Mitteschön Magazin - Ausgabe 26

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Ausgabe 26, Oktober 2012

Neues aus Berlin Mitte

night mares deutsch + English

geister und andere berliner Interview: jörg buttgereit Glückstag: nora tschirner und prag Mittes Monatsheft!


DeSigner Sale | Station Berlin | 19.—21.10.2012 12.00 —20.00 (Fr/Sa), 12.00 —18.00 (So) luckenwalder Straße 4— 6, 10963 Berlin

Unsere Shoplist finden sie unter www.liebig-berlin.com


Editorial  3

Mitte ins herz Schluss mit lustig, no more happy Hipster: Schwarze Klamotten, Umgedrehte-Kreuze-Prints und Pentagramm-Amulette, wohin man schaut. Der Retrotrend greift auf, was die menschliche Fantasie seit jeher beflügelt: die düsteren und schaurigen Seiten des (Ab)Lebens. Unerklärliches aus dem Jenseits als medialer Dauerbrenner, sozusagen. Die Faszination fürs Morbide lässt aber auch Rückschlüsse auf das Diesseits zu. „Wahrlich, keiner ist weise, der nicht das Dunkel kennt“, meinte Herman Hesse. Und da wir nicht dumm sterben wollen, gehen wir der Sache auf den Grund. Die Grausamkeit Jack the Rippers, das Deduktionstalent Sherlock Holmes’ – olle Kamellen. Bei uns lernt ihr echte Legenden der Berliner Kriminalgeschichte kennen: Vorhang auf für Carl Großmann, den Schlächter vom Engelbecken, und Ernst Gennat, den deutschen Sherlock Holmes. Was tun, wenn man es mit lästigen Geistern im eigenen Schlafzimmer zu tun bekommt? Wir fragen einen echten Geisterjäger. Im Interview erklärt uns Horrorfilmregisseur Jörg Buttgereit, warum der Tod ihm so viel Spaß macht. Und für die Kleinen gibt es diesmal eine tolle Gruselgeschichte, damit das Schlafengehen endgültig zur meist verhassten Sache der Welt wird. Viel Spaß beim Lesen! Eure MITTESCHÖN-Redaktion

MYRIAM LUTZ Berlin Pankow – ein für Myriam bisher eher unbekannter Teil Berlins. Genau dort war sie für den Glückstag mit Nora, Erik und Tom der Band Prag unterwegs und hat dank der abwechslungsreichen Tour viele interessante Orte der Hauptstadt entdeckt, die sie für die aktuelle Ausgabe von MITTESCHÖN fotografisch festgehalten hat. www.myriamlutz.com

SEBASTIAN BRASCHL Eigentlich kommt Sebastian aus München, der nördlichsten Stadt Italiens und dem vermeintlichen Nabel der Welt. Mit Umwegen über Buenos Aires und New York hat er schließlich 2009 Isar, Augustiner und Weißwurscht gegen Spree, Sterni und Döner eingetauscht, um hier am eigentlichen Nabel der Welt Germanistik und Kommunikationswissenschaft zu studieren. Mitte(n) drin, nicht nur dabei ist er seit August: Als Praktikant schreibt und fotografiert er nun für MITTESCHÖN und tauscht dafür jeden Tag Neukölln gegen Mitte ein.

MARINA WEIGL Marina stammt aus einem idyllischen Städtchen nahe des Bayerischen Waldes und studiert Fotografie auf Master an der Fachhochschule Dortmund. In dieser Ausgabe unterstützt sie MITTESCHÖN mit Bildern aus ihrer Arbeit „wait until dark“, in der es um die Transzendenz der Nacht geht. Überhaupt sind ihre fotografischen Arbeiten durchzogen von einer surrealen, manchmal bizarren, poetisch-verträumten Atmosphäre, was wahrscheinlich daran liegt, dass sie sich sehr für Mythologie, Märchen, Träume und Übersinnliches interessiert.


4   Impressum

Mitteschön no    26

Herausgeber

Toni Kappesz Veröffentlichung

Vollstrudel GmbH Schröderstr. 12 10115 Berlin, Germany Projekt Manager

Anne Kammerzelt (anne@mitteschoen.com) ARTDIREction

Dörte Lange (doerte@mitteschoen.com) Grafikdesign

Lianna Dora (lianna@mitteschoen.com) Presse

Pelén Boramir (pelen@mitteschoen.com) Redaktion

Anne Kammerzelt (anne@mitteschoen.com) André Uhl (andre@mitteschoen.com) Redakteure

Paul Schlosser, Bettina Schuler, Björn Lüdtke, Oliver Janik, Sebastian Braschl, Pelén Boramir, Katharina Geißler, Sophia Hoffmann, Melissa Frost Fotografen

Tina Linster, Myriam Lutz, Marina Weigl, Sebastian Braschl ÜBersetzung

Nicholas Tedeschi (nicted@web.de), Robert Schlicht Lektorat

Katharina Geißler Anzeigenvermarktung

media@mitteschoen.com WEBSeITE:

www.mitteschoen.com

Projekt Manager online

André Uhl (andre@mitteschoen.com) Druck

hofmann infocom Nürnberg Coverfoto:

Prag, fotografiert von Myriam Lutz.


Inhaltsverzeichnis  5

INHALT / Content Wegweiser 6

Momentmal: Das UNHEIMLICHe

8

Konzerte und Ausstellungen Concerts and Exhibitions

10

Mitteschön Lieblingsstücke

21

Gimme five: Berlins schönste Friedhöfe

32

Kochtipps vom Kochhaus

41

Englische Übersetzungen English Translations

45

Mitteschön Verlosung

47

Stadtplan City Map

kieztalk 12

Glückstag mit Prag und nora Tschirner

17

Neu in der Stadt: Atelier Awash

26

interview: JÖRG BUTTGEREIT, DER TODESKING Interview: Jörg Buttgereit, The King of Death

30

BERLINER KRIMINALGESCHICHTE: SERIENMÖRDER UND SUPERKOMMISSAR

33

Wir Mitte-Muttis erzählen GRUSELGESCHICHTEn This time we’re here with a scary story to read aloud!

38

Berliner Gesichter: Roger, sexclub triebwerk

46

Kolumne: Non scholae sed vitae discimus

Kulturgut 18

GEISTER UND ANDERE BERLINER Ghosts and other Berliners

23

illustrator des Monats: DAAVID MÖRTL Illustrator of the Month: Daavid Mörtl

34

Kunsttipps von EyeOut EYEOUT Art Events

35

filmtipps DER filmgalerie 451

36

Sympathie für den Teufel: Wie die Popkultur das Böse wiederentdeckt


DAS UNHEIMLICHE: Als Kind war ich so gut im Gruselge-

schichten erzählen, dass ich oft Angst vor meinen eigenen Hirngespinsten hatte. Nun bin ich Fotografin und es scheint, als sei ich

noch immer im Zirkel des Grauens zu Hause. Fotografiert werden nämlich – für viele Menschen etwas unangenehm Schauderhaftes – beschreibt Roland Barthes als „schlimmen Traum, als Gespenst-


*Freud, das Unheimliche, 1919 *Barthes, Die Helle Kammer, 1980

Werden, als das Ereignis des Todes im Kleinen“*. Und als „Auftreten seiner selbst als eines anderen“*. Der Doppelgänger. Der Stoff, aus dem das Grauen ist. Das Unbekannte im Bekannten. Das Fremde im

Vertrauten. Unheimlich, so Freud, sei „jene Art des Schreckhaften, welche auf das Altbekannte, Längstvertraute“* baut. Was ich davon nur halten soll...? Tina Linster fängt für MitteSchön Berlin-Momente ein.


faithful! Festival Festival-Pass: 80 Euro, ermäßigt: 60 Euro auch Einzelticketkauf möglich 5. bis 7. und 12. bis 14. Oktober 2012 Ein dreizehnjähriges Mädchen, das auf Youtube ein Webcam-Video hochlädt, in dem sie selbst zu sehen ist, wie sie zu Carly Rae Jepsens Call Me Maybe mitsingt: Musik und ihre unterschiedlichen Versionen – so fängt es beim simpelsten Beispiel an. Es ist klar, dass Musik zunächst nur in Form von Noten besteht. Was der einzelne Sänger oder Musiker allerdings daraus macht, kann am Ende dann zu erheblichen Unterschieden führen – ein Phänomen, das im Übrigen alle musikalischen Genres betrifft. Das faithful!-Festival nähert sich an zwei Oktoberwochenenden genau dieser Thematik an und will den Begriff der Interpretation neu hinterfragen und als eigene Kategorie des Sprechens über Musik wiederherstellen. In den Fokus rückt der Darstellungsvergleich unterschiedlicher Ensembles und Solisten, die dasselbe Werk aufführen. Die Idee der objektiven Werktreue wird hier dem wagemutigen Experimentellen gegenübergestellt, um alle möglichen Facetten musikalischer Interpretation zu veranschaulichen. Bartholomäuskirche Friedrichshain, Berghain, General Public, Kammermusiksaal der Philharmonie, King Karaoke Bar, St. Matthias Kirche Schöneberg, Villa Elisabeth, Wabe www.faithful-festival.de

The Lost Album Ausstellung Eintritt: 7 Euro, ermäßigt 4 Euro 20. September bis 17. Dezember 2012 Öffnungszeiten: Mo, Mi bis So, 10 bis 19 Uhr Andy Warhol mit Sonnenbrille neben dem rauchenden David Hockney, der Blick aus einem Auto irgendwo in Los Angeles, Niki de Saint Phalle vor einem ihrer Werke kniend, Paul Newman, der oberkörperfrei auf einer Wiese sitzt: spontane, innige, ausdrucksstarke Momentaufnahmen, die sich da aneinanderreihen und wie glanzvolle Zeugnisse aus längst vergangenen Tagen anmuten. Mit dem Anliegen, Bleibendes zu schaffen, wechselte der als Schauspieler und Regisseur bekannte Dennis Hopper in den 1960er Jahren die Perspektive hinter die Kamera, um seine Sicht der Dinge darzustellen. Mit der allgegenwärtigen Kamera zeichnete er ingeniös das Zeitdokument einer aufregenden Epoche, ihrer Akteure und ihres Milieus. Erst nach seinem Tod kamen fünf schlummernde Kisten zum Vorschein, die eine Sammlung von über vierhundert Vintage-Fotografien enthielten, allesamt entstanden zwischen 1961 und 1967 und aus einem Repertoire von mehreren Tausenden, von Dennis Hopper persönlich ausgewählt anlässlich einer Ausstellung in Texas im Jahre 1970. Seitdem bekam die Aufnahmen niemand mehr zu Gesicht. Nun erstmalig in Europa und Berlin im Martin-Gropius-Bau: Dennis Hopper – The Lost Album. Vintage-Fotografien aus den 1960er Jahren.

bjarni grimsson

Paul Newman, 1964 © The Dennis Hopper Trust, Courtesy of The Dennis Hopper Trust

8   Konzerttipps von Sebastian Braschl und Katharina Geißler, Translation P. 41

WE SAW MONSTERS Performance Eintritt: 25 Euro, ermäßigt: 10 Euro 5., 6., 7. Oktober 2012, 20 Uhr Denkt man an Monster, so fallen einem Vampire, Dämonen, Werwölfe oder Zombies ein – allesamt düstere Kreaturen, die ihr Unwesen in unseren Köpfen, in Büchern oder Filmen treiben. Doch das Böse liegt oft viel näher und fernab der bloßen Fiktion. Denn all jene Monster, die wir mittels unserer Fantasie erschaffen, sind letztendlich verdrängte Ängste oder Begierden aus dem menschlichen Unterbewusstsein und oftmals der Realität entsprungen. Dort lauert das eigentlich Unheimliche. Die Performance We Saw Monsters vereint Schrecken und Schönheit, Orgie und Totentanz. Die isländische Tänzerin Erna Ómarsdóttir inszeniert zu pulsierender Heavy Metal Musik von Valdimar Jóhannsson eine unheimliche Mischung aus Rockkonzert, Horrorfilm, Grand Guignol, Tanz, Theater und Naturmystik – mit blonden Schwestern in Kniestrümpfen, jungen Männern mit Lendenschurz, venezianischen Masken, Prothesen von Körperteilen, Inzest, Gewalt, Blut und Kunstnebel. Die „Choreografie zwischen Monstern, Tod und Teufeln“ findet im Rahmen der Foreign Affairs, des neuen internationalen Festivals für Theater, Tanz, Performance, Bildende Kunst, Film und Musik der Berliner Festspiele in einer Liaison mit den Sophiensælen, statt. Gruseln garantiert! Sophiensæle Sophienstraße 18

Martin-Gropius-Bau

10178 Berlin

Niederkirchnerstraße 7

www.sophiensaele.com

www.berlinerfestspiele.de


Alamode Film / pornfilmfestival Berlin

Konzerttipps von Sebastian Braschl und Katharina Geißler, Translation P. 41  9

Patrick Wolf Folk Eintritt: ab 29,50 Euro 18. Oktober 2012 Einlass: 19 Uhr, Beginn: 20 Uhr Wenn Patrick Wolf die Bühne betritt, darf er alles. Er kleidet sich in schillernden Ganzkörperkostümen, legt sich „Füchse“ um die Schultern, die Haare mal lang, mal kurz, mal rot, mal blond. Von Weird- FolkDüsterheit über elektronische Gewitter wagte er sich zuletzt unverschämt glücklich in Pop-Gefilde. Alles in allem könnte man seinen Stil Free- oder Freak-Folk nennen, denn das Freie, Bunte, Mutige ist es, was der vielseitige Patrick Denis Apps seit nunmehr zehn Jahren audiovisuell zelebriert. Er feierte den Exzess, die reine Selbstinszenierung, und nach einem Jahrzehnt gibt er zu noch einen Traum zu haben. Sundark & Riverlight ist der kontrastreiche Titel seines aktuellen AkustikAlbums. Es ist eine Zeitreise durch eine Dekade seiner selbst in stiller Manier – der wohl größte Kontrast zur Bühnenfigur Patrick Wolf. Als Geschenk an sich und seine Mitreisenden gibt er auf seiner Akustik-Welttournee verheißungsvolle Intimität zum Besten. Und wenn ein Londoner Wunderknabe andächtig seine größte Leidenschaft besingt, dürfte für den Berliner Zwischenstopp wohl keine Örtlichkeit passender sein als die Kreuzberger Passionskirche. Ungeschminkte Nostalgie eines Großgewordenen.

PORNFILMFESTIVAL #7 Festival/ Party Eintritt: 7,50 Euro, Party: 5 Euro 24. bis 28. Oktober 2012 Party: 27. Oktober, 23 Uhr im Comet Club Das Thema Sexualität fasziniert uns seit jeher. Ob in der Malerei, in Büchern oder Film – Pornografie hat in sämtlichen Medien Einzug gefunden. Vor allem im Film lag die Darstellung von sexuellen Handlungen sozusagen von Anfang an auf der Hand. Bereits in den 1910er Jahren erschienen die ersten Pornofilme, die man sich in speziellen Pornokinos zu Gemüte führen konnte. In den letzten Jahren hat die Anzahl der Filme, die eindeutige Sexszenen zeigen, stark zugenommen. Die Grenzen zwischen Porno- und Experimentalfilm und anderen Filmgattungen verschwimmen dabei zunehmend. Zum siebten Mal beleuchtet das PornFilmFestival Berlin das Thema Sexualität in all seinen Facetten und zeigt neue Richtungen innerhalb des Genres auf. Zu sehen gibt es insgesamt 100 Spiel- und Kurzfilme, Dokumentar- und Experimentalfilme. Es werden 50 Filmemacher aus 20 Ländern erwartet, darunter Wakefield Poole aus den USA mit einer eigenen Retrospektive zur Filmgeschichte der Pornografie, Gala Venting aus Australien, Erika Lust aus Spanien und Nenna aus den USA. Den Anfang macht der Film Chroniques Sexuelles d’une famille d’aujourd’hui des französischen Regisseurs Jean-Marc Barr.

GRIZZLY BEAR Indie Rock Psychedelic Folk Eintritt: 20 Euro 31. Oktober 2012, Einlass: 20 Uhr, Beginn: 21 Uhr Ziemlich verstörend und bizarr sind die Videos der New Yorker Band Grizzly Bear: Ready, Able handelt von einem Wesen aus bunter Knetmasse und Two Weeks lebt lediglich von den seltsamen Gesichtsausdrücken der vier Bandmitglieder. Das passt zu ihrer leicht psychedelischen Musik, in der sie traditionelle und elektronische Instrumente sowie wohlklingende Harmoniegesänge mit verschachtelten Songstrukturen verbinden. Nachdem Grizzly Bear 2009 das „Album des Jahrzehnts“ (meinten zumindest die Kollegen von den Fleet Foxes) hinlegten, zogen sich Sänger und Songwriter Ed Droste, Schlagzeuger Christopher Bear, Bassist Chris Taylor und Sänger und Gitarrist Daniel Rossen in den Winterschlaf zurück. Mit ihrem vierten Studioalbum Shields melden sich die Jungs endlich wieder zurück. Ganz so gefährlich und haarig wie ihr Namensvetter Ursus arctos horribilis sind Grizzly Bear dann doch nicht. „Wir sind nun mal vier einfache Jungs, glatt rasiert, in T-Shirt und Jeans“, meint Ed Droste gegenüber dem Magazin Spex. Und trotzdem lohnt es sich, sich das Quartett und ihre neuen Songs am 31. Oktober im Astra Kulturhaus anzuhören. Mit der irischen Band Villagers im Vorprogramm. Astra Kulturhaus

Movimento Kino

Revaler Straße 99

Passionskirche Kreuzberg

Kottbusser Damm 22

www.astra-berlin.de

Marheinekeplatz 1 bis 2

www.pornfilmfestivalberlin.de

www.patrickwolf.com


10   Mitte Streets

Mitteschön Lieblingsstücke Heute mal in Schwarz: Texte Paul Schlosser  Translation P. 38

Back to black Ist: ein Dufterlebnis für den Mann Kann: für Überraschungen sorgen Kostet: ca. 70 Euro Gesehen bei: www.tomford.com Wir sehen schwarz! Und das ist kein Wunder, hat sich doch sicher jeder zweite Berliner schon mal mit einer schwarzen Note einparfümiert. Die Anzahl der Düfte, die den Namen dieser unbunten Farbe tragen, ist wirklich erstaunlich. Es scheint, als habe jedes große Modehaus mindestens einen düster-mysteriösen Duft im Angebot. Da gebe es Coco Noir von Chanel, La Petite Robe Noir von Guerlain oder Dahlia Noir von Givenchy, um nur wenige Beispiele zu nennen. Nach Jardin Noir, einem Ausflug in sein schattiges Gärtchen im London Mayfair District, beschenkt uns auch Gucci-Kreativdirektor Tom Ford mit einem neuen Duft, der diesmal den Ansprüchen des modernen Mannes gerecht werden soll. Das sinnlich-orientalische Eau de Parfum, dass – man ahnt es bereits – schlicht und ergreifend NOIR genannt wird, steht für die beiden Facetten des Tom-Ford-Mannes – „den kultivierten Mann von Welt, der in der Öffentlichkeit steht, und den privaten, faszinierend sinnlichen“. Hach, Tom...

Athémberaubend Ist: typisch „parisienne“ Kann: mehr als eine Saison getragen werden Kostet: 265 Euro Gesehen bei: www.schwarzhogerzeil.de Athé, das Label mit Sitz in Paris, ist eine Tochter des Erfolgslabels Vanessa Bruno und für seine Mode und Accessoires in absoluter Leichtigkeit bekannt. In Form von einfachen Schnitten und Stoffen drückt Athé puren Komfort aus. Seit der französische, gutbürgerlich-intellektuelle Chic weltweit nachgeahmt wird und Vorzeigefranzösinnen wie Lou Dillon auf ihre Outfits reduziert werden, fällt der Name des Labels gefährlich oft. Die Exklusivität der Marke Vanessa Bruno Athé zeigt sich nicht nur in den angenehm legeren und hochwertigen Kollektionsstücken, sondern auch in der Rarität der Verfügbarkeit. So sind die Kollektionen vorzugsweise in Frankreich sowie auserwählten Kaufhäusern und Modeläden erhältlich. Schwarzhogerzeil II ist einer der wenigen Läden in Berlin, der Athé in seinem Sortiment bereithält. Bei unserem kürzlichen Besuch fiel uns besonders die zarte, kragenlose Bluse mit dekorativen Stickdetails ins Auge. Für 265 Euro ist das gute Stück im zweiten Ableger von Schwarzhogerzeil auf der Mulackstraße zu haben, wo es darüber hinaus ein etwas jüngeres und erschwinglicheres Angebot gibt. Ein Besuch lohnt sich!


Mitte Streets  11

SLOE and steady wins the race Ist: Understated Cool aus Berlin Kann: selbst Männerherzen höher schlagen lassen Kostet: ab 500 Euro Gesehen bei: sloeberlin.com Treue Leser wissen bereits, dass ich mit Taschen generell auf Kriegsfuß stehe. Jedes Mal, wenn ich nach einem neuen Alltagsbegleiter Ausschau halte, gefällt mir bei genauerem Betrachten das ein oder andere Detail doch nicht mehr so gut. Zu viel Schnickschnack, zu viele Reißverschlüsse oder klobige Schnallen. Oft scheint es, als haben die Designer zu viele Ideen auf einmal in nur einem Modell umsetzen wollen. Die Kreationen des jungen Labels SLOE, die seit Kurzem auch im Voo Store verkauft werden, halte ich deshalb für eine sehr gelungene Abwechslung. In punkto Tasche ist mir die Designerin Antonia Siegmund, die sich nach ihrem Studium in London und Hamburg mit Art Director Matthias Last zusammentat und Anfang diesen Jahres dann SLOE gründete, deshalb schon mal sehr sympathisch. Mit ihrer Puritan Bag Linie verfolgt sie nämlich ihr eigenes Bedürfnis nach Einfachheit und einer Symbiose von Material, Form und Funktion. Ein Entschluss, der sicherlich nicht nur bei mir auf Begeisterung stoßen wird.

Warm Leatherette Ist: kein Verhüterli Kann: post-apokalyptische Outfits komplettieren Kostet: 462 Euro Gesehen bei: www.antonioli.eu

Oben ohne Ist: ein Käppi ohne Schirm Kann: auf dem Kopf getragen werden Kostet: 618 Euro Gesehen bei: www.barneys.com

Schmuck darf den Stil einer Person nicht verändern. Ketten, Ringe oder Broschen sollten immer auch den Charakter des Trägers unterstreichen. Deshalb wird die schwarze Lederstulpe von Julius sicher nicht jedermanns Sache sein. Wer jedoch grundalternativ in düsterem Schwarz, postapokalyptischer Lederjacke, in dünnen Jerseyhosen und eingewickelt in verschiedene Lagen Wollstoff herumrennt, wird sicher höchsterfreut sein, sein Alltagsoutfit ab sofort um dieses ungewöhnliche Schmuckstück ergänzen zu können. Das japanische Modelabel Julius wurde 2004 von Tatsuro Horikawa ins Leben gerufen. In vielen Ländern hat die Marke, die durch ihre Kunstfertigkeit zu überzeugen weiß, längst Kultstatus erreicht. In Deutschland kennen es bisher nur Eingeweihte. Wie man Julius’ unverkennbaren Stil am besten beschreiben könnte? Nach den Worten Rick Owens ist es Eleganz, gepaart mit einem Hauch Schlampigkeit. Die Kunst, gepflegt nachlässig auszusehen.

Wie wir bereits im Juli berichtet haben, rückt das gute alte „Käppi“ wieder verstärkt ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Nicht ganz unschuldig ist der für seine radikalen Entwürfe bekannte Givenchy-Kreativdirektor Riccardo Tisci. Die Schirmmütze zählt bereits seit mehreren Saisons zu den Key-Pieces seiner gefeierten Kollektionen. Waren sie letztes Jahr noch mit Hundeohren versehen oder diesen Sommer mit einem psychedelischen Strelizien-Rorschach-Motiv, so kommt seine neueste Interpretation gar ganz ohne Sichtschutz daher. Völlig neu ist diese Idee jedoch nicht. Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass ich bereits Mitte der Neunziger sämtliche Caps von ihrem Schild trennte, nachdem Melissa Joan Hart, besser bekannt als Clarissa, in der gleichnamigen Comedyserie ein ebensolches Modell trug und in hysterischer Tonlage von ihrem neuen Pickel sprach.


Prag im B端rgerpark


Glückstag  13

Mitteschön heiSSt heute Pankeschön Text Björn Lüdtke  Fotos Myriam Lutz

Im Oktober gehen Nora Tschirner, Erik Lautenschläger und Tom Krimi als Band namens Prag zum ersten Mal auf Konzerttour durch Deutschland. Grund genug, die drei genauer kennenzulernen. Und was würde sich da besser eignen als ein Glückstag in ihrem Kiez? Ihre Homebase ist der Bezirk Pankow, der wirklich sehr viel schöner ist, als wir in Mitte vermuten.


14   Glückstag

Studio

Vor der Schule

Ja, heute wagen wir uns mal ganz weit raus aus Mitte. Nach Pankow. Warum? Das ist ganz einfach. Erstens, weil wir in Mitte mit dem Glückstag inzwischen schon fast alles abgegrast haben. Zweitens, weil zwei Drittel der Band Prag, mit der wir den Tag verbringen, ihren Ursprung hier hat. Und drittens, weil das Studio, in dem wir uns mit eben dieser Band treffen, hier liegt. Prag, das sind Nora Tschirner, Erik Lautenschläger und Tom Krimi. Nora und Erik sind in Pankow aufgewachsen, Tom kommt aus Bremen. Erik lebt sogar heute noch hier, um die Ecke vom Studio. Es liegt nicht im idyllischen Teil von Pankow, wo die Villen stehen, sondern eher in einer industriellen, unwirtlichen Gegend, in der Prenzlauer Promenade in einem Plattenbau im sechsten Stock. In dem Raum war früher mal das kriminalwissenschaftliche Institut der Humboldt-Universität untergebracht, was natürlich besonders Tom Krimi freut. Bevor wir losziehen, um Pankow zu entdecken, will ich wissen, wie sich die drei kennengelernt haben. Nora fängt an: „Erik und ich kennen uns seit der Schule, vom Chor. Er ist sechs Jahre älter als ich. Er war der älteste von den Jungs und tanzte auf der Hotness-Skala relativ weit oben. Er hat mir dann total gönnerhaft, wie ich heute denke, ein Mixtape gemacht und das haben wir neulich gefunden. Da steht wirklich drauf ‚Für das kleine dunkelhaarige Mädchen aus dem Alt‘“. Erik: „Die Chorlager waren meist Fahrten zur Schneekoppe, da wurde geprobt und später eben

Café Vijla

gesoffen, bis der Arzt kommt.“ Nora: „Das war unser La Boum, sozusagen.“ Womit wir auch beim Thema wären. Vor kurzem erschien die erste Single mit dem Titel Sophie Marceau. Das ist der Name der Hauptdarstellerin aus dem französischen Kultfilm La Boum – die Fete. In dem Schmachtfetzen geht es um die erste Liebe. Wer Anfang der Achtziger in der Pubertät steckte, kennt den Streifen. Und wer den Prag-Track zum ersten Mal hört, der kriegt den Refrain so schnell nicht mehr aus dem Kopf: „Wir alle waren soooo verliebt in Sophie Marceau, sag nicht es war nicht so, denn es war doch so, sag nie es war nicht so.“ Erik und Tom haben sich kennengelernt, bevor Nora zu ihnen gestoßen ist – über einen Gitarristen, der in den anderen Bands der beiden spielt. Tom erzählt uns: „So kamen wir zusammen und haben früh Sympathien gespürt. Das Projekt ist entstanden für Sachen, die weder bei Erik & Me oder Tom Krimi zuhause sein konnten. ‚Sophie Marceau‘ ist der erste Song, den wir gemacht haben. Erik hatte diese Skizzen, diesen Refrain, den hab ich einfach genommen und dann... gib ihm! Ich weiß, dass diese Vorlieben bei Erik da sind, aber es war natürlich auch mutig, einem Independent-Songwriter auf einmal so ein klassizistisches, bombastisches, fast pathetisch-kitschiges Umfeld zu geben.“ Bevor wir das Studio verlassen, um unsere Entdeckungstour durch Pankow zu starten, spielen uns die drei noch eine Akus-

tik-Version von Bis einer geht aus ihrem Album Premiere, das im Januar erscheinen wird. Drei Gitarren und drei Stimmen, die sanft von einem Tag, der sich „wie Ferien in den Tiefen der Erinnerung anfühlt“, erzählt. Von Pathos und Kitsch ist hier nichts zu merken. Der Song ist live performt schlichtweg ergreifend, Gänsehaut ist angesagt. Obwohl es drinnen gerade so gemütlich ist, wagen wir uns trotzdem vor die Tür. An der nächsten Straßenecke sehen wir eine kleine Gruppe von Leuten stehen. Da scheint es was umsonst zu geben. Wir schauen nach. Die Suhler Jagdhütte ist ein Fachgeschäft für Jäger. Wir vergessen zu fragen, was es dort zu feiern gibt, und stürzen uns auf die Bratwurst vom selbst geschossenen Wild. Nora entdeckt einen jägergrünen Pulli und die passenden Socken dazu. Erik schießt sich eine Knickerbocker im Sale, die zu seinem Style passt wie die Faust aufs Auge – englischer Lord meets Indie in Pankow. Überhaupt haben die Prager heute eher Lust auf Natur. Wo wir beim Glückstag sonst eher Läden und Galerien abklappern, geht es heute raus ins Grüne. Mit dem Auto fahren wir zur Schönholzer Heide, am westlichen Rand von Pankow, an der Grenze zu Reinickendorf. Auf der Fahrt will ich wissen, wie Nora zur Band gestoßen ist. „Wir waren auf der Filmpremiere eines gemeinsamen Freundes. Erik und ich sind uns in der Zeit nach der Schule auch vielleicht nur dreimal


Glückstag  15

Im Studio

Suhler Jagdhütte

Bürgerpark

Im Studio

Schönholzer Heide

Suhler Jagdhütte


16   Glückstag

Schönholzer Heide

über den Weg gelaufen. Es ging eigentlich darum, dass ich zu Inas Nacht gehen und irgendwas singen sollte. Da habe ich zufällig einen Erik & Me-Song entdeckt. Erik und Tom hatten gerade eine Duett-Partnerin gesucht, wie sich dann herausstellte und hatten mich eh auf dem Schirm. Sie hatten sich aber vorher nicht getraut, mich zu fragen. So kam ich dann dazu.“ In der Schönholzer Heide angekommen, machen wir einen kleinen Spaziergang. Der Park ist anders, als die meisten anderen in Berlin. Er ist roher, man hat fast das Gefühl, nicht mehr in der Stadt, sondern davor zu sein. Zurück im Auto spielt Erik Nora seinen Lieblingstrack Volcanoes der kanadischen Band Islands vor. (Nora dreht lauter: „Ich bin in der Einflugschneise aufgewachsen, da musste man auch alle zwei Minuten den Fernseher aufdrehen.“) Sie freuen sich auf das Konzert von Islands ein paar Tage später. Prag haben ihr erstes Konzert zusammen im Revuetheater La vie en rose im Gebäude des Tempelhofer Flughafens gegeben. Ich frage Nora nach Lampenfieber. „Alter Falter. Horror. Beim Film ist es anders. Da ist es erst schlimm, wenn man die Nacktszene schon gedreht hat und denkt ‚Ooch, war doch ganz leicht‘ und hinterher dann bei der Premiere sitzt und denkt, ‚Ach, du scheiße, jetzt gucken die alle richtig mit...‘ Aber dann ist es ja schon zu spät. Aber vorm Konzert?“ Erik: „Bei den Proben war alles noch gut, aber am Tag des Konzerts bekam Nora einen regelrechten Zitteranfall.“ Nora, die nicht nur singt, sondern auch Gitarre spielt: „Ich hab immer nur geschimpft ‚Ich möchte das nicht.‘ Was aber dann passiert ist, als wir auf die Bühne gingen, war wirklich abstrus. Also, was der Körper da plötzlich anbringt: ‚Guck mal, ich

habe ein Adrenalin-Fass gefunden... sollen wir es jetzt aufmachen?‘ Es lief dann aber sogar noch besser als bei den Proben. Dann hat es natürlich auch Spaß gemacht.“

Suhler Jagdhütte

Auf dem Weg zum Lieblingscafé von Nora, Erik und Tom machen wir noch einen kurzen Abstecher zum Bürgerpark, der im Gegensatz zur Schönholzer Heide auch wie ein ordentlicher Park pittoresk angelegt ist. Erik: „Hier hinten fließt die Panke, darauf wurden die Könige früher mit Booten nach Mitte gefahren.“ Nora will zur Ziege, einer Bronzeskulptur, auf der sie als Kind schon saß. „Ich weiß noch ganz genau, wie sich das anfühlt, wenn man da drauf steigt. Und eigentlich ist die Ziege eine Antilope, aber das wussten wir im Osten natürlich nicht“, fügt sie ironisch hinzu.

Vilya Café und Deli

Prenzlauer Promenade 153/154 13189 Berlin www.suhler-jagdhuette.de

Maximilianstraße 1 13187 Berlin vilja-cafe.de Weitere Empfehlung von Erik, für alle, die mal richtig deftig essen wollen ("Suppe und Gulasch für 5 Euro!"): Gaststätte am Bürgerpark Schönholzer Straße 8 13187 Berlin Konzertdaten: 16.10.2012 München – Atomic Café

Das letzte Ziel unseres Tages liegt in der Maximilianstraße zwischen Mühlenstraße und der ungemütlichen, vierspurigen Berliner Straße. Doch wer auf der liebevoll hergerichteten Terrasse des Café Vilja Platz nimmt, ist überrascht. Die Sicht zur Straße wird von Bäumen eingerahmt, auf der anderen Straßenseite stehen hübsche Altbauten. Selbst der olle Penny-Markt auf der gegenüberliegenden Seite der großen Kreuzung kann den idyllischen Blick aus diesem Winkel nicht stören. Nora schwört auf die Snacks hier und schließt so ihr Plädoyer für Pankow ab: „Ich muss hier immer was essen, egal, ob ich Hunger habe oder nicht. Für die Panini würde ich durch die ganze Stadt fahren.“ www.facebook.com/pragmusic

17.10.2012 Köln – Kulturkirche 18.10.2012 Hamburg – Golem 25.10.2012 Berlin – Babylon


Neu in der Stadt  17

Atelier Awash Text Björn Lüdtke  Fotos Christian Wolf Geyr  Translation P. 42

Gutes Modedesign für Männer und das auch noch nachhaltig – unmöglich? Nicht mehr. Ein Besuch bei Davide Grazioli von Atelier Awash in der Max-Beer-Straße. „Ich kann den Tag nicht abwarten, an dem ich nur noch über mein Design spreche“, sagt Davide Grazioli von Atelier Awash. Noch dominiert das Thema Nachhaltigkeit die Gespräche über seine Männerkollektion. Schade, denn seine Sachen sind modern und das trotz, nein, wegen der Art, wie sie produziert werden. Nachhaltigkeit ist in der Modebranche noch lange keine Selbstverständlichkeit. Nach eigenen Angaben ist Atelier Awash wohl die einzige Kollektion, deren Produktion sich komplett bio- und ökologischen Gesichtspunkten unterordnet. „Ich kontrolliere den gesamten Prozess.“ Und da ist viel zu beachten. Stoffe wie das für Atelier Awash typische Hanf-Baumwolle-Gemisch werden in Italien gewebt. Alle Materialen kommen von dort, sind Bio und werden vor Ort verarbeitet. So werden unnötige Transportwege vermieden. Gefärbt wird mindestens nach dem GOTS (Global Organic Textile Standard), wenn nicht sogar rein pflanzlich (zum Beispiel mit Kurkuma und Indigo). „Wir sind eins mit unserer Umwelt. Es ist ein geschlossenes System. Es wird nichts weggeworfen, was nicht irgendwann wieder in unseren Mündern oder denen unserer Kinder landen wird. Aber es gibt auch eine gute Nachricht: Für alles gibt es eine Lösung.“ Und denen ist Grazioli auf der Spur.

Wer sich aber vom Pfad des Konventionellen wagt, muss mit Widerstand rechnen. „Man hat mir immer wieder versucht zu erzählen, ich könne nicht mit Baumwollgarn nähen, meine Sachen würden beim Tragen wieder auseinanderfallen, man müsse Polyester verwenden. Aber das ist nur Propaganda. Ich verwende Baumwolle und alles ist prima. Man muss nur die richtige Qualität nehmen und die Maschinen richtig einstellen.“ Grazioli kommt eigentlich aus der Kunst, wo er sich auch schon mit Umwelt beschäftigt hat. Irgendwann hat er dann angefangen mit Stoffen zu arbeiten. „Ich komme aus Mailand. Ich habe immer schon für meine Freunde designt.“ Endlich sind wir beim Thema. „Ich reise gerne. Beim Entwerfen habe ich immer die Performance der Klamotte im Hinterkopf. Was mache ich, wenn ich bei einer Reise in verschiedenen Klimazonen lande? Um in heißen Ländern trotzdem smart auszusehen, habe ich zum Beispiel ein Sakko aus Hemdstoff entworfen. Das kann man zusammenrollen und einfach in die Tasche stopfen.“ Wer Grazioli in seinem Laden besucht, der sollte nicht wieder gehen, ohne ein paar Teile anprobiert zu haben. Atelier Awash trägt sich vor allem lässig. Nicht nur scheint dem Designer die italienische Schneiderkunst im Blut zu liegen. Die behutsam ausgewählten und verarbeiteten Materialien fühlen sich einfach gut an.

www.atelierawash.com Max-Beer-Straße 31 10119 Mitte


18   Kulturgut

GEISTER UND ANDERE BERLINER Text André Uhl  Fotos Marina Weigl  Translation P. 42


Kulturgut  19

Jeder sechste Deutsche glaubt an Geister. Wesentlich weniger Leute haben das Glück – oder Pech – einem Geist persönlich zu begegnen. Ein Mitglied unserer Redaktion gehört nach eigener Aussage zu beiden Gruppen. Vor einigen Monaten wachte sie mitten in der Nacht auf und da stand er: ein weiblicher Geist, mit blond gelocktem Haar, einer Bluse und einem knielangen Jeansrock. Aus panischer Angst, dass ihr das noch einmal passieren könnte, schläft sie bis heute im Wohnzimmer bei laufendem Fernseher. Was kann man tun, damit unsere Kollegin bald wieder in ihrem Bett schlafen kann? Vielleicht hilft ein Gespräch mit einem Experten für Paranormale Phänomene weiter... Ich treffe Kris im Café des Künstlerhauses Bethanien am Mariannenplatz, Berlin Kreuzberg. Hier waren er und seine Freunde auch schon im Einsatz, hier im Bethanien sollen paranormale Phänomene beobachtet worden sein. Das 1848 im Rundbogenstil errichtete Gebäude wurde ursprünglich als Diakonissen-Krankenhaus erbaut. Es war das Lieblingsbauprojekt des Preußenkönigs Friedrich Wilhelm IV. und Theodor Fontane war hier Apotheker während der Revolution. Jeder Stein des Bauwerks atmet Geschichte. Sollte Kreuzberg von Geistern bewohnt sein, sie würden diesen Ort mögen. Heute arbeiten hier auf den ersten drei Etagen Künstler in 25 Ateliers. Manche von ihnen machten vor einiger Zeit in der Nacht Erfahrungen der besonderen Art. Sie hörten Schritte und Stimmen in eigentlich leeren Räumen und hatten das merkwürdige Gefühl, bei der Arbeit beobachtet zu werden. Einer der Künstler soll sogar Zeuge davon geworden sein, wie die Gestalt eines alten Mannes im Unterhemd aus der Wand seines Studios auftauchte, ihn schräg anblickte, um dann lässigen Schrittes durch die gegenüberliegende Wand wieder davonzuschleichen. Wenn Kris, seine Freundin Julia, Basti und Matze von solchen Geschichten Wind bekommen, warten sie, bis es Nacht wird, dann geht’s los: Sie packen ihr Equipment ein, steigen in Matzes schwarzen Chevrolet-Geländewagen mit dem türkisblauen BVPLogo auf der Fahrertür und fahren zum Ort des Geschehens, um eine PNU – eine paranormale Untersuchung – durchzuführen. BVP, das ist die Abkürzung für Berliner Verbindung für Paranormales, doch eigentlich nennen sich die vier lieber Ghostcatchers Berlin. Das klingt aufregender, ist aber etwas irreführend, da sie nicht wirklich Geister einfangen im Stil von Bill Murray, Dan Akroyd und Co. Vielmehr beschränken sie sich darauf, diese aufzuspüren und, wenn es sich ergibt, mit ihnen zu kommunizieren. Ich möchte wissen, woran ich erkenne, dass ich es mit einem Geist zu tun habe. Kris öffnet seinen Koffer und stellt allerlei Instrumente nacheinander vor mir auf den Tisch. Ein K2 Meter zum messen elektromagnetischer Felder. Einen Fieldrecorder zum Aufnehmen von Electronic Voice Phenomena. Das sind Geisterstimmen im Niederfrequenzbereich, die das menschliche Ohr zunächst nicht wahrnehmen kann; beim Abspielen der Aufnahme

sollen sie jedoch zu hören sein. Ein Temperaturmessgerät zum Auffinden von Cold Spots. Einen Lasernetz-Strahler. Eine Wärmebildkamera und eine Fullspektrum-Kamera. Und schließlich noch eine Ghost Box – eigentlich ein simples Transistorradio, das bei schnellem Durchlauf über alle Frequenzen weißes Rauschen erzeugt und dann gerne von Geistern als Kommunikationsmedium genutzt wird. Je mehr dieser Geräte Auffälligkeiten aufweisen, desto höher sei die Wahrscheinlichkeit, es mit einem Paranormalen Phänomen, also einem Geist, zu tun zu haben. Und was genau ist ein Geist? „Geister bestehen aus der Energie, die nach dem Tod aus einem Menschen entweicht. Wir versuchen diese Energie zu messen. Um sich zu manifestieren, verbraucht ein Geist zudem zusätzliche Energie aus der Umgebung, das ist auch der Grund für die Existenz von Cold Spots”, erklärt Kris. Manchmal provoziert er die Geister auch ein wenig, damit sie sich zu erkennen geben. „Hier im Bethanien haben wir während unserer Messungen in einem Atelier plötzlich den Duft von Parfum wahrgenommen. Dann habe ich laut gefragt, ob eine Frau anwesend sei, es kam aber keine Antwort. Schließlich habe ich ein bisschen provoziert und gesagt, komm schon, antworte, oder hast du etwa Schiss? Beim Abhören des EVP-Recorders konnte ich dann ganz deutlich eine weibliche Stimme hören. Sie sagte: „Halt’s Maul!“ Einer der Orte, wo die Ghostcatchers besonders viele Aktivitäten messen konnten, sind die Heilstätten in Beelitz. Hier gab es das volle Programm: hohe elektromagnetische Felder, Türen, die sich auf Ansage öffnen und schließen, Schreie auf dem Fieldrecorder, Fotos von schemenhaften weiblichen Gestalten, die an Krankenschwestern zu Beginn des 20. Jahrhunderts erinnern. Basti glaubt sogar, von einem Geist angefasst worden zu sein. Die Beelitzer Heilstätten sind so beliebt bei selbsternannten Forschern für Übernatürliches, dass die Chance, auf Kollegen zu treffen, mindestens so groß ist, wie die, einem Geist zu begegnen. Die Ghostcatchers Berlin erledigen auch Auftragsarbeiten, allerdings immer unentgeltlich. Achtmal wurden sie bisher um Hilfe gebeten. Darunter von einer Familie, die in ihrem Haus eine tiefe Stimme ähnlich einem Grunzen hörte. Von einer anderen, wo die Mutter Schatten sieht, während der vierjährige Sohn sich mit ei-


20   Kulturgut

ner nicht existierenden Oma unterhält. Oder von einer Gesangslehrerin, die sich von seltsamen Geräuschen belästigt fühlte. Um den Betroffenen zu helfen, versucht das Team den Grund für den Spuk herauszufinden. Zunächst werden immer natürliche Ursachen gesucht, betont Kris. Sollte dann aber doch alles auf einen Geist hindeuten, nehmen sie mit diesem Kontakt auf. Durch lautes Zureden machen sie ihm klar, dass dies das Haus der Familie ist und er das Spuken bitte unterlassen soll, da er die Familie ängstige. Von Umziehen raten sie in der Regel ab, da man sich von einem Geist nicht einschüchtern lassen sollte. Diesbezüglich hat

Kris feste Prinzipien: „Man sollte den Menschen keine zusätzliche Angst einjagen, wenn sie eh schon verunsichert sind. Unsere Aufgabe ist es ja, ihnen zu helfen.“ Meine Kollegin zog es schließlich vor, ihre Wohnung von einer Privatperson mit Weihrauch ausräuchern zu lassen. Ob der Geist sich dadurch vertreiben ließ, werden die kommenden Nächte zeigen... Dieser Beitrag erschien erstmals in der vierten Ausgabe des zweikommasieben Magazins (www.zweikommasieben.ch).


Gimme Five  21

Gimme Five BERLINS schönste Friedhöfe Text Paul Schlosser  Fotos Sebastian Braschl

Mit mehr als 190 Friedhöfen hat Berlin eine beachtliche Anzahl an Ruhestätten zu bieten und besitzt eine einmalige Friedhofskultur. Für Touristen besteht auf den Todesstätten die Möglichkeit einiges über die Geschichte und Entwicklung der Stadt zu erfahren. Denn Friedhöfe sind nichts anderes als offene Geschichtsbücher, deren Gräber die Kapitel. In dieser Ausgabe möchten wir die schönsten historischen Berliner Friedhöfe und ihre dort bestatteten, einst berühmten, heute vielleicht in Vergessenheit geratenen Persönlichkeiten vorstellen.

01

Dorotheenstädtischer Friedhof Der im Jahre 1762 angelegte Dorotheenstädtische Friedhof in Mitte wurde zur letzten Ruhestätte vieler Personen der geistigen Elite Deutschlands, darunter Bertolt Brecht und Heinrich Mann. Zahlreiche künstlerische Bildhauerarbeiten sind hier zu bewundern. Das älteste Grabmal stammt aus dem Jahr 1807. Auch historische gusseiserne Grabkreuze, Stelen und Obelisken blieben erhalten. Die gesamte Friedhofsanlage steht heute unter Denkmalschutz.

02

Jüdischer Friedhof Weißensee Der 1880 eingeweihte Jüdische Friedhof im Bezirk Weißensee zählt zu den größten und schönsten jüdischen Friedhöfen Europas. Zahlreiche Berliner Persönlichkeiten sind hier beigesetzt, unter anderem der Sozialpolitiker Max Hirsch (1832-1905), der hebräische Schriftsteller Micha Josef Bin Gorion, der Maler Lesser Ury sowie die Verleger Samuel Fischer und Rudolf Mosse.

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Friedhof Heerstraße Der für alle Konfessionen offene Friedhof Heerstraße ist landschaftlich einer der schönsten Begräbnisorte der Stadt. Eine Besonderheit ist, dass die Grabreihen terrassenförmig angelegt sind. Das heißt, man muss vom Eingang heruntersteigen und später wieder hinauf! Die Gräber sind rund um den Sausuhlensee arrangiert. Hier fanden ihre letzte Ruhestätte der Kunsthändler Paul Cassirer, der Dichter Joachim Ringelnatz, die Schauspieler Tilla Durieux, Grete Weiser und Victor de Kowa, der Bühnenschriftsteller Curt Goetz und der Maler George Grosz. Zu den sehenswertesten Grabstätten auf dem Friedhof Heerstraße gehört die Grabstätte des Bildhauers Georg Kolbe. Der neueste Prominente, der hier beigesetzt wurde, ist Vicco von Bülow, alias Loriot.

04

III. Städtischer Friedhof Stubenrauchstraße Im Friedhof Stubenrauchstraße in Tempelhof-Schöneberg kann man der Ikone Marlene Dietrich gedenken. Der Friedhof ließe sich sicher am besten als Künstlerfriedhof bezeichnen. Zahlreiche Maler, Bildhauer, Schauspieler, Schriftsteller und Musiker wurden hier beigesetzt. Einige der Gräber hat der Berliner Senat zu Ehrengräbern erhoben. Neben der Film-Diva befindet sich auch Helmut Newtons Ort der letzten Ruhe hier.

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Friedhof Eythstraße Der Friedhof Eythstraße an der Grenze zwischen Schöneberg und Tempelhof wurde 1908 als Landschaftsfriedhof errichtet. Die Grabfelder liegen unter schönen Altbaumbeständen. Zentrum des Friedhofes ist der Krumme Pfuhl. Er gehört zu einer Reihe von Tümpeln, die in einer eiszeitlichen Rinne liegen, die sich von der Grunewaldseenkette bis zur Stadtgrenze in Rudow erstreckt. Die Trauerhalle steht als besonders schönes Beispiel des Jugendstils unter Denkmalschutz.



Kulturgut  23

Illustrator des monats: DAAVID MÖRTL Text Sebastian Braschl

Als freischaffender Illustrator und Künstler schafft Daavid Mörtl mit Stift, Tusche und Aquarellfarben Porträts, Modeillustrationen, figürliche Szenen und kalligrafische Schriftzüge sowie Architekturvisualisierungen und Interieurbildwelten. Durch sein Faible für das Miteinander von Nützlichem und völlig Funktionsfreiem, dem aber durch die reine Erwähnung im Bild eine Funktion unterstellt wird, entstehen in seinen Werken bisweilen surreale Momente, die den Eindruck einer Parallelwelt erwecken. Die Bühne ist dabei der domestizierte Raum, das architektonisch erschlossene Gebiet, in dem sich menschliche Figuren bewegen. Durch die Konfrontation von Mensch und Raum relativiert sich das Lebendige: Die Figuren wirken anonym, leblos, schlafend oder in Trance, Gesichter sind kaum erkennbar und die Gegenstände und der Raum gewinnen durch eine Dramatik an Leben. Dem Leblosen wird ein Eigenleben impliziert. Auch auf seinem Blog setzt er sich unter anderem mit der Frage von ästhetischem Sinn und Unsinn auseinander und bemüht sich um neue (Zu-)Ordnungssysteme von gesammeltem Material. Der studierte Kommunikationsdesigner lebt und arbeitet in Berlin. Daavid zählte unter anderem schon Spex, Telekom, KaDeWe, Fräulein Magazin, Style League, Brand eins und das Bureau Mario Lombardo zu seinen Kunden. www.daavidmoertl.com, www.daavidmoertl.blogspot.com

Du bist Illustrator und möchtest mit deinem Artwork das nächste heraustrennbare MITTESCHÖN-Poster zieren? Dann schick uns deine Bilder und Entwürfe an: info@mitteschoen.com.





Kieztalk  27

Der Todesking Interview mit Jörg Buttgereit Text Bettina Schuler  Fotos Tina Linster  Translation P. 43

Farin Urlaubs großer Bruder. Das kommt mir als erstes in den Sinn, als ich Jörg Buttgereit sehe. Und zwar nicht nur, weil er ebenso groß und blond ist, sondern vielmehr, weil er ein ähnliches verschmitztes Lächeln hat wie der Ärzte-Sänger. Überhaupt würde man rein optisch gesehen nicht auf die Idee kommen, dass dieser freundliche Endvierziger mit den Lachfalten einer der bekanntesten deutschen Horrorfilm-Regisseure ist.


28   Kieztalk

„Naja, ihr war der Film wohl etwas zu heftig, deshalb ist sie aus dem Kino gerannt. Womit das Treffen dann auch erst mal beendet war.“

Wobei, wie wir im Interview gleich noch erfahren werden, Buttgereits Filme sich sowieso nicht dem klassischen Horror-Genre zuordnen lassen, sondern irgendwo zwischen Splatter, Horror und neorealistischer Romanze changieren. So wie der Regisseur eben selbst, der sich schon längst nicht mehr auf ein Medium beschränkt, sondern mal ein Theaterstück, mal einen Film oder ein Hörspiel inszeniert. Dabei spielt seine Sozialisation als Punk im alten VorwendeWest-Berlin immer eine große Rolle. Was sich auch, und da schließt sich der Kreis wieder, in seinen Kontakten zu Bands wie Mutter, Die Tödliche Doris oder ja, auch den Ärzten widerspiegelt. Wie man überhaupt dazu kommt Nekrophilie, die Vorliebe für Sex mit Toten, in den Mittelpunkt eines Filmes zu stellen und was es mit dem Mythos von Ed Gein auf sich hat, darüber haben wir mit dem Berliner Underground-Regisseur gesprochen. Mitteschön: Jörg, warum beschäftigt man sich mit dem Tod? Weil man selbst Angst davor hat? Jörg: Ganz genau. Und weil man hofft durch die Beschäftigung mit dem Thema sich ein wenig von dieser Angst zu befreien.

Zensur in den achtziger Jahren. Man konnte sich in den Kinos ja kaum noch einen Horrorfilm anschauen, der nicht verstümmelt war. Dieser Zensur wollten wir mit der Radikalität von Nekromantik etwas entgegensetzen. Dadurch, dass wir den Film ohne Fremdmittel realisiert und vertrieben haben und folglich auch von allen Kontrollinstanzen befreit waren, konnten wir den Zuschauern etwas zeigen, was zu dieser Zeit ansonsten vollkommen unmöglich gewesen wäre. In Nekromantik (1987) und Nekromantik 2 (1991) geht es um Menschen, die nekrophil sind und ihren Fetisch ausleben – was auch sehr deutlich gezeigt wird. Einen Fetisch, den viele sicher extrem abstoßend finden. Trotzdem finde ich, dass insbesondere durch die Zärtlichkeit der nekrophilen Paare zueinander deinen Filmen eine gewisse Romantik anhafet, wie ja bereits der Titel suggeriert... Jörg: Zumindest einige Zuschauer scheinen diese Ansicht zu teilen. Denn mir wird immer wieder erzählt, dass sich Paare bei ihrem ersten Treffen Nekromantik angeschaut haben. Was allerdings, wie ich bei einem Freund von mir gesehen habe, auch komplett daneben gehen kann. Was ist geschehen?

Und, hat’s geklappt? Jörg: Sagen wir mal so: Ich habe dank meiner Filme den Tod ein bisschen besser kennengelernt. Aber es gab auch noch einen anderen Grund dafür, dass ich Filme wie Nekromantik gedreht habe: die wachsende

Jörg: Naja, ihr war der Film wohl etwas zu heftig, deshalb ist sie aus dem Kino gerannt. Womit das Treffen dann auch erst mal beendet war. Die beiden sind zum Glück trotzdem zusammengekommen. Den Film kann sie aber immer noch nicht leiden.


Kieztalk  29

Nekromantik 2 wurde von der Staatsanwalt beschlagnahmt und verboten... Jörg: Mir wurde bei Nekromantik 2 von der Staatsanwaltschaft der Straftatbestand der Gewaltverherrlichung unterstellt. Dabei hat man sich auf den Paragrafen 131 bezogen, diesen Gummiparagrafen, der eigentlich zur Unterbindung von Neonazipropaganda gedacht war und den man in den 1980er Jahren auch gerne auf Horrorfilme anwendete. Wir mussten dann nachweisen, dass der Film nicht gewaltverherrlichend ist. Und da die paar Splatterszenen in dem Film so widerlich sind, dass sie unmöglich eine Verherrlichung von Gewalt sein können, sind wir damit auch durchgekommen. Der vom Gericht bestellte Gutachter hat sogar festgestellt, dass es sich bei Nekromantik 2 auch um einen Film über die Wende und den Niedergang von Ostdeutschland handelt. Warum eigentlich ausgerechnet Nekrophilie? Jörg: Sex und Tod war in Horrorfilmen schon immer ein Thema. Man muss sich nur Alfred Hitchcocks Psycho ansehen. Das Publikum hat bei meinen Filmen nur die Offensichtlichkeit verstört, in der ich diesen Zusammenhang dargestellt habe. Der Film bezieht sich übrigens auf den amerikanischen Grabräuber Edward T. Gein, der in den fünfziger Jahren, nach dem Tod seiner Übermutter, Leichen ausgegraben und mindestens zwei Frauen selbst ermordet hat. In seiner Wohnung hat man

dann später nicht nur ein Herz in der Pfanne, sondern auch eine Sammlung von Nasen, Masken aus Gesichtshaut und Näpfe aus Schädeln gefunden. Was fasziniert dich an diesem Anti-Helden, über den du 2002 ein Hörspiel und jetzt auch das Theaterstück Kannibale und Liebe geschrieben und inszeniert hast?

der kalte Krieg, die Angst vor dem Fremden, die sich darin geäußerst hat, dass die Monster plötzlich aus dem Weltraum kamen. Monster sind immer Metaphern für Probleme, die uns Menschen beschäftigen. Hast du eigentlich eine persönliche Grenze beim Filmemachen? Jörg: Klar, das Budget.

Jörg: Der Fall Gein hat Ende der fünfziger Jahre die amerikanische Nation schockiert und bis heute entscheidend die westliche Populärkultur geprägt. Auf Geins Fall basieren beispielsweise zahlreiche Filmklassiker wie eben Psycho, der frühe Splatterfilm The Texas Chainsaw Massacre und der mit fünf Oscars ausgezeichnete MainstreamHorrorfilm Das Schweigen der Lämmer. Ed ist ein Klassiker. Mittlerweile drehst du auch klassische Dokumentationen wie die grandiose ArteHorrorfilm-Dokumentation Monsterland, in der man unter anderem erfährt, welche Bedeutung Monstern in Japan zukommt. Jörg: Ich habe neben der Dokumentation Monsterland für ARTE auch das Buch Japan – Die Monsterinsel über japanische Monsterfilme geschrieben. Ich habe versucht das Monstergenre aus der Trivialkultur auf ein seriöseres Level zu heben, um mich näher damit auseinanderzusetzen. Die Monster in diesen Filmen sind so etwas wie politische Barometer. Es gibt viele zeittypische Motive, die in diesen Filmen immer wieder auftauchen. Sei es nun die Angst vor der Atombombe, wie bei Godzilla, oder später

Das Theaterstück Kannibale und Liebe wird ab dem 21. Oktober am Schauspielhaus Dortmund zu sehen sein. Alle weiteren Infos zu Jörg Buttgereits Filmen, Hörspielen, Büchern und Theaterstücken könnt ihr auf seiner Homepage www.joergbuttgereit.com nachlesen.


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Serienmörder und Superkommissar Zwei Berühmtheiten der Berliner Kriminalgeschichte Text Anne Kammerzelt  Illustration Lianna Dora  Translation P. 42

Jack the Ripper, dessen Identität nie wirklich geklärt wurde, ist wohl einer der legendärsten Serienmörder der Geschichte. Al Capone einer der berüchtigtsten Gangsterbosse aus dem Chicago der 1920er Jahre. Um beide Ganoven kreisen eine Menge Mythen und Legenden, ihre Geschichten wurden in unzähligen Büchern und Filmen wiedergegeben. Was kaum jemand weiß: auch in Berlin trieb einst ein grausamer Serienmörder sein Unwesen, und zwar in der Gegend um den heutigen Ostbahnhof, die aufgrund ihrer hohen Kriminalitätsrate auch das „Chicago Berlins“ genannt wurde. Auf der anderen Seite hat Berlin einen der erfolgreichsten und wichtigsten Kommissare Deutschlands hervorgebracht. Vorhang auf für den deutschen Sherlock Holmes und den „Schlächter vom Engelbecken“ der Berliner Kriminalgeschichte: Carl Großmann, „der Schlächter vom Engelbecken“ Carl Großmann, 1863 geboren, lebte in der Lange Straße 88. Er besaß am Schlesischen Bahnhof, dem heutigen Ostbahnhof, einen Wurststand, wo er vermutlich seine Opfer, Prostituierte und alleinreisende Frauen, ansprach und sie zu sich nach Hause einlud. Das Stadtviertel um den Schlesischen Bahnhof war damals eine der ärmsten und verruchtesten Gegenden Berlins. In den Jahren 1918 bis 1921 wurden dort die Leichenteile von 23 Frauen entdeckt. Es waren hauptsächlich Knochen, die im Engelbecken, im Luisenstädtischen Kanal und in der Spree gefunden wurden. Großmann wird als sehr klein und sehr hässlich beschrieben. Er hatte immer eine „Dicke Marie“, ein dickes Bündel Reichsmark, dabei, und weil er öfter mal eine Runde springen ließ, erfreute er sich trotz eines fiesen Körpergeruchs großer Beliebtheit. Auf der Polizeiwache war er kein Unbekannter. Er hatte ständig wechselnde Wirtschafterinnen, die alle nach kurzer Zeit verschwanden. Angeblich, weil sie ihn bestohlen und dann das Weite gesucht hatten. Zu Beginn suchte die Polizei tatsächlich nach den Frauen. Ein einziges Mal wurde eine gefunden, die sogenannte „schwarze Johanna“, die für ihre Verhältnisse sehr viel Geld dabei hatte. Sie gab zwar an, dass es das Honorar für Großmanns außergewöhnliche sexuelle Wünsche war, was man ihr aber nicht glaubte. Sie kam für mehrere Jahre ins Gefängnis. Später bemühte sich die Polizei nicht mehr um die Frauen. Großmanns Nachbarn hingegen hatten


Kulturgut  31

schon länger komische Geräusche aus der Wohnung vernommen, sich aber nie getraut etwas zu sagen. Bis zum 21. August 1921, als ein Nachbar auf der Wache auftauchte und den Polizisten erzählte, dass er am frühen Abend Großmann und seine neue Haushälterin an der Haustür getroffen hatte, beide voll wie die Haubitzen. Gegen 23 Uhr hatte ihn dann seine Frau geweckt und ihn zur Polizei geschickt, weil sie die Geräusche aus dem Nachbarhaus nicht mehr ertragen konnte. Als die Polizei bei Großmann in der Wohnung ankam, sprang dieser auf, um sich ein Steingefäß zu schnappen und daraus zu trinken. Geistesgegenwärtig schlug es ihm einer der Polizisten aus der Hand, tatsächlich handelte es sich um Zyankali. Die Frau lag entsetzlich zugerichtet auf dem Bett, wenige Augenblicke später erlag sie ihren Verletzungen. Bei der Wohnungsdurchsuchung findet die Polizei Anhaltspunkte, dass sie es wohl mit dem „Schlächter des Schlesischen Bahnhofs“ zu tun hat. Unter dem Bett finden sie die Kleidungsstücke von verschiedenen Frauen, verschiedene Größen und Stile, blutdurchtränkte Jutebeutel und im Ofen menschliche Knochen. Auf der Küchenbank findet man menschliches Fettgewebe und Muskelfasern, Blut und Hautreste. Drei Morde konnten Großmann vor Gericht zweifelsfrei zugeordnet werden, die vermutliche Zahl seiner Opfer wird aber auf 20 bis über 100 geschätzt. Noch vor dem Ende der Hauptverhandlung erhängt er sich in seiner Zelle. Es gibt Vermutungen, nach denen Großmann seine Opfer zu Wurst- und Dosenfleisch verarbeitet haben soll, welches er dann an seinem Wurststand verkaufte. Auch soll er Teile seiner Opfer verspeist haben.

Ernst Gennat, „der deutsche Sherlock Holmes“ Die Berliner Polizei um 1900 hatte den Spitznamen „Adelsklub“, weil sie einen Teil ihrer Kommissare aus dem verarmten Adel rekrutierte. Der Adel wollte, wenn er schon arbeiten musste, einen Job mit gesellschaftlichem Status. Ein Polizist war ein hoher preußischer Beamter, dazu gab es ein ausreichendes monatliches Gehalt. Der bedeutendste deutsche Mordermittler, Ernst Gennat, war keiner von diesen Adeligen, sondern der Sohn des Gefängnisdirektors vom Plötzensee. Er kam 1905 zur Kriminalpolizei und legte schnell seinen Finger auf die Wunden der Verbrechensbekämpfung. Die Kriminalpolizei war zu der Zeit den Verbrechern technisch weit unterlegen. Es gab den Spruch: „Wenn auf jedem Grab eines mutmaßlich Vergifteten eine Kerze brennen würde, wäre Berlin ein Lichtermeer“. Giftmorde waren bis dato kaum nachzuweisen. Daran arbeitete Gennat, indem er Wissenschaftler mit an Bord der Verbrechendbekämpfung holte. Er war der Erste, der aufgrund einer Blutanalyse einen Täter überführte.

che nicht weit entwickelt. Machte sich damals ein hoher Beamter auf zum Tatort, wurde vorher gründlich aufgeräumt und geputzt, was jegliche Spuren zunichte machte. Gennat entwickelte das Arbeitsschema Todesermittlungsverfahren, welches eine Anleitung zum Vorgehen am Tatort darstellt. Bis 1926 arbeiteten die einzelnen Mordkommissionen ohne jegliche Abstimmung nebeneinander her. Erst Ernst Gennat schaffte durch einige geniale Einfälle durchgreifende Verbesserungen. So organisierte er eine Zentrale Mordkommission, die unter seiner Leitung 1926 ihre Arbeit aufnahm. Er selbst suchte hierfür die fähigsten Beamten aus, zu denen erstmalig auch Frauen gehörten. Zudem wurde auf seine Initiative das berühmte Mordauto angeschafft, welches für Ermittlungen vor Ort perfekt ausgerüstet wurde. Allein im Jahr 1931 konnte er von 114 Tötungsdelikten 108 aufklären, insgesamt löste er 90 Prozent seiner Fälle. Gennat, der als übergewichtiger Tortenfan und stets schlampig gekleidet beschrieben wird, war zu seiner Zeit nicht nur unter seinen Kollegen ein Star. Wegen seines hohen Einfühlungsvermögens gegenüber Zeugen und dem respektvollen Umgang mit Tätern war er so was wie der Buddha der Polizei. Als Gennat im Alter von 59 Jahren starb, wog er stolze drei Zentner. Kurz vor seinem Tod überraschte der Kommissar noch einmal sein Umfeld, als er eine Kollegin heiratete, wenngleich nur aus dem Grund, damit seine „Frau“ einen Anspruch auf die Witwenpension hatte. Vielen Dank an Benjamin Plath von Stadtkrimi Berlin. Wer mehr über die dunkle Seite Berlins erfahren möchte, dem sei der ca. zweieinhalbstündige Stadtrundgang durch

Verbrechen waren zu jener Zeit an der Tagesordnung und die Polizei alles andere als gut organisiert. Zudem war auch die Spurensu-

den historischen Stadtkern empfohlen. http://stadtkrimi.com


32   Hmmm, Lecker!

Kochtipps vom Kochhaus Tagliatelle in Kürbis-Mascarpone-Crème Text und Bilder Kochhaus

Auf dieser Seite findet ihr monatlich einen Rezeptvorschlag mit Fotoanleitung vom Kochhaus, dem weltweit einzigartigen begehbaren Rezeptbuch in Berlin Prenzlauer Berg (Schönhauser Allee 46) und Schöneberg (Akazienstraße 1). Im Kochhaus findet man nicht nur regelmäßig wechselnde Rezepte, sondern auch gleich noch alle Zutaten, die man für das Gericht braucht – fertig portioniert an einem Tisch. Schaut doch mal vorbei und bis dahin: Guten Appetit! Zutaten für 2 Personen: 250 g Tagliatelle, 300 g Hokkaido-Kürbis, 1 Bund Petersilie, 250 g Mascarpone, 25 g Grana Padano, 25 g gehobelte Mandeln, 1 g Muskat, Salz, Pfeffer (*Mengenangaben beziehen sich auf 2 bzw. 4 Personen). Zubereitungszeit: 25 min

Wasser in einem Topf zum Kochen bringen. Kürbis wa-

Wenn das Wasser kocht, 1 bzw. 2 EL* Salz hinzufügen und

schen, von Kernen und Strunkresten befreien, in ca. 1

Kürbiswürfel 8 Minuten bei mittlerer Hitze bissfest ko-

cm große Würfel schneiden. Käse fein reiben. Petersi-

chen.

lienspitzen zur Dekoration beiseite legen, verbliebene Blätter von den Stielen zupfen und fein hacken.

Währenddessen Mandeln in einer Pfanne ohne Öl bei

Nach 8 Minuten Pasta zu den Kürbiswürfeln geben und 3

starker Hitze ca. 2 Minuten goldgelb rösten, dabei häu-

Minuten bei mittlerer Hitze mitkochen. In einer Schüssel

fig rühren. Anschließend herausnehmen.

Mascarpone mit geriebenem Käse, gehackter Petersilie und 8 bzw. 16 EL* Pastakochwasser verrühren. Mit Muskat, ½ bzw. 1 gestrichenen TL* Salz und nach Geschmack mit Pfeffer würzen.

Bissfest gegarte Tagliatelle und Kürbiswürfel abgießen

Pasta in einem tiefen Teller anrichten und mit Petersi-

und mit der Mascarpone-Crème vermengen.

lienspitzen und gerösteten Mandeln garnieren.


Mitte für Kids  33

Wir mitte-Muttis In dieser Ausgabe mit einer Gruselgeschichte zum Vorlesen! Text Bettina Schuler  Illustration Lianna Dora  Translation P. 44

„Gute Nacht“, sagte Mama und gab Lena auf beide Wangen einen dicken Kuss. „Kannst du das Licht anlassen?“, bat Lena. Ihre Mutter nickte lächelnd und warf ihrer fünfjährigen Tochter noch eine letzte Kusshand zu, bevor sie die Tür schloss. Seufzend zog Lena die Bettdecke bis zur Kinnspitze. Warum mussten Kinder eigentlich immer so früh ins Bett gehen? Wenn sie erst einmal erwachsen wäre, würde sie immer bis in die Puppen wach bleiben und sich eine Glatze rasieren, damit sie ihre Haare nie wieder kämmen müsste. Energisch drehte die kleine blonde Lena sich zur Seite und presste ihren alten verschlissenen Braunbär ganz fest an sich. Mit Brummi in den Armen konnte ihr nichts passieren. Der war stärker als alle Monster dieser Welt. Ja, selbst die bösen Polizisten aus den Pippi-Langstrumpf-Filmen hätten keine Chance gegen ihn. Da schoss plötzlich ein blitzendes Etwas durch Lenas Blickfeld. Erschrocken zog sie sich die Decke über den Kopf. „Los Brummi“, flüsterte sie leise und kniff ihre Augen zusammen, „beschütz mich!“ Es verstrichen einige Sekunden, bis Lena sich traute unter der Decke hervorzugucken. Aus der rechten Ecke ihres Zimmers blinkte ihr der kleine Leuchtflummi entgegen. Der war es also gewesen. Lena seufzte erleichtert. „Alles gut, Brummi“, flüsterte sie leise. „Du brauchst keine Angst zu haben“. Sie drückte ihm einen sanften Kuss ins Gesicht. „Wirklich?“, hörte sie es da leise flüstern. Lena schreckte zusammen und schaute sich verängstigt um. Doch außer dem Leuchtflummi und ihrem

Schlaflämpchen, ein kleiner blauer Stern, der ihr gegenüber an der Wand strahlte, konnte sie nichts finden. „Ich bin hier“, hörte sie die Stimme wieder leise flüstern, „über deinem Bett“. Erschrocken fuhr Lena zusammen. Und dann sah sie ihn. Den kleinen weißen Clown mit der großen roten Nase und dem dunkelblauen Hut, der ihr aus dem Bild über dem Bett zuwinkte. Lena schloss die Augen und schüttelte den Kopf. Das war nur ein Traum. Ein Clown, der spricht. Und noch dazu aus einem Bild. Das konnte es doch gar nicht geben. Sie atmete tief ein und aus und schaute erneut hinauf. Dieses Mal streckte ihr der Clown die Zunge heraus. „Du hast wohl gehofft, du träumst, was?“ erwiderte er mit erhobenem Zeigefinger, „Aber nein, nein. Alles real.“ Lena zitterte am ganzen Körper. „Was willst du von mir“, fragte sie heiser und drückte Brummi noch fester an sich. Der Clown verzog seinen knallroten Mund zu einer Grimasse. „Dass du meinen Platz hier einnimmst. Oder glaubst du, ich will mein Leben lang ein Clown in einem Bild sein?“ Lena zuckte zurück. Doch der Clown hatte bereits seine lange weiße Hand nach ihr ausgestreckt. Wie eine Krake ragte sie aus dem Bild heraus. Lena wand sich in ihrem Bett, doch die Hand des Clowns war überall. „Meine Eltern wollen doch keinen blöden kleinen Clown als Kind haben“, warf Lena dem Clown und seiner überdimensionalen Hand entgegen. Ein kehliges Lachen war die Antwort und Lena sah, wie sich langsam auch der Kopf aus dem Bild schälte. „Eltern!“ rief der Clown verächtlich, „die sind doch sowieso nur mit sich selbst beschäftigt“. Und mit weicher, sanfter Stimme wisperte er in Lenas Ohr „und was meinst du, was für ein braver Junge ich sein kann? Hat deine Mama

nicht erst gestern gesagt, dass sie dich gegen ein braves Kind eintauscht, wenn du weiterhin nicht aufräumst?“ Mit Schreck dachte Lena an den gestrigen Streit zurück. „Das hat Mama nur gesagt, um mich zu ärgern!“ sagte Lena und nahm all ihren Mut zusammen. Ein bübisches Grinsen war die Antwort. „So, meinst du?“ Und wie aus dem Nichts hatte die Pranke des Clowns Lena am Schlafittchen gepackt und zerrte sie in Richtung Bild. „Nein“, schrie Lena. „Lass los, lass mich sofort los, ich will nicht in das Bild, lass dass, Mama, Papa...“ Das Bild kam näher und näher und Lena begann immer lauter zu wimmern. Doch der Clown lachte nur höhnisch. Da wurde es von einer Sekunde auf die andere taghell und Anna fand sich in Mamas Schoß wieder. Sanft streichelt sie Lena über den Kopf. „Mein Schatz, alles gut. Du hast nur geträumt.“


34   Kunsttipps von Eye Out

Kunsttipps

von

EyeOut

Text Melissa Frost  Translation Robert Schlicht, P. 45

In dieser Kolumne stellen wir euch jeden Monat eine kleine Auswahl der interessantesten Ausstellungen in Mitte vor. Weitere spannende Tipps findet ihr in der iPhone App EYEOUT Berlin (www.eyeout.com).

Henrik Håkansson 15. September – 19. Oktober 2012 Meyer Riegger, Friedrichstr. 235, U6 Kochstrasse, Di–Sa 11–18 Uhr +49-30-31 56 65 80, info@meyer-riegger.de, www.meyer-riegger.de

Henrik Håkansson – Aug. 11, 2012 The Symptoms of the Universe Studies. (6 min 29 sec), Installationsansicht Courtesy Meyer Riegger

In Aug. 11, 2012 The Symptoms of the Universe Studies. (6 min 29 sec) bei Meyer Riegger erzielt der schwedische Künstler Henrik Håkansson durch die Gegenüberstellung von Natur und Kultur sowie die symbolische Thematisierung von Naturkreisläufen eine dramatische Wirkung. Håkansson sondiert diese Beziehungen in einer Installation aus skulpturalem Environment und einer mehrteiligen Videoarbeit, deren Dauer sich auf den Song Symptoms of the Universe von Black Sabbath bezieht. Nachdem der Betrachter die Überreste eines durch eine vorsätzliche Explosion zerstörten Baumes passiert hat, bieten sich ihm auf mehreren Bildschirmen Aufnahmen von der Destruktion des Baumes. Die Videos, die in verschiedenen Geschwindigkeiten ablaufen und unterschiedliche Perspektiven zeigen, lassen die Aktion abstrakt werden und unterstreichen das Ausmaß der tatsächlich in der Galerie vorhandenen Trümmer. Aus der Verquickung der Energie des Baumes als Symbol des Lebens mit der Energie eines (eminent menschlichen) Akts der Zerstörung entsteht eine verblüffend schöne Meditation darüber, was wir als Natur begreifen.

Mike Nelson 15. September – 13. Oktober 2012 Neugerriemschneider temporärer Ausstellungsraum, Gartenstr. 6, S1, S2, S25 Nordbahnhof, Di–Sa 11–18 Uhr +49-30-28 87 72 77, mail@neugerriemschneider.com, www.neugerriemschneider.com

Mike Nelson – Space That Saw (Platform For a Performance in Two Parts), Installationsansicht Courtesy neugerriemschneider, Berlin Foto: Jens Ziehe, Berlin

Teils Installation, teils Theaterbühne für eine soeben zu Ende gegangene – oder womöglich sogleich beginnende – Geschichte, bietet Mike Nelsons Arbeit eine fesselnde und verstörende Erfahrung, die sich jeder einfachen Bestimmung entzieht. Im temporären Ausstellungsraum von neugerriemschneider, der sich in einem Hinterhof in der Gartenstraße versteckt, schafft Space that Saw (Platform for a Performance in Two Parts) eine bestrickende Spannung zwischen der Körperlichkeit des Betrachters und derjenigen der Umgebung. Nelsons charakteristische Konfrontationen mit dem Unbekannten führen den Besucher auf eine narrative Reise, die von labyrinthischen Wendungen und überraschenden Gegensätzen von Höhe und Tiefe, Licht und Dunkelheit durchzogen ist. Sobald man das Herz der Installation erreicht, wird die Frage, worin diese Erzählung genau besteht, zum Gegenstand einer sehr persönlichen Verhandlung zwischen Nelsons fiktiver Welt und dem eigenen Ich, die letztlich ebenso schwer zu bestimmen ist wie die Arbeit des Künstler selbst.

Arno Brandlhuber 8. September – 21. Oktober 2012 KOW, Brunnenstr. 9, U8 Rosenthaler Platz, Mi–So 12–18 Uhr +49-30-31 16 67 70, gallery@kow-berlin.com, www.kow-berlin.com

Arno Brandlhuber – Im Archipel (Installationsansicht) Courtesy KOW, Berlin Foto: Alexander Koch, Berlin

Mit der Ausstellung Im Archipel bei KOW stellt der Architekt Arno Brandlhuber sein eigenes Stadthaus in der Brunnenstraße 9 in den Mittelpunkt des Diskurses. Als historischen Hintergrund und Kontrastfolie verwendet Brandlhuber einen utopischen Entwurf aus dem Jahr 1977, der gut funktionierende, von Grünflächen umgebene urbane Inseln vorsah, und untersucht damit den in Berlin zunehmenden Trend zur Homogenisierung, der ganz andere (und dystopische) Inseln hervorbringt. Diese kritische Untersuchung ist dabei auf erfrischende Weise auch auf sich selbst gerichtet: Brandlhuber räumt ein, dass sein Gebäude und dessen Nutzer selber Teil des „kulturindustriellen Archipels“ sind, woran auch deren Selbstkritik nicht viel ändert. Im Archipel eröffnet eine zeitgemäße Debatte über urbane Heterogenität und die Entwicklung Berlins, markant zusammengefasst in dem von Brandlhuber gefluteten Kellergeschoss des Gebäudes. Das Wasser, das den Zugang verwehrt und zugleich an die Bauruine erinnert, die der Architekt übernommen hat, ist auch ein eindrucksvoller Kommentar zu den Inseln, die derzeit in der Stadt entstehen.


Filmtipps von der Filmgalerie 451  35

BIG, BIGGER, CANDY & CLEESE Filmtipps präsentiert von der Filmgalerie 451 Text Silvio Neubauer

Bühne, Radio und Fernsehen – Basis und Inspirationsquelle für viele spätere Filmstars, gerade auch vom komischen Fach. Dem zuzurechnen sind ganz entschieden die beiden Großen, an die wir hier erinnern wollen, ein Kanadier und ein Engländer, die bei allen Unterschieden

Filmgalerie 451 Torstraße 231 10115 Berlin www.filmgalerie-berlin.de

noch etwas verbindet: ein Ensemble, das sie prägte, und in dem sie sich entwickeln konnten. Als John Candy 1994, während der Dreharbeiten zu seinem letzten Film, völlig überraschend mit gerade mal 43 Jahren an Herzversagen starb, konnte die Bestürzung der Film- und Fan-Gemeinde nicht größer sein: Kaum ein anderer Schauspieler genoss solche Sympathien wie der 1,88 Meter große, korpulente Kanadier, der seine Reputation als Schauspieler aber nicht (allein) seiner unverwechselbaren Physiognomie verdankte, sondern insbesondere seinem makellosen Timing, dass er sich in den siebziger Jahren als Mitglied der StandUp-Comedy-Truppe Second City auf der Bühne und später im Fernsehen aneignete. Nach kleineren bis größeren Rollen im Spielberg-Kultfilm (und damaligen Flopp) 1941, den Hits Stripes und Splash, erreichte er Ende der achtziger Jahre den Höhepunkt seiner Popularität: In Mel Brooks SciFi-Parodie Spaceballs verkörpert er den Möter – halb Mensch halb Köter, in Uncle Buck ist er Aug-inAug mit dem späteren „Kevin“ Macaulay Culkin und schließlich ganz im Mittelpunkt in Wer ist Harry Crumb als tollpatschiger Privatdetektiv, der in einem Entführungsfall Chaos pur produziert. Doch wirklich unsterblich wurde er 1987 mit der unvergleichlichen Buddy-Roadmovie-Komödie Ticket für Zwei (Planes, Trains and Automobiles), die ihn als Del Griffith, Vertreter für Duschringe, mit Steve Martin zusammenbringt, der verzweifelt versucht, trotz aller Widrigkeiten rechtzeitig zu Thanks Giving nach Hause zu gelangen. Wie es ihm gelingt im Laufe dieser haarsträubenden Überland-Odyssee mit Witz und Herz die Sympathie des gestressten Werbemanagers zu gewinnen, bleibt ewig unvergessen

– ganz groß. Über seine Größe (bereits 1,80 Meter) konnte der gehänselte zwölfjährige John Cleese nicht lachen – bis er den Humor als Waffe und Verbündeten entdeckte. Und dabei sollte es bleiben: Während seines Jura-Studiums bereiste er mit einem Comedy-Team Neuseeland und die USA, woraus sich Ende der sechziger Jahre die legendären Monty Pythons bildeten. Als Darsteller und Autor war er an den TV-Sketchen (Flying Circus) und den Spielfilmen beteiligt, die alle Kult-Status erlangten (unter anderem Das Leben des Brian, Der Sinn des Lebens). Aber auch außerhalb der Monty Pythons und nach deren Auflösung blieb er immer auch mit eigenen Werken überaus produktiv (Fawlty Towers), und zwei Kinofilme ragen dabei besonders heraus: In Ein Fisch namens Wanda (1988), einer Art britisch-amerikanischem Duell, wird er von einer US-Gangsterbraut umworben, deren tumber Freund immer wieder dazwischen funkt – unbedingt im englischen Original zu genießen (You’re a true vulgarian, aren’t you?). Das Gleiche gilt auch für den zwei Jahre zuvor entstandenen Clockwise (In letzter Sekunde), einem weniger bekannten aber um so witzigeren Roadtrip, bei dem Cleese als penibler Schuldirektor, vom Pech verfolgt und von einem Fettnapf in den nächsten tretend, versucht mit Hilfe einer Schülerin und einer Jugendfreundin am Rande des Nervenzusammenbruchs rechtzeitig zu einer wichtigen Konferenz zu kommen. „Right!“ Man fragt sich unweigerlich, was wohl der Kanadier dazu gesagt hätte...


36   Angehört und nachgehorcht

Sympathie für den Teufel Wie die Popkultur das Böse wiederentdeckt Text Sophia Hoffmann  Fotos Johnny Abbate, Joseph Wolfgang Ohlert  Translation P. 43

Seit jeher sind die Menschen vom Bösen fasziniert. Angst und Anziehung liegen sehr nahe beieinander. Egal, ob es sich um unbekannte Kräfte oder den personifizierten Beelzebub handelt, man möchte bis ins kleinste Detail Bescheid wissen. Was trägt der Teufel (Prada?) und was genau macht er mit diesen Jungfrauen eigentlich?


Angehört und nachgehorcht  37

Zusätzlich zum Interesse am Abgründigen möchten viele Durchschnittsbürger gerne selbst ein bisschen Höllenluft schnuppern, sich mit der Aura des Übersinnlichen umgeben, um die eigene Existenz etwas aufregender und verruchter erscheinen zu lassen. Diese Neugierde ist es, die mittlere Angestellte dazu treibt am Wochenende ihr Samtmieder überzustreifen und PentagrammAmulette im Takt waviger Klänge auf ihren großzügigen Dekolletés auf und ab hüpfen zu lassen. Doch längst ist Okkultes nicht mehr nur in Dorfdiskos und angestaubten subkulturellen Nischen zu finden. In den letzten Jahren wurde die gesamte Musik-, Mode- und Kunstwelt stark dämonisiert. 2009 veröffentlichte der amerikanische Musiker Travis Egedy unter dem Projektnamen Pictureplane das Album Dark Rift, das von Kritikern wie auch der renommierten Internet-Publikationsseite Pitchfork sehr positiv aufgenommen wurde. Egedy verwendete den selbst erdachten Genre-Namen „Witch House” selbstironisch, aber bald verbreitete er sich im Netz wie ein Lauffeuer und bezeichnete den ganzen Schwung an neuen Bands, die düster changierend zwischen House, Dubstep, Drone, Shoegaze, Hip Hop und Synthpop aus dem Boden schossen. Spätestens nachdem The Guardian und The New York Times die Bezeichnung verwendet hatten, entbrannten in einschlägigen Internet-Foren heiße Diskussionen über Zugehörigkeit und Realness, häufig der Fall, sobald ein Underground-Phänomen anfängt den Mainstream zu erobern. Nicht nur die Musik, auch das zugehörige Artwork und die Outfits der Interpreten beschritten den Pfad der apokalyptischen Reiter. Betrachtet man alleine die Namen der bekanntesten Vertreter, wird sofort klar, dass Image hier alles ist und sowohl die Assoziationsstärke der Bandnamen als auch deren Optik durch Verwendung von Schriftzeichen-Symbolen bis ins Letzte ausgereizt ist: Salem, Creep, oOoOO, White Ring, Modern Witch, Lovedied, GR†LLGR†LL, B▲L▲M▲C▲B, †‡† (= rrritualzzz), BL▲CK † CEILING, DE△D VIRGIN, SLEEP ∞ OVER. Die Musikvideos sind essentiell, um das gruselige Gesamtpaket zu vervollständigen. Beliebte Versatzstücke sind Schnipsel aus alten, dubios erscheinenden amerikanischen Forschungs-/Weltraum-Videos (oOoOO – Burnout Eyess, SALEM – Legend), Filmausschnitte, die durch dunkle Filter, Verlangsamung oder Spiegelung unheimlich wirken (Modern Witch – Nothing is Wrong) oder selbst inszenierte Szenen, die mit den selben Effekten spielen (SLEEP ∞ OVER – Casual Diamond). Wobei nach dem bewährten Hitchcock-Rezept vorgegangen wird: „Die Andeutung des Bösen erzeugt mehr Schauder als der schlichte Splatter-Moment.“ Im Video zu SLEEP ∞ OVER’s Casual Diamond tritt das Böse in Form von geheimnisvollen Gestalten mit dunklen Kutten auf, womit wir schon beim modischen Aspekt wären: Kutten sind essentiell, weil man unter ihnen herrlich sein Gesicht verstecken kann. Hoch im Kurs stehen auch Print-T-Shirts und Accessoires, opulent mit klassischen Symbolen des Okkultismus und Satanismus bestückt: umgekehrte Kreuze, Pentagramme, Dreiecke, Augen, Kris-

talle. Wer keine Kutte zur Hand hat, trägt langes, strähniges Haar über dem Antlitz, um mysteriöser zu wirken. Das Gesamtoutfit sollte clochardartig herumschlackern. Beliebtes Schuhwerk sind die Platforms, klobige Stiefel mit durchgehender, mindestens fünf Zentimeter hoher Plateau-Sohle, stark von der 1990er Jahre Rave-Szene und den futuristischen Looks der Cyber Punks inspiriert. Das, was die unzähligen Underground-Designer, aber auch bekannte Shooting Stars wie der Brite Gareth Pugh in ihren Kollektionen anbieten, ist also eine krude Mischung aus 1980er Gothic, Rave Couture und Mittelalter-Romantik.

„I wanna be evil, little evil me, just as mean and evil as I can be“ (Eartha Kitt) Zurück zur Ausgangsfrage: Was bringt brave Design-Studenten dazu sich umgedrehte Kreuze ins Ohrläppchen zu hängen und sich im Kunstnebel zu wabernden Gitarren-Loops zu wiegen? Es muss die Mischung sein aus spätpubertärer Rebellionssehnsucht, dem Bedürfnis nach Verruchtheit gepaart mit einem Hauch Todessehnsucht. Eine Pose, die – im Gegensatz zum waschechten Goth for life oder der ambitionierten Hobby-Hexe – oberflächlich zur Schau gestellt wird. Die Bezugsquellen der Outfits sind wichtiger als die Kenntnis der Lehren, die der Symbolik zu Grunde liegen. Kaum ein schwarzgewandeter Hipster wird sich zur Geisterstunde zum Gläserrücken verabreden. Oder seiner Lieblingsband ein Tieropfer darbringen. Außer man möchte das Verspeisen und vorausgegangene Absäbeln des Dönerfleisches am Imbiss vor der Disko großzügig als solches interpretieren. Die Gesetzmäßigkeit lehrt uns, dass ein Retrotrend seinen Höhepunkt 20 Jahre nach dem ersten Auftreten erreicht, weshalb die frühen 1990er Jahre momentan das Hauptthema in der Modewelt bilden. Die 1980er Jahre werden diesbezüglich schon seit zehn Jahren kontinuierlich gemolken, bis man ihrer gänzlich überdrüssig ist und sie nur noch in Zitaten und Klassikern vereinzelt auftauchen (siehe 1970er Jahre). Ausserdem folgt einem Trend meist ein vollkommen Gegensätzlicher. Blickt man zurück auf die letzten Jahre mit bunte Euphorie verstäubenden Bands wie MGMT, Phoenix oder Animal Collective, leuchtet der Kontrast ein. Der erste Leitspruch der Church Of Satan (prominente Mitglieder wie Sammy Davis Jr., Marilyn Manson, Marc Almond) lautet übrigens: Satan bedeutet Sinnesfreude statt Abstinenz. Klingt doch ganz gut. Vielleicht haben doch einige Witch-House-Fans dem Teufel ihre Seele versprochen? Für ein neues iPhone? Oder eine nicht enden wollende Partynacht? Oder Gratis-Döner auf Lebenszeit? Wir wissen es nicht. Vielleicht auch besser so.



Berliner Gesichter  39

BERLINER GESICHTER Text Bettina Schuler  Foto Tina Linster  Translation P. 44

Franz Rudolph Rüdiger Schulz, kurz Roger, 60 Jahre Betreiber des schwulen Sexclubs Triebwerk

Ich stamme von der Ostsee, wohne aber schon seit 1979 in Berlin. Zunächst im Ostteil der Stadt, im Prenzlauer Berg, und seit 1984 im Westteil. Ich bin über die Mauer geflüchtet. Allerdings nicht in Berlin, sondern im Harz, an irgendeiner Grenzstelle im Wald zwischen den beiden Orten Elend und Sorge. Warum ich aus dem Osten geflüchtet bin? Weil es 1982 nach meinem Parteiaustritt beruflich keine Zukunft mehr in der DDR für mich gab. Und weil ich als studierter Psychologe und Pädagoge nicht den Rest meines Lebens an Kasse eins von Kaufhaus Fix Artikel eintippen wollte. Ob ich Angst hatte? Ja, als ich mit meinem Freund vor der Grenze in einer Schonung lag und ich wusste, dass es gleich losgeht. Aber als wir über den Schutzstreifenzaun waren und all die Lichter und Sirenen angingen, wurde ich komplett ruhig. Als ich unten im Tal die hell erleuchtete Stadt Braunlage gesehen hatte, wusste ich, dass wir es geschafft haben. Denn im Osten gab es nachts keine hell erleuchteten Städte. Nachdem wir im Auffanglager in Gießen waren, bin ich nach Berlin zurückgekehrt. Dieses Mal aber natürlich in den Westteil, in die Nähe der Bernauer Straße. Vielleicht auch, um der alten Heimat nicht ganz so fern zu sein. Ich bin dann recht schnell nach Kreuzberg gezogen. Zunächst habe ich noch in meinem alten Beruf als Leiter einer Eltern-Initiativ-Tagesstätte gearbeitet. Doch irgendwann kam der Punkt, an dem ich noch mal etwas Neues anfangen wollte. Und wie es der Zufall so will, wollte der Besitzer dieser Bar, die damals auch meine Stammkneipe war, gerade aufhören. Also habe ich kurz entschlossen den Laden übernommen. Warum wir hier einen Darkroom haben? Weil man heutzutage mit einer ganz normalen Kneipe kein Geld

mehr verdient. Die Leute gehen nur noch dahin, wo sie etwas erleben können. Und seitdem es das Internet gibt, wird es umso schwieriger Gäste anzulocken. Viele bleiben lieber vor dem Bildschirm sitzen, als dass sich dazu aufzuraffen in eine Kneipe zu gehen. Ich persönlich kann das nicht verstehen, mir würde der persönliche Kontakt und das Kokettieren fehlen. Aber das Internet ist eben so wahnsinnig bequem. Die jüngere Generation findet nur noch selten den Weg hierher. Mein Publikum setzt sich vor allem aus Menschen zusammen, die zwischen dreißig und fünfzig Jahre alt sind. Bei uns kann, muss aber nichts passieren. Man kann auch einfach hier hinkommen und ein Bier trinken. Oder eben den Darkroom im Keller benutzen, wo wir kleinere Kabinen mit Fernsehern, Liegen, einen Gynäkologenstuhl und das obligatorische Andreaskreuz plus Sling haben. Kondome gibt es bei uns gratis dazu. Wenn ich einen meiner Gäste auf der Straße treffe, dann grüße ich ihn nur, wenn er mich anspricht. Denn Diskretion ist in meinem Beruf extrem wichtig. Insbesondere bei meinen türkischen Gästen weiß die Familie häufig nichts von ihrer Sexualität. Darauf nehme ich natürlich Rücksicht. Homophobe Übergriffe hatten wir hier zum Glück noch nie. Aber wir haben ja auch eine Einlassklingel und einen Türsteher. Immerhin sitzen wir in Kreuzberg. Worüber ich mich besonders freue? Wenn die Gäste einen guten Abend hatten und gerne wiederkommen.

Triebwerk Urbanstraße 64 10967 Berlin www.triebwerkberlin.com



English Translations  41

Events (p. 8)

thousand personally selected by Dennis Hopper for

forays in the pop realm. All in all, you could call his

an exhibition in Texas, 1970. The photographs haven’t

style “Free” or “Freak Folk” because it's bold, colorful

been seen since then. Now for the first time in Europe

freedom, which the versatile Patrick Denis Apps has

and in Berlin’s Martin Gropius Bau: Dennis Hopper –

audio-visually featured for ten years now. He has cele-

Festival

The Lost Album. Vintage photographs from the 1960s.

brated excess, pure self-promotion, and after a decade,

Festival Pass: € 80,

Martin Gropius Bau

he admits he still has a dream. Sundark & River Light is

concessions: € 60,

Niederkirchner Strasse 7

the title of his current, rich in contrast, acoustic album.

Single tickets are also available

www.berlinerfestspiele.de

It is a journey through a decade of him in quiet deme-

faithful!

anor – perhaps the greatest contrast to the stage cha-

5 – 7 and 12 – 14 October WE SAW MONSTERS

racter Patrick Wolf. As a gift to himself and his fellow travelers, he gives his best intimacy on this acoustic

A thirteen-year-old girl uploads a webcam video onto YouTube in which she sings along to Carly Rae Jepsen’s

Performance

world tour. And when this London wonder boy reve-

Call Me Maybe: music and its different versions is how

Tickets: € 25, concessions € 10

rently sings his greatest passion, what’s a more likely

it starts with the simplest example. It’s clear that mu-

5, 6, 7 October 2012, 8 pm

location for this Berlin stopover than the Kreuzberg Passionskirche? Raw nostalgia has come of age.

sic is at first only in the form of notes. What individual singers or musicians do with it in the end can lead to

When you think monsters, what comes to mind are

Passionskirche Kreuzberg

amazing differences – a phenomenon that affects all

vampires, demons, werewolves and zombies. All dark

Marheineke Platz 1- 2

musical genres. The Faithful Festival looks at exact-

creatures, which create havoc in our minds, books

www.patrickwolf.com

ly this topic during two weekends in October. Their

and movies. But the evil is often much closer than

goal is to question the concept of interpretation, and

you think, and far from mere fiction. We’ve created

restore it as a separate category when talking about

all those monsters using our imagination. Ultimately

music. They also focus on comparative performances

suppressed fears and desires come from the human

Festival

of different ensembles and soloists who perform the

consciousness and the real world. That’s where ee-

Tickets: € 7,50

same work. In order to illustrate all possible facets of

riness really lurks. The performance We Saw Mons-

24 to 28 October 2012

musical interpretation, objective faithfulness will be

ters combines horror, beauty, orgy and death dance.

compared with experimental daring.

The Icelandic dancer Erna Ómarsdóttir has staged a

The topic of sexuality has always fascinated us. Whe-

Venues: Bartholomäus Church in Friedrichshain, Berg-

creepy blend of rock concert, horror, Grand Guignol,

ther in painting, books or film – pornography has

hain, General Public, Chamber Music Hall of the Phil-

dance, theater and nature mysticism to the pulsating

found access to all media, but especially in the movies.

harmonic, King Karaoke Bar, St. Matthias Church in

heavy metal music of Valdimar Jóhannsson. Included

The depiction of sexual acts was almost made for mo-

Schöneberg, Villa Elisabeth, Wabe

are blonde sisters in knee socks, young men in loin-

vie right from the beginning. Already in the 1910’s the

www.faithful-festival.de

cloths, Venetian masks, prosthetic body parts, incest,

first porn theaters appeared. In recent years, the num-

violence, blood and artificial fog. The “choreography

ber of films that show graphic sex scenes has greatly

between monsters, death and devils,” is part of Foreign

increased. The boundary between porn, experimental

Affairs, the new international festival of theater, dance,

film and other film genres is disappearing. For the se-

Exhibition

performance, visual arts, film and music at the Berliner

venth time now, the Berlin Porn Film Festival will be

Tickets: € 7, concessions € 4

Festspiele in cooperation with the Sophiensælen. Chills

exploring the theme of sexuality in all its facets, and

20 September to 17 December

guaranteed! MUMA, Heizkraftwerk Mitte

will show us new directions within the genre. A total

Opening hours: Mo, We – Sun,

Sophiensaale

of 100 feature, short, documentary and experimental

10 am to 7 pm

Sophienstraße 18

films will be shown. They are expecting 50 filmma-

10178 Berlin

kers from 20 countries including American Wakefield

The Lost Album

Poole with his own retrospective on the film history

Andy Warhol in sunglasses next to smoking David Hockney, the view from a car somewhere in Los An-

PORN FILM FESTIVAL #7

Patrick Wolf

of pornography. Gala Venting from Australia, Erika Lust from Spain and Nenna from the US will also be on

geles, Niki de Saint Phalle kneeling in front one of her works, Paul Newman, without a shirt on sitting in a me-

Folk

hand. French director Jean-Marc Barr’s Chroniques Se-

adow: the glossy memories of days long gone appear

Tickets: from € 29.50

xuelles d’une famille d’aujourd’hui opens the festival.

in these spontaneous, intimate, expressive snapshots.

18 October, Doors open:

Movimento Kino

Wanting to create something lasting, the famous actor

7 pm, Show begins: 8 pm

Kottbusser Damm 22 www.pornfilmfestivalberlin.de

and director Dennis Hopper got behind the camera in GRIZZLY BEAR

the 1960s to illustrate his point of view. With the ubi-

When Patrick Wolf takes the stage, he can do anything.

quitous camera, he ingeniously captured a memento

He dresses in dazzling, full-body costumes, wraps “fo-

of an exciting era, its players and their worlds. Only

xes” around his shoulders, sometimes his hair is long,

Indie Rock Psychedelic Folk

after his death were five boxes found. They contained

other times short, sometimes red, sometimes blonde.

Tickets: € 20

a collection of over four hundred vintage photographs,

Recently he’s ventured from “Weird Folk Gloom” to

31 October 2012, Doors open

all made from 1961 to 1967 and a repertoire of several

“Electronic Thunderstorm” in his outrageously happy

8 pm, Show begins 9 pm


42   English Translations

The videos of the New York band Grizzly Bear are distur-

the strange feeling that they were being watched at

believes he was touched by a ghost. The Beelitzer spas

bing and bizarre: Ready, Able is about a creature made

work. One of the artists even witnessed the image of an

are so popular with the self-styled researchers for the

out of colorful clay, and Two Weeks only features the

old man in a vest appear from out of the wall of his stu-

supernatural that the chance of meeting colleagues is

strange facial expressions of the four band members.

dio. The man looked at him obliquely, and then casually

at least as great as that of seeing a ghost.

This fits with their slightly psychedelic music, which

walked away, disappearing through the wall opposite.

The Berlin Ghostcatchers do commission work, but al-

combines traditional and electronic instruments with

When Kris and his girlfriend Julia, Basti and Matze get

ways free of charge. They have been asked to help eight

melodious vocals and intricate song structures. After

wind of such stories, they wait until night comes, and

times already. Their clients include a family who heard

Grizzly Bear released the “album of the decade” (or at

then get to work. They first pack their equipment, climb

a deep voice that sounded like a grunt in their house,

least that’s what the guys from the Fleet Foxes thought)

into Matze’s black Chevrolet SUV with the turquoise

and by another family, where the mother saw shadows

in 2009, singer and songwriter Ed Droste, drummer

BVP logo on the driver's door and drive to the scene to

while the four-year-old son talked with a non-existent

Christopher Bear, bassist Chris Taylor and singer and

perform a PNI – a paranormal investigation. They call

grandma; or the voice teacher who was disturbed by

guitarist Daniel Rossen went into hibernation. The boys

themselves BVP, but they prefer Ghostcatchers Berlin. It

strange noises. To help the victims, the team tries to

have finally come out of their cave with their fourth stu-

sounds more exciting, but it is misleading because they

figure out the reason for the haunting. They always

dio album, Shields. Grizzly Bear is not as dangerous and

don’t really capture ghosts in the style of Bill Murray,

look for natural causes first, says Kris. And then if eve-

hairy as their namesake Ursus arctos horribilis. “We’re

Dan Akroyd and Co. Instead, they concentrate on tra-

rything points to ghost, they make contact with it. In

just four simple, clean cut guys in T-shirt and jeans,”

cking ghosts down and when if possible, communica-

loud voices, they make it clear to the ghost that it is in a

said Ed Droste to the magazine Spex. Yet, it’s still worth

ting with them.

family home and to please refrain from haunting it as

checking out the quartet and their new songs on 31 Oc-

I want to know how I can recognize if I’ve got a ghost on

this frightens the family. As a rule, the Catchers advise

tober at Astra Kulturhaus. The Irish band Villagers is the

my hands. Kris opens his suitcase and places all sorts of

against moving out since you shouldn't let a ghost inti-

opening act.

instruments next to each other on the table in front of

midate you. Kris has strong ideas about this. “We don’t

Astra Kulturhaus Revaler Strasse 99

me: a K2 meter that measures electromagnetic fields,

want to scare people even more; they’re already anxi-

www.astra-berlin.de

a field recorder for recording “electronic voice pheno-

ous. Our task really is to help them.”

mena,” (These are ghostly voices at low frequencies,

My colleague preferred to have a private individual

Ghosts and

which the human ear cannot perceive at first, but when

smoke out her apartment with incense. Whether this

other Berliners

you play the recording, they can be heard.), a tempera-

repels the ghosts, the next few nights will tell…

(p. 18)

ture-measuring device for finding “cold spots”, a laser

This article first appeared in the fourth edition of the

power flashlight, a thermal imaging camera and a full-

magazine zweikommasieben (www.zweikommasieben.

Every sixth German belie-

spectrum camera, and finally a “ghost box” – actually

ch).

ves in ghosts. Far fewer peo-

a simple transistor radio, which, when you rapidly flip

ple are lucky – or unlucky

through all the frequencies, white noise is created, and

The King

– enough to have encoun-

that is often used by ghosts as a communication medi-

of Death (p. 26)

tered a ghost in person. According to her own account,

um. The more these devices exhibit abnormalities, the

someone in our editorial staff became a member of

higher the probability you’re dealing with a paranor-

Farin Urlaub’s big brother.

these two groups. A few months ago she woke up in the

mal phenomenon, i.e., a ghost.

That’s the first thing that

middle of the night and it was just there: a female ghost

And what exactly is a ghost? “Ghosts are made up of

comes to mind when I see

with blond curly hair, wearing a blouse and a knee-

the energy that escapes from a human after it dies, and

Jörg Buttgereit. And not

length denim skirt. Petrified that this could happen to

we try to measure this energy. In order to manifest, a

just because he’s tall and

her again, she now sleeps in the living room with the

ghost needs additional energy from the surroundings.

blond, but because he has

television on. What can we do to help our colleague so

This is also the reason for the existence of 'cold spots',”

that she can soon sleep in her own bed? Perhaps a con-

Kris adds.

singer from Die Ärzte. Just by looking at him though you

versation with an expert on paranormal phenomena...

Sometimes he provokes the ghosts a little so that they

wouldn’t know that the guy in his late forties with the

I met Kris in the café of the artist house Bethanien on

identify themselves. “Here in the Bethanien, we sud-

friendly laugh lines is one of Germany's most famous

Mariannen Platz in Kreuzberg. He and his friends have

denly noticed the fragrance of perfume during our

horror film directors. But as we’ll learn in the interview,

here before because to investigate paranormal phe-

measurements in a studio. Then I wondered aloud if a

Buttgereit’s films cannot be assigned to the classic hor-

nomena. The building was built in 1848 as a hospital.

woman was present, but there was no answer. Finally,

ror genre, but are somewhere between Splatter, Horror

It was the pet project of the Prussian King, Friedrich

I provoked a bit and said, come on, answer, or are you

and neorealist Romance. Just like the director himself,

Wilhelm IV. Theodor Fontane was a pharmacist here

scared? When we listened to the EVP recorder later, I

who doesn’t limit himself to one medium, but also sta-

during the revolution. Each stone of the building brea-

could clearly hear a female voice. She said: Shut up!”

ges plays and produces radio plays. His socialization as

thes history. If Kreuzberg is inhabited by ghosts, then

One of the places where the Ghostcatchers can measure

a punk in the old West Berlin also plays a big role in his

this is the place.

a lot of activity is the health resort in Beelitz. Here you

contact with bands such as Mutter, Die Tödliche Doris

Nowadays, 25 artists work here in studios on the first

get everything: high electromagnetic fields, doors that

and yes, even Die Ärtze.

three floors, and some of them recently had an unusual

open and close, cries on the field recorder, and pho-

We talked with the Berlin underground director about

experience. One night they heard footsteps and voices

tos of shadowy, female figures that are reminiscent of

necrophilia, sex with the dead, becomes a film’s focus

in a room that was actually empty, and they also had

nurses at the beginning of the 20th century. Basti even

and the legacy of Ed Gein.

a sly smile similar to the


English Translations  43

Mitteschön: Jörg, why are people preoccupied with

What fascinates you about this anti-hero; about whom

the real German Sherlock Holmes and the “Engelbecken

death? Because they’re afraid of it?

you wrote a radio play in 2002, and have now directed

Butcher.”

Jörg: Exactly. And because one hopes to get of rid the

the theater play Cannibals and Love?

Carl Grossmann, “The Engelbecken Butcher ”

preoccupation by dealing with the subject.

The Gein case shocked America in the late 50s, and de-

Carl Grossmann, born in 1863, lived in Lange Strasse 88.

And, did it work?

cisively shaped popular Western culture. Numerous

He operated a sausage stand at the Silesian Train Stati-

Buttgereit: Let’s put it this way: Thanks to my movies,

classic films such as Psycho, the early splatter film The

on, today’s Ost Bahnhof, where he probably got to know

I got to know death a little better. But there was also

Texas Chainsaw Massacre, and the winner of five Acade-

most of his victims, prostitutes and unaccompanied

another reason why I made films like Nekromantik: the

my Awards, the mainstream horror film The Silence of

women, and then invited them to his home. The neigh-

growing censorship in the Eighties. You could hardly

the Lambs are based on Gein’s case. Ed is a classic.

borhood around the Silesian Station was at that time

even watch a horror movie in the cinemas that wasn’t

Meanwhile, you direct classic documentaries like the im-

one of the poorest and roughest neighborhoods in the

mutilated. We hoped the radicalism of Nekromantik

pressive Arte horror film documentary Monster Land, in

city. The body parts of 23 women were discovered the-

would do something against this censorship. The fact

which we learn, among other things, the importance of

re in the years 1918-21. They were mainly bones, which

that we made and distributed the film with our own

monsters in Japan.

were found in the Engelbecken channel and in the Spree

money freed us from all supervisory boards, and that’s

In addition to the documentary Monster Land for ARTE,

River.

why we were able to show the audience something that

I wrote the book Japan – Monster Island, which is about

Grossman was very small and very ugly. He always car-

would have otherwise been completely impossible at

Japanese monster movies. I tried to bring the monster

ried a “Fat Marie,” a thick bundle Reich marks. Despite

that time.

genre of popular culture to a more serious level. Mons-

repugnant body odor, he was very popular because he

Nekromantik (1987) and Nekromantik 2 (1991) are about

ters in these films are political barometers. There are

would often spring for drinks. He was no stranger to the

necrophiliacs who live out their fetish - which is also

many historically typical motifs that appear in these

police. He was constantly changing employees who all

clearly shown. It’s also a fetish, which many surely find

movies again and again. Whether it’s the fear of the

disappeared after a short time. Allegedly, because they

extremely offensive. Nevertheless, I find that especially

atomic bomb, like in Godzilla, or later, the Cold War, or

had stolen from him and disappeared. Initially, the po-

the tenderness between the necrophiliac couples gives

monsters suddenly coming from outer space, fear of

lice looked for the women. Only one of them was found,

your films a certain romance, just as the title suggests ...

the unknown has always been expressed. Monsters are

the so-called “Black Johanna,” who, considering her sta-

Buttgereit: There are some viewers who seem to share

always metaphors for problems we face.

tion in life, had a lot of money on her. She stated that it

this opinion because I’m told again and again that

Do you have a personal boundary in filmmaking?

was payment for Grossmann’s unusual sexual desires,

couples went out on their first date to see Nekromantik,

Sure, the budget.

but she wasn’t believed. She was imprisoned for sever-

which could go completely wrong, as was the case with

The play Cannibals and Love will be performed at the

al years. Afterwards, the police no longer looked for the

a friend of mine.

Schauspielhaus Dortmund from 21 October.

women.

What happened?

More information about Jörg Buttgereit’s films, radio

Grossmann’s neighbors, however, had long heard stran-

The film was a little too much for her so she ran out of

dramas, books and plays can be found on his website

ge noises coming from the apartment, but never dar-

the theater, and the date. Happily, they’re did get back

www.joergbuttgereit.com.

ed say anything until 21 August 1921, when a neighbor showed up at the police station. He informed the police

together, but she still can’t stand the film.

that he had run into Grossmann and his new house-

Nekromantik 2 was seized by the DA and banned... I was accused of glorifying violence with Nekromantik 2.

Serial killers

keeper at the front door early that evening, both into-

They used Paragraph 131, which was actually conceived

and Super Police

xicated. Around 11 pm, his wife had woken him and sent

for the prevention of neo-Nazi propaganda, and applied

Commissioners

him to the police because she could no longer bear the

it to horror movies in the 1980s. We had to prove that

- Two Stars in

noise coming from next door.

the film did not glorify violence by claiming that the

the criminal

When the police got to Grossmann’s apartment, he tried

splatter scenes were so disgusting that they couldn’t

history of Berlin

to drink something. Having the presence of mind, the

possibly be a glorification of violence. We got away with

(p. 30)

police officer knocked it out of his hand; just as well, it was cyanide. The woman on the bed was horribly

it. The court-appointed expert even stated that Nekromantik 2 was a movie about the wall coming down and

Jack the Ripper, whose identity has never really been

mauled, and succumbed to her injuries shortly thereaf-

the demise of East Germany.

revealed, is probably one of the most legendary serial

ter. A search of the apartment revealed evidence that

But still, why necrophilia?

killers in history. Al Capone was one of the most no-

the police were probably dealing with the “Engelbecken

Sex and death have always been a theme in horror mo-

torious gang leaders in Chicago in 1920’s. Countless

Butcher.” They found the clothes of different women,

vies. Just look at Alfred Hitchcock’s “Psycho”. The only

myths and legends revolve around both criminals, and

different sizes and styles, a blood-soaked burlap bag in

thing that upset my audience in my films was how obvi-

their stories have been reproduced in countless books

the oven and human bones under the bed. They found

ously I show this relationship.

and films. What few people know is that there was once

human fat and muscle tissue as well as blood and skin

The film is based on the American grave robber Edward

a brutal serial killer on the loose in Berlin, in the area

remains in the kitchen.

T. Gein in the 50’s who exhumed corpses and murdered

around what is today’s Ost Bahnhof train station. It was

Grossmann was convicted of three murders. The alle-

at least two women himself after the death of his domi-

called the “Chicago of Berlin” because of its high crime

ged number of his victims, however, is estimated at 20

neering mother. In his house, they later found not only

rate. On the other hand, Berlin has produced one of the

to 100. Before the end of the trial, he hanged himself in

a heart in a frying pan, but also a collection of noses,

most successful and most police commissioners in Ger-

his cell. There is speculation Grossman sold his victims

masks made out of facial skin and bowls made of skulls.

many. The curtain of Berlin criminal history rises on

after processing them into sausages and canned meat.


44   English Translations

He also is said to have eaten parts of his victims.

you?” he said, wagging his finger. “But no, no. I’m real.”

Ernst Gennat, “the German Sherlock Holmes”

Lena was shaking all over. “What do you want from me,”

In 1900, the Berlin police was nicknamed “Noble Club”

she rasped, squeezing Tuckers even tighter.

because they recruited some of their commissioners

The clown twisted his scarlet mouth into a grimace.

from the impoverished nobility. If the nobleman had to

“For you to take my place here. Do you think I want to

work, he wanted a job with social status. A police officer

be a clown in a picture all my life?” Lena inched back,

was a high Prussian official with a sufficient, monthly

but the clown had already stretched his long white

salary.

hand to her. It coiled out of the picture like an octopus.

Ernst Gennat the most important German homicide

Lena squirmed in her bed, but the hand of the clown

detective was not one of these noblemen, but the son

was everywhere. “My parents don’t want some stupid

of the prison director from Plötzensee. He joined the

little clown as a child,” Lena shouted at the clown and

police in 1905 and quickly focused on the fight against

his oversized hand. A throaty laugh was the answer,

crime. At that time criminal investigation was far less

and Lena saw the head slowly peel out of the picture. “Parents,” the clown cried scornfully, “They’re only con-

sophisticated than the crimes. There was a saying: “If a candle burned on the grave of every suspected poiso-

We MitteMums

cerned with themselves!”

ning victim, Berlin would be a sea of lights.” Poisonings

This time we’re here with a sca-

And in a soft, gentle voice, he whispered in Lena's ear,

at that time were almost impossible to prove. Gen-

ry story to read aloud! (p. 33)

“I can be such a good, little boy. Didn’t your mama just

nat worked on solving these cases with scientists he

“Good night,” said Mama and gave Lena a big kiss on

yesterday say that she’d exchange you for a good kid, if

brought aboard to fight crime. He was the first person

both cheeks. “Can you leave the light on?” Lena asked.

you didn’t clean up?” Lena fearfully thought back to the

to have an offender charged based on a blood analysis.

Her mother nodded with a smile, and blew her five-

argument. "Mom only said that to annoy me,” said Lena,

Crime at that time was a common occurrence. The po-

year-old daughter one last kiss before she closed the

gathering all her courage. A boyish grin was the only

lice was poorly organized and not able to find evidence.

bedroom door. Sighing, Lena pulled the blanket up to

reply. “You think so?” And out of nowhere the clown’s

If a senior official came to the crime scene, it was tho-

her chin. Why did children always have to go to bed so

Lena grabbed by the collar and pulled her towards the

roughly cleared up beforehand, thereby destroying all

early? As soon as she was big she was going to stay up

picture. “No,” cried Lena. “Let go, let go of me at once, I

evidence. Gennat developed a working plan, which be-

late and shave off all her hair so that she wouldn’t ever

don’t want to be in the picture, leave me alone, Mom,

came a guide to what happened at the crime scene. Un-

have to comb it again.

Dad...” The picture came closer and closer, and Lena be-

til 1926, the homicide departments worked side by side

The small, blonde Lena flipped on her side and pressed

gan to whimper loudly, but the clown only laughed even

without consulting each other. It was Ernst Gennat who

her old, wornout, brown bear close to her. With Tuckers

more diabolically. In one second it was as light as day

first managed to bring about drastic improvements

in her arms, nothing could happen. He was stronger

and Lena found herself in her mother’s arms. She gently

with some of his brilliant ideas. He organized a “Central

than all the monsters in the world. Even the bad cop

stroked Lena over her head. “My darling, all right. You’ve

Homicide,” which began its work under his direction in

from the Pippi Longstocking movies wouldn’t have

been dreaming.”

1926. He recruited the most competent officials, which

a chance against him. Suddenly something flashed

also included women for the first time. Moreover, he

passed Lena’s face. Startled, she pulled the covers over

created the famous “murder car”, which was equipped

her head. “Get ‘em, Tuckers,” she whispered softly, and

for on-site investigations. Alone in 1931, he solved 108 of

narrowed her eyes, “Save me!”

Henrik

114 homicides; in total he solved 90 percent of his cases.

A few seconds passed before Lena dared peep out from

Håkansson

Gennat, who is described as overweight, a big fan of cake

under the blanket. From the right corner of her room, a

and always sloppily dressed, wasn’t just a star among

small, glittery, super ball sparkled. That’s all it was. Lena

15. September – 19. Oktober

his colleagues. Because of the empathy he had for wit-

sighed in relief. “Everything’s ok, Tuckers,” she whis-

2012; Meyer Riegger, Fried-

nesses and the respectful treatment of offenders, he was

pered softly. “You don’t have to be afraid.” She kissed

richstr. 235, U6 Kochstras-

something like the Buddha of the police.

him gently on his face.

se, Di–Sa 11–18 h

When Gennat died at age of 59 he weighed three hund-

“Really,” she heard quietly whispered. Lena jumped,

red pounds. Shortly before his death, the Commissioner

and looked around terrified. But apart from ther glit-

Swedish artist Henrik Håkansson’s juxtaposition of na-

once again surprised those around him when he mar-

tery super ball, the sheep lamp, and a small blue star

ture and culture and his utilization of natural cycles as

ried a colleague, even if only for the reason so that his

that shone on the wall across from her, she couldn’t see

symbolic subjects are used to thrilling effect with Aug.

“wife” had a right to the widow's pension.

anything. “I’m here,” she heard the voice whisper again

11, 2012 The Symptoms of the Universe Studies. (6 min

Many thanks to Benjamin Plath from Stadtkrimi Berlin.

quietly, “Over your bed”. Lena shuddered. And then she

29 sec) at Meyer Riegger. Håkansson probes these relati-

If you want to know more about the dark side of Berlin,

saw him. The little white clown with the big red nose

onships here through a sculptural and multi-part video

we recommend the two-and-a-half-hour walking tour of

and the dark blue hat waving at her from the picture

installation, the length of which reflects a song by Black

the historic city center. http://stadtkrimi.com.

over the bed. Lena closed her eyes and shook her head.

Sabbath (“Symptom of the Universe”). After the viewer

It was just a dream. A talking clown? And out of a pic-

has skirted the remnants of a tree that has been purpo-

ture. That really couldn't be real. She took a deep breath

sefully exploded, several screens provide documentati-

and then looked up again. This time the clown stuck out

on of the tree’s destruction. Running at different speeds,

its tongue at her. “You wish you were dreaming, don’t

and from different perspectives, the videos abstract the

EYEOUT Art Events (p. 34)


English Translations  45

action and reinforce the magnitude of the debris that is

teristic confrontations with the unknown lead one

nation is also refreshingly self-directed; Brandlhuber

physically present in the gallery. The energy of the tree

along a narrative journey punctuated by labyrinthi-

admits that his building and its users constitute part of

as a symbol of life intertwines with the energy of a (very

ne twists and surprising extremes of height, depth,

the “culture industry archipelago,” and that their self-

man-made) act of destruction, resulting in a startlingl-

light, and dark. Once one reaches the heart of the ins-

criticality does not change much. Im Archipel raises a

beautiful meditation on what we understand as nature.

tallation, the exact nature of that narrative becomes a

timely debate about urban heterogeneity and Berlin’s

very personal negotiation between Nelson’s fictional

development, strikingly summed up in the basement of

Mike

world and the self – a negotiation ultimately as dif-

the building where Brandlhuber has flooded the floor.

Nelson

ficult to define as the artist’s work in and of itself.

At once blocking access and recalling the abandoned construction project he took over, the water also makes

15. September – 13. Ok-

Arno

an arresting statement as to islands currently forming

tober 2012; Neugerriem-

Brandlhuber

in the city.set of islands. This critical examination is

schneider

also refreshingly self-directed; Brandlhuber admits that

temporärer Gar-

8. September – 21. Oktober

his building and its users constitute part of the “culture

tenstr. 6, S1, S2, S25 Nord-

2012; KOW, Brunnenstr. 9,

industry archipelago,” and that their self-criticality does

bahnhof, Di–Sa 11–18 h

U8 Rosenthaler Platz, Mi–

not change much. Im Archipel raises a timely debate

So 12–18 h

about urban heterogeneity and Berlin’s development,

Ausstellungsraum,

strikingly summed up in the basement of the building

Part installation, part theatrical set for a story that has just ended – or perhaps is just about to begin –

With Im Archipel at KOW, architect Arno Brandlhuber

where Brandlhuber has flooded the floor. At once block-

Mike Nelson’s work offers an immersive and haun-

places his own Brunnenstrasse 9 townhouse at the

ing access and recalling the abandoned construction

ting experience that defies easy definition. At neu-

center of discourse. Taking as historical backdrop and

project he took over, the water also makes an arresting

gerriemschneider temporary space, hidden in a back

contrast point a 1977 utopian design scheme which pro-

statement as to islands currently forming in the city.

courtyard building on Gartenstrasse, Space that Saw

posed well-functioning urban islands surrounded by

(Platform for a Performance in Two Parts) creates

green areas, Brandlhuber examines the growing trend

a disarming tension between the physicality of the

of homogenization in Berlin creating an entirely differ-

viewer and that of the environment. Nelson’s charac-

ent (and dystopian) set of islands. This critical exami-

Mitteschön Verlosung 45   English Translations

STILSICHER MIT ZOOKIE „Life is too short to carry ugly bags!“ Dieser Meinung ist nicht nur die Designerin, sondern auch wir. Täglich tragen wir unseren Laptop mit uns herum, sei es auf dem Weg ins Büro, zur Uni oder in der Bahn. Das heißt wir brauchen eine funktionale Tasche, die aber auch schön aussehen soll. Die Lösung hat ZOOKIE. ZOOKIE schafft mit ihren Laptoptaschen eine ideale Kombination aus Funktionalität und Fashion und setzt damit ein klares Statement. Laptoptaschen für junge urbane Leute, die mitten im Leben stehen. Selbst ohne Notebook macht sie eine gute Figur und besticht als modisches Accessoire in vielen unterschiedlichen Farben. Zwei praktische Griffe und ein größenverstellbarer und abnehmbarer Umhängegurt sorgen zudem für perfekten Tragekomfort. Wir verlosen zwei Taschen in Hellgrau und Dunkelgrau von ZOOKIE in krokogeprägter Leder-Optik. Die Verlosung läuft ab sofort online unter www.mitteschoen.com. Viel Glück!


46   Kolumne

Non scholae sed vitae discimus. Text Oliver Janik  Illustration Lianna Dora

„Was ich noch sagen wollte…“ – Hinweise auf Missstände und andere Belanglosigkeiten.

„Greta! – Du weißt doch, dass die Mama Lactoseintoleranz hat.“ Okay – wir müssen uns dringend mal über Erziehung unterhalten. Und ich meine jetzt ausnahmsweise mal nicht zu wenig davon. Greta nämlich, die neulich am Nebentisch von ihrem La-Martina-Longsleeve-Papa so sorgsam ermahnt wurde, hatte maximal das achte Lebensjahr erreicht. Hat das aber total verstanden und sich für ihre Ignoranz entschuldigt. Und Papa hat gönnerhaft gelächelt. Und verziehen. Irgendwie war mir schlecht danach und das hat nichts mit Lactoseunverträglichkeit zu tun. Viel mehr damit, wie manche Erziehungsberechtigte sich selbst die Erziehungsberechtigung erteilen, ihre Kinder mit komplexen Erwachsenen-Zusammenhängen zu belästigen. Und damit kostbaren Speicherplatz belegen für altersgerechtere Themen wie Käpt’n Blaubär und – von mir aus auch und nur wenn’s sein muss – Diddlmäuse oder Hello Kitty. Und dann wundert man sich Jahre später, wenn am Ende so Philip Röslers oder Sven Lorigs vom ARD-Frühstücksfernsehen rauskommen, die mit ihrer pathologischen Aufgewecktheit das achtziger Jahre Wort „Streber“ auch 2012 noch einmal auf ein neues qualitatives Level heben. Richtig verstörend natürlich, wenn man sich nicht wundert. Obwohl, jetzt muss man auch mal eine Lanze für die Erwachsenen brechen: „Papa, wie sind die Leute eigentlich ins Internet gekommen, bevor es Computer gab?“ Zugegeben entzückend, aber was soll diese alberne Frage? Hätte sich Greta – und das kann man von einer aufgeweckten achtjährigen nun wirklich mal verlangen – die Wiki-App auf ihr Device runter geladen, hätte sie sich das selbst beantworten

können und nicht ihren Vater belästigen müssen, der ja nun gerade erst gestern Abend mit der 2145 Maschine von DUS in TXL angekommen ist. Herrgott noch mal. Mama sagt, dass Greta in der Mäusegruppe inzwischen die Beste ist, und das sagt auch Annette, die Referendarin, die aus den alten Bundesländern nach Berlin gekommen ist und „dodal faschziniert isch", wie weit die zweite Generation Bötzowviertel nach dem westdeutschen Occupy dort schon ist. „Mama, wohin sind denn die Leute von hier eigentlich hingegangen, bevor wir gekommen sind?“ Puh, das wäre eine – zugegeben weniger entzückende – Frage, die einen zwischen zwei Chai Latte schon mal in Bedrängnis bringen kann. „Greta-Schätzchen, ich hab dir nun schon hundertmal erklärt wie Gentrifizierung geht: Erst ist es abgerockt, dann kommen die Schwulen, dann die kreativen Schwulen, dann auch die Hetero-Kreativen, spätestens mit denen die schicken Kaffeebars und französischen Restaurants und schlussendlich die Investoren, die das Feld final vorbereiten für die Werber, Industriedesigner oder McKinsey-Leute wie Papa (und ich früher).“ „Sag mal, lernt ihr das nicht in der Mäusegruppe? Papa und ich müssen unbedingt mal mit Annette reden, so geht das ja nicht.“


Legende Kultur/Freizeit/Shopping

Out of Mitte

1. Dorotheenstädtischer Friedhof, Chausseestraße 126

9. Babylon, Rosa-Luxemburg-Straße 30

16. Astra Kulturhaus, Revaler Straße 99

2. Filmgalerie 451, Torstraße 231

10. Movimento Kino, Kottbusser Damm 22

17. Kochhaus, Schönhauser Allee 46

3. Voo Store, Oranienstraße 24

11. Sophiensaele, Sophienstraße 18

4. Martin-Gropius-Bau, Niederkirchnerstraße 7

12. Villa Elisabeth, Invalidenstraße 3

5. Atelier Awash, Max-Beer-Straße 31

und Akazienstraße 1 18. General Public, Schönhauser Allee 167 19. Kammermusiksaal der Philharmonie,

6. Meyer Riegger, Friedrichstraße 235

Bars/Cafés/Clubs

7. Neugerriemschneider, temporärer Ausstellungsraum,

13. Passionskirche Kreuzberg , Marheinekeplatz 1 bis 2

20. Berghain, Am Wriezener Bahnhof

14. Bartholomäuskirche Friedrichshain, Friedenstraße 1

21. King Karaoke Bar, Leibnizstraße 68

15. Triebwerk, Urbanstraße 64

22. Wabe, Danziger Straße 101

Gartenstr. 6 8. KOW, Brunnenstraße 9

Herbert-von- Karajan-Straße 1



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