Die Zeitschrift der Neuen Z端rcher Zeitung, November 2011
Verantwortung Wer 端bernimmt sie?
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Es gibt noch etwas Besseres als einen Nespresso Grand Cru.
e d itori a l
Ich kann doch nichts dafür Viele reden gern von Verantwortung – solange sie sie anderen zuschieben können. Denn wer sie übernimmt, hat mit Fallstricken zu rechnen.
Als wir vor über einem Jahr ein Heft zum Thema Verantwortung beschlossen, war nicht absehbar, in welch turbulenten Zeiten es erscheinen würde. Schuldenkrise, Griechenlandkrise, Bankenkrise, Eurokrise – Krisen, wohin man blickt, und jede davon ist auch eine Krise der Verantwortung. Alle reden von ihr. Aber wer trägt sie eigentlich? Das Trauerspiel, das in Brüssel (und nicht nur dort) zurzeit gespielt wird, trägt den Titel «Organisierte Verantwortungslosigkeit». Es scheint in vielem eine Reprise der Finanzkrise 2008 zu sein. Das zeigt die Geschichte, die Richard Sennett in diesem Heft erzählt. Er hat nach dem Drama an der Wall Street viele der Protagonisten zu ihrer Rolle befragt und festgehalten, wie sie sich ihrer Ver antwortung entzogen haben. Aber das Problem der Verantwortung stellt sich nicht nur in der internationa len Politik und Hochfinanz. Unser Heft beleuchtet ihre Tücken auch in anderen Lebensbereichen. Etwa im Verhältnis zwischen Mensch und Maschine, das mit der fortschreitenden Technik immer komplizierter wird. Wer ist verantwortlich, wenn der Parkierassistent einen Blechschaden verursacht? Wenn der Hirnschritt macher seine Trägerin zur Kleptomanin macht? Burkhard Strassmann berichtet von den bizarren Rechtsproblemen, die auf uns zukommen. Um Schwierigkeiten überraschender Art geht es in der Geschichte über die Beziehung zwischen Behinderten und ihren persönlichen Assistenten. Das Mo dell, das ab Januar 2012 auch in der Schweiz eingeführt wird, erlaubt Behinderten, ihre Betreuer selber anzustellen. Sind diese nun eher Diener oder Lebensgefähr ten? Tom Shakespeare erzählt – aus eigener Erfahrung –, was es bedeutet, den Tag mit einem persönlichen Assistenten zu teilen. Andere wiederum müssen mehr Verantwortung übernehmen, als man ihnen zumuten möchte. Kinder wie die 14jährige, die für die arbeitende Mutter ein kauft, kocht und die kleine Schwester betreut. «Sie ist immer da. Und die Verant wortung für sie gehört für mich halt einfach dazu», sagt sie in unserem Heft. So selbstverständlich kann man sie tragen, selbst wenn man noch ganz schmale Schultern hat. Daniel Weber PS: Tour de Suisse – das schwierigste Rätsel der Schweiz sorgte letzten Monat für Verwirrung (siehe Leserbriefe S. 72); das Rätsel geht auch in diesem Heft weiter.
b i ld e r
Verantwortung Der Illustrator Felix Scheinberger aus Berlin hat für uns das Heftthema interpretiert.
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i n h a lt sV e r Z e iCh n i s
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th e m a : V e r a nt Wortu nG
18 auftakt
titelblatt Von Max Grüter und Patrick Rohner editorial Ich kann doch nichts dafür. Von Daniel Weber beim Coiffeur «Bei mir wollen alle den Pasapasa». Von Regula Lehmann seitenblick Loblied auf den Pilz. Von Luca Turin icon poet Lohnerhöhung. Zerlegt Schweres Gerät mit luftiger Sohle. Von Jeroen van Rooijen rätsel Generation X. Von CUS binders Vexierbild Wo ist John Maynard? Von Hannes Binder liebhaber Otto Schily. Von Anja Jardine
20 die rechte hand
Persönliche Assistenten revolutionieren das Leben der Behinderten. Von Tom Shakespeare 26 show des scheiterns
Erfahrungsbericht eines Konsumenten, der versucht, verantwortungsvoll zu sein. Von Florian Leu 30 sie wissen nicht, was sie tun
Das ungeduldige Kapital hat die einst gemächliche Finanzindustrie umgekrempelt. Von Richard Sennett 37 Vorzeitiger Gefechtsabbruch
Die Begrenzung der Macht ist das A und O der Schweizer Politik. Von Martin Senti 40 auf schmalen schultern
Manchmal sind die Rollen vertauscht: Kinder kümmern sich um ihre Eltern. Von Gabrielle Kleinert 44 schwerwiegende entscheide
Eric Honegger trug grosse Verantwortung in Politik und Wirtschaft – und scheiterte. Von Daniel Weber 47 der juristische roboter
Wer ist verantwortlich, wenn der Parkierassistent das Auto zu Schrott fährt? Von Burkhard Strassmann 54 blick in den spiegel
Selbstverantwortung propagieren vor allem jene, die uns bevormunden wollen. Von Konrad Paul Liessmann 59 Äpfel und birnen
Das Zauberwort Corporate Social Responsibility führt in die Irre. Von Beat Gygi 62 in jeder beziehung glücklich
Michel Vincent weiss als Flirtcoach, wie Liebe ohne Verantwortung funktioniert. Von Franziska K. Müller
richard sennett über die Wall street. s. 30
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schlaglicht Der elektronische Reisswolf. Von Wolf Schneider das experiment Das Abenteuer des Jahrhunderts. Von Reto U. Schneider Vom Fach Im McDonald’s. Von Elio Thalmann Wer wohnt da? CityFlitzer. Von Gudrun Sachse am herd Im Pfefferland. Von Andreas Heller leserbriefe Folio Folies Von Gerhard Glück Vorschau / impressum
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b e i m Co i FFeu r
«Bei mir wollen alle den Pasa-pasa.» Alfredo Espinoza war Polizist und studiert heute Rechtswissenschaften. Sein Leben verdient er als Coiffeur. Einmal Haare schneiden, bitte!
alfredo espinoza, david, panama, ist 40 Jahre alt, verheiratet und hat zwei Söhne im Alter von 10 und 13 Jahren. Die Familie wohnt im eigenen Haus in der Stadt David. Vor zehn Jahren wurde Espinoza Coiffeur, seit fünf Jahren arbeitet er in seinem eigenen Salon, den er mit einem Kollegen teilt. Er verdient 300 bis 400 Dollar im Monat, nachdem er Steuern und die Salonmiete von 200 Dollar abgezogen hat. tu imagen Der Salon ist in einer ruhigen Gewerbestrasse, nahe dem Hauptplatz Davids. Die Stadt liegt an der Panamericana an einem zentralen Verkehrsknotenpunkt Panamas und wird häufig von Touristen auf der Durchreise besucht. Espinozas grösster Stolz sind zwei rote Coiffeursessel aus dem Chicago der 1960er Jahre. preis für einen haarschnitt Männer zahlen 2 US-Dollar für Haarschnitt oder Rasur, Hautpuder und Haargel inklusive. panama Einwohner: BIP pro Kopf: Milch: Brot: Kinobillett: Zigaretten: Taxi:
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3,5 Mio. 15 350 Dollar 1 Liter 1.30 Dollar 1 kg 1.84 Dollar 4 Dollar 5 Dollar 10 km 3 Dollar
Welcher Haarschnitt ist im Moment angesagt? Bei den Männern sind kurze Haar schnitte beliebt, Rasuren und das Schnei den von Schnauzbärten werden bei mir aber ebenso häufig verlangt. Ich habe ausschliesslich männliche Kunden, die Damen bedient mein Kollege. Haben Sie eine spezielle Methode? Ich habe sogar einen eigenen Schnitt kreiert, den Pasapasa. Meine Kunden wollen alle einen Pasapasa haben. Wie schneiden Sie einen Pasa-pasa? Ich kürze die Haare auf beiden Seiten mit dem Rasierapparat auf etwa zwei bis drei Millimeter. Auf der Kopfoberseite lasse ich sie etwas länger. Danach korri giere ich den Haaransatz im Nacken und um die Ohren herum mit einer neuen, scharfen Rasierklinge, so wie es sich für einen schönen Haarschnitt gehört. Warum sind Sie Coiffeur geworden? Ich arbeitete früher als Polizist, habe aber vor zehn Jahren aufgehört. Danach bin ich Coiffeur geworden. Es gefällt mir, und man verdient gutes Geld. Weshalb sind Sie nicht mehr Polizist? Die Polizeiarbeit gefiel mir nicht. Recht und Gesetz hingegen faszinieren mich nach wie vor, deshalb will ich An walt werden. Nach Feierabend studiere ich Rechtswissenschaften mit Schwer punkt Strafrecht. Mit dem Haareschnei den finanziere ich mein Studium und er nähre meine Familie. Wie haben Sie das Handwerk erlernt? Ich habe alles meinem Kollegen abge schaut. Als guter Beobachter brauchte ich nicht lange, bis ich das Haareschneiden im Griff hatte und meinen eigenen Stil entwickeln konnte. Was sind Ihre Zukunftspläne? IchschliessemeinStudiumindreiJah ren ab. Ob ich dann noch als Coiffeur ar beiten werde, wird sich zeigen. Das hängt natürlich von meinen beruflichen Chan cen als Anwalt ab. Wer schneidet Ihre Haare? Meine Frau. Sie macht das sehr gut. Haben Sie viele Stammkunden? Ja, ich habe viele Studenten und Ge schäftsleute. Unter meinen Stammkun densind einigeProminenteausder Stadt
politik und natürlich der Polizeichef. Sogar Baseballspieler aus Chicago lassen sich von mir die Haare schneiden, wenn sie in Panama in den Ferien sind. Wie kamen Sie denn zu dieser Ehre? Es hat sich wohl herumgesprochen, dass ich einen guten Pasapasa schneide. Das schmeichelte mir sehr. Wem würden Sie gerne die Haare schneiden? Ich mag die Kunden, die ich habe. Aber den Baseballspielern habe ich be sonders gerne die Haare geschnitten. Wann ist eine Frisur aus Ihrer Sicht gelungen? Wenn sie meine PasapasaHand schrift trägt. Was gefällt Ihnen an Ihrer Stadt? Dass hier Touristen aus aller Welt sind. Der Tourismus macht unsere Stadt le bendiger, die Strassen sicherer, und er hilft dem Gewerbe. Was gefällt Ihnen an diesem Stadtteil? Hier gibt es von jeher viele «salas de belleza», Schönheitssalons. Das ist Tradi tion. Ausserdem gibt es viele andere klei ne Geschäfte in diesem Quartier, wie zum Beispiel den Schneider, den Schuhma cher und ein Lederwarengeschäft. Wohin gehen Sie, wenn Sie ausgehen? Ich arbeite montags bis samstags bis 19 Uhr sowie am Sonntagvormittag. Da nach studiere ich. Daneben habe ich kaum noch Freizeit. Wenn ich aber ein mal ausgehe, dann gehe ich einkaufen oder ins Kino. Wo machen Sie Ferien? Wir machen nie Ferien. Am Sonntag nachmittag fahren wir manchmal ans Meer oder zum Picknick in die Natur. Worüber sprechen Sie mit Ihren Kunden? Über die Lotterie, das ist das Haupt thema. Wir erzählen einander, wie viel wir verspielt haben, und diskutieren die Gewinnchancen. Wenn Wahlen anste hen, sprechen wir natürlich darüber. Ehr lich gesagt, kommen die Leute nicht in erster Linie zum Haareschneiden zu mir, sondern für ein gutes Gespräch. Bei mir können sie sich die Sorgen von der Seele reden. regula lehmann
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s e ite n b liCK
iCon poe t
Loblied auf den Pilz
Lohnerhöhung
Pilze sind rätselhafte Kreaturen. Manche wollen einen umbringen, andere sind die pure essbare Glückseligkeit.
Gute Gründe, weshalb der Chef das Gehalt verbessern sollte.
Wenn Sie Hobbies lieben, an denen Sie lange Freude haben, wie süsse Weine trinken oder Tatra fahren, dann empfehle ich Ihnen: Sammeln Sie Pilze! Pilze ma chen es Ihnen leicht, zu entflammen. Sie tauchen über Nacht vor Ihnen auf wie rät selhafte Fremde in einer wohlvertrauten Bar. Sie bleiben nicht so lange wie ein Fa milienbesuch oder eine Jahrhundert eiche. Sie sind nicht grün wie Pflanzen, und sie brauchen keine Sonne. So sehr wir uns daran gewöhnt haben, im Grunde ist das ganze grüne Zeug doch unbeschreiblich öde. Pilze stammen aus einem anderen Designbüro, wie ein in der freien Natur vorkommendes Alessi Accessoire: hinreissende Formen, leben dige Textur, lustige matte Farben. Dabei ist mit ihnen nicht zu spassen: Mindes tens eine europäische Spezies hat es dar auf abgesehen, Sie umzubringen, an wei teren können Sie schwer erkranken. Es gibt nicht sehr viele Arten, so dass Sie über kurz oder lang alle erkennen und damit angeben können. Pilze verführen Sie zu langen Spaziergängen, bei denen Ihnen das Herz aufgeht, aber im Unter schied zum Golf brauchen Sie weder be sondere Fähigkeiten noch Schuhe mit Spikes. Nicht zuletzt verschärfen Pilze die schlummernden Gegensätze zwischen den Nationen: Wenn Sie in Südostfrank reich Pilze suchen, bekommen Sie es mit furchterregenden Italienern zu tun, ge hen Sie in Südengland auf die Jagd, sind die Polen immer schon vor Ihnen aufge standen. Was lässt sich mit einem Körbchen voller frischer Steinpilze vergleichen?
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Die getrockneten aus dem Supermarkt schmecken kräftiger, aber frische Porcini verkörpern eine wichtige Vorstellung: die von reinem Schmutz. Nichts auf der Welt ist reiner als ein Pilz, ganz gleich, wie viele modrige Blätter an ihm kleben und wie viele Schnecken ihre Initialen in seinen Hut graviert haben. Pilze halten nicht lange, sondern zerfallen auf rätselhafte Weise zu braunem Staub. Frisch sind sie so betörend wie eine Kugel Glace, so sau ber wie der Gaumen einer Katze und so fremdartig wie eine Qualle. Pilze sind Dandies: Während alle anderen sich dem Wetter entsprechend kleiden, bestehen sie auf einer gelben Melone und weissen Gamaschen. Ja, wie jeder echte Dandy lassen sie uns niemals spüren, wie viel Arbeit ihre Anmut gekostet hat. Der Pilz selbst ist ja nur der sichtbare Teil einer riesigen, unförmigen, unter irdischen Kreatur, die in der Dunkelheit rackert. Dabei ist dieses hirnähnliche Netzwerk von Zellen zu eigenständigem Denken fähig: Wie bei Vögeln oder Koral lenfischen besteht ihr Lebenszweck of fenbar darin, zu verblüffen und zu gefal len. Einmal habe ich einen lila Dickfuss gefunden, von Kopf bis Zeh in Kirchen purpur gehüllt. Er wirkte so fehl am Platz, dass ich mich seiner erbarmt und ihn zu mir nach Hause genommen habe. Pas senderweise roch und schmeckte er nach biblischer Zeder. Als ich klein war, hatte meine Familie einen einflussreichen, korrupten Freund, der allerdings nur mit Naturalien besto chen wurde. Ein Mensch aus dem Pie mont pflegte ihm so viele Trüffeln zu schenken, dass er sie nicht selbst ver zehren konnte. Darum hatten wir zu je der Mahlzeit ein kleines Weidenkörb chen mit weissen Trüffeln aus Alba auf dem Tisch stehen. Nur die wenigsten Dinge bleiben luxuriös, wenn man sie im Überfluss besitzt. Aber diese Pilze waren und blieben eine Kostbarkeit: Jede Trüf fel war einzeln aufgespürt und nicht etwa nur gefunden, geerntet oder hergestellt worden. Jede war ein essbares Stückchen Glückseligkeit.
Chef, Sie sind ein Glückspilz. Sie haben Geld in der Tasche, spielen mit Ihren Kin dern Federball und füttern Enten im Park. Fehlt nur noch, dass Sie aus Langeweile ein Puzzle legen. Ich mache die Arbeit im Büro und brauche dringend eine Lohner lotty a. schellenberg, Zürich höhung. Wer hat die Ente in die Welt gesetzt, Federbälle würden aus selbigen hergestellt? Sie. Und die fliegenden Pilze? Auch Sie. Wer muss jeweils die Dementi verfassen? Ich. Und wer hat wen in der Hand und in der Tasche? Ich Sie. Und das fehlende Puzzleteil heisst? Na? Jawoll: Gehaltser sabine roth, münchenstein höhung. Hey Chef, habe dich letzte Nacht mit ei nem jungen Vögelchen gesehen – federleicht ist sie an deiner Seite gehüpft mit ihrer trendigen Pilzfrisur und dem teuren GucciTäschchen. Mein Schweigen sollte dir eine 30%Lohnerhöhung wert sein, ansonsten kenne ich jemanden, der dich bei dir zu Hause in tausend Einzelteilchen stephanie bucher, bern zerlegen wird. machen sie mit: Schreiben Sie eine Horrorszene. Sie muss fünf aus den unten abgedruckten Symbolen abgeleitete Worte enthalten (auch im übertragenen Sinn). Die besten Texte werden abgedruckt und mit dem Spiel «Icon Poet» der Gebrüder Frei belohnt (im Buchhandel erhältlich). Schicken Sie Ihren Beitrag bis zum 14.November an iconpoet@nzz.ch oder an NZZ Folio, Icon Poet, Postfach, 8021 Zürich. Öffentlich ausgetragene Icon-Poet-Spiele finden demnächst in der Zürcher Buchhandlung am Hottingerplatz statt, Termine unter www.buchah.ch.
luca turin Illustration: Fabienne Boldt
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Z e rleGt
Schweres Gerät mit luftiger Sohle Der robuste Schuh, der ursprünglich als Arbeiterstiefel entworfen wurde, machte auch in ganz unterschiedlichen Jugendkulturen Karriere. Er gehört bei Skinheads und Punks zur Uniform. Ohne den Zweiten Weltkrieg gäbe es die «Docs», die Arbeiterstiefel von Dr. Mar tens, nicht. Als Deutschland 1945 in Trümmern lag, entwickelte der ehemali ge Wehrmachtarzt Klaus Märtens aus ob solet gewordenem Kriegsmaterial etwas Neues: Aus einigen Tonnen Gummi der Luftwaffe und den Lederstücken von Offiziershosen fertigte er seinen ersten Schuh. Als Einlage dienten Filzepaulet ten von Uniformjacken. Die Schuhe verkauften sich gut. Schon 1952 konnte Märtens mit seinem Studien kollegen Herbert Funck bei München eine erste Fabrik eröffnen. Und es dauerte nicht lange, bis die robusten Stiefel mit der weichen Gummisohle das Interesse eines Mitbewerbers weckten: Bill Griggs, Geschäftsführer des englischen Tradi tionsbetriebs R. Griggs & Co., übernahm die Lizenz für die Erfindung des Herrn Märtens, anglisierte den Namen und nahm 1960 in London die Produktion auf. Die Schuhe kamen bei der Zielgruppe – Fabrikarbeiter und Postboten – bestens an. Sie wurden zum Erkennungszeichen der «working class» – und zum politi schen Statement. Sozialisten trugen Docs im britischen Parlament, und Docs tru gen auch die jugendlichen Mods, aus de nen später Skinheads wurden. Was die Punks ein Jahrzehnt später nicht daran hinderte, ihre Füsse auch in Dr.Martens Stiefel zu stecken. Und der Rockmusiker Pete Townsend von The Who bekannte, er gehe mit einer Flasche Cognac und ei nem Paar Docs zu Bett. Heute, im Zug der Renaissance der Handwerkskunst und im Fahrwasser der VintageKultur, entdeckt eine neue Ziel gruppe die englischen Docs – und stellt ernüchtert fest, dass diese nicht mehr in Cobbs Lane, Northamptonshire, son dern in Asien gefertigt werden. Bittere Ironie der Geschichte des populären Ar beiterstiefels: 2003 verloren durch die Verlagerung der Produktion nach Viet nam, China und Thailand tausend Briten ihre Stelle. R. Griggs & Co. hat sich aller dings ein kulturelles Feigenblatt zugelegt und eine Version des Stiefels lanciert, die noch nach alter Schule in den ursprüngli chen Werkstätten gefertigt wird.
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schnürstiefel, leder und Gummi, dr. martens, 239 Franken.
Die Verarbeitung des Stiefels ist – wie nicht anders zu erwarten – robust und aufs Wesentliche reduziert. Die Schaft teile aus weinrotem Rindsleder stanzt der «Clicker» mit einer mächtigen Hydraulik presse. Die Fersennaht wird mit einem Lederstreifen zusätzlich verstärkt, an dessen oberem Ende sich eine Lasche be findet, mit deren Hilfe man den Stiefel anzieht. Die Seitennähte werden drei fach abgesteppt. Nach dem Einschlagen der Ösen, auf jeder Seite der Schnürungs leiste acht, wird das Leder über einen Kunststoffleisten gezogen und mit viel
Druck und Hitze in Form gebracht. Pièce de résistance der Stiefel sind die mit Luft polster gefüllten, öl und säurebeständi gen Gummisohlen, die in eigener Pro duktion gegossen werden. Nachdem die währschafte Sohlenumrandung mit dem für Docs typischen gelben Faden am Schaft festgenäht ist, werden Schuh und Sohle mit einem glühenden Eisen ver schmolzen, der Rand geschliffen und die Stiefel zur Auslieferung aufpoliert. (Der zerlegte Stiefel ganz: Seite 72.) Jeroen van rooijen Foto: Patrick Rohner
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Dem Strom vorausfahren.
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Der Audi Q5 hybrid quattro. Unser nächster grosser Schritt zur emissionsfreien Elektromobilität. Gerüstet für die Zukunft: Audi hat den 2.0 TFSI-Motor mit einem leistungsstarken Elektromotor kombiniert. Entstanden ist ein Hybrid, der durch geringen Verbrauch und kraftvolle Beschleunigung überzeugt. Dank moderner Lithium-Ionen-Batterie ist rein elektrisches Fahren bis 100 km/h erlebbar. Ausserdem ist der Audi Q5 hybrid quattro mit permanentem Allradantrieb ausgestattet – für eine dynamische und effiziente Fahrperformance. Mehr Infos bei Ihrem Audi Händler und auf www.audi.ch/q5 Audi Q5 2.0 TFSI hybrid quattro, 180 kW (245 PS), 1984 cm3. Normverbrauch gesamt 6,9 l/100 km. CO 2 -Emissionen: 159 g/km (188 g/km: Durchschnitt aller Neuwagenmodelle). Energieeffizienzkategorie A.
r Äts e l
Generation X Wer waren die bodenständigen Einwanderer, die für ein halbes Dutzend Generationen vorausdachten und Verantwortung übernahmen? Raten Sie mit – und gewinnen Sie! als bodenständig, ja als Verkörperung traditioneller Schweizer Werte. Beson ders zahlreich sind sie im Kanton Genf vertreten. Wie werden die bodenstän digen Einwanderer üblicherweise ge nannt? (Falls Sie in einer der möglichen Antworten den Namen des Autors ent decken, ist auch das nicht falsch.)
Wie weit reicht Verantwortung? Reicht es, wenn wir für uns selbst Verantwor tung übernehmen, womit mancher schon überfordert ist? Oder gilt es in ei nem zweiten Schritt, den mancher vor dem ersten tut, Verantwortung für ande re zu übernehmen, im klassischen Fall also eine Familie zu gründen? Doch was ist das für eine Verantwortung, die nicht eine, sondern fünf Generationen voraus denkt, mindestens, oder auch sieben, acht, neun? Diese Verantwortung gibt es schon seit Jahrhunderten. Dabei geht es nicht um wolkige Ziele wie Klimaschutz oder Schuldenbremse für unsere Enkel. Dabei geht es um einen ganz konkreten Nutzen für die Generation der Urururenkel. Die soll was davon haben. Andererseits soll sie dann auch nicht bloss aasen, sondern muss ihrerseits ein halbes Dutzend Ge nerationen vorausdenken. Und was ist das für ein konkreter Nut zen? Letztlich haben wir alle etwas da von. Etwa die Einwohner von Rapperswil. An der Stelle, an der ein Chronist feststell te, dass dort im Lauf der Jahre über 500 Menschen zu Tode gestürzt seien. Dort kann man den Nutzen sehen, anfassen, betreten. Zu verdanken haben wir den Nutzen Einwanderern. Widrige Lebensumstän de hatten ihnen das Leben in der Schweiz verharzt, doch kehrten sie viele Jahre spä ter zurück, vermutlich über die Walliser Alpenpässe, wie es in einer bundesamtli chen Schrift heisst. Der Eisenbahnbau in der Schweiz richtete sie im 19. Jahrhun dert beinahe zugrunde. Heute gelten sie
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Auflösung des Rätsels aus Folio 10/11 Gesucht war Johann August Suter (oder Sutter), der «Kaiser von Kalifornien» und Herrscher von NeuHelvetien. Sein Hei matort war Rünenberg im Baselbiet. Su ter gehörte ein Gutteil des Landes, auf dem1848derGoldrauschvonKalifornien ausbrach. Stefan Zweig stellt in seinen «Sternstunden der Menschheit» zweimal fest, dass Suter der reichste Mann der
ganzen Welt sei: 1848, als das Gold gefun den wurde, und 1855, als ein USGericht Suter als Eigentümer des geraubten Lan des anerkannte. Von Suters Farm aus wurden 1847 die Überlebenden des Sied lerTrecks der DonnerParty gerettet. einsenden und gewinnen: Wer das Rätsel gelöst hat, kann die Antwort an folioraetsel@nzz.ch schicken (oder per Post an Verlag NZZ Folio, Rätsel, 8021 Zürich). Aus den Einsendern der richtigen Lösung wird ein Gewinner ausgelost, der eine exklusive Folio-Tasche erhält. Einsendeschluss ist der 14. November; der Rechtsweg ist ausgeschlossen. Ende 2011 werden alle Monatsgewinner überdies zu einem Nachtessen mit dem Rätselmeister CUS eingeladen. Gewinner des Oktober-Rätsels ist René M. Suter aus Fällanden. Cus Illustration: Anna-Lina Balke
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Wo ist John Maynard?
Aus Gründen des Urheberrechts nicht elektronisch erhältlich.
auflösung auf seite 72.
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li e b h a b e r
Pflicht meines Herzens Der Anwalt und ehemalige deutsche Innenminister Otto Schily spielt seit Kindertagen Klavier und Cello. Am liebsten wäre er Dirigent geworden. Nietzsche hatte recht, sagt Otto Schily, ohne Musik wäre das Leben ein Irrtum. Zwar steht das Cello, einst eigens für ihn bei einem Geigenbauer in Partenkirchen angefertigt, seit geraumer Zeit in der Ecke, Schilys Finger sind eingerostet, an den Kuppen fehlt die Hornhaut, und «wie bei allen Instrumenten, die nicht gespielt werden, weicht aus dem Cello wohl lang sam das Leben». Aber der SteinwayFlü gel lebt, sowohl der in Berlin als auch der in der Toscana. Schily spielt fast täglich. Chopin, Mozart und Bach, das «Wohl temperierte Klavier», «dieses wunderbare CDurPräludium kann ich auswendig, aber beim figurierten DMollPräludium geht schon mal eine Taste daneben». Grieg hat er auch gern. So wie die Stücke von Chatchaturian. «Selbst während der schlimmsten Stammheimer Zeiten», sagt Schily, «war das Klavier immer da.» Der Mann, der in den 1970er Jahren die RAFTerroristen Horst Mahler und Gudrun Ensslin vor Gericht vertrat, ist mittlerweile 79 Jahre alt. Als deutscher Bundesinnenminister von 1998 bis 2005 stand er vor allem für die Verschärfung von Gesetzen und Verordnungen nach 9/11, für den biometrischen Pass, für mehr staatliche Überwachung. Bis vor zwei Jahren sass er für die Sozialdemo kraten im Bundestag. Heute betreibt Schily eine Kanzlei in Berlin Mitte. Die Räume in der Charlottenstrasse sind von schlichter Eleganz, wie Schily auch – sein Markenzeichen schon zu Zei ten des Sozialistischen Deutschen Stu dentenbundes. Auch sein Blick und sein Auftreten lassen noch immer spüren, was seine Frau – wenn auch in anderem Zu sammenhang – «Tonus» nennt. Eine Prä senz, die Aufmerksamkeit fordert. Zweifellos eine dienliche Eigenschaft auf diesem Lebensweg als Anwalt und Politiker, der, wie ein Biograph schreibt, die «deutsche Wirklichkeit geprägt, sei nen Berufsstand, die Nachkriegszeit, den Rechtsstaat und die Parlamente verän dert» habe. Ein Spaziergang war das nicht. Der ältere Herr, der nun in dem Ledersessel sitzt, war streitbar und um stritten. «In der Politik muss man Aggres sionen aushalten, aufpassen, dass man
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«ein unglaubliches erlebnis»: otto schily dirigiert den musikern der «philharmonie der nationen» den radetzkymarsch von Johann strauss.
seinen Ruhepunkt nicht verliert», sagt er. «Ich bin ein impulsiver Mensch, neige auch zu Zorn, da ist die Musik unglaub lich wichtig für mich. Musik hat etwas Stabilisierendes.»
Mit Leocardia durch den Schnee Seine Mutter hat ihm die Musik in die Wiege gelegt. Die Tochter des Direktors der Königlich Preussischen Porzellan manufaktur war Geigerin, ausgebildet von dem Violinlehrer Carl Flesch in Ber lin. «Sie spielte hinreissend Geige», sagt Schily. «Ich habe noch heute im Ohr, wie sie die ‹Märchenbilder› von Schumann spielte.» Leider habe sie keine Karriere machen können. «Sie hatte fünf Kinder, dann der Zweite Weltkrieg.» Dennoch er möglichte sie es jedem Kind, ein Instru
ment zu erlernen: Geige, Bratsche, Cello oder Querflöte, Klavier als Grundstock. Zum Geburtstag des Vaters am 25. De zember wurde jedes Jahr ein Konzert ein studiert, das war Tradition. Schilys Vater, ein Archivar, der Philo sophie und alte Sprachen studiert hatte und stets Distanz zu den Nationalsozia listen wahrte, war Leiter eines Stahlwerks in Bochum. Als es 1941 «schlimm wurde mit der Bomberei durch die Alliierten», floh die Mutter mit vier der Kinder nach Bayern ins Haus des Grossvaters. Dort gab es einen BlüthnerFlügel. Und Leocardia, Ottos Klavierlehrerin, «eine Schulschwester, die ich angebetet habe». Mit Leocardia ist Otto frühmorgens durch den tiefen Schnee zur Messe nach Wamberg gestapft, er durfte den Blase
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balg der Orgel treten. Selbst in den schwersten Zeiten war die Musik nicht wegzudenken. Die Kinder sangen im Chor. Ein befreundeter Benediktinerpa ter komponierte Kammermusik, die im Haus der Schilys uraufgeführt wurde. Er lebnisse wie Schutzimpfungen gegen Hunger und Grauen des Krieges.
Würstchenteller auf dem Flügel Nach dem Abitur muss Schily begreifen, dass sein Talent für eine Musikerkarriere nicht ausreicht. «Am liebsten wäre ich Di rigent geworden. Das wäre mein Traum gewesen», sagt er. Die Rechtswissen schaften waren eine Vernunftentschei dung. Eine allerdings, so scheint es, die spätestens durch die Verquickung mit der Politik zur Leidenschaft wurde. Das Eintreten für den Rechtsstaat sei ein Kon tinuum seiner Biographie, sagt Schily – etwas, was selbst seine schärfsten Kritiker nicht bestreiten, die ihm die Wandlung vom «RAFAnwalt» zum «Lawandor derMann» vorwerfen. Das andere Kontinuum ist die Musik. Als Schily in den 1970er Jahren einmal abends aus der Kanzlei nach Hause kam, fand er in seiner Wohnung zahlreiche Genossen zu einer Spontanparty versam melt. Seine damalige Frau hatte sie nach einer Demonstration zu sich eingeladen. Schily erinnert sich gut: «In dieser Woh nung hatte ich nur ein Bett und einen Flü gel. Auf dem stand immer eine Vase mit einer Rose.» An diesem Tag allerdings standen darauf halbvolle Biergläser und fettige Würstchenteller. Es wird erzählt, Schily habe kein Wort gesagt. «Stimmt», sagt er. «Ich habe stumm gelitten.» Wie er es auch tue, wenn er im Kauf haus oder im Flugzeug berieselt werde. «Grauenhaft! Diese Zerstörung von Mu sik und von Hörvermögen!» Gerade ist er mit seiner Frau aus einem Hotel in Bali geflohen, in dem eine 24StundenBe schallung es selbst nachts unmöglich machte, die Brandung zu hören. Einmal sei er als Innenminister beim Botschafter eines asiatischen Landes zum Abendessen eingeladen gewesen, als während des Essens die Passionen von Bach gespielt wurden. Da habe er zu der Gastgeberin gesagt: «Sie mögen mir das bitte nicht verübeln, aber die Passio nen von Bach als Hintergrundmusik empfinde ich als Sakrileg.» Die Botschaf terehefrau habe einen roten Kopf bekom men, aber mit diplomatischem Geschick diese Dissonanz schnell überspielt.
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Musik sei die spirituellste aller Künste, sagt Schily. «Bei manchen Stücken öffnet sich der Himmel. Für mich vielleicht am stärksten in der Matthäuspassion, aber auch bei bestimmten Stücken von Cho pin, selbst bei Brahms manchmal, Bach sowieso.» Die «Kunst der Fuge»! Die hat Schily als Kind immer vierhändig mit sei ner Schwester gespielt. Die Bedeutung der Musikerziehung der Kinder könne gar nicht hoch genug eingeschätzt werden, sagt der Anwalt. «Taktgefühl – echt und übertragen, Diszi plin, die Fähigkeit hinzuhören, aufeinan der zu hören, den Umgang mit Dissonan zen und Harmonien.» All das sei keine Beigabe, sondern zentrales Element der Persönlichkeitsbildung. «Jeder Mensch hat Zugang zur Musik.» 2005 wurde unverhofft ein Traum wahr. Otto Schily durfte an einer ZDF Gala der «Philharmonie der Nationen» den Radetzkymarsch von Strauss dirigie ren. Ein Erlebnis, das er ohne Zögern als eines der grössten seines Lebens be zeichnet. «Ein unbeschreibliches Gefühl! Das Orchester ist der Klangkörper, aber du bist so eine Art Brennpunkt, in dem alles zusammenläuft.» Das möchte Schily noch einmal erle ben. Justus Frantz hat ihm einen Dirigier kurs geschenkt, den Taktstab dazu, und eines Tages soll Schily das ADurKla vierkonzert von Mozart dirigieren. Eine grosse Ambition. Eine Freude. Dennoch sei es nicht so, dass er nur in der Musik das Erhabene und in der Poli tik die Abgründe gefunden habe. Erst vor kurzem sei ein alter Sozialdemokrat für fünfzig Jahre Mitgliedschaft in der SPD geehrt worden. «Da gibt dir einer seine abgearbeitete Hand, ein einfacher Mann, der gegen die Nazis gekämpft hat und sich den Kommunisten widersetzte. Vor dem möchte ich mich verbeugen.» Oder einer wie Berthold Beitz, ein Ma nager, der während des Zweiten Weltkrie ges mehreren Hundert Zwangsarbeitern das Leben gerettet hat und dafür mit dem LeoBaeckPreis geehrt wurde. Bei der Preisverleihung habe er gesagt: Was habe ich denn anderes getan, als der Pflicht meines Herzens zu folgen? – «Wenn die Menschen das immer wieder in sich bele ben könnten, dann sähe die Welt besser aus», sagt Schily. «Und ich glaube, dass Musik uns zu dieser Herzensbildung und Charakterstärke verhelfen kann.» anja Jardine
Der milde Bitter.
Heute ist er der erfolgreichste Bitter in Italien. Seine aromatische Milde, die wohl der Grund ist für seine Be liebtheit, beruht auf dem Original rezept von Stanislao Cobianchi. Vier zig Kräuter aus allen Winkeln der Erde bilden die Basis für den einmali gen Likör. Sie werden nach denselben Kriterien ausgewählt, die der begeis terte Kräutersammler vor 125 Jahren zur Voraussetzung für den unver kennbaren Charakter machte. Maze riert in reinem Alkohol, entfaltet die Kräutermischung einen frischwürzigen und leicht bittersüssen Geschmack. Der typisch italienische Bitter «Amaro Monte negro» wurde von Sta nislao Cobianchi nach der italienischen Köni gin Elena von Mon tenegro benannt. Amaro Montenegro kommt pur, auf Eis oder als würzige Zutat in einem Mix getränk am besten zur Geltung. <wm>10CAsNsjY0MDAx1TU0srQ0MAYACSJfQQ8AAAA=</wm>
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Die rechte Hand
Persönliche Assistenten geben Behinderten mehr Freiheit – und alle Pflichten und Rechte eines Arbeitgebers. Chancen und Fallstricke einer besonderen Beziehung. Von Tom Shakespeare
Wo immer Sonali hingeht, ist Helena dabei. Wenn Sonali einen Vortrag hält, spricht Helena die meisten der Worte. Wenn Sonali durchs Zimmer stolpert, ist Helena an ihrer Seite. Wenn Sonali eine Mahlzeit zu sich nimmt oder zu Bett geht, wird sie von Helena unterstützt. Sonali ist eine Uni versitätskollegin von mir. Sie ist 38 Jahre alt und Sozialwis senschafterin, sie ist mit einem englischen Fotografen ver heiratet und leidet an einer Zerebralparese, die sie beim Sprechen, in der Feinmotorik und beim Gehen beeinträch tigt – aber nicht in ihrer Intelligenz oder ihrem Wunsch nach Unabhängigkeit. Helena ist ihre persönliche Assistentin, die ihr ein Leben in Würde und die Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit ermöglicht. Sonali ist Helenas Arbeitgeberin. Sonali bekommt das Geld für ihre persönliche Assisten tin (PA) vom Independent Living Fund, einer 1988 von der britischen Regierung ins Leben gerufenen Institution, die Direktzahlungen an einzelne Behinderte erlaubt. Dies war seinerzeit eine revolutionäre Veränderung. Über weite Strecken des 20. Jahrhunderts hatten behinderte Menschen abgesondert vom Rest der Gesellschaft in eigens für sie ein gerichteten Heimen gelebt. Doch seit den 1970er Jahren wollten immer mehr von ihnen inmitten der Gesellschaft leben: Dort waren sie auf Gemeindehelfer angewiesen, die ihnen am Morgen aus dem Bett halfen, ihre Mahlzeiten besorgten und andere Aufgaben für sie verrichteten. Es war eine Situation der Abhängigkeit. Die Behinderten hatten keinen Einfluss darauf, wer ihnen zugeteilt wurde, mussten oft stundenlang auf Hilfe warten, und an so alltäg liche Tätigkeiten wie Ausbildung oder Berufsausübung war kaum zu denken. Im Gegensatz dazu steht das PAModell, sagt Peter Wehrli, der Leiter des Zentrums für selbstbe stimmtes Leben (ZSL) in Zürich: «Die persönliche Assis tenz ermöglicht einer behinderten Person, selbst zu be stimmen, wo, wie, wann und von wem sie die Hilfe erhält, die sie benötigt. Sie besitzt dadurch, trotz ihrer vielleicht schweren Behinderung, die grösstmögliche Selbstbestim mung über ihr Leben, kann am gesellschaftlichen Leben teilnehmen und selbst etwas dazu beitragen.» Seit 2000 kämpft ein kleines Netzwerk von Behinderten namens Fachstelle Assistenz Schweiz (FAssiS) für die Ein führung des Modells der persönlichen Assistenz in der Schweiz. Ihre Kampagne begann mit der Herausgabe einer Reihe von überzeugend argumentierenden Broschüren und reichte über Vorstösse im Bundesparlament bis hin zu Einzelgesprächen mit Politikern. Die Reaktionen fielen zum Teil überraschend aus. Die Linke gehört zu den natür lichen Bündnispartnern der Bewegung für mehr Behinder tenrechte, aber wenn es um persönliche Assistenz geht, hegt sie Bedenken gegen Modelle, die nach Privatisierung
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aussehen und ausserdem die Arbeitsplätze von Heimange stellten bedrohen. «Die politische Rechte wiederum», er klärt Katharina Kanka von FAssiS, «schätzt unser Engage ment und unsere Hartnäckigkeit – die Tatsache, dass wir für unsere Sache eintreten, selbst Verantwortung bei der Organisation der Assistenz übernehmen wollen und nicht einfach nur lamentieren. Sie finden auch die Transparenz und den Wettbewerb unter den Dienstleistern im Assis tenzmodell gut.» Nachdem FAssiS überzeugend dargestellt hatte, dass das Modell «kostenneutral» eingeführt werden kann, konnten sich am Ende sowohl Vertreter der SP wie der SVP für das neue Konzept erwärmen. «Wir waren und sind immer noch überzeugt, dass im Betreuungssystem ge nug Geld für Behinderte vorhanden ist», sagt Katharina Kanka, «nur müsste die Verteilung gerechter und effizien ter organisiert werden.» Vom 1. Januar 2012 an wird die Revision 6 a der Invali denversicherung den behinderten Bürgerinnen und Bür gern der Schweiz jenes Mass an Unabhängigkeit und Flexi bilität ermöglichen, über das britische, niederländische und skandinavische Behinderte schon seit vielen Jahren verfügen. «Die einzelnen Personen mit Behinderung und ihre Familien werden endlich frei wählen können, wo sie leben wollen und mit wem – und von wem sie die Unter stützung erhalten, die sie brauchen», sagt Katharina Kanka. Ich selbst bin ein britischer Wissenschafter, der zu Behin derung forscht, und arbeite zurzeit in Genf. Ich hörte zum ersten Mal von der Idee der persönlichen Assistenz, als ich vor 25 Jahren an meiner Doktorarbeit sass. Ich versuchte meinen Studenten an der Universität, darunter vielen zu künftigen Sozialarbeitern, zu erklären, dass zwischen kör perlicher und sozialer Abhängigkeit ein grosser Unter schied bestehe. Ich verwies auf eine Gruppe von Leuten in Grossbritannien, die spezielle Schulen besuchen; sie wer den mit eigens für sie hergerichteten Transportmitteln hin und hergefahren; sie tragen kein Geld auf sich; sie werden angestarrt, wo immer sie hingehen; sie leben in abgegrenz ten Wohnarrangements; man muss ihnen bei allen mögli chen Dingen zur Hand gehen. Diese scheinbar extrem ab hängige Gruppe heisst «die königliche Familie». Ein blöder Vergleich? Vielleicht. Aber er veranschaulicht doch, dass man nicht in der Lage sein muss, alles eigenhändig zu tun: Man muss nur in der Lage sein, selbst zu bestimmen, wie die Dinge für einen erledigt werden. Kontrolle macht einen unabhängig, nicht Fähigkeit. Ich selbst wurde mit Achondroplasie geboren, einer Stö rung, die das Körperwachstum beeinträchtigt, und bin im mer unabhängig gewesen. Obschon mich diese Behinde
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rung ungewohnt, in den Augen mancher Leute sogar komisch aus sehen lässt, schränkte sie das, was ich tun konnte, nicht sehr stark ein. Ich besuchte eine normale Elite schule, studierte an der Universität Cambridge und erfreute mich einer erfolgreichen akademischen Lauf bahn, bis ich 2008 plötzlich die Herr schaft über meine Beine verlor. Innert dreier Tage wurde ich von einem gehenden, Fahrrad fahren den, autonomen Individuum zu ei ner von den Hüften abwärts gelähm ten Person. Ich war im Spital in Newcastle ans Bett gefesselt und benötigte zur Bewältigung aller er denklichen Körperfunktionen plötz lich die Hilfe von Krankenschwes tern. Die Rehabilitation von einer Rückenmarksverletzung ist für je den eine traumatische Erfahrung. Das Besondere an meinem Fall war, dass ich nichts dagegen hatte, be hindert zu sein – schliesslich hatte ich mein ganzes Leben lang mit ei ner Behinderung gelebt. Was mich zutiefst bekümmerte und beinahe zum Selbstmord getrieben hätte, war die Tatsache, dass ich nun von anderen abhängig geworden war. Als ich aus dem Krankenhaus entlassen wurde und nach Hause zurückkehrte, vermittelte mir meine Gemeinde im Nordosten Englands eine Helferin, die mir jeden Morgen half, mich zu duschen und auf den Tag vorzubereiten. Das fühlte sich sehr merkwürdig an. Es handelte sich um eine leicht gelangweilte junge Frau, die oft zu spät zur Arbeit kam und von der ich mir dauernd Klagen über ihre eigenen Probleme anhören musste. Doch seit 1996 ist es den britischen Gemeinden gestattet, ja sie werden geradezu dazu ermuntert, direkt an die Leis tungsempfänger ein Assistenzbudget auszuzahlen. Als man mir diese Möglichkeit anbot, willigte ich hocherfreut ein. Der zuständige Sozialarbeiter schätzte meinen Assis tenzbedarf auf 22 Stunden pro Woche, und ich unterschrieb einen Vertrag. Danach wurde mir das Budget für die veran schlagten Assistenzstunden auf mein Bankkonto überwie sen, und ich bezahlte davon selber die Person, die ich ha ben wollte, für genau die Hilfe, die ich brauchte. Mir fiel ein Stein vom Herzen. Ich beschloss, Leute anzu stellen, die ich bereits kannte. Das fiel mir leichter, als per Annonce völlig fremde Personen zu suchen. Ich kannte vie
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le verarmte Künstler, die das Geld dringend gebrauchen konnten. Ausserdem dachte ich mir, wenn ich schon so viel Zeit mit einem As sistenten zubringen musste, dann wäre es doch angenehmer, wir teil ten ein paar Interessen. Wenn ich nun zu einer Tagung fahren wollte und nicht sicher war, ob die Räum lichkeiten dort behindertengerecht waren, bezahlte ich einfach meine Künstlerfreundin Lucy dafür, mich zu begleiten. Als ich in Dänemark einen Vortrag hielt, begleitete mich meine Freundin Wendy, eine Tän zerin, um mich dort durch die Ge gend zu schieben, zu tragen und mir sonst über die Runden zu helfen. Dasselbe galt fürs Einkaufen, Putzen und die Gartenarbeit, alles Dinge, die ich früher eigenständig erledigen konnte, aber für die ich nun die Hilfe anderer Leute brauchte. Dank der Tatsache, dass ich selbst die Assistenten bezahlen konnte, wurde ich wieder Herr meines eigenen Lebens, bekam wieder Kraft und Selbstbewusst sein. Ich fühlte mich frei – auch wenn ich kaum noch allein war. Persönliche Assistenz brachte mir mehr Eigenverantwortung und mehr Macht. Ich war zum Arbeit geber geworden, was bedeutete, dass ich selbst Leute anstellen, be aufsichtigen und ihre Steuern ab führen musste. Ich merkte, dass Künstler und Tänzer zwar hervorragende Gesellschafter sein können, aber dass sie es mit den Quittungen oft nicht so genau nehmen. Ich aber brauchte die ganzen Belege, weil ich gegenüber dem South Tyneside Council, der mir das Budget zur Verfügung stellte, über alle Einnahmen und Ausgaben Rechenschaft ablegen musste. Menschen mit Behinderungen, die in den Genuss einer persönlichen Assistenz kommen, müssen in der Lage sein, den Papierkram in nützlicher Frist zu erledigen – eine Verantwortung, der nicht jeder gewachsen ist. Wenn die Schweiz im Januar 2012 das PAModell einführt, werden Organisationen wie das Zentrum für selbstbestimmtes Le ben eine entscheidende Rolle dabei spielen, Menschen mit Behinderung darin zu instruieren, was sie als Arbeitgeber ihrer Assistenten zu tun haben. Ein PA kann im übrigen zu interessanten persönlichen und emotionalen Konflikten führen. Ich entsinne mich, dass ich einmal bei David, einem Freund mit einer neuro
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logischen Behinderung, der seit vielen Jahren seine eigenen Ange stellten hat, zum Abendessen einge laden war. Sein PA bereitete die Mahlzeit und zog sich dann zurück, statt mit uns gemeinsam zu essen. Irgendwann merkte ich, dass er ein fach in der Küche sass und Zeitung las. Als der Wein ausgetrunken war, rief David nach ihm, und der Assis tent kam und schenkte neuen Wein ein. Der PA beteiligte sich nicht an unserem Gespräch, sondern blieb stets im Hintergrund, bis er ge braucht wurde. Ich fühlte mich bei nahe in die Welt vor dem Zweiten Weltkrieg zurückversetzt, als es noch Hausangestellte und Diener gab. Ich erfuhr, dass es unhöflich sei, einen PA ins Gespräch einzubezie hen, weil die behinderte Person stets im Mittelpunkt stehen solle. Es sei unerträglich, so argumentierten einige meiner behinderten Kolle gen, wenn sie zu irgendeiner gesell schaftlichen Veranstaltung gingen und alles drehe sich nur um den PA und sie selbst würden ignoriert. Aus demselben Grund beschäftigen die meisten Menschen mit Behinde rung aus meinem Bekanntenkreis lieber fremde Personen und ma chen, anders als ich, einen grossen Bogen um Freunde. Es sei viel leich ter, eine professionelle Distanz auf rechtzuerhalten, wenn man seinen PA nicht persönlich kenne, besonders wenn er oder sie auch Aufgaben im Intimbereich verrichten müsse. In dem Moment, wo Freunde die Rolle eines Helfers übernähmen, verliere man seine Privatsphäre und vielleicht auch die Gleichheit. Um einen anderen Standpunkt kennenzulernen, sprach ich mit Daniela, einer Rollstuhlnutzerin in den Vierzigern. Sie leidet an einer genetisch bedingten progressiven Krank heit und hat eine Behindertenzeitschrift herausgegeben. Daniela ist eine von 250 Schweizer Behinderten, die wäh rend der letzten fünf Jahre am nationalen PAPilotprojekt teilgenommen haben. Sie erzählte mir, dass sie ihre Helfer per Anzeige am schwarzen Brett der Universität suche. Sie habe immer mehr Bewerber gehabt, als sie benötigte, aber «es ist schwer, Leute zu finden, die diese Aufgabe ernst ge nug nehmen, egal, wie gut und entspannt die persönliche Beziehung ist». Daniela weiss genau, was sie von ihren As
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sistenten fordert: «Ich verlange hundertprozentige Zuverlässigkeit, Pünktlichkeit, Respekt, gute Ar beitsleistung, einen akademischen Bildungsstand, ein sonniges Gemüt plus Katzenfreundlichkeit!» Wie andere Arbeitgeber kann auch Daniela ein Lied von all jenen Angestellten singen, die die Anfor derungen nicht erfüllten: die Unzu verlässige, die nur die Hälfte der Zeit aufkreuzte; der Alkoholiker, der eines Tages zugedröhnt zur Ar beit erschien; der ewige Junge, der im Grunde selbst bemuttert werden wollte. «Es ist schwer, ein guter Ar beitgeber zu sein», sagt sie, «fair und gerecht und anspruchsvoll, aber nicht bärbeissig, pünktlich zahlend, auch wenn das Geld vom Bund noch nicht eingetroffen ist. Die Verwaltung ist sehr zeitaufwen dig, aber es lohnt sich absolut.» Danielas Bericht bestärkt mich in meiner Überzeugung, dass die per sönliche Assistenz für behinderte Menschen eine echte Befreiung ist. Viele werden zum ersten Mal in ihrem Leben in die Lage versetzt, aktiv am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Wissenschaftliche Untersuchungen belegen ausser dem, dass das Modell gegenüber der Heimbetreuung günstiger ar beitet. Doch als Sozialwissenschaf ter finde ich das PAModell auch aus sozialer und ethischer Perspektive höchst faszinierend. Die Pioniere dieser Form der Unabhängigkeit aus den 1970er und 1980er Jahren lehnten die traditionellen Hilfs angebote ausdrücklich ab. Mit unterschiedlichen Konse quenzen. Erstens zogen diese Leute es vor, keine professionellen Krankenpflegekräfte zu beschäftigen, die immer schon zu wissen glaubten, was am besten sei. Stattdessen griffen sie auf Ungelernte zurück, die sie anlernen konnten, wie sie es sich wünschten. Doch manche Behinderten sind sehr ver letzbar und werden leicht misshandelt, bestohlen oder aus gebeutet. Manche Assistenten arbeiten für mehr als einen Arbeitgeber. Besteht dann nicht die Gefahr, dass sich Klatsch und Tratsch in der oft eng vernetzten Gemeinschaft der Behinderten verbreiten und dass die Schweigepflicht gebrochen wird? Aus diesen Gründen sind hohe professio nelle und ethische Standards für persönliche Assistenten meiner Meinung nach absolut unabdingbar.
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Zweitens: Statt für die Unterstüt zung dankbar sein zu müssen, zogen die meisten Menschen mit Behinde rungen ein einfaches Dienstleis tungsverhältnis vor, das keine per sönlichen Verpflichtungsgefühle und Abhängigkeiten mit sich bringt. Sie wollten Hilfsleistungen und Ge fühle voneinander trennen. Aber ich bin mir nicht sicher, ob dies wirklich möglich ist. Ein Mensch, der von an deren Menschen unterstützt wird, befindet sich immer schon in einer Beziehung. Die persönliche Assis tenz enthält viele subtile Momente, in denen es um Grenzen und Intimi tät geht, um Privatheit und Vertrau lichkeit. Manche Behinderten in meinem Bekanntenkreis behandeln ihre persönlichen Assistenten wie Knechte, während andere in ihnen eine Art Lebensgefährten sehen. Mit der Intimität ist auch die Fra ge nach der Sexualität aufgeworfen. Was, wenn Sie jemandem begeg nen, den Sie attraktiv finden – aber der oder die geht lieber mit Ihrem PA aus statt mit Ihnen? Man kann leicht eifersüchtig werden, zumal die Assistenten in der Regel jünger sind als ihre behinderten Arbeitge ber. Und was, wenn Sie tatsächlich zu den «Glücklichen» zählen? Ge hört es zu den Aufgaben eines PA, Ihnen das Sexualleben zu erleich tern? Oder, falls Sie Single sind, Ihnen bei der sexuellen Befriedi gung zu helfen, wenn Sie nicht selbst dazu fähig sind? Was ist, wenn Sie lesbisch oder schwul sind und Ihr Assistent homophob? Solche und ähnliche Fragen führen zweifellos hin und wieder zu Problemen. Es ist auch nicht ungewöhn lich, dass sich zwischen einer behinderten Person und ihrem PA eine erotische Beziehung entspinnt. Was dann? Kann der PA weiter angestellt bleiben? Tut er oder sie jetzt das, was vorher gegen Bezahlung erledigt wurde, um der blossen Liebe willen? Die internationalen Erfahrungen und die acht Studien, die während des Pilotprojekts «Assistenzbudget» des Eidgenös sischen Departements des Innern in Auftrag gegeben wur den, haben alle die wirtschaftlichen und sozialen Vorteile des PAModells hervorgehoben, das sich so radikal von der Heimunterbringung und der ambulanten Hilfe zu Hause unterscheidet. Wo die persönliche Assistenz die Heimunter bringung ersetzt, scheint sie günstiger zu sein – nicht zuletzt,
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weil die Menschen mit Behinderung dabei selbst unbezahlt einen Gross teil der Verwaltungsaufgaben über nehmen. Für Leute mit komplexen Behinderungen bedeutet die per sönliche Assistenz einen Gewinn an Selbstbestimmung und Selbstbe wusstsein und die mögliche Teilha be an Bildung, Beschäftigung, ja so gar Politik. Dies kommt in vieler Hinsicht ei ner kleinen Revolution gleich. Das Bundesamt für Sozialversicherun gen führte bei den 36 000 Empfän gern einer Invalidenrente eine Erhe bung durch, die ergab, dass nur 2000 Menschen mit Behinderung an der Anstellung eines persönlichen Assistenten interessiert waren. Doch Peter, Daniela, Katharina und all die anderen behinderten Men schen aus meiner Bekanntschaft sind davon überzeugt, dass sich die persönliche Assistenz für alle mögli chen Menschen mit Pflege und Be treuungsbedarf eignet. Auch in Grossbritannien ent schied sich am Anfang nur eine Minderheit der Betroffenen für eine persönliche Assistenz, doch mit der Zeit hat sich das Modell immer wei ter verbreitet, weil immer mehr Leute mit Behinderungen den Schritt aus dem betreuten Wohnen hinaus in ein eigenverantwortliches Leben in der Gesellschaft wagten. Heute profitieren nicht nur Men schen mit körperlichen Benachteiligungen, sondern auch Menschen mit geistigen Behinderungen und seelischen Er krankungen von der Betreuung durch persönliche Assis tenten. Sogar Kinder können ihre Assistenten haben. Viele Behindertenaktivisten sagen voraus, dass die persönliche Assistenz nicht nur das Leben von Menschen mit Behinde rungen revolutionieren werde, sondern auch, wie diese von anderen wahrgenommen werden, weil sie nun selbst zu Herren über ihr eigenes Leben werden. Ich selbst bin – als Soziologe ebenso wie als Mensch mit Behinderung – nach wie vor fasziniert von den neuen For men professioneller Betreuung, von den neuen Dienstleis tungsbeziehungen und von den neuen persönlichen und emotionalen Dilemmata des PAModells.
tom shakespeare ist Soziologe; er lebt in Genf. Übersetzung: robin Cackett, Berlin.
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Show des Scheiterns Verantwortung fängt beim Einzelnen an, heisst es. Wie es ist, ein Einzelner zu sein. Von Florian Leu
Soll ich beim Erwachen ein schlechtes Gewissen haben, weil meine Matratze aus Japan eingeflogen wurde? Soll ich kalt duschen, weil warmes Wasser zu viel Strom braucht? Soll ich einen Kaffee trinken, für dessen Herstellung hun dert Liter Wasser nötig waren? Soll ich die Zeitung nur noch online lesen, um weniger Papier zu vergeuden? Soll ich mit dem Tram zur Arbeit, obwohl ich mit dem Fahrrad nur zehn Minuten unterwegs wäre? Soll ich mit dem Lift in den fünften Stock, obwohl ich eine Stunde Trep pen steigen müsste, um so viel Strom zu erzeugen, wie der Lift braucht? Soll ich an einem statt an zwei Computern ar beiten, obwohl die eine Kiste dauernd den Geist aufgibt? Soll ich eine Wurst essen, auch wenn das Schwein auf einer Fläche halb so gross wie mein Schreibtisch lebte? Soll ich ein Poulet vertilgen, auch wenn das Gehege des Huhns kleiner als diese Seite war? Soll ich noch rasch einen Pulli kaufen, den Sklaven in Pakistan oder Kinder in Bangladesh hergestellt haben? Soll ich mir ein iPhone leisten, dessen Produzent Netze um die Häuser der Angestellten spannte, damit sie sich nicht mehr in die Tiefe stürzen? Soll ich einen Kübel mit Kompostwürmern anschaffen, damit ich weniger Abfall verursache? Soll ich Waschnüsse aus Indien besorgen und der Umwelt zuliebe wie ein Räu cherstäbchen riechen? Soll ich einen Flug nach Spanien buchen, weil ich für einen Bericht dorthin muss? Soll ich einen Artikel über mein Leben als Konsument mit Herz schreiben, der in einer Auflage von 220 000 erscheint und einen Baum das Leben kostet? Oder soll ich im Bett bleiben und den «Oblomow» lesen, der auf Hunderten von Seiten nicht aus der Horizontalen kommt und am Ende gar nichts mehr tut? Taugt ein Nichtstuer heute als Held? Ich wollte eine Weile mit gutem Gewissen leben. Fussab drücke hinterlassen, die ein Archäologe für die eines Men schen halten könnte, nicht für die eines Tyrannosaurus. Dafür sorgen, dass mein Müllhaufen an einen Hügel erin nert, nicht an den Kilimanjaro. Vegetarier werden, Strom sparer, Konsumverweigerer, Ökofreak. Der Grund waren Zahlen. Sie wollten mir nicht aus dem Kopf und rasten dahin wie ein Liveticker: Jede Minute ver schwinden zehn Fussballfelder Regenwald, in einem Jahr zehnt entspricht das fast der Fläche Chiles. Wo gerodet wurde, wächst Mais. Den essen nicht die Hungernden Bra siliens, sondern die Hühner Europas. Vor 70 Jahren legten sie halb so viele Eier wie heute, wuchsen halb so schnell, wurden 20 Jahre alt. Der Hahn hat heute keine Aufgabe mehr ausser der Befruchtung. Dafür braucht es nur wenige. Alle anderen landen nach dem Schlüpfen im Häcksler. Für die Hühner ist nach einem Jahr Schluss, weil sie dann weni
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ger Eier legen. Die Kunden kaufen die Eier, einige brauchen sie, einige entsorgen sie. Amerikaner werfen einen Viertel ihrer Nahrung weg, Europäer einen Fünftel. 450 Milliarden Landtiere werden in einem Jahr geschlachtet. Einen Fünftel der Treibhausgase verursacht die Fleischindustrie, die 40 Prozent mehr Einfluss auf die Erderwärmung hat als die Ausstösse aller Verkehrsmittel zusammen. Schweizer brauchen mehr als 8000 Kilowattstunden Strom am Tag, 1960 war es ein Drittel. Wer zehn Minuten duscht, verbraucht so viel Strom, dass er auf einem Elektro rad 100 Kilometer weit käme, von Zürich nach Bern. Wenn man Schweinen das Spielen beibringt, wie ein Verhaltensbiologe in den USA es tat, und ihnen zeigt, wie sie mit der Schnauze einen Joystick bedienen können, sind sie so schnell wie Schimpansen: Wesen mit Grips, nicht nur Fleischbündel vor ihrer Verwandlung in Filets. Vor 50 Jahren schwammen zehnmal so viele Thunfische durchs Meer wie heute. Es tummelten sich auch zehnmal so viele Haie im Ozean. Wer Jagd auf sie macht, setzt Geräte ein, die Ingenieure eigentlich für den Krieg entwickelt ha ben: Radar und Sonar. Wer Netze auswirft, die oft länger als 100 Kilometer sind, fängt auch Arten, aus denen Abfall wird, sobald sie aufs Deck plumpsen. Fachleute sagen, wir sähen 2000 Werbebotschaften am Tag. Und fast alle legen uns nahe, dass es keine Probleme gebe, die wir nicht wegkaufen könnten. Was sollte ich mit solchen Zahlen anfangen? Ich hatte keine Ahnung, aber eine Gänsehaut. Ich las so viele Selbsthilfe bücher, dass ich ein Buch für Selbsthilfejunkies gebraucht hätte. Ich hörte so viele Imperative, dass ich mir vorkam wie ein Rekrut, herumkommandiert von einem Sergeanten mit Blümchen im Knopfloch: Verwende Recyclingklo papier. Konsumiere nachhaltig produzierte Soya. Fahre sparsam. Wende die Ecodrivetechnik an. Wähle ein leich tes Auto, und kümmere dich um den richtigen Reifendruck. Mache einen Bogen um Wildtiere. Gönne dir einen kurzen Arbeitsweg. Senke die Raumtemperatur um mindestens ein Grad. Fülle den Geschirrspüler immer ganz auf. Ver wende eine effiziente Waschmaschine. Schalte das Licht aus, wo niemand ist. Entsorge wiederverwendbaren Abfall sachgerecht. Unterstütze die Produktion von nachhaltigem Palmöl. Säe Wildblumen. Schenke Ökoblumen. Werde Guerrillagärtner. Achte beim Kauf von Holzprodukten auf das Label. Shoppe im Brockenhaus. Setze überall Energie sparlampen ein. Baue und saniere nach Minergiestandard. Isoliere dein Haus oder deine Wohnung. Ersetze die Ölhei zung durch Sonnenenergie und Wärmepumpe. Optimiere den Betrieb deines Boilers.
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Obwohl ich kein Diplom als Installateur habe, fing ich an. Und ich fühlte mich wie eine Giraffe nach der Geburt. Auf Zündholzbeinchen zitterte ich durch die Gegend. Alle zehn Schritte fiel ich hin. Ein Durchschnittstag: Ich dusche kalt, doch nach drei Sekunden übernimmt das Kleinhirn und fährt meine Rech te Richtung Warmwasserknauf aus. Ich trinke einen Tee, den mir der Mann vom Fachgeschäft empfohlen hat, weil das Menthol der Minze etwa so wirkt wie Koffein. Katapul tierte ich mich früher mit einer Kanne Kaffee in den Tag, nippe ich nun an meinem Menthol und habe den Eindruck, meine Lider öffneten sich in Zeitlupe. Mit einer Stofftasche
In der Nacht dann Entertainment für Umweltbewusste: eine Lampe mit Sparbirne, ein Buch aus der Bibliothek, kein Sound, kein Film, kein Spass. spaziere ich zum Markt und hole Ziger aus Glarus, Birnen aus Schwyz, Äpfel aus dem Thurgau. Brauchte ich früher fünf Minuten für den Einkauf, bummle ich jetzt eine halbe Stunde zwischen den Ständen umher. Im Büro arbeite ich nur noch mit einem Computer und gehe fast die Wände hoch. Dann beginne ich, die Wartezei ten zu schätzen. Ich habe das Gefühl, in eine griechische Amtsstube versetzt worden zu sein. Über Mittag treffe ich einen Freund, der mich im Som mer glücklich machte, als er Würste aus Südfrankreich auf tischte. Er bestellt wie immer einen Beefburger. Ich ordere einfach auch einen und erschrecke, als ich es merke. Dann freue ich mich wie ein Dieb. Nach Feierabend lerne ich die Schönheit des Treppen hauses noch etwas besser kennen, fahre auch bei Regen mit meinem Damenrad nach Hause, und wenn ich unter wegs schon wieder einen Pullover brauche, nerve ich den Verkäufer mit Fragen nach dessen Herkunft und nehme am Ende einen aus Schottland, ein teures und schönes Teil, hergestellt von guten und feinen Leuten in kleinen und schlichten Manufakturen und so weiter. Daheim blättere ich öfter im Kochbuch als früher. Ich lerne vor allem die Rezepte schätzen, mit denen ich auch aus Resten Gerichte zubereiten kann, ohne mit einer Le bensmittelvergiftung zu flirten. Manchmal spiele ich mich auf und halte meiner Mitbewohnerin Vorträge darüber, dass sie doch bei Gelegenheit bitte die Lichter löschen und die Fenster schliessen und den Heizkörper in ihrem Zim mer abschalten könnte, wenn sie aus dem Haus geht. Schaue ich später in den Spiegel, blickt mir ein Spiesser entgegen. In der Nacht dann Entertainment für Umweltbewusste: eine Lampe mit Sparbirne, ein Buch aus der Bibliothek, kein Sound, kein Film, kein Spass. Es wäre schön, wenn ich im Traum einen Wald retten oder einen Lebensmittelmulti
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in die Luft jagen würde. Aber ich träume, was ich fast im mer träume: einen Schrott oder gar nichts. Am Anfang hatte ich mir drei Monate vorgenommen. Ein Kinderspiel, wenn man das mit den Taten meiner Helden vergleicht. Colin Beavan zum Beispiel lebte ein Jahr wie ein Höhlenmensch und schrieb das Buch «Barfuss in Manhat tan» über seine Zeit ohne Trash, Takeaway und Taschentü cher. Beavan gab sich den Übernamen «No Impact Man» und verzichtete sogar darauf, an Thanksgiving zu seiner Familie zu fliegen, weil er zwölf Monate kein Abgas in die Luft pumpen wollte. Er drehte fast durch dabei, brachte es Ende Jahr aber auf eine Ökobilanz, die auch einem Mönch in Tibet gut anstehen würde. Drei Monate also. Sollte doch eigentlich machbar sein. Doch dann fand ich mich, ohne etwas Böses im Sinn zu haben, auf einmal in einem Lift. Oder ich sass, ohne die Welt in den Ruin treiben zu wollen, plötzlich in einem Flug zeug und rang mit mir selber, weil ich die Wolken von oben so fabelhaft fand. Oder ich sah zu, wie mein Zeigefinger ein Eigenleben entwickelte und im Internet ein Ladung Musik aus Amerika kommen liess. Oder ich stellte eines Morgens doch wieder beide Computer an, weil’s eben einfach schnell gehen muss. Warum genau, bleibt mir aber ein Rätsel. In solchen Augenblicken sagte ich mir: Ein Monat wird es auch tun. Dann funkte erneut der Konsumgott dazwi schen und steuerte mich fern. Schliesslich entschied ich mich für das Konzept «Kleine Brötchen backen»: Wenigs tens eine Woche lang wollte ich es versucht haben. Am Schluss fragte ich mich, ob ich die Rechnung ohne den inneren Schweinehund gemacht hatte. Ob ich einen Dompteur anheuern sollte. Ob ich einer wie Zeno Cosini bin, der in Italo Svevos Buch das Rauchen sein lassen will, nach tausend Versuchen aber immer noch seine Schwaden zur Decke bläst und sie hasst und liebt, seine Zigaretten. Immerhin: Nach dem Vorfall mit dem Beefburger ass ich kein Fleisch mehr. Ich tue das jetzt seit zwei Monaten. Aus serdem darf ich vermelden: Aus mir ist ein Treppensteiger geworden, der die Komik schätzt, wenn die Kollegen im Lift vorbeidriften. Und ich bitte darum, beim Jüngsten Gericht zu berücksichtigen, dass ich in all der Zeit, in den ganzen drei Monaten, nur einmal das Tram benutzt habe, als eine Art Monsun am Werk war. Im Innersten bin ich aber ein Warmduscher geblieben. Vermutlich werde ich mich, wenn Armageddon hereinbricht, gerade einseifen.
Florian leu ist Volontär beim Folio.
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PRW
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Mauritius – Berge inklusive…! Natürlich müssen Sie in Mauritius nicht auf die Berge kraxeln, wenn Sie dies nicht möchten. Aber eine Idylle darf nun einmal nicht eintönig sein. Mauritius ist gerade auch wegen der facettenreichen Landschaft wohl einzigartig: glasklares Meer (geschützt von einem Korallenriff), weisse, unberührte Strände, üppige Flora,
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Hügellandschaften mit Wasserfällen und eben auch prägnante Berge. Die Begegnung mit der liebenswürdigen multikulturellen Bevölkerung und die perfekten Leistungen der legendären Qualitätshotels lassen Ihre Ferien (mit oder ohne Bergsteigen) zu einem unvergesslichen Erlebnis werden. Follow your dream!
Sie wissen nicht, was sie tun
Das ungeduldige Kapital hat die einst gemächliche Finanzindustrie umgekrempelt. Auch zum Schaden der einfachen Bankangestellten, wie ein Augenschein in der Wall Street zeigt. Von Richard Sennett
Während des amerikanischen Konjunkturaufschwungs nach dem Zweiten Weltkrieg ähnelte die Wall Street in ge wisser Weise einem Industriebetrieb, und die Leute hatten recht, wenn sie das Bild einer «Finanzindustrie» herauf beschworen. Die meisten Firmen hatten seit Jahrzehnten, wenn nicht seit einem Jahrhundert oder noch länger exis tiert: Lehman Brothers, JP Morgan und andere waren stolz auf ihr altehrwürdiges Renommee. Und die meisten Ange stellten dieser Banken und Investmenthäuser machten ihre Karriere in ein und demselben Unternehmen. Dann kam der Wandel, und wenn man ein einzelnes Ereignis dafür verantwortlich machen kann, dann war es der Zusammenbruch des BrettonWoodsSystems der festgelegten Wechselkurse während der Ölkrise 1973. Da nach überschwemmten riesige Geldmengen die Märkte; es war globales Kapital, das zuvor eher national und dauer haft angelegt gewesen war. Dieser Geldstrom kam zu nächst aus dem Nahen Osten und Japan. Dreizehn Jahre später bekamen durch den «Big Bang», die Deregulierung der Finanzdienstleistungen in London, immer mehr Inves toren Zutritt zum globalen Kapitalmarkt. Aus Südafrika und von chinesischen Auslandskonten floss weiteres Geld hinzu. In den 1990er Jahren zogen die Märkte zahlreiche Russen an, die unrechtmässig erworbene Gewinne aus ihrem Heimatland verschwinden liessen. Ende des letzten Jahrhunderts schliesslich wurden die Chinesen aus der Volksrepublik zu bedeutenden Investoren in europäische Industrien und amerikanische Staatsanleihen. Der grösste Teil dieses Geldes ist, um mit dem Öko nomen Bennett Harrison zu sprechen, «ungeduldiges Kapital», das eher auf kurzfristige Profite durch Finanz instrumente zielt als auf langfristige Teilhabe an den Unter nehmen. Die Renditeerwartungen der Aktionäre richten sich auf die Aktienkurse und nicht auf den langfristigen Er folg der Firmen. Dies verstärkt den Druck auf die Unterneh men, ihre Ergebnisse quartalsweise oder gar monatlich zu präsentieren. Selbst Pensionskassen, die sich am ehesten langfristig ausrichten könnten, haben im Verlauf der letzten Jahre angefangen, sich an anderen Massstäben zu orientie ren: 1965 hielten die Pensionskassen eine Aktie im Schnitt 46 Monate lang, im Jahr 2000 waren es noch 8,7 Monate, und 2008 war die durchschnittliche Haltezeit bereits auf 4,9 Monate gesunken. Der kurze Zeithorizont der Investoren hat auch den Charakter der Arbeit verändert. Der heutige Arbeitsmarkt kennt kaum noch nachhaltige Berufslaufbahnen, sondern nur noch kurzzeitige Arbeitseinsätze. Dieser Verzicht auf Langfristigkeit wird durch die Äusserung eines Managers von ATT illustriert, der vor einigen Jahren erklärte: «Wir
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müssen bei ATT die Vorstellung fördern, dass die Arbeiter schaft abhängig beschäftigt ist … Jobs werden durch Pro jekte ersetzt.» Die Zeitarbeit, oft Teilzeitarbeit, ist eine Auswirkung die ses neuen Ethos. Die Teilzeitarbeit ist heute der am schnellsten wachsende Sektor der Dienstleistungsökono mie. Selbst als Vollzeitbeschäftigte muss in den USA eine junge Berufsanfängerin mit erstem Universitätsabschluss heutzutage damit rechnen, im Laufe ihres Arbeitslebens mindestens zwölf Mal den Arbeitgeber zu wechseln und sich mindestens drei Mal neue «Grundqualifikationen» an zueignen. Die Qualifikationen, die man mit vierzig Jahren vorweisen muss, sind nicht mehr diejenigen, die man in der Schule erworben hat. Dieser fortwährende Wandel wirkt sich massiv auf das Kontextwissen der Menschen aus. «Als ich an der Wall Street anfing», erzählte mir ein Wirt schaftsprüfer, «hatten die Leute noch Lebensstellen in ei nem Unternehmen. Man konnte gar nicht vermeiden, den Betrieb genau kennenzulernen, insbesondere wenn ir gendetwas schieflief. Heute kann davon keine Rede mehr sein.» Der neue Kontext lässt sich vielleicht durch die For mel «Keiner ist unersetzlich» beschreiben. Dies war zumin dest die Botschaft einer berüchtigten kleinen Inszenierung von Jack Welch, dem ehemaligen Chef von General Elec tric. Er liess auf der Managementetage stets ein Zimmer leer stehen, um jedem Bewerber vor Augen zu führen, dass keiner seine Stellung bei GE auf ewig gepachtet habe.
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Der Aufstieg der Kurzzeitigkeit brachte die Arbeitgeber in den Jahren der Hochkonjunktur vor der Finanzkrise 2008 dazu, den idealen Arbeiter nach dem Vorbild eines Consul tant mit universell einsetzbaren Kompetenzen zu formen, dessen Bindungen an bestimmte Orte immer nur vorüber gehend sind. Dieses Beratermodell hat auf der Ebene des Managements zu einer völligen inhaltlichen Entleerung der Arbeit geführt. Unkooperative Teams und inkompetente Chefs Isolation ist der offensichtlichste Feind einer jeden Zusam menarbeit, und die modernen Arbeitswissenschafter ken nen diesen Feind nur zu gut. Im Managementjargon be zeichnet man das Problem in Anspielung auf die riesigen Silotürme, in denen Getreide gelagert wird, als «SiloEf fekt». Arbeiter in Silos kommunizieren schlecht unterein ander. Laut einer 2002 von der American Management As sociation (AMA) unter Managern durchgeführten Studie gaben 83 Prozent der befragten Führungskräfte an, dass es in ihrem Unternehmen solche Silos gebe, und 97 Prozent hielten die Auswirkungen der Isolation für negativ. Es ist die Struktur einer Organisation, die zur Silobildung führt. In einer späteren Untersuchung fanden die Wissenschafter der AMA heraus, dass weniger als die Hälfte der Organisa tionen Rückmeldungen von ihren Angestellten einholten. Die Kommunikation verlief überwiegend von oben nach unten. Heute erscheint der SiloEffekt den meisten Managern wie ein Patentrezept für Produktivitätsverluste. In Silos nei gen die Angestellten dazu, wichtige Informationen für sich zu behalten, um sie zu ihrem persönlichen Vorteil zu nut zen, und wehren sich gegen jede Einmischung. Eine Ge
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genmassnahme besteht darin, die Mitarbeiter zu Team work zu ermuntern oder gar zu nötigen, aber eine solche erzwungene Zusammenarbeit scheitert oft an ihrer Kurz zeitigkeit. Die Theorien zur Mitarbeiterorganisation beto nen gern, dass Arbeitsteams idealerweise nicht zu gross sein, das heisst in der Regel nicht mehr als fünfzehn bis zwanzig Leute umfassen sollten, die direkt miteinander zu tun haben. Die Zusammenarbeit wird dann am effektivs ten, wenn die Gruppe sich mit einem klar definierten, un mittelbaren Problem oder Projekt beschäftigt. Teams ar beiten typischerweise während sechs bis zwölf Monaten zusammen, was die Realitäten global operierender Unter nehmen widerspiegelt, deren Businesspläne und Identitä ten sich fortwährend verändern – lang genug, um eine be stimmte Aufgabe zu erledigen, aber nicht so lang, dass die Teammitglieder sich zu stark aneinanderbänden. Teamwork setzt also ein mobiles soziales Verhaltensre pertoire voraus, das die Teammitglieder überall und gegen über jedem aufbieten können. Der Arbeitswissenschafter Gideon Kunda hat diese Art von kooperativem Verhalten als «Tiefenschauspielerei» bezeichnet. Er meint damit, dass die Teammitarbeiter sich trotz ihrer oberflächlichen Ko operationsbereitschaft dem Manager oder Vorgesetzten gegenüber, der die Teamleistung beurteilt, oft mit ihrer persönlichen Leistung brüsten. Teamwork sei nur «vorge täuschte Solidarität». Ein kurzer Zeithorizont wirke sich stark auf die Leistung aus. Da die Mitarbeiter, die höchstens einige Monate zusammenarbeiteten, sich nicht wirklich aufeinander einstellten, breche der Teamgeist sofort zu sammen, sobald irgendetwas schieflaufe; jeder suche De ckung, wolle möglichst nichts damit zu tun haben und schiebe die Schuld auf die anderen Teammitglieder. Die Situation in den Abwicklungsabteilungen, den soge nannten Backoffices, der Wall Street war in dieser Hinsicht paradox. Das im Backoffice tätige Personal der Wall Street war oft viel tiefer in den Firmen verwurzelt als die Spitzen kräfte. Dennoch waren die Unternehmen während der langen Blütezeit der Finanzindustrie intern permanent in Bewegung: Fortwährend wurden die Abteilungen re organisiert und die Personalbestände neu konfiguriert. Inmitten dieses fieberhaften Strukturwandels wirkte die Teamarbeit nach Einschätzung unserer Informanten nur ausnahmsweise als ein soziales Korrektiv. Das Backoffice des Finanzkapitalismus betrachtet seine Arbeit zu Recht als Handwerk. Die Buchhalter und Rech nungsprüfer in den Banken und Investmentfirmen müssen wesentlich mehr leisten, als nur mechanisch die Ergebnis se der abgeschlossenen Finanzmarktgeschäfte zu verbu chen. Die Aufbereitung der Zahlen für den institutionellen Gebrauch ist eine sehr komplexe Angelegenheit. Das Ethos des Handwerkers verlangt von ihm, dass er oder sie gute Arbeit leistet. Bei Arbeiten, in denen es um technische Fähigkeiten geht, beruht das Vertrauen in die anderen auf der Achtung ihrer Kompetenz, auf der Überzeugung, dass die anderen
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wissen, wovon sie reden. Die Abwicklungsabteilungen der Wall Street haben jedoch nur wenig Achtung vor den techni schen Fähigkeiten der Führungskräfte in den Handels abteilungen. In der Folge des Crashs hat die gebeutelte Öffentlichkeit erkennen müssen, wie wenig die zentralen Figuren der Finanzindustrie oft von dem verstehen, was sie tun. Das Backoffice hielt schon während des Booms, der dem Crash vorausging, viele der Vorgesetzten für inkompetent. Wenn man die Anlagen betrachtet, die diese Leute für sich selbst machten, wird rasch deutlich, dass sie das Manage ment für unfähig hielten. Viele stellten sich nämlich auf einen Konjunkturabschwung ein: Sie vermieden die hoch riskanten Investments ihrer Vorgesetzten, verringerten stattdessen ihre Schulden so weit wie möglich und parkier ten ihr Geld in sicheren Häfen. Das Vokabular, mit dem diese klugen Leute die Finanzprodukte beschrieben, die das Front Office verkaufte, würde das Herz eines jeden Marxisten höher schlagen lassen: «Märchengold», «Schrott zertifikate», «Ramschpapiere mit Betonung auf ‹Ramsch›» waren einige der Ausdrücke, die sie für diese Finanzpro dukte gebrauchten. Die Kaderpositionen werden scheinbar aufgrund des akademischen Titels vergeben – ein MBA aus Harvard gilt als eine sichere Eintrittskarte – oder weil die Betreffenden die Kunst der Bürointrige besser beherrschen. Aber sobald dieses Stereotyp den Tatsachen entspricht, verschwindet jedes Vertrauen. Die an der Spitze wissen nicht, was tagtäg lich im Unternehmen vor sich geht. Und was das Finanz handwerk angeht, fehlt ihnen das Verständnis der Algorith men, die zur Generierung von Finanzinstrumenten wie
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Credit Default Swaps benutzt werden. Diese mathemati schen Generatoren sind für die Spitzenkader oft genauso undurchsichtig wie für die allgemeine Öffentlichkeit. Das Auge des Managements scheint sich durch technische Dis kussionen mit den Handwerkern der Abwicklungsabtei lung eher zu verschleiern: «Ich bat ihn, mir den Algorith mus zu skizzieren», berichtet eine jüngere Buchhalterin über ihren mit Derivaten handelnden, Porsche fahrenden Vorgesetzten, «aber er war nicht dazu in der Lage; er hat ihn einfach für bare Münze genommen!» Natürlich kann man nicht alles wissen, selbst wenn das, was man nicht weiss, einen steinreich macht. Aber es ist keine Frage der Bescheidenheit, wenn Führungskräfte sich vor ihrer Verantwortung drücken und auf oberflächliche Plaudereien ausweichen, statt sich das nötige Wissen anzu eignen. Einer der Handwerker aus dem Backoffice sagte einmal über den Manager einer Investmentbank (er war Chef des Goldhandels): «Er ist echt nett, ein guter Mensch, aber er hat mich noch nie nach meiner Meinung über ir gendetwas gefragt. Vielleicht hat er Angst, blossgestellt zu werden oder dass ich auf eigene Faust handle.» Inkompetenz, die sich hinter Sorglosigkeit verbirgt, kommt früher oder später ans Licht, schliesslich muss der Manager sagen, wo’s langgeht. Ob freundlich oder un freundlich, er befiehlt, was ge oder verkauft werden soll. Mit der Zeit fängt man an, ihm zu misstrauen, dennoch ist man verpflichtet, ihm zu gehorchen. Die Techniker aus dem Back Office betonten allerdings eher die Unaufmerk samkeit ihrer Vorgesetzten im Vorfeld des Crashs als ihre Unfähigkeit zur Interpretation der Zahlen und Tabellen. Es sei eher eine Frage der Einstellung als der Kompetenz. Ihre Vorwürfe richteten sich weniger gegen ihre direkten Vorge setzen (von denen ebenfalls viele ihre Stelle verloren) als gegen die Leute an der Spitze der Organisation, den ge schäftsführenden Vorstand und den Verwaltungsrat, die offenbar nicht genug Sorgfalt walten liessen. Wie auch im mer diese Zutaten gemischt wurden, im Ergebnis führten sie zu einem indirekten Verhältnis zwischen Kompetenz und Hierarchie – einer bitteren Umkehrung, die jedes Ver trauen in die Vorgesetzen untergräbt. Die Chefs treten ihre Autorität ab – und kassieren weiter Wo durch Verdienst erworbene Autorität stark ausgeprägt ist, reicht sie weit über eine bloss formale und technische Kompetenz hinaus und schliesst auch – um diesen gefürch teten Ausdruck zu benutzen – Führungsqualitäten ein, ins besondere den offenen Dialog mit den Untergebenen statt rigider Anweisungen von oben. Zur Ethik der erworbenen Autorität gehört die Bereitschaft zur Übernahme von Ver antwortung für sich selbst und für die Gruppe. Bei unseren Informanten übersetzte sich dieser ethische Rahmen der erworbenen Autorität in die praktische Frage danach, ob und wie Manager ihre Unternehmen während des Zusammenbruchs 2008 zu retten versuchten. Was den
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Bankensektor anbelangte, unterschieden sie genau zwi schen Managern wie Jamie Dimon, dem Chef von JP Mor gan Chase, der seine ganze Energie dafür einsetzte, die Firma zusammenzuhalten, und anderen Managern, die Sachwerte verkauften, ganze Abteilungen schlossen oder einfach nur ihre eigenen Schäfchen ins Trockene brachten. Angesichts des Rückgangs der Firmenloyalität und des be ständigen Kommens und Gehens auf den Führungsetagen während der Boomjahre waren meine Informanten vom Fehlen von Führungsqualitäten wenig überrascht. Sie wa ren der Ansicht, dass die meisten ihrer Arbeitgeber als Ge schäftsführer versagt und stattdessen die Verantwortung abgeschoben und ihre Autorität abgetreten hätten. Ein Anzeichen für ein solches Abtreten von Autorität war beispielsweise, dass Banker den Regulierungsbehörden vorwarfen, sie hätten ihnen zu wenig genau auf die Finger geschaut. Ein anderes Beispiel war jener Manager der AIG Versicherungsgruppe, der erklärte: «Wir sind alle Opfer» – von hermetisch konstruierten, undurchschaubaren Credit Default Swaps, Hypothekenbündelungen und so fort. Den Crash zu einem urwüchsigen Ereignis zu erklären, das sich der eigenen Kontrolle entzieht, verrät eine gewisse Geris senheit: Wenn alles gutgeht, rechnen es sich die Spitzen kräfte als persönliches Verdienst an, wenn nicht, liegt der Fehler im System. Seinen Führungsanspruch abzutreten bedeutet nicht, auf Macht oder Vorteile zu verzichten. Dieser Gemeinplatz hat sich leider in den Jahren nach dem Crash von 2008 wie der einmal bestätigt: Während die Spitzenmanager eine zerstörte Gesellschaft zurückliessen, haben sie in atembe raubendem Tempo ihre Vergünstigungen und Boni zu rückerobert. Autorität abzutreten ist jedoch komplizierter, als sich einfach nur vor dem Chaos aus dem Staub zu ma chen. Richard Fuld, der Chef von Lehman Brothers, erklär te kurz nach dem Zusammenbruch seiner Bank, er bedaure sehr, wie sich die Ereignisse entwickelt hätten. Doch wie einer seiner ExMitarbeiter mir gegenüber meinte: «Diese Entschuldigung kostet ihn nichts.» Fuld, ein stolzer und streitbarer Manager, war über solche Äusserungen seiner früheren Angestellten überrascht, weil ihn sein öffentliches Bedauern viel Überwindung gekostet hatte. Dennoch fehlte seiner Reue jeder Bezug zu einer konkreten Handlung, für die er die Verantwortung übernommen hätte. Ob die Finanzkrise einen Absturz in Langzeitarbeitslo sigkeit zur Folge hatte oder nur einen kurzzeitigen Karriere knick, alle Informanten waren sich in ihrem Urteil über die schlechte Behandlung bei ihrer Kündigung einig. Das plötzliche Ableben von Riesenfirmen wie Lehman Brothers bedeutete, dass die Mitarbeiter im Backoffice per EMail vom Verlust ihrer Stelle in Kenntnis gesetzt wurden und innerhalb eines Tages ihre Büros räumen mussten. Verletz te Gefühle sind unvermeidlich, wann immer jemand seine Arbeit verliert, und vielleicht gibt es keine humane Art, je manden zu entlassen. Aber ich glaube, es gab noch einen übergeordneten Grund, weshalb meine Informanten die
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Teilnahmslosigkeit ihrer Vorgesetzten so betonten. Darin spiegelte sich die soziale Isolation des Finanzsektors in der Gesellschaft und insbesondere in der Stadt New York. Das Inselleben der Finanzelite Wie gross ist die Finanzelite? Laut einer Berechnung wurde die globale Finanzindustrie vor der Finanzkrise 2008 von 5 Wirtschaftsprüfungsunternehmen, 26 Anwaltskanzleien, 6 führenden Investmentbanken, 6 Zentralbanken und 2 Ra tingagenturen beherrscht. Zu den Spitzenkadern dieser Or ganisationen gehörten im Jahr 2007 rund 6000 Individuen. Zum Umfeld der Spitzenkräfte zählt man gewöhnlich all jene, die regelmässig in persönlichem Kontakt mit den Führungskräften stehen. Das Verhältnis liegt bei etwa 10 : 1, so dass das internationale Frontoffice aus rund 60 000 Per sonen bestehen dürfte. Wenn man grosszügig annimmt, dass etwa ein Viertel dieser Elite in New York wohnt, sind das 15 000 Einwohner auf 8 Millionen. Natürlich gibt es in den Führungsetagen auch eine be achtliche Anzahl von New Yorkern, aber auch diese Leute machen keine lokalen Geschäfte. Die Kader haben im wört lichen wie im übertragenen Sinn «abgehoben», sie schei nen «immer anderswo zu sein», wie sich ein Personalchef ausdrückte. Auf dem festem Boden des bürgerlichen Le bens hat sich die neue Elite in Manhattan eigene kleine Inseln der Geselligkeit geschaffen, zum Beispiel mit den LateNightRestaurants. Während der Boomjahre began nen diese Restaurants sich auf Leute einzustellen, die an der Wall Street das grosse Geld verdienten; nach zehn Uhr abends verwandelten sie sich in Spesenlokale für Leute, die ohnehin bereits von früh bis spät zusammen waren. Die Restaurants, die diese Klientel bedienen, haben ein klar de finiertes Format: einen berühmten Koch, gepflegtes, spar
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sames Dekor, eine Karte mit international verständlichen Gerichten, die durch Nennung der Farmen, von denen die Zutaten bezogen werden, einen Anstrich lokaler «Authenti zität» erhält. Die Restaurants haben teure Weinvorräte in den Grössen Magnum, Jeroboam und Methusalem ange legt, die zur Feier gelungener Geschäftsabschlüsse geordert werden können. Ein Londoner Anwalt oder ein Investor aus Hongkong kann ein solches Lokal problemlos erken nen und fühlt sich dort sofort zu Hause – was auch der Sinn der Sache ist. Es ist daher wenig verwunderlich, dass die Elite der neu en Finanzindustrie als soziale Insel auf der geographischen Insel Manhattan zunehmend im eigenen Saft schmorte. Diese Inselmentalität hat auch ihr Verhalten in den Unter nehmen beeinflusst und den SiloEffekt im Umgang mit den lokal stärker verwurzelten Untergebenen verstärkt. Es ist die Wahrnehmung dieses abgehobenen Insel lebens, die meiner Ansicht nach die Klage derjenigen stützt, die im Crash ihre Arbeit verloren haben: man habe sie völ lig teilnahmslos abserviert. «Immer anderswo zu sein» oder sich im Kokon eines globalisierten Luxus einzuspinnen er leichtert das Abschieben der Verantwortung. Zumindest galt das für zwei meiner ehemaligen Studenten in Harvard, die ich nach einer Reihe von Interviews mit Arbeitslosen ausfindig machte. «Sie blasen das zu sehr auf», sagte einer von ihnen. «So ist eben das Geschäftsleben. Keiner kann erwarten, dass es immer nach seinen Wünschen läuft.» Natürlich nicht. Viel leicht weil ich zarter besaitet bin als diese noch recht jun gen Männer, die das Zehnfache meines Salärs verdienen, fragte ich noch einmal nach, ob auch andere Führungskräf te so dächten. Diese Frage schien sie zu überraschen. «Die Wall Street ist ein solches Chaos, da hat keiner Zeit zum Händchenhalten.» Zu ihren Gunsten muss ich anfügen, dass meine ExStudenten, die sich zu Investmentbankern gemausert hatten, ihre «Finanzboutique» in der Krise zu erhalten versuchten und sie nicht in Einzelteile zerlegten und versilberten. Dennoch unterschied sich ihre Sprache deutlich von derjenigen des Schuhfabrikanten, den ich vierzig Jahre zuvor interviewt hatte. Die Frage, wie man sich Autorität verdienen kann, schien sie herzlich wenig zu in teressieren.
richard sennett lehrt Soziologie an der University of New York und an der London School of Economics. Der Beitrag ist ein bearbeiteter Auszug aus Sennetts neustem Buch, das Anfang 2012 erscheinen wird: «Together. The Rituals, Pleasures and Politics of Cooperation». Die deutsche Ausgabe ist für den Herbst 2012 vorgesehen. Übersetzung: robin Cackett, Berlin.
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Klartext. Seit 1741 Weder die Realität im politischen Weltgeschehen noch die Entwicklungen an den Finanzmärkten geben gegenwärtig Anlass zu Freudensprüngen. Deshalb gilt es, immer wieder über die Auswirkungen widriger Rahmenbedingungen und über zu optimistische, aber auch zu pessimistische Einschätzungen und daraus folgende Übertreibungen nachzudenken. Lernen Sie die gesunde Skepsis aus St. Gallen kennen. Im seit 1909 regelmässig publizierten Anlagekommentar präsentieren Wegelin & Co. Privatbankiers ihre ganz persönliche Meinung zum Geschehen an den internationalen Finanzmärkten. Lesen und hören Sie den aktuellen Anlagekommentar unter www.wegelin-anlagekommentar.ch <wm>10CAsNsjY0MDAx1TU0NTAyNAEAkPpdBQ8AAAA=</wm>
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Die Begrenzung der Macht ist das A und O der Schweizer Politik. Darum gibt es keine ernsthafte Alternative zum Prinzip der Konkordanz. Von Martin Senti
«Gerade in Zeiten, wo jedermann von Teamgeist spricht, ist zu betonen: Verantwortung ist unteilbar.» Das ist eine ziemlich gewagte Aussage für einen Schweizer Bundesrat. Aber Christoph Blocher war schon KonkordanzSkeptiker, bevor er 2003 in die Landesregierung gewählt wurde. Seine Wahl änderte daran nichts – und erst recht nicht seine Ab wahl 2007. Die Ironie der Geschichte: Die Wahl und die Abwahl Blochers illustrieren unmittelbar die zwei Grund pfeiler der Schweizer Konkordanz – Repräsentativität und Konsensbereitschaft. Mit der Wahl kam die Vereinigte Bun desversammlung den Anforderungen der Repräsentativität nach – die SVP hatte als wählerstärkste Partei längst An spruch auf zwei der sieben Bundesratssitze. Mit der Abwahl drückte das Parlament vier Jahre später seinen Unmut über die Person Blocher aus – er hatte sich nicht ausreichend geschmeidig der Kollegialität im Gremium ergeben. Es gibt keinen Regierungschef in der Schweiz, keine wei sungsgebundenen Minister und keinen weisungsbefugten Präsidenten. Die Regierungsverantwortung ist auf sieben Köpfe aus den stärksten Parteien verteilt. Das jährlich rotie rende Präsidium des Bundesrats befugt nur zur Leitung der Diskussionen im Regierungsgremium, zu mehr nicht. Der Bundespräsident wirkt als «primus inter pares» – als Erster unter Gleichen. Die Schweizer Bundesverfassung legt denn auch unmissverständlich fest: «Der Bundesrat entscheidet als Kollegium.» Aber nicht nur das Kollegialitätsprinzip verwischt die Zuordnung von Verantwortlichkeiten, auch die Verantwortung des Bundesrats als Kollektiv wird durch Vetomöglichkeiten relativiert: Wie soll eine Regierung für ihre Politik geradestehen, wenn sich die Bürger über Initia tiven und Referenden jederzeit direkt einmischen können? Wie soll eine Regierung Verantwortung tragen, wenn sie nicht auf eine verlässliche Mehrheit im Parlament zählen kann – wenn also auch die Legislative jederzeit nach eigenem Gusto grundlegende Richtungsänderun gen in der Politik einleiten kann? Wenn in der Schweiz Regierungsmit glieder «ihre» Departementsgeschäfte im Bundesratskollegium, im Parlament oder beim Stimmvolk nicht durchbringen, ist das noch lange kein Rücktrittsgrund. In ei ner Mehrheitsdemokratie, wie sie die um liegenden Länder kennen, käme sofort die Vertrauensfrage aufs Tapet. In der parla mentarischen Demokratie muss die ver antwortliche Regierung auf eine Parla mentsmehrheit zählen können, sonst wird sie handlungsunfähig. In der Schweiz aber
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kann weder die Regierung das Parlament auflösen, noch kann das Parlament im Verlauf der vierjährigen Legislatur die Regierung abwählen. Exekutive und Legislative sind sich nicht direkt verantwortlich. Und genau das ist der Grund, warum die Konkordanz immer wieder – und schon lange vor Blocher – als Modell der «institutionalisierten Verantwortungslosigkeit» kritisiert wurde. Verantwortung bedeutet, Rechenschaft ablegen zu müs sen, die Konsequenzen für das eigene Tun zu tragen – im Guten wie im Schlechten. Verantwortung bedeutet somit in erster Linie Macht. Zur Verantwortung ziehen kann man nur, wer die Macht hat, den eigenen Willen auch gegen Widerstand durchzusetzen. Es ging den Bundesstaatsgrün dern im 19. Jahrhundert nicht darum, Verantwortung zu minimieren, sondern Macht zu hemmen und zu begren zen. Amtsträger sollen sich gegenseitig kontrollieren, Glei ches gilt für die Kompetenzverteilung zwischen den Staats ebenen – zwischen Bund, Kantonen und Gemeinden – und zwischen den Gewalten: Legislative, Exekutive, Judikative. Und weil dies den Verfassunggebern noch nicht Machtkon trolle genug war, wurde zu Beginn des Bundesstaats auch sukzessive die Direktdemokratie ausgebaut. Die Volksrech te ziehen letztlich alle Stimmbürger unmittelbar mit in die politische Verantwortung. Das repräsentative Element, also die Bedeutung von Wahlen wird relativiert. Macht und Verantwortung sind atomisiert. Mitglieder von Exekutiven müssen mit der Machtbeschrän kung leben können, was nicht immer allen gleich gut ge lingt. Der Bundesrat ist nicht als politische Führung erdacht worden, sondern als Spitze der Verwaltung. Christoph Blo cher war beileibe nicht der einzige Bundesrat in der Ge
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schichte der Eidgenossenschaft, der Mühe damit hatte, Macht und Verantwortung zu teilen. Die Kraft der Institutio nen hat sie alle gezähmt – oder aber unsanft entsorgt. Wer den Kopf zu hoch hält, schlägt in der Schweizer Politik rasch an der Decke an. Entsprechend hat die Bundesversammlung bei der Per sonenauswahl zumeist auf moderate Charaktereigenschaf ten von Bundesratskandidaten geachtet: Überflieger, Visio näre, markige Figuren und dominante Parteiführer blieben in aller Regel chancenlos. Als guter Bundesrat galt einst ein Bundesrat, von dem man nach der Wahl nichts mehr ge hört hat. Die Mediendemokratie stellt mittlerweile zwar an dere Ansprüche an Bundesräte. Man schreit heute rasch nach politischer Führung – aber wehe dem, der den Ver such zu regieren auch tatsächlich wagt. Die Konkordanz passt zur kleinräumigen und viel schichtigen Schweiz, weil in ihr Macht und Verantwortung nicht der Mehrheit vorbehalten sind, sondern dem Zusam menspiel möglichst vieler Minderheiten. Ohne den fein austarierten Minderheitenschutz wäre es Mitte des 19. Jahrhunderts kaum zum liberalen Bundesstaat gekommen. Die Vielzahl von Kantonen unterschiedlicher Sprache, Konfession und Wirtschaftsstruktur verlangte nach einem Modell der Integration. So wurden einst die Katholisch Konservativen in die Verantwortung für den jungen Bun
desstaat einbezogen, später auch die Linke und das pro testantische bäuerlichländliche Gewerbe. Nun geht es darum, im Zeitalter von Globalisierung und europäischer Integration das Lager der nationalkonservativen Skeptiker zu integrieren – genau wie das zu Zeiten der Bundesstaats gründung mit den konservativkatholischen Föderalisten geschah. Es bedarf in der Schweiz stets von vornherein einer gros sen Akzeptanz für politische Lösungen, sonst bleiben diese im Gitter der Vetomöglichkeiten hängen. Wer potentiell die Zustimmung verweigern kann, wird deshalb präventiv in die Verantwortung eingebunden. Das ist mit der Repräsen tativität gemeint: Die Regierung soll in etwa die wahren Kräfteverhältnisse spiegeln, also nicht nur eine einfache, sondern eine satte Mehrheit der Stimmbürger. Die SVP ist die grösste Partei der Schweiz. In einer Mehr heitsdemokratie würde sie nach den Parlamentswahlen mit der Regierungsbildung beauftragt. Sie müsste mit einer oder mehreren anderen Parteien ein Regierungsprogramm aushandeln und eine Koalition bilden. Die Schweizer Kon kordanz aber stellt die Dinge auf den Kopf: Hier gilt die SVP als eine starke, referendumsfähige Minderheit. Also zwingt das System die anderen Parteien, die SVP ihrer Stärke ge mäss ins Machtkartell zu integrieren. Diese Mechanik zu verstehen fällt nicht nur Beobachtern von aussen schwer,
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sondern auch zunehmend Parteien wie der SVP und ihren Vertretern. Ihre lähmende, auch von der SP schon seit lan gem praktizierte Doppelstrategie lautet: Bequem im Macht kartell Einsitz nehmen und doch regelmässig die Zustim mung zu verweigern, also Regierung und Opposition in einem zu spielen. Die SVP will Verantwortung nicht teilen, und sie will umgekehrt Verantwortung nicht mittragen – solange sie ihre eigenen Interessen nicht restlos unterbrin gen kann. Der Kompromiss wird von diesen Skeptikern der Kon kordanz heute gern von vornherein als «faul» diskreditiert. Eloquente Befürworter der Konkordanz dagegen loben sei ne positiven Seiten. Etwa der frühere Bundesrat Moritz Leuenberger. Er nannte den Kompromiss einst die erfolg reiche Verhinderung einer allenfalls noch weitergehenden Abweichung von den eigenen Interessen. Oder der Schrift steller Meinrad Inglin Ende der 1930er Jahre: Der Kompro miss habe dem Kleinstaat das Überleben gesichert, schrieb Inglin in seinem «Schweizerspiegel» über diese Fähigkeit «zum vorzeitigen Gefechtsabbruch». Bisher hat das klug eingerichtete politische System immer wieder alle zurück an den Verhandlungstisch gezwungen. Anläufe von links und rechts, eine sogenannt «kleine» oder «inhaltliche» Konkordanz einzurichten – was de facto einer
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Koalitionsregierung gleichkäme –, sind stets sang und klanglos gescheitert. Eine «kleine» Konkordanz ist keine Konkordanz. Es gibt den Einwand, dass die Möglichkeit zum echten und regelmässigen Machtwechsel eine Demokratie erst ausmache. In der Konkordanz sind Machtkartelle tatsäch lich nicht leicht zu knacken. Das ist die Kehrseite der Stabi lität. Doch wenn die Konkordanz spielt, gibt es dafür keine ewigen Gewinner und keine ewigen Verlierer. The winner doesn’t take it all. Und so ist es in der Schweiz auch nicht notwendig, alle vier oder acht Jahre die gesamte Regierung auszuwechseln, inklusive eines Grossteils der Verwaltung. Darin liegt das Geheimnis der Stabilität: Die Schweizer Par teien sind schwach, die Administration ist stark. «Geteilte Verantwortung ist keine Verantwortung», pro voziert Christoph Blocher: «Wenn es gutgeht, sind alle ver antwortlich. Wenn es schlechtgeht? Niemand.» Geteilte Verantwortung ist doppelte Verantwortung, liesse sich dem entgegnen. Wer in der Konkordanz tatsächlich etwas errei chen will, darf sich nicht allein um die Durchsetzung der eigenen Interessen kümmern – und bei Problemen mit dem Finger auf die anderen zeigen.
martin senti ist Inlandredaktor der NZZ.
Auf schmalen Schultern
Auch in der Schweiz gibt es Familien, in denen sich die Rollen umkehren: Die Kinder übernehmen die Verantwortung für Eltern, Geschwister und Haushalt. Von Gabrielle Kleinert
«Ich stehe jeden Tag um sechs Uhr morgens auf, und um halb sieben wecke ich meine kleine Schwester, sie ist acht Jahre alt. Ich gebe ihr Kleider zum Anziehen und kontrollie re ihre Hausaufgaben. Wenn sie nicht gemacht sind, muss sie es nachholen. Gegen sieben Uhr bringe ich sie in die Tagesschule, dort gebe ich sie ab. Meine Schwester isst in der Tagesschule Zmorge. Ich manchmal auch. Aber meis tens gehe ich wieder heim und packe meine Schulsachen. Um acht Uhr fängt dann für mich die Schule an. Aber Ver antwortung übernehme ich schon ab dem Moment, wenn ich wach bin», sagt Natascha*. Natascha hat ihre halblangen Haare strohblond gefärbt, die Augen dunkel geschminkt. Sie trägt enge Jeans und eine Zahnspange. Sie ist 14 Jahre alt und lebt in Bern. Ihre Eltern sind getrennt, der Vater ist Italiener, die Mutter Schweize rin. Sie verlässt um 5 Uhr morgens das Haus und kehrt erst gegen 19 Uhr abends zurück. Sie arbeitet auf einer Bank und geht putzen. Natascha macht in dieser Zeit alles – und zwar allein. Sie kauft ein, hütet die Schwester, kocht, erle digt Hausarbeiten, erledigt die Post, geht ans Telefon, kon trolliert die Aufgaben der Schwester, wäscht die Kleider, schaut nach dem Rechten. Und geht zur Schule. Dass Kinder in unserer Gesellschaft so viel Verantwor tung für ihr Zuhause, ihre Eltern und ihre Geschwister übernehmen, ist – anders als noch in den letzten Jahrhun derten – nicht mehr üblich. Kinder sollen heute Kinder sein, die Kindheit gilt als schützenswerte Zeit. Eltern sorgen für die Kinder, nicht umgekehrt. Und wenn Eltern für Haus halt und Kind keine Zeit haben, werden die Aufgaben dele giert: an Kinderkrippen, Tagesschulen, Tagesmütter, Au pairs, Putzhilfen, Kindermädchen. Eine Studie der Universität Halle in Berlin aus dem Jahr 2007 mit Kindern zwischen 9 und 15 Jahren stellte jedoch fest, dass 97 Prozent aller Befragten zu Hause Arbeiten erle digen, für die sie von den Eltern kein Geld erhalten – Haus tiere füttern, Müll wegbringen, Staub saugen. Dabei leisten manche mehr als andere, sie übernehmen wie Natascha Verantwortung für das Familienleben. Sie hüten Geschwis ter, begleiten Verwandte zum Arzt, pflegen sie, putzen, wa schen, bügeln, kaufen ein, kochen, saugen Staub, reinigen Fenster, kümmern sich um die Haustiere oder den Garten, erledigen die Post, stellen Kontakte zu den Behörden her und – falls die Eltern fremdsprachig sind – leisten Überset zungs und Integrationsarbeit. «Meine Mutter spricht ein bisschen besser Deutsch als mein Vater. Er versteht fast nichts. Wir kommen eigentlich aus der Türkei, ich bin aber hier geboren. Ich habe vier ältere Schwestern. Zwei leben in der Türkei, zwei in der
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Schweiz, eine davon direkt neben uns. Sie ist von ihrem Mann getrennt und hat einen zehnjährigen Sohn. Ich muss viel auf ihn aufpassen, muss ihm zeigen, dass ich sein On kel bin. Das ist halt so bei uns. Verantwortung bedeutet für mich, dass ich immer für meinen Neffen da sein muss. Wenn ich zum Beispiel schulfrei habe, muss ich zu ihm schauen. Ich erziehe ihn, das kann man so sagen. Er kommt immer mit, wenn ich irgendwo hingehe, im Sommer in die Badi oder im Winter ins Quartier. Ich weiss nicht, ob ich das gern mache, es gehört einfach zu meinem Leben. Wenn Rechnungen oder Briefe kommen, dann mache ich sie auf und übersetze sie, immer. Ich muss eigentlich fast überall im Alltag meinen Eltern helfen. Auch, weil mein Vater eigentlich nie zu Hause und meine Mutter allein ist. Sie braucht mich, sonst geht es nicht. Ich habe jetzt aber einen Familienbeistand bekommen, eine Frau. Die rufe ich an, wenn ich nicht mehr weiterweiss. Sie kann mir gut hel fen, auch wenn ich mal Probleme in der Schule habe. Letzt hin habe ich zum Beispiel meinen Rucksack mit den Haus aufgaben im Klassenzimmer vergessen, und am Abend konnte ich sie zu Hause nicht machen. Es waren fünf Blät ter mit Vorgaben drauf für einen Aufsatz. Da habe ich sie angerufen und gefragt, was ich jetzt machen soll. Ich war verzweifelt! Sie meinte, ich solle ruhig bleiben, und hat mir geraten, den Aufsatz einfach auf weisse Blätter zu schrei ben. Das habe ich dann gemacht. Von zu Hause bekomme ich in solchen Situationen keine Unterstützung, nie. Ich gu cke immer für mich alleine», sagt Hüseyin*. Hüseyin spricht ruhig und sehr sanft. Er ist kräftig gebaut, grossgewachsen. Manchmal fehlen ihm die Worte. Dann denkt er nach, schüttelt den Kopf und weiss nicht weiter, weiss nicht, wie er sich ausdrücken soll. Dann schweigt er. Er ist 14 Jahre alt. Zusammen mit Natascha geht er in die 8. Klasse im Schulhaus Schwabgut, 3018 Bern Bethlehem, 520 Schüler aus 50 Nationen, Türken, Spanier, Italiener, Ta milen, Afrikaner, Serben, Albaner, aber auch Schweizer. Bethlehem gilt in Bern als Ausländerquartier. Die meisten Familien leben in tristen Hochhäusern, in manchen Woh nungen gibt es kein warmes Wasser. Die familiäre Aufteilung von Hausarbeit wurde bisher kaum erforscht. Doch in der erwähnten Berliner Studie wird festgestellt, dass Eltern, deren Kinder besonders viel Verantwortung übernehmen müssen, meist getrennt leben oder geschieden sind. Sie arbeiten Schicht, sind abends oft ausser Haus, manchmal auch die ganze Nacht. In der Frei zeit gehen sie einem Nebenverdienst nach. Viele sind Aus länder, Deutsch bleibt eine fremde Sprache. Manche sind auch suchtkrank, psychisch oder physisch angeschlagen.
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Die norwegische Soziologin Anne Solberg hat herausgefun den, dass Kinder, die viel Verantwortung tragen, von ihren Eltern schneller als «erwachsen» angesehen und stärker an Entscheidungen beteiligt werden. Sie übernehmen Aufga ben, die ihnen unter anderen Umständen nicht zugetraut würden. So verlassen sie den Status des unselbständigen Kindes und erleben Mitsprache, Selbstwirksamkeit und Macht. Das führe dazu, dass ihr Selbstbewusstsein schnel ler wachse und das natürliche Machtgefälle gegenüber El tern und Lehrern aus den Fugen gerate. Die Kinder würden überheblich. Auch im Schulhaus Schwabgut ist dieses Phänomen be kannt: «Solche Kinder übernehmen eine Rolle, die sie über fordert», sagt Gerhard Kupferschmid, ebenfalls Schulleiter. «Sie bekommen zu Hause wenig Halt. Die Orientierung fehlt. Ihnen geht die Unbeschwertheit verloren.» Ruth Biel mann ergänzt: «Die Schüler entwickeln oft ein aufmüpfiges Verhalten, sind es gewohnt, zu sagen, wo es langgeht. Sie sind zu Hause der Boss und bestimmen alles.»
Das Einkommen ist knapp. Im Schulhaus Schwabgut kön nen die Lehrer diese Beobachtungen bestätigen. Und die Schulleiterin Ruth Bielmann sagt: «Kinder aus solchen Fa milien brauchen die Unterstützung der Schule in besonde rem Mass.» Natascha sagt: «Meine Mutter kontrolliert mich selten. Ich kontrolliere sie. Das weiss sie aber nicht. Sie ist ja selten zu Hause. Wenn ich am Nachmittag keine Schule habe, gehe ich für sie einkaufen, sonst hat sie Stress. Abends gibt es meist Teigwaren, Pizza, solche Sachen. Kochen habe ich mir selber beigebracht. Ich mache währenddessen meine Hausaufgaben. Manchmal aber auch erst zwischen zehn und elf Uhr. Vorher schlafe ich sowieso nicht, ich habe mich an den Rhythmus gewöhnt. Ob ich gern für meine Schwester verantwortlich bin? Was soll ich sagen – sie ist meine Schwester. Sie ist immer da. Und die Verantwortung für sie gehört für mich halt einfach dazu. Aber ehrlich, manchmal habe ich schon auch sehr Mühe und ärgere mich. Zum Beispiel wenn ich mal raus will ins Quartier, dann will sie auch mit. Oder wenn ich zu Hause einen Mo ment einfach nur für mich sein will, dann kommt sie zu mir, will was von mir, schlägt mich oder ist frech. Ja, sie ist ein bisschen frech. Keine Angst, ich bin auch frech zu ihr. Aber dann weint sie gleich. Und ich muss mich entschuldigen.»
Hüseyin sagt: «Wenn man Probleme hat, dann muss man die doch irgendwo rauslassen. Früher konnte ich das nicht so gut. Heute bespreche ich alles mit meinen Kollegen. Nein, ich würde nie mit Vater oder Mutter darüber reden! Wie sollte ich auch – ich vertraue ihnen sowieso nicht. Sie
Für Momente, in denen man eine zweite Meinung haben will. <wm>10CAsNsjY0MDAx1TU0MTU0NAMAZ_yr4w8AAAA=</wm>
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vorgelebt bekommen, sondern weil sie es zu Hause vorle ben müssen. So sind sie ihren Eltern bald überlegen. Das führt dazu, dass sie sich von ihrem Daheim entfrem den und eine Abwehrhaltung gegen die Eltern entwickeln. Ruth Bielmann erlebt dies jeden Tag bei ihren Schülern. «Diese Kinder wollen vieles anders machen, im besten Fall besser. Das gelingt manchmal.» Das bedeutet, dass die Kin der eine Chance bekommen, über sich selbst und ihr Tun zu bestimmen, mit allen Konsequenzen. «Denn die wenigs ten dieser Kinder wollen so werden wie ihre Eltern», sagt Gerhard Kupferschmid.
erzählen alles weiter, den Schwestern, den Nachbarn. Und sie begreifen meine Probleme meistens auch nicht. Ob ich gern zu Hause bin? Hm, was soll ich sagen … man kann es nicht immer gut haben im Leben … Ehrlich gesagt, ich bin oft nicht so gern daheim. Ich habe zu Hause keine Ruhe zum Nachdenken, einfach mal für mich. Immer muss ich etwas machen, oder jemand ist zu Besuch. Es wird auch viel geredet. Ruhe braucht man doch manchmal, oder? Damit man wieder weiss, wie es weitergeht, was als nächstes kommt. Ja, manchmal mache ich mich auch lustig über meine Mutter, spreche dann extra nur noch Deutsch mit ihr. Sie versteht ja sowieso nichts. Dann wird sie böse, und ich lache sie aus. Ich glaube nicht, dass meine Eltern ein Vorbild für mich sind. Später will ich mal Polizist werden und für andere da sein.»
Natascha: «Ob ich meiner Mutter vertraue? Hm, was soll ich sagen … ich vertraue ihr genug, könnte man sagen. Aber sie ist nicht unbedingt ein Vorbild für mich. Ich würde bei meiner Familie vieles anders machen. Zum Beispiel würde ich meine Kinder nie in eine Tagesschule schicken, nie! Es wäre alles anders. Aber meine Freunde, die mir am nächs ten sind, haben eh alle eine ähnliche Lebenssituation. Eine Kollegin hat sogar noch mehr Verantwortung als ich. Alle haben ihre Probleme, nicht?»
Jugendliche, deren Eltern aus dem Ausland in die Schweiz gezogen sind, haben es besonders schwer. Sie leisten nicht nur Haus, sondern auch Integrationsarbeit. Sie sprechen besser Deutsch und Mundart als ihre Eltern und begreifen die Schweizer Kultur schneller. Sie lernen, wie man mit Nachbarn umgeht, telefoniert, sich bewirbt, arbeitet, ein kauft, auf Babies aufpasst, mit Lehrern spricht, mit Tages schulleitern umgeht, wie man den öffentlichen Verkehr benutzt, Rechnungen bezahlt – nicht, weil sie es zu Hause
* Name geändert.
Gabrielle Kleinert ist freie Journalistin; sie lebt in Bern.
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Schwerwiegende Entscheide
Eric Honegger, 65, trug grosse Verantwortung, zwölf Jahre als Regierungsrat im Kanton Zürich, danach als Verwaltungsratspräsident der Swissair – wo er scheiterte. Aufgezeichnet von Daniel Weber
Wer Verantwortung hat, muss entscheiden. Ob ein Ent scheid richtig oder falsch ist, zeigt aber immer erst die Zu kunft. Der amerikanische Aussenminister Henry Kissinger hat einmal gesagt: Immer wenn ich in meinem Leben ent scheiden musste, hatte ich zu wenig Informationen auf dem Tisch. Und immer, wenn ich alle Informationen auf dem Tisch hatte, musste ich nicht mehr entscheiden. Wie wahr! Aber in einer Führungsposition hat man dennoch für alle Entscheide die Verantwortung zu übernehmen. Meine politische Karriere begann ich als Gemeinderat in Rüschlikon. Da hatte ich auch in der Vormundschaftsbe hörde mitzuwirken und heikle Entscheide mitzutragen, bei denen es um Eingriffe in Familien ging. Ich war 28, ledig, hatte eben mein Studium abgeschlossen und noch wenig Lebenserfahrung. Ich fragte mich: Wie kannst du so schwer wiegende Entscheide verantworten? Ich versuchte es, in dem ich mich um grösstmögliche Sorgfalt bemühte, im Ak tenstudium, in den Gesprächen. Respekt hatte ich schon, doch sah ich einfach die Aufgabe vor mir, die ich möglichst gut lösen wollte. So war es auch später, als ich mit 41 Regie rungsrat im Kanton Zürich wurde. Ich habe diese ja un gleich grössere Verantwortung nicht speziell hinterfragt. Ich wollte eine möglichst gute Leistung zeigen, denn wer führt und Verantwortung trägt, muss auch Rechenschaft ablegen für sein Handeln. Das stachelt an. In der Finanzdirektion hatte ich etwa tausend Mitarbei ter. Aber in einer solchen Organisation führt man natürlich nicht tausend Leute, sondern über vielleicht ein Dutzend direkt unterstellte Chefbeamte, denen man vertraut. Dar um ist der Unterschied gar nicht so gross zu einem kleinen Unternehmen, in dem ein Dutzend Mitarbeiter dem Chef direkt rapportieren. Im politischen System der Schweiz, das auf Konkordanz und Kollegialität fusst, kann es mitunter auch zu einer Verwässerung der Verantwortung kommen. Manchmal musste ich den Kopf für Dinge hinhalten, die ich nicht so gewollt hatte oder die sogar das Gegenteil des sen waren, was meiner Überzeugung entsprach. Das gehört zum politischen Spiel. Hin und wieder wurde ich allerdings in der Öffentlichkeit auch für etwas gelobt, das ich nicht zu verantworten hatte … Als ich nach zwölf Jahren in der Regierung einen Wech sel vornehmen wollte, wurde ich überhäuft mit Angeboten aus der Wirtschaft. An die Stelle des Parlaments und des Wahlvolks traten nun die Aktionäre und der Markt. Ich war schon als Regierungsrat Mitglied im Verwaltungsrat der Swissair gewesen, hatte als Finanzdirektor engen Kontakt zur Wirtschaft gehabt. Zudem hatte ich mich an der Har vard Business School weitergebildet – ich war also gut vor bereitet auf meine neuen Aufgaben. Und ich freute mich
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darauf, mehr Entscheidungsspielraum zu haben als in der Politik. Dann häuften sich bei der Swissair die Probleme. Ich wurde im März 2001 nach zehn Monaten als Verwaltungs ratspräsident abgesetzt; ein paar Monate später ging die Swissair konkurs. Auf einen Schlag verlor ich fast alle meine Ämter. Ich brauchte lange, bis ich merkte, dass ich wirklich ganz untendurch musste, dass es illusorisch wäre, auf ei nen Rettungsanker zu hoffen. Erst wenn man sich dessen bewusst ist und es auch wirklich akzeptiert, kann man lang sam wieder hochkommen. Ich bereue diese Erfahrung nicht. Für vieles wurden mir die Augen geöffnet, auch für die soziale Verantwortung. Bis dahin hatte sich mein sozia les Engagement auf finanzielle Zuwendungen beschränkt. Nun hatte ich Zeit, die ich nutzte, um zum Beispiel Behin dertentaxi zu fahren. Meinen Karrierebruch versuchte ich nicht zu verdrän gen. Ich ging alles noch einmal ganz genau durch – ich wollte sicher sein, dass unsere Entscheidungen zu jedem Zeitpunkt aus damaliger Sicht vertretbar waren, dass ich sorgfältig gearbeitet hatte. Müsste ich mir den Vorwurf ma chen, nicht nach bestem Wissen und Gewissen entschie den zu haben, könnte ich nur schwer damit leben. Aber dem ist nicht so. Darum bin ich am SwissairProzess in Bülach zu meiner Verantwortung gestanden und habe aus gesagt, statt, wie andere, zu schweigen. Dass ich in meinem Leben viel Verantwortung über nommen habe, sehe ich nur positiv. Es hat mich ange spornt, mein Bestes zu geben. Selbst dort, wo es zum Kar rierebruch geführt hat, hat es mich stärker gemacht. Das Glück, das ich gefunden habe, liegt freilich abseits vom ge sellschaftlichen Erfolg, der weitherum angestrebt wird. daniel Weber leitet die Folio-Redaktion.
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Der juristische Roboter
Immer mehr autonome Maschinen nehmen uns die Arbeit ab. Doch wer trägt die Verantwortung, wenn der Parkierassistent das Auto zu Schrott fährt? Von Burkhard Strassmann
Oma sucht einen Parkplatz. Fährt an einem grossen, freien Platz vorbei. Passiert mehrere akzeptable Parkplätze. Opa auf dem Beifahrersitz wird zunehmend nervös. Da – eine winzige Lücke. Mit Vollgas stösst Oma hinein, einmal vor, einmal zurück – passt! Opa ist perplex. So zeigt es ein Reklamevideo für den neuen Golf mit Par kierassistenz. Der digitale Assistent nimmt beim Einparkie ren dem Fahrer das Lenkrad aus der Hand und steuert selbsttätig in die automatisch vermessene Lücke. Automatisches Getriebe, Tempomat, Scheibenwischer, die wissen, wann es regnet, Lampen, die sich im Tunnel einschalten – kennen wir. Unser Auto folgt dem Vorgänger und passt dabei selbständig das Tempo an – akzeptiert. Doch jetzt sind die ersten Fahrzeuge auf der Strasse, die bei Gefahr autonom bremsen, die Fahrbahn erkennen und ei genmächtig Kurs halten. Oder eben beim Parkieren hel fend eingreifen. Kurz vor der Marktreife stehen Assistenten, die dem Auto ermöglichen, auch ohne Insassen in die Park lücke zu finden. Und bei Braunschweig fährt regelmässig ein mit Kameras und Radargeräten bestücktes Geisterauto über die Strassen, das gar keinen menschlichen Chauffeur mehr braucht. Der Prototyp eines Autoautos. Es wird ernst. Jahrzehntelang war es Stoff für Science Fiction, nun übernehmen die Maschinen tatsächlich das Kommando. Dabei sind die Veränderungen im Strassenver kehr nur die augenfälligsten. In japanischen Altersheimen kontrollieren durchs Haus streifende Roboter die Flüssig keitsaufnahme der Bewohner und verabreichen Medika mente. Das 432. Luftwaffengeschwader auf der Creech Air Force Base in Nevada besteht nur noch aus unbemannten Flugzeugen, sogenannten Drohnen. Und an der Wall Street hat 2010 ein Serverproblem der Börse den Dow Jones um 1000 Punkte abstürzen lassen, nachdem zahllose autonom
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agierende Computerprogramme innerhalb von Sekunden bruchteilen vollautomatisch Zehntausende von Transaktio nen vorgenommen hatten. Wer das Kommando hat, trägt die Verantwortung, wenn etwas schiefgeht. Doch wer haftet für Entscheidungen, die Maschinen getroffen haben? Was, wenn sie uns beim Par kieren gegen eine Parkuhr fahren, wenn sie im Heim einen Senior verletzen, wenn sie als Drohnen unvermittelt Freun de bombardieren oder als Aktienprogramm ganze Staaten in den Ruin treiben? Wer hat schuld, wer zahlt am Ende? Schuldig kann der Hersteller sein, der Programmierer, der Händler oder der Anwender. Oder ist gar die Maschine selbst verantwortlich? Jahrtausendelang waren die Verhältnisse zwischen Mensch und Maschine einigermassen geordnet, die Hierarchie war klar. Den Maschinen genügte es, immer mehr Arbeit zu übernehmen. Der Mensch überwachte derweil seine künst lichen Knechte und regierte sie über Hebel und Knöpfe. Das Symbol seiner Kontrollmacht war der dicke rote Aus Schalter. Doch moderne Maschinen übernehmen heut zutage gern auch die Herrschaftsinstrumente. Sie über wachen sich selbst, dazu noch den Menschen, treffen eigenständig Entscheidungen und haben manchmal nicht mal mehr einen Knopf zum Abschalten. Im Gegenteil: Sie kümmern sich eigenhändig um ihre Energieversorgung. Schon die einfachsten Vertreter solcher modernen Maschi nen – Staubsaugerroboter etwa – steuern bei Bedarf eine Steckdose an. Die besseren sind intelligent, haben ein schier unbegrenztes Gedächtnis, sind lernfähig und kön nen sich bisweilen sogar untereinander vernetzen. Sie werden uns Menschen ähnlicher. Einmal program miert, sind sie nicht etwa ausgereift. Sie lernen ständig hin
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zu und verändern sich. Das heisst aber auch: Ihre Aktionen werden flexibler und autonomer und deshalb zunehmend schlechter kalkulierbar. Diese eigenwilligen Apparate wer fen dabei Fragen auf, die traditionell nur von Philosophen diskutiert werden – oder in der ScienceFictionLiteratur. In der Phantasie und den kollektiven Albträumen, in der Literatur und im Film hat besonders der Roboter als klassi sches Beispiel einer «Menschmaschine» schon lange einen festen Platz. In der Realität dagegen bewohnen Roboter Orte abseits der öffentlichen Wahrnehmung. Schon seit den 1950er Jahren im Einsatz – 2008 gab es weltweit ge schätzte eine Million Industrieroboter –, verrichten sie, mit Sicherheitsabstand montiert, isoliert und abgeschottet hin ter Gittern ihre Arbeit. Dort können sie den Arbeitern nicht gefährlich werden. Bloss ihren Arbeitsplätzen. Doch die Zeit der sicherheitsverwahrten Roboter geht zu Ende. Auf Messen und bei Veranstaltungen stellen wir im mer häufiger fest: Die Roboter gehen unter die Leute. Kom men uns entgegen, fixieren uns, sprechen uns an, geben Hinweise und Antworten, verteilen Prospekte. Schon in vielen Ländern ist «Paro» im Dienst, eine weisse Kuschel robbe mit grossen Augen, die auf Streicheln und Drücken reagiert. «Paro» soll an Demenz erkrankte Senioren anre gen und aus der Reserve locken. «Pflegeroboter» helfen beim Umbetten und sind kurz davor, die personalintensive und körperlich anstrengende Pflege von Alten und Kran ken zu revolutionieren. Der gewaltigste Durchbruch zeich net sich aber gegenwärtig in der Automobilindustrie ab. Bei Daimler in Sindelfingen ist ein Montageband zum Test mit einem neuen Typus Roboter ausgerüstet. Erstmals setzt sich hier ein «InCarRob» neben den Monteur in den Wagen. Ab sofort wird Schulter an Schulter mit der Maschi ne gearbeitet. Der menschliche Handlanger reicht Teile des Armaturenbretts an und bringt sie in Position – Kollege Ro boter schraubt. An den Türen heftet der Mensch den Kan tenschutz an, «InCarRob» vollendet die Arbeit. «Der Werker muss kaum mehr eingreifen», freuen sich die Ingenieure. Ab 2013 sollen diese sogenannten kollaborativen Roboter den Arbeitern regelmässig auf die Pelle rücken.
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Wie solche Kollaborateure aussehen können, kann man sich beim Schweizer Robotikspezialisten ABB anschauen. Dort hat man «Frida» entwickelt, einen tragbaren kompak ten Oberkörper mir zwei langen, ausgesprochen bewegli chen Armen. «Frida» sieht eigenartig muskulös aus; obwohl sie nicht menschenähnlich gestaltet ist, wirkt sie doch um werfend authentisch in ihren komplexen und flüssigen Be wegungen, mit denen sie Objekte sortieren, umlagern oder verpacken kann. Übrigens sei die neue Kollegin «harmlos», teilt ABB beiläufig mit. «Harmlos»: Das beruhigend gemeinte Wort erinnert un freiwillig an die ausrastenden, mordenden und zerstören den Automaten des ScienceFictionGenres. Und daran, dass der intelligenteste Roboter auch nur eine Kraftmaschi ne ist, die im Versagensfall ein Desaster anrichten kann. Natürlich versuchen die Hersteller, Probleme von Haftung und Verantwortung erst gar nicht aufkommen zu lassen, indem sie mit technischen Mitteln vorsorgen. Enorme An strengungen werden unternommen, um die Roboter sensi bel zu machen für menschliche Annäherungen. Sie erhal ten Radar, Infrarot oder Ultraschallsensoren und eine weiche, tastsensible Aussenhaut. Dreidimensionale Kame rasysteme überwachen den Aktionsraum der mitarbeiten den Roboter. ABB hat mit europäischen Hochschulen und Forschungseinrichtungen ein Projekt zur «Teamarbeit zwi schen Menschen und Robotern» gestartet. In «Rosetta» soll die MenschMaschineInteraktion untersucht werden, da mit sich die Partner gegenseitig nichts antun. Und doch: Die Maschine wird versagen. Es wird Schäden geben. Es wird teuer werden. Man sieht sich vor Gericht. Eigentlich seltsam, dass sich nicht schon längst überall Ju risten auf das neue, absehbar wachsende Betätigungsfeld einstellen. Tatsächlich sitzen die europäischen Vorreiter in der Frage der ethischen und juristischen Verantwortung für neue autonome Systeme relativ allein in Würzburg. An der JuliusMaximiliansUniversität entstand vor einem Jahr eine «Forschungsstelle Robotrecht». Das Ziel: das Rechts system auf den neuen und massenhaften Einsatz von
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Neu: Knorr Saucen für feinsten Geschmack.
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Knorr Suprême Saucen: beste Zutaten für höchsten Genuss.
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nachdem der Bordrechner auf Crash erkannt hat. Technisch geht das. Lastwagen können das schon. In Japan findet man solche Autos bereits auf der Strasse. Hierzulande dagegen warten die Hersteller ab. Solange sie nicht wissen, wer dafür geradestehen muss, wenn das System ausfällt oder falsch entscheidet, bauen sie die Technik nicht ein. Doch wen könnte man guten Gewissens haftbar machen, wenn nicht einmal ein Kausalzusammenhang zwischen Herstellung, Programmierung, Nutzung und Schaden sau ber herzustellen ist? Die reichlich futuristisch klingende Antwort lautet: die autonome Maschine, das System oder den Roboter selber! «Ich kann mir vorstellen, dass man ei nen autonomen Roboter in Zukunft als juristische Person betrachtet», sagt Eric Hilgendorf, der an der Uni Würzburg für Informationsrecht und Rechtsinformatik zuständig ist. Eine juristische Person braucht weder Sinn noch Verstand und auch keine Seele. Bekannte Beispiele sind die GmbH und der Verein. Der Roboter als juristische Person würde alle Ansprüche in sich bündeln. Er müsste dazu allerdings über Geld verfügen. Hersteller, Nutzer und andere Beteiligte müssten ihn mit Vermögen ausstatten und versichern. Im Schadensfall könnte man den Apparat zur Kasse bitten. Das wäre der erste Schritt auf dem Weg zu einem eigenen RoboterStrafrecht, wie es der Philosoph Andreas Matthias 2008 gefordert hat. Auch ohne digitales Bewusstsein, fand
MenschMaschineSystemen vorzubereiten. Das Problem, das die Würzburger Juristen auf den Plan rief, war ein Elek trorollstuhl, den ein anderes Institut so umgebaut hatte, dass er selbständig ein programmiertes Ziel erreichen konnte. Der Versuch, das autonome Kleinstfahrzeug für den Strassenverkehr zuzulassen und zu versichern, führte zu bizarren Rechtsproblemen. Am Ende konnte man den Rollstuhl dann offiziell als «Mofa» auf der Strasse bewegen, doch nur unter der Bedingung, dass ständig eine Person mit einem AusSchalter nebenherlief. Die Frage, wer bei einem Unfall verantwortlich zu machen sei, wurde auf die se etwas absurde Weise umgangen. Juristisch sind solche Fragen noch Neuland. Präzedenz fälle sind rar. Die ersten Fälle von versagenden Parkier assistenten werden gerade vor deutschen Gerichten verhandelt. Bis anhin neigen die Richter dazu, bei Assistenz systemen dem Nutzer die Verantwortung zuzusprechen. «Noch ist der Fahrer zu hundert Prozent haftbar. Doch das geht an der Lebenswirklichkeit vorbei», sagt Susanne Beck, CoGeschäftsführerin der Würzburger Forschungsstelle. Sie erwartet dazu eine höchstrichterliche Entscheidung. In der Industrie jedenfalls steigt der Druck. Die unklaren Haftungsfragen blockieren in einigen Bereichen die techni sche Entwicklung. So gibt es bis heute in Europa keinen Per sonenwagen, der selbständig eine Vollbremsung ausführt,
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sie Gehirnregionen, zum Beispiel mit implantierten Com puterchips, stimulieren. In der Humanmedizin gibt es vor allem bei der Tiefenhirnstimulation mit implantierten Elektroden erste Erfolge. Gelegentlich spricht man dabei von Hirnschrittmachern. So werden inzwischen Patienten mit Parkinson, Depressionen und seit neuestem auch Alz heimer mit extern erzeugten Impulsen direkt im Gehirn therapiert. Mit bisweilen unerfreulichen Nebeneffekten. «Es gibt Fälle von Kleptomanie unter der Wirkung eines Hirnschrittmachers», sagt Susanne Beck. Die Geräte kön nen sowohl die Stimmung beeinflussen als auch das Verhal ten verändern. So wurde ein auffällig verstärkter Sexualtrieb beobachtet. Doch wer haftet, wenn es zu Fehlverhalten kommt? Die Elektrode im Hirn schränkt die Schuldfähigkeit ein. Hat sich die Patientin, die mit eingeschaltetem Hirnsti mulator quasi schuldlos das Kosmetikgeschäft plündert, schon im Moment des Einschaltens schuldig gemacht? Wird der Mann, der unter der Einwirkung der Gehirnsonde Frau en belästigt, analog zum Säufer zur Rechenschaft gezogen? Beim Alkohol ist die Rechtsprechung klar: Wer weiss, dass er betrunken zur Prügelei neigt, ist für die Folgen des Trinkens verantwortlich und kann bestraft werden. Entsprechende Fragen werfen auch neue Geräte auf, die den Cyborg optisch deutlich kenntlich machen. Die Ent wicklung von Exoskeletten verzeichnet grosse Fortschritte
er, könnte ein Roboter strafmündig sein. Die Zeit scheint reif zu sein für eine RoboterEthik, wie sie schon in den «Robo tergesetzen» des ScienceFictionAutors Isaac Asimov for muliert wurde: Ich Roboter darf kein menschliches Wesen verletzen, ich muss den menschlichen Befehlen gehorchen und des Menschen Existenz beschützen. Klingt recht skurril. Zu Beginn ihres RoboterEngage ments wurden die Würzburger Juristen tatsächlich belächelt. Doch die Dynamik der technischen Entwicklung ist gerade bei den autonomen Systemen atemberaubend. Heute wird die Forschungsstelle Robotrecht zunehmend in Anspruch genommen. Für die EU erstellt sie gerade eine Diskussions grundlage, ein sogenanntes Grünbuch. Sie kooperiert mit Ingenieursverbänden und berät Forscher und Firmen. Doch nicht genug damit, dass sich die Rechtsgelehrten mit dem Robotikrecht beschäftigen, sie studieren auch noch die juristischen Fragen, die der grosse Gegenspieler des Robo ters aufwirft: der Cyborg. Das ist ein Mensch, der Teile sei nes Körpers durch künstlichen Ersatz oder Maschinenteile ausgetauscht hat. Wir kennen ihn aus dem Kino, als Robo Cop oder als Darth Vader bei «Star Wars». Cyborgs existie ren, seit Gelenkprothesen, Herzschrittmacher, Innenohr und Netzhautimplantate in Menschen eingebaut werden. Gegenwärtig machen Wissenschafter Schlagzeilen, wenn
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und steht bei der Unterstützung Schwerbehinderter vor dem Durchbruch. Exoskelette sind aussen am Körper an gebrachte künstliche Knochen und Muskeln, die elektro nisch gesteuert werden und theoretisch ermüdungsfreies Gehen, Heben und Tragen schwerer Lasten ermöglichen. Weltweit ist das Militär an solchen Verstärkern der mensch lichen Physis interessiert. Besonders eindrücklich sind die Bilder von Querschnittsgelähmten, die nach Jahren im Rollstuhl wieder laufen können. Nur wohin sie laufen, was sie heben und wann sie etwas wohin fallen lassen, das ist nicht immer nur ihrem Willen unterworfen. Wer aber dafür verantwortlich ist, was das Exoskelett mit seinem Träger anstellt, auch darüber zerbrechen sich die Juristen die Köpfe. Eine grundlegende Idee hat Susanne Beck schon parat: Auch wenn ein neues Cyborg und Robo terrecht noch lange nicht formuliert ist, sollte man in Fällen fraglicher Schuldfähigkeit eine Blackbox montieren. So liessen sich das Verhalten der Menschmaschinen und Ma schinenmenschen, eventuelle Lernfortschritte und externe Eingriffe zumindest dokumentieren. Das Prinzip kennen wir aus dem Flugzeug. Auch im mo dernen Verkehrsflugzeug verlassen wir uns weitgehend auf eine autonome Maschine, die ohne Pilot fliegen kann. Ge rade wenn es um sehr schnelle Entscheidungen geht oder um komplexe Situationen, sind solche Systeme dem Men schen überlegen. Man denke an das Drama 2002 bei Über lingen, als zwei Flugzeuge auf Kollisionskurs flogen, die «Maschine» das erkannte und einen Piloten zum Steigflug, den anderen zum Sinkflug aufforderte. Erst der falsche Be fehl des zuständigen Fluglotsen und das anschliessende manuelle «Übersteuern» des Systems führten zum Crash. Noch existiert das Paradigma der immer möglichen Übersteuerung autonomer Systeme. Der Fahrer, Anwender oder Nutzer ist die höchste Instanz. Er kann alle Massnah men des Systems jederzeit stoppen. Darum kann man dem Parkierassistenten das Lenkrad auch wieder aus der Hand nehmen. Man kann ein autonom bremsendes Fahrzeug durch einen Tritt aufs Gas beschleunigen. Und Fluglotse wie Pilot können die Anweisung des Bordrechners ignorie ren – manchmal eben fatalerweise. Die herausgehobene Stellung des Menschen in solchen MenschMaschineSy stemen beruht nicht etwa auf der Wertschätzung seiner Fä higkeiten und auch immer weniger auf der Skepsis gegen über einer digitalen Intelligenz. Letztlich soll der Mensch selbst äusserst komplexe Systeme wie Flugzeuge komman dieren, weil man einen Verantwortlichen braucht. Das wird sich ändern. Und sollte dereinst unser Auto als juristische Person anerkannt und mit einem eigenen Bank konto ausgestattet sein, wird es uns vollautomatisch und vollverantwortlich von Hamburg nach Zürich fahren. Eine Übersteuerungsmöglichkeit brauchen wir dann nicht mehr. Es reicht, wie bei der Bahn, eine Notbremse. Miss brauch strafbar. burkhard strassmann ist Autor der Hamburger Wochenzeitung «Die Zeit».
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Blick in den Spiegel
Dass wir selbstverantwortlich handeln müssen, wird uns heute gern und oft gesagt. Vor allem von jenen, die uns bevormunden wollen. Von Konrad Paul Liessmann Der moderne Mensch, vor allem der aufgeklärte Europä er, fühlt sich für vieles, eigentlich für fast alles verantwort lich. Ob es sich um das Weltklima oder den Bürgerkrieg in Libyen handelt, um die Sprachprobleme von Migranten oder die Zustände in Zentralafrika, ob es um die Bildung der Mädchen oder die Gewaltbereitschaft der Knaben, um die Lungen der Raucher oder den Leibesumfang von Pubertierenden geht, um den Zustand der Demokratie im Nahen Osten oder den Zölibat in der katholischen Kirche, um das Glück der Vielen und das Unglück der Anderen – die Verantwortung liegt bei ihm. Der moderne Mensch ist geradezu ein Verantwortungskünstler. Niemand ist vor ihm sicher. Vielleicht übernehmen wir uns. Von dem spätantiken Stoiker Epiktet stammt der Satz: «Das eine steht in unserer Macht, das andere nicht.» Nur dort, wo etwas in unserer Macht steht, hat die Rede von Verantwortung einen Sinn, nur dort, wo andere Menschen unserer Macht unterworfen sind, erwächst aus dieser Macht auch Verantwortung für diese Menschen. Verantwortung dort zu beanspruchen oder dorthin zu delegieren, wo keine Macht ist, ist fahrläs sig oder zynisch. Oder es steckt ein Machtkalkül dahinter: Wer für andere so grosszügig die Verantwortung über nimmt, spricht diesen ab, für sich selbst die Verantwortung übernehmen zu können. Und in der Tat machte sich jeder einer falschen politischen Ansicht verdächtig, der auf die Idee käme, aggressive Jugendliche, schlecht integrierte Muslime oder drogenabhängige Junkies für ihre Lage selbst verantwortlich zu machen. Die Sache hat allerdings noch einen Haken: Wohl will der moderne Mensch für andere, nicht aber für sich die Verantwortung übernehmen. Erdrückt vom Gewicht der Welt, fehlt ihm die Kraft, jene Entscheidungen zu fällen, die ihn selbst betreffen und die er erst einmal vor sich selbst zu verantworten hätte. Zwar spricht er gern davon, dass er und seinesgleichen für ihre Gesundheit, ihr lebenslanges Ler nen, ihre Altersvorsorge und ihr sozialverträgliches Able ben Sorge tragen sollten. Tatsächlich aber braucht er für alles, was er tut, entweder Gesetze oder Vorgaben oder Be rater oder Vermittler. Und auch er schätzt es, wenn ein an derer für ihn entschieden und damit die Verantwortung übernommen hat: der Staat, die Gesellschaft, das Milieu, der Markt, die FacebookGemeinde, die Gene, die Hormo ne oder, wenn es gar nicht anders geht, das Gehirn. Die Sache mit der Verantwortung und der Selbstverant wortung ist vertrackt. Nur wer der Auffassung ist, dass je mand prinzipiell nicht für sich selbst verantwortlich ist, kann diese Verantwortung für ihn übernehmen oder auf andere Instanzen abwälzen. Das mag bei Unmündigen bis zu einem gewissen Grad notwendig sein – unter Erwachse
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nen bedeutet dies, ihre Unmündigkeit ohne Not fortzu schreiben. Was Menschen wollen, ist dann nicht mehr Re sultat ihrer Überlegungen, Wünsche und Entscheidungen, sondern wird ihnen von aussen suggeriert und vorgegeben. Was sie essen und trinken sollen, welche politisch korrek ten Sprechweisen sie pflegen sollen, wie sie auf ihre Gesundheit achten, in welche Schulen sie ihre Kinder schi cken, wie sie ihr Studium organisieren, welche umweltver träglichen Produkte sie zu fairen Preisen kaufen sollen, welche Therapien und Beratungen sie aufzusuchen haben, wenn sie einmal ausrasten – irgendeine wohlmeinende In stanz weiss offenbar immer, was richtig ist. Und dies bedeutet: Die Verantwortung liegt immer wo anders, nie bei den Akteuren. Gibt es Probleme mit der In tegration, fehlt es an einer Willkommenskultur; randalieren Jugendliche am Bahnhof, hatten sie eine schwere Kindheit; verspielt jemand sein Vermögen an der Börse, wurde er schlecht beraten; scheitert jemand in der Schule, waren die Lehrer eine Katastrophe; studieren zu wenig Frauen tech nische Physik, hat die Gesellschaft versagt. Was gilt eigent lich der Wille des Einzelnen in solch einer Welt verschobe ner Verantwortlichkeit? Angefangen hatte es anders. In seiner Schrift «Was ist Auf klärung» aus dem Jahre 1784 skizzierte der Philosoph Im manuel Kant das ideale Bild eines mündigen Bürgers, der vorab einmal imstande sein sollte, sich seines Verstan des ohne Leitung anderer zu bedienen. Dazu ge hört natürlich Mut, und diesen Mut forderte Kant: «Sapere aude!» Dann schrieb er keck wei ter: «Faulheit und Feigheit sind die Ursachen, warum ein so grosser Teil der Menschen, nach dem sie die Natur längst von fremder Leitung frei gesprochen, dennoch gerne zeitlebens unmündig blei
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tiert seinen Stilberater, gibt es Probleme mit der Potenz, wartet der Sexualberater; wer keine Ahnung hat, was er werden soll, dem hilft der Berufsberater; wer ein Unterneh men führt, kommt ohne Unternehmens und Personalbe rater nicht weiter; wer nicht weiss, was er essen soll, liegt bei einem Ernährungsberater richtig, wer mit dem Rau chen aufhören und mit dem Sport beginnen will, muss einen Gesundheits und Fitnessberater konsultieren; wer einen Staat oder ein Land regieren soll, kann dies ohne Po litikberatung nicht schaffen, und wer überhaupt nicht mehr weiterweiss, kann sich bei einem Lebensberater über den Sinn seines Daseins informieren. Und wer beratungsresistent ist, dem wird auf andere Art weitergeholfen: Todesdrohungen auf Zigarettenpackun gen, hohe Steuern auf Zucker, Fett und alles, was gerade als schädlich gilt, Zwangstherapien für Störenfriede, Gesin nungsüberprüfungen, staatliche Trojaner auf der Festplat te, Überwachung und Kontrolle überall. Verkauft wird uns diese Bevormundung aber gerne mit dem Satz, wir müss ten selbstverantwortlich handeln. Allerdings: Menschen sind trotz allem unberechenbar. Auch wenn für alles gesorgt ist, machen sie manchmal das Falsche. Drauf wollen wir es gar nicht erst ankommen las sen. Sicherer fühlen wir uns offenbar, wenn Kinderschän der, Terroristen, Alkoholiker, Gewalttäter, Rechtsradikale
ben; und warum es Anderen so leicht wird, sich zu deren Vormündern aufzuwerfen. Es ist so bequem, unmündig zu sein. Ich habe nicht nötig zu denken, wenn ich nur bezah len kann; andere werden das verdriessliche Geschäft schon für mich übernehmen.» Daran hat sich nicht viel geändert. Die Vormünder, die für uns das verdriessliche Geschäft übernehmen, heissen heute nur anders: Berater, Trainer, Coaches. Dagegen ist wenig zu sagen. Denn zumindest auf den ersten Blick scheint es klar, dass das kantische Ideal der Mündigkeit der Realität nicht entsprechen kann. Die Komplexität der modernen Welt, die Vielzahl und Viel falt an Angeboten aller Art, der wissenschaftliche Fort schritt, die Herausbildung zahlreicher Expertenkulturen, die Unübersichtlichkeit der Verhältnisse überfordern den Einzelnen, sei es im Privatleben, sei es im beruflichen All tag. Niemand kann für alle Bereiche, die sein Leben betref fen, gleichermassen sicheres Wissen erwerben, fundierte Urteile bilden, souveräne Entscheidungen fällen und dafür die Verantwortung übernehmen. Man kann aber auch übertreiben. Wer nicht weiss, wie er streiten soll, landet beim Eheberater; wer Probleme mit dem Nachwuchs hat, sucht den Erziehungsberater auf; wer ob der Wahl seiner Tapeten verzweifelt, engagiert den Wohnberater; wer nicht weiss, was er anziehen soll, konsul
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und Fremdenfeinde in ihren dunklen Absichten, die ihnen selbst sogar verborgen sein können, schon bevor sie auffäl lig geworden sind, erkannt und prophylaktisch therapiert oder aus dem Verkehr gezogen werden. Die unbestreitbaren Fortschritte in der Medizin, der Hirnforschung, der Psychologie und der Kommunikations überwachung lassen es verlockend erscheinen, alles, was uns nicht passt, im Keim zu ersticken. Jeder muss deshalb beobachtet werden, auffällige Merkmale, verdächtige Ver haltensweisen, Unregelmässigkeiten im Datenverkehr, eine inkorrekte Sprache können Indizien für Schlimmeres sein, eine Genanalyse und ein Gehirnscan geben Gewiss heiten: Es muss eingegriffen werden, nicht bevor es zu spät ist, sondern bevor es überhaupt beginnt. Schon vor der Tat sind wir schuldig. Gegen diese moderne Verdachtskultur war die Erbsünde eine Quantité négligeable. Die Bevormundung des Menschen durch Instanzen, die suggerieren, nur sein Bestes zu wollen, indem sie ihm die Fähigkeit absprechen, selbst Entscheidungen zu treffen und für deren Folgen einzustehen, infantilisieren den Men schen nicht nur; sie beschneiden nicht nur seine Freiheit; sie nehmen ihm auch die Würde. Er bleibt Objekt von für sorgenden, kontrollierenden und therapierenden Verfah ren. Verantwortung setzt aber Freiheit voraus. Und Freiheit impliziert immer ein Risiko. Auch das der Selbstschädi
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gung. Zur Selbstverantwortung gehört auch die Möglich keit zu einem Handeln, das andere verantwortungslos fin den können. Nur sollte man auch die Kraft und den Mut haben, dafür einzustehen. Selbstverantwortung meint aber noch etwas anderes. Die Verantwortung, die ich für mein Denken und Handeln vor mir selbst übernehme. Die setzt voraus, dass ich mich als eine Instanz begreife, die mich befragen und vor der ich mich auch verantworten kann. Wie sehr genügen wir eigentlich unseren Vorstellungen und Ansprüchen in unse rem Handeln? Oder ist es gerade hier nicht verlockend, an deres oder andere für etwas verantwortlich zu machen, was ich vor mir selbst nicht verantworten könnte? Selbstverant wortung, ernst genommen, ist eine Form der Selbstbegeg nung. Es gibt allerdings ziemlich viele und vor allem gute Gründe, dieser Begegnung aus dem Weg zu gehen.
Konrad paul liessmann ist Professor für Philosophie an der Universität Wien.
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Äpfel und Birnen
Immer mehr Firmen wollen mit Umwelt und Gesellschaft besonders rücksichtsvoll umgehen. Das Zauberwort heisst: Corporate Social Responsibility. Es führt in die Irre. Von Beat Gygi
Freiwillig mehr Verantwortung zu übernehmen scheint eine Leidenschaft von Firmenchefs und Managern zu sein. Gerne legen sie dar, dass sie nicht eindimensional an Ge winn, Boni und Aktionäre denken. Bei der Deutschen Bank tönte das 2008 so: «Die Deutsche Bank versteht Corporate Social Responsibility (CSR) als Investition in die Gesell schaft und damit auch in ihre eigene Zukunft. Ziel all unseres Handelns als verantwortungsbewusster Unterneh mensbürger ist es, soziales Kapital zu schaffen.» Und der ChipHersteller Infineon verspricht: «Als global agierendes Unternehmen und Teilnehmer der UN Global Compact In itiative fühlen wir uns der multinationalen Gemeinschaft verpflichtet. Wir nehmen unsere Aufgabe der gesellschaftli chen Verantwortung und des Umweltschutzes sehr ernst. Wir haben die notwendigen Strukturen, Prozesse und Richtlinien in unserem Unternehmen festgelegt.» Die Botschaft ist klar: Um mehr Verantwortung über nehmen zu können, verschreiben sich die Konzerne der CSR und veredeln das «normale» Geschäft auf professio nelle Weise durch Sozial und Umweltziele. Konkret heisst das oft, dass mit der CSR im Konzern zunächst einmal ein kompliziertes bürokratisches Verantwortungsmanage ment aufgezogen wird. Corporate Social Responsibility ist auch nach jahrzehntelanger Debatte nicht genau definiert, sondern flexibel anwendbar wie Knetmasse. Grob gesagt, sollen sich Unternehmen nicht einfach auf Gewinnerzie lung und Einhalten der Gesetze beschränken, sondern dar über hinaus etwas für Umwelt und Soziales tun. Aber was genau? «UBS hat erkannt, dass die blosse Einhaltung be stehender gesetzlicher Anforderungen nicht ausreicht», hiess es im Bericht 2001 der Bank. Heute wäre man froh, sie hätte wenigstens die Gesetze eingehalten. Der inhaltliche Kern der CSR ist die «triple bottom line». Während in der normalen Jahresrechnung einer Firma zuunterst der Reingewinn (oder Verlust) steht, sieht der CSRAnsatz vor, dass unter dem Strich zwei weitere Er folgskenngrössen hinzugefügt werden: ein umweltbezoge ner und ein gesellschaftsbezogener Wert. Das hat Anklang gefunden. Viele Grosskonzerne und auch kleinere Zulie ferer bekennen sich heute zum Zieldreieck «Wirtschaft UmweltGesellschaft» oder «ÖkonomieÖkologieGesell schaft» oder «People, Planet, Profit» (3 P). Heisst das also, dass ein Unternehmen nicht sozial ist, wenn es ohne CSR einfach so rentabel wie möglich zu wirtschaften versucht? Immerhin ist eine Firma in einer modernen Wirtschaft in rege Tauschtätigkeit und soziale Kontakte verwickelt; Kunden, Mitarbeiter, Lieferanten, Ei gentümer und Manager stehen in vielfältigen Beziehungen zueinander. Aus dieser Sicht sind Firmen gesellschaftlicher
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Kitt: Freiwilliges Tauschen von Leistungen ist effizient und für alle Beteiligten vorteilhaft. Das betonte schon 1970 der ÖkonomieNobelpreisträ ger Milton Friedman, als er die Debatte über die «Social Responsibility of Business» kritisierte. Auf die Frage, worin die soziale Verantwortung von Unternehmen bestehe, lau tete seine Antwort, dass sich die Manager in einer freien Marktordnung darauf konzentrieren sollen, die ihnen von den Eigentümern anvertrauten Mittel möglichst gewinn bringend einzusetzen – natürlich unter Einhaltung der Wettbewerbsregeln und Gesetze. Verpflichte man Unter nehmen auf andere, soziale Ziele, führe dies bloss zu Will kür bei der Gewichtung dieser Ziele – zulasten der Eigentü mer, was die Fundamente freier Wirtschaftsordnungen untergrabe. Wie steht es heute um diese Fundamente? Auf den ersten Blick scheinen Unternehmen tatsächlich zunehmend unter der Kontrolle von Konsumentenorganisationen, Nicht regierungsorganisationen und anderen Anspruchsgruppen zu stehen. Deren Kritik via Blogs oder Social Media erreicht oft enorme Publizität. Zudem steht der CSRAnsatz in der Tradition der bereits etwa fünfzig Jahre alten Bemühungen
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ENA Micro 9 – der kleinste One-Touch-CappuccinoVollautomat der Welt Uneingeschränkten Genuss auch bei eingeschränkten Platzverhältnissen bietet die ENA Micro 9 One Touch allen Liebhabern von Kaffeespezialitäten. Eine neu entwickelte, auf die Zubereitung einer Tasse abgestimmte Brüheinheit garantiert ein Espressoergebnis erster Güte und macht sie zum kleinsten Vollautomaten der Welt, der auf Knopfdruck und ohne Verschieben der Tasse Cappuccino und Latte macchiato zubereitet. JURA – If you love coffee JURA Elektroapparate AG Kaffeeweltstrasse 10, 4626 Niederbuchsiten, www.jura.com
von Regierungen, Uno und anderen Befürwortern kollekti vistischer Ordnungen, die multinationalen Konzerne besser in den Griff zu bekommen. Auf den zweiten Blick wirken die Bemühungen um die CSR heute aber eher wie ein Ritual, in dem Firmen und ihre Gegenparteien gut einstudierte Rollen spielen. Die Globalisierung der Wirtschaft hat nicht nur bei Pro duktion und Absatz, sondern auch auf der Seite der Beob achter zu Spezialisierung und Arbeitsteilung geführt. Tau sende von NGOMitarbeitern machen ihre Karriere damit, dass sie Unternehmen unter die Lupe nehmen und der so zialen Überwachung unterstellen. In den Firmen gibt es Abertausende von Spezialisten, die ihre Unternehmen «als gute Bürger» positionieren sollen. Hunderte von Beratungs firmen betreuen CSRProgramme. Die Medien publizieren CSRRanglisten, die Hochschulen haben CSRInstitute ein gerichtet, erarbeiten CSRIndices und bieten einschlägige Ausbildungsgänge an. Internetplattformen über die CSR dienen Unternehmen und ihren Kritikern als willkommene Geschäfts und Präsentationsgelegenheiten. Die Frage, ob die Welt dadurch besser wird oder ob Auf wand, Fehlanreize und Verschlimmbesserungen überwie gen, lässt sich nicht schlüssig beantworten. So bleibt zum Beispiel offen, wieweit der UnoWohlverhaltenskatalog «Global Compact» internationale Konzerne ermuntert, lo kale Konkurrenten in den Entwicklungsländern durch allzu ehrgeizige Arbeitsgesetze aus dem Markt zu drücken. Und die CSR kann auch ein taktisches Instrument sein, wenn man auf der Jagd nach Subventionen für Wind, Solar oder CleanTechnologie ist. Aber der für Marktordnungen gefährliche Teil der CSR, die «triple bottom line», wird in Unternehmen bisher zum Glück nicht wirklich umgesetzt. Trotz den Nachhaltigkeits berichten mit ihren vielen Indikatoren werden soziale und umweltbezogene Gewinnziele nicht analog zur Ermittlung des Reingewinns durchgerechnet. Dafür müsste man näm lich Äpfel, Birnen, Nüsse und Orangen vergleichen, addie ren, subtrahieren und irgendwie auf ein gemeinsames Mass bringen. Im SiemensNachhaltigkeitsbericht 2010 etwa ste hen Angaben zum Umsatzanteil des «Umweltportfolios» (27,6%) und den damit bei den Kunden jährlich vermiede nen CO2Emissionen (267 Mio. Tonnen); daneben Daten zur Verbesserung der Umweltleistung in Bezug auf Primär energie (23%), elektrische Energie (11%), Wasser (28%) und Abfall (10%); zudem Zahlen zum Frauenanteil in Führungs positionen (13,7%), zur Mitarbeiterfluktuationsrate (12,9%), zu tödlichen Unfällen (8) oder zu den Weiterbildungsausga ben pro Mitarbeiter (560 Euro) sowie die Punkte im Dow Jones Sustainability Index (87) und die Rangierung im Car bon Disclosure Leadership Index (1. Platz). Tausende von Angaben vergleichbar zu machen, zu ge wichten und zu einem Sozialergebnis und einem Umwelt ergebnis zu aggregieren, ist nicht nur unmöglich, sondern würde auch marktfeindliche Willkür beim Bewerten be deuten. Während sich im ökonomischen Gewinn die Wert
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Verantwortung
urteile und Handlungen unzähliger Menschen spiegeln, würde die Saldierung von Umwelt und Sozialaspekten vor allem durch Experten und Besserwisser erfolgen. Solange sich die Firmen also weiterhin auf Kalkulation und Ausweis des wirtschaftlichen Gewinns konzentrieren und die Be richterstattung zu Umwelt und Sozialzielen eine Samm lung von Naturalgrössen und InputOutputZahlen bleiben lassen, kommt man einer ÖkoDiktatur und sozialistischer Wirtschaftssteuerung noch nicht allzu nah. Dennoch bleibt die «triple bottom line» verführerisch. Wenn Umwelt und Sozialziele für ein Unternehmen gleich wichtig werden wie seine wirtschaftliche Wertentwicklung, kann das Management bei der Gewichtung und Beurteilung der drei Dimensionen erst recht seinen Informationsvorsprung aus spielen – auf Kosten der Eigentümer, also der Aktionäre. Bei geschicktem Umgang mit dem Zieldreieck können Manager heute ja schon ihre Kunst, Architektur oder Sportvorlieben «on the job» pflegen. Und sollte es so weit kommen, dass bei Managerlöhnen die wirtschaftlichen Leistungen der Chefs mit den CSRNoten verrechnet werden, wäre die Verwässe rung der Verantwortung schon fast perfekt. Zudem dringen staatliche Mitbestimmer vermehrt in die Firmen ein, um das Abwägen zwischen Wirtschaft, Umwelt und Sozialem zu beeinflussen. In Deutschland arbeitet
man an einer nationalen Strategie: Man denkt an einen «Aktionsplan CSR», an runde Tische, CSRPreise, ein «zwei tes Preisschild» mit Angaben zu Nachhaltigkeit und gesell schaftlicher Verantwortung, an «CSR made in Germany», öffentliche Ausschreibungen und Beschaffung mit Berück sichtigung ökologischer und sozialer Kriterien. Besonders anmassend tritt die EU auf. Der 2006 formulierte Anspruch, Europa solle auf dem Gebiet der sozialen Verantwortung der Unternehmen führend werden, zielt unter anderem auf ein europäisches Bündnis für die CSR und die Vereinheitli chung der Berichterstattung über nichtfinanzielle Grössen. Die Schweiz hält sich in dieser Sache noch zurück. Politik und Bürokratie haben die CSR als Expansionsge biet entdeckt. Sie werden viel weniger Hemmungen als die Firmen haben, Äpfel, Birnen, Nüsse und Orangen zusam menzuzählen, Unternehmen entsprechend unverantwort lich zu machen und damit den gefährlichen Teil von «Peo ple, Planet, Profit» in die Tat umzusetzen.
beat Gygi ist Wirtschaftsredaktor der NZZ.
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In jeder Beziehung glücklich
Michel Vincent, 32, ist Aufreisskünstler und Flirtcoach. Er weiss, wie ein munteres Liebesleben ohne Verantwortung funktioniert. Aufgezeichnet von Franziska K. Müller
Je länger SingleMänner ohne Erfolgserlebnisse bleiben, desto eher schlittern sie in Beziehungen, die zahllose Ver anwortlichkeiten nach sich ziehen: Familiengründung, Nestbau, Mithilfe im Haushalt, hässliche Familienkaros sen, Monogamie. Muss das sein? Ich finde nicht. Diese Männer sind unglaublich dankbar, dass sich endlich eine Frau für sie erwärmt. Deshalb geben sie sich verantwor tungsvoller, als sie es in Wirklichkeit sind. Aber der Alltag und die vielen Ansprüche machen diese Männer unfrei und belasten sie über kurz oder lang. Plötzlich stellen sie fest: Das Eheleben und die überstürzt gewählte Frau sind nicht das Gelbe vom Ei. Also gehen sie fremd, lügen und betrügen und werden zu dem, was nicht nur betrogene Ehefrauen, sondern auch SingleGirls in unzähligen Inter netforen thematisieren: Arschlochtypen. Eigentlich ist ein solches Verhalten verantwortungslos, denn es führt zu schlimmen Enttäuschungen und kaputten Familien. Meine Philosophie dagegen ist folgende: Wer bei den Frauen Erfolg hat, weil er weiss, wie man sie für sich gewinnen kann, hat keinen Grund, seine Freiheit voreilig aufzugeben und gegen ein angeblich verantwortungsvolles Leben in einer festen Beziehung einzutauschen. In meinen Seminaren habe ich bereits über zweitausend Männern vermittelt, wie man Frauen verführt und dabei so lange ohne Verpflichtungen bleibt, wie man will. Ich sehe das auch als Dienst an der Gesellschaft. Denn ein Mann, der das gelernt hat, wird keiner dieser Arsch lochtypen werden. Mit denen wollen wir nichts zu tun ha ben. Wir sind die wahren Rebellen unserer Zeit: Männer über dreissig, die ohne partnerschaftliche Verantwortung leben. Wir nennen uns PickupArtists, Aufreisskünstler, kurz: PUA. In den USA gibt es die Bewegung schon länger, in Europa beginnt sie sich zu etablieren. Ich muss es klar sagen: Einem PUA geht es nicht darum, Frauen zu manipulieren – das löst nur Dramen aus, die niemand verdient. Die PUAGemeinschaft liefert auch kei ne flotten Anmachsprüche. Und Anleitungen, wie man eine Frau am besten ins Bett bekommt und nachher abserviert, finden wir niveaulos. Vor allem aber gilt: Die grosse und ewige Liebe vorgaukeln, um ans Ziel zu kommen, ist etwas für unsichere Anfänger. Ehrlichkeit steht an oberster Stelle.
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Ich verstelle mich nie und lüge niemals. Die Furchtlosigkeit vor den Folgen des eigenen Handelns – man könnte auch sagen: die Bereitschaft zur Selbstverantwortung – trägt viel zur Attraktivität eines Menschen bei. Ob die Weichen richtig oder falsch gestellt werden, be stimmt der Anfang. Einige Fragen stelle ich grundsätzlich nie. «Kann ich dich auf einen Drink einladen?» zum Bei spiel oder «Bist du öfter hier?». Einer der grössten Fehler besteht darin, einer schönen Frau Anerkennung zu geben, nur weil sie schön ist. Das erledigen schon alle anderen Männer. Bei mir muss sie auch etwas leisten, damit ich sie toll finde. Es ist eine Binsenwahrheit: Die meisten Frauen suchen einen selbstsicheren Mann, der weiss, was er will. Was sie selbst nicht zugeben würden: Sie wollen keinen, der ihnen vor lauter Anhimmelei alles durchgehen lässt. Gefällt mir eine Frau, vermittle ich ihr, dass ich mich für sie interessiere – jedoch keine Absichten hege. Zu einem spä teren Zeitpunkt kann ich auch noch Hürden und Heraus forderungen einbauen oder Eifersucht provozieren. Das Ziel dabei ist immer dasselbe: Nicht ich verführe die Frau, sondern ich wecke ihr Verlangen, mich zu verführen. Dabei muss natürlich zu jedem Zeitpunkt klar sein, dass es nicht um eine langfristige, verbindliche Beziehung geht. Wenn Frauen wissen, woran sie sind, lassen sie meist viel mehr zu, als man vermuten könnte – und Abschiedsdra men bleiben aus. Allerdings: Eine solche Offenheit erfor dert Mut und Selbstbewusstsein. Beides ist lernbar und bei des unabdingbar, wenn man sexuelle Beziehungen mit mehreren Frauen gleichzeitig pflegen will. Meine Philosophie steht einer festen Beziehung mit der Traumfrau, die es vielleicht irgendwo gibt, übrigens nicht im Weg. Im Gegenteil: Ein gesundes Selbstwertgefühl ist die Basis, um irgendwann Verantwortung zu übernehmen und Erwartungen nicht zu enttäuschen. Im Moment will ich mich aber noch nicht festlegen. Ich kann von mir sagen: Ich führe ein ausgesprochen glückliches Leben – und zwar in jeder Beziehung. Michel Vincent leitet Seminare und Workshops (dieperfektemasche.de) vor allem in Deutschland; er lebt in München. Franziska K. müller ist freie Journalistin; sie lebt in Zürich.
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sCh l aG liCht
Der elektronische Reisswolf Der Computer beschleunigt alles – auch den Verfall. Was wir in dreissig Jahren noch haben wollen, müssen wir vor ihm retten. Er zerfrisst unser Gedächtnis, und wir helfen ihm dabei. Wir produzieren und archivieren tausendmal mehr Texte, Bil der, Töne als unsere Ahnen noch vor hundert Jahren – aber in weniger als fünf zig Jahren wird das meiste verschollen sein. Schon geschieht es, dass eine CD, gekauft vor zwanzig Jahren, in Katzen musik verfällt, und wer kann heute noch eine Diskette abspielen, die vor fünfzehn Jahren die Höhe der Speichertechnik markierte? «Ein Glück, dass Moses uns die Zehn Gebote nicht auf einer CDROM hinterlassen hat!» So spottet man selbst kritisch in der Rand Corporation in Kali fornien. Also gut: Die steinernen Gesetzesta feln des Moses haben auch so nicht über lebt. Aber unversehrt ist die Keilschrift, die Hammurabi von Babylon vor 3700 Jahren in eine Steinsäule meisseln liess, und 3000 Jahre alt die auf dem Tonblock von Larsa (beide im Louvre zu besichti gen). Auf Pergament sind bis zu 1600 Jah re alte Beschriftungen erhalten, auf handgeschöpftem Papier etliche der Gu tenbergBibeln von 1456. Das heute übli che Papier wird auf eine Lebensdauer von 200 Jahren geschätzt; jedenfalls kön nen wir noch die Fotos betrachten, die der britische Chemiker William Talbot 1840 auf Papier zu vervielfältigen begann.
Fotos retten – auf Papier! Fotografiert wird heute, durch den Spass faktor «Handy» begünstigt, zehnmal so viel wie früher; gespeichert wird auf einer Festplatte – und die Chance, dass greise Eltern sich noch an den Fotos von ihren kleinen Kindern erfreuen können, geht gegen null. Alle drei bis vier Jahre, raten Experten, sollten Bilder überspielt wer den; jeweils freilich mit einem Qualitäts verlust durch die Komprimierung, so dass nach zehn Übertragungen nur noch bunte Sauce übrig wäre. Rettet euch vor der zerstörenden Macht der Elektronik, Fotofreunde – druckt beizeiten auf Pa pier! Wann genau der Verfall einsetzt, dar über äussern die Hersteller «Vermutun gen»; garantieren wollen sie nichts. Wie lange, zum Beispiel, hält eine Festplatte?
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Schätzungen und erste Erfahrungswerte: mindestens 3 Jahre, wahrscheinlich 6, höchstens 30. Eine CDROM? 5 Jahre, vielleicht 10, vielleicht 50. Eine DVD? 10 Jahre vielleicht – 30 Jahre «vermutet» – 100 Jahre nicht ausgeschlossen. Ein USB Stick? 3 bis 10. Und so weiter.
Kopieren heisst beschädigen Die Lebensdauer kann sich noch vermin dern durch zu hohe Temperaturen, fahr lässige Entmagnetisierung, mechani schen Verschleiss. Sorgsame Archivierer speichern ihre Daten daher vorsichtshal ber auf drei oder vier Festplatten gleich zeitig, Facebook vermutlich auf Tausen den – in der Zuversicht, dass nicht alle zur selben Zeit hinüber sein werden. Die Be nutzbarkeit soll sich sogar vermindern, so wünschen es die Hersteller: Gnaden los drücken sie neue Geräte und Betriebs systeme in den Markt, die die Lebens dauer der Datenträger noch unterbieten, zum Beispiel durch neue Dateiformate für Bilder und Musik. Unternehmen und Archive betreiben daher «Datenmigration»: Die alten Be stände werden in entsprechend kurzen Etappen auf die nächste Stufe der Tech nik überspielt – mit einer Termintreue und einem Aufwand an Zeit und Geld, den private Computernutzer selten trei ben können oder wollen; obendrein mit begrenztem Erfolg: Schon bei einmali gem Kopieren gehen die ersten Codie
rungen verloren; nach mehreren begin nen die Verunstaltungen des Textes. So müsste der Klage, dass das Netz nichts vergessen kann (einmal drin – im mer drin!), allmählich die andere entge genschallen: dass es in wenigen Jahr zehnten das meiste vergessen haben wird. Wir können nicht löschen, was wir wollen; aber wir können auch nicht be wahren, was wir möchten oder sollten. Der elektronische Krake hat uns im Griff.
Der Siegeszug der Ungeduld Längst greift er auch in unseren Alltag ein. Wenn schon das Vorgestern nichts mehr gilt und kaum noch greifbar ist – woher soll die Geduld für das Heute kom men? Gedächtnis war gestern. Was der Computer nicht absegnet, zählt nicht mehr. Wer will noch eine Information nach dem Stand von 8 Uhr 10, wenn es 8 Uhr 20 ist? Börsenkurse lassen sich in Echtzeit nutzen. Journalisten sind schrecklich langsam. Mail und Twitter, Facebook und Google schütten uns zu. Bedroht sind alle Werke, Pläne und Gedanken, die aus Wissen und Geduld erwachsen. Es ist, als näherten wir uns der Eintagsfliege. Die stiess ja einst in der Abenddämmerung jenen Seufzer aus, wie er sich nun auch twittern liesse: «Weisst du noch, damals – um 11?» Wolf schneider Illustration: Angelo Boog
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das e x pe ri m e nt
Das Abenteuer des Jahrhunderts Mit dem Holzfloss «Kon Tiki» wollte Thor Heyerdahl 1947 aufklären, wie die Pazifikinseln besiedelt worden waren. Die Fahrt trug ihm Ruhm und Widerspruch ein. Wenn die Anzahl Briefmarken, die einem wissenschaftlichen Versuch gewidmet sind, dessen Bedeutung reflektieren, dann ist die Fahrt mit der «Kon Tiki» das wichtigste Experiment aller Zeiten. Min destens acht Marken aus aller Welt zei gen das Balsaholzfloss auf seiner Fahrt über den Pazifik. Aber war es wirklich Wissenschaft, was Thor Heyerdahl mit der Expedition betrieben hatte? Der Er kenntnisgewinn des waghalsigen Unter nehmens ist bis heute umstritten. Thor Heyerdahl wurde 1914 in Larvik an der Südküste Norwegens geboren. Obwohl er seine Kindheit am Meer ver brachte, war er eigentlich nicht geschaf fen für Abenteuer auf hoher See: Er sei ein «Bücherwurm» gewesen, «der nicht schwimmen konnte», schrieb er im Vor wort zum Abenteuerbericht über die «Kon Tiki», «eine eingefleischte Landrat te, voller Angst vor dem Wasser». In der Natur an Land fand er sich hingegen gut zurecht. Er unternahm ausgedehnte Touren in die Berge, wo er unter freiem Himmel übernachtete, fischte und jagte. Auf solchen Ausflügen begann er vom Le ben auf einer Südseeinsel zu träumen, fernab der Zivilisation.
Heyerdahls fixe Idee Diesen Traum verwirklichte er mit 22 Jahren als Zoologiestudent an der Uni versität von Oslo. Am Weihnachtstag 1936 heiratete er seine Freundin. Tags darauf brach er mit ihr nach Fatu Hiva auf, einer kleinen Insel in der Südsee auf halber Strecke zwischen Südamerika und Australien. Heyerdahl wollte dort Pflan zen und Tiere studieren. Doch schon bald beschäftigte ihn mehr die Frage, wo her wohl die polynesischen Ureinwohner der Insel stammten. Wissenschafter glaubten, dass die Be wohner der Pazifikinseln ursprünglich aus Asien kamen, doch Heyerdahl fand Indizien, die nicht zu dieser Theorie passten: Die alten Statuen auf der Insel erinnerten ihn an Gestalten aus der Vor InkaZeit in Perú, die Pflanzenwelt glich jener in Südamerika. Und dann war da noch der Wind aus Osten, der stetig über die Insel strich – ideal für die Überfahrt
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die «Kon tiki» auf ihrer 7000 Kilometer langen Fahrt von perú nach polynesien.
von Südamerika aus. Alles passte zusam men. Heyerdahl verfiel der fixen Idee, dass die polynesischen Inseln von Süd amerika aus besiedelt worden waren. Diese Idee sollte sein Leben beherrschen, sie brachte ihm Anerkennung und Ab lehnung zugleich. Zurück von Fatu Hiva, brachte er seine Theorie zu Papier. Doch die Fachleute reagierten negativ. «Ein Hauptargument meiner Gegner ist, dass die Küstenbe wohner Perús vor Kolumbus niemals die Fahrzeuge besessen haben können, um die Reise von Perú auf die Osterinseln zu machen», schrieb er einem Freund. «Mein Plan ist es nun, eine genaue Kopie jener alten Fahrzeuge zu bauen, von de nen wir Beschreibungen haben.» Damit wurde Thor Heyerdahl zu einem der be kanntesten Abenteurer des 20. Jahrhun derts. Nicht lange nachdem Heyerdahl sei nen Plan gefasst hatte, am 28. April 1947, wurde sein Floss aus Balsaholz im Hafen von Callao, Perú, mit Kokosmilch auf den Namen des Sonnenkönigs der Inka ge tauft: Kon Tiki. Dann stachen sechs Män ner – Funkspezialisten, Forschungsrei sende, Wissenschafter, alles Freunde des 32jährigen Heyerdahl – mit dem 15 Meter langen und 6 Meter breiten Gefährt in See. Finanziert wurde das Unternehmen von skandinavischen Medien, dem nor wegischen Militärattaché und der US
Armee, die der Expedition Ausrüstung und Spezialproviant zur Verfügung stell te. Als Gegenleistung musste sich einer der Männer bereit erklären, nichts ande res zu essen. Das Unternehmen war enorm gefähr lich. «Ihre Mutter und Ihr Vater werden es schwernehmen, wenn sie die Nachricht von Ihrem Tod bekommen», wurde Hey erdahl vor der Abreise gesagt. Fachleute erwarteten, dass sich die Balsaholzstäm me mit Wasser vollsaugen und unterge hen würden, wenn das Floss nicht schon vorher auseinanderbräche. Doch die «Kon Tiki» hielt sich gut, obwohl das Deck bei schwerer See ständig überspült wur de und die Männer bei Stürmen tagelang nicht zum Schlafen kamen.
Erste Insel verpasst Immer wieder schleuderten die Wellen Fische auf das Floss. In einer Nacht lan dete eine Schlangenmakrele mit messer scharfen Zähnen mitten zwischen den Schlafenden, in einer anderen verirrten sich 26 fliegende Fische an Bord, ein will kommenes Frühstück. Neben dem Ar meeproviant hatte die «Kon Tiki» Kokos nüsse, Süsskartoffeln, Flaschenkürbisse und andere Nahrungsmittel an Bord, die es im vorkolumbianischen Perú gegeben hatte. Dazu 1100 Liter Trinkwasser. Der Proviant war für vier Monate Reisezeit berechnet. Den Kontakt mit der Aussen
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Vom FaCh
welt hielten die Funker sporadisch über Kurzwelle aufrecht. Am 30. Juli 1947 kam Land in Sicht. Nach drei Monaten auf hoher See glaub ten die Abenteurer, es geschafft zu haben. Sie täuschten sich, die Strömung trieb die «Kon Tiki» an der Insel vorbei. Bei der nächsten Insel vier Tage später erging es ihnen nicht besser. Am 7. August schliess lich trieb das Floss direkt auf eine unbe wohnte Insel zu, die von einem Riff um geben war. Bei der Landung warf die Brandung das Floss auf die Felsen und beschädigte es schwer. Die Besatzung kam mit dem Schrecken davon und rette te den grössten Teil der Ladung auf das Eiland. Bald entdeckten Einheimische von Nachbarinseln die Schiffbrüchigen, und die Funker verkündeten ihre Ankunft der Welt. Das Abenteuer war zu Ende. Ein norwegischer Schiffseigner schickte den 4000tönner «Thor» nach Tahiti, um die Expedition samt dem Floss aufzusam meln. Heyerdahls Triumph in der Öffent lichkeit war beispiellos. Sein Buch über die Reise verkaufte sich fast 100 Millionen Mal, der Dokumentarfilm «Kon Tiki» er hielt einen Oscar und Thor Heyerdahl unzählige Ehrendoktortitel. Doch die Wissenschafter blieben skeptisch. Einer bemerkte: «Das Einzige, was Heyerdahl bewiesen hat, ist, dass Norweger gute Seefahrer sind.»
Der Kontiki-Kleiderschrank Tatsächlich hat ein Experiment in der Ar chäologie weit weniger Beweiskraft als in anderen Disziplinen. Wenn Forscher ko chen wie in der Steinzeit oder mit einem Nachbau von Ötzis Kupferbeil einen Baum fällen, zeigen sie immer nur, wie es hätte sein können, aber nicht unbedingt, wie es war. Die Fahrt der «Kon Tiki» be legte nur, dass es 500 n. Chr. möglich ge wesen wäre, mit einem Floss 7000 Kilo meter übers Meer zu fahren, nicht, dass eine solche Reise tatsächlich je stattge funden hatte. Heyerdahl beeindruckten diese Argu mente kaum. Er war unbescheiden der ehrlichen Überzeugung, das Recht auf seiner Seite zu haben, wie er 1985 im Vor wort zu «Kon Tiki» schrieb. Viele Wissen schafter waren für ihn Spezialisten, die nicht über den Tellerrand ihres Fachge biets hinausblickten.
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Nach ausgedehnten Forschungsauf enthalten auf den Galapagosinseln, den Osterinseln und in Ruinenstädten in Süd amerika nahm Heyerdahl sein nächstes spektakuläres Projekt in Angriff. 1969 ver suchte er mit einem traditionellen Papy rusboot, der «Ra», von Marokko nach Südamerika zu fahren. Wieder hatten ihn Artefakte wie Malereien und Bauwerke davon überzeugt, dass solche Reisen schon viel früher stattgefunden hatten als gemeinhin angenommen. Doch die «Ra» brach kurz vor Barbados auseinander. Erst mit der «Ra II» schaffte er im Jahr dar auf die Überfahrt. Heyerdahls letztes archäologisches Experiment war 1977 die «Tigris», ein Schilfboot, mit dem er beweisen wollte, dass die Sumerer schon vor 6000 Jahren in der Lage waren, mit Indien und Afrika Handel zu treiben. Die Reise hatte nichts vom unbeschwerten Abenteuer der «Kon Tiki». Die «Tigris» glitt durch Ölschlick und geriet mehrmals gefährlich nahe an Frachter. Die Mannschaft beging wieder holt Navigationsfehler und musste sich immer wieder abschleppen lassen. Da am Horn von Afrika Krieg herrsch te, konnte Heyerdahl die Reise nicht wie geplant zu Ende führen. Als Protest gegen den Krieg in Ostafrika steckte er die «Ti gris» in Djibouti in Brand. Die Reise hatte etwas Bedrückendes. Heyerdahl war zum Aktivisten geworden, setzte sich für Um weltschutz und Frieden auf der Welt ein. Heyerdahls Thesen gelten heute weit gehend als widerlegt. Sprachuntersu chungen, Keramikfunde und GenAna lysen belegen, dass die Vorfahren der Polynesier aus Asien stammten. Ein biss chen recht könnte Heyerdahl aber doch gehabt haben. Die Ureinwohner der Os terinseln tragen nämlich auch ein biss chen Erbgut aus Südamerika in sich. Es ist möglich, dass sich noch vor den Euro päern einige Südamerikaner auf die Os terinseln verirrt hatten. Heyerdahl starb 2002 in Colla Micheri an der ligurischen Küste, wo er sich nie dergelassen hatte. Selbst wenn Wissen schafter seine These nie glaubten, dem Namen «Kon Tiki» können auch sie nicht entgehen. Nicht nur auf Briefmarken, sondern auch als «HabaKleiderschrank Kontiki 2057», als KonTikiBar im Zür cher Niederdorf oder als 3DActionfilm, der 2012 in die Kinos kommen soll. reto u. schneider
Im McDonald’s Neulich beim Hamburger braten. Was reden die da? «Hey, magst du heute während des Rushs die Kontrolle übernehmen?» «Ok, aber ich muss noch das Positioning erledigen.» «Easy, dann fange ich schon mal mit dem McSafety an und kontrolliere den UHC und die BobSeite.» «Dann leg ich jetzt die erste Serie Regular auf Grill 1 mit dem richtigen Patty Place ment, damit ich nachher messen kann!» «Shit, die Friteuse spinnt. Rekalibriere sie mit dem ASipp 23, gebe neues Jumbo rein und reinige es mit Rf. Danach gehe ich ins Opps und hole noch zwei KD 8.» «Gut. Und hast du 24/2 kontrolliert und MHD überprüft?» «Klar, und den McGreenEimer habe ich auch schon bereitgestellt.» «Super, merci. Dann leg ich jetzt vier Tasty auf Grill 3 und überprüf noch die Teflonfolie!» «Achtung: Kasse voll. BIN füllen und pro duzieren!» «Wenn’s läuft, geh ich an den Drive und übernehme den Presenter, der dann zum Speedy wird.» «Alles klar.» rush: die Mittagszeit, wenn die meisten Bestellungen eingehen. positioning: der Dienstplan zur Einteilung der Arbeitsstationen. mcsafety: das Messblatt zur Kontrolle der Fleischtemperatur. uhC: der Wärmehalter der fritierten Speisen. bob-seite: die Fritierstation. serie: die Anzahl der Fleischstücke. regular: das Fleisch der Ham- and Cheeseburger. patty placement: die Regelung, wie man die Fleischstücke anordnet, damit alle unterm Grill Platz haben. rekalibrieren: anpassen. a-sipp 23: das Anpassungsgerät des Öls. Jumbo: besonderes Fritieröl. rf: bestimmtes Reinigungsmittel. opps: das Lager für instand haltendes Material wie Putzmittel und Handschuhe. Kd 8: ein Karton der Grösse 8. 24/2: spezieller Grill. mhd: das Mindesthaltbarkeitsdatum. mcGreen-eimer: der Abfalleimer für die Essensreste. tasty: besonderer Burger. teflonfolie: die Oberseite des Grills. bin: die Wärmehalteschienen der Burger. drive: die Durchfahrmöglichkeit für Autos. presenter: der Speisenherausgeber am Drive. speedy: der Zusammensteller der vorher bestellten Speisen am Drive. elio thalmann
Haben Sie Lust, ein «Vom Fach» zu schreiben? Dann schicken Sie uns Ihren Vorschlag, wir prüfen ihn gern: folioredaktion@nzz.ch. Eine Liste der bisherigen Dialoge gibt es online: bit.ly/ehtmPu
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im arbeitszimmer liegt das Wichtigste griffbereit.
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We r Woh nt da?
City-Flitzer Eine reisende Chefin Mitte vierzig? Eine begnadete Köchin, die mit der Askese flirtet? Wen eine Psychologin und ein Innenarchitekt anhand der Bilder in diesen Räumen vermuten. Die Psychologin Eine höchst eigenwillige und willensstar ke Person behaust diese Räume. Überall setzt sie Zeichen, markiert Wände mit Fo tos, Bildern und Farbe, sie bespielt ge konnt, charaktervoll und sehr bestimmt ihr Daheim. Eine Art liebevolles und in teressantes Patchwork von Dingen und Einrichtungsgegenständen ist hier ver sammelt. Alles fügt sich wie in einem Puzzle gut zusammen. Die Person ist wohl eine Frau, denn Handtaschen – hier ein sportliches Mo dell – sind halt immer noch Frauenzeugs. Unsere Bewohnerin hat viele Facetten: Süsses in der Küche, Hochprozentiges auf dem Pult und die Bücherstapel ums Bett bunt gemixt. Sportlich ist sie auch, ihr Rennvelo scheint ihr jedenfalls so sehr ans Herz und ans Füdli gewachsen, dass es bei ihr nächtigen darf, tagsüber flitzt sie vermutlich wendig durch die City. Die Wohnung ist reich an schmucken Ingredienzien, und dennoch flirtet sie auch mit der Askese – Gandhi grüsst vom Grossformat. Die Bewohnerin mag zarte Blumen bettwäsche, geschlafen wird aber auf ei nem kruden Holzrost, kein Stofffleck auf dem Parkett, das «Suppenschwein» von Sowa über dem Kopfkissen – solche Ge
gensätze liebt sie. Sie schert sich nicht um Konventionen, sie sagt lieber selber, wo es langgeht, sucht ihre eigene Spur und kennt ihren Tarif. Vielleicht hat sie im Beruf eine führen de Funktion, gestaltet oder organisiert. In ihren vier Wänden weiss sie haargenau, wo sie was und warum placiert. Unter ordnen oder zu sehr einordnen mag sie sich nicht, vielleicht arbeitet sie selber im Chefbüro oder ist selbständig ihr eigener Chef? Was sie genau macht, ist schwerlich zu sagen, zu vielfältig sind ihre Interessen: Kultur, Körper, Bewegung, Gestaltung, sie liebt das Meer, geht gern auf Reisen und lebt in der Stadt. Sicher aber weiss sie ihr Leben rundum gut zu gestalten. ingrid Feigl
Der Innenarchitekt Der Blick in die Küche erinnert an eine Werkstatt. Hängeleuchte und Uhr könn ten aus einer alten Manufaktur stammen. Die Esswaren, die hier zubereitet werden, sind hochwertig. In dieser Küche legt je mand Wert auf gute Zutaten. Heute sind sie unsichtbar, es wurde aufgeräumt. Am Küchentisch werden Gäste emp fangen und bekocht. Der dazugehörende Wein liegt im offenen Regal bereit. Der
der innenarchitekt: «Glückliche hand für atmosphäre.»
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Kaffee kommt stilgerecht aus der Bialetti. Die Bewohnerin hat eine glückliche Hand für Atmosphäre und ist bestimmt eine begnadete Gastgeberin. Die Dinge in dieser Wohnung haben unterschiedlichste Provenienz. Erbstü cke mischen sich mit Fundstücken vom Flohmarkt, Billigprodukten und Design ikonen. Kunst kommt ebenfalls vor. Die se Wohnung gehorcht keinem Stildiktat. Dennoch hat sie etwas Typisches für eine Person in den Vierzigern. Hier wohnt eine weltoffene, kulturell und politisch interessierte Frau. Ihr Zu hause ist ihre persönliche Basis. Hierhin kommt sie gerne zurück nach all den be ruflichen und privaten Ausflügen und Reisen. Das dünne, leichte Air Book auf dem Schreibtisch ist die reisetaugliche Variante eines Computers. Da drin ist al les, was es braucht. Die Weltkugel ist von innen besonnt. Im Schatten liegt nichts. Einzig das Velo gibtRätselauf.EinerIkonegleichschwebt es über dem Bett. Das Gerät ist weit mehr als ein Konstrukt aus Stahlrohren und Schrauben. Es scheint etwas zu geben zwischen ihm und der Bewohnerin. Jörg boner Auflösung auf der nächsten Seite
die psychologin: «ans herz und ans Füdli gewachsen.»
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ina-maria schemer, 24, aline Kocher, 24, Carole nordmann, 25: «Keine party-WG.» Auflösung von der vorigen Seite
Carole Nordmann, Ethnologiestudentin, mit ihren Mitbewohnerinnen Ina-Maria Schemer, Politologiestudentin, und Aline Kocher, Kindergärtnerin «Hallo, sind Sie es? Wir werfen Ihnen den Schlüssel nach unten. Wir wohnen ganz oben. Achtung, er kommt! Nein, die Stufen haben wir noch nie gezählt, es sind vermutlich um die 60. Mit Einkaufstaschen oder der Wäsche geht das ganz schön in die Beine. Sportlich sind wir nicht, es sei denn, man zählt Sau nieren und Aarebaden dazu. Das Haus ist 99 Jahre alt. Früher waren hier ausschliesslich WG, heute gibt es auch junge Familien, weshalb im Ein gang Spielsachen und Bollerwagen her umstehen. Wir haben nicht extra aufge räumt. Bei uns ist es immer so ordentlich. Wir putzen auch ohne Putzplan. Jede putzt, wenn ihr danach ist. Streit haben wir deswegen nie. Irgendwie schaffen wir es, dass es gar nicht erst schmutzig wird. Auch das Altpapier und der Abfall sind immer pünktlich draussen. Unsere Woh nung wird seit über 20 Jahren an WG ver
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mietet. Ich zog vor vier Jahren in das Zimmer mit dem Balkon. Ich bin die mit Gandhi und dem Air Book. Wenn ich rei se, nehme ich mehr mit als den Laptop. Ina kam vor drei Jahren und Aline vor einem Jahr. Sie kannten sich bereits in der Primarschule. Früher waren sie beste Freundinnen, heute sind wir ein gutes Dreiergespann. Wir genügen uns. Wir ha ben diese Wohnung noch nie bis zum letzten Platz gefüllt. Eine PartyWG sind wir nicht. Wenn es warm ist, setzen wir uns auf den langen, schmalen Balkon und trinken ein Glas Wein. Keine von uns raucht. Wir sind anständig, nicht mega brav – aber auch nicht langweilig. Sonntags frühstücken wir gemein sam. Unter der Woche haben wir alle ei nen anderen Rhythmus: Aline geht als erste aus dem Haus, sie ist seit gut einem Jahr Kindergärtnerin. Ina bleibt gerne länger liegen, und auch ich bleibe manchmal bis neun im Bett. Zur Uni haben wir es nah, das Haus liegt nur wenige Minuten von der Unitobler im Berner Länggassquartier entfernt. Ina lässt ihr Velo an der Wand hängen – ihr zweites Rennrad steht unten im Hof. Für unser Alter haben wir ein geregel tes Leben. Zweimal in der Woche arbeite
ich in Zürich im Service. Ich brauche das als Ausgleich zum Studium. Meine Eltern unterstützen mich sehr, zahlen auch die Zimmermiete; was ich verdiene, fliesst ins ‹schöne Leben›. Ich war mit 16 im Austauschjahr in Costa Rica. Ina war ein Jahr in Kolumbien, sie ging, weil ihr zu Hause die Decke auf den Kopf fiel und sie dringend wegwollte. Sie mag die Ord nung hier in der WG, da in ihrem Kopf schon Chaos genug herrscht. Neben ihrem Studium arbeitet sie in einer Crêperie, oft bis Mitternacht. Darum ste hen wir zwei auch später auf. In einer Wohnung muss ich mich wohl fühlen und ausruhen können. Und das kann ich hier. Auch mit offener Zimmer tür. Bei uns sind die Türen nur zu, wenn eine schlafen möchte. Nach dieser WG könnte ich in keine andere mehr – das ist mein Plätzchen. Wir kochen oft gemeinsam. Eine fängt an, die anderen kommen dazu und helfen mit. Jede kauft ein, was sie mag, und jede isst davon. Ein Einkaufskässeli haben wir nicht. Joghurts mit Namen drauf findet man bei uns nicht im Kühlschrank. Beim Telefon teilen wir die Rechnung einfach durch drei. Viel ist das nie – obwohl ich kein Handy besitze –, für jede zehn Fran ken pro Monat inklusive Internet. Im Badezimmer geht es bei uns allen rasch. Ich musste noch nie vor der Tür auf und ab tigern. Wenn man dringend aufs WC muss, kann man einfach rein – wir schliessen uns beim Duschen nicht ein. Ina wohnte schon in mehreren WG, in einer war sie allein unter drei Männern, da war es zwar eher schmutzig, aber für Unterhaltung war auch immer gesorgt. Ina ist ein richtiger WGTyp. Vermutlich wohnt sie auch noch so mit Mann und Kind, wenn sie denn mal einen trifft, der sie begeistert. Ich bin hier die Einzige mit Freund. Wir haben viele Möbelstücke aus dem Brocki, einige Sachen haben wir am Strassenrand gefunden und mitgenom men. Wir richten alle sehr gerne ein – was man offenbar merkt. Meinen Schreib tisch habe ich von meinem Götti ausge liehen. Hochprozentiges? Nein, in der Flasche ist Quittensirup, Sie trinken ihn gerade. Wer später die Gläser abwäscht? Eine fängt an, die anderen trocknen ab. Dabei reden wir. Natürlich auch über Sie.» aufgezeichnet von Gudrun sachse Fotos: Heinz Unger
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a m h e rd
Im Pfefferland Fast so berühmt wie die Muotathaler Wetterschmöcker ist das Gasthaus Adler in Ried für seine wohlschmeckenden Wildgerichte.
Wenn die Jäger ihre Flinten schultern und in die Muotathaler Berge steigen, hat Daniel Jann alle Hände voll zu tun. Denn ein schöner Teil ihrer Beute landet in seiner Küche. Gams, Hirsch, Reh und Murmeltier schleppen die Waidmänner heran. Und dank seinen exzellenten Be ziehungen gelingt es Jann fast immer, auch einen der raren Steinböcke zu ergat tern, die vom kantonalen Amt per Los entscheid an ausgewählte Jäger zum Ab schuss freigegeben werden. Das Gasthaus Adler in Ried, am Ein gang zum Muotathal, gehört zu den we nigen Restaurants, in denen ausschliess lich Wild aus der Region auf die Teller kommt. Möglichst noch am selben Tag, an dem sie erlegt worden sind, werden die Tiere von den Grünröcken angelie fert. Der Chef will das ganze Tier sehen – seinen Wuchs, seine Statur, sein Fell. Wenn es schön anzusehen sei, dann habe es auch ein gutes Fleisch, sagt Jann. Die weitere Verarbeitung nimmt er dann gleich selber an die Hand. Er teilt das Tier entzwei und zieht ihm das Fell ab. Er lässt das Wildbret einige Tage abhängen, er löst das Fleisch von den Knochen, schnei det es in Stücke. Das Kochhandwerk hat Jann bei der legendären Agnes Amberg und anderen Spitzenköchen gelernt; wie man ein er legtes Tier fachgerecht zerlegt, hat ihm sein Vater, ein erfahrener Metzger, beige bracht. Das sogenannte Zerwirken des Wilds bedeutet viel Handarbeit, aber Jann nimmt dies gerne in Kauf, weil er nur so seinen Qualitätsansprüchen ge recht werden könne. «Klar, man muss die
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Technik beherrschen», sagt Jann. «Es ist aber auch eine sinnliche Erfahrung, die alles Weitere beeinflusst.» Daniel Jann gehört zwar nicht zur Gil de der Muotathaler Wetterschmöcker, die aus Naturbeobachtungen wie der Tie fe von Maushöhlen oder dem Wuchs der Tannzapfen ihre Wetterprognosen zu de stillieren versuchen. Auch er hat jedoch ein spezielles Gespür für die Natur. «Das Hochwild war in diesem Jahr ziemlich feiss», sagt er. Das habe damit zu tun, dass der letzte Winter – im Gegensatz zu den Prognosen der Wetterschmöcker – mild und kurz war. Jann glaubt je nach Körper bau auch die Herkunft des Tiers zu erken nen. Eine Gemse aus dem Hochgebirge sei muskulöser als eine aus dem Wald, und ein Hirsch von der Schattenseite des Tals habe saftigeres Fleisch als einer von der Sonnenseite. Die Beschaffenheit des Fleischs, aber auch das Alter des jeweili gen Tiers ist bei der Zubereitung zu be rücksichtigen. Je nachdem variieren die Kochzeiten bei Edelstücken wie Rücken oder Nüssli, und je nachdem muss auch ein Voressen länger in der Beize liegen, bis daraus ein richtiger Pfeffer wird. Jann setzt den Pfeffer für jede einzelne Gemse, jeden Hirsch und jedes Reh sepa rat an. Er verwendet für die Beize einen gehaltvollen italienischen Rotwein, Es sig, Wurzelgemüse, Lorbeerblätter, Nel ken, Korianderkörner und natürlich Pfef fer. Und ganz wichtig ist ihm auch das «Abglänzen», die Beigabe von (Schwei ne)Blut. Es verleiht der Sauce den nöti gen Schmelz und Glanz. Es soll Gäste geben, die nur für diesen Pfeffer in den «Adler» nach Muotathal pilgern. Die Reise lohnt sich aber auch für andere Spezialitäten, die hier während der Wildzeit zu haben sind. Zum Beispiel der Hafenchabis mit Steinbockragoût. Oder die Murmeltierleberli auf Blattsalat. Die Leber ist äusserst delikat, und irgend wie glaubt man zu schmecken, dass auch dieses Tier einen prächtigen letzten Som mer verlebt haben muss. Wenigstens das.
18.90
Châteauneuf-duC hât âteauneuf-duPape AC Château Saint-André, 75 cl <wm>10CAsNsjY0MDAx1TU0NjQ3MgIASFwk9g8AAAA=</wm>
Coop verkauft keinen Alkohol an Jugendliche unter 18 Jahren. Erhältlich in Ihrer Coop Verkaufsstelle oder unter www.coopathome.ch <wm>10CEXKOxKAIBAE0RNBzSysqBsiRpSBWp7AMvb-kZ-EoKN-tZp6_OWy7GU1AlEdA5OIUdUP6CwJXkEwCsgRvaQQvtGsy5PbgBk4QH-f1wNR-11JWwAAAA==</wm>
Für die gehaltvolle Begleitung zu rotem Fleisch. Kräftiges und jugendliches Kirschrot mit Violett ist die typische Farbe dieses runden Châteauneuf-du-Pape. Er überzeugt mit konzentrierten Aromen von Beeren, Lavendel und Caramel-Noten. Im Antrunk präsentiert er sich vollmundig und dank der breiten, gehaltvollen Beerigkeit fast süsslich. Obwohl der Wein angenehm strukturbetont ist, weist er einen fülligen Körperbau auf. Ein idealer Essensbegleiter, der besonders gut zu rotem Fleisch, Charcuterie und Braten passt.
Für jeden Anlass den passenden Wein.
andreas heller Illustration: Serge Nyfeler Rezept online unter www.nzzfolio.ch
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le s e rb ri e Fe
Raubmensch? «Jagen, töten, ausstopfen», Ausgewandert 10/11
Bei fanatischen Jägern wie Dieter Och senbein fragt man sich schon, ob man Menschen wie ihn – in Analogie zu den Raubtieren in der Tierwelt – nicht «Raub menschen» nennen sollte. Es ist aber nicht nur seine Passion, Tieren das Leben zu nehmen, er fürchtet sich auch davor, selbst zur Beute zu werden; vor Banditen schützt er sich, seine Familie und sein Ei gentum mit umfangreichen Sicherheits vorkehrungen. So sieht er sich als Jäger und als Gejagter und scheint in dieser Dualität geradezu gefangen zu sein. Doris Waldvogel, Zürich
Wunderbare Analyse «Seitenblick», 10/11
«Die optimale Verschwendung»: grossar tig! Eine wunderbare Analyse des Bil dungssystems. Das Beste, was ich je von Luca Turin gelesen habe. Vielen Dank! Max Meier, Oetwil a. d. L. ZH
Spannend erzählt «Wo steckt Mr. Rise?», Am Tatort 9/11
Erstens muss ich Ihnen zu dem hervorra genden Cover gratulieren! Zuerst dachte ich: «Urg, ein Haar vom Briefträger auf der Folie, in der das Heft kommt.» Aber nach dem ich erfolglos versucht hatte, es mit spitzen Fingern abzunehmen, dachte ich: «Gruusig, das ist ja unter der Folie!» Bis mir schliesslich aufging, dass dies das Ti telbild ist. Genial! Zweitens möchte ich Ihnen zu dem sensationell guten Artikel «Wo steckt Mr. Rise?» gratulieren. Ich habe von Computern nicht den Hauch einer Ahnung und begann nur mässig in teressiert zu lesen. Nach nur einem Satz
war ich gefesselt! Tim Schröders Vokabu lar ist eine reine Freude. Und seine bei läufig eingeflochtenen Erklärungen zu den Fachbegriffen machten es mir mög lich, der äusserst spannend erzählten Ge schichte mühelos zu folgen,ohne dass ich mich jemals unangenehm belehrt gefühlt hätte. Ein Meisterwerk des Journalisten handwerks! Für solche Artikel liebe ich Julia Pedrazza, per E-Mail das Folio!
Pflichtlektüre Die Finanzkrise 1/09
Ich bin durch Zufall in einer Publikation der Piratenpartei Deutschland auf dieses tolle Heft gestossen. Ich habe alle drei Teile der «Finanzkrise» aufmerksam ge lesen. Meine allerhöchste Hochachtung. Hier wurde für jeden verständlich der Versuch unternommen, die Möglichkei ten der heutigen Finanzwelt aufzuzeigen und die damit verbundenen Gefahren für die Allgemeinheit zu benennen. Dieses Heft sollte für jeden, der sich mit Finanz geschäften beschäftigt, zur Pflichtlektüre werden. Bei der momentanen EuroKrise sollte man den Politikern, die zurzeit über ein «Hebeln» des Rettungsschirms disku tieren, diese Texte vorlesen, damit sie wissen, worüber sie reden, und auch die Gefahren erkennen. Dieter Funke, Langerwehe (D)
Nun, es ist nicht so, dass wir unsere Leser briefe selber verfassen; wir haben auch keine Zeitmaschine erfunden, wie ein Le ser mutmasste. (Obwohl wir in der Vor schau auf das Oktoberheft den 5. Septem ber als Erscheinungstag angaben, um bereits ein bisschen zeitliche Verwirrung zu stiften.) Des Rätsels Lösung ist: das Rätsel. Im PS des Editorials haben wir da rauf hingewiesen. Unser grosses Jahres rätsel vom Dezember hat dieses Jahr be reits im August angefangen. Der Leser brief von Martin Kashaf ist ein Teil davon. Aber mehr verraten wir nicht! au FlÖs u nG
Binders Vexierbild, S. 15 Dreht man das Bild um 180 Grad, erkennt man zwischen dem Schaufelradgehäuse und dem hinteren Kamin des Dampfers das Gesicht von John Maynard. Theodor Fontane hat dem heldenhaften Steuer mann in einer seiner bekanntesten Balla den 1886 ein Denkmal gesetzt. Maynard soll bis zuletzt auf seinem Posten ausge harrt haben, als sein Schiff 1841 auf der Fahrt von Buffalo nach Erie in Brand ge riet. Von den 200 Passagieren wurden nur 29 gerettet. Zerlegt, S. 13
interna
Leserbrief Der Leserbrief von Martin Kashaf in der Oktobernummer «Ausgewandert» hat uns einen kleinen Entrüstungssturm be schert. Wie kann es sein, dass im selben Folio, in dem ein Artikel gedruckt wird, auchschoneinLeserbriefdazuerscheint?
Ganz: schnürstiefel von dr. martens.
Schnupfen?
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Bitte lesen Sie die Packungsbeilage. Mepha Pharma AG Die mit dem Regenbogen
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Folio Foli e s
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VorsCh au
Ich liebe dich
i m pre s s u m redaktion Daniel Weber (Leitung), Reto U. Schneider (Stv.), Andreas Heller, Anja Jardine, Gudrun Sachse, Barbara Klingbacher, Florian Leu (Volontär), Katja Abderhalden (Sekretariat) Gestaltung und produktion Partner & Partner / Benno Maggi (Art Direction und Bildredaktion), Ernst Jaeger die autoren der rubriken Regula Lehmann, Journalistin, Zürich Luca Turin, Duftforscher MIT, Boston (USA) Jeroen van Rooijen, Mode- und Stilkritiker der NZZ Hannes Binder, Illustrator, Zürich (Vexierbild) Wolf Schneider, Schriftsteller, Starnberg (D) Elio Thalmann, Berufsschüler, Zürich Gerhard Glück, Cartoonist, Kassel (Folio Folies) Korrektorat Alexandra Bernoulli, Urs Remund, Zürich titelblatt Max Grüter und Patrick Rohner, Zürich Übersetzung Robin Cackett, Berlin (Seitenblick) bildnachweise S. 5/7: Felix Scheinberger, Berlin; S. 16: Soeren Stache / Picture Alliance / Keystone; S. 66: Keystone / Getty Images. adresse redaktion Redaktion NZZ Folio, Falkenstrasse 11 Postfach, CH-8021 Zürich Tel. +41 44 258 12 40, Fax +41 44 258 12 59 E-Mail: folioredaktion@nzz.ch Internet: www.nzzfolio.ch Newsletter: E-Mail mit Informationen zur jeweils nächsten Ausgabe: www.nzzfolio.ch/mailing Verlag Andreas Häuptli (Leiter Product Management) Milena Andretta
das nächste Folio erscheint am 5. dezember 2011.
Jeder fünfte Schweizer wird ohne Partnerin beim Weih nachtsessen sitzen. Jede vierte Schweizerin wird Neu jahr ohne Partner feiern. Wir haben aus Hunderttau senden von Singles sechs ausgewählt und ein Jahr lang bei ihrer Partnersuche begleitet, mal zum Single spaziergang, mal zum BlindDate, mal zum Tanz in der Schwulendisco, in Zürich, Bern und Wagenhausen. Eine Galeristin, ein Mikrobiologe, ein Brathähnchen verkäufer, eine Ärztin, ein Doktorand und eine Frau im Ruhestand: sie alle suchten die Liebe. Manche fanden sie oder glaubten, sie gefunden zu haben. Manche nicht. Sie alle hätten gern jemanden gern, und obwohl das eigentlich ein eher bescheidener Wunsch ist, erfüllt er sich doch nur selten. Wir fieberten mit, bis endlich die ersehnte Mail einer Onlinebekanntschaft eintraf. Wir hörten zu, nachdem ein Treffen das Herz hatte schnel ler schlagen lassen. Wir freuten uns mit, wenn es end lich klappte: der erste Kuss! Und uns war flau zumute, wenn die Gefühlskurve sich dann doch wieder verflach te. Das Folio vom Dezember erzählt sechs Geschichten. Wir blicken aber auch in das Labor der Liebe, operieren gewissermassen am offenen Herzen und gehen Fragen nach wie: Mit welchen Erwartungen machen sich Men schen auf die Suche? Was tun sie, um jemanden zu fin den? Wie verhalten sie sich, wenn ein interessanter Kandidat im Blickfeld erscheint? Warum zerreissen Bande, die übers Internet geknüpft wurden, so rasch wieder? Warum ist es so kompliziert mit der Liebe?
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anzeigenverkauf Publicitas AG, NZZ Media, Seehofstr. 16, 8021 Zürich Telefon 044 258 16 98, Fax 044 258 13 70 E-Mail anzeigen@nzzmedia.ch, www.nzzwerbung.ch Deutschschweiz: Nicole Costa, Tel. +41 44 258 12 63 Finanzmarkt: Urs Ramsauer Tel. +41 44 258 12 62 Westschweiz: Yves Gumy, Tel +41 21 317 88 08 leser- und aboservice Tel. +41 44 258 15 30, Fax +41 44 258 18 39 leserservice-schweiz@nzz.ch abonnements NZZ Folio wird am ersten Montag des Monats der Inlandauflage der «Neuen Zürcher Zeitung», der «Neuen Zuger Zeitung» sowie Teilauflagen des «St. Galler Tagblatts» und der «Neuen Luzerner Zeitung» beigelegt. Den Auslandabonnenten der NZZ wird es separat zugestellt. Separatabonnements Inland CHF 94 inkl. MWSt, Ausland CHF 105 / € 68 pro Jahr. NZZ Folio erscheint monatlich. einzelheftbestellung Tel. +41 44 258 13 78, Fax +41 44 258 12 68 Einzelnummern CHF 12 / € 12 adresse Verlag Verlag NZZ Folio, Falkenstrasse 11 Postfach, CH-8021 Zürich Tel. +41 44 258 12 60, Fax +41 44 258 12 68 E-Mail: folioverlag@nzz.ch druck und litho Swissprinters St. Gallen AG, Fürstenlandstrasse 122, 9001 St. Gallen nZZ-mediengruppe Albert P. Stäheli (CEO) Geschäftsbereich nZZ Markus Spillmann, Marius Hagger, Felix E. Müller, Peter Hogenkamp
© Verlag NZZ Folio, 2011 (ISSN 1420-5262). Alle Rechte vorbehalten. Jede Verwendung der redaktionellen Texte (besonders ihre Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung und Bearbeitung) bedarf der schriftlichen Zustimmung durch die Redaktion. Ferner ist diese berechtigt, veröffentlichte Beiträge in eigenen gedruckten und elektronischen Produkten zu verwenden oder eine Nutzung Dritten zu gestatten.
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JED E R OL E X Z EUG T VON G R OS SER TECHNI S CHER L EI S TUNG . D ER
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der cosmogr a ph day tona
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