Groove #154 - Studiobericht

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George Fitzgerald Seien wir mal ehrlich: Tracks bauen ist oft kein großes Ding. Einem kompletten Album dagegen eine ganz eigene Handschrift zu verpassen, und es mit einem akustischen roten Faden zu versehen, das ist schon etwas anderes – erst recht bei einem Debüt. Gelungen ist das gerade George Fitzgerald. Sein Debütalbum Fading Love beweist, dass er nicht nur ein inspirierter und souveräner Produzent ist, sondern auch den ziemlich guten Riecher seines Labels Domino Records beim Aufspüren neuer Talente.


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Schutt abzuladen oder sich die TÜV-Plakette zu holen, mögen auf den ersten Blick wenig einladend wirken, Fitzgerald empfindet die freiwillige Einsamkeit allerdings als echten Standortvorteil: „Es ist meine kreative Insel: kein Handy, kein Internet, kein Cafe. Wenn ich etwas essen will, muss ich eine halbe Stunde bis zum Ikea laufen“, berichtet der Dreißigjährige lachend und ergänzt, dass das bunte Spektrum der Mieter, das von Gabba-Produzenten über Rockbands bis hin zu Jungs, die einfach nur in Ruhe kiffen und Playstation spielen wollen, reicht, einen wohltuenden Gegensatz zu der unspektakulärsten Optik des Betonriegels bildet. Conny Planks Mischpult Erstaunlicherweise genügten dem Musiker bereits seine kleinen DynaudioMonitore, um im dem 25-Quadratmeter-Raum eine ausreichende Kontrolle über das akustische Geschehen seiner Stücke zu erhalten. Fitzgerald wusste allerdings schon während der Arbeit, dass der finale Mixdown in einem Studio in London (Club Ralph) erfolgen würde. Dort steht – in Privatbesitz von Mark Ralph – eines der beiden legendären Mischpulte aus dem ehemaligen Studio von Conny Plank (das andere steht im rock’n’popmuseum in Gronau), durch dessen Schaltkreise dereinst schon die komplette Mischung von „Autobahn“ (Kraftwerk) lief. Gefragt, warum er als Lebensmittelpunkt Berlin den Vorzug gegenüber London gegeben habe, entgegnet der Musiker, dass er immer das Gefühl hatte, dass die Musikrezeption in England stark von der Suche nach Jugend und dem „nächsten großen Ding“ geprägt sei. Er sagt grinsend, dass es natürlich schön sei, wenn man jung und gut ist. Viel zu oft reiche es in Großbritannien allerdings, jung zu sein. In Deutschland dagegen kenne er keinen wirklich erfolgreichen DJ oder Produzent, der unter dreißig ist. Er glaubt, dass es hierzulande in der Wahrnehmung des Publikums viel normaler und selbstverständlicher sei, sich als Künstler langsam zu entwickeln.

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atsächlich war der Wunsch nach Homogenität bereits in der Planungsphase des Albums fest verankert. „Es gibt so viele Alben, wo ich mich frage, warum die Künstler ihr Material nicht auf vier EPs gepackt haben. Es ist doch scheiße, wenn da kein durchgängiges Konzept hörbar ist“, befindet der gebürtige Engländer, der nach über zehnjährigem Verweilen und Studium in der Hauptstadt ein perfektes Deutsch spricht – inklusive eines respektablen Repertoires an Kraftausdrücken. Er habe sich daher von Anfang an ein striktes Konzept auferlegt. Eine der Regeln dabei war, keine Klangerzeuger-Plugins zu verwenden. Außerdem sollte nichts gesamplet, sondern alles aufgenommen und dabei jedem Klangerzeuger eine feste Rolle zugewiesen werden. Eines der Instrumente, die ihren festen Platz im Klangaufbau des Albums bekommen haben, war beispielsweise der Roland SH-101, mit dem Fitzgerald sämtliche Basslinien gespielt hat. Und tatsächlich ist es gerade der typische 101-Sound, der immer ein bisschen nach Plastik klingt, dabei aber auch plastisch und mit einer robusten Sprungkraft aus den Boxen perlt, der den Charakter der Stücke maßgeblich prägt. Als Flächenlieferant legte sich Fitzgerald auf den Prophet-8 fest – das Meisterstück von Dave Smith, das fast schon als Synonym für den wachsenden Erfolg von neu designten Analogsynthesizern gelten darf. Aber auch der Rest des Geräteparks, den Fitzgerald in seinem Studio in einem verwaisten Industriegebiet in Berlin-Marzahn aufgebaut hat, geht ganz klar in Richtung charaktervoller Analogsounds. In dem Raum mit Tageslicht herrscht ein friedliches Miteinander von alten Klassikern wie einem Prophet-5 (Sequential Circuits), Juno-60 (Roland) und MonoPoly (Korg) und neueren Vertretern wie einem Prophet-8 (Dave Smith), Machinedrum (Electron) und Sub Phatty (Moog). Die Räume, die fernab jeglicher hauptstädtischer Gastro-Annehmlichkeiten gelegen sind und wo andere Berliner für gewöhnlich nur hinfahren, um die Reifen zu wechseln,


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„Kein Handy, kein Internet, keine Cafés“

Lebendige Fehler Das scheint dem Wesen von Fitzgerald, der keinen Satz unüberlegt oder hastig spricht, nicht nur in menschlicher, sondern auch musikalischer Hinsicht sehr entgegenzukommen. Denn fraglos gehört er zu jenem Schlag Musiker, die den Entstehungsprozess von Musik, das Erforschen von Signalwegen, das tentative Experimentieren klar über schnelle Ergebnisse mit vorgefertigten Lösungen stellen. Exemplarisch war für ihn der Erstkontakt mit Steuerspannung. Er gesteht, dass er diese bis zum Roland 101 CV/Gate noch gar nicht richtig kannte und im Glauben war, es sei nur ein einfacher Vorläufer von Midi. Erst bei der praktischen Arbeit habe er verstanden, dass es viel interessanter ist: „Es ist halt wirklich Strom, der da steuert. Es ist wirklich anders – vor allem weil lebendige Fehler passieren.“ Auch beim Entwickeln von Drumsounds geht Fitzgerald den mühsameren Weg und baut – abgesehen von der 909, die als ständiges Metrum mitläuft – alle Sounds selber. Er ist überzeugt, dass man durch das eigenständige Entwerfen und Schichten von Klängen immer zu interessanteren Ergebnissen gelange als durch den Einsatz von Samples. Auch bei der Aufnahme seiner Gastsänger (Lawrence Hart und Boxed In) wollte Fitzgerald nicht nur eine optimale Qualität, sondern auch einen charaktervollen, ikonosonischen Sound erreichen. Dazu lieh er sich beim Berliner Equipment-Verleih Echoschall, dessen Besitzer Carsten Lohmann über einen liebevoll kuratierten und sorgfältig gepflegten Bestand von ausgezeichneter Studiohardware wacht, den einschlägig bekannten Klassiker: das Neumann U-87. Am Ende ist Fitzgerald aber vor allem eines: Ein neugieriger Produzent, der es versteht, sich mit dem nötigen Forschungsdrang und Gespür für Sounds und Strukturen an einer Sache festzubeißen, ohne in Routine zu verfallen. Und am Ende bleibt offen, ob es nun trockener britischer Humor oder bereits ein Entschluss ist, als er mit einem Lächeln sagt: „Vielleicht verkaufe ich auch beim nächsten Album alle Geräte und mach alles in FL Studio.“ Text: Numinos Fotos: Sibilla Calzolari

Equipment (Auswahl) Monitore: Dynaudio BM5A MKII Klangerzeuger: Prophet-5 rev 2, Prophet-8, Roland Juno-60, Korg Mono/ Poly, Roland SH101, Moog Sub Phatty, Korg MS20 Mini, Roland TR 909 Outboard: iMac, Ableton Live & Pro Tools, Focusrite Saffire 24 Interface, Universal Audio 4-710d Preamps, 2 x Golden Age Preamps, Universal Audio Quad, Shure SM7B, U-He Diva

Studiotipp: Remikrofonierung Wer seinen Audiospuren – egal ob Vocals, Synths oder Drums – noch ein wenig Patina und Analog-Mojo mit auf den Weg geben will kann, wie es George Fitzgerald auf fast allen Stücken seines Albums Fading Love gemacht hat, zum Mittel der „Remikrofonierung“ (engl. Remicing) greifen. Dabei spielt man die entsprechende Spur über einen Lautsprecher oder Amp ab und nimmt sie zeitgleich mit einem Mikrofon wieder auf. Dabei kann man natürlich hochwertige Lautsprecher und Mikrofone einsetzen. Weitaus interessanter ist allerdings der Einsatz von eher trashigen Kombinationen, da hierdurch entsprechend charaktervolle Frequenz- und Verzerrungsmuster entstehen (Fitzgerald nutzte beispielsweise den internen Lautsprecher eines ARP 2600 und eines Apple Notebooks). Die so gewonnene Aufnahme addiert man dann (natürlich phasensynchron – also zeitlich genau deckungsgleich mit dem Originalsignal) zum Ausgangsmaterial. Für das Mischverhältnis gibt es keine Regel – erlaubt ist, was gefällt.


John Frusciante alias Trickfinger

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ch habe immer jede Musik, die mit elektrischen Instrumenten gemacht wird, als elektronische Musik angesehen. Als in den Neunzigern der ganze gute Techno und Jungle auftauchte, habe ich davon nichts mitbekommen. Nachdem ich meine Drogensucht überwunden hatte, wurde ich aber richtiggehend besessen von der Musik. Ich stieg wieder bei meiner alten Band [Red Hot Chili Peppers, Anm. d. Red.] ein und begann langsam, mir Synthies, Sampler und Drum Machines zu kaufen. Bald entdeckte ich nicht nur Labels wie Rephlex, Warp, React oder XL, sondern stieß auch auf die Analord-Serie von Aphex Twin und war fortan fest entschlossen, erst mal alles zu vergessen, was ich von den großen Toningenieuren der Industrie gelernt hatte. Als ich die Band dann verließ, hatte ich eine klare Vision von meinem Weg und direkt nach der letzten Tour 2007 habe ich die Trickfinger-LP aufgenommen. Damals war ich noch inmitten der Produktion von The Empyrean, von dem ich wusste, dass es mein letztes Rockalbum sein sollte, weil Acid meine Priorität wurde und ich es eigentlich auch satthatte, mit anderen Leuten zu arbeiten. Im Sommer 2008 traf ich dann Aaron Funk, mit dem ich bis heute sechzig Stunden Live-Material für unser Projekt Speed Dealer Moms gesammelt habe. Das war die beste und wertvollste Lernerfahrung meines Lebens: Musik mit einer anderen Person zu machen, der es vollkommen egal ist, was der Rest der Welt darüber denkt oder ob sie jemals veröffentlicht wird. Mit dieser Haltung ist Trickfinger entstanden und jeder Track so geworden, wie er nun mal geworden ist. Um das Resultat war ich nicht besorgt, weil ich mich ganz dem Prozess hingegeben habe. Die Musik auf Trickfinger habe ich durch einen billigen Mixer auf CD gebrannt – alles live, keine Overdubs. Es ist zwar sieben Jahre her, aber wenn ich mich recht entsinne, habe ich für „After Below“ eine 303, 606, 808, 101, 202, ein ARP 2500 und einen EMT 250 Reverb Plugin benutzt – und über

einen 16-Kanal Mackie Mixer auf einen Tascam CD RW-2000 an einem einzigen Tag aufgenommen. Mit der 606 die straighte Kick, dazu den 303-Teil, der sich im ganzen Track wiederholt, dann die Hauptmelodie auf einem Sequenzer (vielleicht auch auf der 202), ich manipulierte den ARP 2500 durch das EMT, fügte noch eine zweite Melodie mit 202 hinzu, eine 808-Snare, 101-Noise und Trig-outs von der 606. Es gibt keine Hi-Hats oder Becken auf dem Track, auch wenn der Noise sich manchmal wie ein Beckenschlag anfühlt. Die 606 macht diese klickenden Sounds, die etwas undicht klingen, was wohl jeder professionelle Toningenieur nicht toleriert hätte, aber für mich ist das Ungewollte auch Teil des Spaßes. Während ich die 101 und 202 per Hand manipuliert habe, benutzte ich damals noch das „Song Mode“ von Roland, sodass 808-Snare und ARP-Melodie so programmiert waren, dass sie während des Tracks immer rein- und rausgekommen sind, ohne dass ich etwas machen musste. Analoge Maschinen sind einfach großartig und eine Erweiterung der natürlichen Welt. Sie klingen super und es macht Spaß, mit ihnen zu spielen, während Computer gut darin sind, Befehle auszuführen. „After Below“ ist schön, weil ich kaum etwas gemacht habe. Es ist eigentlich meine Natur, hart zu arbeiten und mich selbst herauszufordern. Ich mag Schwierigkeiten, Komplikationen ziehen mich an. Bei diesem Song war ich aber einfach nur easy-breezy, und ich schätze mal, dass sich der Vibe auch so easy-breezy anfühlt. Es ist ein tolles Gefühl. PROTOKOLL: SEBASTIAN WEIß Foto: Ben Gibbs Das Album Trickfinger des gleichnamigen Projekts von John Frusciante erschien Anfang April bei Acid Test.

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Wie entsteht eigentlich ein Stück Musik? Was war die Anfangsidee und welche Veränderungen durchläuft es, bis es fertig ist? In dieser Rubrik lassen wir Produzenten die Entstehungsgeschichte zu einem ihrer Tracks erzählen. John Frusciante über „After Below“ aus dem Album seines Trickfinger-Projekts.

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über „After Below“


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