Technik
T H C RS I A R M E N OB O I D E U S ST MOU
Seit nunmehr 16 Jahren machen Andy Toma und Jan Werner als Mouse On Mars Musik, und in dieser Zeit sind sie dank ihrer Funken sprühenden Freigeistigkeit zu so etwas wie dem guten Gewissen der doch oft stereotypen ElektronikmusikWelt geworden. Wir haben Werner und Toma während der Arbeit an ihrem elften Album getroffen – und bekamen einen gewohnt ironisch formulierten Zwischenstand zu hören. Te x t N U M I N O S
Fotos C A R L A & B I A NC A
/ Denn vor allem sind Andi Toma und Jan Werner eins: albern – und das nicht im Sinne von lächerlich, sondern im positiven Sinne einer ungezügelten Selbstironie und Experimentierfreude. Und eben das ist im Kern die vielleicht einzige und zugleich beste Stilkonstante von Mouse On Mars. „Ich finde, man muss als Musiker wie mit einem Einkaufswagen durch die Stile gehen und sich alles reinpacken“, sagt Jan Werner. „Es müssen Willkür und Völlerei herrschen – man sollte sich von nichts und niemandem beschränken lassen. Am Ende des Tages bleibt sowieso nur ein kümmerlicher, erbärmlicher Rest, weil man ja ohnehin schon beschränkt genug ist.“ Er grinst süffi-
sant und ergänzt: „Ich glaube, so eine gewisse Klangbefreiungsethik haben wir schon – so richtig echte Dogmatik trauen wir uns allerdings nicht zu, weil wir letztlich noch nichts gefunden haben, was wir wirklich hätten vertreten können.“ Dieser freien, spielerischen Haltung entsprechend reichhaltig ist das Mouse-OnMars-Studio ausgestattet. Die zentrale Schaltzentrale ist eine 32-Kanal-Soundcraft-InlineKonsole, die wegen ihrer sättigenden, übersteuerbaren Eingangsverstärker die erste Anlaufstelle für alle Sounds ist. Dabei ist vor allem das wiederholte Bouncen von der digitalen in die analoge Hardware für den plastischen Klang vieler Tracks von Mouse On Mars entscheidend, wie Andi Toma verrät: „Das Soundcraft zerrt echt schön, was man immer gut als Effekt einsetzen kann. Manchmal nehmen wir das Ergebnis dann sogar noch mal in den Rechner und spielen es wieder in die Konsole.“ Seiner Aussage zufolge finden Mouse On Mars einfach jeden Prozess gut, der dazu dient, das Material auseinanderzunehmen und neu zu kombinieren: „Das endet nie, denn wenn alles schon gemischt ist, schneiden wir aus verschiedenen Sessions etwas zusammen und wenn es keine zu komplexen Taktarten waren, fügen wir noch weitere Sounds hinzu
und dann geht das alles wieder ins Pult. So wächst das, es wird für uns griffig.“ Und fraglos lässt sich mit dem hochwertigen Sammelsurium edler Analoghardware und seltener Klangerzeuger, das man im Mouse-On-MarsStudio findet, einiges anstellen, um Produktionen mit einem warmen, analogen Sound auszustatten. DIALE KTI SC H VORB ILD LICH Damit lässt sich klanglich auch hervorragend kaschieren, dass viele der Sounds von Mouse On Mars in jüngerer Zeit aus dem Rechner stammen, wobei hauptsächlich Massive und Reaktor von Native Instruments zum Einsatz kommen. Die Programme werden von Jan Werner – dialektisch vorbildlich – im selben Atemzug lobend erwähnt und gründlich kritisiert: „Die schmieren uns einfach kräftig, denn wenn wir was brauchen, geben die uns das sofort, weshalb wir diesen Namen so gerne erwähnen. Klar ist das Design absolut hässlich, und dann noch dieser ganze RichieHawtin-Scheiß ... Ich habe neulich mit einem Designer gesprochen, der am liebsten alle Werbekampagnen von NI machen würde, der meinte, dass es genau der falsche Weg ist, dass die in ihren Anzeigen immer hoch profilierte und etablierte Produzenten zeigen und
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nicht den normalen Nerd zum Ziel der Kampagne machen. Aber trotzdem ist Massiv für mich einer der besten Synthies der letzten dreißig Jahre.“ (Anm. d. Autors: Eine ganze Reihe der Signature-Sounds von Massive stammen übrigens aus dem Klanglabor von Toma und Werner.) Die Beschränkung auf eine Handvoll synthetischer Klangerzeuger ist Teil der Strategie, die das neue Album – anders als die vorherigen, die alle sehr fragmentarisch entstanden sind – aus einem Guss klingen lassen soll. Dazu trägt auch bei, dass das Drumset von Schlagzeuger und Sänger Dodo Nkishi direkt in der Regie steht und dort mikrofoniert sowie aufgenommen wird. Ziel ist es, die Trennung zwischen Live-Konzert und Studiosession aufzuheben und den von Mouse On Mars immer schon verfolgten Ansatz einer sehr freien, spontanen Produktionstechnik weiter auszubauen. Nkishi hat mittlerweile einen festen Platz als drittes Bandmitglied und sorgt mit seiner entspannten Art für eine merkliche Beruhigung im quirligen Mäuse-Kosmos. Auf die Frage nach der Aufgabenteilung erklärt er: „Wir haben die Aufgaben nicht auf die Personen bezogen verteilt, sondern es ist mehr so, dass jeder von uns Verantwortlichkeiten in Bezug auf die Musik einnimmt, die die anderen gerade machen. Zum Beispiel kann einer die Aufgabe der Selbstbegrenzung einnehmen, beraten oder dem zuhören, was der andere macht, und das dann beurteilen.“ AU C H E I N N E I N I ST W I L L K O M M E N Jan Werner ergänzt, dass alle Beteiligtem im Grunde sehr dankbar seien, wenn während des
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sehr dynamischen Komponierprozesses jeder seinen Teil zum Gesamtergebnis beitrage. Auch ein kategorisches Nein ist dabei willkommen: „Es gibt ja so wahnsinnig viele Sounds, die die ganze Zeit aus den Maschinen rauskommen – da ist es manchmal sogar gut, wenn jemand mit Entschiedenheit sagen kann ‚Das jetzt nicht’, weil das dann wieder Platz für Neues schafft.“ Das Fertigstellen eines Stücks ist ja häufig ein schwieriger Prozess – gerade dann, wenn man aus unzähligen Fragmenten auswählen muss. Gefragt, ob die künstliche Beschränkung, die sich manche Musiker in Form von reduziertem Equipment auferlegen, auch ein Modell für Mouse On Mars sein könnte, verneint Jan Werner energisch: „Das sind Ausreden für mangelnden Willen. Die Beschränkung darf nicht durch die Geräte kommen. Für uns wäre das ein Grund, etwas technologisch Neues zu finden. Wobei man natürlich manchmal gar nicht spürt, wie sehr man schon von der Technik gelenkt wird oder wie weit es die Oberflächendesigner von Native Instruments schon wieder geschafft haben, einen in ihr Terrain zu locken, auf dem dann aus einem ein Richie Hawtin Nummer 28 wird. Im Grunde ist das die Aufgabe: dass man selbst entscheidet und sich nicht von technischen oder stilistischen Grenzen einengen lässt.“ Als am Ende des Gesprächs Andy Toma dann noch eine hervorragende Kürbis-Rote-
Beete-Suppe auftischt, könnte man sich das Dreiergespann glatt in einer eigenen Kochshow vorstellen. Unterhaltsam wäre das – dank des über Jahre gewachsenen Repertoires der beiden. Das zeigt sich nicht nur musikalisch, sondern auch in jedem Gespräch mit Mouse On Mars, wie Jan Werners trockene Antwort auf die Frage nach dem Titel des kommenden Albums zeigt: „Da machen wir keine Experimente, da arbeiten wir eigentlich immer mit einem festen Stamm von 24 Buchstaben ohne Sonderzeichen, die einfach nur neu kombiniert werden. Spielereien sind generell überhaupt nicht unser Ding. Sonst verzettelt man sich auch zu leicht.“ ...........................................
EQUIPMENT (auszugsweise): Software: Alchemy, Arboretum HyperEngine, Grinder, KinkyBeep, NI Massive, Absynth, Reaktor, Ableton Live, Steim Foundation Lisa, Emagic Logic Audio Platinum, UI MetaSynth, Bias Peak, PulsarGenerator, Realtime Granular Synth, Propellerhead Reason, ReCycle, Sonicworx PowerBundle, SoundAppPPC, SoundHack, SoundMaker, TC-Works Spark, Emagic EXS24, Cycling’ 74 MAXplugLib/Pluggo, Premiere Plug-ins, VST-Plug-ins (Ohm Boyz, Destroy F.X. ...) Outboard: Lexicon 224XL, Super Prime Time, Sony DER 2000, R7, Dynacord DRP 20, Yamaha SPX 90, Art Multiverb, Roland SDE 330, SDE 1000,MXR PitchTransposer, Flanger, Maestro Flanger & Ring Modulator, Electro Harmonix Microsynth, Memory Man, Frequency Analyzer, Electric Mistress, Korg Kaoss Pad 1&2 sowie diverse selbst gebaute Effekte und Ringmodulatoren Synthies & Sampler: Clavia Nord Modular, Akai S1100, Moog Minimoog, Polymoog, SC Pro 1, Oberheim Matrix 6, E-MU e6400, Emulator 2, Electro Harmonix Instant Replay, Siel Opera, Synare Drumsynth Monitoring: Westlake Audio BBSM 12+Subwoofer, Yamaha NS 10 Mikrofone: Neuman U 87, KMi 84, AKG C 414 B ULS, Shure SM7, SM 57, Sennheiser MD 409, Stedman N90, Beyerdynamic M 300, Electro-Voice RE 20, Audioprozessoren: Drawmer Tube Comp. 1960, DBX 165a, 166, 500 Boombox, BSS Compressor De-Esser, Behringer Composer, Ultracurve DSP 8000, Denoiser, Waldorf 4-Pole, Moog Parametric EQ, SPL SX2, BBE Sonic Maximizer, Roland SN 550, Massenburg EQ 8200, Comp. 8900 Mischpult: Soundcraft DC 2020 32-Kanal-Inline-Konsole
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