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DER GROSSE GIN TEST
MITTELMEER
FÜHRENDE DEUTSCHE, KREUZFAHRT ZU WAHREN, ÖSTERREICHISCHE UND SCHÖNEN UND GUTEN TRINKWELTEN. SCHWEIZER GINS IM CHEERS! PILS IM FOKUS TASTE FORUM START-UPS GEGEN BIERKONZERNE. WER HAT BEIM TRADITIONSSTIL DIE NASE VORN?
APERITIF
WERTE MIXOLOGY-LESER! Sonne, alte Mythen und das Mittelmeer. Auf unserem Cover sehen Sie es ja bereits. Wir sind verzaubert von dieser Region und haben uns umgesehen, was und wie man dort trinkt. So manche Klassiker müssten uns vorenthalten bleiben, wenn es diese Region nicht gäbe. Negroni, Americano, Spumante und Bitterliköre entstammen dieser Gegend. Tauchen Sie mit uns ab in die Leichtigkeit und die Feier des Lebens (S. 70) Leicht hingegen war der Weg für die lang erwartete Bar Tür 7 nicht. Hürden und Behörden mussten überwunden werden. Nachbarn wollten befriedet und Design-Raffinessen umgesetzt werden. Unser Autor hat die Bar besucht und eine eindeutige Belebung der Wiener Trinkkultur in Augenschein genommen (S. 20).
Trinkkultur in der Provinz, perfekte Garnituren Wenn es um Trinkkultur geht, ist einer immer mit dabei. Man kann ihn auch Tausendsassa nennen. Branimir Hrkac ist in seinem Elan kaum zu bremsen und mit seinem Team dominiert er die Frankfurter Bristol Bar. Zudem brennt er Schnaps, ist Brand Ambassador und gibt eine Zeitschrift heraus. Was will er mehr? Er will der perfekte Gastgeber sein. Wir haben ihn porträtiert (S. 22). Um besagte Trinkkultur überhaupt genießen zu können, bedarf es akribischer Vorbereitung. Unsere Fotografin Sandra Mann hat sich bei den Profis umgesehen und auf unserer Bildstrecke die Hingabe der Bartender vor den Stürmen der Nacht künstlerisch in Szene gesetzt. Aber nicht nur die Stars in den Metropolen liegen Mixology am Herzen. Auch in den Provinzen, und das ist ganz liebevoll gemeint, finden sich Meister ihres Faches. So haben wir in den Stadtgeschichten fünf exzellente Vertreter der Genusswelt befragt, wie sie es anstellen, auch unter eher widrigen Bedingungen hohe Barkunst abzuliefern (S. 26).
Zu eben dieser Barkunst zählt auch die perfekte Garnitur. Hier streiten sich die Geister. Eher puristisch, oder als stilbildendes Element. Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. Die Garnitur kann ein Kaufanreiz sein und einen Drink erst zu Ende denken. Der Alchemist war auf Spurensuche (S. 46).
Gin, Eis und der Schumann Gin, immer wieder Gin. Nils Wrage hat nach den Spuren des Wacholder gesucht und hält ein eindeutiges Plädoyer für den Kern und Ursprung dieser Spirituose. Weniger ist oft mehr, wie unsere Titelgeschichte verrät (S. 38). Wie sich diese dann im Test unter Experten verhält, lesen Sie im Mixology Taste Forum. Auch mit dabei war das Bier. Nämlich seine nach wie vor beliebteste und am schwierigsten zu bewertende Kategorie, das Pils. Alles ab Seite 54. Um Bier dreht sich bei Peter Eichhorn auch alles. Vor allem, wenn man sich regionale und saisonale Spezialitäten betrachtet. Wahre Füllhörner tun sich auf und man mag gar kein Ende finden (S. 94). Cocktails sind nichts ohne Eis. Wenn Sie glauben, Sie wüssten bereits alles darüber, dann werden Sie überrascht sein, was unser Autor herausgefunden hat. Eis ist nicht gleich Eis. Oder doch? Folgen Sie seinen Experimenten ab Seite 80. Wenn wir über Cocktails sprechen, müssen wir über Charles Schumann sprechen. Wer könnte das besser, als Manfred Klimek. Er lebt in kritischer Verehrung mit diesem Paten der Barkultur und hat eine liebevolle Polemik aus der Feder getuscht (S. 88). Liebe Leser, noch ein Wort in eigener Sache. Dies ist meine letzte Ausgabe als Chefredakteur. Ich darf mich für Ihre Treue, Kritik und manches Lob bedanken. Nebenstehend lesen Sie, wie es weitergeht. Haben Sie Spaß beim Lesen, Ärgern, Freuen – genießen Sie die Tage, zelebrieren Sie die Nächte.
Markus Orschiedt
Der Neue Liebe Leser, wir haben Ihnen Nils Wrage bereits vor ein paar Monaten als Stellvertretenden Chefradakteur vorgestellt. Er ist als langjähriger Bartender ein profunder Kenner der Materie, hervorragend vernetzt und als studierter Literaturwissenschaftler bringt er das handwerkliche Rüstzeug mit, um ein Magazin wie Mixology zu gestalten. Er ist Ihr neuer Chefredakteur. Ich freue mich auf seine zukünftige Arbeit und die Handschrift, die hier seine Prägung finden wird. Ich bleibe Ihnen als Autor verbunden und hoffe Sie mit unterhaltsamen und informativen Geschichten, weiterhin als Leser begrüßen zu können. Mein herzlicher Dank gilt der engagierten Redaktion, sowie Helmut Adam und Jens Hasenbein, die mit mir die letzten fünf Jahre gestaltet haben. Ahoi und Cheers!
Ihr Markus Orschiedt
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20 NEUE BARS Etwas Geduld bitte – Die Tür 7 in Wien
46 ALCHEMIST Raffinesse im Detail – Die perfekte Garnitur
26 STADTGESCHICHTEN Klein aber fein – Notizen aus der Provinz
Bars & Menschen
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MIXOLOGY INTERN
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ZEHN
Zehn lohnende Klicks der Gastro-Blogosphäre
20
NEUE BARS
Tür 7 – Bei Freunden meldet man sich an
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STARS IN BARS
Branimir Hrkac über Gastgeben, Sljivovic und Vespafahren in Frankfurt am Main
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STADTGESCHICHTEN
Oasen satt Ödnis – Notizen aus der Provinz
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98
INTERVIEW
Fritz Wülfing – Im Gespräch mit dem AleMania-Brauer
SPIRITUOSE
Barrel Aging – War da was?
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Unsere liebsten Gin & Tonic-Kombinationen
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INTERVIEW
Rüdiger Behn über Markenbildung, Traditionen und Familie
ALCHEMIST
Glanz, Gloria und Garnituren
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ESSENZEN
Spielzeuge für Bartender
Flüssiges
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MEINUNG
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Stimmen aus Neapel, Tel Aviv und Athen
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FOOD & DRINK
Luftige Mousse mit Wacholderbrand
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TITEL
Früher bis heute – Die Geschichte des Gins
TASTE FORUM
Pils und Gin
DAS LABOR
Grappa auf dem Prüfstand
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FOUR OF A KIND
Sloe Gin im Redaktionstest
70
TRINKWELT Treiben lassen – Die Genusskultur im Mittelmeerraum
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BACK TO BASICS Klar und kalt– Das richtige Eis
38 TITEL Zeitrauschen – Die Geschichte des Gins
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TRINKWELT
Mediterrane Genüsse als Lebensgefühl
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MARKENPORTRÄT
Ron Matusalem – Revolution und Rum
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BACK TO BASICS
Eis – Die Wissenschaft vom Kühlen
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WHISK(E)Y NEWS
Die wichtigsten Neuheiten der Whiskywelt
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NACHTRAUSCHEN
Flirten im Schumann’s
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KLIMEKS KAUFBEFEHL
Die Abkehr vom Oberflächlichen
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BIERNOTIZEN
Die wichtigsten Hopfenneuheiten
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BIER
Neues & Notizen
Die Bedeutung von Region und Saison
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Wirtschaft & Kultur 100
BUSINESS
Bitterlimonaden – Klassik im Umbruch
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ESSENTIAL CULTURE
Zehn neue Schätze für Augen und Ohren
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MUSIK
Mastermind Mark Ronson
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VERANSTALTUNGEN & WETTBEWERBE 112
Alle wichtigen Termine der vergangenen und kommenden Wochen
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MADE IN GSA
Ready to Rumble – Der Wettbewerb geht in Runde drei
TIEFENRAUSCH
Carlos Castañeda – Am Rand der Wirklichkeit
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MIXTUR
Neue Produkte aus dem Baruniversum
HOMEBAR
Coaster – Design für die heimische Bar
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IMPRESSUM
STADTGESCHICHTEN
Sie sind die heimlichen Stars der Barkultur, die wagemutigen und ambitionierten Betreiber von Bars in der Provinz. Meist in einem Umfeld, das entweder noch nie über Saft, Sahne und Caipirinha hinausgekommen, oder – noch schlimmer – ökonomisch schwach auf der Brust ist. Aber es gibt sie, die Idealisten, Träumer, Unverdrossenen, Leidenschaftlichen. Sie sind wahre Botschafter des guten Geschmacks. Wir stellen Ihnen einige davon vor.
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FUNKELNDE PROVINZ 27
Die Stadtgeschichten in Mixology erzählten lange Jahre die Prägungen von Städten in Deutschland, Österreich, Schweiz und des europäischen Auslands. Wir wollten wissen, wie sich Bars präsentieren, die Menschen die Nacht erleben und sich das Ausgehen und Trinken dort gestaltet und anfühlt. Wir sind dabei weit herumgekommen und haben viele Metropolen – manchmal nur die eines Bundeslandes, manchmal auch Weltmetropolen – erkundet. Bewusst haben wir über den Leitfaden ausgewählter Bars auch von den besuchten Orten in Form einer Reisereportage geschrieben. Dazu gab es noch einen Serviceteil mit vielen Adressen für Unterkunft, Essen, Trinken, Anreise und ortstypische Begrifflichkeiten: Wir nannten es das Lexikon der Nacht.
Nun schlagen wir ein neues Kapitel auf und haben neue Erzählperspektiven entwickelt, die wir Ihnen nach und nach in den nächsten Ausgaben vorstellen. Wir modifizieren dabei eine Idee, die bereits in loser Folge auf Mixology Online verfolgt wurde. Wir nannten das Notizen aus der Provinz. Das war nicht abwertend, sondern in Anlehnung an die verstorbene Kabarettisten-Legende Dieter Hildebrandt, mit viel Zuneigung für die Geister hinter der Bar gedacht, die auch unter den schwierigeren Bedingungen, die ein eher begrenztes Publikumsumfeld bieten, wahre Schmuckstücke der Barkultur über den Tresen reichen. Eben funkelnde Perlen der Provinz.
nach Ischgl ab. Geben wir es zu: Wer nicht dort lebt und arbeitet oder noch nie dort war, dem fallen dazu nur Schlagworte ein wie Heilbad, Dokumenta, Luther, Studenten und Hölderlin oder Skisport ein. Alle haben gemeinsam, dass sie eine lebendige und ausgeprägte gastronomische Szene haben und auch viele Gäste aus dem Umland sowie internationales Publikum an sich binden.
Kopfreise in die geliebte Provinz Das Arbeitsprinzip für diese neue Reihe unterscheidet sich nicht von den bisherigen Stadtgeschichten. Zwar könnte man nun auch eine andere Überschrift wählen, in Anlehnung an ein beliebtes Familienratespiel: Stadt, Land, Bars. Aber da wir immer noch wie bereits gesagt über Städte und Menschen schreiben,
haben wir uns für die Beibehaltung des Titels entschieden. Wir leisten keinerlei Vorrecherche. Nur mit der Ausnahme, dass die Redaktion anhand eigener Erfahrungen, den Tipps und Hinweisen, die die Redaktion von außen erreicht haben, oder dem Drang nach einer vertieften Darstellung von bereits Bekanntem, die zu skizzierenden Bars kuratiert. Wir legen fest, wer dabei ist, das war’s. In längeren Interviews sollen dann Porträts der Protagonisten, ihres Umfeldes, ihrer Philosophie und ihrer Biografie entstehen. Subjektiv, ungefiltert und lediglich durch den Inhalt der Fragen geführt. Wir sind also die Chronisten und durch die Zeilen von Mixology sprechen diese Menschen zu Ihnen, liebe Leser. Nicht in der Form des klassischen, autorisierten Interviews. Wir malen ein komplexes Bild bezogen auf die Arbeitswelt der Befragten. Mixology hatte viel Spaß beim Zuhören und wir hoffen, Sie erhalten ein lebendiges Bild bei der Reise mit dem Kopf in die geliebte Provinz.
Indischer Ozean
Die Menschen hinter den Kulissen
Um aber auch hier ehrlich zu sein: In eben diesen kleinstädtischen oder ländlichen Umfeldern kann es naturgemäß nicht möglich sein, eine genügende Anzahl von Bars zu finden, die auf der Höhe der Zeit arbeiten. Das ist keine Kritik, der Markt gibt es nicht her. Aber wir wollen in diesem Format die Köpfe porträtieren, die dennoch den Schritt gewagt haben, manchmal gegen jede ökonomische Vernunft, mit Leidenschaft und teilweise unter der Aufgabe der bisherigen Existenz. Wir bleiben hier dem Reportagestilmittel treu, dass sich Orte wunderbar über ihre Menschen beschreiben lassen. Man ist dann immer wieder erstaunt, wie viel sich hinter scheinbar beschaulichen Kulissen verbirgt.
In dieser Ausgabe schlagen wir eine Schneise von Bad Salzuflen und Kassel, über Wittenberg nach Tübingen und biegen dann weiter in den Süden in unser Nachbarland Österreich
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Stadtgeschichten — Funkelnde Provinz
Spirit of India Bild: Spirit of India
Schießhofstr. 20, 32105 Bad Salzuflen — spirit-of-india.de
Bild: Spirit of India
Golfer und tauchender Barenthusiast
Welt der Spirituosen »Spielen Sie Golf?«, wurde einst Willi Weber, der Manager von Michael Schumacher, in einem Prozess gefragt. »Nein, ich habe noch Sex.« Nun, wenn er es täte, müsste er nach Bad Salzuflen kommen. Diese Gegend ist so etwas wie das El Dorado der Eisenschwinger und Einlocher. Nirgendwo gibt es mehr Plätze für diese immer populärer werdende Spaziergänger-Sportart, die getragen wird von Raffinesse, Technik, Koordination und Augenmaß. Bad Salzuflen hat stolze 55.000 Einwohner, und von einem wollen wir erzählen. Wir befinden uns also in einer Gegend in Nordrhein-Westfalen – dem Lipper Land –, die geprägt wird durch Städte wie Gütersloh, Osnabrück oder Bielefeld. In zwei Stunden ist man in Hamburg oder eben in Köln. Bad Salzuflen ist bekannt für seine Wellnesskultur und für sein Sole-Thermalbad, als Messestandort und seine historische Altstadt. In dieser befindet sich das gastronomische Zentrum mit vielen Kneipen und Restaurants und es hat ein Herzstück, nämlich das Spirit of India mit seinem Chef Christian Steffen.
Abreißen, Experimentieren, Profitieren Steffen kommt aus einer Gastronomenfamilie und betreibt zusammen mit seiner Frau in dritter Generation ein Hotel, Restaurants und seit 2001 die Bar Spirit of India. Vor bald zwei Jahren kam noch das Backs hinzu. Spirit of India
in Bad Salzuflen? »Ich bin leidenschaftlicher Taucher und als solcher mit dem Indischen Ozean vertraut. Und aus diesem Teil der Welt kommen ja auch einige Spirituosen und Einflüsse. Da habe ich einfach mal in eine andere Richtung gedacht und mich davon inspirieren lassen. Ich mag einfach den Kolonialstil«, erklärt Steffen. Nach der Jahrtausendwende lässt er das im Familienbesitz befindliche Fachwerkhaus neben seinem Hotel abreißen und ein neues Gebäude errichten. »Wir hatten da einfach zu wenig Platz, da das Haus nicht unterkellert war, aber uns fehlte noch eine schöne Bar, um unser Angebot zu komplettieren.« Das Spirit of India bemüht sich sofort darum, Anschluss an internationales Barformat zu finden. Schon lange ist es mit einem hervorragenden Ruf versehen und hat sich in der Region einen solitären Namen gemacht. Der 42-jährige Steffen erläutert die Entwicklung so: »Wir haben alles daran gesetzt, der rasanten Vorwärtsbewegung zu folgen, und das hat sich auch wirtschaftlich ausgezahlt.« Er profitiert enorm von den vielen internationalen Messegästen, die sein Angebot verstehen und somit auch die heimischen Gäste beeinflussen und deren Akzeptanz für Gehobenes erhöhen. Cuisine Style und Barrel Aging gehören zum festen Repertoire. Lediglich mit molekularen Kreationen findet er weniger Anklang. Den Fokus legt man bei Spirituosen auf Whisky und Rum »und natürlich ist auch der Gin-Boom nicht an uns vorbeigegangen, da haben wir inzwischen viele Gäste von Abenteuern überzeugen können«, freut er sich. Die Abende enden meist gegen Mitternacht oder ein Uhr, am Wochenende wird es meist drei Uhr, bevor sich die Gäste noch ein wenig in den zwei ortsansässigen Clubs tummeln.
Backs und das Meer Und da er noch nicht genug zu tun hat, genügt ein Blick nach Hamburg ins Boilerman, und schon ist die nächste Unternehmung unter Dach und Fach. Das älteste Fachwerkhaus sollte es sein, schließlich ist schon einmal eines verloren gegangen. Wo einst ein Ritter sein Unwesen trieb, befindet sich nun eine Highball Bar, angereichert mit Craft Beer. Das Haus ist Namensgeber: Backs. Wenn Christian Steffen mal raus will aus dem ganzen Trubel, spielt er Tennis oder lässt sich von seinem riesigen Meerwasseraquarium im Spirit of India inspirieren und geht tauchen. Oder der Barenthusiast zeigt es dem arroganten Parvenü Willi Weber mal so richtig – und geht Golfen.
PARTICIPATE FROM MAR 10 - APR 12
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TITEL
DEUS EX WACHOLDER Text Nils Wrage
Gin ist längst vom Trend zum Dauerbrenner geworden. Doch nicht alle teilen die Begeisterung über die Entwicklungen der letzten Jahre. Braucht ein nicht anfechtbarer Grundpfeiler der Bar so etwas wie einen Hype? Wie lange ist ein Gin, der seinen Vorfahren nicht mehr ähnelt, noch ein Gin? Wir plädieren für die Rückbesinnung aufs Wesentliche. Und für einen gedanklichen Glasrand, der nicht bei Gin & Tonic endet. Eine Woge aus Gin & Tonic rollt über die Bars. Doch sie macht nicht halt an den Türen erlesener Trinkstätten. Längst hat sich der zumeist farblose Brand auch über die breiten Massen ergossen und wird zu einem immer gefragteren Produkt, wenn es darum geht, auch im privaten Kreis als profunder Kenner zeitgemäßen Genusses punkten zu können. Das Gin-Segment wächst seit einigen Jahren so sehr, wie wir es zuvor nie erleben durften. Was den späten 1990ern und den 00er-Jahren der Vodka als Trendgetränk war, das ist momentan zweifelsfrei Gin. Sehr zum Leidwesen mancher Bartender und Barflys, bei denen die Vokabel mittlerweile Augenrollen verursacht. Der aktuelle Hype ist vor allem zurückzuführen auf zwei Entwicklungen der vergangenen Jahrzehnte. Einerseits erkannten Spirituosenhersteller in den 1980er-Jahren, dass die sträflich vernachlässigte Kategorie ein enormes Potenzial aufwies. Ein Meilenstein in der jüngeren Gin-Historie ist fraglos die Lancierung des Bombay Sapphire. Nachdem sich der Wacholderbrand auf dem gigantischen US-Markt über Jahrzehnte dem Vodka unterordnen musste, gab es plötzlich einen Gin, der Gin war, aber hip sein wollte. Keine öd-grüne oder farblose Flasche, sondern strahlendes Saphirblau leuchtete dem Konsumenten da auf ein-
mal entgegen. Konnte das schlecht sein? Dazu ein Aromaprofil, das sich zwar eindeutig zu seinen wacholdrigen Wurzeln bekannte, jedoch gleichzeitig mit einem hohen Maß an Drinkability und Milde punkten konnte. Die Tür für eine komplett neue Wahrnehmung der Gattung war aufgestoßen und würde sich so schnell nicht wieder schließen, der Impuls für die Entwicklung des Segments wirkt bis heute nach.
London? Go West! Der andere zentrale Anstoß für den derzeitigen Boom vollzog sich um die Jahrtausendwende durch eine komplette Neuinterpretation der Gattung. »New Western« ist das Schlagwort, um das sich hier alles dreht. Plötzlich wurde mit Konventionen gebrochen, sodass die Richtlinie, Gin sei eine Spirituose mit Wacholdergeschmack, teilweise nur noch unter Anwendung größter Toleranz eingehalten wurde. Marken wie die beiden 1999 in den Handel gebrachten Hendrick’s und Martin Miller’s oder der balearische Gin Mare deuteten die Parameter der Gin-Herstellung völlig neu. Plötzlich landeten Gurken, Rosen und Mazerate aus Küchenzutaten wie Thymian, Basilikum
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ALCHEMIST
ZWISCHEN SCHIRMCHEN UND SCHÄUMCHEN Text Marco Beier Fotos Tim Klöcker & Sebastian Böhme
Cocktailgarnituren – in beinahe jeder Bar, die etwas auf sich hält, findet man heutzutage aufwendig hergestellte, selbst gemachte Zutaten. Eigene Sirups, Limonaden, Infusionen und andere Tinkturen haben einen großen Anteil an der Cocktailkarte und zeigen die Kreativität der Szene. Ein Aspekt der Cocktailgestaltung, der sich derzeit sehr entwickelt, ist der Bereich der Garnituren. Schauen wir doch einmal genauer. In der Küche gilt nach wie vor die Aussage »Das Auge isst mit«. Jeder Koch achtet darauf, dass seine Teller ordentlich angerichtet sind und das Essen bereits vor dem ersten Bissen ein Erlebnis ist. Was für die Küche gilt, hat natürlich auch an der Bar Bestand. Man nehme nur das Beispiel, in dem einem besonders schön zurechtgemachten Cocktail zahlreiche Bestellungen folgen, wenn man ihn einmal durch die Bar getragen hat. Die Optik ist dann oftmals entscheidender als der Inhalt.
Was ist die Garnitur? Bleibt die Frage: Was genau soll die Garnitur eines Cocktails bezwecken? Hier kann man verschiedene Ansätze unterscheiden. Die gängigsten sind die funktionale Garnitur, der Special Serve, das Foodpairing und der übertriebene Quatsch. Unter Ersteres fallen Zugaben wie Zesten von Zitrusfrüchten oder Espumas, die auf den Drink gegeben werden. Sie bieten nicht nur einen optischen Reiz, sondern verpassen dem Drink ein eigenes Aroma, oder sind, wie beim Espuma, sogar ein essenzieller Teil des Cocktails. Der Special Serve beinhaltet vor allem Cocktails, die wirklich ganzheitlich gesehen werden müssen, wo von der Zubereitung über das Glas bis zum speziellen Trinkhalm oder weiteren Zugaben alles in Bezug zum Cocktail steht. Gerade bei Kreationen aus der Stilrichtung des Tiki findet man diese Form sehr häufig. Das Foodpairing ist dann schon eine kleine Steigerung. Eine Kleinigkeit zu essen wird zum Drink gereicht. Diese Kleinigkeit steht natürlich passend zum Drink, unterstreicht eine gewisse Nuance oder bildet einen gewollten Kontrast,
um eine gewisse Spannung zu erreichen. Bleibt noch der Blödsinn. Was hierunter fällt, ist in vielen Fällen der eigenen Interpretation geschuldet, der kleinste gemeinsame Nenner ist aber sicher der viel gescholtene Obstsalat am Glasrand, zumeist bestehend aus älterem, vorgeschnittenem Obst und quietschroten Plastikkirschen. »Ich bin der Meinung, ein Drink sollte ein ganzheitliches Erlebnis für die Sinne sein. Auswahl des Glases, Präsentation und natürlich die Garnitur sollen die Idee sowie die Aromatik transportieren und unterstützen und zusammen mit dem Namen ein stimmiges Ganzes ergeben.« Dieser Satz stammt von Anne Brune-Bau, Bartenderin in der viel beachteten Bar The Parlour in Frankfurt, über deren Kreationen Mixology schon einmal in einem eigenen Alchemisten berichtete (Ausgabe 4/2013). Neben vielen selbst gemachten Zutaten wird dort auch ein besonderes Augenmerk auf zugehörige Garnituren gelegt, für die sich die Designstudentin gern Anregungen aus verschiedensten Büchern und von Internetauftritten diverser Bars holt.
Die Cocktailkirsche und der Tod Historisch betrachtet ist die Garnitur von Beginn des Cocktailzeitalters an mit dabei. Wer in alten Büchern blättert, findet immer wieder Zitruszesten oder Minzspitzen. Sie sind ideale Zugaben zu klassischen Drinks oder eben im Falle der Minzspitze zu einem Julep. Effekthascherei
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MADE IN GSA
Die 3. Auflage der Made in GSA Competition.
RING FREI FÜR RUNDE DREI Text Marco Beier
Mit ordentlich Schwung startet die dritte, von MIXOLOGY organisierte Made in GSA Competition durch. Neues Logo, vereinfachte Regeln, Auftritt auf dem Bar Convent Berlin, Obstbrand als Sonderkategorie und dazu eine fulminante Bar-Europa-Tour für den Gewinner. Wer wird die Nachfolge von Torsten Spuhn und André Pintz antreten?
Mit einem neuen Logo geht es auch im dritten Jahr darum, die Vielseitigkeit und die hohe Wertigkeit der im deutschsprachigen Raum produzierten Getränke unter ein helleres Licht zu stellen. Im Logo sind, wie an der Bar, alle Bartender der drei Länder unter dem Cocktailglas vereint. Allzu viele Worte muss man zur Idee und Entstehung des Wettbewerbs wohl nicht mehr verlieren. Vor mittlerweile acht Jahren ist aus dem Mixology Verlag heraus das Label »Made in GSA« entstanden. Auslöser war der Besuch des amerikanischen Cocktailenthusiasten Martin Doudoroff, der in einer Berliner Bar feststellte, dass man nahezu jede Spirituose der Welt an deutschen Bars erhalten kann, aber so gut wie keine deutschen Produkte zu finden sind. Seither steht Made in GSA für Produkte aus dem deutschsprachigen Raum, die eine Relevanz für die hiesige Barszene haben. »Think Global, Drink Local« lautet das Motto, wenn man mit einheimischen Produkten arbeitet und erstaunliche Cocktailkreationen mit teils eher ungewöhnlichen Zutaten ersinnt, die sich in den jeweiligen Bars zu Klassikern entwickeln. Wobei, was ist in dieser Zeit noch wirklich ungewöhnlich, wenn man an Zutaten denkt? Längst gehören eigens hergestellte Infusionen oder Sirups zum Standardrepertoire jeder besseren Bar, und nicht zuletzt dem Gin geschuldet ist auch ein starkes Comeback der regionalen Getränke im Regal zu beobachten. Zum einen, weil es einfach eine enorme Zahl an herausragend guten Produkten gibt, zum anderen, weil es dem Gast einen gefühlten Mehrwert verschafft, wenn man ihm eine Spirituose anbietet, die vielleicht sogar in derselben Stadt produziert wird. Dieser Gedanke hat sich in den vergangenen Jahren auf beiden Seiten des Tresens in den Köpfen von Bartendern und Gästen festsetzen können und Cocktails mit einem regionalen Bezug werden immer mehr zu einer Selbstverständlichkeit an vielen Bars.
Regeln und Jury Eine Entwicklung, an der die Made in GSA Competition nicht gänzlich unschuldig sein dürfte, und somit ist es selbstverständlich, dass diese Idee auch 2015 fortgeführt wird und es wieder einen Wettstreit darum geben wird, wer den besten Drink unter vorgegebenen Bedingungen kreieren kann. Im Vergleich zu den vorigen Jahren gibt es ein paar Änderungen im Reglement. Die gravierendste ist dabei schon die, dass nicht mehr zwei Cocktails pro Teilnehmer eingereicht werden müssen, sondern jeder Bartender sich selbst
entscheiden kann, ob er einen Short- oder einen Longdrink einreichen möchte. Unverändert bleibt, dass jeder Drink eine Geschichte haben soll. Zum kreierten Cocktail ist der Urheber also aufgefordert, einen Text von maximal 120 Worten einzureichen, in dem er die Geschichte des Drinks präsentiert. Ob diese Geschichte nun der Wahrheit entspricht oder frei erfunden ist, spielt keine Rolle, solange sie interessant ist und auch für andere Kollegen oder für Gäste nachvollziehbar. Die Geschichte sollte auch am Bartresen schnell erzählt sein und im besten Falle dem Verkauf des Cocktails dienen. Bewertet werden sowohl Drink als auch Geschichte wieder von einer hochkarätig besetzten Jury. Mit dabei ist der Mixologe des Jahres 2013, Oliver Ebert, Betreiber des Becketts Kopf sowie der neuen Bar Lost in Grub Street in Berlin und großer Fan von Obstbränden und deren Einsatz in Cocktails. Österreich wird in diesem Jahr von Kan Zuo vertreten, der die Sign Lounge in Wien betreibt, die mit dem Mixology Bar Award 2015 für die beste Bar Österreichs ausgezeichnet wurde. Aktueller Preisträger für die Bar des Jahres der Schweiz ist Les Trois Rois aus Basel, für die ihr Barchef Thomas Huhn als Juror vertreten sein wird. Vierter Juror in diesem Jahr ist Arnd Henning Heissen, der wie Oliver Ebert bereits 2013 als Gastgeber des Jahres ausgezeichnet wurde, und der mit dem Curtain Club im Ritz Carlton die aktuelle Hotelbar des Jahres managt. Anspruchsvolle Gaumen und Geister also, die in diesem Jahr über die Geschichten und den Cocktail richten werden. Die Regeln vom Vorjahr haben sich bewährt und nur in dem Punkt eine Änderung erfahren, dass nicht mehr zwei Drinks von jedem Teilnehmer erwartet werden, sondern sich jeder aussuchen darf, ob er sich mit einem Long- oder einem Shortdrink bewirbt. Die weiteren Regeln:
Longdrink
Shortdrink
wird im Highball-Glas
wird im Whisky-Tumbler
serviert
serviert
max. 30 cl Füllmenge
max. 25 cl Füllmenge
max. 5 Zutaten
max. 5 Zutaten
mind. 1/3 der flüssigen
mind. 3 cl der flüssigen
Zutaten müssen aus ei-
Zutaten müssen aus
nem Filler teilnehmender
Produkten teilnehmender
Marken bestehen
Marken bestehen
Eis und Garnitur sind
Eis und Garnitur sind
keine Zutaten
keine Zutaten
keine selbst hergestellten
keine selbst hergestellten
oder veränderten Zutaten
oder veränderten Zutaten
gestattet
gestattet
Das ausführliche Regelwerk sowie eine Übersicht über die als Sponsoren teilnehmenden Marken sind ab dem 4. April 2015 auf der Internetseite made-in-gsa.com einzusehen.
Die Preise Die Mühen werden natürlich auch in diesem Jahr wieder entsprechend belohnt. Nachdem der letztjährige Gewinner André Pintz die Idee von Made in GSA bei den Tales of the Cocktail in New Orleans vertreten durfte, erwartet den diesjährigen Sieger eine ganz besondere Bartour durch Europa. Die besten Bars in London, Paris und Rom stehen auf dem Programm. Und ja, alle drei Städte wird der Gewinner auf seiner Bartour extraordinär erkunden. Mit jeweils zwei Nächten pro Stadt steht eine intensive Woche der Barkultur in Begleitung eines Mixology-Autors in Aussicht. Für den Zweitplatzierten gibt es auch in diesem Jahr wieder das große BCB-Paket. Inklusive Galadinner und natürlich dem Besuch des Bar Convent Berlin mit einer Begleitperson. Der dritte Platz darf sich über einen Gutschein des Cocktailian Shops im Wert von 500 Euro freuen und seine Bar neu ausstatten. Anfang April ertönt sie also, die Glocke für die dritte Runde des Wettbewerbs. Sieben Wochen habe alle Interessierten Zeit, einen Cocktail zu erfinden und einzureichen. Einsendeschluss ist der 22. Mai 2015. Spätestens am 10. Juni werden wir dann die Finalisten bekannt geben, die am 22.6.2015 beim Finale im Berliner The Ritz Carlton Hotel den Sieger unter sich ausmachen. Den Gedanken von Made in GSA hat Vorjahressieger André Pintz noch einmal schön zusammengefasst: »Made in GSA – Regional meets International! Wir alle lieben unseren Beruf und sind stolz auf unsere Herkunft. Das Mixen mit Produkten aus der eigenen Region ist eine Möglichkeit und Herausforderung, die man zu schätzen wissen sollte und die man öfter in Betracht ziehen sollte.« Und um das Thema noch weiter in den Fokus zu rücken, wird es in diesem Jahr auch zum BCB eine eigene Made-in-GSA-Area geben, in der sowohl der Wettbewerb, die Idee und natürlich die heimischen Produkte noch einmal genau vorgestellt werden. — made-in-gsa.com
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»I envy people who drink. At least they have something to blame everything on.« t
Oscar Levant amerik. Autor ( 1906 – 1972 )
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