Ausgabe 32, April 2013
Neues aus Berlin Mitte
feel free deutsch + English
Modestrecke: endstation hansaplatz GlĂźckstag: Julia Heuse Interview: Paula HannemanN Mittes Monatsheft!
Editorial 3
Mitte iNs herz Geschichten über die Freiheit hat diese Stadt viele zu erzählen: von der Mutter aller Geschichten, dem Berliner Mauerfall, bis hin zu Nebenschauplätzen, wie die Uraufführung des ersten Films mit schwuler Thematik in der DDR am gleichen Abend des 9. Novembers 1989. Doch wer hätte gedacht, dass ein knappes Vierteljahrhundert später Menschen auf die Straße gehen, um für den Erhalt der letzten Teile des eisernen Vorhangs zu demonstrieren? Im Interview sprachen wir mit Paula Hannemann von Change.org. Auf der Online-Plattform wurde eine Petition gestartet, die sogar „Knight Rider“ dazu brachte, mit einem Megaphon bewaffnet in die Hauptstadt einzufliegen und für den Erhalt der East Side Gallery zu singen. In unserer Rubrik Berliner Gesichter stellen wir euch Andy Weisse vor, der als Elektronenkünstler und begeisterter FKKAnhänger für das Ausleben persönlicher Freiheiten plädiert. Das Hansaviertel, die Location für unsere Modestrecke, war in den fünfziger Jahren Symbol für die Freiheit der jungen Bundesrepublik. Auch die Mitte-Muttis streben in dieser Ausgabe nach Freiheit: Sie fliehen aus den heimischen vier Wänden, um nach grünen Oasen in Mitte zu fahnden. Viel Spaß beim Lesen! Eure MITTESCHöN-Redaktion PS: Bye, bye, liebe Dörte, wir wünschen dir einen guten Neustart in der Weltstadt mit Herz!
dörte laNge Zweieinhalb Jahre sind wie im Fluge vergangen, doch nun heißt es Abschied nehmen. Dörte war seit Gründungsstunde dabei und hat MITTESCHöN mit ins Leben gerufen – 31 Ausgaben hat sie als Artdirektorin gestaltet und dem Magazin sein erstes Gesicht verliehen. Für die Aprilausgabe inszenierte sie eine von den fünfziger Jahren inspirierte Modestrecke vor der aufregend modernistischen Architekturkulisse des Hansaviertels. Ihr Koffer in Berlin bleibt, ein neuer folgt jetzt in München. Schön war’s, liebes MITTESCHöN, und alles Gute für die Zukunft! www.dortelange.de
JaN erliNghageN Jan kommt aus dem Ruhrgebiet. Aus Gelsenkirchen. Aber das merkt man kaum. Er hat Kommunikationsdesign in Enschede (Niederlande), Krefeld, Bergen (Norwegen) und Mainz studiert. Vor knapp einem Jahr hat es ihn dann nach Berlin verschlagen. Hier lässt er es sich gut gehen und muss deshalb seine Brötchen als Grafikdesigner verdienen. Ab sofort tritt er in Dörtes Fußstapfen, um die Artdirection für MITTESCHöN zu übernehmen.
JeaN-louis wolFF Aus der Sicht eines Elsässers liegt Paris auf der anderen Seite der Berge und Berlin auf der anderen Seite des Flusses. Jean-Louis wählte Letzteres, als er vor zwei Jahren mit frischem Verstand und neuen Augen nach Europa zurückkehrte. Und das nach vielen Jahren in Asien, wo er sowohl zahlreiche Mode- und Werbeaufträge hatte als auch seine Kreativität mit eigenen Projekten vorantrieb. Neben Modefotografie und Sportwerbung richtet sich der Fokus seiner eigenen Arbeiten auf Elemente wie Wind, Wasser, Schwerkraft und wie diese uns beeinflussen. www.jeanlouiswolff.com
Follow us:
4 Impressum
Mitteschön no 32 Herausgeber
Toni Kappesz Veröffentlichung
Vollstrudel GmbH Schröderstr. 12 10115 Berlin, Germany Projekt Manager
Anne Kammerzelt (anne@mitteschoen.com) ARTDIREction
Jan Erlinghagen (jan@mitteschoen.com) Grafikdesign
Sandra Stäbler (sandra@mitteschoen.com) Presse
Pelén Boramir (pelen@mitteschoen.com) Redaktion
Anne Kammerzelt (anne@mitteschoen.com) André Uhl (andre@mitteschoen.com) Redakteure
Paul Schlosser, Bettina Schuler, Björn Lüdtke, Katharina Geißler, Sebastian Braschl, Carlos de Brito, Pelén Boramir, Melissa Frost, Sophia Hoffmann, Martin Gottschild Fotografen
Tina Linster, Stini Mimissonsdottir, Johanna Ruebel, Gregor Bauer, Jean-Louis Wolff ÜBersetzung
Nicholas Tedeschi (nicted@web.de), Robert Schlicht Lektorat
Katharina Geißler Anzeigenvermarktung
Vogel Corporate Media GmbH Christiane Maurer (Christiane.Maurer@vogel-corporatemedia.de) WEBSeITE:
www.mitteschoen.com
Projekt Manager online
André Uhl (andre@mitteschoen.com) Druck
hofmann infocom Nürnberg Coverfoto: Ida im Hansaviertel, fotografiert von Jean-Louis Wolff. Kleid: Marimekko, Kaschmir-Pullover: Liebig, Brille: Mykita, Schuhe: Zalando Collection, Perlen-Armband: Ti Sento
Inhaltsverzeichnis 5
INHALT / Content Wegweiser 6
Momentmal: HIMMEL, ARSCH UND WOLKENBRUCH
8
Veranstaltungstipps Events
10
Mitteschön Lieblingsstücke
32
HAPPA HAPPA: eine Frühlingswiese
44
Mitteschön Verlosung: Rundflug über Berlin und Potsdam
45
Englische Übersetzungen English Translations
51
Stadtplan City Map
kieztalk 12
Glückstag MIT Julia Heuse Oh Happy Day: Julia Heuse
17
FUNDBÜRO: Double Dragon Barber Shop
19
wir mitte-muttis brauchen frische Luft
22
AUGENSCHMAUS: Joseph Wolfgang Ohlert
28
INTERVIEW MIT Paula Hannemann Interview: Paula Hannemann
34
What Ali wore
42
Berliner Gesichter: Andy Weisse, Anhänger der Freikörperkultur Berlin Faces: Andy Weisse, nudist
50
Kolumne: „Nicht von dieser Welt
Kulturgut 20
Kunsttipps von EyeOut EYEOUT Art Events
23
Abhörstation
25
illustrator des Monats: KATJA SPITZER
36
Modestrecke: ENDSTATION Hansaplatz
40
Die Mauern in den Köpfen
HIMMEL, ARSCH UND WOLKENBRUCH Zugegeben,
zum Thema Freiheit mag ein blauer Himmel vielleicht kitschig wirken. Doch, man denke bitte nur an die vergangenen fünf Mo-
nate mit gefühlten 7 1/2 Sonnenstunden. Verzeiht, dass ich über’s Wetter spreche, ich bin mal kurz so frei. Den Gefangenen in Platons Höhle blieben wenigstens die Schatten – doch selbst für die
7
Tina Linster fängt für MitteSchön Berlin-Momente ein.
Neu in der Stadt
braucht man Sonne! Welch dunkle Zeit, die uns zu fahlen Stereotypen in Zwangsjacken machte; blasse Geschöpfe, gefoltert und gefesselt mit Wollschals und Handschellen …, äh, -schuhen; gegeißelt
vom unbarmherzigen Grau. So war ein kurz aufblitzendes Blau am Horizont das einzig infrage kommende Motiv für diese Ausgabe (Thema ganz egal). Also: auf den Frühling und DIE FREIHEIT!
8 Veranstaltungstipps von Sebastian Braschl, Translation P. 45
KONZERT: MODDI Dass der Norweger Pål Moddi Knutsen ein zweites Album herausbringt, war nicht vorgesehen. Müde und leer fühlte sich Moddi, der bereits im Vorprogramm von Julia & Angus Stone tourte, nach seinem Debütalbum „Floriography“ und über 250 Konzerten. Er zog sich in die Wälder seiner norwegischen Heimat zurück, um Energie zu tanken. Das Resultat dieser Auszeit ist seine kürzlich erschienene LP „Set the House on Fire“, welche er selbst als Album bezeichnet, das aus der
RESTAURANT: VOLT
Asche des ersten geboren wurde. BINUU, 4. APR 2013
Die Atmosphäre in dem beeindruckenden Industrie-
Beginn: 20 Uhr, Karten: ab 17 Euro
gebäude des ehemaligen Umspannwerks von 1928 am
im U-Bhf Schlesisches Tor, Kreuzberg
Landwehrkanal ist modern und intim zugleich. Unter
www.bi-nuu.de, www.moddi.no
den hohen Decken der Backsteinhalle werden im de-
RESTAURANT: RUBY’S Ruby’s – das ist der neue Szene-Italiener im Kreuzberger Kiez, der mit dem Beinamen Finest Pizza Ende letzten Jahres seinen offenen Holzofen anwarf, um original italienische Pizza auf die Teller zu bringen. Unschlagbar ist vor allem die Eigenkreation „Ruby“
zenten Lichtschein kupferfarbener Kugellampen an
mit Mozzarella, Birne, Walnüssen und Gorgonzola für
Holztischen aus warmem Nussholz Berliner Traditi-
8,80 Euro. Was nicht heißt, dass die frischen Salate,
onsgerichte serviert – moderne Interpretationen regio-
Pastaspeisen oder die Wochenkarte mit wechselnden
naler Spezialitäten mit internationalen Einflüssen, die
Gerichten nicht weniger einen Besuch in den rustikal-
sich sehen und schmecken lassen können. Nicht um-
gemütlichen Räumlichkeiten wert sind.
sonst zählt Küchenchef Matthias Gleiß zu den Mitbe-
Täglich, 17 bis 23 Uhr
gründern der Neuen Berliner Küche.
Skalitzer Straße 81, www.rubys-bar.com
Mo bis Sa, 18 bis 24 Uhr, Paul-Lincke-Ufer 21 www.restaurant-volt.de
Film: filmpolska 2013 Es ist das größte Festival der polnischen Filmkunst im Ausland und umfasst die gesamte Palette des dort gegenwärtigen Filmschaffens: filmPOLSKA öffnet zum 8. Mal die Kinovorhänge für die neuesten und spannendsten Produktionen des vergangenen Jahres, die in ihrem Heimatland für Emotionen sorgten sowie Preise erhielten. Neben den Filmreihen diverser Genres, Workshops sowie Vorträgen und Filmgesprächen wird es wie-
AUSSTELLUNG: GALLERY WEEKEND
FILM: ACHTUNG BERLIN
der eine Retrospektive geben, die in diesem Jahr dem
Mit dem Prädikat „Made in Berlin-Brandenburg“ prä-
18. BIS 24. APR 2013
Ende April wird Berlin durch das Gallery Weekend
sentiert das mittlerweile drittgrößte Filmfestival der
Hackesche Höfe Kino, Arsenal, Zeughauskino, Kino FSK,
wieder zur pulsierenden Metropole zeitgenössischer
Stadt eine Woche lang all die Spiel- und Dokumentar-
Club der polnischen Versager, Brotfabrik, u. a.
Kunst. An drei Tagen laden über 50 renommierte so-
filme, welche sich mit voller Hingabe dem kreativen
www.filmpolska.de
wie junge Galerien von A wie Aurel Scheibler bis Z wie
Warschauer Ghetto gewidmet ist.
Berliner Filmschaffen verschrieben haben. Alle gezeig-
Zack | Branicka alle Kunst- und Designliebhaber dazu
ten Produktionen des Wettbewerbs werden noch vor
ein, den Facettenreichtum der Berliner Kunstszene zu
ihrem offiziellen Kinostart vorgeführt. Unter dem Ti-
bestaunen. Im vergangenen Jahr konnte das Gallery
tel „Emil und Co.“ widmet sich die diesjährige Retros-
Weekend den größten Erfolg seiner Geschichte ver-
pektive der wandelnden Darstellung von Kindheit und
zeichnen und avanciert nun zum verkaufsstärksten
Jugend in Spielfilmen. Workshops, Filmgespräche und
Termin am Kunstmarkt. Ziel ist es, die Internationali-
Partys bis zum Sonnenaufgang geben dem Festival den
sierung des Standortes Berlin zu sichern und weiter
letzten Schliff.
auszubauen.
17. BIS 24. APR 2013
26. BIS 28. APR 2013
Kino Babylon, Filmtheater am Friedrichshain, Passage
26. Apr, 18 bis 21 Uhr, 27. & 28. Apr, 11 bis 19 Uhr
Neukölln, www.achtungberlin.de
www.gallery-weekend-berlin.de
Foto-Credits: Nick Ash (Gallery Weekend)
Veranstaltungstipps von Katharina Geissler, Translation P. 45 9
theater: lotta uNd
theater: BliNd date
die wikiNger
Wer sich nie zwischen verschiedenen Genres entscheiden kann, ist in den Sophiensaelen gut aufgehoben.
In dem Puppen- und Schauspiel „Lotta und die Wikin-
Wie bei einem echten Blind Date weiß der eine nichts
ger“ träumt ein kleines Mädchen von der großen Frei-
vom anderen. Ob Tryout oder fertige Produktion,
heit. Lotta will mit ihrem Vater, dem Wikingerkönig,
Schauspiel, Tanz oder Performance – das Publikum
um die Welt reisen. Da er dagegen ist, schleicht sie sich
kennt den Inhalt des Stückes nicht und die Schauspieler
unbemerkt an Bord des Schiffes. Zusammen erleben
wissen sowieso nie, wer zu ihrer Aufführung kommt.
sie spannende Abenteuer und geraten mehrmals in Ge-
Was gewiss ist: Bei der vierteljährlichen Reihe gibt es
fahr. Doch mutig und schlau, wie Lotta ist, hilft sie ihren männlichen Gefährten immer wieder aus der Klemme. das weite theater, 21. Bis 24. apr 2013
21. Apr 2013, 16 Uhr, 23. bis 24. Apr 2013, 10 Uhr Eintritt: ab 4,50 Euro Parkaue 23, www.das-weite-theater.de
immer ein einfaches Einheitsbühnensetting und zwei
koNzert: s o h N
Produktionen à maximal 40 Minuten. Na dann, Vorhang auf!
Dass Multiinstrumentalist und Produzent S O H N das
sophieNsaele, 16. apr 2013
quirlige Londoner Nachtleben mit der verträumten
Beginn: 20 Uhr, Tickets: ab 7 Euro
Landschaft Österreichs tauschte, ist seiner Musik deut-
Sophienstraße 18, www.sophiensaele.com
lich anzuhören. In seinen melancholischen Soundlandschaften, beeinflusst von Wiens legendärer Elektroszene, prallen beide Welten aufeinander, eine analoge Drum Machine verschmilzt mit Synthie-Sounds, einer hypnotisierenden Stimme und wundervollen Texten. Live bekommt das kreative Mastermind Unterstützung und wird zu dritt performen. priNce charles, 13. apr 2013
Show: 22 Uhr, Tickets: ab 12 Euro Prinzenstraße 85 F, www.princecharlesberlin.com
koNzert: spheres iN
Festival: pictoplasMa
coNcert
Tandemfahrende Kartoffelmännchen mit Pfeife und Wenn sich das leere Becken einer ehemaligen Bade-
Flügeln, riesengroße haarige Stoffmonster, eine weiße
anstalt in eine Bühne verwandelt, vermag allein die-
Hasengestalt, die sich an ihr blutendes Herz fasst –
ser Ort den Zuhörer in andere Sphären zu versetzen.
Pictoplasma widmet sich in diesem Jahr allen Figuren,
Wenn dann auch noch der Violinist Daniel Hope einen
die uns zum Lachen bringen, unser Herz erweichen
Sprung in die Zeit wagt und Werke aus verschiedenen
oder Tränen kullern lassen. Kurzum, jenen Charakte-
Epochen live interpretiert, schwebt man wahrlich in
ren, die Empathie in uns auslösen. Bei dem großen Figurenfestival mit dem Thema White noise – Character
anderen Galaxien. Seine überirdisch guten Kompositionen aus dem neuen Album „Spheres in Concert“ vereinen die uralte Idee, dass die Bewegung der Planeten der Ursprung einer eigenen Musik sei. stattBad weddiNg, 30. apr 2013
Einlass: 19 Uhr, Beginn: 20 Uhr, Tickets: ab 15 Euro Gerichtstraße 65, www.stattbad.net
vortrag: scieNce slaM BerliN Wissenschaft muss nicht trocken sein! Beim Science Slam bekämpfen sich schlaue Köpfe aus verschiedenen Disziplinen mit Worten. Wie eine Liebesnacht den Raum krümmt oder was zwei Playmobilfiguren mit politischer Kunst zu tun haben – jeder der Fachnerds hat genau zehn Minuten Zeit, um den Zuhörern ein komplexes Thema unterhaltsam zu verklickern. Wem dies gelingt, dem klebt das Publikum an den Lippen, alle anderen werden gnadenlos ausgebuht. so36, 1. apr 2013 (uNd JedeN 1. MoNtag iM MoNat)
Einlass: 19 Uhr, Beginn: 20 Uhr, Eintritt: 5 Euro Oranienstraße 190, www.scienceslam.net
Foto-Credits: Christian Pitschl (S O H N)
emphasis! erwartet euch wieder ein buntes Programm mit Animationsfilmen, Performances, Ausstellungen, Character Lab, Workshops und Partys. BaByloN Mitte uNd Mehr als 20 weitere ausstelluNgsorte, 10. Bis 14. april 2013
www.berlin.pictoplasma.com
10 Mitte Streets
Mitteschön Lieblingsstücke Text Paul Schlosser
Einer wie der Babar, so einer war noch nie da Ist: fast zu schön, um wahr zu sein Kann: ab Mitte April im SOTO Store oder Voo geshoppt werden Bilderbuchgeschichten um Elefanten gibt es viele. Doch Babar, der Elefant war wohl der erste Dickhäuter, der noch lange vor Benjamin Blümchen die Kinderzimmer eroberte. Mehr als 80 Jahre, nachdem die erste, liebevoll gezeichnete Geschichte des Franzosen Jean de Brunhoff um den späteren Urwaldkönig im grünen Anzug erschien, ziert der niedliche Dickhäuter nun erstmals eine Capsule Collection. Das Menswear-Label Soulland kombiniert heutige Designästhetik mit traditioneller skandinavischer Handwerkskunst. Soulland ist die erste Modemarke überhaupt, die sich die Rechte an den originalen Zeichnungen de Brunhoffs sichern konnte. Ab sofort werden diese auf gewohnt lässigen Shirts, Hemden, Pullovern und Shorts zu sehen sein. Während es für Barbar der erste Schritt in die Modewelt ist, fügt sich die Wahl des Motivs spielerisch in die Ästhetik des Soulland-Chefdesigners Silas Adler ein, der mit seinen Kollektionen klassische Reduziertheit mit verspielten Details und auffälligen Prints immer wieder richtig zu kombinieren weiß. Gesehen bei: www.soulland.eu
Geschichten aus Skandinavien Ist: ein neues Shopping-Paradies für Frauen Kann: in Kürze auch in Berlin besucht werden Kostet: irgendwo zwischen H&M und COS Der Launch von „& other Stories“, dem neuen Ableger des H&MKonzerns, ist in aller Munde. Mehrere Monate lang tauchten Tag und Nacht im Internet neue Teaser auf, welche die Erwartungen vieler steigen ließen. Vom Pencilskirt bis zur Bodylotion – & other Stories setzt auf Stil-Rundumversorgung. Sowohl der Onlineshop als auch die in Kürze eröffnende Filiale in der Neuen Schönhauser Straße laden Frauen ein, mit Taschen, Accessoires, Kleidung und einer großen Auswahl an Schuhen und Kosmetikartikeln ihre eigene Geschichte zu erzählen. Alle Artikel werden in den Pariser und Stockholmer Kreativateliers mit viel Liebe zum Detail und Sinn für gute Qualität zu erschwinglichen Preisen entworfen. Gesehen bei: www.stories.com
Mitte Streets 11
Auf der Überholspur Ist: ein handgeschmiedetes Unikat Kann: auf zwei Fingern getragen werden Kostet: 485,31 Euro Der Schmuckdesigner und Central-Saint-Martins-Absolvent Kyle Hopkins möchte mit seinen einzigartigen Designs unter Beweis stellen, dass Schmuck weit mehr kann, als einfach nur glänzen. Für diesen Sommer designte er eine eigenwillige Kollektion, die allen Konventionen und Klischees trotzt. An Kyle Hopkins Ohrringen, Creolen, Ringen und Ketten findet man nichts Klares, Reines, Minimalistisches. In seinen Entwürfen beschäftigt sich der junge Designer mit der Studie von Menschen, Tieren, Pflanzen und geometrischen Formen. Liebevoll gestaltete menschliche Figuren, realistisch nachgebildete Körperteile, brutale Zähne oder Klauen zeigen seine Vorliebe für schräge Motive. Unser liebstes Schmuckstück ist dieser goldene Zweifingerring mit drei um die Wette laufenden Figuren, den wir im englischen Onlinestore entdeckt haben. Gesehen bei: www.kabiri.co.uk
fashion’s latest bad boy Ist: kultverdächtig Kann: lässig zum schwarzen Anzug aussehen Kostet: 295 Euro Neulich beim Sport habe ich über Hedi Slimane und seine zweite Frauenkollektion für Saint Laurent Paris nachgedacht. Nach ausgiebigem Stretching meiner Muskeln und meiner Toleranz kam ich zu dem Schluss, dass sich Yves mindestens halb im Grab umdrehen würde. Hedi baut das französische Modehaus nämlich um, wie es ihm gefällt. Statt ein Erbe zu verwalten, verwebt der Designer seine eigenen Ideen mit denen des Gründers. Seine erste Herrenkollektion ist nun schon eine Weile erhältlich und wir müssen gestehen, dass manche Stücke wirklich toll sind. Immerhin ließ bereits Karl Lagerfeld die Pfunde purzeln, nur um in Hedi-Slimanes-Dior-Homme-Skinny-Suits zu passen. Aber auch die Krawattennadel mit eingraviertem Logo und Fransenkette sorgt für die nötige Portion Rock’n’Roll und vereint Moderne mit Eleganz. Gesehen bei: www.luisaviaroma.com
Duften wie Dries Ist: das erste in einer Reihe von geplanten Porträt-Parfums. Kann: aufgesprüht werden Kostet: 125 Euro Kann man jemanden mit einem Duft porträtieren? Frédéric Mall kann. Dries van Noten par Frederic Malle ist ein duftendes Abbild des gleichnamigen Modedesigners und Antwerp-Six-Mitglieds, das in einer Kooperation mit dem Duftkreateur Bruno Jovanovic und Dries entwickelt wurde. Das Ergebnis dieses kreativen Trios ist ein moderner, orientalischer Duft. Der Duft ist um natürliches Sandelholz aufgebaut, das wegen seiner Weichheit und seines Charakters gleichermaßen exotisch ist und dennoch an die Tradition der großen klassischen Parfums erinnert. Diese sehr kurze Formel, die aus wertvollen Materialien komponiert wurde, erzeugt eine nüchterne, aber deutliche Sinnlichkeit. Gesehen bei: Departmentstore Quartier 206
Glückstag 13
Julia Heuse Text Björn Lüdtke Fotos Johanna Ruebel Translation P. 46
In Berlin haben wir zum Zeitpunkt dieses Glückstags die Fashion Week im Januar schon eine Weile hinter uns. In New York und Paris gingen sie aber erst zu Ende und da kommt Modedesignerin Julia Heuse gerade her. Wir treffen sie einen Tag nach ihrer Rückkehr in ihrem Atelier in einem alten Fabrikgebäude in der Heidestraße in Moabit.
14 Glückstag
Julia, unsere Fotografin Johanna Ruebel und ich kommen praktisch gleichzeitig im Atelier der Designerin an. Julia hat zwei Koffer dabei, in denen sie ihre Kollektion transportiert, die sie in den beiden Wochen zuvor in New York und Paris Journalisten und Einkäufern präsentiert hat. Sie wird im Herbst / Winter 2013 /14 in die Läden kommen und zum ersten Mal nur ihren Namen tragen. Bis vor kurzem hieß das Label der gebürtigen Kölnerin noch „Juliaandben“, ihr Partner Benjamin hat sich jedoch im August 2011 entschieden, das Label zu verlassen. Die beiden haben sich zwar nicht gestritten, ihre Trennung sogar mit einem gemeinsamen Urlaub in Bali gefeiert. Trotzdem war es nach mehr als eineinhalb Jahren Zeit, den Namen zu ändern. „Mir ist der neue Name ja relativ wurscht. Ich hatte nur irgendwann keine Lust mehr, die ganze Zeit nach Ben gefragt zu werden. Ich brauchte einen neuen Start.“ Julia packt die Kollektion aus dem Koffer und hängt sie ordentlich auf Bügel. Heute Abend geht es schon weiter nach Wien, aber aus privaten Gründen. Passend zum beruflichen Neustart besucht sie ihren Freund, einen Schriftsteller, mit dem sie erst seit sechs Wochen zusammen ist. „Endlich mal vier Tage nichts tun.“ Die beiden kennen sich schon länger. Aber erst durch das Matchmaking einer Freundin („Ihr würdet sooo gut zusammen passen!“) hat es gefunkt. Vor Julia war er wohl ein ziemlicher Rumtreiber. Jetzt hat er nur noch Augen für sie. Und auch andere Körperteile will er in Zukunft nur noch ihr widmen, O-Ton: „Mein Penis gehört jetzt
dir.“ Romantisch ist anders, aber mehr Commitment kann man wohl kaum verlangen. Auch Julia verpflichtet sich, zumindest wieder ihrer Kollektion. Zum Ende von Juliaandben hat sie ihren Job als Modedesignerin nämlich gehasst. Nach ihrem Studium an der ESMOD hat sie sich gleich selbständig gemacht. „Die meisten Designer haben ja keine Ahnung, wie man zum Beispiel eine Produktion organisiert. Das war bei uns nicht anders. Irgendwann kommen die Journalisten und Einkäufer. Nach zwei Jahren verkauft man dann wirklich was. Und so reitet man sich dann in die Scheiße. Dann bräuchte man eigentlich mal sechs Monate, um sich zu überlegen, wie man seine Produktionskette sinnvoll und wirtschaftlich organisiert, so, dass man damit auch Geld verdienen kann und nicht wahnsinnig wird und vielleicht auch mal ein Wochenende frei hat.“ Diese Pause bekommt aber kein Designer, alle sechs Monate muss eine neue Kollektion präsentiert werden. „Das brennt einen aus. Ich habe am Ende unsere Sachen in den Humana-Container in der Gormannstraße geschmissen, wo unser letzter Laden war. Erst wollte ich sie verbrennen, aber das fand selbst ich ein bisschen zu melodramatisch. Ich brauchte erst mal Abstand. Ich hatte tatsächlich überlegt, ob ich nochmal BWL studiere oder so.“ Für ein kommerzielleres Projekt, Front Row Society, hatte sie acht Monate lang gearbeitet, um Geld zu verdienen. Zuerst im Produktionsmanagement, dann als Creative Director. Ein fester Job wurde ihr dort
angeboten. „Das habe ich mir auch überlegt. Da gehst du dann einfach ins Büro und hast am Ende des Monats dein Geld auf dem Konto. Die Leute dort sind auch nett. Aber nachdem ich dann drei Wochen darüber nachgedacht hatte ..., nein, wollte ich nicht.“ Lieber will Julia wieder unter ihrem eigenen Namen arbeiten. Julia sucht Zigaretten, findet aber keine. Wir beschließen deshalb unsere Tour durch Moabit und Mitte zu beginnen. Auf dem Weg zur Tanke auf der Heidestraße kommen wir an einem Wohnwagen vorbei. Julia erklärt uns, der sei von „Tittenmaus Irma“, einer Prostituierten, die hier ihre Dienste anbietet und sogar eine eigene Website hat: „Ich bin Irma, deine süße Tittenmaus mit einer BH-Größe von 95 E ... Wenn ich da bin, hängt ein roter Schirm am Wohnwagen.“ Zum Rauchen und Cappuccino trinken laufen wir auf der anderen Seite der Straße zurück zum Imbiss, der direkt gegenüber von dem Fabrikgebäude liegt, in dem sich Julias Atelier befindet. „Mahlzeit“ steht über dem Eingang der Bude aus Pressholz. Dazu gehören ein paar Tische und eine kleine Hütte mit zwei Bänken darin. Das ganze wirkt rustikal und skurril, auf jeden Fall besonders und untypisch für eine Durchgangsstraße wie die Heidestraße. Noch gibt es hier Tagessuppen wie die aus Karotten und Erbsen für drei Euro, Currywurst für 1,80 Euro und Muffins für einen Euro. Doch wenn dieser Artikel erscheint, wird die Bude – zumindest an dieser Stelle – voraussichtlich schon verschwunden sein. Sie muss bis Ende März weg. Der Bebauungsplan für die Heidestraße sieht hier
Glückstag
15
16 Glückstag
die Errichtung von Europacity vor: Bürogebäude und Townhouses werden hier ent stehen. Einen kleinen Vorgeschmack bietet das Total-Hochhaus am Anfang der Heidestraße. Wir haben die Befürchtung, dass hier die gleichen Fehler gemacht werden wie am uncharmanten Potsdamer Platz. Immerhin steht das Fabrikgebäude, in dem Julias Atelier gelegen ist, unter Denkmalschutz und wird so erhalten bleiben. Der Besitzer der Bude will sie ein paar Meter weiter, schräg gegenüber, wieder aufschlagen. Ob das klappen wird, weiß er aber noch nicht. Hat er eine Website, um die Entwicklung zu verfolgen? „Nö. Einfach vorbeifahren. Entweder die Bude steht wieder – oder eben nicht.“ Beim Cappuccino in der kleinen Hütte unterhalten wir uns über Julias neue Kollektion für Herbst / Winter 2013 /14. Objet trouvé ist ihr Thema. Die Drucke basieren auf Dingen, die Julia gefunden hat. Ein Shirt zum Beispiel trägt als Print das Muster der abgeplatzten Fensterrahmen im Atelier. „Ich gehe lieber über Baustellen, um mich inspirieren zu lassen, als ins KaDeWe.“
Die Kollektion, die sie übrigens für Männer und Frauen entwirft, ist stylemäßig eindeutig noch der Richtung zuzuordnen, die sie mit Ben schon eingeschlagen hatte. Julia überlegt, ob es nun an der Zeit wäre, den Neustart zu nutzen, um in eine andere Richtung zu gehen. Das Gothic-Thema hätte nun doch schon lange die Avantgarde beherrscht. Vielleicht zu lange. Sie will aber auch die bestehenden Kunden nicht verprellen. „Ich kann ja jetzt nicht einfach bunte Kakadus auf sexy Seidenkleidern machen.“ Wie es stilistisch bei Julia Heuse weiter geht, werden wir spätestens zu den Fashion Weeks im Sommer erfahren. Was aber schon feststeht, ist, dass Julia inzwischen besser organisiert ist als zu Zeiten von Juliaandben. „Es ist alles besser kalkuliert. Mit den Produktionsstätten ist alles so organisiert, dass ich weiß, dass das irgendwie zu machen ist. Nicht auf den letzten Drücker. Ich habe aus unseren Fehlern und der Tätigkeit bei Front Row Society gelernt.“ Julia Heuse ist entschlossen und für die Zukunft unter ihrem eigenen Namen gewappnet. „Es ist wichtig, dass man zu Potte kommt.“ Wir genießen die ersten Sonnenstrahlen des Jahres und laufen am Ufer der Spree hinter dem Hamburger Bahnhof entlang. Wir beschließen unsere Tour bei Oukan 71 am Gendarmenmarkt, wo Julias Kollektion verkauft wird. Eigentlich müsste sie nun wieder zurück ins Atelier, noch was arbeiten. Aber sie nutzt die verbleibenden Stunden bis zum Abflug nach Wien lieber für ein Beauty-Programm. Recht so, die Pause hat sie sich verdient.
Julias Atelier befindet sich in einem Komplex aus alten Fabrikgebäuden, das in der Heidestraße 46–52 liegt. Ihre Etage teilt sie sich mit dem Möbeldesigner und Fotografen Sebastian Donath, dessen Fotostudio man auch mieten kann, und der Künstlerin Ute Lindner. Im gleichen Gebäude sind auch die Räume der Galerie Edition Block angesiedelt. Im Gebäude mit der Nummer 7 ist Darklands, ein Laden, der Avantgarde-Mode für Männer von Designern wie Carol Christian Poell oder Rick Owens verkauft. Julia Heuse www.juliaandben.com Sebastian Donath www.neoncolour.com Edition Block www.editionblockberlin.de Darklands www.darklandsberlin.com Tittenmaus Irma www.tittenmaus-irma.eu Imbiss Mahlzeit (hoffentlich) irgendwo an der Heidestraße Oukan 71 Kronenstraße 71 10117 Berlin www.oukan71.com
Fundbüro 17
Double Dragon Barber Shop Text Björn Lüdtke Fotos Martin Monk
Ob Bart-Trim, Nassrasur oder Facon: Marie-Luise Hahn kümmert sich um die Haare des Mannes in ihrem Barber Shop Double Dragon. Ben Affleck beweist in seinem CIA-Thriller „Argo“, dass selbst der langweiligste Mann mit einem Bart interessant und attraktiv wirken kann. Von Mitte bis Neukölln weiß man das natürlich schon lange und trägt ihn in allen Varianten, vom Schnauzer über den Voll- bis hin zum Rauschebart. Der Trend hält inzwischen schon eine Weile an und es wird langsam Zeit, dass wir nicht mehr selbst an unserem Bart herumstümpern, sondern sich ein Profi um unser Gesichtshaar kümmert.
klassischen Herrenhaarschnitte dürfen es wieder sein, nix mehr mit Out-of-Bed-Styling oder langen Fransen im Gesicht. Ordentlich kurz, mindestens im Nacken, wollen wir es wieder. Die Fünfziger und Sechziger lassen grüßen. Vergangenes wird aber nicht einfach übernommen, beim Barber von heute geht es zeitgemäß zu. Alte Faconhaarschnitte, „die einfach sexy sind“, werden mit „moderner Edge versehen, mit einem Undercut zum Beispiel“, sagt Marc Bennemann.
nen. Marie-Luise erzählt von einem Kunden mit tollen schwarzen, längeren Haaren: „Beim Schneiden wurden die Haare immer kürzer. Irgendwann sagte er zu mir: ‚Mach sie mir einfach kurz, so wie du denkst. Ich vertrau dir.‘ Ich habe ihm dann den Nacken kurz rasiert. Seine erste Reak-tion war dann doch: ‚Viel zu kurz!‘ Zwei Tage später hat er angerufen, er würde dauernd Komplimente bekommen und er fühle sich jetzt extrem sexy.“ Und sexy aussehen, das wollen wir doch alle, oder?
In New York findet man Barber Shops dort, wo sich die Bartträger rumtreiben, im West und East Village in der Lower East Side. In Mitte hat das Suchen nun auch ein Ende. Marie-Luise Hahn nimmt sich ab sofort Männern mit Haaren in ihrem Barber-Stuhl im Friseursalon von Marc Bennemann an. Ihr Barber Shop im Shop nennt sich Double Dragon.
Beim Barber geht es um den Feinschliff. Seit der Erfindung der Wegwerf-Nass-und Elektro-Trocken-Rasierer ist es aus der Mode gekommen, sich außer Haus die Haare trimmen zu lassen. Aber MarieLuise Hahn ist überzeugt, dass sich die Männer wieder zu ihr in den Stuhl setzen werden: „Viele sind einfach überrascht, wie groß die Wirkung von nur wenigen kleinen Veränderungen im Gesicht ist.“
Preise:
Bei ihr bekommt man allerdings nicht nur den Bart getrimmt, sondern auch eine ordentliche Nassrasur und einen Scherenoder Maschinenschnitt für die Haare. Die Foto-Credits: Martin Monk © 2013 / www.martinmonk.net
- Scherenschnitt: 30 Euro - Trim auf dem Kopf (Maschinenschnitt): 15 Euro - Bart-Trim: 10 Euro - Nassrasur mit Hot Towel: 20 Euro Bald wird es ein eigenes Ladenlokal mit zwei BarberStühlen geben. Der Shop wird Double Dragon heißen. Bis dahin logiert Marie-Luise Hahn in Marc Bennemanns Salon in der Invalidenstraße 155, 10115 Berlin-Mitte. Telefon: 030 / 40054384
So mancher muss sich an den neuen, aufgeräumten und manchmal recht kurzen Style beim Kopfhaar erst wieder gewöh-
www.bennemannfriseure.de.
Mitte für Kids 19
wir Mitte-Muttis brauchen frische Luft Text Bettina Schuler Illustration Sandra Stäbler
Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber ich kann meine heimischen vier Wände nicht mehr sehen. Auch wenn es schön ist, sich zu Hause einzukuscheln und alle fünf Staffeln von „The Wire“ hintereinander anzuschauen, irgendwann bekommt selbst der größte TV-Serien-Junkie einen Höhlenkoller!
Insbesondere tagsüber, wenn er seiner TV-Sucht nicht nachgeben darf, weil das Kind zu Hause ist und beschäftigt werden will. Was sich bei meiner Tochter bei Minus-Temperaturen immer wieder als Problem herausstellt. Denn nach draußen will sie trotz Winterboots und Schneeanzug nicht: zu kalt, zu nass, zu ungemütlich und überhaupt. Vielleicht hätte ich sie doch besser in einen Kindergarten mit erstklassigem Plastikspielzeug schicken sollen, in dem Spielen im Freien ab fünf Grad verboten ist. Doch so will sie momentan nur eins, wenn ich sie nachmittags abhole: gemütlich im warmen Kinderzimmer hocken und von mir bespaßt werden. Doch zum Glück ist diese Zeit ja bald vorbei, auch wenn draußen noch Schnee liegt, während ich diese Zeilen schreibe, und wir können alsbald mit Kind und Anhang wieder ohne Meckerei an die frische Luft gehen. Einer meiner Lieblingsorte, der ganz besonders für kleine Kinder perfekt zum Spielen ist, weil es nur einen Ein- und Ausgang gibt, ist der Krausnickpark. Ein wahrer Geheimtipp unter Müttern, denn er ist nur sehr versteckt durch ein kleines eisernes Tor auf der Oranienburger Straße zu betreten. Doch wenn man erst einmal dort gelandet ist, möchte man so schnell nicht mehr gehen. Denn wo kann man noch, nur wenige Meter unweit des Hackeschen Marktes, eine grüne Oase der Ruhe finden, in der Hasen über die Wiese hoppeln, während Mütter im Schatten der Bäume sich einen Café Latte gönnen und ihren Kinder dabei zusehen, wie sie mit Bobby Car über die Hügel preschen. Perfekt für alle, die keine Lust haben den halben Tag im Auto zu verbringen, nur um etwas Grün zu sehen, und auf die Schnelle etwas Natur tanken wollen.
Ebenfalls sehr nett und mit der Tram leicht zu erreichen ist der Park am Weißen See. Dort gibt es nicht nur zahlreiche Spielplätze und ein Wildgehege, sondern auch noch ein nettes Café mit nostalgischem Flair: das Milchhäuschen. Und wenn den Kindern vom Spielen zu warm geworden ist, könnt ihr euch mit ihnen gleich danach im angrenzenden Strandbad abkühlen. Danach werden sie abends in jedem Fall ruck, zuck einschlafen und ihr könnt entspannt die Füße hoch legen.
Adresse: Der Krausnickpark liegt versteckt zwischen Krausnickstraße, Oranienburger Straße und Große Hamburger Straße. Eingang: Oranienburger Straße 19 / 20 Strandbad Weißensee Berliner Allee 155 13086 Berlin Telefon: 030/ 925 32 41 Verkehrsanbindung: Tram 4 / 12 / 13 bis
Alle, die sich nicht scheuen, für einen Ausflug in die Natur auch eine kleine Wegstrecke in Kauf zu nehmen, möchte ich die Domäne Dahlem ans Herz legen. Denn dort können die Kinder nicht nur wild herumtoben und Räuber und Gendarm spielen, bis sie müde umfallen, sondern auch noch Ponyreiten oder eine kleine Traktorenkutschfahrt durch das Gut unternehmen. Zudem werden dort immer wieder verschiedene Workshops und Events veranstaltet, so zum Beispiel der Familienworkshop „Heute koche ich mit Papa“ am 20. April, in dem sich die Kinder gemeinsam mit ihrem Vater im Schnipseln, Rühren und Braten üben können. Am 27. April wiederum öffnet ein historischer Jahrmarkt im Stil der Zwanzigerjahre seine Pforten und lädt zum Karussellfahren und Naschen von kandierten Früchten ein. Bei schönem Wetter das perfekte Ausflugsziel an einem Sonntagnachmittag.
Berliner Allee / Indira-Gandhi-Straße, Bus 255 Stiftung Domäne Dahlem – Landgut und Museum Königin-Luise-Straße 49 14195 Berlin www.domaene-dahlem.de Eintritt: Museum: 3 Euro / ermäßigt 1,50 Euro Marktfest: 2 Euro / ermäßigt 1 Euro Außerhalb der Marktfeste und Events ist die Domäne auch ganzjährig ohne Eintritt zugänglich. Zoo-Aquarium Berlin Budapester Straße 32 10787 Berlin www.zoo-berlin.de
Und wenn alle Stricke reißen und der April ebenso stürmisch wird wie der März, so könnt ihr immer noch in das Zoo-Aquarium gehen. Denn dort gibt es nicht nur jede Menge zu sehen, sondern es ist auch kuschelig warm!
Eintritt: Erwachsene 13 Euro / Kinder von 5 bis 15 Jahren 6,50 Euro öffnungszeiten: ganzjährig von 9 bis 18 Uhr
20 Kunsttipps von EYEOUT
Kunst tipps
von
EyeOut
Text Melissa Frost Translation Robert Schlicht, P. 47
In dieser Kolumne stellen wir euch jeden Monat eine kleine Auswahl der interessantesten Ausstellungen in Mitte vor. Weitere spannende Tipps findet ihr in der iPhone App EYEOUT Berlin (www.eyeout.com).
Peter Fischli / David Weiss 2. März – 13. April 2013 Sprüth Magers Berlin, Oranienburger Straße 18, S1, S2, S25 Oranienburger Straße, Di – Sa 11 – 18 h +49-30-28 88 40 30, info@spruethmagers.com, www.spruethmagers.com
Foto: Peter Fischli / David Weiss (Ausstellungsansicht) Courtesy Sprüth Magers, Berlin
Im Zentrum der aktuellen Ausstellung bei Sprüth Magers stehen Werke von Peter Fischli und David Weiss, die sich mit Flughäfen beschäftigen. Fischli und Weiss gingen oft vom Unspektakulären aus, um theoretische und philosophische Fragen über die uns umgebende Welt aufzuwerfen, und erweiterten die Kernthemen ihrer künstlerischen Arbeit seit den 1980er Jahren um Techniken des Verkehrs. Neben großformatigen, wechselnden Projektionen verschiedener Flughäfen werden in der Ausstellung auch zwei (ursprünglich Ende der 80er entstandene) neu gegossene Skulpturenreihen von Frauen in Geschäftskleidung sowie von Automobilen gezeigt. Sachlich, weiß und ohne klar bestimmte Eigenschaften spielen die skulpturalen Arbeiten mit den projizierten Bildern, um die Banalität des internationalen Reisens, des Geschäftslebens und der ökonomischen Globalisierung in den Vordergrund der in der Ausstellung eröffneten Debatte zu rücken.
Berta Fischer 2. März – 19. April 2013 Galerie Barbara Weiss, Kohlfurter Straße 41 / 43, U1, U8 Kottbusser Tor, Di – Sa 11 – 18 h +49-30-262 42 84, mail@galeriebarbaraweiss.de, www.galeriebarbaraweiss.de
Berta Fischer (Ausstellungsansicht) Courtesy Galerie Barbara Weiss, Berlin Foto: Bernd Borchardt
Mit ihren farbenreichen, fragilen und vage anthropomorphen Formen aus Plexiglas und Polyurethanschaum untersucht die Bildhauerin Berta Fischer in der Galerie Barbara Weiss den Raum zwischen dem Natürlichem und dem Künstlichem. Indem Fischer zur Erkundung organischer Formen Kunststoffe einsetzt – und diese bis zu den Grenzen ihrer Belastbarkeit dehnt –, wird die materielle Umwandlung, die für die Arbeit der Künstlerin zentral ist, intensiviert. Die von den Arbeiten in der Ausstellung geschaffene, ebenso vertraut wie fremd erscheinende synthetische Welt verstärkt sich auf spielerische Weise durch Fischers Wahl der Titel, die eine Reihe von Figuren aus einem unbekannten mythologischen Reich evozieren. Die Arbeiten definieren ihren Raum neu – dies jedoch durch einen Diskurs, der nur wenig mit Architektur zu tun hat; der Raum wird von den Gegensätzen, zwischen denen Fischers Werk sich bewegt, eingenommen und neu entworfen.
Ulf Aminde 8. März – 20. April 2013 Galerie Tanja Wagner, Pohlstrasse 64, U1 Kurfürstenstraße, Mi – Sa 11 – 18 h +49-30-86 43 01 20, info@tanjawagner.com, www.tanjawagner.com
Foto: Ulf Aminde – The Weight (Ausstellungsansicht) Courtesy Galerie Tanja Wagner, Berlin
Ulf Almindes Ausstellung The Weight ist die verblüffende Realisierung eines emotionalen Minimalismus. Auf materieller Ebene besteht die Ausstellung aus einem kleinen Klumpen geschmolzenen Goldes, der auf einem schwarzen Sockel präsentiert wird, was eine nüchterne, an Präsentationen von Artefakten und Edelmetallen in einem Museum erinnernde Atmosphäre erzeugt. Ein Blick auf die Presseinformation – ein Brief, der von der Partnerin des Künstlers, der Schriftstellerin Svenja Leiber, verfasst wurde und eher ein zweites Werk der Ausstellung als eine traditionelle Presseveröffentlichung ist – verdeutlicht die Vielzahl der Bedeutungen des Ausstellungstitels. Tatsächlich steht der Goldklumpen symbolisch für die Hochzeitsringe des unverheirateten Paars. Auf seinen elementarsten Wert reduziert – dem geldlichen von 6,3638 Gramm Gold –, erscheint die Bedeutung und Verflechtung von Liebe und Arbeit zwischen zwei Künstlern als das wahre Gewicht der Ausstellung und begründet eine komplexe, mit ebenso großer Spannung wie Zartheit ausgeführte Untersuchung über zwischenmenschliche Beziehung und Partnerschaft.
22 Augenschmaus
Ohlert schieSSt scharf Text Paul Schlosser Fotos Stini Mimissonsdottir
Für seine innovative Bilderserie Photographed by lässt sich der in Berlin lebende Fotograf Joseph Wolfgang Ohlert von populären Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens ablichten. Für Augenschmaus hat Joseph, der mit seinen 21 Jahren schon ganz gut in der Kunstszene verwurzelt ist, mal eine Ausnahme ge-
macht und gewährt uns einen Einblick in sein Zuhause im Prenzlauer Berg. „Liegende Schönheiten“, Ohlerts jüngste, in der Galerie ANSICHT gestartete Ausstellung zeigt noch bis zum 27. April nackte Grazien in ihrem unverhüllten Glanz.
MÜTZE SCHAL Den Schal habe ich vor
Ich trage eigentlich keinen Pelz, aber diese Mütze mag ich trotzdem
einigen Jahren während
sehr gerne. Sie muss
eines Camping-Ausflugs
meinen Großeltern
in Schottland gekauft. Er hat nur knapp 20 Pfund gekostet und ich mochte das kräftige
gehört haben. Ich habe sie in einer alten Hutbox irgendwo auf dem Dachboden gefunden.
Rot sehr gern. Er ist
Im Winter schlafe ich
nicht unbedingt für
sogar manchmal in ihr,
den täglichen Gebrauch
da sie die Ohren so schön
geeignet, es sei denn,
warmhält und mich an
man möchte ein
meine Familie erinnert.
Statement setzen. Viele der Sachen, die ich trage, habe ich von meinem Vater oder Großvater. Ich gebe nie sonderlich viel Geld für Klamotten aus.
KETTE Die goldene Halskette habe ich von meiner Tante geschenkt bekommen, als ich ungefähr sechs Jahre alt war. Auf dem Anhän-
HOSE Die Hose hat mein Vater in den Neunzigern ganz oft getragen. Irgendwann ist er allerdings rausgewachsen und ich habe sie für mich
ger steht Joseph bzw. Yusuf in arabischen Schriftzeichen. Erst mit vierzehn habe ich angefangen sie zu tragen, und ich gehe seitdem nicht mehr ohne sie aus dem Haus.
entdeckt. Sie hat etwas sehr Avantgardistisches. Sie ist aus ganz feiner Seide und extrem weit geschnitten.
www.josephwolfgang. ohlert.de ANSICHT | Photo. Design. Art Fehrbelliner Straße 23 10119 Berlin-Mitte www.ansichtberlin.de
playlist des monats
23
Abhörstation Text Carlos de Brito
Neben Liebe und Tod gehört die Freiheit zu den meist behandelten Sujets in der Musik. In unserer neuen Rubrik haben wir euch zehn Songs zu dem Thema zusammengestellt. Paul McCartney & Wings -
Devo –
Blackbird
Freedom of Choice
Eine schöne Beatles-Ballade aus Paul McCartneys Feder, die symbolisch den Freiheitskampf der schwarzen Bevölkerung Ende der Sechziger in den US-amerikanischen Südstaaten thematisiert.
New-Wave-Legenden, die immer die Rückentwicklung (Devolution) der Menschheit proklamiert haben und ihr kurz und knackiger Aufruf, das Folgen der sozialen Herde nicht als Freiheit misszuverstehen.
The Doors -
Bob Marley –
Break on Through
Redemption Song
Weltberühmter Anti-Establishment-Song über den Weg hin zur anderen Seite der Wahrnehmung, den Jim Morrison und Bandkollegen mit allen möglichen Substanzen beschritten haben. Auch eine Art der Freiheit.
Einer der bekanntesten und meist gecoverten Songs (u. a. Johnny Cash, Stevie Wonder, Rhianna, Youssou N’Dour, Life of Agony) zu dem Thema. Indes, das Original bleibt unerreicht.
Steve Miller Band –
Edith Piaf –
Fly Like an Eagle
Non, je ne regrette rien
Handelt eher von Weitsicht als Freiheit. Dennoch in dieser Liste gelandet, weil er so funky wie kaum ein anderer Song Problemlösungen anspricht, die allen zur Freiheit verhelfen sollen. Tolles Stück!
Lebensbejahender und mit mehr Verve hat wohl selten jemand die Freiheit besungen nichts zu bedauern, Fehler zu begehen, die falsche Entscheidung zu treffen und die Vergangenheit einfach hinter sich zu lassen.
George Michael –
Ornette Coleman –
Freedom ’90
Free Jazz
George Michaels sehr autobiografischer Song über seine Freiheit, offen zu seiner Homosexualität zu stehen und sich von der Musikindustrie in kein Korsett zwängen zu lassen. Großer Pop.
Colemans Album war titelgebend für ein ganzes JazzGenre und die Freiheit, sich von musikalischen Zwängen zu befreien. Wie das klingt? Für manche wie eine Zumutung, für andere wie das Höchste der Gefühle.
Stetsasonic – Freedom or Death Die US-amerikanische Variante des griechischen Wahlspruchs Elefthería i thánatos („Freiheit oder Tod“) klingt auch 25 Jahre später immer noch frisch. Ein Klassiker des Conscious Raps.
Jay-Z – Empire State of Mind „In New York / Concrete jungle where dreams are made, oh / There’s nothing you can’t do…“ Eine der schönsten Hymnen auf die Stadt, die wie keine andere für Freiheit steht.
WiMP ist ein Musikstreamingdienst, der es dir erlaubt über deinen Computer oder dein Smartphone Millionen von Songs anzuhören, 100 Prozent legal und werbefrei. Mit lokaler Perspektive und Expertenwissen begleitet WiMP seine Nutzer durch alle Genres und inspiriert dazu sowohl alte Musikschätze als auch die neuesten Hits zu entdecken – so wie früher im Plattenladen. Jetzt kostenlos testen: wimp.de
Kulturgut 25
Illustrator des monats: katja spitzer
Katja Spitzer hat in Leipzig und Luzern Illustration studiert und arbeitet seit 2011 im Atelier petit 4. in Prenzlauer Berg. Sie illustriert für Verlage und Magazine, beispielsweise für taz, Ullstein Verlag, Nobrow Press, Arenaverlag, the loop, Zeit leo, dtv, Mare oder Brigitte. Neben Aufträgen entwickelt sie auch eigene Projekte. 2010 zeichnete sie jeden Tag einen Mädchenkopf mit Buntstiften im Format A5. Alle 365 Porträts sind auf ihrem Blog archiviert. Für das Buch Quodlibet illustrierte sie 26 Begriffe, die mit Q beginnen. Q ist schließlich der am wenigsten gebrauchte Buchstabe im deutschen Alphabet. Katja beschloss, dem Q, das keinen eigenen Brockhaus-Band hat, sondern irgendwo zwischen PES und RAC versteckt ist, ein Buch zu widmen. Die Erfinderin des Minirocks, Mary Quant, kommt genauso vor wie das chinesische Einhorn Qilin, die toltekische Gottheit Quetzalcoatl, die ausgestorbene Zebra-Art Quagga oder der Regisseur Quentin Tarantino. Die Texte zum Buch schrieb der Journalist Sebastian Gievert, die typografische Gestaltung übernahm Paulina Pysz. Quodlibet erschien 2011 bei Nobrow Press London und wurde mit der Goldmedaille des New Yorker 3 × 3 Magazins und dem Output Award ausgezeichnet. Seit 2007 illustriert Katja Spitzer zusammen mit drei Kolleginnen jährlich einen Siebdruck-Pin-up-Kalender, der bei der Büchergilde Gutenberg erscheint. Ihre Arbeiten wurden mehrfach ausgezeichnet und international ausgestellt. Themen, die Katja für zukünftige Projekte berücksichtigen möchte, sind: Hunde, Tierbabys, George Clooney, Häuser am Meer, Islandponys, große Männer der Weltgeschichte und ihre Lieblingsdrinks, Komodowarane. Katja Spitzer arbeitet am liebsten im Atelier, im Café, in der Bahn, auf dem Balkon vor dem Müggelsee, am liebsten jeden Tag woanders – aber immer und ausschließlich unter dem Einfluss von Koffein. www.katja-spitzer.de
Du bist Illustrator und möchtest mit deinem Artwork das nächste heraustrennbare MITTESCHÖN-Poster zieren? Dann schick uns deine Bilder und Entwürfe an: info@mitteschoen.com.
Kieztalk 29
Willkommen in der globalen Telepolis! Interview mit Paula Hannemann Text Bettina Schuler Fotos Joachim Zimmermann Translation P. 47
Jahrelang wurde das Internet vor allem für das Erlangen von Informationen genutzt. Und das, obwohl es von Beginn an als ein Medium konzipiert war, das im Gegensatz zu den klassischen Medien wie Radio und Fernseher die Möglichkeit zur dialogischen Kommunikation bot. Nach und nach jedoch scheinen die Nutzer zu erkennen, dass man dank des Word Wide Webs nicht nur leichter an Informationen oder Waren gelangt, sondern auch aktiv an der Veränderung unserer Gesellschaft teilhaben kann. Eine Utopie, die dem Medienphilosophen Vilém Flusser bereits Anfang der siebziger Jahre für das Internet vorschwebte, und der durch Schaffung eines globalen Netzes die Möglichkeit für jeden sah, sich politisch zu engagieren. Eine Vision, die immer mehr zur Realität wird, was Plattformen wie Change.org beweisen. Denn dort kann sich jeder, egal zu welchem Thema, ob global oder national, engagieren, indem er online einen Appell startet und versucht Unterstützer zu gewinnen. Häufig mit Erfolg, wie die Petition der Eltern von Trayvon Martin, der im Februar 2012 in Florida erschossen wurde, zeigt. Denn aufgrund ihrer Petition, die mehr als zwei Millionen Menschen unterstützten, wurde der Mörder ihres Sohnes letztendlich doch noch vor Gesicht gestellt. Ob Change.org immer so erfolgreich ist und ob es wirklich so einfach ist, sich politisch zu engagieren, darüber haben wir mit Paula Hannemann, Campaigns Director Germany von Change.org, gesprochen.
30 Kieztalk
Paula, kann eine kleine Gruppe von Menschen die Gesellschaft verändern? Auf jeden Fall! Wie sagt die Sozialwissenschaftlerin Margaret Meat so schön: „Never doubt that a small group of thoughtful, committed citizens can change the world. Indeed, it is the only thing that ever has.“ Ich glaube allerdings, dass es dafür sehr viel Einsatz bedarf und es nicht mal eben so nebenher geht. Aber irgendeiner war es immer, der als erster die Hand erhoben hat, um auf bestimmte Missstände und Probleme in unserer Gesellschaft aufmerksam zu machen. Ist gesellschaftliches Engagement durch das Internet und Plattformen wie die eure leichter als noch vor dreißig Jahren? Natürlich. Es ist heute nicht nur viel leichter, tausende von Menschen für eine Demonstration zu mobilisieren, sondern auch viel günstiger.
Aber trotzdem ist der individuelle Protest, sprich, eine neue Idee öffentlich vorzustellen und diese dann in die Realität umzusetzen immer noch schwere Arbeit. Eine Online-Petition alleine reicht also doch nicht aus, um etwas zu verändern ... Aber der Appell findet ja nicht nur online statt. Die Online-Petition ist lediglich das digitale Bild eines bestimmten Protestes, hinter dem eine reale Person mit einem realen Problem steht, das in der realen Welt stattfindet. Und die Unterstützer, die diese Petition unterzeichnen, sind ebenfalls reale Unterstützer in der realen Welt. Man darf eine Online-Petition auch nicht mit einem Bürgerbegehren oder einem Volksentscheid verwechseln. Eine OnlinePetition ist lediglich der Anfang eines digitalen Protests, durch den der Initiator auf leichtem Wege Unterstützer findet, die er
wiederum für die Organisation einer Demonstration oder eines Twitter-Protests ansprechen kann. Im amerikanischen Sprachgebrauch nennt man dieses Verfahren auch Online Mobilising. Dieses Wort trifft es eigentlich genau auf den Punkt. Die eigentlich schwere Arbeit findet erst nach dem Verfassen der Petition statt. Das zeigt sich jetzt auch wieder am Beispiel der East Side Gallery. Zu fordern, dass die East Side Gallery, so wie sie jetzt ist, erhalten bleiben soll, ist leicht. Kompliziert wird es erst, wenn es darum geht festzulegen, wann man auf die Straße geht, sich zu fragen, welche Journalisten man anspricht und welche Politiker sich für das Thema interessieren könnten. Aber nicht jeder hat das entsprechende Know-how, geschweige denn die Hardware und Software, um eine Online-Petition ins Netz zu stellen. Ganz besonders nicht in den Ländern, wo es besonders dringlich wäre, auf Missstände aufmerksam zu machen ... Die Internetpenetration in den südostasiatischen und afrikanischen Raum zum Beispiel wird sehr oft unterschätzt. Dabei wird gerade dort das Netz als Ort des politischen Protests rege genutzt. Was ist mit den älteren Menschen über sechzig, die gerade hier in Deutschland sowohl macht- als auch wirtschaftspolitisch eine große Rolle spielen. Nutzt diese Altersgruppe das Internet für solche Zwecke? Beziehungsweise, bekommt sie überhaupt mit, was sich dort auf den öffentlichen Marktplätzen abspielt?
Kieztalk 31
Unsere Nutzererfahrung zeigt, dass auch diese Altersgruppe sich aktiv im Netz bewegt und dass die digitale Kluft, zumindest, was die Basis-Anwendungen betrifft, überhaupt nicht mehr so groß ist wie noch vor fünf Jahren. Aber oft ist es ja auch die Schere im Kopf, die einen daran hindert, sich zu engagieren. Deshalb ist es auch wichtig, so lange auf die Erfolge von Online-Petitionen aufmerksam zu machen, bis sich Online-Petitionen als eine mögliche Form des po-litischen Engagements in das kollektive Gedächtnis eingebrannt haben. Wie viele Kampagnen sind denn im Schnitt bei euch erfolgreich? Und was bedeutet eigentlich erfolgreich? Die Nutzer entscheiden, wann und ob ihre Kampagne erfolgreich war. Wir von Change.org haben mit dieser Entscheidung nichts zu tun. Im Schnitt sind das 9,6 Kampagnen pro Tag von 15.000 neuen Petitionen, die weltweit jede Woche neu gestartet werden. Ihr seid keine Non-Government-Organisation, sondern ein Social Business. Was heißt das konkret? Dass wir uns nicht durch Spenden oder Mitgliedsbeiträge finanzieren, so wie es die NGO klassischerweise tun. Bei uns können gemeinnützige Organisationen wie Greenpeace oder Amnesty International gesponserte Petitionen schalten. Konkret heißt das: Wenn du schon dreimal im Bereich Menschrechte eine Petition auf Change. org unterzeichnet hast, dann kann es sein, dass beim vierten Mal ein Pop-up auf dei-
nem Bildschirm erscheint, der dich fragt, ob du eine ähnliche Petition zum Beispiel von Amnesty International unterzeichnen willst und ob Amnesty dich weiterhin über seine Aktivitäten per Mail informieren darf. Falls du zustimmst, und nur dann, geben wir deine E-Mail-Adresse weiter und bekommen dafür circa 1,50 Euro von der jeweiligen Organisation. Und wenn ich nicht will, dass ihr meine EMail-Adresse weitergebt? Dann machen wir das natürlich nicht. Du wirst bei jeder Petition explizit gefragt und kannst für jeden Fall neu und individuell entscheiden. Der Gewinn, den wir aus diesem Finanzierungsmodell generieren, wird wiederum komplett in das Wachstum von Change.org investiert. Denn das Ziel eines Social Business ist es nicht, wie bei einem ganz gewöhnlichen Unternehmen möglichst hohe Gewinne zu erwirtschaften, sondern dem sozialen Projekt zum Erfolg zu verhelfen. Hast du eigentlich selbst schon mal eine Online-Petition gestartet? Ja, als ich noch beim WWF war, habe ich das mehrfach für den WWF gemacht. Jetzt, als Kampagnenchefin bei Change.org, bin ich dazu da, meine Kraft den Anliegen unserer Nutzerinnen und Nutzer zu widmen und ihnen zum Erfolg zu verhelfen. Aber wenn ich nicht bei change arbeiten würde, würde ich sofort eine Kampagne gegen den Einsatz von Aluminiumzusätzen in Deos starten. Ich habe nämlich letztens auf arte erfahren, dass die krebserregend sein können.
„Die Nutzer entscheiden, wann und ob ihre Kampagne erfolgreich war.“
32 Augen zu und Mund auf
happa happa! Eine Frühlingswiese Text Sophia Hoffmann Bilder Gregor Bauer
Kräuter-Pfannkuchen-Nudeln mit Ziegenkäse (für 4 Personen):
½ Zehe frischer Knoblauch eine Handvoll getrocknete Tomaten
Salz
1 bunter Strauß gemischte Kräuter (was zur Hand ist,
3 Eier
zum Beispiel Petersilie, Schnittlauch, Basilikum, Dill.
Pfeffer
Vorsicht nur bei „dominanten“ Kräutern wie Minze
400 ml Milch
oder Estragon, diese im Vergleich sparsam dosieren)
200 g Dinkelvollkornmehl
ein paar Champignons, Kräuterseitlinge oder getrock-
2 bis 3 Frühlingszwiebeln
nete Steinpilze.
200 g Ziegenfrischkäse
Fett zum Pfannkuchen backen (Rapsöl/Ghee/Butter)
Ich versuche ja immer ganz brav nur saisonale, am besten auch noch regionale Obst- und Gemüsesorten zu verarbeiten. Nach einem langen, von Steckrüben, Apfelbacken und Rosenkohl geprägten Winter wird das aber irgendwann irrsinnig öde. Deshalb präsentiere ich heute ein alltagstaugliches Konsensgericht, das Political Correctness atmet und doch schon einen Hauch von Frühlingswind in unsere von der Heizungsluft ausgetrockneten Geschmacksknospen zu pusten vermag. Kräuter sind sowieso der Chef.
Pfannkuchen sind eines meiner Lieblingsgerichte seit frühester Kindheit. Zu Hause gab es sie meistens salzig. Mit Spinat und Käse gefüllt oder mit Erbsen. Eine eher unpraktische Idee, da diese, selbst wenn man die Pfannkuchen einrollt, an allen Ecken und Enden herauskullern. Deshalb verarbeite ich sie lieber gleich zu gefälschten Bandnudeln. Denn eine Pastamaschine besitze ich (noch) nicht. Macht aber nix. Schummeln ist super.
Zubereitung:
Die Kräuter mit der Milch in einen Mixer geben oder mit einem Pürierstab zu grüner Milch verarbeiten. Mit den Eiern, dem Mehl und einer Prise Salz zu einem Teig verrühren. 20 Minuten quellen lassen. Frühlingszwiebeln und getrocknete Tomaten in feine Streifen schneiden. Pilze putzen und in Scheiben schneiden. Falls es sich um getrocknete Pilze handelt, diese einfach besonders fein schneiden, dann muss man sie auch nicht vor der Weiterverarbeitung einweichen.
Diese drei Komponenten in etwas Ghee oder Olivenöl bei niedriger Hitze anschwitzen und nett durchziehen lassen. Den frischen Knoblauch fein hacken und dazugeben. Den Ziegenfrischkäse mit etwas Wasser in einem kleinen Topf auflösen, mit Salz und Pfeffer abschmecken. Aus dem grünen Teig mit ordentlich Fett dünne Pfannkuchen backen. Vor dem Servieren in dünne, bandnudelartige Streifen schneiden. Die Ziegenfrischkäse-Creme und das geschmurgelte Gemüse darüber. Guten Appetit!
34 Kieztalk
What Ali Wore Text Sophia Hoffmann Fotos Zoe Spawton
Die in Berlin lebende australische Fotografin Zoe Spawton hat in ihrer direkten Nachbarschaft ein ganz besonderes Motiv entdeckt: Ali, einen türkischstämmigen älteren Mann, der ihr durch seinen extravaganten Kleidungsstil auffiel. Ihr Blog What Ali Wore dokumentiert seine eindrucksvollsten Outfits und die Begegnungen der beiden. Wir haben Zoe dazu ein paar Fragen gestellt.
Kieztalk
Wo kommst du her und was machst du in Berlin? Wie hast du Ali kennengelernt? Ich bin aus Melbourne und lebe seit fast einem Jahr hier. Neben meiner Tätigkeit als Food- und Dokumentarfotografin jobbe ich in einem Café in Neukölln. Ali lebt im Haus darüber. Während ich morgens die Tische und Stühle auf der Straße aufstellte, fiel mir dieser gut angezogene Herr auf, der ungefähr um neun Uhr das Haus verließ. Wir lächelten uns an und sagten „Hallo“. Irgendwann fragte ich ihn nach seinem Namen und ob ich ihn mal fotografieren dürfe. Am Anfang war er etwas zögerlich, aber nach dem zweiten Mal kam er langsam auf den Geschmack. Seid ihr mittlerweile Freunde geworden? Ja. Einer der Gründe, weshalb unsere Freundschaft so besonders ist, hat sicher mit der Tatsache zu tun, dass wir kaum miteinander sprechen können. Ali kommt ursprünglich aus der Türkei, spricht aber auch Deutsch, Italienisch, Spanisch und, ich glaube, sogar Griechisch. Dafür fast kein Englisch. Meine Deutschkenntnisse sind sehr begrenzt, wir können also keine tiefschürfenden Unterhaltungen führen. Wir haben uns zweimal abseits des Cafés getroffen, einmal zufällig in der S-Bahn in Friedrichshain und ein anderes Mal, als Ali mich zum Äpfel pflücken mit seinem Chef und dessen Tochter mitgenommen hat. Obwohl es sehr nett war (Ali bestand fast die ganze Zeit darauf meine Tasche für mich zu tragen), war es doch auch eine ziem-
35
liche Herausforderung, dass die drei den ganzen Tag nur Türkisch miteinander gesprochen haben. Was weißt du über ihn? Ich weiß, dass er Arzt ist und 18 Kinder hat. Ich denke mal, er war schon immer ein selbstbewusster Typ, und den Schalk hat er noch immer im Blick. Wie erlebst du die Gentrifizierung im Stadtteil Neukölln? Hast du irgendwelche speziellen positiven oder negativen Erfahrungen gemacht? Eigentlich hatte ich bisher keine negativen Erfahrungen, außer, dass mal jemand in das Café kam und sich lauthals auf Deutsch beschwert hat, dass wir die Ursache für das Gentrifizierungsproblem seien. Die Gegend, in der sich der Laden befindet ( Pannierstraße nahe Sonnenallee ), war früher heruntergekommen und hatte nicht viel zu bieten. Von dieser Perspektive aus betrachtet ist es gut, dass junge Menschen aus aller Welt herkommen und Dinge verändern. Natürlich ist es wiederum nicht gut, wenn Menschen, die schon lange hier wohnen, sich die Mieten nicht mehr leisten können. Aber das ist ein Phänomen, das es in allen größeren Städten dieser Welt gibt, die sich dynamisch entwickeln, auch in Melbourne, meiner Heimatstadt. Ich glaube, es ist für die Vertreter beider Seiten und Meinungen wichtig, genauer hinzusehen. www.zoespawton.com
Hosenanzug Michael Sontag Kaschmir-Pullover Liebig Schuhe Vintage Ohrringe Ti Sento
H a e n ds t a t i o n s a p l a t z
Fotograf Jean-Louis Wolff @ Bransch Fotoassistenz Pauline Payen Artdirection & Styling Dörte Lange
Haare & Make-Up Sacha Schütte @ Bigoudi Model Ida @ M4 Models
Dank an Nuri, Lianna, Sandra, Susann
Kleid und Armbänder Issever Bahri, Mantel Mongrels in Common, Hut und Schuhe Vintage
Rock Thone Negrón Kaschmir-Pullover Liebig Kette, Armband und Ring Sabrina Dehoff Strumpfhose Hudson
40 Kulturgut
Die Mauern in den Köpfen Text Sophia Hoffmann Fotos Wolfgang Fritsche Translation P. 48
Donnerstagabend, 19:30 Uhr, 9. November 1989 in Mitte. Premiere im Kino International. „Coming Out“, ein Film mit schwuler Thematik, wird hier im Ostteil der Berliner City uraufgeführt. Bemerkenswert daran ist nicht nur, dass der für damalige Verhältnisse freizügige Film in der DDR überhaupt ausgestrahlt wird – er wurde sogar von der DEFA, dem staatseigenen Filmunternehmen, produziert. Als die Gäste das Kino nach der Vorstellung verlassen, werden sie Zeugen davon, wie das Regime einem Kartenhaus gleich in sich zusammenfällt und die ersten von über 16 Millionen Menschen ihre Freiheit erlangen ...
Heute strömen junge Menschen aus aller Welt nach Berlin auf der Suche nach Ausgelassenheit, Party und Abenteuer. Die Stadt gilt als Mekka des modernen Hedonismus, geprägt von einem Lebensgefühl persönlicher Grenzenlosigkeit. Ein großer Teil dieser Friede-Freude-Eierkuchen-Familie entsprang der schwulen Subkultur. In keiner anderen Stadt wird Homosexualität in all ihren Spielarten so offen ausgelebt wie hier. Im Herbst 1989 sieht das noch ganz anders aus. Vor allem auf der Ostseite der Mauer zelebriert Man(n) sich im Verborgenen. Umso ungewöhnlicher also, dass die Deutsche Film AG (DEFA), gerade einen Film für die breite Masse fertiggestellt hatte, der sich offen mit dem Thema Homosexualität auseinandersetzt. Coming Out erzählt die Geschichte von Philipp, einem jungen Lehrer, der durch die Verdrängung seiner Sexualität in eine schwere Identitätskrise gerät.
Foto-Credits: © DEFA-Stiftung / Wolfgang Fritsche
Er unterhält eine Alibi-Beziehung mit einer Kollegin und verleugnet seine Gefühle für Matthias, den er in einem Szene-Lokal kennengelernt hat. Die Freundin wird schwanger, die Liebe der beiden Männer fliegt auf, Matthias versucht sich das Leben zu nehmen, weil Philipp nicht zu ihm steht. Der erste Schritt Richtung Outing findet in den letzten Sekunden des Films statt, als Philipp bei einer unangekündigten Prüfung während des Unterrichts, die offenbar auf die Gerüchte um sein Privatleben zurückzuführen ist, schweigend innehält und nur ein Wort sagt: „Ja.“ Das neue Leben des Protagonisten beginnt erst nach dem Abspann, auf seinem Fahrrad strampelt er am Alexanderplatz gelöst einer ungewissen Zukunft entgegen. Das Ende ist offen. Zum Zeitpunkt des Drehs konnte allerdings niemand ahnen, dass diesem symbolischen Aufbruch ein viel größerer, historischer folgen sollte: die Wiedervereinigung Deutschlands. Die Premie-
Kulturgut 41
re von Coming Out findet am 9. November 1989 im Ostberliner Kino International statt. Aufgrund des großen Andrangs gibt es an diesem Abend zwei Vorstellungen. In der ersten sitzt auch der Schauspieler Pierre Sanoussi-Bliss. Er spielt einen jungen Mann, der aufgrund seiner dunklen Hautfarbe in der U-Bahn verprügelt wird. Nach der Vorstellung macht er sich gemeinsam mit zwei Kolleginnen auf den Weg in das Lokal Burgfrieden unweit der Bornholmer Brücke, wo die Premierenfeier stattfindet. Dort erfahren sie vom Fall der Mauer. Währenddessen ist die zweite Vorstellung in vollem Gange. Der Rest des Ensembles befindet sich noch auf der Premierenbühne, da laufen die drei beschwingt los zum Ort des historischen Gesche-
Sieht man sich Coming Out heute an, wirkt er wie ein angestaubtes Zeitdokument aus einer Ära, als Homosexualität zwar nicht mehr strafrechtlich verfolgt wurde, aber noch meilenweit von gesellschaftlicher Akzeptanz entfernt war. Überzogen erscheint Philipps Angst vor der sozialen Ausgrenzung, karikaturartig die Darstellung einer schwulen Welt, in der kunterbunte, aufdringliche Transen ungefragt über ihn herfallen und traurige alte Männer sich einsam an der Bar betrinken. Sanoussi-Bliss findet die Überzeichnung ganz okay, sie sei schließlich dem Umstand geschuldet, dass viele Szenen zur Faschingszeit spielen. Auch wenn er selbst damals nicht so von der Qualität des Films überzeugt war, erkenne er die historische Bedeutung aus heutiger Sicht bedingungslos an. Das Verlangen von Heiner Carow, Regisseur des DDRKultfilms „Die Legende von Paul und Paula“, alles hineinpacken zu wollen, ja, endlich so einen Film drehen zu dürfen, entschuldigt die Überfrachtung mit allen nur erdenklichen gesellschaftlichen Positionen und Stereotypen. „Wir waren im Kopf schon weiter, als es im Film gezeigt wurde“, sagt Pierre Sanoussi-Bliss heute, „aber wenn der Film Menschen Mut gemacht hat, sich zu ihrer Natur zu bekennen und sich nicht mehr zu verstecken, ist seine Bedeutung nicht von der Hand zu weisen, und ich schweige in Demut.“
hens. Nach ein paar Metern besinnen sie sich, finden es unpassend, wenn die Hauptdarsteller gleich eintreffen und auf der Premierenfeier gähnende Leere herrsche. Sie kehren um. In diesem Moment ist ihnen bereits klar, dass die Öffnung endgültig sein wird. Ein paar Stunden später geht Pierre mit Matthias Freihof, dem Hauptdarsteller, und ein paar anderen dann doch noch zur Mauer, um sich mit eigenen Augen von dieser „Unmöglichkeit“ zu überzeugen, anschließend betrinkt man sich euphorisch. Um sieben Uhr früh muss Pierre zu Theaterproben nach Dresden aufbrechen und bekommt spaßeshalber von Freihof einen Entschuldigungsbrief für den Regisseur geschrieben, der die besonderen Umstände erklären soll. Danach verschwimmen die Erinnerungen. Es gibt ein unscharfes Schwarzweiß-Foto aus dieser Nacht, das die beiden jungen Männer an der gefallenen Mauer zeigt. Nur schemenhaft sind die vielen Menschen im Hintergrund zu erkennen, aber die Schauspieler blicken entspannt und zuversichtlich in die Linse.
Im Internet findet sich der Mitschnitt einer Radiodiskussion des DDR-Runkfunks von 1989. Die stark emotionalen Reaktionen vieler Hörer machen klar, wie wichtig der Film damals für jene war, die nicht auf ihr liberales Umfeld zählen konnten, nicht das Rückgrat besaßen, sich hinzustellen und laut „Ja“ zu sagen. Vielleicht hat es die Aufbruchsstimmung und das plötzlich überschäumende Freiheitsgefühl, das der Mauerfall mit sich brachte, manchen leichter gemacht. Auf jeden Fall wurde damals der Weg geebnet zu dem Gefühl von Berlin, das heute junge Menschen, egal, welcher sexuellen Orientierung, hierher lockt: Die große Freiheit. Pierre Sanoussi-Bliss ist ein deutscher Schauspieler, Regisseur und Drehbuchautor. Bekannt wurde er durch Filme wie Doris Dörries Keiner liebt mich (1994) und seine Rolle als Axel Richter in der ZDF-Serie Der Alte. Der Film Zurück auf Los! (2000), bei dem er Regie führte und das Drehbuch schrieb, lief erfolgreich auf vielen internationalen Festivals. Pierre Sanoussi-Bliss wohnt mit seinem Lebensgefährten in Berlin.
Berliner Gesichter 43
BERLINER GESICHTER Text Bettina Schuler Foto Tina Linste Translation P. 49
Andy Weisse, 50 Jahre alt, Elektronenkünstler und Anhänger der Freikörperkultur
Ich verdiene meinen Lebensunterhalt mit Content, Concepting und E-Solutions. Ich lese und schreibe also viel und dies meist mittels und inmitten von Elektronik und ihren vielfältigen Anwendungen. Und es bewegt mich tief, mit diesen Mitteln und Methoden ebenfalls Kunst zu produzieren. Schon immer faszinierte mich das Schaffen von Klängen mittels elektronischer Systeme und die Erweiterung meines Musikbegriffes. So kam ich bald von der elektronischen Musik zum elektronischen Film und vielen anderen Ausdrucksformen und Medien. Ich mache Elektronenkunst, sprich, ich probiere mich künstlerisch in allem aus, was Elektronen beherbergt und bewegt. Früher hätte man das als Multimedia-Kunst bezeichnet. Ich bevorzuge aber den Begriff der Elektronenkunst, der weiter zu fassen ist und auch höhere Energien beinhaltet oder gar Kunst beschreibt, die mit den menschlichen Sinnen ohne technische Hilfsmittel nicht wahrnehmbar ist. Wie ich zur Freikörperkultur gekommen bin? Ich hatte das Glück, in diese Kultur direkt hineingeboren zu werden, da meine Eltern bereits Mitglieder in einem FKK-Verein waren. Dort habe ich die schönste Kindheit erlebt, die man in einer Stadt wie Berlin erleben konnte. Und umso länger ich dabei bin, umso mehr genieße ich die freie Bewegung innerhalb der Natur, die mir unser Verein ermöglicht. Ganz besonders natürlich im Sommer. Denn es gibt für mich nichts Unbequemeres, als mit einer nassen Badehose am See herumzuliegen. Viele verwechseln die Freikörperkultur mit dem gewöhnlichen Nacktbaden. Dabei liegt der Fokus unserer Gemeinschaft nicht nur auf dem Nacktsein, sondern auf den Werten, denen wir uns verbunden fühlen und die wir im Miteinander auf unserem Gelände achten. So zum Beispiel auf dem Treiben von Sport ohne Leistungsdruck, dem Begegnen der Generationen, der Verbundenheit mit der Natur und der Egalität aller Menschen, ganz egal, aus welcher gesellschaftlichen Schicht sie stammen. Eine Gleichheit, die sich in der Nacktheit, und da schließt sich der Kreis wieder, ganz besonders deutlich zeigt. Denn nackt sind wir alle wieder auf das reduziert, was wir eigentlich sind: ein menschliches Lebewesen.
Dadurch, dass bei uns aufgrund der Kleidung keine gesellschaftlichen Unterschiede zu erkennen sind, kommen bei uns auch Menschen miteinander ins Gespräch, die vorher, im bekleideten Zustand, aufgrund der gesellschaftlichen Vorurteile sich vielleicht nie kennengelernt hätten. Die Freikörperkultur hat sich in den zwanziger Jahren aus der Nacktkultur entwickelt und sollte mit dieser nicht verwechselt werden. Von der Nacktkultur und ihren teils völkischen Anschauungen hat sich die Freikörperkultur ganz bewusst distanziert. Bei uns sind alle Menschen willkommen, ganz egal, welcher Nationalität, welcher Religion oder Weltanschauung sie anhängen oder welche politischen Ansichten sie vertreten, solange diese nicht diskriminierend sind. Was das alles mit meinem Leben zu tun hat? Sehr viel. Nicht nur, weil ich hinter der weltoffenen Toleranz dieser Gemeinschaft stehe, sondern auch, weil ich durch das Nacktsein innerhalb der Natur, das mir die Freikörperkultur ermöglicht, mein Gefühl, ein Teil der Natur zu sein, wahrhaft erleben kann. Für mich persönlich ist das auch gelebte Demut gegenüber der Schöpfung. Für viele Menschen ist die Kleidung ein Schutz, den sie um sich legen. Weshalb sie, selbst wenn sie gerne einmal nackt baden würden, Hemmungen haben sich auszuziehen. An einem herkömmlichen FFK-Strand, wo es wohl viel um den Vergleich und die ästhetische Darstellung geht, ist das vielleicht auch ein Thema. Nicht aber bei uns. Denn wir sind eine Wertegemeinschaft, die es sich zum Grundsatz gemacht hat, alle gleich, lebensbejahend und respektvoll zu behandeln. Und wer ein ehrliches Interesse an dieser Gemeinschaft hat, sei herzlich dazu eingeladen einmal vorbeizuschauen! Saunafreunde Berlin Familiensportverein e. V. Süderholmer Steig 3 13503 Berlin www.saunafreunde-berlin.de www.elektronenkunst.de
44
MONKI TAKES BERLIN! Ab dem 12. April wird der Hackesche Markt Teil der Monki-Welt
Endlich! Die schwedische Modemarke, die für ihr unverwechselbares Shopping-Erlebnis bekannt ist, wird diesen Frühling den ersten Berliner Store am Hackeschen Markt eröffnen. Der neue Shop in Berlin-Mitte mit einer Verkaufsfläche von 300 qm wird sich auf zwei Etagen ausweiten – der erste Store weltweit mit einer neuen, einzigartigen Version des gegenwärtigen Store-Konzepts „The Sea of Scollops“, inspiriert von mystischen Unterwasserwelten. Jedoch, im Gegensatz zu den meist sehr farbenfrohen Stores, setzt der Berliner Store auf reduziertes Schwarz und Weiß mit starken gelben Akzenten. „Wir lieben die Idee, dass die Filiale in Berlin anders sein wird als alle anderen. Diese Stadt ist wie keine andere und
diese Einzigartigkeit der Stadt soll das neue Ladenkonzept reflektieren“, so Monki Chefarchitektin Catarina Frankander. „Wir haben lange nach dem perfekten Standort in Berlin gesucht“, sagt Monki COO Henrik Aaen Kastberg. „Deutschland ist einer der schnellst wachsenden Märkte und Berlin ist eine derartig lebendige, vielfältige, avantgardistische Stadt – so fühlt es sich wie eine zweite Heimat für Monki an.“ Der Store in der Münzstraße 20 in Mitte öffnet seine Türen am 12. April um 12 Uhr und die ersten 100 Besucher erhalten einen Gutschein im Wert von 10 Euro.
Mitteschön Verlosung Rundflug über Berlin und Potsdam Beim Thema Freiheit muss ich unwillkürlich ans Fliegen denken. Wer kennt es nicht, das Gefühl, wenn man hoch oben in der Luft schwebt, umgeben von Wolken und der warmen Sonne, die durch das Fenster strahlt. Plötzlich liegen Alltagsstress und Hektik hinter einem und man genießt nur noch die atemberaubende Aussicht. Wenn du Berlin schon immer einmal aus der Vogelperspektive erleben wolltest, dann nimm an unserem Gewinnspiel teil: AEROWORX und MITTESCHÖN verlosen ab dem 1. April einen Gutschein für einen einstündigen Flug für zwei bis drei Personen auf www.mitteschoen.com Fliege mit einem erfahrenen Piloten über Berlin und Potsdam und entdecke unter anderem das Olympiastadion, Schloss Sanssouci, den Wannsee, Babelsberg, aber auch Grunewald und die Insel Werder. Der Gutschein kann innerhalb von zwölf Monaten nach Terminabsprache eingelöst werden. Weitere Infos findest du unter www.aeroworx.de
English Translations 45
Events (p. 8)
VOLT Restaurant Mon to Sat, 6 pm to midnight
forests of his native Norway to tank up energy and seek
(Zack | Branicka) invite art and design lovers to marvel
inspiration. The result is his LP Set the House on Fire,
at the many facets of the art scene in Berlin. Last year’s
which was released a month ago. He himself describes
Gallery Weekend was the most successful in its history
it as an LP born of the ashes of the first.
and has now advanced to the best-selling date of the
BINUU, in the subway station Schlesisches Tor / Kreuzberg
art market scene. Their aim is to secure and develop
www.bi-nuu.de, www.moddi.no
the internationalization of Berlin.
SCIENCE SLAM BERLIN
www.gallery-weekend-berlin.de
Lotta und die Wikinger
Lecture The atmosphere in the impressive industrial building of
1 April 2013
a former substation from 1928 on the Landwehr Canal is
Doors open: 7 pm
Theatre
both modern and intimate. Under the high ceilings of
Show begins: 8 pm
23 to 24 April, 2013, 10 am
the brick hall, which is bathed in mellow light of copper-
Tickets: 5 euros
Tickets: 4.50 euros (children) / 6.50 euros (adults)
colored glow-ball lamps, traditional Berlin dishes are served on wooden tables made of warm walnut. The
Science doesn’t have to be dry and dull! Five brainiacs all
food is attractive and a tasty; modern interpretations of
from different disciplines will compete against each other
Even girls dream of the big, wild world! Lotta wants to
regional cuisine with an international touch. It’s not for
in the SO36. Each of these nerdy experts has exactly ten
travel the seas with her father, the Viking king, but he
nothing that chef Matthias Gleiß is considered one of
minutes to explain a complex subject in a lively and fun
doesn’t approve, so Lotta sneaks on board unnoticed.
the founders of the New Berlin cuisine.
manner to the audience. Whoever succeeds will have the
Together they experience exciting adventures and
Paul Linke Ufer 21, www.restaurant-volt.de
audience glued to their lips. All others will be booed mer-
dangers. The brave and smart Lotta helps her male
cilessly. The Science Slam Berlin is held the first Monday
companions again and again out of a predicament.
of every month.
And in the end she’s even allowed to call herself a Vi-
SO36, Oranien Straße 190 www.scienceslam.net
king. Lotta and the Vikings is a guest performance pre-
ACHTUNG BERLIN Film
RUBY’S
17 to 24 April 2013
Restaurant Daily, 5 pm to 11 pm
sented by the Theater des Lachens. The story of the little Viking daughter Lotta and her journey on the high seas is lovingly staged with puppets and acting. DAS WEITE THEATER, Parkaue 23, www.das-weite-theater.de
SPHERES IN CONCERT
Labeled with “Made in Berlin-Brandenburg”, Achtung Berlin, now the third largest film festival in the city, will be presenting a week of films and documentaries made
Concert
by Berlin filmmakers. All the productions in competiti-
Ruby’s, the new, “in” Italian restaurant in Kreuzberg
30 April 2013
on are premieres before their official release. This year’s
with the nickname Finest Pizza, fired up their wooden
Doors open: 7 pm, Show
retrospective on the changing picture of childhood and
stoves late last year to bring us authentic Italian pizza.
starts: 8 pm, Tickets: 15 euros
adolescence in film is entitled Emil and Co. Workshops,
Their signature creation “Ruby” with mozzarella, pears,
(standing) / 29 euros (seats)
discussions and all-night parties give the final touch to
walnuts and gorgonzola cheese for 8.80 euros is espe-
the festival.
cially unbeatable. Their fresh salads, pasta and dai-
When the empty swimming pool of a former bathhouse
Participating cinemas: Kino Babylon, Filmtheater am
ly specials make a visit to this rustic, cozy place well
is transformed into a concert stage, the location alone
Friedrichshain, Passage Neukölln, www.achtungberlin.de
worth it.
can put listeners into a different sphere. And when
Skalitzer Straße 81, www.rubys-bar.com
Daniel Hope, the German Chamber Orchestra of Berlin
MODDI
GALLERY WEEKEND Concert 4 April 2013
Exhibition
Show begins: 8 pm
26 to 28 April 2013
presale tickets: 17 euros
26 Apr, 6 pm to 9 pm, 27 & 28 Apr, 11 am to 7 pm
and the Berlin Radio Choir take the risk of interpreting works from different periods live, you truly float in another galaxy. The solid compositions from the Baroque to the present, from minimalism to film music from Hope’s new album Spheres in Concert combine the age-old idea of Musica Universalis, the idea that the movement of the planets is the origin of music. Stattbad Wedding,
Pål Moddi Knutsen, who hails from a Norwegian fishing village, didn’t intend to release a second album.
Berlin always becomes a pulsating metropolis of con-
After touring as support with Angus & Julia Stone, he
temporary art at the end of April when the Gallery
felt tired and empty after his debut album Floriogra-
Weekend takes place. For three days over 50 renowned
phy and more than 250 concerts. He retreated to the
and emerging galleries from A (Aurel Scheibler) to Z
Gericht Straße 65 www.stattbad.net
46 English Translations
SOHN
this new, quarterly series, there’s always a simple stage
of being asked about Ben all the time. I needed a new
setting and two productions à 40 minutes. Raise the
start.” Julia unpacks the collection and hangs it neatly
Concert
curtain!
on hangers. Along with a professional re-start, there’s
Tickets: 12 euros (in advan-
SOPHIENSAELE CANTEEN ,
a new boyfriend, a writer, whom she’s been dating for
ce) / 15 euros (at the door)
Sophien Straße 18, www.sophiensaele.com
six weeks. She’s flying off to Vienna tonight to see him.
Doors open: 9 pm
PICTOPLASMA
Show begins: 10 pm
Festival
You can clearly hear in multi-instrumentalist and pro-
10 to 14 April 2013
ducer S O H N’s music that he swapped the nightlife
“Finally four days doing nothing.” The two have known each other for a while, but it only sparked through a friend’s matchmaking (“You would fit sooo well together”). Before meeting Julia he seems to have been something of a rolling stone. Now he’s only got eyes for
of London for the countryside of Austria. These two
her. And there are other body parts he wants to devote
worlds collide in his melancholy soundscapes, which
only to her in the future. We quote: “My penis is now
are influenced by Vienna’s legendary electro scene. It’s
yours.” That might not be very romantic, but you can’t
an analog drum machine with synth sounds, a mesmerizing voice and beautiful lyrics. This creative mastermind will get some support and will be performing as a trio.
This year’s Pictoplasma Berlin festival is dedicated to all the characters that soften our hearts, make us laugh or bring us to tears. In short, those figures that trigger empathic feelings within us. This new focus on non-
PRINCE CHARLES Prinzen Straße 85 F, www.princecharlesberlin.com
FILM POLSKA 2013
narrative and an emotional relationship to the viewer is comparable to the advertising strategies of testimonials, logos or brandings. This year’s Festival of figurative design and character design’s theme is White noise
Film
– character emphasis! In an ongoing competition, artists
18 to 24 April 2013
will try to get attention by breaking through white noise with their characters. BABYLON CINEMA and more than 20 other venues, www.berlin.pictoplasma.com
It is the largest festival of Polish cinema outside of Poland, and includes the entire spectrum of contempo-
committed: to her collection at least. She hated her job as a fashion designer at the end of Juliaandben. She became self-employed after studying at ESMOD. “Most designers have no idea how to, for example, organize production. We weren’t any different. At one point the journalists and buyers come, and after two years you really do sell something. And that’s when the shit hits the fan. Then you really need six months to think about how to organize the production chain economically so that you can make money and not go crazy, and perhaps even have a weekend off.” No designer gets this kind of time off because a new collection is due every six months. “It burns you out. In the end, I threw
oh happy day:
our things into the Humana container in the Gormann
Julia heuse (p. 12)
Strasse. First I wanted to burn them, but I found that a bit too melodramatic. I needed distance. I actually
rary Polish filmmaking. filmPOLSKA opens for the 8th
thought about studying business or something.” In or-
time to thrill and entertain us with the latest and most
der to make money she worked on a more commercial
exciting recent productions. In addition to the films of
project, Front Row Society, for eight months, first in
various genres, workshops, lectures and film discus-
production management, and then as creative director.
sions, there will also be a retrospective exhibition that is devoted to the Warsaw ghetto.
ask for much more commitment than that. Julia is also
They offered her a steady job. “I thought about it. Going In Berlin, the Fashion Week is in January and long be-
to an office, having money in my account at the end of
hind us on this lucky day in March. But in New York
the month… The people there were nice. But then after
and Paris, Fashion Week is just coming to an end and
I thought about it for three weeks ...no, I it wasn’t for
that’s where fashion designer Julia Heuse is has just
me.” Julia preferred to return to work under her own
come from. We meet in her studio in an old factory
name. She looks for a cigarette, but doesn’t find one.
building in the Heide Strasse in Moabit. Julia, our pho-
We decide to begin our tour of Moabit and Mitte. On
Theatre
tographer Johanna Ruebel and I practically arrive at the
the way to the gas station on Heide Strasse we pass a
16 April 2013
designer’s studio at the same time. Julia transported
caravan. Julia tells its “Tits Irma”, a prostitute who is
Show begins: 8 pm
her collection, which she presented two weeks before
offers her services there and even has a website: “I’m
Tickets: 10 euros /
to journalists and buyers in New York and Paris, in two
Irma, your sweet titmouse with bra size 95 E... When
reduced rate 7 euros
suitcases. It will come out in shops in autumn / win-
I’m in, you’ll see a red umbrella hanging outside.” Lo-
ter 2013 /14 and only bears her first name for the first
cated directly across the street from the factory build-
If you’re a theater lover and can never decide what you
time. Until recently this Cologne native’s label was
ing that houses Julia’s studio, is a snack bar where we
like most, you’ll be in good hands with the Sophien-
called Juliaandben, but her partner Benjamin decided
stop to have a cigarette and drink cappuccino. “Mahl-
saelen. Like a real blind date, no one knows anything
to leave the label in August 2011. They didn’t have a
zeit” is written under the front door of the chipboard
about the other. Whether try-out, finished production,
fight. In fact, they even celebrated their separation
shack. There are a couple of tables, a small hut with a
drama, dance or performance – the audience doesn’t
on vacation together in Bali. Still, after more than one
table and two benches. The whole thing has a rustic
know the content of the piece, and the actors don’t
and a half years, it was time to change the name. “The
and quirky feel to it, and is definitely not typical of a
know who’s coming to their show. What is certain: with
new name really doesn’t matter to me. I was just tired
thoroughfare like Heide Strasse. Here you’ll still find
Participating cinemas: Hackesche Höfe Kino, Arsenal, Zeughauskino, Kino FSK, Club der polnischen Versager, Brotfabrik, Filmclub K18, www.filmpolska.de
BLIND DATE
English Translations 47
soup of the day made from carrots and peas for 3 euros,
Sebastian Donath, www.neoncolour.com
ters from an unknown mythological realm. The works
currywurst for 1.80, and muffins for 1 euro. But when
Edition Block, www.editionblockberlin.de
redefine the space they occupy, but do so with a dis-
this article appears – the place will probably already be
Darklands, www.darklandsberlin.com
course that has little to do with architecture; the space
gone – at least at this spot. They have to move by the
Tittenmaus Irma, www.tittenmaus-irma.eu
is owned and redrawn by the oppositions that Fischer’s
end of March. The area is the future spot of Europacity,
Snack Bar Mahlzeit, (hopefully) somewhere in the
works balance.
which includes office buildings and townhouses. The
Heide Strasse
Galerie Barbara Weiss, Kohlfurter Strasse 41/43,
Total high-rise at the beginning of Heide Strasse of-
Oukan 71, Kronenstraße 71, 10117 Berlin, www.oukan71.com
www.galeriebarbaraweiss.de
fers a taste of things to come. I’m afraid that the same mistake will be made here as was made on the charm-
Ulf Aminde
EYEOURT Art Events (p. 20)
less Potsdamer Platz. Fortunately, Julia’s studio is in a
8 March – 20 April 2013
Peter Fischli
historically protected building. The owner /operator of
/ David Weiss
the snack bar wants to set up shop a few yards away. No
2 March – 13 April 2013
one knows whether it’ll work. Does he have a website to track the development? “Nope. Just come by. Either we’re here – or not.” Over a cappuccino in the little snack stand we talk about Julia’s new collection for au-
Ulf Aminde’s The Weight at Galerie Tanja Wagner is a
tumn / winter 2013 / 14. Her theme is “Found Objects”. The prints are based on things that Julia has found: a shirt, for example, printed with the pattern of chipped window frame from her studio. “I’d rather go to a construction site to be inspired than KaDeWe.” Style-wise, the collection, which she designs for men and women by the way, goes in the direction she took with Ben. Julia wonders whether it’s about time to take advantage of the restart to go in a different direction. The Gothic theme has now long dominated by the avant-garde. Maybe for too long. She doesn’t want to alienate her customers. “I can’t simply stick colorful cockatoos on sexy silk dresses.” How it stylistically continues with Julia Heuse we’ll learn during summer Fashion Week. But what is already clear is that Julia is now better organized than in the days of Juliaandben. “Everything’s better calculated. Everything is so well organized with the production that I know that it’s doable, and not at the last minute. I’ve learned from our mistakes and my
stunning execution of emotionally charged minimaPeter Fischli and David Weiss’ work with airports is
lism. As a physical exhibition, a small lump of melted
the focus of the current exhibition at Sprüth Magers.
gold sits on a black plinth, creating an atmosphere that
Fischli and Weiss frequently used the unspectacular to
is somber, reminiscent of museum display methods
raise theoretical and philosophical questions about the
of artifacts and precious metals. A glance at the press
world around us, and started using methods of trans-
release – a letter composed by the artist’s partner, au-
portation as an exploratory extension of their core ar-
thor Svenja Leiber, and indeed a second work in the ex-
tistic themes in the eighties. In addition to large-scale,
hibition rather than a tradition press release – makes
rotating projections of various airports, two newly re-
clear the myriad meanings of the exhibition’s title. The
cast sculpture series of women in business suits and
lump of gold is, in fact, the unmarried couple’s symbo-
automobiles (both originally from the late-eighties)
lic wedding rings. Reduced to their most basic value –
are also included in the exhibition. Stark, white, and
that, monetarily, as 6.3638 grams of gold – the meaning
lacking defining characteristics, the sculptural works
and intertwining of love and work between two artists
play with the projected images to bring the banality of
becomes the true weight of the exhibition, forming a
international travel, commerce, and economic globali-
complex examination of human connection and part-
zation to the forefront of the exhibition’s debate.
nership with as much tension as tenderness.
Sprüth Magers Berlin, Oranienburger Straße 18,
Galerie Tanja Wagner, Pohlstrasse 64,
www.spruethmagers.com
www.tanjawagner.com
work at Front Row Society.” Julia Heuse is determined
Berta Fischer
Welcome to the
and prepared for the future under her own name. “It is
2 March – 19 April 2013
global Telepolis! (p. 28)
important that you just do it.” We enjoy the first sunrays of the year and walk along the river behind the Hamburger Bahnhof. We end our tour at Oukan 71 at the Gendarmen Markt where Julia’s collection is sold. Actually, she should now return to the studio to work. But she prefers to use the remaining hours until departure to Vienna for a beauty program. Rightly so, she de-
Sculptor Berta Fischer examines the space that exists
In contrast to traditional media such as radio and te-
serves the break. Julia’s studio is located in a complex
between the natural and the artificial through her co-
levision, the Internet was designed as a medium for
of old factory buildings located in the Heide Strasse
lorful, fragile, and slightly anthropomorphic Plexiglas
dialogic communication. It has been mainly used to ac-
46 / 52. She shares the floor with artist Ute Lindner,
and PV-foam forms at Galerie Barbara Weiss. Fischer’s
quire information for years. Gradually, however, users
and furniture designer and photographer Sebastian
choice to explore organic forms through plastic mate-
seem to realize that thanks to the World Wide Web, it’s
Donath whose photography studio can be rented. The
rials – and to stretch those to the limits of their stabili-
not only easier to get information or goods, but also
gallery Edition Block also has rooms in the same build-
ty – intensifies the material transformation central to
to actively participate in the changing our society. Me-
ing. In building number 7 is Darklands, a shop that sells
the artist’s practice. With an effect that is at once both
dia philosopher Vilem Flusser already envisioned this
avant-garde fashion for men from designers like Carol
familiar and alien, the synthetic world that the works
utopia for the Internet back in the early 70’s. All people
Christian Poell or Rick Owens.
in the exhibition create is playfully strengthened by
would have the opportunity to get politically involved
Julia Heuse, www.juliaandben.com
Fischer’s choice of titles that evoke a series of charac-
through the creation of a global network. It’s a vision
48 English Translations
that is increasingly becoming a reality as platforms
Especially not in the countries where it’s particularly ur-
Have you actually ever started an online petition?
such as change.org prove. Anyone can launch an on-
gent to draw attention to injustices ...Internet penetra-
Yes, when I was still with the WWF, I did it several times
line appeal on change.org and try to gather supporters
tion in Southeast Asia and Africa, for example, is often
for them. Now as a campaign manager at change.org
on any subject, whether global or national. And often
very underestimated. That’s indeed where the net is
I dedicate my efforts to the needs of our users and helping
successfully, as the petition of the parents of Tray-
very actively used as a site of political protest.
them succeed. But if I weren’t working with change.org, I would immediately launch a campaign against the use of
von Martin, who was shot in February 2012 in Florida, shows. Because of their petition, which more than two
What about the elderly over sixty who play a major
aluminum additives in deodorants. I’ve just learned from
million people supported, the murderer of their son
role both demographically and economically here in
Arte-TV that they can be carcinogenic.
was criminally charged. Whether change.org is always
Germany. Does this age group use the Internet for such
so successful and if it really is so easy to engage politi-
purposes? Do they even know what’s going on here on
The walls in
cally, we asked Paula Hannemann, Campaign Director
the public markets?
our minds
of change.org Germany.
Our user experience shows that this age group is active
(p. 40)
in the net, and that the digital divide, at least when baPaula, can a small group of people change society?
sic applications are concerned, is no longer as great as
Absolutely! As the sociologist Margaret Mead saying
it was five years ago.
goes: “Never doubt that a small group of thoughtful, committed citizens can change the world. Indeed, it is
But often it’s the scissors in your head that prevents you
the only thing that ever has.” However, I believe that it
from getting involved.
Today, young people from all over the world flock to Ber-
requires a lot of commitment and it’s not something
That’s why it’s important to emphasize the successes of
lin for fun, party and adventure. The city is considered a
you can do on the side. But there’s always someone
online petitions until they burn their way in the collec-
Mecca of modern hedonism. The lifestyle feeling is one
who raises the first hand in order to draw attention to
tive consciousness as a form of political engagement.
of boundlessness. The lack of governmental restrictions,
certain abuses and problems in our society.
low cost of living and a lot of space have contributed to How many of your campaigns on average are success-
this. Already in the 1970s and 1980s, West Berlin was
Is community involvement in the Internet and plat-
ful? And what does successful actually mean?
considered a playground for artists and creative peo-
forms like yours easier than thirty years ago?
Users decide when and if their campaign was success-
ple. After the Wall fell, Techno was celebrated here like
Of course. Today it’s not only much easier to mobilize
ful. At change.org we have nothing to do with this de-
nowhere else, and a large part of this big, happy family
thousands of people for a demonstration, but also
cision. On average, 9.6 campaigns per day with 15,000
originated in the gay subculture. Clubs like Berghain
much cheaper. Nevertheless, the individual protest, I
new petitions are launched worldwide every week.
and its predecessor, the Ostgut, emerged as centers of
mean, presenting a new idea publicly and presenting it as a reality is still hard work.
the gay community. Homosexuality and all its variaYou are not a non-government organization but a soci-
tions were celebrated here like in no other city.
al business. What does that mean? So an online petition alone is not enough to make a dif-
We don’t fund ourselves through donations or mem-
The situation looked quite different in autumn 1989,
ference...
bership dues as the NGO traditionally does. Non-profit
especially on the eastern side of the wall. Men were met
The appeal doesn’t only take place online. An online
organizations such as Greenpeace and Amnesty Inter-
each other secretly. So it was all the more unusual then
petition is only the digital image of a particular pro-
national can post sponsored petitions with us. This
that the German Film AG (DEFA), the GDR’s centralized
test that is backed by a real person who has a real pro-
means that if you’ve signed a petition on change.org
film company, had just completed a mainstream film
blem, which takes place in the real world. The suppor-
three times on the human rights, the fourth you do
that openly dealt with homosexuality. Coming Out tells
ters who sign the petition are real supporters in a real
again, a pop-up might appear on your screen that ask
the story of Philip, a young teacher who has a serious
world. You also can’t confuse an online petition with a
you if you want to sign a similar petition with, for ex-
identity crisis as result of repressing his sexuality.
citizens’ initiative or a referendum. An online petition
ample, Amnesty International Amnesty and whether
is just the beginning of a digital protest by an initia-
they may inform you about their activities by email. If
He maintains an ulterior relationship with a female
tor who has found an easy way to find supporters who
you agree - and only then – will we pass on your e-mail
colleague and denies his feelings for Mathias whom he
might join a demonstration or protest on Twitter. The
address. We receive about 1.50 euros from the respecti-
met in a trendy restaurant. Philip’s girlfriend becomes
Americans refer to this as “online mobilizing”. That’s
ve organization.
pregnant, the love between the two men takes off, and
exactly right. The actual, hard work takes place only af-
Mathias tries to take his own life because Philip doesn’t
ter writing the petition. The East Side Gallery is a good
And if I don’t want you to pass on my e-mail address?
example. It’s easy to demand that the East Side Gallery
Then we don’t of course. You’ll be asked explicitly du-
should be preserved as it is now. What’s complicated is
ring each petition and can decide for each new case
The ending is left open. The first step toward coming
determining when you take to the streets, which jour-
individually. The profit we generate from this finan-
out takes place in the final seconds of the film. Philip,
nalists to talk to and which politicians are interested
cing model is completely reinvested in the growth of
a teacher, is subjected to an unannounced inspection
in the topic.
change.org. A social business doesn’t share an ordina-
that is obviously a result of the rumors concerning his
ry company’s goal to quickly make as much profit as
private life. He suddenly hesitates, and then simply
But not everyone has the appropriate expertise, let alo-
possible, but rather, it wants to help make the social
says: “Yes.” The main character’s new life begins after
ne the hardware and software, to put a petition online.
project a success.
the credits as he rides his bike near Alexanderplatz
stand by him.
English Translations 49
into an uncertain future. While they were filming no
“We were more advanced than you see in the movie,”
ment in nature that our club makes possible. Especially
one could have imagined that this symbolic awakening
Pierre-Sanoussi Bliss says today. “But if the film helped
in the summer, of course. For me there’s nothing more
would be followed by a much larger historical one: the
empower people so that they could commit themsel-
uncomfortable than a wet bathing suit sticking to you
reunification of Germany. Coming Out premiered
ves to their true nature, to no longer hide, then its im-
when you’re swimming in a lake.
on 9 November 1989 in East Berlin’s Kino Internatio-
portance cannot be dismissed and I stand here in all
nal. There were two screenings that evening because
humility saying nothing.”
Many people confuse nudism with skinny-dipping. The focus of our community is not on nudity, but on
the crowd was so large. A young actor by the name of Pierre Sanoussi-Bliss attended the first one. He played
There’s a transcript of a radio discussion from GDR
the values that connect us, on the co-existence we have
a young man who gets beaten in the subway because of
radio from 1989 on the Internet. The emotional reac-
with our environment, on playing non-competitive
the color of his skin.
tions of many listeners make it clear how important
sports, on different generations interacting, and on the
the film really was for those who didn’t have a tolerant
connection with nature, but especially the equality of
After the screening, Sanoussi-Bliss went with two col-
environment, and who didn’t have the backbone to
all people, regardless of social class. When you’re nude
leagues to a nightspot near the Bornholmer Bridge
loudly say “Yes”. Perhaps it was the wall coming down
equality is clearly visible, of course, because when
where the premiere party was taking place. It was the-
and the sudden, exuberant freedom that made it ea-
we’re naked we’re all reduced to what we really are:
re they learned that the wall had fallen. Meanwhile,
sier for many people. In any case, at that time the way
human beings.
the second screening was in full swing, and the rest of
was paved with the feeling of Berlin which today still
the ensemble was still on stage. So, the three of them
attracts people of all sexual persuasions to the Haupt-
Social differences cannot be discerned when we’re
happily began their way to where the historic event
stadt: freedom.
naked. That’s why people at the club get into conversation with other they would have never met before;
was unfolding. After a few meters they came to their senses, thinking it wouldn’t be right that when the lead
Pierre Sanoussi-Bliss is a German actor, director and
when they were dressed and responding to societal
actors arrived no one was at the premiere party.
screenwriter. He became famous for films such as Doris
prejudices.
Dörrie’s Nobody loves me (1994) and his role as Axel They turned around, already realizing that wall was
Richter in the ZDF series Der Alte. The film Zurück auf
The German nudist movement, the FKK, developed in
open forever. A few hours later, Pierre went with Mat-
los (2000), which he wrote and directed, was shown at
Germany in the 1920s. It has nothing to do with what
thias Freihof, the lead actor, and a few others to see the
many international festivals. Pierre-Sanoussi Bliss lives
was once partly nationalist. We welcome all people, no
“unbelievable” with their own eyes. Afterwards, they
with his partner in Berlin.
matter what nationality, what religion or belief they follow or what political views they represent, as long as
got euphorically drunk. Pierre had to leave for rehearsal in Dresden at 7 the next morning. Mathias Freihof
Andy Weisse,
wrote him an excuse for his director, explaining the
50-years-old,
special circumstances. After that, things became fuz-
electronic ar-
What does this all have to do with my life? A lot. Not
zy. There is a blurry, black and white photo from that
tist and nudist
only because I stand behind the cosmopolitan toleran-
night. It shows two young men on the wall, the masses
(p. 42)
ce of this community, but also because by being naked
they are not discriminatory.
only dimly discernable in the background. The actors
in nature, which the FKK culture makes possible, I feel
look relaxed and confident into the camera.
I am really a part of nature. For me personally, this is also practicing humility before the Creator.
Watching Coming Out today you feel like you’re wat-
I earn my living doing content, concepting and provi-
ching a dusty period piece from an era when homose-
ding e-solutions. I also produce art with these means
Clothing is protection for many people. That’s why a
xuality wasn’t prosecuted anymore, but was still miles
and methods, and this moves me deeply. Using elec-
lot of people are shy about undressing, even if they like
away from social acceptance. Philip’s fear of social ex-
tronic systems to create sound and expand my own
to go swimming naked. On a conventional FFK beach,
clusion seems exaggerated. In the cartoon-like carica-
musical conceptions has always fascinated me. That’s
making comparisons and aesthetic representations
ture of the gay world, colorful, outrageous transvesti-
how I went from electronic music to electronic film
are in focus. But not us. Because we are a community of
tes fawn over Philip, and sad, lonely old men get drunk
and many other forms of expression and media.
values, which has made it a principle to treat everyone
at the bar. Sanoussi-Bliss thinks the exaggeration is
with the same, life-affirming respect. And anyone who
okay. After all, many of these scenes were filmed du-
I make electron art, meaning, I experiment artistically
has a sincere interest in this community is cordially
ring carnival season.
with stationary and moving electrons. It’s what used to
invited to stop by!
be called multimedia art. I prefer the term electron art, Even if Pierre wasn’t confident about the film’s quali-
which expresses it more broadly. It also takes it further
Saunafreunde Berlin
ty at that time, he recognizes the unconditional, his-
to include higher energies, and even, describe art that is
Familiensportverein e.V.
torical significance of it today. Heiner Carow, director
not perceptible by human senses without technical aids.
Süderholmer Steig 3
of the East German cult film The Legend of Paul and
How I came to nudism? I was lucky enough to be born
13503 Berlin
Paula, wanted to pack everything into the film because
directly into the culture. My parents were members of
www.saunafreunde-berlin.de
he was finally allowed to make such a movie. Carow’s
a nudist club where I had the most wonderful child-
excused for overloading it with all kinds of social atti-
hood you could have in a city like Berlin. The longer
tudes and stereotypes.
I’m in the club, the more I enjoy the freedom of move-
www.elektronenkunst.de
50 Kieztalk
„Nicht von dieser Welt Text Martin Gottschild
Martin „Gotti“ Gottschild lebt. Und das schon seit 34 Jahren. Er kommt gut zurecht. Das Atmen macht ihm Spaß. GOTTI liest Geschichten über Menschen, die es wirklich gibt und andere, die eher nicht so ... Seine Spezialität sind zudem umwerfend komische „Diavorträge“ – absurde, selbst ausgedachte Geschichten zu nostalgischen Familien-Dias, die er auf Flohmärkten findet. Ich bin 1976 in Ostberlin geboren und habe somit den größten Teil meiner Kindheit im warmen Schoß des Sozialismus verbracht. Ich fuhr regelmäßig ins Ferienlager, war Kassierer im Gruppenrat und begeistertes Mitglied der AG Kochen & Backen. Im Jahr 1988 kam es, hervorgerufen durch unseren außerordentlich zielorientierten Geschichts- und Erdkundeunterricht, zu einem bemerkenswerten Missverständnis, welches deutlich zeigt, dass ich mich damals bildungstechnisch auf sehr dünnem Eis bewegt habe. In jenem Jahr nämlich besuchten meine Mutter und ich das Kino „Kosmos“, welches wohl mit Abstand den besten Mono-Sound im ganzen Land hatte. Dort lief seit kurzem ein Film, von dem alle, die ihn gesehen hatten, meinten, dass er „urst fetzt“, und die, die ihn noch nicht gesehen hatten, meinten, dass diejenigen, die ihn gesehen hätten, urst fetzen. Das versprach einiges. Erwartungsvoll reihten wir uns in die endlose Schlange vor dem Kosmos ein. Ich versuchte anhand der Plakate zu erraten, was wir uns denn jetzt eigentlich überhaupt ansehen würden. Der letzte Film, der hier gezeigt wurde, war offenbar „Rosa Luxemburg“, ein Drama aus der BRD. Amerikanische Produktionen kamen, wenn überhaupt, ja erst Jahre, nachdem der Rest der Welt sie schon gesehen hatten, in einem ziemlich abgewichsten Zustand in unsere Kinos. Die Vorstellung gingen oft verspätet los, da es meist nur eine Kopie des Films
gab, die nun von Lichtspielhaus zu Licht- Irgendwann wurde ich aufgeklärt, dass E.T. spielhaus weitergereicht wurde. Jedes Kino iihh-tiihh ausgesprochen wird und es sich hatte nur einen Saal. Wortkonstruktionen dabei um eine englische Abkürzung für wie „Kino 2“ oder „Kino 3“ existierten nicht. „extraterrestrisch“ handelte. Wobei das „extra-“ hier nicht etwa für zusätzlich oder Auch so etwas wie „Rosa Luxemburg II – Die umsonst stand, sondern vielmehr für „auWiedergeburt“ wäre damals nicht drin ge- ßer“, und „-terrestrisch“ bedeutete wohl wesen. Gleich neben dem Rosa Luxemburg- „irdisch“. Irre. Im Laufe des Films wuchs Plakat klebte ein noch größerer Aushang, mir die verwachsene Schildkröte natürlich auf dem in großen Buchstaben „E.T.“ und, trotzdem ans Herz, wie sie so guckte und etwas kleiner darunter, „Der Außerirdische“ mit dem nackten Finger in alle möglichen stand. Für mich, für den Fremdsprachen Richtungen zeigte. Als man E.T. blass und noch Fremdsprachen waren, und der laut fast erfroren aus dem Fluss zog und er gar Lehrplan der Ernst-Thälmann-Oberschule nichts mehr sagte bzw. zeigte, also eigentdaran glaubte, dass sich irgendwann alle lich zu nichts mehr zu gebrauchen war, Menschen unseres Lebens Brot, Milch, Klo- fand ich ihn allerdings wieder ziemlich papier und sogar Katzenzungen kostenlos abstoßend. aus dem Konsum-Lebensmittelläden würden nehmen können (jeder natürlich nur Am Ende des Films hatte ich dennoch Träso viel, wie er wirklich benötigt!) und man nen in den Augen. Mein außerirdischer das dann Kommunismus nennt, ja, für Freund sollte für immer verschwinden? mich stand einwandfrei fest, dass es sich Klar, er hatte Heimweh, und man wollte bei den Buchstaben E und T nur um Initi- ihn sezieren, aber wir zwei hätten so viel alen handeln konnte. Und es gab nur ein Spaß haben können. Uns stundenlang Lebewesen in meinem Universum, dessen Frauen-perücken aufsetzen, BMX-Rad fahInitialen E.T. waren. Ich zählte eins und eins ren, Blutsbrüderschaft schließen, offene zusammen, und schon war klar, dass es sich Wunden mit dem Finger schließen oder hierbei nur um den Film „Ernst Thälmann – einfach nur im Dunkeln leuchten … Der Außerirdische“ handeln konnte. Allerdings war Thälmann überhaupt nicht auf Seine Bücher „Der Schatz im Silberblick“ (2010) und den Plakaten zu erkennen, nur eine ver- „Die Schwarte Mamba“ (2011) sind im LOOB Verlag wachsene, augenscheinlich bulimiekranke erschienen. Er ist regelmäßig jeden 3. Sonntag und Schildkröte mit riesigen Basedow-Augen. Montag mit seiner Actionlesung „Tiere streicheln Und ich konnte mir beim besten Willen Menschen“ im Frannz Club zu Gast. nicht vorstellen, dass sich unser Teddy jemals hätte so gehen lassen. www.tierestreichelnmenschen.de
ens Invalid
traße
st en nn Bru
NordBahNhoF
le e
e raß
t eS sse au Ch
nh au se rA
NaturkuNdeMuseuM
Sch ö
roseNthaler platz
l
ra
Torst raße
ße
e traß Tors
rosaluXeMBurgplatz
e aß
-St r
e
ße ra er str aß
L rlKa
t -S ht ec kn b ie
rst ra ße
aleXaNderplatz
le xa nd
aße Luisenstr
hackescher Markt
ra un
Al ex an de
aße Friedrichstr
e
tstraß
ard Reinh
weiNMeisterstrasse
oraNieNBurger strasse
Ot toB
oraNieNBurger tor
Mo lls tra ße
A
den Unter den Lin
klosterstrasse Str alau er Straße
ße ra St
M üh len da m
m
e eit Br
rkt r Ma rsche Werde
e Straße Französisch
e aß
Gr un e
z lat ßp Schlo
BraNdeNBurger tor
ße stra de r
rs tr
n xa Ale
Friedrichstrasse
JaNNowitzBrücke he sc Fi
l se rin
ße stra elm Wilh
FraNzösische strasse
hausvogteiplatz Märkisches MuseuM
MohreNstrasse
er Straße Leipzig spittelMarkt stadtMitte
legeNde Kultur / Freizeit / Shopping
Restaurants / Cafés / Bars / Clubs
18. Stattbad Wedding, Gerichtstraße 65
01. Hackesche Höfe Kino, Rosenthaler Straße 40 / 41
11. Club der Polnischen Versager, Ackerstraße 168
19. Prince Charles, Prinzenstraße 85 F 20. Arsenal, Potsdamer Straße 2
03. Marc Bennemanns Salon, Invalidenstraße 155
Out of Mitte
21. Kino FSK, Segitzdamm 2
04. Sophiensaele, Sophienstraße 18
12. Volt, Paul-Lincke-Ufer 21
22. Brotfabrik, Caligariplatz 1
05. Babylon Mitte, Rosa-Luxemburg-Straße 30
13. Kino Babylon, Filmtheater am Friedrichshain,
23. Strandbad Weißensee, Berliner Allee 155
06. Oukan 71, Kronenstraße 71
Passage Neukölln
24. Stiftung Domäne Dahlem – Landgut und Museum,
07. ANSICHT|Photo. Design. Art, Fehrbelliner Straße 23
14. Binuu, im U-Bhf Schlesisches Tor 2
Königin-Luise-Straße 49
08. Krausnik Park, Oranienburger Straße 19 / 20
15. SO 36, Oranienstraße 190
25. Zoo-Aquarium Berlin, Budapester Straße 32
09. Sprüth Magers Berlin, Oranienburger Straße 18
16. Ruby’s, Skalitzer Straße 81
26. Galerie Barbara Weiss, Kohlfurter Straße 41 / 43
10. Monki, Münzstraße 20
17. Das Weite Theater, Parkaue 23
27. Galerie Tanja Wagner, Pohlstraße 64
Illustration: Sandra Stäbler
02. Zeughauskino, Unter den Linden 2