihr Verständnis von Design mussten Sie seit dem Studium kämpfen. Es ist nicht so, dass ich ein schreckliches Leben hatte. Aber wie Sie sicherlich wissen, gibt es Menschen, die lieben, was wir tun, und es gibt Menschen, die es verabscheuen. Wenn du etwas Freimütiges gestaltest – und mir ist es

19


INTERVIEW lieber, etwas zu kreieren, das ein paar Menschen wirklich lieben –, dann hast du auch das Problem, dass manche Leute dein Design hassen werden. Irgendetwas dazwischen ließe die Menschen gleichgültig. Ich möchte hingegen außergewöhnliche Dinge schaffen, die die Leute haben wollen, mit denen sie gerne leben und die sie später einmal weitergeben werden. Offenbar passt aber kaum Poesie in eine Welt, die fundamental modernistisch gestrickt ist und damit minimalistisch, konzeptionell und rational denkt. Liebe passt nicht hinein. Schönheit …, na gut, Schönheit passt hinein. Doch wo bleibt da die menschliche Seite? Wobei es beim rationalen Gestalten ja auch um Zeitlosigkeit geht. Wenn Sie mein Schaffen verfolgen, dann können Sie vielleicht sagen, welches meiner Produkte in welcher Zeit entstanden ist. Andernfalls denke ich, dass meine Designs zeitlich recht schwer einzuordnen sind. Auch wenn ich natürlich immer dazu lerne und Dinge besser oder anders umsetze als früher. Daneben finde ich es ja grundsätzlich auch nicht schrecklich, wenn Dinge älter werden. Sie werden es. Im Modernismus ist die wichtigste Eigenschaft vieler Produkte ihre „Neuheit“, was ich für keine sehr nachhaltige Qualität halte. Ist der erste Kratzer daran, sind sie hinüber. Während in unsere Produkte von vornherein Alter und Respekt für Kultur eingebettet werden. Objekte, die so zwischen Vergangenheit und Zukunft lagern, sind meiner Ansicht nach beständiger. Dabei sprechen wir allerdings von dauerhaften Produkten. Ein iPhone mit diesem Ansatz zu gestalten, wäre Unsinn. Auch die Masken gegen Luftverschmutzung, die wir einmal designt haben, verfolgen ja eine ganz andere Logik.

20

Würden Sie sagen, Ihre Produkte entwickeln sich bei Gebrauch und werden mit der Zeit besser? Nun, manchmal kann man es genauso einbauen, manchmal geht das nicht. Aber ja, ich liebe Patina, und wir versuchen es, sie einzuplanen, wobei sie natürlich schwer vorherzusagen ist. In Bahrain beispielsweise haben wir Spas gestaltet, die ein wenig an alte Suks erinnern. Wir haben hier künstliche Patina integriert, indem wir Fensteröffnungen von vornherein verschlossen haben, sodass es also so wirkt, als gäbe es eine Geschichte zu diesem Ort. So erwecken wir Dinge zum Leben. Braucht ein guter Designer Reibung, um erfolgreich zu sein? Ich würde sagen, ein guter Schüler wird immer lernen – von Kritik wie vom Kompliment, aber auch davon, wenn jemand nichts sagt. Also sind Sie selbst noch Schüler? Ich bin absolut noch Schüler. Ich bin ein guter Schüler! (lacht) Unterrichten Sie auch noch? Sie hatten mal einen Lehrauftrag in Eindhoven. In der Vergangenheit habe ich unterrichtet. Aber sehen Sie: Hochschulen waren immer eine Megairritation für mich. Also entschied ich, es nicht mehr zu tun. Warum? Die Organisation von Hochschulen ist so schlecht. Meine letzte Erfahrung war eine Klasse in Eindhoven. Ich hatte ein Jahr mit den Studenten, das wundervoll war. Der Punkt ist aber: Ich gebe keine Kritik, sondern unterstütze ausschließlich, denn ich weiß ja auch nicht, was sie kreieren sollen. Sie sollten ganz gewiss nicht das tun, wovon sie glaubten, dass es mir gefiele. Mein Anliegen war es, sie zu pushen. Für die Studenten war es toll, sich ein Jahr lang ohne Grenzen ausprobieren zu können. Im darauf-

folgenden Jahr fielen aber 22 von 24 von ihnen durch. Was hatte ich bloß angerichtet? Haben Sie Ihre Studenten nicht auf die nächste Etappe vorbereitet? Ich denke, ich war eigentlich ein guter Lehrer. Aber man zwang sie zurück in ein System, das für sie nicht gemacht war. Begeisterung und Passion gehen verloren in so einem Format. Es war dasselbe System, unter dem auch Sie als Student schon litten. Ja, grundsätzlich genau so. Und nun halte ich mich da raus, zumindest im Augenblick. Schätzen Sie Kritik von Menschen, insbesondere vom eigenen Team? Interessant, dass Sie das fragen. Denn vor zwei, drei Jahren bemerkte ich, dass ich generell kaum Widerspruch bekam. Leute sehen sich lieber auf meiner Seite. Inzwischen fordere ich Kritik aber regelrecht ein. Was ist das für ein Leben, in dem keiner widerspricht? Dabei meine ich nicht das Design, dafür bekomme ich genug Kritik. Aber allgemein … Und im Team versuchen wir sehr offen zu sprechen. Wie sehr würden Sie Ihre Designansichten kompromittieren, um zur Identität eines Auftraggebers zu passen? Ich beschreibe es gerne so, dass wir wie die Mutter eines Babys sind, das wir gestalten. Und dann gibt es die andere Seite, den Kunden, Hersteller oder Investor – mit anderen Worten den Vater. Wenn du nun ein hübsches Kind haben möchtest, solltest du als Mutter mit Sorgfalt wählen, keinen hässlichen Vater also. Wenn du ein kluges Kind haben willst, sollte der Vater nicht dumm sein. Wir sind sozusagen etwas wählerisch, auch wenn das scheußlich klingen mag. Aber immerhin verbringen wir ja auch viel Lebenszeit mit unseren Kunden –


DESIGN sie sind also besser nett. Letztendlich willst du aber auch, dass der Vater sich um das Kind kümmert und es als sein Baby erkennt. Generell schätze ich es, wenn Produkte am Ende nah an einer Unternehmenskultur dran sind. Nur möchte ich sichergehen, dass man eben auch meine Stimme darin wiedererkennt.

LS50 Nocturne – 2017: Für den britischen High-EndAudiohersteller KEF hat Wanders eine Sonderedition gestaltet, deren Front die Notation von Musik grafisch visualisiert. Foto: © KEF

Wie in den Lautsprechern, die Sie zuletzt für KEF gestaltet haben. Letztendlich haben wir in der Sonderedition Nocturne die Front des existierenden Wireless Speakers LS50 von KEF neu gestaltet. Jedes grafische Element, das Sie auf der Oberfläche sehen, ist Teil der Notation von Musik – die Visualisierung von Tönen und Rhythmen, die wir aus allen möglichen internationalen Musikstilen digital zusammengefügt haben.

Grand Portal Nous, Calvià, Mallorca – 2017: ein Ort zum absoluten Entspannen. Foto: © Marcel Wanders

21


INTERVIEW Die Linien und Punkte sind Zeichen, die Sie vom Notenpapier ablesen können. Wir haben sie hier als Explosionsgrafik dargestellt. Und typisch Wanders sind dabei die Special Effects, das Fluoreszieren bei Dunkelheit. Genau. Während dieses Produkt nun auf konkreten Auftrag hin entstand, werden Entwürfe im Möbeldesign zwar oft präsentiert, schaffen es aber dann nicht auf den Markt. Wie stehen Sie zu gescheiterten Produkten? Der größte Teil der Produkte schafft es nicht in die Herstellung. Mit Droog haben wir in unseren frühen Jahren mal eine Kollektion in Mailand präsentiert, die nur als Prototyp existierte. Nur haben wir das niemandem erzählt. Anschließend wurde viel darüber berichtet. Die Einstellung zum Design, aber auch die Berichterstattung hatten sich zu der Zeit verändert. Plötzlich rankten Pflanzen an einer Schaukel, das war ungewöhnlich. Aber haben musste man es nicht. Das ist genau wie bei Designmagazinen. Leute kaufen sie, aber das heißt nicht, dass Sie ein Sofa brauchen. Und das ist auch gut. Ich finde es toll, dass so ein großer Teil von dem, was wir hier jeden Tag tun, für die Menschen gratis ist. Sie nutzen die Dinge, die in den Heften abgedruckt sind, indem diese ihren Geist bereichern. Sowieso werden heutzutage im Möbeldesign keine großen Auflagen mehr erreicht – außer bei Ikea. Der Rest aber ist sämtlich handgemachtes Zeug. Bei der Vermarktung spielt das Geschichtenerzählen eine wachsende Rolle. Sie waren in dem Punkt schon immer der Zeit etwas voraus. Storytelling war für mich von Tag eins an der Schlüssel zum Erfolg. Wenn Sie zum Beispiel dieses Glas hier nehmen (greift zum Wasserglas), dann wird es nie Ihr Herz erreichen, wenn ich

22

meinen gestalterischen Fokus nur auf die Form des Glases, nicht aber auf den Kontext setze – es wäre eine Verschwendung von Zeit, Geld und Material. Wenn ich aber nun weiß, dass das Objekt selbst nur ein kleiner Teil des Ganzen ist – dazu kommen inszenierte Fotos oder ein bestimmtes Wissen darüber –, dann wird es in Ihrer Wahrnehmung plötzlich viel bedeutender sein. Ihre Marke Moooi lebt praktisch nur vom Storytelling. Was erzählt der Name selbst? Das niederländische Wort „mooi“ bedeutet ja übersetzt ganz einfach „schön“. Der Name selbst sollte international funktionieren, und ich dachte, drei Os wirken visuell einfach stark. „Zooi“ heißt „Krempel“, da fand ich Moooi einfach besser. Haben Sie die Marke entwickelt, um Ihre eigenen Produkte besser verkaufen zu können? Die Idee zu Moooi entstand während der Droog-Design-Periode. Und ich mochte wirklich die Idee des virtuellen Designs, das wir damals machten. Aber ich dachte auch, dass es doch wirklich schön wäre, mit meinen Produkten bei den Menschen zuhause zu sein. Keiner wollte meine Arbeit produzieren. So begann ich damit, Leuchten selbst herzustellen. Ein Freund von mir kümmerte sich um den Verkauf. Damals hieß das Ganze noch Wanders Wonders, und nach drei erfolgreichen Jahren starteten wir unter dem heutigen Namen und öffneten uns für internationale Designer – worüber ich sehr glücklich bin. Neben Möbeln und Accessoires entdeckt man auch eine neue Brillenkollektion im Sortiment. Ja genau, das ist ein co-gebrandetes Projekt mit Gentle Monster, einer sehr tollen koreanischen Firma – jung und super funky. Wir versuchen auf diese Weise, Firmen in andere Bereiche zu bewegen.

Wir möchten als Designfirma nicht an eine bestimmte Typologie von Produkten gebunden sein. Die New York Times bezeichnet Sie als „Lady Gaga of Design“. Es gibt gerade einen neuen Spitznamen (zückt sein Smartphone und verliest eine Liste): der wohl kühnste Offroadfahrer in der Welt des Designs, der ungekrönte König des neuen Antik-Designs, eines der meist bejubelten Talente der Designwelt, der calvinistische Poet, überlebensgroßer Designer, (betont) Stardesigner, vom durchtriebenen Ritter zum weisen König, (schmunzelt) sonderbarer, enigmatischer niederländischer Designer, Designheld, Enfant terrible des Designs, der Detailverliebte, Überdesigner, Störenfried, Beethoven des Designs … – Da haben Sie es. Lady Gaga ist wirklich nicht der interessanteste Vergleich (lacht). Alle wollen mir diese Labels anheften, das nervt. Ich werde mich zurückhalten. Nein, ich verstehe ja, warum das passiert. Ich spreche selbst häufig in Metaphern. Und es ist ja kein Problem. Aber es ist mein Problem (lacht).

Marcel Wanders www.marcelwanders.com Moooi www.moooi.com


Weltweit exklusiv: der Schalterklassiker LS 990 in den 63 einzigartig matten Les CouleursÂŽ Le Corbusier Farben.

32040 VERT ANGLAIS

JUNG.DE


EDITOR’S PICK — FORM FOLLOWS FUNCTION

TSATSAS FERDINAND KRAMER 1963 Ferdinand Kramer war ein Mann des Funktionalismus. Der Architekt hat aber nicht nur Wohnhäuser, Möbel und Türklinken entworfen, seiner Ehefrau schneiderte er in den Sechzigerjahren eine Handtasche. Das ist vielleicht kaum bekannt, da Lore Kramer selbst keine Taschen mochte. Nun hat sie zusammen mit dem Frankfurter Taschenlabel Tsatsas die Handtasche ihres Mannes für die Edition Ferdinand Kramer 1963 neu aufgelegt. www.tsatsas.com

ØRGEEN MIES Less is more: Mit dieser Sonnenbrille widmet sich das dänische Brillenlabel Ørgreen einem berühmten Architekten der Moderne. Das Modell Mies ist eckig und für den Mann, außerdem gibt es noch Eero: ein rundes Brillenmodell für die Dame. Beide Titanfassungen werden in Japan hergestellt. Architektur für den Nasenrücken. www.orgreenoptics.com

NENDO PICTO Die neue Möbelkollektion Picto von Oki Sato (Nendo) für den asiatischen Hersteller Zens basiert auf den japanischen Kanji-Schriftzeichen, wobei das dreieckige Untergestell bei allen Elementen gleich bleibt.

24


KERAMISCHER TERRAZZO ZEITGEIST MIT FORMAT

Die neue Fliesenkreation Nova ist eine keramische Interpretation des Trendthemas Terrazzo. Sechs angesagte Farbtöne, acht modular kombinierbare Formate – vom filigranen Mosaik bis hin zur XXL-Fliese – und Treppen wie aus einem Guss ermöglichen originelle Designkonzepte mit individueller Handschrift und urbanem Esprit.

www.agrob-buchtal.de


FORMSACHE

KOLUMNE VON MAX SCHARNIGG

HÖHLEN -

26

Die Sache mit den großen Sesseln habe ich lange nicht verstanden. Genauer gesagt, so lange, bis ich dann endlich mal in einem saß. Einem dieser Neo-Ohrensessel, die fast alle Polsterfirmen in den letzten Jahren wieder als Flaggschiffe in ihre Kataloge aufgenommen haben. In meinem Fall war es ein Grand Repos von Vitra, der auf irgendeinem Flughafen aufgestellt war. Falls jemand noch nicht das Vergnügen hatte – man setzt sich da nicht einfach hin, man betritt diese Dinger regelrecht, nur eben mit dem Hintern voran. Jedenfalls, kaum saß ich, war der Flughafen verschwunden, irgendwo hinter mir weggesackt. Übrig blieben ich und die warme Sitzhöhle, die mich von allen Seiten umarmte. „Okay“, dachte ich, „in so was könnte sogar die Apokalypse ganz gemütlich werden.“ Bis zu diesem Moment war ich ein erbitterter Feind von Mobiliar gewesen, das in Räumen zu viel Luft wegnimmt. Alles in meiner privaten Wohnvision sollte schmal und filigran sein, mehr Linie als Figur, bloß nichts, was aufträgt und wattiert ist, bloß kein Gewicht! Und jetzt das: Dieser geballte Raumverlust, diese reaktionäre Sitzmaschine verschaffte mir ein derartiges Behagen und Wohlsein, dass ich allen Ernstes erwog, das Flugzeug sausen zu lassen. Denn der Unterschied zwischen einem Mittelsitz bei Easyjet und einem Grand Repos ist etwa so groß wie der zwischen einem Zahnstocher und einer Eiche. Seit dieser RückwärtsGeburtserfahrung am Flughafen probesetze ich mich in jeden verfügbaren Großsessel,

Fotos: © Vitra


DESIGN sie bieten alle das annähernd gleiche Erlebnis: totale Weltabkehr, plötzliche Beschränkung auf mich, Geborgenheits-Boost. Ich verstehe, warum Menschen dafür 4.000 Euro und mehr ausgeben. Diese Sessel ersetzen für digitale Nomaden und Halbnomaden vermutlich das Eigenheim. Wer alle zwei Jahre woanders arbeitet, braucht an seiner Seite natürlich ein Möbel, zu dem das Wort „Heimat“ wirklich passt. Und noch etwas anderes haben die Sitzschalen mit ihren ewig geschmackvollen Kvadratstoffen für sich: Sie bilden die perfekte Kulisse für unser dauerndes Smartphone- und Tabletgebimse. Wir brauchen heute ein maximal unsoziales Möbel, um in Ruhe unserem sozialen Medienkonsum nachzugehen. Die Konzentration auf den kleinen Bildschirm verlangt, dass ringsum Schutzraum ist, schließlich kriegt man von der Umwelt nichts mehr mit. Der Großsessel als Fixerstube der Netzwelt, fernsehen tut ja ohnehin keiner mehr. Irgendwie steckt darin auch der Grund, warum ich mir trotz-

FORSCHUNG

dem noch keines der Gemütlichkeitsungetüme gekauft habe. Ich bin mittlerweile überzeugt, dass die Welt nicht mehr Hygge braucht, sondern weniger. Rausgehen, an der Stadt reiben, Interaktion sind gerade jetzt wichtiger denn je, sonst geht uns irgendwann die Realität verlustig. Auch wenn das Leben in diesen Sesseln mit Netz, Netflix und dem Foodora-Boten an der Tür wahnsinnig easy wäre. Es ist eben nicht das Leben.

Max Scharnigg arbeitet als Redakteur für Stil und Lebensart bei der Süddeutschen Zeitung. Am 14. März erscheint sein neuer Roman Der restliche Sommer über die Liebe in einer verdammt gefährlichen Zeit (Hoffmann und Campe). www.scharnigg.de

27


PROJEKTE

MILDE HELLIGKEIT

28


DESIGN

APARTMENT UMBAU IN LISSABON

TEXT: ANNA WEIDEMANN FOTOS: FRANCISCO NOGUEIRA

29


PROJEKTE

Helle Pastelltöne, natürliche Materialien, wenig Schnickschnack: Der Apartmentumbau von DC.AD in Lissabon folgt einem weißen Faden.

Einen Ort, der sich durch weiche Verbindungen und milde Helligkeit auszeichnet – diesen Urlaubstraum hat das portugiesische Architekturbüro DC.AD im historischen Stadtkern von Lissabon geschaffen. Sein jüngstes Projekt spielt mit der Verknüpfung von Alt und Neu und geleitet seine Gäste mit stimmigen Übergangselementen durch den umgestalteten Wohnraum. Helle Pastelltöne, natürliche Materialien, wenig Schnickschnack – wer die Ferienresidenz Academia das Ciências betritt, fühlt sich sofort entschleunigt. Große Erkerfenster, durch die Tageslicht eintritt, und viel Raum zum Atmen lassen die Besucher dem Großstadttrubel entfliehen. Zusätzlich sorgen zartes Altrosa, Beige und Lindgrün neben viel Weiß für eine sanfte Atmosphäre und maximale Lichtreflexion. Als sich die Architekten mit den Rahmenbedingungen für das Umbauprojekt vertraut machten, fehlte jede Form von Klarheit, die es heute impliziert. Die alte Wohnung war in einem Zustand fortgeschrittenen Verfalls, als das Studio den Auftrag annahm. Dennoch war es DC.AD von Anfang an wichtig, die historischen Eigenschaften des Altbaus zu berücksichtigen: Konstruiert wurde er, wie die meisten seiner Zeit, nach einem traditionellen seismischen Bauverfahren, das nach dem Erdbeben von Lissabon im Jahr 1755 entwickelt

30

wurde. Das System zeichnet sich durch eine Struktur aus bogenförmig angelegten Steinen in der Basis und Holzschichten in den oberen Geschossen aus. Vertikale, horizontale und diagonale Überlagerungen schaffen dabei eine stabile Konstruktion, die in alle Richtungen widerstands- und bewegungsfähig ist. Für den Umbau mussten daher neue Infrastrukturen geschaffen werden, die den Kern der Wohnung bewahren, sie aber gleichzeitig aufwerten und weiter stabilisieren. „Mit diesem Gedanken im Hinterkopf haben wir eine Umgestaltung vorgenommen, die die existierenden Gegebenheiten lediglich verstärken sollte, um die grundsätzlich stabile und effektive Bauweise zu erhalten“, erläutert Architekt Duarte Caldas. Die erste Phase der Sanierung bestand darin, die Außenwände, die tragende Querschnittswand sowie einige neu gezogene, strukturierende Wände auszubessern und zu verputzen. Die Textur der Oberfläche wurde dabei den Originalwänden als Zeugnis ihrer Geschichte nachempfunden. Um die Homogenität des Gesamtanblicks sicherzustellen, wurden die Fensteröffnungen vergrößert und durch eine ebenfalls originalgetreue Neugestaltung ersetzt. In einer zweiten Phase wurde auf halber Höhe eine weiße Holzvertäfelung appliziert, die einen weichen Kontrast

Räumliche Trennung ohne Türen. Maßgefertigte Möbel passen sich dem Gesamtkonzept an.


DESIGN

Abgehängte Decken schaffen Verbindungen zwischen Nutzund Erholungsflächen.

31


PROJEKTE

zu den rauen Wänden bildet und als „weißes Band“ nicht nur

Dusche mit Ausblick: Eine große Fensteröffnung bringt Tageslicht ins Badezimmer.

32

das gesamte Apartment durchzieht, sondern auch die Holzelemente des alten Gebäudes aufgreift. Mit ihrem nahtlosen Verlauf über Fenstersäume, Schreibtisch, Sideboard sowie die Kopfteile der Betten schafft die Vertäfelung die erste von mehreren Verbindungen zwischen den Räumen, die der Wohnung ihre besonders harmonische Wirkung verleihen. Konsequenterweise zeichnet das Studio auch für sämtliches fest installiertes Mobiliar verantwortlich. So kann der Raum einerseits bestmöglich genutzt, andererseits der gewünschte nahtlose Verlauf durch die verschiedenen Wohnbereiche ermöglicht werden. „Wir gestalten für unsere Projekte integrierte Lösungen, die auf die spezifischen Situationen und Gegebenheiten abgestimmt sind“, erklärt Caldas. „Mit unseren Vorschlägen versuchen wir, die individuellen Qualitäten jedes Raums herauszukitzeln und ihn mit unerwarteten Lösungen weiterzuentwickeln.“ Der weiße Streifen führt aus dem geräumigen, quadratischen Wohnzimmer zu einer schlauchförmigen Küche und zu zwei an die Schlafzimmer angrenzenden Badezimmern. Die beiden funktionalen Räumlichkeiten treten durch wertige Marmorverkleidungen miteinander in Dialog, während die Schlafzimmer das Interieur des Wohnzimmers aufgreifen. Damit schaffen die Architekten gedankliche


DESIGN Zonen ohne Türen: Es entsteht eine zarte Grenze zwischen den Nutz- und Erholungsbereichen. „Die Idee hinter dem großflächigen Einsatz von Marmor war es, einen intensiven Kontrast aus harten und weichen Farben und Materialien zu erzeugen“, verrät Caldas. „Das Material definiert die verschiedenen Wohnbereiche unterbewusst, aber doch eindeutig. Die visuelle Verknüpfung von Wohn- und Schlafzimmer sowie Küche und Badezimmer sagt genau aus, welchen Nutzen wir dem Bereich zuordnen können.“ Unterstützt wird diese Idee durch unterschiedliche Deckenhöhen in den beiden Zonen, die ein Gefühl des Übergangs in einen neuen Bereich vermitteln. Als zusätzliche Verbindung der nördlichen und südlichen Räumlichkeiten installierte das Studio schlanke Drehtüren, die sich flach wegklappen und Licht und Luft durch die gesamte Wohnung strömen lassen. Und auch die beiden Badezimmer profitieren vom natürlichen Tageslicht: Statt sie mit harten Wänden zu umzingeln, durchbrechen die Architekten diese zur Schlafzimmerseite mit Fenstern, die die kleinen Räume aus ihrer Enge befreien und ebenfalls eins mit dem Ganzen werden lassen. Bis in alle Details wahrt die Academia das Ciências spürbar die eigene Balance, sie verbindet die Vergangenheit mit der Gegenwart und bringt alle Räume untereinander in Einklang. Eine Harmonie, die sich auf die Gäste überträgt: Hier kann man abtauchen und zur Ruhe kommen.

Helles Beige, Lindgrün und Weiß reflektieren das Tageslicht.

Projektarchitekten DC.AD / www.dc-ad.com Fotograf Francisco Nogueira www.francisconogueira.com

Mehr Bilder: www.heinze-dear.de/_0526

Academia das Ciências Umbau, 70 Quadratmeter Bauherr: privat Lissabon, Oktober 2017

33


PROJEKTE

10 MAL 70 34


DESIGN

TEXT: TIM BERGE FOTOS: JOSÉ HEVIA

METER 35


PROJEKTE

Eine 700 Quadratmeter große, ehemalige Fabriketage als Wohnraum für nur eine Person? Das spanische Architekturbüro Arquitectura-G versuchte es erst gar nicht mit einem konventionellen Raumkonzept, sondern ging den Umbau der ehemaligen Schneiderei wie die Zähmung eines wilden Tieres an.

36


DESIGN Die Architekten wollen den ursprünglichen Charakter der Fabriketage bewahren und ihm gleichzeitig eine neue Realität implantieren. Die alte Substanz der früheren Schneiderei und die hinzugefügten Einbauten schließen einen temporären Pakt.

Spannendes und Neuartiges entsteht oft durch Zwänge. In Bezug auf neue Wohnformen können das die Verknappung von Raum oder auch steigende Mieten sein. Oder es ist, wie im Fall des Umbaus in der katalanischen Hauptstadt, das genaue Gegenteil: ein Zuviel an Raum. Bei der Transformation der ehemaligen Textilfabrik in einen Ein-Personen-Haushalt stand den Planern von Arquitectura-G eine Fläche mit den unglaublichen Maßen von 10 mal 70 Metern zur Verfügung. Um den ungewöhnlich proportionierten Raum in den Griff zu bekommen, mussten die Architekten Bereiche entwickeln, die einem angemessenen und menschlichen Maßstab entsprechen. Strukturelle Offenheit ist das von Bauherr und Architektenteam erklärte Ziel. Der Ort soll seinen Charakter als kollektives und flexibles Raumgebilde bewahren und damit eine Brücke zwischen der früheren und der zukünftigen Nutzung schlagen. Die Gliederung der Etage durch abschottende Trennwände kommt deshalb nicht infrage. Anstelle von klassischen Wänden und Türen installiert Arquitectura-G eine Vielzahl unterschiedlicher Unterteilungen: Sofa, Tisch, Regal und zwei im rechten Winkel zueinander positionierte Wandscheiben. Keines der Objekte kommt mit den Außenwänden oder der Decke in Berührung, wodurch die visuelle Kontinuität erhalten bleibt. 37


PROJEKTE

Der Bauherr wünschte sich strukturelle Offenheit und ein flexibles Raumgebilde. Die Privatsphäre nimmt mit der Tiefe des Raumes zu.

38


DESIGN Je weiter man in das lang gestreckte Geschoss vordringt, desto mehr nimmt die Privatsphäre zu. Hinter dem Eingang folgt ein studioartiger Bereich, der die An- und Ablieferung großer Objekte erleichtert und als Arbeitsort für mehrere Menschen dienen kann. Trotz der Offenheit schaffen die Architekten eine unsichtbare Grenze zwischen den privaten und den öffentlichen Räumen der Wohnung. Grund dafür sind zwei Terrassen, deren Glasfassade sie in die Etage hineinziehen und sie dadurch in drei Abschnitte gliedern. Gleichzeitig belichten und belüften die Außenbereiche das Apartment und schaffen Platz für kleine Gärten. Nach dem zentralen Wohnraum mit Küche und Bibliothek folgen – nach einer weiteren Verengung durch eine kleine Terrasse – das Schlafund das Badezimmer, die sich auf einer leichten Anhöhe befinden. Der Minimalismus der Architektur setzt sich auch auf Materialebene fort: Neben den rauen Betonoberflächen von Decken und Wänden arbeiten die Planer mit nur zwei Farben, die sie auf drei unterschiedliche Texturen übertragen. Während der glatte Estrichboden und die Fliesen im Badbereich in ein helles Grün getaucht sind, erscheinen die Objekteinbauten, die mal mit Holz und mal mit Fliesen verkleidet sind, in einem natürlichen Braunton. Die Farbpalette betont den landschaftlichen Charakter der Architektur, die sich wie eine Parallelwelt in die Fabriketage einfügt. Dank der sensiblen Eingriffe glückt den Architekten die Zähmung des Raumes, ohne dass er seine Identität verliert. Im Gegenteil, durch das Zusammenspiel mit den fliegenden Einbauten findet er zu alter Stärke zurück.

Möbel als Raumteiler: Die 700 Quadratmeter große Fläche wird durch Sofa, Tisch, Regal und Wandscheiben gegliedert. Zwei Terrassen unterteilen den lang gestreckten Raum in drei Abschnitte.

39


PROJEKTE

BIOPHILIC DESIGN:

40


DESIGN

BÜRO IM WALD TEXT: JEANETTE KUNSMANN FOTOS: IWAN BAAN

41


PROJEKTE

Mit diesem Umbau führen SelgasCano ihre Reihe der ungewöhnlichen Büros fort. Wobei der Londoner Coworking Space Second Home Holland Park auch noch in besondere Mauern gezogen ist: 1966 hatte hier Richard Rogers sein erstes Architekturstudio.

42


DESIGN

Es müssen nicht immer Yucca-Palme, Gummibaum und Kaktus sein, aber der Ansatz stimmt. Grüne Pflanzen,

Die Nutzer und Start-ups im Second Home Holland Park sind nicht nur Kreative, sondern eine bunte Mischung verschiedenster Branchen: von Fashion bis Technologie, einer medizinischen Wohltätigkeitsorganisation und Akteuren aus der Landwirtschaft.

viel Licht und jede Menge Luft schaffen eine angenehmere Atmosphäre in Bürolandschaften. Besonders wichtig wird dies in den Großraumbüros für Coworking-Angebote. Denn dass die Räume hip aussehen und das Internet auf Highspeed läuft, genügt nicht mehr – jeder Mieter soll sich wohlfühlen. Im besten Fall sogar so wohl wie zuhause. Unter dem Namen Second Home haben die Kreativunternehmer Sam Aldenton und Rohan Silva 2014 ihre erste kollektive Arbeitslandschaft in London Spitalfields eröffnet: ein voller Erfolg. „Biophilic Design“ nennt das spanische Architektenduo SelgasCano sein Second Home-Interior-Konzept, das ganz auf Natur im Raum setzt. Geschwungene Wände aus Acrylglas und tanzende Tische schlängeln sich zwischen kleinen Bäumen und Grünpflanzen. Und weil José Selgas und Lucía Cano auch beim zweiten Second Home in Lissabon unter dem Dach einer alten Markthalle das richtige Händchen bewiesen haben, scheint es nur logisch, dass ihr Studio sich seitdem als Haus- und Hofarchitekt des Coworking-Riesen verstehen darf. Die Nachfrage wächst.

43


PROJEKTE

Einst hatte hier der Vogue-Fotograf John Cowan sein Studio, in den Sechzigerjahren Drehort fĂźr Michelangelo Antonionis Film Blow-Up.

Mehr Bilder: www.heinze-dear.de/_0538

44


DESIGN Nach der Dacherweiterung in Spitalfields im Londoner East End im Dezember 2017 konnte im Januar 2018 das zweite Second Home im Westen der Stadt eröffnet werden. Hier ist alles eine Nummer kleiner: Die Studios im Second Home Holland Park am Princes Place wurden von den Architekten zum Beispiel so konzipiert, dass dort kleinere Teams mit bis zu acht Personen arbeiten können, während die Studios im Second Home in Spitalfields für bis zu 150 Personen geplant sind. „Bei diesem Gebäude geht es allein um den Maßstab“, sagt José Selgas. „Es ist klein, aber mit einer starken Persön-

SelgasCano www.selgascano.net Second Home www.secondhome.io

lichkeit, wie in einem Zirkus.“ Der Bestand setzt sich aus fünf Gebäudeteilen unterschiedlicher Größe zusammen, die gemeinsam etwa 600 Quadratmeter umfassen. Interessanter als die Bausubstanz waren für die Architekten die Spuren der vorigen Mieter. Einst hatte hier der Vogue-Fotograf John Cowan sein Studio, in den Sechzigerjahren Drehort für Michelangelo Antonionis Film Blow-Up. Ein paar Jahre später zog Richard Rogers mit seinem ersten Büro ein, kurz bevor er 1971 zusammen mit Renzo Piano den Wettbewerb für das Centre Pompidou gewann. All das verstehen SelgasCano als eine Art Schatz. Treppen, Oberlichter, einen Brückengang und eine Rebe im Hof, die noch Richard Rogers selbst gepflanzt hatte, wurden zu Bestandteilen des Entwurfs. „Wir mussten das vorhandene Zwischengeschoss erweitern und einige Oberlichter öffnen, um den 35 echten Bäumen, mehr natürliches Licht zu geben“, erläutert der Architekt José Selgas die durchgeführten Maßnahmen. „Wir mussten außerdem eine Lösung dafür finden, einen großen Teil des Hofes abzudecken und gleichzeitig die Weinrebe am Leben zu erhalten.“ Dazu dient ein klares Doppelschichtdach mit einer Zwischenschicht, die innerhalb von 20 Minuten mit Seifenblasen gefüllt werden kann: eine umweltfreundliche und energieeffiziente Dämmung. Auch ohne Blow-Up und Vogue bleibt es also eine unkonventionelle Film-Location.

Weitere Projekte Second Home Lissabon www.heinze-dear.de/_0543

45


PROJEKTE

46


OFFICE FOR POLITICAL INNOVATION: MARMOR IN DER GALAXIE

DESIGN

47


PROJEKTE

TEXT: JEANETTE KUNSMANN FOTOS: MIGUEL DE GUZMÁN UND ROCÍO ROMERO. IMAGEN SUBLIMINAL

Dass dieses Café in Madrid einmal eine Garage war, vermutet man nicht. Andrés Jaque übt sich hier in der Aufhebung der Schwerkraft. Theorie trifft Ästhetik und Leben. Die

Konzepte des spanischen Architekten Andrés Jaque folgen stets einem gewissen Geist, der sich kaum kopieren lässt. Vielleicht weil er einfach purer Zufall sein könnte? Oder weil er vielfältigste Erlebnisräume abseits des Alltags schafft? Auf jeden Fall spielen diese klugen Fantasien außerhalb jedes Rasters. Mitten im Zentrum von Madrid hat Office for Political Innovation gerade einen Umbau fertiggestellt, der zunächst eine Liebeserklärung an die Schönheit der Oberfläche ist. Goldverchromtes Metall, schweres Leder und jede Menge polierter Marmor bestimmen das Bild, besser gesagt: Setting. Als eine Art Zwitter aus Restaurant und Bäckerei wirkt das Ròmola wie ein Experiment aus einem Arthouse-Film. Fehlen die Menschen, könnte es auch eine begehbare Kunstinstallation sein. Diese künstliche Grotte ohne doppelten Boden, aber mit doppelter Decke muss man in all ihren Ebenen sehen. Erstens ist es ein nüchterner Umbau, wobei der Bestand aus dem Jahr 1943 und aus der Feder des spanischen Baumeisters Luis Gutiérrez Soto (1890–1977) stammt. Zwischen Art déco und Rationalismus, Expressionismus und Funktionalismus positioniert, könnte man dessen Bauten mit dem Werk eines Otto Wagner, Bruno Taut oder Hans Poelzig vergleichen. Faul war er nicht, allein über 400

48


DESIGN Gebäude hatte Gutiérrez Soto bis Mitte der Siebzigerjahre in Madrid realisiert: eine ordentliche Sammlung aus gebautem Widerspruch auf der Suche nach Schönheit und Moderne. Zweitens übersetzt das neue Interieur theoretische Konzepte in eine Realität, ohne dabei drittens auf eine ungewisse Fantasie zu verzichten. Bei Letzterem spricht der Architekt von sogenanntem „supermarble“, also Supermarmor, um der Schwerkraft zu widerstehen, womit man letzten Endes bei einer Art Eskapismus landet, in dessen Spiegelbild der Alltag verschwindet. Wichtig wäre zu erwähnen, dass Andrés Jaque sein Café Ròmola ganz aus der Tradition lokalen Handwerks entwickelt hat und sich somit gegen die uncharmanten, technokratischen Neubauten wendet, die seit 2008 überall in Madrid entstehen. Hierfür haben die Architekten eng mit einer kleinen Anzahl von Marmor-Manufakturen, Lederpolsterern, Schlossern, Tischlern, Lackierern und anderen Handwerkern zusammengearbeitet. Die Liebe zu schönen Oberflächen erfordert auch eine Liebe zum Detail und zur Verarbeitung. Damit ist das Ròmola nicht nur als Widerstand gegen die Schwerkraft, sondern auch als Abwehr von sparsamer Antiarchitektur zu verstehen. Der Architekt muss dazu seine Auftraggeber nur von einer lohnenden Investition in die Zukunft überzeugen.

Der Umbau mit allen Ebenen und Elementen lässt das Ròmola zu einem begehbaren Bühnenbild werden. Linke Seite: Widerstand gegen die Schwerkraft; über den Tischen schwebt polierter Marmor. 49


PROJEKTE

Der „Supermarmor“ kommt aus Novelda von der Costa Blanca – der Ort ist berühmt für seinen Naturstein: Marmor, Onyx und Granit. Durch eine technologische Verarbeitung und Verstärkung des Materials kann der Marmor sowohl mit Druck, als auch auf Zug belastet werden.

50


DESIGN

Mintgrünes Leder und goldverchromtes Metall: Die Liebe zu schönen Oberflächen erfordert auch eine Liebe zum Detail und zur Verarbeitung.

RÒMOLA A marble-made tent in the galaxy Calle de Hermosilla 4, 28001 Madrid Andrés Jaque und Office for Political Innovation, Madrid/New York www.andresjaque.net

51


EDITOR’S PICK — SCHWARZ IST DAS NEUE SITZEN. ODER: EIN HAUCH VON NICHTS

ALAMBRE Dass ein Stuhl auch Skulptur sein kann, beweist Girsberger mit diesem Sitzmöbel. Entworfen wurde er vom Schweizer Designer Alfredo Häberli. Nun soll es den bequemen Universalstuhl auch in einer Outdoor-Variante geben.

D1 Vierdimensionaler Komfort dank patentierter Dondola-Federung: Für Wagner hat Stefan Diez einen Bürostuhl und einen Lounge Chair entwickelt. Leichtigkeit verleiht ihnen der netzbespannte Stahlrohrrahmen. www.heinze-dear.de/_05502

www.heinze-dear.de/_05501

DS 1000

HENNING

„Was bitte ist das?“, fragt man sich beim Anblick dieses Objektes. Einmal Platz genommen, möchte man die Liege von Ulrich Kössl für de Sede nicht mehr verlassen. Sanft versinkt man in der Ledermatte, die von einer Konstruktion aus Stahlröhren getragen wird.

Dass Henning von e15 zur imm cologne einen zweiten Erstauftritt feiern durfte, verdankt er einer kleinen Überarbeitung. 2006 von Philipp Mainzer entworfen, unterscheidet sich die neue Version durch ausgestellte Hinterbeine, die den filigranen Stuhl nun auch stapelbar machen.

www.heinze-dear.de/_05503

www.heinze-dear.de/_05504

LOUNGE CHAIR Keiner benennt die Dinge beim Namen wie das Kopenhagener Label Handvärk. Lounge Chair wurde von Emil Thorup designt und ist erhältlich mit Polster aus schwarzem Anilinleder. Sein Gestell aus pulverbeschichtem Stahl zeichnet eine grafische Kontur.

52


Fliesenkollektion: HUDSON

HUDSON

Ruhige Sandsteinoptik in modularen Formaten

WWW.VILLEROY-BOCH.COM


54

Aufbau leicht gemacht: Zur Montage des Regalsystems S3 von Klemens Grund für Tecta benötigt man zwar noch den Schraubenzieher, kann dafür aber jederzeit aufstocken oder von der Höhe doch lieber in die Breite gehen. Die abgerundete Unterkante der Regalböden aus Eichenholz sorgt in Kombination mit dem Stahlrohrgestänge bei jedem Format für einen wunderbar leichten Auftritt. Wegpacken war gestern! Heute wird gezeigt und präsentiert, und das so individuell wie nie zuvor.

TECTA S3

EDITOR’S PICK — PAX WEG

Weitere Stauraum-Neuheiten von der IMM 2018: www.heinze-dear.de/_0552


Born to create natural light

Besuchen Sie uns: 18. – 23.3., Messe Frankfurt Halle 3.1, Stand B31

Natürliches Licht ist für Menschen unentbehrlich. Es unterstützt das Sehen, sorgt für Wohlbefinden und beeinflusst unsere Aktivierungs- und Erholungsphasen. Ein Licht zu schaffen, das dem natürlichen möglichst nahe kommt und die menschlichen Bedürfnisse in den Mittelpunkt stellt, ist unsere Leidenschaft. Erfahren Sie mehr auf der Light & Building. Herbert Waldmann GmbH & Co. KG ∙ Telefon 07720 601-100 ∙ sales.germany@waldmann.com ∙ waldmann.com/lb


PORTRÄT Nemo, Driade: Innen Stuhl, außen Gesicht. Mit Augen, die „andere Augen über jegliche Grenzen hinaus suchen“.

56


DESIGN

RITTER

FABIO NOVEMBRE

„There‘s a great future in plastics“, sagt Mr. McGuire zu Benjamin Braddock, gespielt von Dustin Hoffman, im 1967er-Filmklassiker The Graduate. Ein legendärer Satz, ganz im Zeitgeist der Sixties, den Fabio Novembre bei der Präsentation seiner drei neuen Produkte für Kartell in Köln zitiert. Ausgerechnet. Jetzt, im Jahr 2018. Novembres Statement könnte kontroverser nicht sein. Denn es passt so gar nicht zu aktuellen Nachrichten, apokalyptischen Szenarien, die uns derzeit zum Thema Plastikmüll ereilen. Ist es Ironie, Antithese?

DER DRITTEN DIMENSION

TEXT: KATHRIN SPOHR

57


Jolly Roger, Gufram: Der Totenkopf, Symbol der Piraten, zum Sitzen: „Jeder sollte einen Piraten im Ahnenstamm haben, um sich mental zu stärken.“ Diese Version ist ein handbemaltes Update, gelauncht zum Dia de los muertos 2017.

PORTRÄT

58

© Gufram


DESIGN

Kartell Componibili Smile

Kartell Lantern

Kartell Eur

Der italienische Architekt meint es ernst. Er erinnert daran, dass im Jahr 1963 der Nobelpreis für Chemie an den Erfinder organischer Polymere, Giulio Natta, ging und dass man in Kunststoffen große Potenziale sah. Die bis heute sehr einseitig genutzt seien. „Preiswerte Produkte aus Plastik wurden gleichgestellt mit schnellem Konsum. Eine völlige Missinterpretation des Materials“, verteidigt Novembre dieses vehement. „Denn Plastik ist langlebig. Seine Performance großartig. Polymere sind mittlerweile öko-kompatibel.“ Dass Trinkhalme, Plastiktüten, Plastikgeschirr zu Einmal- und Wegwerfprodukten wurden, sei also nicht Problem des Materials an sich, sondern eine Frage der Haltung, der Nutzung, der Zeit. Ein Stigma quasi, dass es aufzulösen gilt. Wie man Plastik adelt, das weiß Kartell nur zu gut, ist der Hersteller doch Inbegriff für italienische hochwertige Designkultur aus Kunststoff.

Ganze zwei Jahre haben Kartell und

ten für renommierte Hersteller und Lifestylemarken wie Driade, Cappel-

Novembre etwa an Lantern gearbeitet, bis sie zu einer wunderbaren, smarten Innovation wurde: Die LED-Leuchte aus transparentem Plastik ist tragbar, inklusive kabelloser Ladestation. Außerdem ist sie wasserdicht. „Man könnte Lantern auf einem See schwimmen lassen“, begeistert sich der Gestalter. Novembre geht es um vielschichtige Qualität, die auch sehr human sein darf. So hat er kürzlich den Kartell-Klassiker Componibile von Anna Castelli Ferrieri neu interpretiert. Aussparungen im Material von Smile bringen ein freundliches Emoji-inspiriertes Gesicht zum Vorschein. „Durchaus ein Statement für eine emotionalere Designwelt. Ich habe dem Original Respekt gezollt, indem ich ihm eine neue Bedeutung gebe – durch das Weglassen von Materie. – Hat nicht jemand einmal gesagt: ‚Less is more?‘“, formuliert Novembre pointiert. Die emotionale Seite spielt in Novembres facettenreichen Arbei-

lini, Bisazza, Lavazza oder auch Replay eine große Rolle. Sein Portfolio umfasst Produkt-, Möbeldesign, Interiors, Installationen bis hin zu Architektur und Städteplanung. Es sind oft expressive, skulpturale Formen, die er kreiert. Mit der Formel „Form follows function“ habe er nie etwas anfangen können – Novembres Selbstverständnis: „Die Komplexität unserer Welt verlangt nach Inhalten.“ Das bedeutet für den Querdenker, kontroversen Reaktionen standzuhalten, die seine Entwürfe auslösen. Wie etwa die Stühle Her und Him für Casamania, die von der Rückseite betrachtet einen weiblichen beziehungsweise männlichen Akt darstellen. Auch sein Sofa Divina für Driade sorgte für Furore. Hier lehnt man sich nicht gegen eine normale Rückenpolsterung, sondern gegen einen weichen Frauenkörper. Novembre sagt dazu: „Ich bin ein sehr

59


PORTRÄT

HIT Gallery, Concept Store, Hongkong: Das Interior ist inspiriert von den surrealen Atmosphären der Pittura metafisica, die der italienische Künstler Giorgio de Chirico in seinen Gemälden schuf. Foto: Dennis Lo

60

© Studio Fabio Novembre


DESIGN physisch orientierter Mensch. In einer Welt, die immer mehr ,flat‘ wird, indem sie das Leben auf den Bildschirm reduziert, sind Architekten für mich die letzten Ritter der Dreidimensionalität! Ich erlebe den Raum, der mich umgibt, sehr intensiv und das hilft natürlich auch, damit zu arbeiten.“ – Das Bild des Ritters passt, denn der Architekt trägt an diesem Abend ein Outfit mit metallisch schimmernden Applikationen. Fabio Novembre wird 1966 geboren und wächst in Lecce auf, der sonnenverwöhnten apulischen Stadt mit großartigen barocken Kirchen und Gebäuden. – „Das wird immer meine

sind das Highlight in meiner Bibliothek. Aber wichtiger als alles andere ist doch die Tatsache, dass Sottsass und Mendini wunderbare Menschen sind!“ Und so hat Novembres Arbeitsweise ihre Wurzeln in der Tradition italienischer Maestri, die es verstanden, alles, vom Löffel bis zur Stadt, zu gestalten. Diese Fähigkeit zum Skalieren hat einen konkreten Grund: Bis vor Kurzem konnte man in Italien nicht Design, sondern nur Architektur studieren. „Ich vergleiche das gern mit dem Filmemachen: Egal ob kurzes Video oder langer Kinofilm, alles verlangt dasselbe hohe Niveau an Fähigkeiten, Aufmerksam-

Kreativität beeinflussen!“, erzählt Novembre. Mit 17 geht er nach Mailand, um Architektur zu studieren. Dabei übt die Strömung des Radical Design großen Einfluss auf ihn aus. Er lernt auch Designgrößen wie Ettore Sottsass und Alessandro Mendini kennen, freundet sich mit ihnen an. Novembre schätzt das Werk dieser Meister: „Ihre Bücher

keit und Sorgfalt. ‚Ist man Fellini oder nicht?‘, lautet die Frage.“ Novembre schreibt, adaptiert Storytelling-Methoden in den kreativen Prozess, wenn er neue Projekte startet. „Ich kann nicht auf Papier zeichnen“, betont er. Im architektonischen Raum hingegen schon, so scheint es zumindest. Wenn man etwa seine beeindruckenden

© Studio Fabio Novembre

„Ich kann nicht auf Papier zeichnen.“

And Collection, Outdoor-Sitzelemente für Vondom. Ausgangspunkt des Konzeptes ist ein Element, auf dem sich zwei Menschen gegenübersitzen.

61


PORTRÄT

© Studio Fabio Novembre

Stuart-Weitzman-Shop in Rom. Die stilgebenden Bänder sollen zugleich wie eine Verpackung der Produkte wirken.

62

Denn hier ist es zu einer Schlange geworden, genauer gesagt einem Ouroboros, der in seinen eigenen Schwanz beißt. Ein starkes Bild der antiken Mythologie. Das Symbol für Unendlichkeit, für den Kreislauf. „Wir leben in einer Welt, in der wir nicht nur über die Neugeburt, sondern ebenso über den Tod der Dinge, die wir tun, sprechen sollten. Unser Handeln darf unserem Planeten keinen weiteren Schaden zufügen. Der Ouroboros steht dafür, wie wir uns künftig verhalten sollten.“ Es ist nicht die Ästhetik mit Ecken und Kanten, es sind die runden, die organischen Formen und der humane, der kollektive Aspekt, denen Novembre eine besondere Gewichtung gibt: Das wird auch deutlich, wenn er über das neue Headquarter des AC Mailand spricht, das er vor Kurzem gestaltet hat, und seine Liebe zum Fußball. Der begeisterte Sportler Novembre schwärmt mit einer weiteren Metapher: „Du kickst eine sphä-

rische Form, quasi unsere Weltkugel, das platonische Symbol für Perfektion. Aber der beste Spieler ist nicht der, der den Ball einfach nur schießt, sondern derjenige, der den Ball mit den Füßen liebkost. Ziel des Spiels ist es, Solos zu vermeiden im Sinn einer gemeinsamen triumphalen Symphonie.“ Das Kopfkino startet. Novembres großes Filmfestival ist ein Kontinuum.

Foto: Emanuele Zamponi

Interiors für die Stuart-WeitzmanShops anschaut, deren Wände mit fluiden bandartigen Designelementen versehen sind, dann kommt das einem dreidimensionalen Zeichengestus gleich. Überhaupt kehrt das geschwungen geformte Band immer wieder. Ob bei Installationen für Milano Creative City oder die And Collection, Outdoor-Sitzelemente für Vondom. Möchte Fabio Novembre verbinden, zusammenfügen? – „Ich versuche die Balance zwischen Chaos und Ordnung zu finden. In den Stuart-Weitzman-Shops geht das Band so wild und frei wie möglich durch den Raum. Dabei ist es eine Kombination von lediglich acht Basiselementen. Die freie Geste zusammen mit einer soliden Herangehensweise ist das, was meine Arbeiten ausmacht.“ Denkt man die Form des offenen Bandes weiter, könnte sie auch zum geschlossenen Kreis werden. Vielleicht ist das ‚o‘ in der Logotype von Studio Novembre eine solche Fortführung:


FÜR DIE TÄGLICHE DOSIS DESIGN UND ARCHITEKTUR: WWW.HEINZE-DEAR.DE

3891 PRODUKTE 1592 PROJEKTE 1237 STORIES 380 INTERVIEWS FACEBOOK.COM/DEARMAGAZIN

INSTAGRAM.COM/DEARMAGAZIN

HEINZE-DEAR.DE/NEWSLETTER.HTML


WERKSBESUCH — BUZZI.SPACE

64


DESIGN

ADVERTORIAL

DESIGN OF SILENCE

FOTOS: ANNETTE KUHLS

Ruhe bitte. Ab jetzt geht’s um Akustik in Arbeitsräumen. So etwas mögen die Belgier Sas Adriaenssens und Steve Symons vielleicht gedacht haben, als sie vor zehn Jahren BuzziSpace gründeten. Das Unternehmen stellt akustisch wirksame Produkte her – Raumteiler Systeme, Möbel und sogar Leuchten. Es war perfektes Timing.

65


WERKSBESUCH — BUZZI.SPACE

DESIGNLÖSUNGEN FÜR MODERNE ARBEITSWELTEN BuzziSpace mit Hauptsitz in Antwerpen startete direkt durch. Offene Interiorlayouts wurden immer populärer, sowohl im Home- als auch im Office-Bereich. Non-territoriale, kollaborative Raumkonzepte rückten ins Zentrum und Sound absorbierende Akustikpanels von BuzziSpace gaben die passenden Antworten – denn sie überzeugten von Anfang an durch Innovation, schalldämmende Funktionalität, hohen ästhetischen Anspruch und erfrischend spielerischen Charakter. Das ist auch heute so. Inzwischen hat das Unternehmen mit 130 Mitarbeitern über 80 Produktfamilien kreiert, die mit 50 internationalen Design Awards gekürt wurden. Unser Besuch führt uns jedoch nicht nach Antwerpen, sondern ins niederländische Bladel. Im Industriegebiet des kleinen Ortes unweit von Eindhoven befindet sich eine der zwei Manufakturen des Unternehmens. Die andere hat ihren Sitz in High Point, North Carolina in den USA.

66

Mit seinem dunklen Anstrich sticht der Bau hervor. Es gibt kein großes Foyer. Ziemlich direkt landet man in einer offenen Bürolandschaft, die wie ein Showroom wirkt. Denn sämtliche BuzziSpace-Produkte kommen hier zum Einsatz: etwa die gepolsterten Workstations BuzziVille von Designer Alain Gilles oder auch die Leuchte BuzziLight mit einem Lampenschirm aus akustischem Filz von Sas Adriaenssens. Die Mitarbeiter machen gerade Mittagspause und plaudern fröhlich an einem hohen Bartisch. Und es ist erstaunlich ruhig, gedämpft. BuzziSpace live. Dass es dem belgischen Hersteller um „Lösungen für glückliche und gesunde Arbeitsplätze“ geht, um moderne Arbeitsplätze und -atmosphären, wird hier direkt widergespiegelt. Die Tour beginnt mit Jeroen Roijakkers, dem Technical Consultant der 80 Mitarbeiter großen Manufaktur: Über eine Treppe gelangen wir nach oben in die riesige Produktionshalle. Es ist hell. Vorbei mit der Ruhe: Durchdringende Schneidegeräusche im Hintergrund werden von Popsongs untermalt, die aus Lautsprechern dröhnen. Das meterlange Regal mit Stoffrollen in unterschiedlichsten Qualitäten und Farben fällt als Erstes auf. Wieso eigentlich befindet sich die BuzziSpace-Manufaktur ausgerechnet

in Holland und nicht in Belgien? Roijakkers erzählt, sein Vater habe an diesem Standort einmal Schaumstoffsitze für Wohnwagen hergestellt. Irgendwann sei das Geschäft eingebrochen. Man hatte aber viel Wissen in den Bereichen Polsterei und Schaumstoffverarbeitung aufgebaut. „Ich habe mit dreidimensionalen Schaumstoffformen experimentiert. Ich wusste, dass man es gebrauchen kann. Nur war mir nicht klar, wofür“, so Roijakkers. Also machte er sich auf nach Mailand, zum Salone del Mobile, wo er auf Steve Symons traf, den Gründer von BuzziSpace, der dort seine Kollektion präsentierte. Seitdem sind die beiden ein Team. Die väterliche Caravansitz-Manufaktur inklusive vieler Mitarbeiter wurde übernommen. Und damit auch das kollektive Gedächtnis des Familienbetriebs.


ADVERTORIAL

DESIGN

Offene Büro-Layouts erfordern stets Akustiklösungen. BuzziSpace liefert durchdachte Produkte zur Lärmreduktion, die gut aussehen und funktionieren.

67


WERKSBESUCH — BUZZI.SPACE

68


DESIGN Steve Symons, Gründer und Inhaber von BuzziSpace Foto: Catherine Duval

KONTINUIERLICHES QUERDENKEN

ADVERTORIAL

Der kreative Geist des Unternehmens wird gleich an der ersten Station unserer Führung, in Näherei und Zuschnitt, deutlich. „Der Filz, den wir verarbeiten, besteht aus recycelten PET-Flaschen“, erklärt Jeroen stolz. Sas Adriaenssens und Steve Symons haben den Sound absorbierenden BuzziFelt zusammen mit Altex entwickelt, einem deutschen Textil-Recycling-Unternehmen mit Sitz in Gronau. Zuvor produzierte Altex zwar bereits Eco-Filze, look-and-feel entsprachen aber nicht den Vorstellungen der beiden BuzziSpace-Gründer. Also entwarfen sie einen attraktiveren Stoff. Dieser außergewöhnliche EcoFilz machte in der Designszene schnell seine Runde. BuzziSpace wurde 2008 zur Design Brussels eingeladen und startete mit den ersten drei aus dem innovativen Material gefertigten Produkten durch. „BuzziFelt ist extrem dicht und fest und daher sehr schwer zu schneiden. Teilweise müssen wir sogar zwei Stoffschichten übereinander in einem Arbeitsgang bearbeiten. Das ist mit herkömmlichen Schneidemaschinen nicht möglich“, sagt Roijakkers. So legte das Unternehmen selbst Hand an, um eine CNC-Maschine zu konstruieren, die dem robusten BuzziFelt standhält. Mit 18.000 Ultraschallvibrationen pro Sekunde schneidet das Hightech-Gerät nun jede erdenkliche Form aus jedem Stoff.

Aber nicht nur Recycle-Filze werden verwendet. Denn BuzziSpace kooperiert auch mit dem renommierten Textilverlag Kvadrat. Dabei ist interessant, dass das belgische Unternehmen sehr flexibel und nur on demand produziert. Wenn Architekten oder Designer also Farben oder Stoffe suchen, die nicht zur Standardkollektion von BuzziSpace gehören, können die individuellen Wünsche immer erfüllt werden. Roijakkers: „Wir haben außerdem eine Datenbank, in der genau dokumentiert ist, wann wir welche Stoffqualitäten und Mengen wofür verarbeitet haben. So können wir das Wissen jederzeit abrufen, um schnell neue Aufträge umzusetzen.“ Weiter geht’s. Die Textilien müssen auf Rahmen, auf Schaumstoffe ge- und verklebt werden. Von ätzenden Gerüchen keine Spur, dementsprechend können die Mitarbeiter hier auch auf Masken verzichten. Denn die Kleber sind frei von Lösungsmitteln. Auch hier zeigt sich wieder der Erfindergeist des Unternehmens: Roijakkers hat mit einem Team etwa vier Jahre lang an einer einzigartigen Methode gefeilt, Stoff mit dreidimensionalem Schaum optimal zu laminieren.

69


WERKSBESUCH — BUZZI.SPACE

Am Anfang standen akustische Produkte. Die BuzziSpace Mission geht jedoch unaufhaltsam weiter. Angetrieben von dem Ziel, moderne Designaufgaben zu lösen, entwickelt BuzziSpace immer wieder zeitgemäße Einrichtungen, die ein Mehr an Funktionalität und Spaß bieten. Namhafte Designer unterstützen das inhouse Designteam, um stets neue Visionen für Interiors zu präsentieren, die komfortabel, kollaborativ und nachhaltig sind. Zum Headquarter in Antwerpen sind zwei Manufakturen in Bladel, Niederlande, und High Point, USA, dazugekommen. Insgesamt beschäftigt BuzziSpace rund 180 Mitarbeiter.

70


DESIGN

ADVERTORIAL

TRANSPARENTE, PRÄZISE PROZESSE Auf Genauigkeit und beste handwerk-

Bladel ist wirklich eine moderne Manu-

liche Verarbeitung kommt es in vielen Arbeitsschritten bei BuzziSpace an. Und der Zeitaufwand variiert je nach Produkt und ist mitunter sehr groß: während ein Mitarbeiter über zwei Stunden braucht, um die akustischen Wanddekoelemente BuzziPleat von Hand zu schnüren, dauert die Stickerei an einem Leuchtenschirm nur 20 Minuten. In der werkseigenen Leuchtenmontage geht es besonders entspannt zu. Der Bereich ist auffällig groß, obwohl hier maximal zwei Mitarbeiter tätig sind. Roijakkers erklärt, warum. Denn um die Leuchten in die USA importieren zu dürfen, müssen amerikanische Arbeitsplatzbestimmungen penibel eingehalten werden.

faktur. Dies wird in sämtlichen Produktionsbereichen deutlich, denn überall dominiert handwerkliche Ausarbeitung. Egal ob beim Schneiden, Nähen, Schnüren oder in der Polsterwerkstatt. Selbst die Verpackungen sind keine Standardprodukte. Sie werden individuell auf die einzelnen Produkte zugeschnitten. So vermeidet BuzziSpace im Übrigen Materialverschwendung. Damit eine stabile Verpackung für die schweren Möbel und Produkte möglich ist, wurde vor Kurzem eine eigene Holzwerkstatt ergänzt. Hier zeigt sich, mit welcher Begeisterung BuzziSpace immer wieder Lösungen für moderne Designanforderungen findet.

BuzziSpace wurde 2007 von Sas Adriaenssens und Steve Symons in Antwerpen mit dem Ziel gegründet, akustisch wirksame Produktlösungen für „glückliche und gesunde Arbeitsplätze“ auf den Markt zu bringen. Das belgische Unternehmen ist mittlerweile führend in diesem Bereich: Schalldämmende Raumteilersysteme, Paneele, Wandverkleidungen und Möbel bis hin zu Leuchten gehören zum 80 Produktfamilien umfassenden Sortiment. www.buzzi.space

71


INTERVIEW

nd

ib u rtre e v . t Zei jekte m b e o er ich ngl hab prĂź Lieb s r us u hrte t: A bege p e en ez gsr urd rfol aft w E s sch nte pla Leiden e g Un ener selt

72


MAGAZIN

DER LÖFFELMANN

Eigentlich kommuniziert der dreißigjährige Produktdesigner nur über soziale Netzwerke und drückt seine Gedanken lieber in handwerklichen Kreationen aus, anstatt sie in Worte zu kleiden. Für uns machte Ferréol Babin eine Ausnahme und erzählte uns, warum er sich mittlerweile als freischaffender Künstler bezeichnet, seinen Lebensunterhalt mit Löffeln verdient und es langweilig findet, die Zukunft zu planen.

TEXT: JANA HERRMANN FOTOS: FERRÉOL BABIN

73


INTERVIEW

„Die Natur ist viel stärker und freier als wir Menschen.“ Babin liebt es, wenn die Größe, Form und materielle Beschaffenheit seiner Kreationen von Mutter Natur bestimmt werden.

Ferréol, ich hätte Sie gerne persönlich getroffen. Aber zum einen wäre es zu Ihrem Atelier an der Atlantikküste ein weiter Weg gewesen und zum anderen scheinen Sie gar nicht so scharf auf Besuch zu sein. (lacht) Da ist etwas Wahres dran. Ich bin tatsächlich lieber alleine. In der Gegenwart von Menschen fühle ich mich schnell unwohl. Deshalb bin ich auch hierhergezogen, wo es kaum Zivilisation, aber dafür ganz viel Natur gibt. Dabei ist Ihr Lieblingsland Japan, wo es von Menschen doch nur so wimmelt. In Japan ist alles viel ruhiger, die Menschen gehen viel respektvoller miteinander um. Selbst in Tokio gibt es nicht diese Großstadthektik, die mich in Paris oder anderen Metropolen so verrückt macht. Dort habe ich sogar inmitten von Menschenmassen das Gefühl, genügend Privatsphäre zu haben. Ich mag in Japan aber auch die Landschaften und die Gerüche, die

74

Geräusche und die Farben. Ich fühle mich mit dieser Kultur einfach tief verbunden. In Japan haben Sie auch beschlossen, sich auf Objektdesign zu konzentrieren. Ich habe dort sieben Monate an der Kunst- und Designhochschule von Nagoya studiert. Eigentlich wollte ich Architekt werden und hatte bis dato in Frankreich immer nur gehört: Du bist bloß für die konzeptionellen Arbeiten zuständig, in der Produktion machen sich dann andere für dich die Hände schmutzig. In Japan habe ich jedoch gelernt, dass auch beides geht, und dabei vor allem für den handwerklichen Part eine richtige Leidenschaft entwickelt. Wie ging es beruflich dann für Sie weiter? 2012 habe ich mein Studium an der École Supérieure d’Art et de Design (ESAD) in Reims abgeschlossen. Da stand für mich schon fest, dass

ich allein arbeiten möchte. Selbst eine Stelle bei den Brüdern Bouroullec, die in meinen Augen die allerbesten Designer sind, hätte ich abgelehnt. Denn ich wollte von Anfang an meinen eigenen Weg gehen, ohne jeglichen Einfluss von anderen. Das war als Berufsanfänger natürlich sehr gewagt, aber zum Glück wurde FontanaArte auf meine Leuchte Lunaire aufmerksam, die Teil meiner Diplomarbeit war. Sie entwickelte sich zu einem richtigen Verkaufsschlager und wurde 2014 sogar vom Londoner Design Museum als Objekt des Jahres ausgezeichnet. Das hat mir natürlich viel Selbstvertrauen gegeben und den Einstieg ins Berufsleben sehr erleichtert. Und wie lautet Ihre heutige Philosophie? Das ist sehr schwierig in Worte zu fassen. Ich drücke sie ja tagtäglich mit meinen Händen aus. Auf jeden Fall spiegelt sich in allen meinen Werken meine extrem komplexe Persön-


MAGAZIN lichkeit wider, vor allem die ständige Gratwanderung zwischen Rationalität und Intuition, Brutalität und Raffinesse. Ich gebe mir auch immer mehr Raum zum Experimentieren und mache nur noch das, was mir Spaß macht. Mittlerweile betrachte ich mich viel mehr als freischaffenden Künstler und immer weniger als Industriedesigner.

Die Leuchte Crushed Candy entwarf Babin 2017 für die Chamber Gallery in New York und mischte hierfür grobkörnige Strukturen mit Kitsch.

Sie arbeiten aber auch erfolgreich mit Galerien und Unternehmen zusammen. Für Pulpo entwarfen Sie beispielsweise 2017 drei Modelle für die Kollektion Fabulously Awesome Tablescape. Das war ein absolut ideales Zusammenspiel, weil die Leute von Pulpo mich von Anfang an und in jeder Hinsicht verstanden haben. Ich musste kein einziges Mal einen Computer benutzen, sondern habe nur mit meinen Händen und ohne jegliche Vorgaben in meinem Atelier Skulpturen entworfen. Nach diesen Schablonen haben die Keramiker von Pulpo dann Stück für Stück die einzelnen Modelle hergestellt. Das hat hervorragend funktioniert, und es wird definitiv bald eine weitere Zusammenarbeit mit Pulpo geben. Mich persönlich hat es zudem in meiner Überzeugung bestärkt, dass gut verkäufliche Objekte nicht zwingend im 3D-Druck und millimetergenau hergestellt werden müssen. Ihre eigene erfolgreichste Kollektion besteht dagegen ausschließlich aus Löffeln! (lacht) Ja, das hat sich so ergeben. Anfangs habe ich aus Spaß jeden Sonntag ein Stück Holz im Wald gesammelt und daraus einen Löffel geschnitzt. Als ich davon ein paar Fotos auf Instagram und Facebook stellte, wollten plötzlich immer mehr Leute diese Löffel kaufen. Mittlerweile kommt die Hälfte meiner Einnahmen aus diesem Business. Am schönsten finde ich aber, dass viele der Käufer selbst Designer sind. Darunter auch einige, die ich sehr schätze.

75


Echte Handwerkskunst: FĂźr die Kollektion Fabulously Awesome Tablescape von Pulpo wurde jedes Modell der Vase Moutain einzeln gefertigt.

INTERVIEW

76


MAGAZIN Wenn beispielsweise Sebastian Herkner einen meiner Löffel kauft, ist das für mich eine unglaublich große Wertschätzung meiner Arbeit. Was fasziniert Sie denn so an Löffeln? Es gibt sie in jeder Kultur, und sie haben so viel Symbolcharakter: Man kann sie zum Essen verwenden, zum Teilen und zum Mischen. Sie haben auch etwas sehr Ästhetisches: runde Formen, keine Ecken oder scharfen Kanten. Das hat für mich etwas Beruhigendes, fast Mütterliches. Und ich liebe die Tatsache, dass allein die Natur ihre Größe, Form und materielle Beschaffenheit vorgibt. Das macht jeden Löffel zu einem Unikat. Ich kann Stunden damit verbringen, an einem einzigen Stück Holz zu experimentieren, selbst wenn mir danach jedes Mal die Hände und der Rücken höllisch weh tun. Haben Sie sich auch schon mal überlegt, welches Objekt in fünf Jahren Ihr Markenzeichen sein könnte? Nein. Das wäre doch furchtbar langweilig, wenn ich das heute schon wüsste oder planen würde. Das Interessante an meinem Metier ist ja gerade, dass ich hauptsächlich von meiner Intuition geleitet werde. Sie könnte mich in sehr unterschiedliche Richtungen treiben. Ich interessiere mich beispielsweise sehr für Musik, Gastronomie und Gartenarbeit. Ich brauche nicht zwingend die Atlantikküste als Inspirationsquelle, ich bin auch gerne in Griechenland. Denn dort wird mir jedes Mal wieder bewusst, dass die Natur viel stärker und freier ist als wir Menschen. Manchmal inspiriert mich aber auch eine bloße Momentaufnahme. Inspiriert Sie dann auch unser momentanes Gespräch? (lacht) Ich merke tatsächlich, dass ich meine Arbeit und meine Persönlichkeit viel besser verstehe, wenn ich darüber rede.

Auch das von Babin entworfene Modell Lake aus Keramik ist Teil von Pulpos Kollektion Fabulously Awesome Tablescape (2017).

Das kommt ja, wie gesagt, recht selten vor, deshalb ist jedes gute Interview eine Art Auto-Psychoanalyse für mich. Als ich Ihnen am Anfang unseres Gesprächs beispielsweise die Bedeutung meines Vornamens erklärte, nach der Sie fragten, ist mir bewusst geworden, dass er wirklich wie maßgeschneidert zu mir passt: Ferréol ist ein extrem seltener Name und eine sinnbildliche Mischung aus Konkretem und Spirituellem, nämlich dem Material Eisen und Aiolos, dem griechischen Gott der Winde.

www.ferreolbabin.fr Instagram: @ferreol_babin

77


DESIGN

Foto: Jack Neville

NEWCOMER

VON TANJA PABELICK

CAVALINO ITALIANO

KONFETTI IN ACRYL

MÖBEL MIT CHARAKTER UND HERZ

Canapalithos ist ein italienisches „Kilometer Null“-Material. Die mit Pressspan verwandte Plattenware ist aus Hanf, besonders leicht, wasser- und feuerfest und ökologisch nachhaltig. Dem lokalen Gedanken verpflichtet, hat sie mit dem Designstudio Henry&Co. aus Verona einen Partner aus der weiteren Nachbarschaft gefunden, der sich den Potenzialen des neuen Werkstoffs auf Produktebene widmet. An der strengen grünen Philosophie festhaltend, ist ihr Schaukelpferd in einfachen Produktionsprozessen hergestellt, vermeidet Materialabfälle durch intelligenten Zuschnitt und kommt ohne Schrauben und Leim aus.

Die Londonerin Claire Baily und Olivia Aspinall aus Nottingham verschmelzen ihre Expertise zu insgesamt drei Objekten. Die Gussteile sind aus Jesmonite hergestellt, einem Acryl-Composite-Material. Die Vorform wird in einem traditionellen Verfahren aus Gips erzeugt. Dabei wird auf der Töpferbank eine Lasercut-Schablone genutzt, um eine Extrusion im Rotationsverfahren herzustellen. Auf dieser ersten Nullserie aus Gips basiert die Negativform, in die das mit Pigmenten eingefärbte und mit farbigen Zuschlägen versetzte Jesmonite gegossen wird. In einem letzten Bearbeitungsschritt werden die Objekte von Hand abgeschliffen.

Die weißrussische Architektin und Interiordesignerin Yanina Vesnina, Gründerin des Studio Misto Zmistu, findet, dass der Gestaltung eines Sitzmöbels besondere Aufmerksamkeit zuteil werden sollte. Vona ist nicht nur ein Stuhl, sondern erzählt auch eine Geschichte. „Vona hat eine Figur, ja sogar Taille. Vona ist niedlich, aber auch ernst und ironisch. Vona ist weiblich und wie jede Frau voller Kontraste,“ erklärt Yanina Vesnina. Gefertigt ist Vona aus Marmoreal, einem Material, das Max Lamb in einem anderen Projekt für den Hersteller dzek entwickelt hat. Es besteht zu 95 Prozent aus Marmorstücken, die mittels Kunstharz gebunden werden.

Rocking Horse www.henryandco.it www.cmfgreentech.com

Jesmonite Vessels www.ornamentalgrace.co.uk www.olivia-aspinall.com

Vona www.behance.net/teams/MistoZmistu www.dzekdzekdzek.com

78


18. – 23. 3. 2018 Frankfurt am Main

Weltleitmesse für Licht und Gebäudetechnik

Schön und erfolgreich: Design küsst Technik Mit den aktuellsten Leuchtendesigns sichern Sie sich den Erfolg von morgen: Finden Sie Inspiration im weltgrößten Licht-Showroom. Auf rund 150.000 m2 verschmelzen Design und Technik – machen Sie sich bereit! Inspiring tomorrow. www.light-building.com


Simsala BIM? Digitale Chancen und analoge Preziosen Bei Großprojekten und insbesondere bei Projekten für öffentliche Bauträger soll in Zukunft die Datenwelt für Terminsicherheit, Qualität und finanzielle Planbarkeit sorgen. In einer Software sollen alle Planungsdaten zusammenlaufen und Änderungen global und umfangreich dargestellt werden. Kann das funktionieren? Und wo führt das hin?

Während die einen längst Erfahrungen mit dem Building Information Modeling (kurz: BIM) sammeln, ist die Abkürzung für andere noch ein Fremdwort. BIM, eine Methode der optimierten Planung, Ausführung und Bewirtschaftung von Gebäuden, wird als Revolution gefeiert und zugleich als unausgereift verschmäht. Nicht nur, dass verschiedene Software-Hersteller um die Vorherrschaft in diesem Markt kämpfen. Auch in der Architektenschaft gibt es Zweifel. Die Komplexität und totale Transparenz der Prozesse stellt Architekten und Industrie vor neue Herausforderungen. Im BIM-Prozess müssen alle Planungsbeteiligten viel enger zusammenarbeiten, damit Abläufe und Zusammenhänge fließend bleiben. Durch die kontinuierliche Abstimmung und eine viel genauere Definition von Eckdaten und Abhängigkeiten wird allerdings auch die Fehlerquote merklich gesenkt. Die Technologisierung des Architektenberufs hat schon viele Vorteile mit sich gebracht. Niemand möchte sich an die Zeiten erinnern, als Architektur ausschließlich auf Papier entwickelt werden konnte. Informationstechnologie hat Prozesse beschleunigt und neue Möglichkeiten des Bauens geschaffen. Aber unter uns, hat 80


DOSSIER

sie auch zu besserer Architektur geführt? Wenn am Ende allein Algorithmen darüber entscheiden, was gebaut werden darf und kann – weil es kostengünstig, im Terminplan, nachhaltig und effizient ist –, dann möchte man sich gar nicht vorstellen, wie unsere Städte in Zukunft aussehen werden. Und umso mehr könnte eine dystopische Vision die Frage aufwerfen, warum es, wenn BIM die totale Effizienz erzeugt, eines Architekten überhaupt noch bedarf. Der Architekt ist mehr als ein Handlanger der Technologie. Um diese Rolle muss er kämpfen. Einige der mit BIM verbundenen Fragen haben die Teilnehmer des BIM Summits, einer Fachkonferenz der Heinze GmbH, in Sevilla diskutiert. Ihre Ergebnisse zeigen viel Offenheit gegenüber der Veränderung, stellen Vorteile der Technologie heraus, lassen aber auch blinde Flecken in der Zukunftsperspektive hervortreten. Um das Spannungsfeld zwischen der fortschreitenden Digitalisierung des Berufsfelds und seinen kreativ schaffenden Ursprüngen greifbar zu machen, sind wir zurück an die Basis gegangen und versammeln die wichtigsten Modelle von 26 Architekten, deren Entwürfe und Bauten Hoffnung versprechen. Es ist fast rührend zu sehen, mit welcher Hingabe sie an den Modellen ihrer Entwürfe arbeiten. Abwechslungsreiche Materialien, Farben, Texturen: Architektur kann so viel erzählen. Und so ist es eben. Am Ende muss etwas haptisch, taktil und atmosphärisch Stimmiges entstehen, damit wir ein Gebäude, neben seiner Praktikabilität, als gelungen empfinden. Das dürfen Architekten, Projektentwickler und Bauherren nicht vergessen. sb 81


SIMSALA BIM

NILS KRAUSE HAMMESKRAUSE ARCHITEKTEN CARSTEN VENUS BLAURAUM PETER KNOCH SPECTRUM GROUP OF COMPANIES AXEL KOSCHANY KOSCHANY + ZIMMER ARCHITEKTEN

Die Planungsmethode Building Information Modeling (BIM) wird von der Politik gefordert und durchgesetzt. Wie kommt es, dass die Politik in den Bauprozess eingreift? Wie ist diese Einflussnahme zu bewerten? Wird BIM nur bei Großprojekten eingesetzt werden, oder werden auch kleine und mittlere Projekte betroffen sein? Wird Building Information Modeling die zahlreichen Einbis Zwei-Personen-Architekturbüros unwirtschaftlich machen?

82

Die Politik fordert den Einsatz der Planungsmethode BIM aus einem einfachen Grund. Wie alle Bauherren versucht sie, den Dreiklang aus Kosten, Terminen und Qualität über die BIM-Prozesse zu steuern. Dahinter steht ein großes Eigeninteresse. Die Politik trägt die Verantwortung für unsere Infrastruktur und hat zusätzlich einen großen Bedarf an kostengünstigem Wohnungsbau. Insofern liegt der Forderung der Politik zum Einsatz der Planungsmethode BIM der Glaube zugrunde, mit der Einführung von BIM würde alles schneller, besser und günstiger werden. Ob sich diese Hoffnung erfüllt, bleibt abzuwarten. An dieser Stelle möchten wir den bereits vorgetragenen Aussagen der beiden ersten Gruppen zustimmen. Unsere Planung ist immer eine Möglichkeit gewesen, unsere Umwelt zu gestalten. BIM muss folglich als das begriffen werden, was es wirklich ist: ein Schritt zu einer von uns entworfenen Realität. Aber es ist nur ein Mittel zum Zweck. Unsere Arbeit darf sich dieser Planungsmethode nicht unterordnen. Dieser Workshop findet in Sevilla statt, und wir haben in der Kathedrale das Grabmal von Christoph Kolumbus gesehen. Kolumbus brach auf, um sich die Welt von der anderen Seite anzusehen. Mit dem BIM-Prozess ist es ähnlich. Wir starten mit dieser Planungsme-


Unsere Planung ist immer eine Möglichkeit gewesen, unsere Umwelt zu gestalten. BIM muss folglich als das begriffen werden, was es wirklich ist: ein Schritt zu einer von uns entworfenen Realität.

thode, ohne genau zu wissen, wie dieser

Neuausrichtung der Planung alleine

mit BIM beschäftigen muss – diese

Weg endet. Wir können nicht wirklich voraussehen, wohin uns BIM bringt. Wir können aber als Architekten sagen, dass wir den Mut haben, diesen Weg zu gehen. Die Einflussnahme der Politik ist zunächst einmal positiv. Politiker sind die gewählten Vertreter einer Gesellschaft mit unterschiedlicher Interessenlage. Politiker leben also nicht fremd auf einem Raumschiff, wie häufig unterstellt wird, sondern sind Teil eines gesellschaftlichen Prozesses. Wenn die Politik entscheidet, die Prozesse des Bauens optimieren und weiterentwickeln zu wollen, ist das zu begrüßen. Was man bemängeln darf, ist die Halbherzigkeit, mit der diese Prozesse beeinflusst werden sollen. Die Aufgabe, das Bauen innovativer zu gestalten, darf nicht einfach an die Architekten delegiert werden, denn dies ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Die Bauwirtschaft ist genauso wichtig wie die Automobilindustrie; auch im wirtschaftlichen Volumen sind beide Geschäftsfelder miteinander vergleichbar. Man darf durchaus fragen, warum die Automobilindustrie so erhebliche politische Hilfe und Zustimmung erhält, während wir im Bauprozess bei der Einführung von Innovationen alleine gelassen werden. Es darf nicht sein, dass wir als Planer die gesamte

tragen müssen. Wir fordern eine zweite „Abwrackprämie“, damit unser technischer Aufwand und unsere Investitionen ebenfalls unterstützt werden. Außerdem brauchen wir Respekt für „Oldtimer“, um eine weitere Analogie zum Auto zu nennen. Diese sollen auch in Zukunft weiter von Hand planen dürfen. Wir finden die Frage, ob BIM nur bei Großprojekten eingesetzt werden wird oder ob auch kleine und mittlere Projekte betroffen sind, falsch gestellt. Die Frage müsste eigentlich lauten: Ist BIM für alle Büros eine Chance, unabhängig von ihrer Größe? BIM ist keine Methode, deren Anwendung mit der Größe eines Architekturbüros zusammenhängt. BIM lohnt sich nach unserer Meinung für kleine, mittlere und auch große Projekte gleichermaßen. Wir haben in diesen Tagen hier in Sevilla bei der Besichtigung eines Architekturbüros ein Projekt gesehen, das mit BIM geplant wurde und gegebenenfalls mit einem 3D-Drucker ausgedruckt werden kann. Wir sehen folglich auch bei ganz kleinen Projekten die Chance für den sinnvollen Einsatz der Planungsmethode BIM. Wir gehen davon aus, dass es in zehn Jahren kaum noch Projekte geben wird, die nicht mit BIM umgesetzt werden. Natürlich kann man hinterfragen, ob sich jeder Planer

Frage hat aber nichts mit der Mitarbeiteranzahl des Büros zu tun. Auch für kleine Büros mit ein bis zwei Personen ergeben sich in unserer vernetzten Welt Vorteile beim Einsatz von BIM. Denn mit dieser Planungsmethode können sich kleine Büros projektbezogen zu größeren Einheiten zusammenschließen. Diese können ihre Aufgaben und ihr Know-how bündeln, notwendige Investitionen können geteilt werden. Wahrscheinlich sind kleine Büros sogar im Vorteil, denn sie sind viel flexibler und können schneller agieren als große Bürogemeinschaften. Richtig eingesetzt ist BIM eine große Chance für kleinere Architekturbüros.


SIMSALA BIM

MARTIN GLASS GMP ARCHITEKTEN ANGELA FRITSCH ANGELA FRITSCH ARCHITEKTEN ANDREAS SCHMIDT BREMER+BREMER ARCHITEKTEN TORBEN WADLINGER GRAF+PARTNER

Die Planungsmethode Building Information Modeling (BIM) wird den Planungsprozess neu organisieren. Neue planerische Strukturen entstehen. Wird BIM Einfluss nehmen auf unsere Art zu bauen? Kann BIM die Standardisierung von Baukörper oder Gebäudetechnik unterstützen? Wollen wir als Architekten eine Standardisierung, und wenn ja, welche?

84

Die Aufgaben des Architekten bleiben im Wesentlichen gleich. BIM wird uns im Entwurf nicht beeinflussen. Aber Planung und Ausführung werden von der Planungsmethode BIM verändert werden. BIM muss als ein Hilfsmittel angesehen werden, das den Bauprozess einheitlicher gestaltet. Mit BIM können wir größere Strukturen leichter planen und verwirklichen. Die Frage, ob BIM die Standardisierung von Gebäudekörpern unterstützt, wurde in unserer Gruppe kontrovers diskutiert. Eine einheitliche Linie haben wir nicht gefunden. Wir können aber, da sind wir einer Meinung, mittels BIM den Bauprozess so strukturieren, dass mehr Bauteile vorgefertigt werden können. Damit geht eine höhere Standardisierung einher, die auch die Gebäudetechnik betrifft. Über BIM können wir den Arbeitsprozess des Bauens, also der Gebäudeherstellung, beeinflussen, und das kann ein Vorteil dieser Methodik sein. Wir wollen nicht, dass uns BIM beim Entwurf „reinpfuscht“, aber gegen eine größere Standardisierung im Allgemeinen gibt es keine Einwände. Diese Standardisierung soll den offenen Planungsaustausch zwischen allen Beteiligten betreffen, wir wollen eine open BIM-Lösung, das bedeutet offene Schnittstellen und einfache Datenübergabe. Dieser Punkt ist uns wichtig, denn wir müssen das Rad nicht neu erfinden, nur weil wir jetzt auf BIM setzen.


cre:ate

NEU

Gestalten mit Produkten

04444 DEAR 21 an 03

Musterkarten jetzt mit Augmented Reality Erleben Sie mit der HeinzeAR-App Informationsvielfalt und mehr Produktdetails

Download HeinzeAR-App für iOS im App Store

Weitere Informationen: create.heinze.de/ar

Download HeinzeAR-App für Android bei Google Play


SIMSALA BIM

EVA HOLDENRIED STEREORAUM ARCHITEKTEN MICHAEL SCHUMACHER SCHNEIDER+SCHUMACHER ALBERT BORUCKI CARPUS+PARTNER HANNS ZIEGLER STAAB ARCHITEKTEN

Die Planungsmethode Building Information Modeling (BIM) verändert die Kommunikation mit dem Bauherrn sowie mit den Fachplanern. Bisher sind wir Architekten „recht locker“ in die Planungen neuer Projekte eingestiegen. Man hat einen Vertragsentwurf bekommen, hat Workshops mit dem Bauherrn und/oder dem späteren Nutzer gestartet, hat dann mit der Planung begonnen und parallel den Architektenvertrag abgestimmt. Dies wird sich mit der BIM-Methode grundsätzlich ändern. Unser Fazit ist, dass wir zukünftig vor Beginn unserer Arbeiten ein hohes Maß an organisatorischen Lösungen festlegen müssen. Der Vertrag muss bereits abgeschlossen und sämtliche Rahmenbedingungen müssen final definiert sein. Jeder der Vertragspartner muss seinem Gegenüber genau sagen können, was voneinander erwartet wird. Es wird wichtig sein, bereits vor Beginn der Planungsarbeiten einen detaillierten Projektstart zu definieren. Dies ist eine Hürde, die wir mit unseren Auftraggebern und anderen Planungsbeteiligten gemeinsam überwinden müssen. Wir sehen diesen Weg aber auch als Möglichkeit, im Gegensatz zu früher vorbereiteter, strukturierter und organisierter an die Arbeit zu gehen. Wir sehen hier eine Chance, bereits diesen ersten Weg mit allen Projektpartnern im Detail zu klären, sodass man im Idealfall früh zu einem umfassenden Konsens findet. Unter Berücksichtigung dieses Vorteils können alle Beteiligten konst-

86

Was bedeutet das konkret für die tägliche Arbeit? Müssen neue Organisationsformen geschaffen werden? Verändern sich die Verantwortlichkeiten in der Planung? Wie lassen sich rechtssichere Abgrenzungen zum Bauherrn und zu den Fachplanern organisieren?


DOSSIER ruktiver, als sie es bisher gewohnt sind, in die Projektarbeit starten. Alle Beteiligten erleben einen höheren Grad an Integration in das Planungsgeschehen, wenn die Prüfung der verschiedensten Interessen abgeschlossen ist, bevor man an die eigentliche Arbeit geht. Die Planungsmethode BIM ermöglicht ein intensiveres Arbeiten mit 3D-Modellen, daher kann man dem Bauherrn oder Nutzer sehr viel früher anschaulich erklären, wie die Umgebung, die er sich wünscht, final aussehen wird. Er kann sehr früh seine Meinung mitteilen, und alle können sich intensiver abstimmen. Das sind entscheidende Vorteile der Planungsmethode BIM. Wir werden in unseren Architekturund Planungsbüros die Arbeitsabläufe teilweise ändern und anpassen müssen. Insbesondere müssen wir Methoden zur Überprüfung der Modelle entwickeln. Mit verschiedenen Fachplanern kann eine büroübergreifende, funkti-

onierende Zusammenarbeit etabliert werden, die ohne die BIM-Methode schwieriger zu realisieren wäre. Die Verantwortung innerhalb der Planungen ändert sich nicht, die gewohnten Zuordnungen und Aufgabenverteilungen bleiben wie gehabt. Was sich ändert, ist die Koordination innerhalb des BIM-Modells. Hier müssen wir aufpassen, dass wir als Architekten diese Koordinierung nicht aus der Hand geben und selbst übernehmen und verantworten. Neue Berufsfelder werden entstehen, wie der BIM-Manager, der den Gesamtprozess organisiert und auf der Bauherrenseite platziert ist.

büros gibt es die Tendenz, dass wir eine höhere Spezialisierung brauchen. Das muss hinterfragt werden. Wir können beispielhaft das amerikanische Modell betrachten. Dort gibt es hoch spezialisierte Technische Zeichner, die die Skizzen der Design-Abteilung umsetzen. Der Technische Zeichner arbeitet kontinuierlich an verschiedenen Projekten und ist nicht konkret in einem verankert, das ist für uns ein struktureller Wandel. Wir müssen uns fragen, wie wir mit einem solchen Prozess umgehen und wie wir auf diesen Wandel antworten, denn auf diese Art zu arbeiten, sind wir bislang nicht ge-

Auf der Architektenseite sehen wir den BIM-Koordinator, der für das gesamte Planungsteam steht. Nach unserer Meinung ist die innerhalb der HOAI definierte Koordinationspflicht eine gute Begründung für die Aufgabenstellung des BIM-Koordinators. Er überwacht folglich die Abläufe und koordiniert und prüft. Innerhalb der Architektur-

wohnt. Wir werden wohl auch Spezialisten für bestimmte Arbeiten ausbilden müssen und dürfen erwarten, dass sich in unseren Architekturbüros kulturelle Veränderungen ergeben. Auch für die Vertragsgestaltung wünschen wir uns eine Standardisierung, wie sie die HOAI bereits für den Planungsprozess vorgibt.

Der BIM Summit in Sevilla wurde ermöglicht durch:

Dormakaba ist der Partner für Premium-Zugangslösungen und Serviceleistungen. Das Unternehmen mit über 100-jähriger Tradition bietet ganzheitliche Lösungen rund um das Öffnen und Schließen von Türen – von Türbändern über Türschließer bis hin zu automatischen Türsystemen sowie Zeit- und Zutrittskontrollsystemen. Produkte von dormakaba sind Spitzentechnologie und genießen einen exzellenten Ruf. Zuhause. Europaweit. Weltweit. www.dormakaba.com

Jung steht für edles Material, präzise Verarbeitung bis in die Details, für Haltbarkeit, Langlebigkeit in Funktion und Aussehen, für zeitloses Design und für einen beispiellosen Kundenservice. Das 1912 gegründete, heute 1.200 Mitarbeiter starke Unternehmen fertigt als Premiumanbieter von Schaltern, Steckdosen und Gebäudesystemtechnik mit TÜV-geprüftem Herkunftsnachweis „Made in Germany“ an drei Standorten: Schalksmühle, Lünen und – als Spezialist für Elektronik, die Tochterfirma Insta – in Lüdenscheid. www.jung.de

Bei der Arbeit, in der Freizeit, auf Reisen, im Krankenhaus oder Klassenraum: Armstrong bietet innovative Deckenlösungen, die durch ihre Leistung beeindrucken und inspirieren. Armstrong hat sich zum Ziel gesetzt, die Lebensqualität von Menschen überall in der Welt zu verbessern. Besonders anspruchsvolle Kunden zufriedenzustellen, ist für das mehr als 150 Jahre alte Unternehmen kein bloßer Slogan, sondern tägliche Realität. www.armstrongceilings.com

Ob Dachterrasse, Gründach oder Fassade, Bauwerksabdichtung oder Gartenteich – EPDM-Produkte von CARLISLE® CM Europe sind vielfältig. In den fünf Marken RESITRIX®, HERTALAN®, ALUTRIX®, HARDCAST® und ECOLAN® stecken mehr als 50 Jahre Erfahrung und Begeisterung für einen innovativen Werkstoff. Setzen Sie mit CCM Europe auf erfolgreiche Verbindungen – und auf wasserdichte Lösungen. www.ccm-europe.com

87


Freunde des Hauses Sie verkörpern eine Idee, bilden den Entwurf in seinen Proportionen ab und versprechen eine absolute Absicht, auf die der Architekt sich festgelegt hat.

Arbeitsmodelle, so könnte man meinen, werden mit BIM & Co. eines Tages passé sein, ein Relikt aus vergangenen Zeiten. Nicht doch! Für viele Architekten behält das Modell seine Bedeutung. „Durch das Modell befreunde ich mich mit dem Entwurf “, findet zum Beispiel Björn Martenson von dem Aachener Büro Amunt. Manchmal verwandelt sich diese Freundschaft in Leidenschaft, was dazu führt, dass man sich nicht mehr trennen kann. So sammeln einige Büros alle Miniatur-Fiktionen ihrer Entwürfe und Bauten kategorisch und exzessiv. 88


DOSSIER

Ganz vorne dabei sind in dieser Reihe Herzog & de Meuron, die für ihr Modellkabinett im Sockelgeschoss eines Wohnneubaus auf dem Dreispitzareal in Basel ein ganzes Lager gebaut haben. Ob als schnelle Formenstudie aus Styrodur, erste Konzeptstudie, perfektes Wettbewerbsmodell, detaillierte Puppenstube im Maßstab 1:20 oder als experimenteller Ausschnitt in 1:1 – gute Architektur entsteht nicht ohne ein gutes Modell. Es hilft zu verstehen, bleibt eine Frage des Maßstabs und des Materials und verwandelt sich manchmal vom abstrakten Architekturmodell in Kunst. jk 89


FREUNDE DES HAUSES

OMA

90


DOSSIER

„A building has at least two lives – the one imagined by its maker and the life it lives afterward – and they are never the same.” Rem Koolhaas Wettbewerbsmodell für den Axel Springer Campus in Berlin im Maßstab 1:200, 2013, Baubeginn 2016 Foto: Frans Parthesius, Courtesy of OMA

91


FREUNDE DES HAUSES

DE VYLDER VINCK TAILLIEU

92


DOSSIER

Modell für das Bildungszentrum Paddenbroek im belgischen Gooik: eine Gewächshauskonstruktion, die über einen ehemaligen Bauernhof gesetzt wird und sich zur Landschaft öffnet, Maßstab: 1:50

93


FREUNDE DES HAUSES

BARKOW LEIBINGER

„Die Arbeit mit analogen Modellen ist für uns ein ebenso unersetzlicher wie inspirierender Bestandteil eines jeden Entwurfsprozesses. Im Falle des Infraleicht-Hochhauses ging es vor allem darum, die raumbildende Wirkung der ungewöhnlich dicken, skulptural geformten Wandscheiben zu überprüfen, die in diesem Projekt wie eine ‚tragende Wärmedämmung‘ wirken.“

94

Konzeptmodell für einen Wohnturm aus Infraleichtbeton, Berlin, im Auftrag der WBM – Wohnungsbaugesellschaft Berlin-Mitte, 2017 Architekten: Barkow Leibinger in Zusammenarbeit mit schlaich bergermann partner, Modell von Barkow Leibinger, Berlin (Jan Blifernez, Kate Bilyk, Julius Kirsch, Andreas Moling), Maßstab: 1:20 Foto: Simon Menges


DOSSIER

I.S.M. ARCHITECTEN

„BEEV is an extension of an iconic private house of the 60’s by architect Paul Neefs. The design challenge here is a question of balance and respect, adding on to a house that we consider to be a masterpiece and at the same holding on to our own identity. It’s an exercise in scale, proportions and materialisation. In this case the model helped us to verify and ameliorate an intuitive first sketch.“ Wim Van der Vurst Entwurfsmodell für ein privates Wohnhaus, 2017, Maßstab: 1:100

95


FREUNDE DES HAUSES

BUREAU

SPECTECULAR

„In this project, we looked at the architectural model as hypothetical stage-sets to provide the backdrop of a speculative world. There is a short graphic novel that accompanies this project.“ Jimenez Lai

96


DOSSIER

Modell für das San Francisco Museum of Modern Art (SFMOMA) aus Bauholz, 3D-Druck, Papier, Kunststoff und weißer Farbe, Maßstab: 1/4"=1'-0"

97


FREUNDE DES HAUSES

MONADNOCK

Faux und Agency Modelle aus Papier für die Ausstellung Designing the Surface, Het Nieuwe Instituut in Rotterdam, 2017, Maßstab: 1:50

98


DOSSIER

JUNE14

„In diesem großen Modell konnten wir gut die inneren Beziehungen zwischen den Bewohnern und Räumen verstehen.“ Johanna Meyer-Grohbrügge

Modell für die Baugruppe Kurfürstenstraße 142 GbR, 2013-2019

99


FREUNDE DES HAUSES

ATELIER ST

„Der Baukörper strahlt für uns bereits als Modell eine geheimnisvolle Aura aus.“ Sebastian Thaut

100

Steidlturm Göttingen, Entwurf, Konzeption und Studie, 2017 (Direktauftrag von Verleger Gerhard Steidl, Göttingen), geplante Umsetzung 2018–2020, Modell aus Ton und Graupappe von Martin Franck/Atelier ST, Maßstab: 1:200


DOSSIER

SO – IL

„A concrete gallery building in New York, where sweeping concrete shells seamlessly connect public spaces and galleries. The building envelope seeks a formal ambiguity, framed by the strict constraints of its performance – the delivery of good art spaces. The curved sweeping roof surfaces are tethered to the rectangular boundaries of the galleries, and each is fit to the other. This model was a tool to understand and test this relationship: the tension between an orthogonal framework and a fluid envelope.“ Florian Idenburg, Jing Liu und Ilias Papageorgiou

Arbeitsmodell, Team: Kevin Lamyuktseung, Helene Denise, Pietro Pagiaro, Maßstab: 1/4"=1'-0"

101


FREUNDE DES HAUSES

FALA ATELIER

„This project was very special for us. Designing a small kiosk to be placed at the lakefront of Chicago. A humble program but a very ambitious design for us. It was an open competition, with hundreds of proposals, and we got to the last five, winning an honourable mention. Architecturally, it was the combination of a modern glass box with a japanese umbrella wood ceiling and some post modern touches.“ Filipe Magalhães, Ana Luisa Soares und Ahmed Belkhodja

Modell Chicago Kiosk, Maßstab: 1:50

102


DOSSIER

AMUNT

„Modellbau ist ein wichtiges Werkzeug des räumlichen Entwicklungsprozesses. Durch das Modell befreunde ich mich mit dem Entwurf.“ Björn Martenson Arbeitsmodell zu einem kürzlich fertiggestellten Haus, das über seiner Baugrube schwebt, von Amunt Architekten Martenson und Nagel Theissen, Maßstab: 1:50

103


FREUNDE DES HAUSES

PETRA GIPP ARKITEKTUR

„The models are a method of getting close to the essence of architecture, most often out of scale. The space is sculptured out of massiveness, and by focusing on volumes, elements and details everything merges into a central idea about architecture. By working seamlessly with one material, the cast plaster, my intentions with architecture become clear and my personal voice unveiled.“ Petra Gipp

Passage #68, Stockholm, 2018, Maßstab: frei

104


DOSSIER

LÖSER LOTT ARCHITEKTEN

„Wir benutzen Modelle in allen Maßstäben vom Städtebau­ modell bis zu Objekten im Maßstab 1:1. Dieses Modell wurde gebaut, um die Raumfolge des Hauses besser zu verstehen, die räumliche Entfaltung zu überprüfen und ein statisches System zu entwickeln.“

Turmhaus Dresden-Trachenberge, im Bau, Maßstab: frei

105


EM2N

„Arbeitsmodelle ermöglichen es uns, während des Arbeitsprozesses im Gegensatz zu den oftmals einengenden Renderings durch ihre Skizzenhaftigkeit räumliche Absichten mit einer Offenheit zu formulieren. Ein Arbeitsmodell vermag mit einfachen Mitteln eine Atmosphäre zu erzeugen und den dargestellten Raum mit einer gewissen Unschärfe und Abstraktion darzustellen.“ Mathias Müller und Daniel Niggli

Wandverkleidung Kino, Toni-Areal, Zürich, 2010, nicht realisierter Entwurf, Arbeitsmodell aus Styrofoam, Maßstab: 1:50


DOSSIER

MAX DUDLER

„Das Konzeptmodell vermittelt das städtebauliche Thema oft klarer als das Endergebnis. Die Wiener ÖBB-Zentrale haben wir aus diesem dreieckigen Ort am Wiener Ostbahnhof entwickelt. Die Mahagoni-Farbe bezieht sich auf die CI der ÖBB. Ein Riesenzeichen.“

Neubau ÖBB-Konzernzentrale, Wien, 2009, Wettbewerbsmodell 1.Phase, Modellbau Milde für Max Dudler Architekten, Maßstab: 1:500

107


FREUNDE DES HAUSES

AFGH

„Der ökonomische Umgang mit Raum, der die Bedürfnisse der Benutzer ins Zentrum stellt, Durch- und Ausblicke, Atmosphärisches und vieles mehr können nur anhand von Modellen kontrolliert und entwickelt werden, gerade wenn Ortho­gonalität und Polygonalität eine enge Allianz im Grundriss bilden. Das Modell an der Trottenstraße zeigt exemplarisch sowohl die synchrone Entwicklung der räumlichen Innenwelt als auch den skulpturalen Ausdruck der Außenfassaden, die das vorgeschriebene Schrägdach mitdenken.“ Gabrielle Hächler

Einfamilienhaus an der Trottenstraße, Zürich, 2016–2018, Maßstab: 1:50

108


DOSSIER

SELLDORF

ARCHITECTS

„This model of the Sunset Park Material Recovery Facility was instrumental in conveying the overall sense of place of the project to the client and many local approval authorities including the Public Design Commission of New York City. Rather than focusing on any one building element it expressed the campus like nature of the facility and how the buildings relate to one another and to the overall site, and the surrounding waterfront.“ Annabelle Selldorf

Modell Sims Sunset Park Materials Recovery Facility, Fertigstellung 2013, Maßstab: 1/32"=1'-0"

109


FREUNDE DES HAUSES

WIEL ARETS

Modell Jellyfish House von Wiel Arets Architects Foto: Hélène Binet

110

„The Jellyfish House is a private luxurious holiday home located in Marbella, and this model was created in the mid2000s, as a way to materialize the definitive design. The model was built by our office, at a time when SketchUp was just a few years old and had not been adopted as a working method by architecture firms.“


DOSSIER

KÉRÉ ARCHITECTURE

„Der hier sichtbare Schnitt zeigt das Centre de Santé et de Promotion Sociale und seine verschiedenen Schichtungen von innen und außen. Es wird deutlich, dass die Elemente von außen über die Lichthöfe in das Gebäude Einkehr halten können.“ Francis Kéré

Modell für das Centre de Santé et de Promotion Sociale in Laongo, Burkina Faso

111


FREUNDE DES HAUSES

NL ARCHITECTS „This concrete model served as a tool to investigate the true character of this ‚modernist monster‘. How could we sublimize the intrinsic beauty of the building? After a period of exploring the blessings of 3D-printing it was very exiting to make a ‚real‘ model. The specific materiality is part of the content. The original version was made by Roel Huisman. But recently Anna Groet made a small series that is for sale at Cityscapes Gallery. From design utensil it developed into art piece.“ Kamiel Klaasse

Modell aus Beton für das Projekt Kleiburg De Flat, Amsterdam, von NL Architects und XVW architectuur, 2012–2016

KOLLEKTIV A „Wohnraumbedarf unser Weltbevölkerung im Maßstab des Parks der Villa Massimo. Und dann auf einmal sind Aussagen wie ‚Das Boot ist voll‘, ‚Es ist kein Platz mehr‘, ‚Wir sind überbevölkert‘ und vieles mehr einfach passé. Es treibt an, weil es aufzeigt, dass wir mehr und mehr zusammenleben müssen, dass wir zusammenrücken müssen und nach neuen Wohnformen suchen sollen. Es zeigt uns, dass wir noch alle Möglichkeiten haben. Dass wir nur danach suchen müssen – und selbst diese Suche nicht eine ewige ist.“ Benedict Esche

Freies Studienmodell von Benedict Esche und Marco Galofaro, 2017, Maßstab: 1:15307,28604009123 (Größe des Parks der Villa Massimo im Verhältnis zur Gesamtquadratmeterzahl der Erde) Foto: Alberto Novelli / © Villa Massimo

112


DOSSIER

LAAV „We made this model for two reasons: 1) To investigate the way to excavate and extract the land from the real location in Lebanon in order to construct the project and 2) To showcase our most prestigious project in our Haarlem (NL) office.“ Laertis Antonios Ando Vassiliou

Modell Casa Brutale von Laertis Antonios Ando Vassiliou, Anna Rosa Moschouti und Michalis Takopoulos, Steinmetz: Dimitra Chrysovergi, Lasercut: The Snijmeesters, Maßstab: 1:300

ATELIER BRÜCKNER „Architekturmodelle gehören bei uns zu den wichtigen Werkzeugen im Entwurfsprozess. Jedes Projekt hat mehrere Arbeitsmodelle. Sie bilden die Entwurfsphasen ab und variieren dementsprechend im Detaillierungsgrad. Auftraggeber lieben sie. Reine Präsentationsmodelle wie das Modell des BMW Museums aus Polystyrol sind bei uns die Ausnahme. Ansonsten werden die Modelle direkt im Atelier gefertigt. Sie wachsen gemeinsam mit dem Projekt.“

Präsentationsmodell für das BMW Museum in München, 2008 Foto: Daniel Stauch

113


FREUNDE DES HAUSES

„During the design process the model helped to confirm the structural essence of the project and its making was a true turning point in determining the expression of the façade in formal terms. The construct exemplifies at best the correspondance between scale and desirable level of detail. We chose MDF for its neutrality as well as for its longevity as a material. Finally the model possesses a certain sculptural presence that makes it stand out as an object.“

CHRIST & MDF-Modell für ein Wohn- und Bürohochhaus, Pratteln, 2016, Maßstab: 1:100

114

GANTENBEIN


DOSSIER

Modell aus Holz für das Projekt Rode House, Chile, 2017, Maßstab: 1:20

„This model was an efficient working device. It only depicted the structural elements of half of the house. The model was employed to bridge the distance between our formal intentions and the skills of local carpenters. It was left on site for them to anticipate the complexity of the curved planes and the solutions for the different joints. The model not only became a literal reproduction of what they were building but a tool for solving problems.“

PEZO VON ELLRICHSHAUSEN

115


FREUNDE DES HAUSES

6A ARCHITECTS

„This model is made of oak, it was used as a tool for a number of façade studies. Here we tested the idea of a tripartite overhang which acted as a traditional weathering device for the reclaimed timber cladding and as a reference to the tripartite concrete bands of the original courtyard buildings on the site was tested. It also explored the concave façade on each elevation and how the overhang created different shadows during the day against the curved elevation.“

Fassadenstudie für Cowan Court, Churchill College, Cambridge, 2008–2016, Maßstab: 1:250

116


Heinze Architekten AWARD 2018 10.000 € PREISGELD FÜR DEN GESAMTSIEGER

Die besten Wohnarchitekturen der letzten 5 Jahre

04444 DEAR 21 an 01

Foto: Florian Holzherr | meck architekten gmbh

Heinze ist auch 2018 wieder auf der Suche nach den spannendsten Projekten deutscher Architekten und Planer. Prämiert wird das beste Gesamtkonzept jeweils für Neubau- und Bestandsprojekt in den drei Objektkategorien • Einfamilien- und Zweifamilienhäuser • Mehrfamilienhäuser und Geschosswohnungsbauten • Sonderwohnungsbauten (Dachgeschosse, Lofts, historische Gebäude etc.)

Nachwuchspreis Studierende, Studien- und Seminargruppen deutscher Architekturfakultäten und -fachbereiche sind eingeladen, Entwürfe und Konzepte aus allen Bereichen des Wohnungs- und Nichtwohnbaus einzureichen.

Sonderpreis BIM Erstmalig lobt Heinze einen Sonderpreis BIM aus, der exklusiv von dormakaba unterstützt wird.

Sponsored by

Preisgelder im Gesamtwert von 40.000 € Kostenlos einreichen bis zum 17. Juni 2018 unter www.heinze.de/award


TITEL

AR 118


Foto: Cyrill Matter

ARCHITEKTUR

119


OLE SCHEEREN:

Die Realität der Möglichkeiten

VON JEANETTE KUNSMANN UND STEPHAN BURKOFF

120

PORTRÄTS: CYRILL MATTER


CCTV by Rem Koolhaas and Ole Scheeren © OMA. Foto: Buro OS

ARCHITEKTUR

121


OLE SCHEEREN — DIE REALITÄT DER MÖGLICHKEITEN

Das Hochhaus als unendlicher Loop: Auf 473.000 Quadratmetern zirkuliert in der Zentrale des chinesischen Staatsfernsehens alles wie in einem gigantischen Organismus. CCTV Headquarters in Peking von Rem Koolhaas und Ole Scheeren / © OMA, 2002–2012. Foto: Iwan Baan

122


ARCHITEKTUR

Er gilt als eines der Wunderkinder der Stararchitektur, obwohl ihn selbst solche Titel gar nicht interessieren. Bereits mit 31 Jahren leitete er die Asienprojekte des Office for Metropolitan Architecture von Rem Koolhaas und realisierte mit CCTV eines der größten Gebäude der Welt. Als Ole Scheeren 2010 sein eigenes Büro in Asien gründete und seine Partnerschaft bei OMA beendete, ging ein Raunen durch die globalen Architekturmedien. Neben seinem umfangreichen Asiengeschäft und Aufträgen in Nordamerika plant Scheeren jetzt das erste Projekt in Deutschland: den Umbau eines Frankfurter Büroturms in ein Wohnhochhaus.

123


OLE SCHEEREN — DIE REALITÄT DER MÖGLICHKEITEN

Seit 2010 leiten Sie Ihr eigenes Büro mit Sitz in vier Städten, verteilt von Asien bis Europa. Wie fühlt sich das an? Ich glaube, als Architekt wächst man mit dem Thema Verantwortung auf – und zwar auf vielen Ebenen. Wollen Sie denn weiterwachsen? Wachstum an sich war nie mein Ziel. Ich habe keine Vorstellung, wie viele Hunderte von Mitarbeitern ich haben möchte – das ist nicht mein Antrieb. Die Struktur folgt ein Stück weit den Aufgaben und der Frage nach Anzahl und Größenordnung der Projekte. Ich habe von Anfang an überwiegend in relativ großen Maßstäben gearbeitet – auch in der Selbstständigkeit. Was viel damit zu tun hat, dass ich in Asien tätig bin und dort ein ganz anderer Maßstab herrscht als hier in Europa. Was haben Sie von Asien gelernt? Vor allem sehr viel über Größe und Maßstab: Ich habe eines der größten Gebäude der Welt gebaut. Und gerade arbeiten wir an einem Projekt, das möglicherweise noch größer sein wird. Maßstab ist etwas, das man nicht so einfach versteht, man muss es sich erarbeiten. Was heißt es, ein Gebäude für 10.000 oder 20.000 Menschen zu planen? Was bedeutet es für einen Raum? Was bedeutet es für die Erlebbarkeit?

124


ARCHITEKTUR

Ein asketisches Studio mit Blick auf die Spree: Nur eine Glaswand trennt Ole Scheeren von seinem Großraumbüro. Dennoch wünscht er sich die Tür zum Interview lieber geschlossen und schaut während des Gesprächs immer wieder in die Ferne aufs Wasser.

Und was bedeutet es für die Menschen,

wäre. Wir arbeiten viel digital. Aber es

die in einem Großprojekt leben oder arbeiten? Funktional und technisch? Das interessiert mich alles.

ist trotzdem für mich sehr wichtig, immer wieder auch physisch präsent zu sein.

Nur im Großen? Nein, neben dem einen Extrem arbeite ich auch an sehr kleinen Dingen. Der Wechsel ist mir sehr wichtig. Auch zwischen dem Intimen und dem Strukturellen: Diese Dinge informieren sich sehr stark. Mir ist es wichtig, die Konkretheit der Erfahrung beizubehalten – selbst wenn wir sehr große Projekte realisieren.

Zählen Sie denn die Tage, die Sie an einem Ort verbringen, oder die Tage, an denen Sie reisen? Oder lässt sich das gar nicht trennen? Das ist im Prinzip ein ganz dynamischer Fluss. Für mich gibt es weder die Definition der Wochentage noch der wirklichen Tagesstunden. Wie gesagt, dadurch, dass wir in drei sehr unterschiedlichen Zeitzonen arbeiten, ist eigentlich immer eine der Zonen aktiv. Das heißt, es gibt auch immer die Möglichkeit zu reagieren.

Wie ist denn Ihr Studio im Augenblick organisiert? Wie funktioniert die Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Standorten? Wir sind im Moment zwischen 75 und 80 Leuten auf drei Kontinenten: in Asien, in Europa und in Amerika. Die Struktur ist so aufgebaut, dass ich das hauptmobile Element zwischen den Welten bin und dass die jeweiligen Studiostrukturen in sich funktionieren, aber auch miteinander vernetzt sind. Zwischen den Einheiten herrscht viel Austausch. Und es gibt in meinem Leben ein rigoroses Timing: Ich spreche, entwerfe und diskutiere jeden Tag mit drei Zeitzonen. Das hat neben einer gewissen Intensität eine Mechanik, die ohne heutige Mittel gar nicht denkbar

Und die Notwendigkeit. Wie viele Stunden am Stück schlafen Sie denn? Er überlegt. Meistens nicht zu viel. Er lächelt kurz. Wir haben gerade erfahren, dass es mehr als zehn Nationen sind, die in Ihrem Büro arbeiten. Es sind sogar über 20!

Welche Rolle spielt dabei dann Sprache für den Entwurf und die Realisierung von Architektur? Unsere Arbeitssprache ist Englisch, weil es allen erlaubt, miteinander zu kommunizieren. Und es ist mir als Grundregel auch wichtig, es so beizubehalten. Natürlich werden einzelne Projekte, die in sehr lokale Kontexte eingebunden sind, nach außen hin jeweils auf Deutsch oder Chinesisch kommuniziert. Sprache ist etwas ganz Wichtiges. Kommunikation ist im Beruf des Architekten etwas sehr Essenzielles, weil unser Beruf Dinge vorwegnimmt. Wir müssen etwas entscheiden, bevor es tatsächlich existiert, sowohl im Entwurfsprozess als auch in der Zusammenarbeit mit Bauherren, Behörden und so weiter. Man muss als Architekt in der Lage sein, die Dinge, die man in die Zukunft projiziert, jetzt greifbar und sichtbar zu machen. Dabei ist Kommunikation ein wichtiger Bestandteil. Wir haben nicht nur die verbale, sondern auch die grafische Sprache über Pläne, Modelle etc., die Ideen zu vermitteln. Wenn man es nicht verständlich machen kann, wird es schwierig. Dann ist das Bild als Sprache wichtiger als das Wort? Oder geht das Hand in Hand? Ich glaube, es ist beides sehr wichtig. Natürlich bleibt das gebaute Objekt als

125


OLE SCHEEREN — DIE REALITÄT DER MÖGLICHKEITEN Endresultat unserer Arbeit das Wichtigste. Aber eben auch nicht nur. Wir produzieren keine skulpturalen Gebilde aus Materie und Licht – so hat mich Architektur noch nie interessiert –, sondern wir produzieren Gebilde für das Leben der Menschen. Es ist die Frage, wie wir mit dem Leben der Menschen umgehen und wie wir das kommunizieren. Da geht es dann nicht mehr um physische Materie, sondern um Vorstellungen, um Fantasien und Bedürfnisse. Und: um die Geschichten der Menschen und eine Form der Erzählungen dieser. Was wir durch unsere Architektur zum Teil tun, ist, diesen einen Rahmen oder eine Bühne zu geben. In diesem Sinne interessiert mich Architektur als das Mittel, das wir benutzen. Es ist das, womit wir arbeiten. Aber es geht nicht um Architektur im klassisch-kompositorischen Sinn. Materie, Licht, Form ... Mich interessiert immer, was die Dinge tun. Was tun die mit uns? Und was erzählt Ihre Architektur? Meine Architektur erzählt von Möglichkeiten. Möglichkeiten, Dinge anders zu tun. Sie erzählt von Gemeinschaft, vom öffentlichen Leben und einem Verhältnis vom öffentlichen zum privaten Leben. Von der Möglichkeit der Fantasie. Gleichzeitig erzählt sie aber auch davon, wie die Welt funktioniert. Wir arbeiten, wie viele andere auch, für Projektentwickler und Privatkapital, für viele also, die eigentlich erstmal sehr restriktive Systeme bilden. Und die Tatsache, dass die Welt so aussieht, wie sie aussieht, existiert ja nicht nur, weil es alles ist, was den Architekten einfällt, sondern weil es viele Systeme gibt, die sich so gebildet haben und die nur bestimmte Freiräume lassen. Wie umgehen Sie das? Wenn man kommerzielle Projekte baut, müssen die Ökonomie, der Verkauf und die Kosten stimmen. Wenn man das nicht beherrscht, dann baut man

126

einfach nicht. Aber wenn man nur das beherrscht, dann baut man all das, was da draußen steht. Und das reicht uns nicht. Mir geht es darum, diese Spielregeln und Regelwerke zu verstehen und, obwohl wir diese Regeln einerseits bedienen, ihnen andererseits trotzdem etwas abzugewinnen. Wie können wir Zwischenräume und Möglichkeiten finden und Werte generieren, die es plötzlich ermöglichen, etwas ganz anderes zu bauen und vielleicht öffentlichen Raum mit in Gebäude einzubeziehen, die das zunächst gar nicht vorsahen? Funktioniert das denn immer so? Die Konflikte zwischen denen, die das Geld geben, und denen, die es ausgeben, sind ja bekannt. Es dürfte in der Architektur schwierig sein, eine Lösung zu vermitteln, die nicht nur auf dem Taschenrechner funktioniert. Wir sind in unseren Projekten recht selektiv. Wir machen auch nicht alles, was wir tun könnten, sondern finden und definieren für uns unsere Aufgaben, mit denen wir einen Beitrag leisten können. Was sicherlich nicht immer möglich ist. Ich denke, ich kann bei allen Projekten diese Mechanik erläutern. Das ist ein Stück weit der Erfolg unserer Arbeit. Ihr neues Projekt in Frankfurt ist auch sehr ambitioniert. Im deutschen Maßstab ist es ein Großprojekt, für das Büro Ole Scheeren eher ein kleineres. Wie realistisch ist der Umbau des Büroturms in ein Wohnhaus denn wirklich? Das ist äußerst realistisch, sonst hätten wir es nicht der Öffentlichkeit vorgestellt. Nur als Nebensatz: Ich war immer sehr vorsichtig mit den Dingen, die wir am Ende veröffentlichen. Wir haben vermutlich zehnmal mehr Arbeit produziert als die, die bekannt ist. Mich interessiert es eben nicht, die ersten zwei Computerbilder von irgendetwas

ins Internet zu stellen. Mich interessiert eine fokussierte Darstellung der Realität: der Realität der Möglichkeiten. Mit den Bauarbeiten soll bereits Ende des Jahres in Frankfurt begonnen werden. Dieses Projekt ist auch eine Realität der Möglichkeiten: Ich fand es auch eine sehr schöne Aufgabe, damit in Deutschland ein erstes Bauprojekt zu realisieren – im Gegensatz zur Vielfalt der Projekte in Asien, die eben alle ground up sind und sich selten mit der Frage des Bestands auseinandersetzen müssen – obwohl Kontext natürlich auch sehr wichtig ist. Aber hier geht es um ein Gebäude aus den Siebzigerjahren, das ganz deutlich in seiner Zeit mit seiner damaligen Richtigkeit dastand, aber das für heute und die Zukunft eben nicht mehr adäquat ist. Das ist eine wichtige Aufgabe in Deutschland und Europa: Wie geht man mit dem ganzen vorhandenen Bestand um? Und wie gehen Sie mit dem Bestand um? Wir zeigen sehr schön, wie ein sehr schweres, hermetisch abgeschlossenes, introvertiertes und eigentlich fast defensives Gebäude sich in etwas grandios Leichtes, Schwebendes öffnen kann. Es kommuniziert mit der Stadt und bietet nicht nur den Bewohnern einen tollen Raum. Man muss so etwas immer aus zwei Richtungen betrachten. Wenn Sie sagen, dass Sie anfänglich weniger kommuniziert haben, als Sie es gekonnt hätten: Hat das auch damit zu tun, dass in Deutschland solchen Großprojekten in der Öffentlichkeit meistens viel Kritik entgegengebracht wird? Ich habe das nicht auf Riverpark Tower in Frankfurt bezogen, sondern allgemein auf die letzten acht Jahre unserer Arbeit. Ich weiß es nicht. Man könnte auch das problematisieren, aber ich


ARCHITEKTUR finde, man braucht vor dieser Debatte keine Angst zu haben. Natürlich findet sie statt, aber wir stellen uns ihr gerne. Wir erklären gerne, was wir tun. Ich glaube wirklich, dass mit genauer Betrachtung sehr deutlich und klar wird, was wir hier an Qualitäten und Möglichkeiten schaffen. Bauen im Bestand ist in diesem großen Maßstab selten ein Prozess, bei dem alles glatt läuft – der Berliner Flughafen, Stuttgart 21 und die Elbphilharmonie sind Großprojekte, die Deutschland geprägt haben ... Er unterbricht.

Riverpark Tower in Frankfurt: Ein Büroturm wird zum Wohnhochhaus. „Die horizontalen Schichten, die ich in den Bestand hineinschiebe und die eine riesige, stützenfreie Fensterfront ermöglichen, wären im heutigen Wohnungsbau nicht realisierbar“, erklärt Ole Scheeren. © Buro–OS

Das bedeutet ja nicht, dass es deshalb nicht anders laufen kann! Und da sind wir gerne dabei zu zeigen, dass es auch anders geht. Wie gesagt, Riverpark Tower ist kein kleines Projekt, aber eben auch kein Riesenprojekt. Es ist ein sehr guter Maßstab, in dem man zeigen kann, was möglich ist. Dazu gehört auch alles Prozesshafte und Organisatorische. Wir versuchen, sehr vorausdenkend teilzunehmen, und ich denke, es läuft alles sehr gut.

127


OLE SCHEEREN — DIE REALITÄT DER MÖGLICHKEITEN

Auflösung eines Wolkenkratzers: Mit 77 Geschossen und 314 Metern ist er das höchste Hochhaus in Thailand. MahaNakhon in Bangkok, 2016, von Buro Ole Scheeren Group mit HLS. Foto: Alexander Roan

128


ARCHITEKTUR Mit Ihrer Perspektive aus Asien: Woran liegt es, dass die Großsiedlungen in Deutschland in der Regel kaum funktionieren und sich die Bewohner nicht wohlfühlen? Kann man diesen Bestand noch retten? Natürlich werden überall viele Fehler gemacht – man lernt nie aus. Aber wenn Sie diese Thematik ansprechen: Es gibt in der Tat in Deutschland und in Europa ein Trauma bezüglich solcher größeren Anlagen. Diese stammen aber auch aus einer Zeit mit einem anderen Fokus. In der ging es hauptsächlich darum, möglichst viel Wohnraum in kürzester Zeit zu schaffen, eine aufstrebende Gesellschaft erst einmal zu beherbergen und dabei neue Möglichkeiten der Technik zu nutzen, ohne diese wirklich auf die menschliche Ebene zu übertragen. Man könnte auch das Wohnen im Hochhaus aufgreifen, was eine sehr ähnliche Problematik in Deutschland und Europa hat. Nämlich dass man damit Dinge aus den Sechziger- und Siebzigerjahren verbindet, die eher keine positiven Erfahrungen waren. Das ist aber ein Päckchen, das dieser Kulturkreis mit sich trägt und das die Betrachtung verzerrt. ... Man hält das Leben in Wohnhochhäusern für inhuman. Wir haben in Asien erlebt, dass es grandiose Hochhäuser gibt, in denen man sehr gut wohnen kann. Natürlich ist es ein anderes Leben als in einem Einfamilienhaus mit Garten. Aber wer sagt, dass alle Menschen ihr eigenes Haus haben wollen? Das Leben oben im Himmel, im Hochhaus mit Aussicht und mit Weitblick, hat auch etwas ganz Tolles! Interessiert es Sie als Architekt, wie die Bewohner Ihre Gebäude annehmen? Natürlich! Mich interessiert ja das Leben in der Architektur – und die Realität, die sich dort entfaltet. Man muss

es sich vor Ort ansehen, Fotos und Worte werden dem nie gerecht: Was die Wahrheit eines Raumes ist und was sich darin abspielt. Nehmen wir dazu Zahlen, die zeigen, warum Interlace so erfolgreich ist: Normalerweise wäre so ein Apartment in Singapur ein Investitionsobjekt, was zur Folge hat, dass in so einem Gebäude die Hälfte der Wohnungen leer steht. Damit hat das Leben in solchen Geisterstädten überhaupt nichts Positives. In Interlace sind 95 Prozent der Apartments bewohnt, weil die Menschen dort leben möchten. Weil es toll ist, dort zu leben. Allein das sehe ich als großen Erfolg. Warum ist es toll, dort zu wohnen? Es finden unzählige Aktivitäten in den Höfen, Gärten und auf den Terrassen statt. Diese sind für die Bewohner im Prinzip Zonen der Freiheit. Man findet viele Community Groups, die sich im Interlace gebildet haben. Es ist ein aktives Leben in dieser Architektur. Und umso besser: Es geschehen Dinge, an die wir nie gedacht haben. Es geht darum, Räume und offene Strukturen zu schaffen, die diese Möglichkeiten bieten, nicht darum, Vorschriften zu machen. Klingt wie eine Utopie. Ich glaube, es ist wieder Zeit für Utopien. Wir haben so lange im Gegenteil gelebt, dass es Zeit ist, wieder mutiger zu sein und darüber nachzudenken, wie Dinge auch ganz anders sein könnten. Warum denn nicht? Und der Schlüssel sind der Mensch, die Beobachtung seiner Bedürfnisse und die Entwicklungen von Raumqualitäten, die es so noch nicht gab? Es ist immer das Zusammenspiel. Wenn wir die Technik nicht beherrschen, auch keine Nachhaltigkeit, keine Ökonomie und auch keine Kommunikation, wird es nie stattfinden. Wir schaffen Be-

hausungen für das Leben, Arbeiten und das Sein der Menschen. Wenn wir das nicht verstehen, funktioniert es nicht. Genauso wie wir ökologische Nachhaltigkeit beachten müssen, müssen wir auch über soziale Nachhaltigkeit nachdenken. Asiatische Großstädte haben eine ganz andere Dichte als die europäischen. Sie sagen auch, dass sich dort gerade vieles im Umbruch befindet ... Was wäre aus Ihrer Sicht eine Idee, wie sich die europäische Stadt in Zukunft verändern sollte oder muss? Es gibt sehr viel Qualität, aber, wenn man genau hinschaut, nicht nur. Weil eben viel Bausubstanz, ähnlich wie unser Frankfurter Turm, sich weniger der Qualitätsfrage des Lebens stellte, sondern anderen Zielen unterlag. Man muss schauen, wie man solche Strukturen verändert, um sie überführen zu können. Auf der anderen Seite stellt sich dabei auch die Frage, inwieweit historische Stadträume rekonstruiert werden. Welche Wertigkeit und welche Funktion haben diese Räume denn heute noch? Welche Räume bräuchte eine Stadt denn? – Das sind nicht nur die historischen Vorstellungen der öffentlichen Plätze und der Straße. Vielleicht brauchen wir viel durchlässigere, offenere und vernetztere Räume in der Stadt. Auch die Auseinandersetzung darüber, was für Hybride heute entstehen, ist wichtig, genauso wie die Frage, wie man auch über eine solche Durchmischung der einzelnen Aktivitäten der Stadt ein anderes Lebensgefühl erzeugen kann. Welche Verantwortung tragen dabei die Architekten? Bei einigen vermisst man eine solche Vision. Es ist schwierig, da die Schuldigen zu identifizieren, und das ist auch gar nicht die interessante Fragestellung.

129


OLE SCHEEREN — DIE REALITÄT DER MÖGLICHKEITEN

Vertical Village: Die Grundrisse im Interlace seien sehr gut, sagt Ole Scheeren: „Da drin kann man wirklich wohnen.“ Wohnkomplex The Interlace in Singapur, 170.000 Quadratmeter, OMA und Ole Scheeren. Foto: Iwan Baan

130


ARCHITEKTUR

131


OLE SCHEEREN — DIE REALITÄT DER MÖGLICHKEITEN

„Wenn man selbst kein sehr ausdifferenziertes Zuhause hat, so wie ich, kann man offener sein bei der Aufgabe, ein Zuhause für andere zu entwerfen“, erzählte Rem Koolhaas kürzlich in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung. Was zunächst paradox klingt, bekommt eine gewisse Logik. Dennoch sind Menschen ohne Zuhause irgendwie etwas unheimlich. Als wir zum ersten Mal mit Ole Scheeren über seine Projekte, seine Ideen und sein Architekturverständnis sprechen, lächelt er nur leise bei der Frage, wo und wie er selbst eigentlich wohnt. Der 47-jährige Architekt bewegt sich in einer Realität, die wir uns schwer vorstellen können. In seinem Leben herrscht rigoroses Timing: Scheeren arbeitet jeden Tag in drei Zeitzonen. Wenn Orte sich auflösen, bleibt Zeit der entscheidende Faktor. 132


ARCHITEKTUR

Ich glaube, dass alle gemeinsam an dieser Situation Verantwortung tragen und es auch nur gemeinsam lösen können: Architekten, Projektentwickler und die Stadt. Sie müssen möglicherweise defensive Positionen aus dem Fenster schmeißen. Unser Beruf steht in riesengroßen Abhängigkeiten. Zum Geld. Zum Bauherrn. Zum Genehmigungsverfahren. Man sollte auch an die Endnutzer und an die Menschen denken ... das fehlt ganz oft. Wir versuchen mit unserer Arbeit an unterschiedlichen Orten der Welt zu zeigen, dass man etwas tun kann. Welche Bedeutung haben für Sie die Begriffe „Heimat“ und „Zuhause“ – also für Sie persönlich, nicht als Architekt? Eine sehr gute Frage ... Im Moment gibt es den Begriff „Zuhause“ für mich so nicht. Ich bin wirklich an vielen Orten gemeinsam. Das war etwas, was ich nie vorhergesehen habe, es war auch kein Ziel. Es hat sich über die letzten zwei Jahrzehnte entwickelt. Und irgendwie fühle ich mich aber sehr wohl in diesem Verbindenden, das zwischen ganz unterschiedlichen Ländern und Kulturen entsteht. Aber ich habe auch auf allen drei Kontinenten recht intensiv gelebt. Dieses endlose Zwischenspiel einer Verbindung und Teil von etwas zu sein, aber eben nicht dort festzusitzen,

ist etwas sehr Wichtiges für mich. Ich bin kein distanzierter Reisender, der irgendwo landet und sich als Besucher etwas anschaut. Ich bin ja aktiv in diese Realitäten involviert. Es gibt keine Distanz. Dass Sie als ein Mensch, der eigentlich selbst nicht wohnt, sich so intensiv mit dem Thema Wohnen auseinandersetzen, hat auch etwas Paradoxes. Wie entwickeln Sie ein Gefühl dafür, wenn Sie es selbst nicht erleben? Natürlich erlebe ich das, aber vielleicht nicht in dem klassischen Modell. Trotzdem verstehe ich das, ich bin ja auch nicht ohne zu wohnen aufgewachsen. Nur weil meine momentane Realität sehr mobil ist, heißt es ja nicht, dass ich keinen Bezug zum Wohnen hätte. Man muss nicht alles konkret im Moment praktizieren, um es zu verstehen. Schon gar nicht, um Beiträge dazu leisten zu können. Ich habe ein starkes Gefühl dem Wohnen und dem Leben gegenüber – und Vorstellungen, wie es ganz toll sein könnte. Und vielleicht sind es für mich ja auch positive Zielvorstellungen, so etwas auch einmal für mich zu ermöglichen. Brauchen Sie für sich keinen Rückzugsort? Wenn doch, wie schaffen Sie sich den?

Ganz unterschiedlich. Die muss man sich erfinden. Sie können in ganz unterschiedlichen Situationen sein. Man muss diesen Ort in sich finden. Wie sind Ihre Erinnerungen an die Zeit, bevor Sie Architekt geworden sind? Spielt die Vergangenheit, Ihre Kindheit eine Rolle für die Gegenwart? Wahrscheinlich spielt der ganze Weg immer eine Rolle. Aber es ging für mich ja eigentlich mit Architektur los, als ich geboren wurde. Mein Vater war Architekt, hat noch studiert, und ich bin in der Uni aufgewachsen. Es gibt für mich also sehr frühe Verbindungspunkte: hauptsächlich im Zerstören von Architekturmodellen. Danach musste ich es wieder gutmachen und selbst welche bauen. Was haben Sie von Ihrem Vater gelernt? Sehr entschlossen. Das Denken. Und was haben Sie denn in Ihrer Zeit bei OMA gelernt? Und von Rem Koolhaas? Natürlich ganz viel. Ich habe 15 Jahre mit Rem zusammengearbeitet und mit Sicherheit das Nachdenken über

133


OLE SCHEEREN — DIE REALITÄT DER MÖGLICHKEITEN Möglichkeiten noch intensiver gelernt, als ich es vorher kannte. Es war etwas, das schon in meiner Jugend in mir kämpfte. Und in seiner Arbeit fand ich einen Teilausdruck davon. Deswegen hat es mich interessiert, mit Rem gemeinsam an solchen Dingen zu arbeiten und darüber nachzudenken. Weil Rem mir sehr früh Verantwortung und Freiheit übertrug, Dinge zu entwickeln, habe ich bei OMA wirklich sehr viel gelernt. Und über dieses Vertrauen, das er mir gegeben hat, konnte ich sehr viel lernen. Gibt es heute noch einen Austausch zwischen Ihnen und Rem Koolhaas? Natürlich! Denken Sie, dass die Zeit der Stararchitekten vorbei ist? Ich weiß nicht. Architektur braucht eine Vision. Architektur braucht eine Begeisterung für etwas. Wie das zustande kommt, kann auf unterschiedlichen Wegen sein. Und es kann sich aus vielen Teilen zusammensetzen, aber auch ein singulärer sein. Es kommt immer ganz darauf an. Ich finde die Polarisierung über diese Themen an sich nicht interessant. Genauso wie dieser Titel uninteressant ist. Der ist aber auch von anderen erfunden worden – nicht von Architekten. Andere Frage: Warum gibt es so wenige leitende Frauen in Architektur und Design? Schade! Aber bei uns im Büro ist ein hoher Anteil an Frauen. Das sagen aber fast alle Architekten! Ja. Es ist zum Teil eine gesamtgesellschaftliche Frage, die auch andere Bereiche und Berufe betrifft. Man kann nur versuchen, mitzuhelfen, dass es sich ändert. Die Situation zu analysieren ... Es ist fast überall ein Problem.

134

Was ist für Sie wichtiger: die Gegenwart oder die Zukunft? Beides ist genauso wichtig. Ich glaube, Architektur kann es nur geben, wenn man einen Sinn für die Zukunft hat. Weil sich ja alles, was man als Architekt schafft, erst in einer Zukunft realisiert. Ohne Sinn für Zukunft wäre ja alles schon zu spät, wenn es so weit ist. Gleichzeitig sind die Prozesse aber auch so intensiv und so akut, dass, wenn man nicht alert ist und aufpasst, vieles passieren kann, das Konsequenzen in der Zukunft hat. Man braucht diese unglaubliche Wachsamkeit dem Moment gegenüber, aber vielleicht

Weil Sie so ein unglaublich positiv denkender Mensch sind: Welche Rolle spielt für Sie das Scheitern? Man muss aufpassen, dass man sich das Scheitern für die richtigen Momente aufhebt.

auch das Positive dem Moment gegenüber, weil durch die Komplexität der Aufgaben ja ständig neue Herausforderungen auftauchen. Wir müssen positiv denken! Wir müssen Optimisten sein, sonst können wir auf nichts Besseres hinarbeiten. Es ist wichtig, dass alles, was in der tagtäglichen Arbeit passiert, auch wiederum auf einen anderen positiven Weg führen kann. Die Aufrechterhaltung erfordert viel Disziplin.

nicht weiter.

Glauben Sie an Manifeste? Pause. Eigentlich ist die Zeit des Manifests lange vorbei. Im Sinne dieser sehr rigiden und vorschreibenden Struktur glaube ich überhaupt nicht daran. Die Frage der Ideologie interessiert mich nicht. Aber ich würde gerne auf etwas, das wir vorhin gesagt haben, zurückkommen: Vielleicht ist die Utopie etwas Legitimeres als das Manifest. Weil die Utopie etwas ganz Offenes und Bewegliches sein kann. Das Manifest ist eher das Gegenteil, etwas sehr Beschreibendes und Einengendes. Woher schöpfen Sie Ihre Zuversicht? Aus der Begeisterung für das, was wir tun.

Er lacht und senkt die Stimme. Natürlich kann man es sich eigentlich nicht leisten, bei solchen Großprojekten zu scheitern. Da ist die Verantwortung viel zu groß. Aber natürlich gibt es immer wieder Momente, wo etwas nicht funktioniert. Dazu muss man auch bereit sein, sonst kommt man

Was bedeutet Ihnen Status? Uninteressant. Und was bedeutet für Sie Luxus? Auch uninteressant. Halten Sie sich selbst für einen radikalen Architekten? Ich habe keine Angst.


ARCHITEKTUR

Fassadendetail, CCTV von Rem Koolhaas und Ole Scheeren © OMA. Foto: Buro OS

135


OLE SCHEEREN — DIE REALITÄT DER MÖGLICHKEITEN

© Buro-OS. Foto: Alex Fradkin

Ole Scheeren beschäftigt sich nicht nur mit Wohnungsbauten und Hochhäusern, Anfang 2018 wurde sein Neubau für ein Auktionshaus in Peking eröffnet: ein Hybrid aus Büro, Museum, Event, Workshop, Restaurant, Hotel, Shopping und Lagerfläche mit knapp 56.000 Quadratmetern Geschossfläche. Mit direktem Blick auf die Verbotene Stadt versteht sich das Auktionshaus außerdem als eine Art Puzzle aus den traditionellen Hutongs und den heutigen Strukturen Pekings.

136


ARCHITEKTUR

Guardian Art Center, 2011–2018, von Ole Scheeren, © Buro–OS. Foto: Iwan Baan

137


OLE SCHEEREN — DIE REALITÄT DER MÖGLICHKEITEN

Die pixelhafte Struktur ergibt sich aus einer Reihe von Kaskaden der Terrassen und Wohnbereiche, die wie die Vorsprünge einer Berglandschaft hervortreten. Ole Scheeren spricht von einem „dreidimensionalen Band architektonischer Pixel“, das sich über die gesamte Höhe erstreckt, um das Innenleben des Gebäudes zu offenbaren. MahaNakhon in Bangkok, 2016, von Buro Ole Scheeren Group mit HLS. Foto: Iwan Baan

138


ARCHITEKTUR

www.buro-os.com

139


PROJEKTE

DIE FÜNFTE FASSADE UND DER DRITTE LEHRER

140


ARCHITEKTUR

KINDERGARTEN IN TÃœBINGEN

TEXT: JEANETTE KUNSMANN FOTOS: DIETMAR STRAUSS

141


PROJEKTE

Fassaden und Dach des Bestandsbaus sind mit Faserzementfassaden verkleidet, um die Einheit von Alt- und Neubau zu betonen.

142


ARCHITEKTUR Um ein flächiges Deckenbild zu erreichen, sind die Heradesign-Platten in einem unregelmäßigen Läuferverband verarbeitet. So bleiben die einzelnen, unterschiedlich geneigten Dachflächen und ihre Kanten wahrnehmbar. Die Leuchten (Zumtobel, Trilux, Ridi) verstärken den Eindruck.

Der Krach in einer Kita gleicht dem Lärm beim Start eines Flugzeugs.

Jedes Kind hat drei Lehrer: die anderen Kinder, die Erzieher und den Raum. Letzterer dient dabei nicht als eine reine Hülle oder notwendige Betreuungseinrichtung. Die Kita ist der erste Ort, an dem sich Kinder in einer Gemeinschaft zurechtfinden und behaupten müssen, hier werden sie auf die Spiele des Lebens vorbereitet. In einem Kindergarten sollen die kleinen Schützlinge deshalb wie junge Pflanzen gepflegt und gehegt werden, so die Idee von Friedrich Fröbel, Pädagoge und „Vater des Kindergartens“. Ende des 19. Jahrhunderts dienten die Einrichtungen zunächst noch als Anschauungsstätte für die Mütter, die hier den Umgang mit den von Fröbel entwickelten Beschäftigungsmitteln und Spielzeugen erfahren sollten. Heute sprechen Pädagogen vom „Raum als drittem Erzieher“ und weisen damit der Kindergarten-Architektur eine entscheidende Rolle zu. Den Architekten fallen dazu die unterschiedlichsten Konzepte ein: mal wild und kunterbunt, mal ganz natürlich aus Holz oder Lehm oder doch lieber neutral und rein, damit sich die Kinder frei entfalten können. Es gilt, Räume zu entwerfen, die den Kindern einerseits Geborgenheit vermitteln, andererseits Herausforderung sind und nebenbei auch noch all den DIN-Normen und Sicherheitsvorschriften entsprechen.

In Tübingen haben Architekten+Partner Dannien Roller jetzt einen Betriebskindergarten für das Max-Planck-Institut erweitert, dessen Besonderheit weit über den Köpfen zu finden ist: Für Rhythmus sorgt das Auf und Ab der Dachlandschaft. Diese schmiegt sich elegant auf drei Seiten in den Bestand, ein ehemaliges Direktorenwohnhaus aus den Fünfzigerjahren. Für die Architekten war die Dachfläche als fünfte Fassade aufgrund der Nähe zu einem benachbarten viergeschossigen Institutsgebäude gestaltungsrelevant – mit verschiedenen Höhen und Neigungen soll es in der Aufsicht als Fortführung der Landschaft wahrgenommen werden, erläutern die Planer, und im Inneren den unterschiedlichen Nutzungen entsprechende Raumqualitäten zuweisen. Eine ungewöhnliche Lösung ist dabei die Farbe: Mit einem zarten Rosa bilden die Akustikpaneele eine unübersehbare Topografie. Dem Team von Maren Dannien und Matthias Roller ging es dabei nicht nur um eine sichtbare Ästhetik, sondern auch um die Raumatmosphäre. Was bei einer Kita gar nicht so einfach ist, vergleicht man allein die Grundlautstärke in einem Kindergarten von bis zu 80 Dezibel mit den zulässigen Geräuschemissionswerten einer Baustelle, die bei 60 Dezibel liegen. Als gutes Gegenmittel dienen Lärm

Im Obergeschoss des Bestandsbaus liegen die Büros und der Aufenthaltsbereich für die Erzieher. Das Untergeschoss dient als Lager und beherbergt die Technikräume.

143


PROJEKTE

absorbierende Raumelemente. Architekten+Partner Dannien Roller haben deshalb die Deckenuntersicht in allen Aufenthaltsräumen mit Holzwolle-Akustikplatten von Heradesign des niederbayerischen Herstellers Knauf verkleidet: einem Material mit ausgezeichneten akustischen Eigenschaften, das außerdem für eine minimierte Nachhallzeit in den Räumen sorgt. Doch warum Rosa? In ihrem Materialkonzept für die Innenräume sehen die Architekten neutrale Wände vor, die den Kindern und Erziehern größtmögliche gestalterische Freiheit bieten sollen. „Begrenzt werden die hellen Wandflächen von einem grüngrauen Bodenbelag sowie einer rosa Deckenuntersicht“, sagt Maren Dannien. „Die Farbwahl wurde getroffen, da ein warmer Farbton die behütete Atmosphäre in den geschützt gestalteten Räumen unterstreicht. Aus demselben Grund wurde ein heller, nicht zu kräftiger Farbton gewählt.“ Rosa harmoniere außerdem mit dem Grün des Außenbereiches und dem Blau des Himmels. „Zudem unterstützt die Farbe die leicht inhomogene, aber dennoch artifizielle Wirkung der Sauerkrautplatten.“ Wichtiger als jedes Wort einer Architekturkritik bleibt das Urteil von Kindern, Eltern und Erziehern. In der Kita Planckton fühlen sich alle wunderbar wohl mit ihren neuen Räumen. Mehr Lob können Architekten kaum bekommen.

144


ARCHITEKTUR Im Erdgeschoss befinden sich die Räume für die Kinder wie Bewegungsraum, Kuschelraum, Spielraum, Werkraum, Zwergenraum, Kinderrestaurant und die Schlafräume, die über einen großzügigen Spielflur miteinander verbunden sind.

Betriebskindergarten Tübingen Erweiterungsbau als Holzkonstruktion Anbau: 280 Quadratmeter Bestand: 285 Quadratmeter Fertigstellung 2017 Architekten + Partner Dannien Roller dannien-roller-architekten-partner.de Bauherr Max-Planck-Gesellschaft Tübingen Fotograf Dietmar Strauss / www.dietmar-strauss.de

145


PROJEKTE

146

Foto: Florian Geddert


ARCHITEKTUR

BERG, TEXT: TIM BERGE

BOND UND BETON

147


PROJEKTE

Das Alpine Spa gehört zum exklusiven Schweizer Bürgenstock Resort, das im vergangenen Jahrhundert ein Anziehungspunkt für den internationalen Jetset war. 500 Meter oberhalb des Vierwaldstätter Sees sucht die Architektur den Bezug zur imposanten Landschaft auf nicht weniger spektakuläre Art. Verantwortlich für den Um- und Anbau der Wellnessanlage aus den Achtzigerjahren sind zwei Berliner Büros. Der Anbau beweist sich als minimalistische Gebäudeskulptur, die über Form und Materialität den Bezug zur Landschaft sucht. Foto: Olaf Rohl

148


ARCHITEKTUR Das Spiel mit Offen- und Geschlossenheit verleiht der Fassade einen ausgewogenen Rhythmus. Foto: Fabian Remmert

Ein tiefblauer Bergsee und steil aufsteigende Felswände bilden das James-Bond-artige Szenario, das sich den Besuchern des legendären Bürgenstock Resorts bei ihrer Anfahrt mit dem Schiff bietet. Und das ist erst der Anfang. Am Fuß des Berges angekommen, bieten sich zwei Möglichkeiten, den Höhensprung zum Resort zu überwinden: mit der Standseilbahn direkt in die Lobby des Hotels oder mit dem legendären Hammetschwand-Lift, dem mit 153 Metern höchsten Außenaufzug Europas. Den hat auch schon der echte James Bond, Sean Connery, bei den Dreharbeiten zum 007-Klassiker Goldfinger genutzt. Das Alpine Spa liegt im Zentrum des Resorts und wurde in den Achtzigerjahren als eines der letzten Puzzlestücke dem Hotelensemble hinzugefügt. Doch Wellnessanlagen haben eine kurze Halbwertzeit. Den internationalen Wettbewerb für einen Umbau gewannen die beiden Berliner Büros Patrik Dierks Norbert Sachs Architekten sowie plus4930 Sierig Geddert Krüger Architekten. Der von ihnen entworfene Anbau legt sich geschickt und feinfühlig um den Bestand herum und knüpft an dessen Gestalt an. Gleichzeitig integrierten die Planer den natürlichen Kontext in ihre minimalistische Gebäudeskulptur, die über Materialität und visuelle Einschnitte den Kontakt mit der

149


PROJEKTE raubende Sichtbezüge zum See und den umliegenden Bergen. Gekrönt wird die Öffnung des Hauses durch den Infinity Edge Pool, der sich um eine der Gebäudekanten herumlegt und steil über den Abgrund ragt. Als drittes Element fügten die Planer eine vertikal gegliederte, glänzende Fassadenhaut aus Kupferblechen hinzu, hinter der sich die Erschließungsbereiche verbergen – eine Reminiszenz an die Bestandsarchitektur, die bereits vor dem Umbau über eine metallene Außenhülle verfügte. Die Kupferelemente werden innerhalb der nächsten Jahre oxidieren und eine schwarzbraune Patina erhalten. Damit schließt der Umund Neubau des Spas den Kreis zurück zum Original.

Klug platzierte Öffnungen ermöglichen den Spa-Besuchern faszinierende Ausblicke auf die Landschaft. Fotos: Fabian Remmert

Felslandschaft und dem naheliegenden See sucht. Die kantig-geometrische Silhouette des Anbaus und sein rauer Betonsockel nehmen unmittelbar Bezug auf den Berg. Die Architektur des Neubaus lebt von ihrem Spiel mit Offen- und Geschlossenheit, das sich an der Fassade ablesen lässt. Seine Basis aus Sichtbeton mit horizontaler Brettschalung aus lokalen Hölzern versteht sich als Fortsetzung des Bergmassivs. Hinter der dicken Hülle verbergen sich die Saunen und innenliegenden Schwimmbereiche – als Inbegriff von Geborgenheit. Im Kontrast dazu öffnet sich der darüberliegende Baukörper radikal zur Landschaft: Die großflächige Verglasung bietet den Besuchern des Spas atembe-

150


ARCHITEKTUR

Vom Infinity Edge Pool blicken die Besucher des Spas auf die imposante Landschaft und den Vierwaldstätter See. Foto: Fabian Remmert

151


PROJEKTE

Mit der Standseilbahn direkt in die Lobby des Hotels oder mit dem legendären Hammetschwand-Lift, dem mit 153 Metern höchsten Außenaufzug Europas. Den hat auch schon der echte James Bond, Sean Connery, bei den Dreharbeiten zum 007-Klassiker Goldfinger genutzt.

152


ARCHITEKTUR

Sichtbeton, Glas und Kupferbleche: Die Materialität der Fassade besteht aus einem eleganten Dreiklang. Foto: Thomas Neumann

153


PROJEKTE

154

Fotos: Florian Geddert


ARCHITEKTUR Audrey Hepburn schätzte die intime Atmosphäre des Hotels und feierte hier ihre Hochzeit. ETH-Bibliothek, Zürich, Bildarchiv. Foto: Hans Gerber

Auch im Inneren und in dem umliegenden Spa Garden findet eine geschickte Verzahnung von bestehenden und neu hinzugefügten Elementen statt. Historisch wertvolle Orte wie der Kidney Shaped Pool aus den Fünfzigerjahren, in dem schon Sophia Loren und Audrey Hepburn badeten, und das rustikale Kaminrestaurant wurden vorsichtig saniert und strahlen nun wieder den Charme vergangener Tage aus. Die im Neubau verwendeten Materialien und Oberflächen sind zurückhaltend und elegant: Ausgesuchte Natursteine und Hölzer treffen auf Sanitärobjekte von Laufen und Dornbracht. Und auch die Türdrücker aus der FSB-1164-Serie von Hans Kollhoff zeichnen sich durch die gelungene Verbindung aus Tradition und Gegenwart aus. Durch ihre Eingriffe erzeugen die Berliner Planer eine kluge atmosphärische Verbindung zwischen Alt- und Neubau sowie traditioneller Grand-Hotel-Architektur und einzigartiger Baukunst.

Bürgenstock Alpine Spa Bürgenstock am Vierwaldstätter See, Schweiz Bauvolumen: 7.000 Quadratmeter BGF, 2017 Bauherr Katara Hospitality AG Entwurf Patrik Dierks Norbert Sachs Architekten www.dierks-sachs.com plus4930 Sierig Geddert Krüger www.p4930.de Mitarbeiter Patrik Dierks Norbert Sachs Architekten Fabian Remmert, Holger Meier, Clemens Gritl, Lukas Specks, Lars-Sebastian Dillner, Stefana Dilova Mitarbeiter plus4930 Sierig Geddert Krüger Architekten Thomas Neumann, Robert Pohle, Catleen Hofbauer, Roberto Carrasco

155


PROJEKTE

156


ARCHITEKTUR

THE GREAT SCANDINAVIAN DREAM VON EINER (UN-)TYPISCH NORWEGISCHEN HÃœTTE

TEXT: CLARA BLASIUS

FOTOS: BRUCE DAMONTE

157


PROJEKTE

Eine Hütte oder ein Sommerhaus sind in Skandinavien nicht so exklusiv, wie es vielleicht klingt, sondern recht üblich, und das auch schon seit Langem. Die Mylla Hytta ist zwar eine von vielen, aber gewöhnlich ist sie nicht. Sie erzählt eine exemplarische Geschichte vom Ankommen, Anpassen und Aneignen.

158


ARCHITEKTUR

Nicht weit von der Stadt und mittendrin in der wunderschönen norwegischen Natur, die nur darauf wartet, aktiv genutzt oder passiv genossen zu werden. Hier, in der waldreichen Region Nordmarka, bloß eine Stunde nördlich von Oslo und doch irgendwie abgelegen, haben Mork-Ulnes Architects einer vierköpfigen Familie eine kleine Hütte gebaut. Die amerikanischen Bauherren sind vor acht Jahren nach Norwegen ausgewandert und haben schnell an der Lebensweise Gefallen gefunden. Dass dieses Projekt die Hüttentypologie gewissermaßen neu definiert, lässt sich durch die offene Herangehensweise der Architekten erklären. Sie betreiben Büros in Oslo und San Francisco, nutzen diesen geweiteten Horizont gekonnt und verbinden amerikanische Mentalität mit skandinavischem Erbe. Die Bauherren haben sich auf die innovativen Ideen ver- und eingelassen. Während sich klassische norwegische Hütten mehr um die Natur als um sich selbst drehen, gelingt es der Mylla Hytta, beide Aspekte zu vereinen. Sie nimmt sich weit mehr heraus als die funktionalen Häuschen, ist großzügiger gestaltet, erlaubt sich umzudenken, ohne exzentrisch oder eben dysfunktional zu werden. Die Hütte thront auf einer Anhöhe, als wäre sie, so wie sie ist, dort hingeflogen und so gelandet. Die Architektur versucht nicht, mit der Umgebung zu konkurrieren, hält sich aber auch nicht zurück. Bereits das Dach weicht vom gängigen Satteldach ab. Das Volumen wurde geteilt und so abgewinkelt, dass vier

So lesbar wie von oben zeigt sich die Windrad-Geste natürlich selten. Aber auch wenn man sich der Hütte von unten nähert, fangen die abgewinkelten Volumina schon an zu erzählen.

159


PROJEKTE Flügel mit steil abfallenden Dächern um eine Mitte rotieren. Diese an ein Windrad erinnernde Geste hat zwei Konsequenzen. Zum einen ergeben sich von den Zimmern aus verschiedene Aussichten auf die Landschaft, die von großen Fenstern umrandet werden: auf den namensgebenden Mylla-See, auf Berge, Wald und Himmel – hier darf die Natur die Hauptrolle spielen. Durch die großzügigen Öffnungen wird der Innenraum von natürlichem Licht durchflutet. Zum anderen entstehen in den Zwischenräumen wind- und wettergeschützte Terrassen, die morgens wie abends die Sonnenstrahlen einfangen. Die Geometrie des Dachs bringt außerdem den praktischen Vorteil mit sich, dass auch Schnee in die gewünschte Richtung abfällt. Dieses Zusammenwirken zwischen innen und außen verdeutlicht, dass das Wetter ein Faktor ist, den man hier mit einrechnen muss. Auf der unbehandelten Kiefernholzfassade wird die Witterung mit der Zeit Spuren hinterlassen, das einst helle Holz wird grau werden. Die Konstruktion, ein Holzrahmenbau, orientiert sich dann doch an traditioneller Hüttenarchitektur, und auch der Innenraum ist konsequent in Holz gehalten. Spezialgefertigte, multifunktionale Einbaumöbel, Wand- und Deckenbekleidungen, Fensterrahmen und Türen sind aus mit Lauge und weißem Öl behandeltem Kiefernsperrholz. Mit dem Beton der Böden, Badezimmerwände und Küchenoberflächen stellt es eine besondere, da kontrastreiche Harmonie her.

160


ARCHITEKTUR Durch die großzügigen Fenster wandert der Blick oft nach draußen. In den verschiedenen Richtungen werden die Aussichten auf See, Berg, Wald und Himmel gerahmt.

161


PROJEKTE Drei freistehende Blöcke beinhalten die wichtigsten Funktionen, auf einem davon findet sich extra Spielraum für die Kinder. Die hinter diesen Kernen liegenden Schlafplätze sind über je zwei Türen zugänglich. Stehen diese offen, nimmt man sie kaum wahr. Über ihnen sind Oberlichter installiert, um Schallübertragung zu verringern und die Einheit der Decke zu bewahren – diese ist im Inneren zwar ebenso verwinkelt, aber nie unterbrochen. Das aus Ersatzmatratzen bestehende Sofa ist mit waldgrünem Wollfilz überzogen und gibt dem Ganzen eine menschliche Wärme. In gewisser Weise warm und einladend ist Mylla zu jeder Jahreszeit. Die Bauherren sind oft und gerne hier, mit Kind und Kegel, manchmal auch mit Gästen. Dank des Sofas, zweier Schlafzimmer und eines Schlafraums bieten die kompakten 84 Quadratmeter Platz für bis zu zehn Personen. Im 16 Quadratmeter großen Nebengebäude kommen Ausrüstung

Im Winter kann man Ski fahren, im Sommer radeln oder paddeln, wandern oder angeln. „Friluftsliv für meine Gedanken“, hat schon Henrik Ibsen geschrieben. Aber eben auch für das Gemeinschaftsgefühl, für das gemeinsame Raus- und Runterkommen. „Friluftsliv“, wörtlich übersetzt „Freiluftleben“, ist eben nicht nur Outdoor-Sport, sondern eine Haltung: Das Leben in und mit der Natur – auch das Wohnen – kann individuell gestaltet sein. Mithilfe der Architekten haben sich die amerikanischen Bauherren einen typisch norwegischen und doch ganz persönlichen Traum erfüllt. Sie haben ein Refugium errichtet, einen der regelmäßigen Stadtflucht gemäßen Zufluchtsort – und das so interessant gelöst, dass es Tradition und Typologie bereichert, deren Definition erweitert, ohne sie im Grunde zu hinterfragen, ohne zu provozieren. Auch weil die Familie eben nicht nur den Sommer hier verbringt. Sie sind gekommen, um zu bleiben, und haben sich in ihrer

sowie eine Sauna unter. An der Seite stapelt sich Feuerholz.

neuen Heimat ein eigenes kleines Reich erschaffen.

Die Hütte in Nordmarka lockt zu jeder Tages- und Jahreszeit. In der wunderschönen Natur, die sie umgibt, kann man aktiv werden oder zur Ruhe kommen.

162


ARCHITEKTUR

Mylla Hytta Jevnaker Kommune, Norwegen Neubau aus Holzrahmenbau und Beton 84 + 16 Quadratmeter 2015–2017 Bauherren Scott Young, Christine Griffin Young Architekten Mork-Ulnes Architects www.morkulnes.com

163


164

LIGHT+BUILDING 2018 VERBORGENE QUALITÄTEN

Glasstrukturen lassen das Licht unsichtbar werden, sodass es in seiner immateriellen Beschaffenheit selbst zu einem kostbaren Gestaltungselement wird. Dezente Leuchtkörper wechseln stufenlos ihre Farbtemperatur, um sich dem biologischen Rhythmus anzupassen, und Schienensysteme imitieren die Form eines Kronleuchters, um mit kabellosen Strahlern, Pendeln oder Röhren eine intelligente Beleuchtung zu ermöglichen. Es sind nicht allein die Leuchten, die im Mittelpunkt der diesjährigen Light + Building stehen. Es ist das Licht mit seinen verborgenen Qualitäten.

K 831

Aus den Untiefen eines Archivs stammt der Entwurf dieser Pendelleuchte von 1931. David Einsiedler und Joke Rasch, Inhaber der historischen Leuchtenmarke Midgard, haben sie reeditiert und um Farb- und Materialoptionen erweitert. Dank schwenkbarem Schirm lässt sich der Lichtkegel individuell ausrichten. Optional ist die Leuchte höhenverstellbar. Halle 1.2 – B50


ARCHITEKTUR

MYGDAL PLANTLIGHT

BUZZI HAT

Blumengießen war gestern. Dieses leuchtende Treibhaus von Nui Studio ist ein geschlossenes Ökosystem, das, einmal bepflanzt, keinerlei Pflege bedarf. Nur das Licht muss gesteuert werden: bequem per App. Halle 5.1 – D10

Eigentliche Spezialität von BuzziSpace ist die gute Akustik. Dass diese sich hervorragend mit Licht verträgt, zeigt der Antwerpener Hersteller mit einem Entwurf von Alain Gilles. Der besteht aus schallabsorbierendem Textil und sieht aus wie ein hoher Hut. Halle 1.1 – E50.

BERKER R.1

GUISE

Kupfer ist und bleibt im Trend: Nun bringt Hager den modernen Klassiker Berker R.1 von Werner Aisslinger in dem roten Metall mit speziellem Coating und edler Bürstung heraus. Halle 8.0 – H90 / Halle 9.2 – C24

Stefan Diez’ Wandleuchte für Vibia besteht aus einer Glasscheibe, in die unsichtbar LEDs eingelassen sind. Das Licht wird bis an die Kante geleitet, wo es als Strahlenkontur austritt. Halle 1.2 – B21

165


LICHT+BUILDING 2018

FREESTYLER Dreidimensionale Lichtskulpturen: Der Kölner Hersteller Buschfeld hat den klassischen Kronleuchter neu interpretiert. Sein modulares Lichtsystem Freestyler besteht aus additiven Schienen, die mit variablen Leuchtkörpern bestückt sind. Linear lassen sich Sternstrukturen oder Kuben formen; gebogen bilden sie Ringe, Bälle oder Ovale. Halle 1.2 – H50

LIGHTPAD TUNABLE Die Stehleuchte Lightpad Tunable von Regent bringt die positive Wirkung des Tageslichts direkt an den Schreibtisch. Eine eigens entwickelte App ermöglicht es, zusätzlich individuelle Farbverläufe einzustellen, die das Wohlbefinden steigern sollen. Halle 3.1 – C11

XY180 Bei dem Entwurf von OMA für Delta Light dreht sich alles um das Gelenk, das am Stab der Pendelleuchte sitzt. Daran befestigte diffuse LED-Röhren können um 360 Grad rotiert und bis zu 180 Grad geschwenkt werden. Halle 3.1 – B60

166


ARCHITEKTUR

LS 990 Ein Klassiker feiert Geburtstag: Seit 50 Jahren überzeugt LS 990 durch seine klare geometrische Form und ebene Fläche. Aufgrund der großen Bandbreite an unterschiedlichen Abdeckungen ermöglicht der Schalter von Jung nicht nur vielseitige Anwendungen. Auch seine zahlreichen Farbvarianten treffen immer den richtigen Ton. Halle 11.1 – B56

FLASH Entmaterialisierte Leuchte: Bei Flash von Davide Groppi wird das Licht selbst zu einem Gestaltungselement, das nicht nur den Raum beleuchtet. Die Deckenleuchte besteht aus einem neun Millimeter breiten Edelstahlband, das direktes und indirektes Licht in Form einer Lichtlinie ermöglicht. Halle 1.2 – C41

SKIM DOWNLIGHTS Die neuen Lichtwerkzeuge von Erco vereinen die Vorteile von Strahlern und Downlights. Zwei LED-Linsen sitzen in einem flachen Gehäuse, das an einem Adapter um 360 Grad drehbar montiert ist. An passenden Stromschienen kann es flexibel positioniert und immer wieder neu konfiguriert werden. Halle 3.0 – A10

167


LICHT+BUILDING 2018

MAMBA Effizient und vielseitig ist Mamba von Emiliana Martinelli für Martinelli Luce. Basierend auf drei verschiedenen Elementen, lässt sich das modulare Beleuchtungssystem an jede Raumsituation anpassen. Halle 1.1 – B41

CIRCULAR In zehn Farben strahlt nun die Serie Circular, für die der Schweizer Designer Jörg Boner das für Schätti Leuchten charakteristische Metallband zu einem runden konischen Leuchtenkopf geformt hat. Halle 1.2 – J18

168


ARCHITEKTUR

BINY

CARDAN EVOLUTION

Die von DCW éditions reeditierte Tischleuchte von Jacques Biny besitzt bewegliche Lamellen, mit denen das Licht auf die Lesefläche gerichtet werden kann. Halle 1.1 – C31

Brillante Akzentuierung dank Lightgroove: Mit seinem dreh- und kippbaren Einbau-Downlight bietet Zumtobel ein Beleuchtungssystem, das mithilfe einer Ausformung am Gehäuse die Selbstanstrahlung zu verhindern weiß. Halle 2.0 – B30/31 A30

TUBO Neuauflage eines Klassikers: 1984 ging Tubo aus einem Wettbewerb hervor, über 30 Jahre später wird der Entwurf von Jo Niemeyer in unverändertem Design von Belux produziert. Reduziert auf das Wesentliche, kommt die Tischleuchte ohne Gelenke aus und lässt sich dennoch durch ein einfaches Verschieben in Höhe und Winkel verstellen. Halle 3.0 – B61

169


LICHT+BUILDING 2018

GIRA S1 Rot wie ein Feuermelder gibt das neue Fernzugriffsmodul S1 von Gira ein klares Signal: Ich sorge für Sicherheit! Denn wo das Zuhause dank KNX zum Smart Home wird, muss auch der Schutz vor Hackerangriffen gewährleistet sein. Kameras, Heizung und Jalousien können einfach von unterwegs gesteuert werden, die Kommunikation ist dabei zuverlässig verschlüsselt. Halle 11.1 – B16/B32

170


ARCHITEKTUR

JACK O’LANTERN Wie aus einer Perlenzucht stammend wirken die Lichtkugeln von Lucie Koldova für Brokis. Mundgeblasen in Böhmen, werden sie von einem geometrischen Metallrahmen in der Schwebe gehalten. Halle 1.1 – D20

SETAREH Mit seiner Leuchte für FontanaArte versucht Francesco Librizzi dem Licht Körper zu verleihen. Dazu kommen mattweiße Glaskugeln zum Einsatz, die innerhalb einer filigranen Metallstruktur zarte Reflexionen erzeugen. Halle 1.2 – C31

LÖ Yann Kersalé hat für Sammode Studio eine Leuchtenreihe gestaltet, deren Namen Qinu, Qanik und Nilak auf den Quell seiner Inspiration hinweisen. Sie stammen aus der Inuitsprache und beschreiben verschiedene Arten von Eis. Die Lichtröhren selbst sind ausgeschaltet komplett verspiegelt, im Kern funkelt eine Prismafolie – was an Gletscher erinnern soll. Halle 5.1 – A40

171


Funktionelle Extravaganz: Sinnlich geformte Reflektoren lassen sich dank ihrer beweglichen Kugelgelenke in alle Richtungen drehen. Für die selten gewordenen Originale werden mittlerweile fünfstellige Summen geboten.

PORTRÄT

172


ARCHITEKTUR

HANDWERK ZWISCHEN VERNUNFT UND FOLIE — EIN BESUCH IM ATELIER EDITIONS SERGE MOUILLE

TEXT: JANA HERRMANN

FOTOS: EDITIONS SERGE MOUILLE

Wenige Leuchtendesigns verkörpern die Eleganz der Fünfzigerjahre so ikonisch wie die extravaganten Kreationen von Serge Mouille. In der französischen Provinz befindet sich eine Manufaktur, die die Entwürfe der Designikone originalgetreu nachbaut und in die ganze Welt exportiert. Irgendwo zwischen Paris, Reims, Weidewiesen und einer stark befahrenen Nationalstraße liegt die unscheinbare, zunächst etwas trist anmutende Fabrikhalle des familiengeführten Unternehmens Editions Serge Mouille. „Es soll hier ganz bewusst etwas schäbig aussehen“, sagt Geschäftsführer Didier Delpiroux entschuldigend, als wir nach zwanzigminütiger Autofahrt vom nächstgelegenen Bahnhof das Fabrikgelände erreichen – verständlich, denn schließlich werden hier jährlich ungefähr 2.000 Leuchtenmodelle nachgebaut. Zwar kosten die Wiederauflagen der Mouille-Leuchten bei Weitem nicht die fünfstelligen Summen, die mittlerweile für die selten gewordenen Originale im Auktionshandel gezahlt werden. Dennoch haben die nachgebauten Modelle im Retrolook, die oft wie wohlgeformte Brüste an filigranen Gliedmaßen aussehen, einen stolzen Preis – und werden folglich immer öfter und dreister kopiert. „Theoretisch müssten wir zwei Leute in Vollzeit einstellen, um gegen dieses florierende Business vorzugehen. Aber erstens haben wir dazu nicht die finanziellen Mittel“, ereifert sich Geschäftsführer Delpiroux, „und zweitens machen industriell produzierte Mouille-Kopien vom Fließband absolut keinen Sinn.“

Denn dem Perfektionisten Serge Mouille ging es nicht nur um ästhetisch-erotische Formensprache, sondern auch um maximale Funktionalität. Seine Leuchten sollten sich den Bedürfnissen ihrer Benutzer anpassen und Räume in Bewegung setzen. Dazu feilte er jahrelang wie besessen an der besten Technik für den idealen Lichteinfall, den er nur durch manuell gebogene Stahlstäbe und Reflektoren meinte erreichen zu können. Alle Halterungen und Messingschrauben müssen von technischer Raffinesse sein und von Hand eingesetzt werden, damit sich die Reflektoren in praktisch alle Richtungen drehen lassen. Und auch in farblicher Hinsicht hatte er klare Vorstellungen: Nur Schwarz wollte er verwenden, weil es am besten die Form betone. Nach diesen handwerklichen Prinzipien entwarf Mouille zwischen 1951 und 1963 insgesamt mehr als 50 Modelle. Seine Arbeiten wurden hauptsächlich in der avantgardistischen Galerie Steph Simon in Paris gezeigt, die auch Werke von Jean Prouvé, Isamu Noguchi, Pierre Chapo oder Charlotte Perriand vertrieb. Leinwandgrößen wie Yves Montand, Brigitte Bardot und Simone Signoret kamen häufig auf einen Drink vorbei, die Ausstellungseröffnungen waren bald gesellschaftliche Events. Später gerieten Mouilles Werke in Vergessenheit, bis ihn in den Neunzigerjahren einflussreiche Publikationen als einen „französischen Klassiker des 20. Jahrhunderts“ feierten und Galerien in Paris und New York Serge Mouille mit Ein-

173


PORTRÄT zelausstellungen ins Gedächtnis der Design-Enthusiasten und Sammler zurückriefen. Weil es jedoch schon damals nur noch wenige von den aufwendig hergestellten Originalen gab, bewilligte seine Witwe Gin die Wiederauflage der Kollektionen ihres 1988 verstorbenen Mannes und gründete die Manufaktur Editions Serge Mouille. Seit 1999 werden hier ausschließlich auf Bestellung Leuchten gebaut, die sich streng an den handwerklichen Prinzipien des Designers orientieren. „In unserem Atelier arbeiten keine ausgebildeten Silberschmiede, wie Mouille es war. Ich verlange auch keine be-

Ein absoluter Klassiker ist auch die sogenannte Spinnenleuchte Araignée, die Serge Mouille 1955 entwarf.

Saturne, die schwarze Tischleuchte, mit ihrem vierfüßigen Sockel.

174

stimmten Diplome oder Vorkenntnisse. Allerdings kann hier nur bestehen, wer eine gewisse Affinität und das notwendige Verantwortungsbewusstsein für die extrem präzisen Produktionsvorgänge besitzt“, erklärt Delpiroux die Zusammensetzung seines Teams. Didiers Zukunftsvision ist nicht innovativ, sondern traditionell. Sein Leitmotiv bleibt die strikte Weiterführung der künstlerischen Handschrift von Serge Mouille. „Natürlich berücksichtigen wir auch Sonderwünsche unserer Kunden. Aber wenn diese zu weit von Mouilles Vorstellungen abweichen, lehne ich sie ab, auch wenn wir den Auftrag dadurch verlieren. Da bin ich knallhart und mache keine Ausnahme. Selbst wenn morgen der französische Staatspräsident anrufen würde.“

www.sergemouille.com


18. – 23. März 2018 Halle 3.1 Stand C11

TOTALE FREIHEIT IN DER GESTALTUNG DES LICHTS. DIE FLEXIBLE WIGGLE. Ob als Pendel-, Decken- oder Wandanbauleuchte – die Wiggle passt sich dank der einzelnen Lichtelemente perfekt ihrer Umgebung an. So kann sie flexibel vor Ort jeder Gebäudeform angepasst werden oder als Lichtobjekt gestaltet werden. Die Länge lässt sich beinahe unbegrenzt erweitern. Selbst die Form – kontinuierliche Linie oder geschwungene Kurve – bestimmen Sie. Lassen Sie Ihrer Phantasie freien Lauf oder nutzen Sie die vorbereiteten Formvorlagen. www.regent.ch


BACKFLASH

KA E

alen

lsch

che

KR

ÜM

RT

Mus in B lrich

nU n vo eto her

Müt

176

MU

IE

NG

UL

EN

LK Die

Diese Hyparschale baute Ulrich Müther 1979-1980 nicht in der DDR, sondern im libyschen Tripolis als Eingang zum Planetarium Carl Zeiss Jena gemeinsam mit der Architektin Gertrud Schille.


MAGAZIN

177


BACKFLASH

Dieses „Raumschiff“ entstand 1981 als Rettungsstation der Strandwache in Binz. Seit 2006 geben sich Paare hier das Jawort. Foto: A. Jahnke

Der Teepott ist Postkartenmotiv und ikonisches Wahrzeichen von Rostock-Warnemünde. Trotzdem ist sein Erhalt nicht selbstverständlich. Foto: S. Gieratz

178


MAGAZIN

Die Kurmuschel in Sassnitz sieht auch von hinten gut aus. Sie wurde 1987 errichtet und wird aktuell saniert. Foto: S. Krumm

TEXT: DINA DOROTHEA FALBE

FOTOS: MÜTHER-ARCHIV, HOCHSCHULE WISMAR

Den ganzen Tag sind wir am Naturpark Jasmund entlanggese-

gebogenen Betonschale eines Projektes berechnen und auch selbst errichten. Den Ausbau übernahmen entweder bei ihm

gelt. Gerade wollen wir unsere Yacht bereitmachen, um in den Stadthafen von Sassnitz einzulaufen, und die elegante Kurmuschel zwischen Wald und Meer ist das erste Bauwerk, das wir von Sassnitz sehen. Die filigrane Betonschale fächert sich auf zwischen zwei gebauten „Perlen“, an die eine kleinteilige Pergola anschließt, um zwischen Park und Landschaft den Kurplatz zu markieren. Das freistehende Ensemble scheint genau die Eindrücke widerzuspiegeln, die wir in den letzten Stunden von der Küstenlandschaft Rügens gewonnen haben. Dass der Schöpfer der Kurmuschel, Ulrich Müther, der wohl bekannteste Bauingenieur der DDR, von dieser Insel stammt, scheint logisch. 1987 baute er sie mit dem Architekten Dietmar Kuntzsch. Muscheln am Ostseestrand sollen Müther inspiriert haben, die nur wenige Zentimeter dicken Hyparschalen aus Beton zu entwickeln, mit denen er international bekannt wurde – er baute in Tripolis, Havanna und Wolfsburg. Erfunden hat Müther diese moderne Konstruktionsweise nicht. Das erste Patent auf Stahlbetondächer in der Form von hyperbolischen Paraboloiden soll eine Avantgarde-Ingenieurin 1928 in der Sowjetunion angemeldet haben. Als Pionier gilt außerdem beispielsweise Félix Candela, der 1960 mit Mies van der Rohe eine Bacardi-Fabrik in Mexiko baute. Candela soll vom architektonischen Ausbau seiner Schalen als „Details“ gesprochen haben, die später „unabhängig von der Idee“ erfolgten. Auch Ulrich Müther war vor allem an der großen klaren Form interessiert, deren Berechnung er als Herausforderung ansah. Nicht zuletzt seine einzelgängerische, aber charismatische Art dürfte es Ulrich Müther ermöglicht haben, seine Unabhängigkeit als Ingenieur und Bauunternehmer gegen die Verstaatlichungstendenzen in der DDR zu verteidigen. 1934 in Binz geboren, hatte er dort 1956 den Betrieb seines Vaters übernommen. 1963 begann er, Hyparschalen zu bauen. Innerhalb von ein bis zwei Jahren konnte Müther das Tragwerk der mehrfach

angestellte Architekten oder externe Kollektive. Wenn die Erfahrungswerte nicht ausreichten, holte sich Müther Unterstützung von der TU Dresden, wo weitere Schalenexperten tätig waren. So gelangte er schon Ende der Sechzigerjahre als „Vater der Hyparschalen“ zu regionaler Berühmtheit. Obwohl der Rohbau in kurzer Zeit fertig wurde, mussten viele Arbeitsstunden in die komplexe Schalung investiert werden, dafür wurde nur wenig Beton benötigt. Das passte zu den wirtschaftlichen Gegebenheiten des real existierenden Sozialismus, wo Arbeitskraft eher verfügbar war als Baumaterial. Die auf klassischer Mathematik beruhenden Schalenkonstruktionen eigneten sich zudem hervorragend, um die wissenschaftlich-technische Fortschrittlichkeit der DDR auf ikonische Weise zu repräsentieren. Im Laufe seiner Karriere errichtete Ulrich Müther zahlreiche Sonderbauten wie Restaurants, Messehallen, Planetarien, aber auch futuristische Bushaltestellen. Müthers Schalen waren im Sozialismus zuhause, doch ihre Wirkung reichte über seine Grenzen hinaus. Mit seinem 1983 fertiggestellten Planetarium in Wolfsburg steht Müther in der Verlängerung der Porschestraße gewissermaßen in einer Linie mit Hans Scharoun, Alvar Aalto und Zaha Hadid. Ergeben hatte sich der Auftrag über die Zusammenarbeit mit dem ostdeutschen Erfolgskonzern Carl Zeiss Jena, der schon früher mit Ulrich Müther ein Planetarium in Cottbus gebaut hatte. Im Laufe der Achtzigerjahre entstanden unter Beteiligung Müthers weitere Planetarien im westlichen Ausland, denn das Devisengeschäft war lukrativ: Der Legende nach wurden aus Wolfsburg Tausende VW-Golf in die DDR geliefert. Eines der früheren Müther-Projekte ist der 1968 errichtete Teepott, der noch heute als Wahrzeichen von Rostock-Warnemünde gilt. Anstelle der ehemaligen Gaststätte betreibt heute eine Bäckereikette ein kleines Café, in dem man leider weder

179


BACKFLASH

Der Legende nach wurden aus Wolfsburg Tausende VW-Golf in die DDR geliefert.

den Ausblick zum Strand noch die spannende Dachkonst-

len Interessenten zugänglich. Mittlerweile scheint zumindest

ruktion erfahren kann. Wenig erinnert an die Großzügigkeit des ursprünglichen architektonischen Ausbaus. Obwohl der Umbau das Gebäude so zum Negativen veränderte, hatte ihm Müther 2002 zugestimmt. Vermutlich war er froh, dass der Teepott überhaupt stehen bleiben konnte – nach der Wende befand sich das Ansehen der DDR-Architektur auf dem Tiefpunkt. Im Jahr 2000 wurde die Großgaststätte Ahornblatt auf der Berliner Fischerinsel abgerissen. Was dort heute steht, reicht lange nicht an die architektonische Qualität der 1973 eröffneten Schalenkonstruktion von Ulrich Müther heran. Auch deshalb setzen sich Architekturfans heute verstärkt für den Erhalt dieser Bauten ein. Hyparschalen sehen eindrucksvoll aus, entsprechen jedoch nicht dem heute maßgeblichen Effizienzgedanken. Die einstigen Landmarken der DDR scheinen sich Profitdenken zu entziehen. Einige sind mittlerweile verschwunden oder durch fehlende Nutzungskonzepte gefährdet. Auch seine ikonische Stellung bewahrt den Teepott Warnemünde bis heute nicht vor Abrissgerüchten. Erst kürzlich berichtete die Lokalpresse, der Teepott sei „marode“. Das Tragwerk sei beim Umbau „durchtrennt“ worden. Wieder ist die Zukunft des Wahrzeichens ungewiss. Selbst in seiner Heimat, auf der Insel Rügen, war das Inte­ resse an Ulrich Müther und seinem Werk nach 1989 zunächst gering. Er selbst mietete für seinen Nachlass Räumlichkeiten in Prora an. Weil auch Adolf Hitler um die touristischen Qualitäten der Insel wusste, hatte er diese gigantische KDF-Ferienanlage in den Dreißigerjahren bauen lassen. Nach langem Leerstand und sporadischer Nutzung wurde vor einigen Jahren mit dem Umbau zu Luxuswohnungen begonnen. Müthers Nachlass musste die ohnehin zu feuchte Lagerstätte in Prora verlassen und wurde 2006, ein Jahr vor seinem Tod, von der Hochschule Wismar übernommen. Im dortigen Müther-Archiv sind heute die zahlreichen Pläne, Modelle und Akten al-

seine Heimatstadt Binz erkannt zu haben, was sie an Müther und seinem Werk hat: 2015 wurde ein Platz nach ihm benannt. Gerade auch die kleinen Objekte, von denen Müther auf Rügen einige schuf, werden heute wegen ihres ästhetischen Wertes geschätzt. Über den Binzer Dünen schwebt beispielsweise ein kleines Raumschiff, seit 2006 Außenstandort des Binzer Standesamtes. Müther hatte diese Rettungsstation der Strandwache 1981 gemeinsam mit dem Architekten Dietrich Otto errichtet. Im letzten Jahr ermöglichte die Wüstenrot Stiftung eine fachkundige Sanierung der Rettungsstation und auch der Kurmuschel in Sassnitz. So können diese beiden Kleinode den Naturgewalten weiterhin trotzen und bleiben zukünftigen Generationen als Ziel für romantische Abendspaziergänge erhalten.

180

Müther-Archiv Der berufliche Nachlass von Ulrich Müther umfasst mehrere tausend Originalpläne und Fotografien, Schriftgut, 30 Modelle, 270 Laufmeter Akten sowie technische Geräte und Mobiliar. Das Müther-Archiv an der Hochschule Wismar arbeitet daran, den kompletten Bestand öffentlich zugänglich zu machen. Bis Anfang 2020 soll die wissenschaftliche Aufbereitung abgeschlossen sein. www.muether-archiv.org


MAGAZIN Betonschalen von Ulrich Müther gehörten dazu, wenn Carl Zeiss Jena Planetarien exportierte. Im westdeutschen Wolfsburg feierte man 1983 Eröffnung.

181


INTERVIEW

182

Titus Schade in seinem Atelier in der Leipziger Spinnerei. Foto: Enrico Meyer


MAGAZIN

TITUS

SCHADE

Architektur kann einen emotionalen Raum ausbreiten

VON STEPHAN BURKOFF

183


INTERVIEW

Seine Bilder sind düstere und differenzierte Konstruktionen, die Rätsel aufgeben.

Die Wolkenausstellung, 2017, Öl und Acryl auf Leinwand, 30 × 40cm. Foto: Uwe Walter © der Künstler und courtesy Galerie EIGEN + ART Leipzig/Berlin, VG Bild-Kunst, Bonn 2018

Und doch möchte er, dass man sich mit ihnen wohlfühlt und in sie eindringt. Sie sind ein Abbild seiner selbst und sollen Begleiter sein. Ein Gespräch über Herkunft, zweidimensionale Architekturen und das Verhältnis zum eigenen Werk. 184


MAGAZIN Du bist in Leipzig geboren und aufgewachsen. Welche Rolle spielt deine Heimatstadt für dich? Ich bin sehr gern an dem Ort, an dem ich geboren wurde und aufgewachsen bin. Es ist wohl die ideale Mischung aus dem Metropolhaften und Kleinstädtischen, die Leipzig seinen speziellen Charme verleiht. Die Stadt hat neben ihrer langen Geschichte eine sehr dichte und lebendige Kunstszene, umrahmt von Institutionen wie der Hochschule für Grafik und Buchkunst, dem Museum der bildenden Künste, der G2 Kunsthalle, der Kunsthalle der Sparkasse oder auch der Galerie für zeitgenössische Kunst. Zudem bildet die Spinnerei als eine Art Stadt in der Stadt, wo Galerien und Ateliers verortet sind, einen wichtigen Impulsgeber. Heutzutage hat man außerdem die Möglichkeit, binnen Stunden jeden Ort dieser Erde zu erreichen, sodass es auch keinen Grund oder eine Notwendigkeit für einen dauerhaften Ortswechsel gibt. Wenn ich in Berlin, London oder New York bin, dann frage ich mich: Könnte ich hier permanent leben? Für einige Wochen oder Monate wäre das sicher möglich und auch spannend. Ich denke jedoch, dass ich mich durch die dort gegebenen Umstände zu sehr ablenken ließe und auf Dauer nicht wohlfühlen würde. Vielleicht würde die Konzentration auf die eigene Arbeit leiden. Leipzig ist für mich im Endeffekt ein sehr guter Ort, um zu leben und zu arbeiten. Du hast bei Neo Rauch studiert. Was war das Besondere daran? Manchmal ist es ja so, dass es gute Maler gibt, die aber im Akademischen keine guten Lehrerfiguren abgeben würden. Oder eben kompetente Lehrerpersönlichkeiten, die sich nicht durch ihr bildnerisches Werk auszeichnen. Bei ihm kamen jedoch beide positiven Eigenschaften zusammen. Abgesehen

von seiner Bekanntheit, die schon damals weit über Leipzig hinausgewirkt hat, ist er rein formal gesehen und ganz nüchtern betrachtet einfach ein sehr guter und vielseitiger Maler. So hatte man als junger Student ein Vorbild, an dem man sich malerisch abarbeiten wollte – was natürlich nicht immer einfach war und auch zu heiklen Ergebnissen führte. Mit seinem sehr guten Bildgedächtnis, also auch was ikonografische Dinge betrifft, und einer Fähigkeit, die eigene Fantasie in einen fremden Bildkosmos einzubringen, waren die Konsultationen bei ihm immer eine höchst spannende Angelegenheit. Mit dem Diplom war diese Episode dann erst einmal vorbei. Du warst aber noch als Meisterschüler bei ihm. Das war für mich vielleicht die wichtigste Zeit meiner malerischen Ausbildung, in der man die Möglichkeit hatte, zwei Jahre noch konzentrierter miteinander zu arbeiten. Nun waren statt 35 Studenten eben nur noch fünf Mitstreiter in der Klasse, und man konnte die Zusammenarbeit intensivieren und einen etwas kollegialeren Umgang miteinander pflegen. Was hat diese Zeit für dich bedeutet? Während der Meisterschülerzeit ist innerhalb meiner Arbeit das Thema der Zweidimensionalität gewachsen – wir sprechen von Malerei, insofern ist das alles zweidimensional, aber was ich meine, ist die Frontalität und das Flächenhafte. Das Bild innerhalb der Malerei als das zu reflektieren, was es ist: eine zweidimensionale Fläche, die trotzdem Raum und Tiefe suggerieren kann. Das war rückblickend eine sehr wichtige Zeit für mich. In welchem Verhältnis stehen für dich Werk und Künstler? Ich glaube, des Öfteren ist einem als Maler und Urheber des Ganzen gar nicht so genau bewusst, was man da eigentlich

macht. Was ich da mache – dieses geordnete Auftragen von Farbe auf die Leinwand – überrascht mich selbst auch immer wieder, vor allem wenn ich die Bilder dann schon nach kürzerer Zeit außerhalb meines Ateliers zu sehen bekomme. Zum Beispiel bei einer Präsentation in der Galerie stellt man mit einem etwas objektiveren Blick fest, was man da im letzten Dreivierteljahr geschaffen hat. Im Atelier stellt sich im Dialog mit den Bildern während des Arbeitsprozesses oft eine Gewöhnung im Blick auf sie ein. Sie hängen dann gewissermaßen noch an der Nabelschnur und sind wie Teile von einem selbst. Mit dem Verlassen der Atelierräume beginnt dann womöglich ihr Eigenleben. Dann hat dein Werk ein eigenes Wesen und gar nicht mehr so viel mit dir zu tun? Zum Teil – und das ist vielleicht auch ganz spannend, wenn es passiert. Wenn sich die Dinge verselbstständigen. Aber natürlich gibt es ganz viele Bilder, von denen ich sage, das sind Selbstporträts, auch wenn ich persönlich nicht auf ihnen erscheine. Ich begreife auch die Darstellung der Architektur an sich als Porträt, vor allem seitdem ich angefangen habe, die Figur aus den Bildern herauszulösen. Figuren sind gegenwärtig auf meinen Leinwänden nur noch als Abbild oder als Gemälde innerhalb des Gemäldes zu sehen. Aber trotzdem ist jedes Bild, das ich gemalt habe, natürlich immer in Teilen ein Porträt meiner selbst – vielleicht allein schon durch die Art und Weise des malerischen Vortrags. Was sagt das über dich? Ich hantiere in meinen Arbeiten mit Versatzstücken aus dem Empirischen – möchte aber eine in sich geschlossene Parallelwelt erzeugen, die sich von unserer loslöst und bestenfalls zeitlos darstellt. Ich versuche, Dinge zu kreieren und sie dabei auch zu kontrollieren, ähnlich

185


INTERVIEW

Modelltisch Windmühle, 2013, Öl und Acryl auf Leinwand, 100 × 80cm. Foto: Uwe Walter. © der Künstler und courtesy Galerie EIGEN + ART Leipzig/Berlin, VG Bild-Kunst, Bonn 2018

186


MAGAZIN wie ein Modellbauer, der die Weichen auf seiner Eisenbahnplatte stellt und Bäume und Häuser setzt. Weil man das in anderen Bereichen des Lebens nur schwer kann, suche ich die Ordnung wahrscheinlich in meinen Bildern. Vom Kauf der Materialien bis zur Übergabe an den Galeristen bin ich ja für alles zuständig und alleine verantwortlich. Alles geschieht durch meine eigenen Hände. Und es ist in der Malerei ja so, dass was und wie etwas abgebildet ist, immens mit seinem Urheber verbunden ist – wahrscheinlich wie in keiner anderen bildenden Kunstrichtung. Das bedeutet, du arbeitest allein? Ja, zumindest alles, was das Schaffen im Atelier betrifft. Ich kann mir das auch gar nicht anders vorstellen. Vielleicht würde ich mir, wenn ich es zeitlich nicht mehr schaffe, die Leinwände bauen und anliefern lassen. Aber da fängt es ja eigentlich schon an. Denn oft habe ich bereits einen Schwung im Pinselstrich der Grundierung und sehe darin schon einen bildnerischen Ansatz – gerade für freiere Kompositionen wie zum Beispiel die der Wolkenlandschaften. Zudem sind die Phasen des Leinwandbauens ein nicht unwichtiger Teil meiner Arbeit. Hier hat man Zeit zu kontemplieren, neue Ideen zu entwickeln. Während dieser handwerklichen Tätigkeit sammle ich Energie für neue Bilder. Ich wüsste also gar nicht, was jemand anderes für mich machen sollte. Erst recht nicht in der Malerei. Wie lange arbeitest du in der Regel an deinen Bildern? Das ist unterschiedlich. Sie entstehen in Gruppen. Es kann also sein, dass Bild eins, mit dem ich beginne, als Letztes fertig wird – was schon ein halbes bis Dreivierteljahr dauern kann. Nun, wenn ich an einem Einzelbild arbeiten würde, wäre das sicherlich zwischen

drei und vier Wochen fertig. Aber oft ist es so, dass meine Bilder eben miteinander entstehen. Was auch von großem Vorteil ist, weil sie alle beieinander sind und sich zusammen entwickeln. Die Malerei ist ein sehr langsames Medium, und man hat so den Korrekturabgleich.

ein guter Begleiter für sie war. Für mich sind es auch schöne Momente, wenn man von Sammlern eingeladen wird und einem eigene ältere Arbeiten dort begegnen, welche man lange nicht gesehen hat, und sie einem vielleicht schon etwas fremd geworden sind.

Ein normaler Arbeitstag von Titus Schade? Also ich bin kein Maler, der erst spätabends ins Atelier kommt und erstmal eine Flasche Rotwein öffnet und wartet, bis ihn die Muse küsst. Aber ich bin auch nicht derjenige, der morgens um sieben anfängt zu arbeiten. Das Ganze spielt sich in der Mitte ab. Am Vormittag gibt es die Gelegenheit, alles Organisatorische zu erledigen, E-Mails und so weiter. Gegen Mittag fahre ich in die Spinnerei, esse etwas, gehe vielleicht in die Galerie, wenn es etwas zu besprechen gibt, und dann beginnt die eigentliche Atelierarbeit. Da geht es dann von der ersten Minute an los, so lange, bis sich das Gefühl einstellt, das Tagesziel erreicht zu haben. Die Arbeitswoche erstreckt sich von Montag bis Freitag. Das Wochenende ist heilig und sehr wichtig, um den Abstand zur Arbeit zu finden und zu wahren.

Das Bild hat also sein eigenes Leben. Ja, im Idealfall. Die Betrachtung der eigenen Arbeit mit zeitlichem Abstand ist eine interessante Angelegenheit. Denn das Bild kann „älter“, „klüger“ oder „reifer“ sein, als man selbst zu dem Zeitpunkt seiner Entstehung war – oder vielleicht sogar jemals sein wird. (lacht) Und manchmal stellt man sich beim Betrachten einer älteren Arbeit, die man länger nicht gesehen hat, die Frage: Wie habe ich das damals nur gemacht und diesen oder jenen Ansatz überhaupt gefunden? Wie war ich in der Lage, das zu jener Zeit mit meinen malerischen Mitteln zu lösen? Mit zeitlichem Abstand und einem objektiveren Blick kann die eigene Arbeit einen also selbst sogar staunen lassen.

Interessiert dich, wer deine Werke kauft? Das ist schon wichtig. Wenn es jemand wäre, der mir persönlich vollkommen unsympathisch wäre, zum Beispiel aus politischer Sicht, dann würde mir das wahrscheinlich nicht so sehr gefallen. Ich freue mich immer, die Sammler meiner Arbeiten kennenzulernen und mit ihnen zu sprechen. Es ist auch schon vorgekommen, dass jemand Jahre zuvor ein Bild von mir über die Galerie gekauft hat und ich ihn dann erst viel später traf. Dann ist es schön, wenn man von den Käufern hört, dass sie immer noch glücklich mit der einst erworbenen Arbeit sind, und man spürt, dass das Bild bis dato

Deine Werke wirken oft sehr düster. Bist du eigentlich ein positiv denkender Mensch? Ich glaube schon, dass ich eher ein Optimist bin. Natürlich habe ich auch meine melancholischen Anwandlungen und ich bin jemand, der mit Bedacht an die Dinge herangeht – also auch in der Malerei. All das fließt natürlich in meine Bilder ein. Ich fühle mich zu diesen obskuren Lichtverhältnissen auch hingezogen, weil Inszenierungen innerhalb der Dunkelheit ihren besonderen bildnerischen Reiz haben. Lichtspiele, wie man sie aus der barocken Chiaroscuro-Malerei kennt.

187


INTERVIEW

Der Schacht, 2011, Öl und Acryl auf Leinwand, 60 × 80cm. Foto: Uwe Walter © der Künstler und courtesy Galerie EIGEN + ART Leipzig/Berlin, VG Bild-Kunst, Bonn 2018

Lass uns mal über Architektur sprechen. Sie spielt in deiner Arbeit eine besondere Rolle. Welche Kraft geht für dich von der gebauten Umwelt aus? Architektur ist für mich etwas, das schon immer da war. Menschen kommen und gehen, aber bestimmte Gebäude überdauern Generationen. Und das ist eigentlich das Besondere daran. Genau wie bei guten Kunstwerken, im Idealfall sind sie omnipräsent. Gute Architektur, monströse Bauten, ein kleines Fachwerkhaus, diese Dinge überdauern weite Zeiträume, vielleicht bis hin zur Ewigkeit. Und sie bieten natürlich auch Möglichkeit und Anlass zur malerischen Hingabe. Architektur und Perspektive dienen mir dazu, innerhalb des Bildes Raum zu erzeugen, eine Szenerie zu schaffen, in die sich der Betrachter bestenfalls hi-

188

neingezogen fühlt. Die Architektur ist ein Thema, das mich nicht loslässt. Sie kann Emotionen transportieren und einen emotionalen Raum ausbreiten. Warum Fachwerk? Vielleicht weil es in meinem Leben bis dahin eine Unterversorgung an Fachwerk gab. (lacht) Es spielt auch eine Rolle, wie man mit der einzelnen Architektur umgeht. Zum Beispiel existiert bei einem Fachwerkhaus eine gewisse Erwartungshaltung, wie es gemalt sein sollte, nämlich vielleicht eher in einer lockeren, althergebrachten Malerei. Der Reiz liegt vielleicht darin, dieses Sujet in eine zeitgemäße Übersetzung zu bringen, zum Beispiel aus Farbverläufen bestehend, geometrisch akkurat, in Verbindung mit Betonbauteilen. Also eine Erwartungshaltung des Betrachters zu unter-

wandern, sodass plötzlich etwas ganz anderes entsteht. Ausgehend von der Perspektive, die es einem ermöglicht, dem Betrachter einen Raum zu öffnen, war die Architektur für mich schon immer ein wichtiger Ankerpunkt im Bild, auch um Dinge zu ordnen. Und eine Fassade in sich noch einmal zu unterteilen und zu strukturieren, ist aus formaler Sicht einfach reizvoll. Dazu kommen auch ornamentale Aspekte, die interessant sind. Fachwerkhäuser erscheinen mir immer ein wenig tempelhaft oder gar sakral. Welche Architektur interessiert dich abseits deiner Arbeit? Was in der Neuzeit an Architektur entstanden ist beziehungsweise entsteht, betrachte ich oft sehr kritisch. Gerade in Großstädten gleicht sich heute vieles. Für mich


MAGAZIN

Das Depot, 2014, Öl und Acryl auf Leinwand, 110 × 200cm. Foto: Uwe Walter. © der Künstler und courtesy Galerie EIGEN + ART Leipzig/Berlin, VG Bild-Kunst, Bonn 2018

zeichnet sich besonders Gründerzeitarchitektur, die sehr vom Klassizismus geprägt ist, durch harmonische Proportionen und wunderbare Baumaterialien aus. So etwas findet man gegenwärtig höchst selten. Gerade was in den frühen Neunzigern in Leipzig gebaut wurde, sind oft schlimme Objekte, wo man sich fragt, wer das geplant und wer das genehmigt hat. Auch mit zeitgenössischer Architektur tue ich mich oft schwer. Aber auch da gibt es natürlich Ausnahmen. Was trennt die Kunst von der Architektur und was verbindet sie? Architektur kann natürlich auch kunstvoll sein. Und gut gemachte Architektur ist für mich auch immer ein Kunstwerk. Sie tritt dann über den reinen Zweck hinaus und ist Baukunst.

Wenn du dir wünschen könntest, in einer anderen Epoche zu leben, welche wäre das? Vielleicht im 19. Jahrhundert, in der Zeit der Romantik. Aber eigentlich interessiert mich an jeder Epoche irgendetwas. Mich faszinieren das alte Rom genauso wie die Biedermeierzeit, die Weimarer Republik oder die Achtzigerjahre … Wobei die Lebensqualität in den einzelnen Epochen doch sehr schwankt. Ich denke, jede Epoche hat etwas Spannendes. Das zeigt sich meist erst mit ausreichend zeitlichem Abstand. In 500 Jahren wird man vielleicht wehmütig auf unsere Zeit zurückblicken oder aber sagen, die Menschen dort haben im tiefsten Mittelalter gehaust, und es war düster – voll roher Gewalt. Wenn es uns dann noch geben sollte.

Titus Schade wurde nicht nur 1984 in Leipzig geboren, er hat dort auch an der Hochschule für Grafik und Buchkunst bei Neo Rauch Diplom gemacht, dessen Meisterklasse besucht und lebt und arbeitet heute noch in der Stadt. Mit seinen Arbeiten wird Schade von der Galerie Eigen+Art (Berlin, Leipzig) vertreten. Neben der Malerei hat Titus Schade kürzlich sein erstes Bühnenbild realisiert. Das Stück Wolken.Heim von Elfriede Jelinek ist im Schauspiel Leipzig zu sehen. www.titus-schade.de www.eigen-art.com www.schauspiel-leipzig.de Instagram: @titusschade

189


FOLGE 5

Moden von gestern

DER KAFTAN VON ANNE WAAK

Zu den hartnäckigsten Irrtümern der Mode gehört der Glaube, Frauen hätten erst auf das Signal von Marlene Dietrich hin damit begonnen, Hosen zu tragen. Der andere ist, Männer in Röcken seien eine Erfindung überspannter Feministen. Es stimmt, dass die französische Regierung erst 2013 ein Gesetz aufhob, das es Frauen in Paris seit dem Jahr 1800 verboten hatte, Hosen zu tragen – aus Angst, sie könnten während der Französischen Revolution als Männer verkleidet in den Straßenkampf ziehen. Aber lange Frauenbeinkleider sind seit Beginn der christlichen Zeitrechnung belegt, die pludrige sogenannte Haremshose ist auch schon etwas länger bekannt. Dort, wo diese herkommt, liegt auch der Ursprung des Kaftans. Wobei das aus dem Persischen stammende Wort, das dann ins Türkische und von dort als „chaftân“ ins Arabische übernommen wurde, ein Sammelbegriff ist für eine Reihe von verschiedenen Gewändern: Die ägyptische Dschallabija ohne Kragen und mit weitem Rock etwa wird von beiden Geschlechtern getragen. Je nach Jahreszeit ist die Männerversion aus leichten und hellen oder dunkleren Wollstoffen gefertigt. Die aus den Maghreb-Staaten stammende Djellaba dagegen hat eine Kapuze. Die kann einen in europäischen Augen schnell ein wenig beängstigend aussehen lassen: wie Gevatter Tod. Prominentester Träger des oft festlich glitzernden Unisex-Gewands ist der marokkanische König Mohammed VI. In den Vereinten Arabischen Emiraten und dem Oman heißt das meist schwarze Frauengewand Abaya, das für Männer wird Kandora oder Dishdasha genannt. Die Sommerkandora ist meist weiß oder pastellfarben, hemdartig, aber ohne Kragen, und kann bis auf den Boden reichen. Die an der Knopfleiste angebrachte Quaste, eine Art orientalische Krawatte, wird gern parfümiert. Außer bei Nachtclub- und Auslandsbesuchen ist die Kandora von Kindesbeinen an die Uniform der männlichen Emiratis. Mit dem Islam haben alle diese Kleider weniger zu tun als mit dem Klima. Wer einmal bei 42 Grad von der Wüstensonne gegrillt wurde, weiß, welch gute Idee da ein möglichst körperbedeckendes, aber luftiges Gewand ist. Dass es vor allem wenig Haut zeigt, machte es aber auch in einem anderen Kontext erfolgreich: Im Mittelalter und teilweise bis ins 18. Jahrhundert hinein war der Kaftan das typische

190


MAGAZIN Kleidungsstück der Ostjuden, bei den orthodoxen Vertretern ist er es bis heute: Die chassidischen Männer tragen knielange schwarze „Rekl“ (im jiddischen Wort ist noch der „Rock“ sichtbar) mit doppelter Knopfreihe, wobei die rechte Seite über die linke geknöpft wird, darunter die zuletzt im 19. Jahrhundert populären Knickerbocker – was ja das Zeitalter ist, in dem die Chassidim beschlossen haben zu verweilen. Wie auch bei den Frauen zeigt sich die Gottesfurcht in der Züchtigkeit des Kleids. Ihren Ursprung haben alle Kaftan-Varianten des Nahen Ostens in der Antike: Sie stammen von der römischen Tunika ab. Auch dieses Hemdgewand wurde von beiden Geschlechtern aller gesellschaftlichen Schichten getragen, je nach Stand mehr oder weniger verziert. Anfangs aus Wolle, wurde es ab dem 3. Jahrhundert aus Leinen gewebt. Der Schnitt war denkbar einfach: Ein Vorder- und ein Rückenteil wurden an den

Foto: Jil Sander Fashion Show, SS 2018

Schultern und an den Seiten zusammengenäht, oben blieb ein Schlitz offen, durch den der Kopf gesteckt wurde. Die Männertunika ging anfangs bis zum Knie, bei den Frauen war sie etwas länger. Dazu trug man außerhalb des Hauses Gürtel, Togen und Stolen. Erst durch den orientalischen Einfluss setzten sich Ärmel durch; wenn es kühl wurde, zog man zwei oder drei Tuniken übereinander. Ab dem 4. Jahrhundert war das Kleidungsstück im Christentum angekommen, als Talar mit langen Ärmeln. Geografisch gesehen verbreitete sich der Kaftan im späten Mittelalter westwärts, vom Osmanischen Reich aus über Russland, Polen und Ungarn. Das reduzierte Kleid, das die Designer Lucie und Luke Meier vom Label Jil Sander für den kommenden Sommer empfehlen, erinnert gleichzeitig an ein crispy Herrenhemd und ein asketisch-religiöses Kleid. Es hat etwas Archetypisches und wirkt doch sanft futuristisch. Vielleicht kann man es sich deshalb genauso gut im Kreativbüro wie in sandig-sonniger Umgebung vorstellen, an ihr und ihm, heute und in vielen Jahren noch. Es lässt sich kaum ein universelleres Kleidungsstück denken als das Hemdgewand.

Anne Waak schreibt unter anderem für Monopol und Welt am Sonntag über Kunst, Kultur und Gesellschaft; sehr gern auch über Mode. Zusammen mit Annika von Taube und Holm Friebe veranstaltet sie das Talk-Format NUN – Die Kunst der Stunde.

191


MIT A NACH B

MIT DEM PANAMERA Letztes Mal bekamen wir für diese Kolumne ein japanisches Fahrrad vor die Tür gestellt, diesmal war es ein deutsches Auto, und zwar nicht irgendeines, sondern ein Porsche. Kein 911er, sondern ein neuer Panamera. Das muss man dazusagen, denn der seit 1963 gebaute, immer nur schrittweise veränderte 911er ist mittlerweile ja so etwas wie ein Nationalheiligtum geworden, besonders die älteren Modelle werden inzwischen sogar von Leuten, denen Autos egal sind und die Typen in Sportwagen eher nicht mögen, als Kulturgut betrachtet und nicht als ärgerliche Quelle von Krach, Tempo und übersteigertem Selbstbewusstsein: Niemand hat etwas gegen den 911er, so wie niemand sagt, das Bauhaus sei viel zu klinisch und zu weiß und müsse mal abgerissen und durch etwas Schwungvolleres ersetzt werden. Die Form des 911ers gibt es jetzt über ein halbes Jahrhundert lang – auch weil die Fans sie mit lautem Protestgeheule gegen alle sanften Neuerungen verteidigten: Das war so, als 1974 die Faltenbalg-Stoßstangen eingeführt wurden, um amerikanische Crashtest-Bedingungen zu erfüllen, das war nicht anders, als der Designer Harm Lagaay 1994 beim 993er-Modell das 911er-Gesicht mit Polyellipsoid-Scheinwerfern liftete – und das war erst recht so, als

192

beim 996er gleichzeitig Luftkühlung und Rundscheinwerfer verschwanden. Gestresste Elfer-Fans eilen bei der Vorstellung jedes neuen Modells hektisch um das Auto herum und schauen, was man ihnen diesmal genommen hatte: Zündschloss links vom Lenkrad, zentraler Drehzahlmesser, alles da ... Aber die Handbremse ist weg! Andererseits gäbe es Porsche längst nicht mehr, wenn sie immer nur den 911er gebaut hätten. Die Marke lebt mittlerweile von den Geländewagen Cayenne und Macan (ausgesprochen „MaKKan“, nicht „Marzahn“ wie das Problemviertel in Berlin) und auch von der Limousine Panamera, die, obwohl sie vier Türen hat, das ist, was man einen GT nennt: ein hochmotorisierter Grand Tourer, ein Reisewagen mit Platz für das nötige Gepäck, das man für ein paar Wochen Ferien braucht, und Platz für die Freunde, die sich im Hafenlokal zu sehr betrunken haben, um mit ihrem eigenen Wagen zurück zum Hotel zu fahren. Für beides ist in einem 911er eher wenig Raum. Der erste Panamera, der 2009 erschien und Platz für vier Leute und vier Golfbags haben und damit der S-Klasse von Mercedes Kunden abjagen sollte, sah aus wie ein 911er, der einen mittelgroßen Wal verschluckt hat. Es war bestimmt ein gutes Auto, aber die Leute kicherten, wenn ein Panamera vorfuhr,

oder sie schüttelten den Kopf, oder sie hatten Angst, dass eine Wasserfontäne aus seinem buckligen Rücken schießen und jaulender Gesang aus seiner Motorhaube dringen würde. Nur ein paar HipHopper mit dicken Goldketten mochten den Panamera wirklich, gerade weil er fett war, und widmeten ihm Songs wie den „Panamera Flow“. Jetzt taten sie bei Porsche etwas designpolitisch sehr Geschicktes: Sie machten den 911er ein bisschen bulliger und den Panamera deutlich eleganter, weswegen er nun, obwohl er den Motor vorn hat und nicht hinten wie der 911er, wie dessen viertürige Version aussieht, und zwar so überzeugend, dass der erste Porschefan, den wir beim Beladen des Wagens trafen, geradezu entgeistert in den Kofferraum starrte; er dachte, es handele sich um einen 911er, und er hatte sich auf den Anblick des Motors gefreut. Stattdessen war dort nur ein großer Reisekoffer, denn wenn man einen GT hat, muss man reisen, deswegen ist der Wagen bei aller Dekadenz auch ökologisch zu rechtfertigen, denn man dieselt ja nicht jeden Tag damit zur Arbeit, dafür ist er viel zu schade und zu breit, man stellt ihn


MAGAZIN

ZUR VILLA MALCONTENTA

sich als Skulptur in die Garage und holt ihn für besondere Momente heraus. Zum Beispiel für eine klassische Bildungsreise; seit der Renaissance, vor allem aber seit dem 18. Jahrhundert gingen Fürsten und Dichter, Adlige und wohlhabende Bürger auf diese „Grand Tour“, denn das Ideal des britischen Gentleman setzte nicht nur Vermögen, sondern auch die Kenntnis von wichtigen Kunstwerken voraus – und so reisten vor allem junge Engländer quer über den Kontinent und durch Europa, um antike Bauwerke und Denkmäler zu besichtigen und am Ende ein weltläufiger Gentleman zu werden oder auch eine Gentle Dame wie Marguerite Countess of Blessington, die mit einer doppelt gefederten Kutsche mit Toilette, Küche und Bibliothek an Bord Richtung Mittelmeer rumpelte. Das taten wir auch, nur schneller; der Porsche rauschte lautlos wie ein Messer durch warme Butter quer

durch VON NIKLAS MAAK Frankreich Richtung Mittelmeer, schon am Nachmittag erreichten wir das Hotel Belles Rives am Boulevard Edouard Baudoin in Juan-les-Pins. Der Schriftsteller F. Scott Fitzgerald, Autor des Great Gatsby und von Zärtlich ist die Nacht, der seinen Wohnsitz zu Beginn der Zwanzigerjahre nach Frankreich verlegt und sein Leben in eine dauerhafte Grand Tour verwandelt hatte, residierte einst hier, deswegen trägt die Bar seinen Namen, er hat hier Geld im Gegenwert eines Porsche gelassen. Gekommen war er damals mit einem baufälligen Renault Cabrio, das sein Stoffdach irgendwo verloren hatte und nicht ersetzt bekam, weil Fitzgeralds Frau Zelda Dächer unsinnig fand; weswegen Fitzgerald und Hemingway, als sie den Wagen zurück nach Paris fuhren, ordentlich nass wurden, wie Hemingway in Paris, ein Fest fürs

Leben beklagt. Wir saßen auf der Terrasse. Es wurde Nacht, Zikaden zirpten, ein Mofa knatterte vorbei, ein verwitterter Kellner brachte Drinks, die Bucht glitzerte. In der Ferne funkelte ein grünes, schimmerndes Licht so, als hätte Fitzgerald es dort persönlich aufgestellt. „So we beat on, boats against the current“ ... Das Wasser schwappte auf den kleinen Strand, der Panamera stand vor dem Hotel, dessen blaue Leuchtschrift sich in einer Pfütze spiegelte und dort zu

193


MIT A NACH B unterhaltsamen Arabesken zerlief; der Motor knisterte noch leicht von der Schussfahrt ans Meer. Am nächsten Tag fuhren wir nach Venedig, am Meer entlang durch die vielen kurzen Tunnel bei Menton, die ein ChiaroscuroGewitter über dem Wagen niedergehen ließen und in denen sich das sonore Röhren des Motors auf Formel-1-Lautstärke verstärkte (damit wird es auch vorbei sein, wenn alles elektrifiziert wird). Schließlich erreichten wir die Villa Foscari, die auch La Malcontenta genannt wird und einer der schönsten

konnte man genau erkennen, obwohl er nichts sagte) schon den demütigenden Moment auf sich zukommen, wo er mit der Aufgabe betraut werden würde, Bretter unter die Räder zu legen, schlammige Grasfladen aus dem Radkasten zu entfernen, schließlich einen Bauern mit Traktor zu rufen, um dann lehmverschmiert wie ein geschlagener Krieger vor die Palladio-Villa und ihre Bewohner, die reizende Familie Foscari zu treten. Jetzt aber zeigte sich, dass der Panamera sich wie die Monster aus den

knirschenden Kies der Malcontenta. Im Prinzip sind die Villa, die die Bautypologie des antiken Tempels und den monumentalen Sockel mit ganz neuen Proportionen und Raumprogrammen kombiniert, und der Panamera sich auf eine gewisse Weise ähnlich – nicht weil der so groß und schwer wie eine motorisierte Villa ist, sondern weil auch die Designer von Porsche einen Job haben, den man mit dem eines griechischen Tempelbauers oder eines Renaissancearchitekten vergleichen kann: Die bekannte Form mit Säulen und Tympanon muss erhalten bleiben, die Kunst liegt darin, den Urtyp so zu verwandeln, dass

Foto: Niklas Maak

er irgendwie mit neuen Proportionen und Details überrascht. Am nächsten Tag nahmen wir den Bus zur Piazzale Roma und dort eines der ächzenden, überfüllten Vaporetti, die über den Canal Grande Richtung Giardini schwankten, und nur der Zündschlüssel in der Hosentasche, der die Form eines abstrahierten Porsche hat, erinnerte noch an eine Welt, in der es statt Fußgängern und Gondeln, statt Gassen und Kanälen Straßen gibt.

Palladio-Bauten ist. Das heißt, fast hätten wir sie nicht erreicht, denn die Zufahrt führt über einen zugewucherten Feldweg, von dem aus wir leider nicht zur Malcontenta abbogen, sondern in einen noch zugewucherteren Feldweg, der in einer sehr matschigen Wiese am Kanal endete. Das Display hinter dem Lenkrad wurde schwarz, es erschien die Mitteilung „Aktuelle Position: Offroad. Zielführung nicht aktiv“, was in einem Sportwagen unbedingt als eine letzte Warnung des Autos an den Fahrer zu verstehen ist. Der Mitfahrer schaute angstvoll aus dem Fenster, er sah (das

194

Metamorphosen des Ovid verwandeln kann: Auf Knopfdruck fuhr die Karosserie so weit in die Höhe, wie es früher nur Citroëns konnten, und erhob sich majestätisch aus dem Matsch, der Panamera schleuderte jetzt mit seinen vier angetriebenen Rädern Lehm in alle Richtungen wie eine feine Dame, die sich plötzlich zu einer Runde Schlammcatchen entschieden hat, und wo normale Kleinwagen jämmerlich versunken wären, wühlte sich der Wagen anstandslos auf den rechten Pfad zurück, kürzte über einen manikürten Rasen ab und parkte bald ungerührt auf dem

Niklas Maak schreibt für das Feuilleton der FAZ und ist ein passionierter Autofahrer. Seine Kolumne Mit A nach B verbindet Architekturkritik mit Automobilexpertise. Seine letzten Buchveröffentlichungen sind Durch Manhatten, mit Leanne Shapton (Hanser) und Eurotopians – Fragmente einer anderen Zukunft, mit Johanna Diehl (Hirmer).


W

KO E LT R E

RD!

te elleuch g te Pend ß un g rö ti g r ... für die , eine Maßanfe ) m ,1 (Ø 12 ctral rke Spe der Ma

Spectral – eine Marke der RIDI Group www.spectral-online.de Light + Building 18. – 23.03.2018 Halle 3.1/E71


KALENDER

MUST SEE Akoaki, The Mothership, mobile DJ-Kanzel, Detroit, 2014 © Anya Sirota und Jean Louis Farges, in Zusammenarbeit mit Bryce Detroit

Design 10. November 2017 bis 16. September 2018 Hella Jongerius & Louise Schouwenberg – Beyond the New Die Neue Sammlung – The Design Museum, Pinakothek der Moderne, München www.die-neue-sammlung.de 23. November 2017 bis 6. Mai 2018 Jasper Morrison. Thingness GRASSI Museum für Angewandte Kunst, Leipzig www.grassimuseum.de 21. Januar bis 1. April 2018 Mies van der Rohe. Stuhl und Sessel Mies van der Rohe Haus, Berlin www.miesvanderrohehaus.de 2. März bis 3. Juni 2018 Hans J. Wegner: Designing Danish Modern Vitra Design Museum, Schaudepot, Weil am Rhein www.design-museum.de 17. März bis 1. Juli 2018 #alleskönner Peter Behrens zum 150. Geburtstag Museum für Angewandte Kunst Köln www.makk.de

196

17. März bis 9. September 2018 Night Fever. Design und Clubkultur 1960 – heute Vitra Design Museum, Weil am Rhein www.design-museum.de 21. März bis 29. April 2018 Abschlusswochen „open house“ Bauhaus-Archiv, Berlin www.bauhaus.de 17. bis 22. April 2018 Salone del Mobile Milano www.salonemilano.it 1. Mai 2018 bis 1. Mai 2019 Power of Design – Design of Power 12 Interventionen in Zusammenarbeit mit Friedrich von Borries Die Neue Sammlung – The Design Museum Pinakothek der Moderne München www.pinakothek.de

Night Fever in Weil am Rhein Die Avantgarde geht tanzen! Dem Club als Gesamtkunstwerk widmet sich in diesem Jahr das Vitra Design Museum – mit einem Ausstellungstitel, der sofort für einen Ohrwurm sorgen dürfte. Zu sehen sind italienische Clubs im Radical Design der Sechzigerjahre, das Studio 54, in dem Andy Warhol in den Siebzigern Stammgast war, aber auch der New Yorker Nachtclub Palladium von Arata Isozaki, der Mitte der Achtziger eröffnete, bis hin zum Berghain, das seit 2004 die Partytouristen nach Berlin lockt. Nicht zu vergessen das visionäre Clubkonzept von OMA für ein neues Ministry of Sound in London: From Disco to Disco eben, um mit Whirlpool Productions für einen zweiten Ohrwurm zu sorgen. 17. März bis 9. September 2018


MAGAZIN

© OMA

Palermo Atlas OMA kuratiert die 12. Manifesta. OMA-Partner Ippolito Pestellini Laparelli will die Manifesta von einer reinen Kunstbiennale in eine Plattform für soziale Veränderungen und urbanistische Studien verwandeln. Sein Team arbeitet mit dem Palermo Atlas an einer langfristig geplanten urbanistischen Studie über die italienische Hafenstadt, die „als ein Knotenpunkt innerhalb eines großen geografischen Netzwerksystems funktioniert.“ Unterstützt wird Laparelli von der niederländischen Filmemacherin Bregtje van der Haak, dem spanischen Architekten Andrés Jaque sowie der Schweizer Kunstkuratorin Mirjam Varadinis. 16. Juni bis 4. November 2018

Architektur 9. November 2017 bis 2. April 2018 SOS Brutalismus – Rettet die Betonmonster Deutsches Architekturmuseum, Frankfurt am Main www.dam-online.de 2. Dezember 2017 bis 6. Mai 2108 Bengal Stream. The Vibrant Architecture Scene of Bangladesh S AM Schweizerisches Architekturmuseum, Basel www.sam-basel.org 21. Januar bis 1. April 2018 Mies – Sitzen und Liegen 01: Peter Piller. TABLE ROWING Mies van der Rohe Haus, Berlin www.miesvanderrohehaus.de 10. Februar bis 29. April 18 Trix & Robert Haussmann The Log-O-Rithmic Slide Rule: A Retrospective KW Institute for Contemporary Art, Berlin www.kw-berlin.de 24. Februar bis 5. August 2018 Bas Princen. Image and Architecture Vitra Design Museum, Weil am Rhein www.design-museum.de

3. März bis 31. Dezember 2018 Ideales Wohnen Museum für Gestaltung – Schaudepot, Zürich www.museum-gestaltung.ch 8. bis 10. März 2018 Turn On ORF RadioKulturhaus, Wien www.turn-on.at 18. bis 23. März 2018 Light+Building 2018 Frankfurt am Main light-building.messefrankfurt.com 24. März bis 13. Mai 2018 Große Oper – Viel Theater? Bühnenbauten im europäischen Vergleich Deutsches Architekturmuseum, Frankfurt am Main www.dam-online.de 17. April bis 28. Mai 2018 Die Stadt des Kindes: Vom Scheitern einer Utopie Architekturzentrum Wien www.azw.at

26. April bis 10. Juni 2018 Kleine Häuser – großes Thema Haben Einfamilienhausgebiete eine Zukunft? Architekturgalerie am Weißenhof, Stuttgart www.weissenhofgalerie.de 6. Mai 2018 Danish Architecture Centre Eröffnung des Neubaus von OMA Kopenhagen www.dac.dk 26. Mai bis 25. November 2018 Architekturbiennale in Venedig www.labiennale.org 16. Juni bis 4. November 2018 Manifesta 12 Palermo Atlas by OMA Orto Botanico, Teatro Garibaldi und andere Orte in Palermo m12.manifesta.org 23. und 24. Juni 2018 Tag der Architektur 2018: Architektur bleibt Bundesweit www.tag-der-architektur.de

197


TITEL KALENDER

QUARTERLY

Multiversum in Zürich Alicja Kwade ist skeptisch. Die Künstlerin hinterfragt unsere Realität und träumt von Parallelwelten. Das Museum Haus Konstruktiv bespielt die junge Bildhauerin und Konzeptkünstlerin nun mit einer Einzelausstellung, in der eine begehbare Gitterstruktur im Zentrum steht. Innerhalb dieses Multiversums schweben massive Natursteinkugeln unterschiedlicher Größe, die von verschiedenen Kontinenten stammen. Das Gestein mit seinen unterschiedlichen Schichten, die sich über mehrere Millionen Jahre gebildet haben, wird zu einer Art Zeitskala. LinienLand spielt mit den Überlegungen von Kwade zu Raum, Schwerkraft und Zeit. Bis zum 6. Mai 2018

Kunst 8. September 2017 bis 4. März 2018 Fort: Limbo Langen Foundation, Neuss www.langenfoundation.de

11. Februar bis 25. November 2018 Arthur Jaffa Julia Stoschek Collection Berlin www.jsc.berlin

29. April bis 2. September 2018 Bacon Giacometti Fondation Beyeler, Riehen/Basel www.fondationbeyeler.ch

15. Oktober 2017 bis Juni 2019 KölnSkulptur #9 Skulpturenpark Köln www.skulpturenparkkoeln.de

15. Februar bis 8. April 2018 I am here to learn: Zur maschinellen Interpretation der Welt Frankfurter Kunstverein, Frankfurt a. M. www.fkv.de

29. April bis 7. Oktober 2018 Facing India Kunstmuseum Wolfsburg www.kunstmuseum-wolfsburg.de

11. November 2017 bis 3. Juni 2018 Kunstpreis der Stadt Wolfsburg 2017: Julius von Bismarck Städtische Galerie Wolfsburg www.staedtische-galerie-wolfsburg.de 8. Februar bis 17. März 2018 Baustücke – Architekturminiaturen Joachim Manz Die Raumgalerie, Stuttgart www.dieRaumgalerie.de 8. Februar bis 6. Mai 2018 Alicja Kwade. LinienLand Museum Haus Konstruktiv, Zürich www.hauskonstruktiv.ch

198

16. Februar 2018 bis 13. Januar 2019 Honey, I Rearranged the Collection: #3 Bouncing in the Corner. Die Vermessung des Raums Hamburger Kunsthalle www.hamburger-kunsthalle.de

27. bis 29. April 2018 Gallery Weekend Berlin www.gallery-weekend-berlin.de 14. bis 17. Juni 2018 Art Basel www.artbasel.com

24. Februar bis 3. Juni 2018 Ausbruch aus der Fläche – Das Origami-Prinzip in der Kunst Marta Herford www.marta-herford.de 19. bis 22. April 2018 Art Cologne www.artcologne.de

Alicja Kwade, LinienLand, 2018 Installationsansicht, Courtesy die Künstlerin, KÖNIG GALERIE, 303 GALLERY, kamel mennour. © Museum Haus Konstruktiv (Stefan Altenburger)


ARCHITEKTUR

2018 Rineke Dijkstra Odessa, Ukraine, August 7, 1993 Courtesy Marian Goodman Gallery, Paris, and Galerie Max Hetzler, Berlin Kurt Lehmann Hirtenjunge, 1936–1954, Bronze Sprengel Museum Hannover Foto: Herling / Hering / Werner, Sprengel Museum Hannover © Stiftung Kurt Lehmann, Staufen

Fotografie & Mode 4. November 2017 bis 6. Mai 2018 Jil Sander Museum Angewandte Kunst, Frankfurt am Main www.museumangewandtekunst.de

28. Januar bis 8. April 2018 Drive Drove Driven. Autos in der zeitgenössischen Fotografie Kommunale Galerie Berlin www.kommunalegalerie-berlin.de

1. Dezember 2017 bis 13. Mai 2018 Guy Bourdin. Image Maker Helmut Newton. A Gun for Hire Angelo Marino. Another Story Museum für Fotografie – Helmut-Newton-Stiftung, Berlin www.helmut-newton.de

30. Januar bis 13. April 2018 Gianni Versace Retrospective Kronprinzenpalais Berlin www.retrospective-gianniversace.com

27. Januar bis 6. Mai 2018 Figuren. Rineke Dijkstra und die Sammlung des Sprengel Museum Hannover Sprengel Museum Hannover www.sprengel-museum.de

Figuren Rineke Dijkstra betrachtet die Fotografie als eine Möglichkeit, sich mit grundsätzlichen Fragen menschlicher Existenz auseinanderzusetzen. Mit dem SPECTRUM – Internationaler Preis für Fotografie würdigt die Stiftung Niedersachsen die stilbildende Kraft ihres Œuvres und ihre künstlerische Konsequenz. Für die Ausstellung im Sprengel Museum Hannover hat die Künstlerin eine Form entwickelt, die auf einem Dialog von ausgewählten Fotografien mit Werken aus der museumseigenen Sammlung aufbaut: darunter Werke von Hans Arp, Max Beckmann und Fotografien von Ernst Schwitters. Bis zum 6. Mai 2018

2. Februar bis 13. April 2018 Ellen von Unwerth – Wild Wild West Leica Store Wien www.leicastore-wien.at

199


BÜCHER

PETER ZUMTHOR SPRICHT ÜBER SEINE ARBEIT – EINE BIOGRAFISCHE COLLAGE

HERZOG & DE MEURON 2005–2007

FANTASTIC MAN

„Schönheit ist keine Form, sondern ein Gefühl“, findet Peter Zumthor. Eine biografische Filmcollage, die der Regisseur Christoph Schaub für die Ausstellung Dear to Me im Kunsthaus Bregenz produziert hat, gibt es nun auch als DVD. Sie gliedert sich in gute Portionen, die thematisch sortiert sind: „Methode“, „Erinnerung“, „Material“ oder „Atmosphäre“ heißen vier der insgesamt acht Kapitel, alle zwischen sechs und zehn Minuten lang. Oder eben „Schönheit“. Das Spannende ist dabei die zeitliche Verschränkung, wenn mal der junge Architekt, mal der Pritzker-Preisträger und mal der heutige Peter Zumthor sprechen. Schaub hat Interviews, Vorträge und Aufnahmen anderer Situationen zusammengeschnitten. Zumthor für zuhause, fürs Büro oder auch für unterwegs. Man kann viel von ihm lernen.

Von Herzog & de Meuron ist zum Ende des Jahres 2017 der sechste Band ihres Gesamtwerks erschienen, der alle 60 Projekte behandelt, die die Basler Architekten vor gut zehn Jahren, also von 2005 bis 2007, begonnen haben. Entstanden ist eine wilde Mischung, die sich zwischen dem Bühnenbild für Tristan und Isolde im Auftrag der Staatsoper unter den Linden, Berlin, dem Naturbad in Riehen/Basel und dem Entwurf für die Beijing Film Academy in Qingdao mit Ai Weiwei bewegt. Dessen Realisierung scheiterte zunächst am Geld, eine Enttäuschung für die Architekten. Dann wurde doch gebaut, aber ohne Herzog & de Meuron. Geschichten verschwinden irgendwann, wenn sie nicht aufgeschrieben werden – keine Webseite kann eine Monografie ersetzen.

Über 500 Seiten Men of Great Style and Substance: Ai Weiwei, Ewan McGregor, Peter Saville, Tom Ford, Chris Dercon, Bret Easton Ellis, Christoph Waltz, Konstantin Grcic, Raf Simons und Rem Koolhaas finden sich unter den 69 besten Porträts und Interviews, die jetzt zum zehnjährigen Jubiläum des Amsterdamer Magazins Fantastic Man als Buch erschienen sind. Es sind nicht nur die ausgewählten Charaktere und deren Hochglanzfotos, die für den Erfolg von Fantastic Man sorgen, sondern der besondere Witz, der persönliche Charme und die Tiefe der Gespräche. Wenn Susie Rushton mit Rem Koolhaas von Rotterdam nach Amsterdam fährt, sitzt der Leser quasi auf dem Rücksitz. Bitte nicht vom Cover irritieren lassen: Dieses Buch ist für Männer und Frauen!

Peter Zumthor spricht über seine Arbeit, Park Books, DVD im Kartonumschlag, 71 Minuten, 39 Euro www.park-books.com

Gerhard Mack, Herzog & de Meuron 2005–2007, Das Gesamtwerk, Band 6, Birkhäuser Verlag, Leinen, 304 Seiten, 124,95 Euro / www.degruyter.com

Gert Jonkers & Jop van Bennekom, Fantastic Man, Phaidon Press, Hardcover, 572 Seiten, 39,95 Euro www.phaidon.com

200


Das Architekturmagazin! Am Kiosk für € 10

Themen im März / April 2018 XXL ingenhoven architects Marina One in Singapur Paulo Mendes da Rocha + MMBB Arquitetos SESC 24 de Maio, São Paulo Ateliers Jean Nouvel Louvre Abu Dhabi Francisco Mangado Kongresszentrum Palma de Mallorca Antonio Citterio, Patricia Viel Das Postamt der Zukunft Michele De Lucchi Eine Design-Retrospektive

JA H RES -ABO

FÜR NUR DIE € 50 E R AUS GA B STEN Z W E N KO EI TE ST wwwSTEN UN ENLOS .dom T us-a ER bo.d e

, die IKONE unter den ARCHITEKTURZEITSCHRIFTEN jetzt auch auf DEUTSCH Bestellen Sie Ihr Abo!

www.domus-abo.de


Carpet Design Award Preisträger 2018

Jürgen Mayer H., J. Mayer H. Architekten

FRAMING TRENDS NEUER KREATIV-HOTSPOT FÜR ARCHITEKTEN UND DESIGNER Frischer und innovativer denn je präsentierte sich die Domotex 2018 in Hannover. Unter dem Leitthema Unique Youniverse schuf die Messe mit der Sonderfläche Framing Trends einen Besuchermagneten, der Aussteller, Künstler, Designer und Architekten ebenso wie den Nachwuchs vereinte. Ein abwechslungsreiches Vortragsprogramm sorgte für Inspiration. Einen Rückblick finden Sie unter: www.domotex.de

Werner Aisslinger

Veronika Aumann, Textildesignerin

Andreas Krawczyk, NKBAK

Alle wichtigen Informationen über LVT-Designbeläge auf einen Blick. w w w. p ro j e c t - f l o o r s . c o m / a rch i t e k t e n s e r v i c e


05.06. STUTTGART – Mercedes Benz Arena 07.06. MÜNCHEN – Allianz Arena 12.06. FRANKFURT A. M. – Commerzbank Arena 14.06. MÖNCHENGLADBACH – BORUSSIA-PARK 19.06. DRESDEN – DDV Stadion 21.06. BERLIN – Stadion An der Alten Försterei 25.06. DORTMUND – Deutsches Fußballmuseum 27.06. HAMBURG – Stadion am Millerntor

LEGENDEN, CHAMPIONS, ECHTE FANS02

04444 DEAR 21 an 02

Architektur & Leidenschaft mal acht

Wir kombinieren Leidenschaft für Architektur mit Begeisterung

Kostenlose Teilnahme unter

für den Sport und laden in die bekanntesten deutschen Stadien.

www.heinze.de/ architektour

Renommierte Architekturgrößen und preisgekrönte Newcomer präsentieren, was die Bauwelt aktuell zu bieten hat.


UND MORGEN?

DER DAUMEN

VON STEPHAN BURKOFF

204

Das Verschmelzen von Mensch und Maschine ist nicht mehr nur Stoff von Science-Fiction-Romanen. Menschen, die den Weg in diese Zukunft ebnen, lassen sich Sensoren unter die Haut und Antennen in ihre Kopfhaut transplantieren. Man nennt das Biohacking, und es ist wohl eher etwas für Freaks. Abgesehen von diesem Unsinn kann im Körper untergebrachte Technologie aber auch helfen. Zum Beispiel dabei, künstliche Gliedmaßen zu kontrollieren. Nach innen gerichtet, stellt sich die Frage: Wie gehen wir mit diesen neuen Möglichkeiten um? Die Designerin Dani Clode aus London sucht mit ihrem Projekt Third Thumb nach Antworten. Ihr 3D-gedruckter dritter

DRITTE Daumen, der durch Drucksensoren in den Schuhen gesteuert wird, soll die Beziehung zwischen Körper und prothetischer Technologie auf neue Art und Weise untersuchen. „Er soll Werkzeug, eine Erfahrung und eine Möglichkeit zur Selbstdarstellung sein; ein Modell, mit dem wir menschliche Reaktionen auf künstliche Gliedmaßen besser verstehen lernen“, fasst sie den Zweck ihres Projektes zusammen. Für Dani ist eine Prothese eine Erweiterung von Fähigkeiten. Fähigkeiten, die nicht nur auf die Behebung einer Behinderung abzielen müssen. Was ja dem Zeitgeist der Selbstoptimierung entspricht und ihr vielleicht ganz neue Perspektiven verleiht.

Dani Clode stammt ursprünglich aus Neuseeland und hat ihren Master in Produktdesign am Royal College of Art in London absolviert. Einen Film zum Third Thumb Project finden Sie hier: www.vimeo.com/220291411


ANZEIGE

Fotograf: Andreas Hofer

FACTS OBJEKT Einfamilienhaus mit Holzfassade STANDORT Mostviertel, Niederösterreich ARCHITEKT Dipl. Ing. Christine Mueller-Zarl Wien JOSKO PRODUKTE Ganzglas-System: FixFrame Holz/Alu-Hebeschiebetür: FixFrame HS Holz/Alu-Fenster & Terrassentür: Platin 82 Oberfläche außen: Alu RAL 7016 anthrazitgrau hwf matt Oberfläche innen: Eiche N11 blond lasiert Innentür: PRADO V SET Eiche natur lackiert Sonnenschutz: Easy Raffstore Zubehör: Glasbrüstung

GRÜNER WOHNEN VOM BAUSTOFF BIS ZUM STANDORT: DIE FEINFÜHLIGE EINBETTUNG IN DIE UNBERÜHRTE NATUR MACHT DIESES ARCHITEKTURJUWEL BESONDERS. Eiche aus dem Baumbestand der umliegenden Wälder, Stein aus der Ybbs: Für ihr Haus im Mostviertel wählte Architektin Christine Mueller-Zarl ausschließlich natürliche Materialien aus der Region. Stets in Verbindung mit der Natur fühlt man sich auch als Bewohner oder Besucher dieses Architekturjuwels, das im Juni 2012 fertig gestellt wurde: Durch die Auflösung der rechten Winkel im Haus und den Einsatz der Nurglasecken ist es möglich, von fast überall im Haus einen wunderbaren, fast 360 Grad weiten Blick ins umliegende Gebiet der Kalkalpen zu werfen. Zu verdanken ist dies auch dem rahmenlosem FixFrameSystem von Josko. »Uns für Josko zu entscheiden – ein österreichischer Betrieb, mit nachhaltigen und hochwertigen Materialien und Produkten – war für uns die einzig logische Schlussfolgerung«, so Mueller-Zarl. »Die Kombination aus Alu und Eiche mit nicht sichtbaren Bändern und einer RundumVerglasung ist Weltklasse und ermöglicht dem Haus einen permanenten Austausch und Dialog mit der Natur.«


UNIQUIN Das Zugangs- und Raumsystem mit Lifestyle-Charakter

Perfektionieren Sie Ihre Raumarchitektur. Mit einem System aus Trennwänden und Türlösungen, das mit einer einheitlichen Gestaltung aller Komponenten besticht und mit universellen Einsatzmöglichkeiten überzeugt. Mit Glas oder Holz,

Schallschutz, Elektrifizierung, Zutrittskontrolle und angenehmer Akustik. Mit UNIQUIN. Weitere Informationen finden Sie unter www.glas-innovationen.com


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.