NZZ Folio: Okt 2011

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Die Zeitschrift der Neuen Z端rcher Zeitung, Oktober 2011

Ausgewandert Aufbruch ins Gl端ck


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CO2 132 g/km bedeutet 13% weniger

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Der neue Audi A6 Avant mit Audi Leichtbautechnologie. Einer der vielen Vorteile der Audi Leichtbautechnologie besteht darin, dass ein leichteres Auto weniger Treibstoff verbraucht und somit weniger CO2-Emissionen verursacht. Beim neuen Audi A6 Avant 2.0 TDI sind dies im Vergleich zum Vorgängermodell 13 Prozent weniger. In der gesamten Baureihe wurde zudem der Treibstoffverbrauch um bis zu 21 Prozent reduziert. So können Sie länger fahren – für weniger. www.audi.ch/a6avant Audi A6 Avant 2.0 TDI, 130 kW (177 PS), 1968 cm3. Normverbrauch gesamt: 5,0 l/100 km. CO2-Emissionen: 132 g/km (188 g/km: Durchschnitt aller Neuwagenmodelle). Energieeffizienzkategorie A.


E D ITORI A L

Das Tückische der Nostalgie Auszuwandern bedeutet heutzutage, eine neue Welt zu gewinnen, ohne die alte zu verlieren. Im Innern führt das manchmal zu Turbulenzen.

Wer fortgeht, nimmt sich mit, das ist kein Geheimnis. Die nationale Identität in­ begriffen. Nirgends ist ein Schweizer so sehr ein Schweizer wie im Ausland. Das gilt für jede Nationalität: Erst als Anderer unter vielen Gleichen spürt man, dass man anders ist. Und je andersartiger die neue Kultur, desto deutlicher. Das kann bereichernd sein, aber auch erschreckend. In jedem Fall ist es ein Paradoxon des Fortgehens. Man wähnt sich weit weg und findet alles in der eigenen Brust. Frisch angekommen in der neuen Welt, steht man da mit offenen Armen und offenem Herzen, im Gepäck Neugier, Wohlwollen und Entschlossenheit, sich anzupassen und das nationale Ego zurückzustellen. Anfangs hält man es schlicht für irrelevant, im Zeitalter des globalen Dorfes sowieso. Früher oder später je­ doch wächst das Bedürfnis nach Selbstbehauptung. Und ehe man sich versieht, verteidigt man, was man zu Hause kritisiert hat. Oft ist es profan: Das Chaotische, Exotische wird abgewogen gegen das Strukturierte, Zuverlässige. In der ewigen Sonne gewinnt selbst ein verregneter Sonntag im November an Schönheit. Was nicht heisst, dass man den nächsten Landsmann, der einem über den Weg läuft, in die Arme schliessen möchte; ganz im Gegenteil identifiziert man ihn in­ tuitiv als Vertreter jener Sorte, die alles verkörpert, was man noch nie ausstehen konnte: das Pedantische, Miesepetrige zum Beispiel. In der Mischung ergibt das eine diffuse Gemütslage, ein Auswanderer hat eine multiple nationale Persönlich­ keit. Zumal die Heimat seiner Erinnerung mit jener, die existiert, selten überein­ stimmt. Es geschieht etwas Seltsames: Sie wird immer schöner. Heidi ruft. In der gleichen Phase verliert das neue Zuhause an Glanz: Das Lebensfrohe kommt einem nun oberflächlich vor, die Gelassenheit wie Sturheit. Meist hilft ein Heimaturlaub, um die Dinge zu justieren und das Heimweh zu besänftigen. Mit den Jahren wird der Auswanderer versöhnlich und fügt sich der schlichten Erkenntnis, dass er es hier wie da mit Menschen zu tun hat. Kehrt er aber tat­ sächlich in die Schweiz zurück, muss er feststellen: Das Heimweh bleibt. Nur gilt es jetzt einem anderen Land. Anja Jardine PS: Tour de Suisse – das schwierigste Rätsel der Schweiz geht weiter.

Die Fähre in Loutro, Kreta.

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IN H A LTSV E R Z E ICH N I S

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TH E M A : AuSg E WA N DE RT

18 Auftakt

Titelblatt  Von Max Grüter und Patrick Rohner Editorial  Das Tückische der Nostalgie. Von Anja Jardine Beim Coiffeur  Die Frisur des Lebens. Von Marc Lettau Seitenblick  Die optimale Verschwendung. Von Luca Turin Icon Poet  Sei meine Frau. Zerlegt  Ein Kleid für gewisse Stunden. Von Jeroen van Rooijen Rätsel  Johann ohne Land. Von CUS Binders Vexierbild  Wo ist das Südseemädchen? Von Hannes Binder Liebhaber  «Phil Collins sammelt Spur H0». Von Anja Jardine

20 Ein Haus am Meer

Nach dreissig Jahren in der Modebranche zog Gabriela Räss Padroudakis   nach Kreta, wo sie einen Ziegenhirten heiratete. Von Anja Jardine  26 Der letzte seiner Art

Der Benediktiner Urs Egli ging vor 56 Jahren nach Kamerun. Von Gudrun Sachse  28 Heimkehr in die Fremde

Grossvater wanderte nach Bolivien aus, die Enkel kehren heim. Von Florian Leu  32 Eidgenossen auf Aussenposten

Im Schweizerhaus  in Salvador da Bahia wird der 1. August gefeiert.   Von Ruedi Leuthold  40 Jagen, töten, ausstopfen

Ein Schweizer in Südafrika präpariert Nashörner und Elefanten. Von David Signer  43 Wenn Hirne wandern

Wissenschafter sind Nomaden. Drei davon erzählen, was ihnen das Ausland   bietet. Von Matthias Daum  48 Vom Seil gestürzt

Früher verkehrte Rudi Bliggenstorfer mit Golo Mann, Max Frisch und Federico  Fellini. Heute lebt er auf einer verwahrlosten Farm in Südafrika. Von David Signer  55 Bilaterale Beziehungen

Wer für die Liebe ins Ausland geht, hat etwas zu erzählen. Eine Umfrage. 60 Monsieur Otto chez les Welsch

Bauer Otto Stämpfli und seine Frau Veronika suchten ihr Glück in der Romandie.  Von Balz Ruchti  64 Dicke Luft im Rentnerparadies

Warum Schweizer Pensionierte ihren Lebensabend in Thailand verbringen   und was sie dort erleben. Von Andreas Heller

Von Bern ins Welschland emigriert. S. 60

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Schlaglicht  Seid umschlungen, Billionen! Von Wolf Schneider Vom Fach  Unter Reitern. Von Anna Widmer Am Herd  Der Mann im Hintergrund. Von Andreas Heller Das Experiment  Showdown im Ngorongoro-Krater. Von Reto U. Schneider  Wer wohnt da?  Zusammengestrickt. Von Gudrun Sachse Leserbriefe Folio Folies  Von Gerhard Glück Vorschau / Impressum

Neue Rubrik: Icon Poet

AuS S E RDE M

In dieser Ausgabe finden Sie auf Seite 11 zum ersten Mal die Rubrik Icon Poet, die    Sie einlädt, Kürzestgeschichten zu schreiben und einzusenden. Icon Poet ist die   Erfindung der Spieleautoren Gebrüder Frei, die wir für das Folio adaptiert haben.  Icon Poet kann man auch live spielen. Das nächste Mal am 4. November um 19 Uhr   in der Buchhandlung Haupt am Falkenplatz 14 in Bern.

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Nespresso erfindet die nachhaltige Limited Edition…


B E I M CO I FFEU R

Die Frisur des Lebens Julia Papul frisiert am liebsten Bräute für die Hochzeit, mit Strass und Perlen und allem Drum und Dran. Also gut: einmal heiraten, bitte!

Julia Papul, Tiraspol, Transnistrien, 34, ist mit einem Geschäftsmann verheiratet und Mutter von zwei Töchtern. Die Familie besitzt eine Dreizimmerwohnung und den Salon. Gute Coiffeusen gehören mit einem Monats­ lohn von 250 bis 500 Franken in Tiraspol zu den Besserverdienenden. Parikmacherskaja Eva Der Coiffeursalon – russisch: Parikmacher­ skaja – liegt an der Karl­Liebknecht­Strasse im Zentrum von Tiraspol, der Hauptstadt der Transnistrischen Moldauischen Republik, dem sezessionistischen Teil der Moldau. Und zwar in der umgebauten Parterrewohnung ei­ nes älteren Blocks. Preis pro Haarschnitt Ein Herrenhaarschnitt kostet 50 transnistri­ sche Rubel, rund 4 Franken. Damen bezahlen 5 bis 10 Franken, für Hochzeitsfrisuren bis zu 84 Franken. Transnistrien Einwohner: BIP pro Kopf: Milch: Brot: Wodka: Kinobillett: Zigaretten: Taxi:

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555 000 1700 Franken (Schätzung) 1 Liter 60 Rp. 1 Kilo 50 Rp. 1 Liter 70 Rp. 2.20 Fr. –.35 bis 2.20 Fr. 10 km 2.50 Fr.

Welcher Haarschnitt ist im Moment angesagt? Langhaarfrisuren sind sehr gefragt, in verschiedenen Stilrichtungen. Die Leute legen sehr viel Wert auf ihr Aussehen. Es gibt in Tiraspol viele Coiffeursalons. Haben Sie eine spezielle Methode? Wir machen uns mit allen neuen Methoden vertraut. Ich besuche Weiterbildungskurse in Odessa in der Ukraine oder in Chisinau in der Moldau. In meinem Salon bieten wir deshalb auch Haar-, Wimpern- und Nagelverlängerungen an. Warum sind Sie Coiffeuse geworden? Aus Zufall, aus einer Laune heraus. Ich bin ausgebildete Buchhalterin. Doch mit der Geburt meiner ersten Tochter fiel der Entscheid, den Beruf zu wechseln. Wie haben Sie Ihr Handwerk erlernt? Zunächst absolvierte ich mehrmonatige Kurse in sogenannten Schulungsstudios in Chisinau und Odessa. Dann vertiefte ich meine Kenntnisse in hiesigen Salons und machte mich an den Aufbau eines eigenen Geschäfts. Dabei half mir mein ursprünglicher Beruf durchaus. Was sind Ihre Zukunftspläne? Fachlich will ich zu den Besten gehören. Und wir wollen den Salon ausbauen. Hätten wir einen grösseren Salon, könnten wir auch grössere Herausforderungen annehmen – beispielsweise mehr Hochzeitsfrisuren. Eine Hochzeitsfrisur ist immer ein Höhepunkt und eine besonders anspruchsvolle Aufgabe: Die Braut kommt frühmorgens und erwartet in wenigen Stunden die Frisur des Lebens. Bei Hochzeiten gelten bei uns sehr traditionelle Werte. Entsprechend feminin, hochgesteckt, mit Strass und Kunstperlen geschmückt muss das Haar sein. Haben Sie viele Stammkundinnen? Ja, viele Frauen kommen regelmässig. Es sind vor allem 20- bis 50jährige aus der Mittelschicht. Finden sich darunter auch Prominente? Durchaus! Die prominentesten Kundinnen waren die Sängerinnen der Gruppe Sun Stroke Project, die für die Moldau am Eurovision Song Contest 2010 in Oslo teilgenommen haben. Haben Sie sich schon einmal geweigert, den Wunsch einer Kundin auszuführen?

Ja, es gibt sie auch bei uns, die schwierige Kundin, die etwas wünscht, was gar nicht zu ihr passt. Selbstverständlich darf sich jede wünschen, was sie will. Aber ich habe mich tatsächlich schon geweigert, Wünsche zu erfüllen – im Wissen, dass die geforderte Frisur niemals zur Person passen kann. Im nachhinein haben sich diese Kundinnen übrigens für meine Offenheit bedankt. Was machen Sie in Ihrer Freizeit? Ich habe die Freiheit, länger oder weniger lang zu arbeiten. Aber Freizeit im üblichen Sinne habe ich kaum. Wer nicht arbeitet, geniesst Tiraspol, trifft Freundinnen und Freunde. Weil die anderen Städtchen Transnistriens viel ärmlicher sind, lohnt es sich kaum, woanders hinzufahren. Wer mag, kann auch im Dnjestr schwimmen gehen – falls er die vielen Karpfen im trüben Wasser nicht fürchtet. Sehr beliebt ist auch die neue Uferpromenade mit Sandstrand. Wer kümmert sich um Ihre Kinder? So, wie es in dieser Weltgegend üblich ist: die Babuschka, die Grossmutter. Wo machen Sie Ferien? Ich habe wenig Ferien, maximal zwei Wochen pro Jahr. In dieser Zeit reise ich gern. Ich reise nie zweimal an denselben Ort. Dieses Jahr war ich in den Karpaten, wo ich mich das allererste Mal im Skifahren versucht habe. Später im Jahr besuchte ich die Türkei. Spüren Sie, dass die internationale Gemeinschaft Transnistrien nicht als Staat anerkennt? Ja, ich spüre das. Es ist für mich auch in beruflicher Hinsicht ein Problem. In Transnistrien werden keine internationalen Wettbewerbe durchgeführt. Will ich mich also international mit anderen Berufsleuten messen, muss ich mich als Vertreterin der Republik Moldau anmelden. Als Vertreterin Transnistriens bleibt mir der Zugang verwehrt. Wenn ich aber an diesen Wettbewerben in Moskau oder Odessa erkläre, dass ich Transnistrierin bin, dann gratulieren mir alle für unser seit gut zwanzig Jahren anhaltendes Streben nach Unabhängigkeit. Marc Lettau

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S E ITE N B LICK

ICON POE T

Die optimale Verschwendung

Sei meine Frau

Überqualifizierte Lehrer mögen vielleicht ihre Zeit verschwenden, aber gewiss nicht jene ihrer Schüler. Darum brauchen wir sie.

Ein Heiratsantrag, der die fünf Würfelsymbole enthält.

Vor einigen Jahren hörte ich von einem neuen Programm in Frankreich, das es Inhabern eines naturwissenschaftlichen Doktortitels ermöglicht, ohne die gefürchtete Agrégation an der gymnasialen Oberstufe zu lehren. Ich habe keine Ahnung, wie viele Leute dieses Angebot angenommen haben. Ich wäre selbst versucht gewesen, daran teilzunehmen, wenn ich für denselben Lohn an einer Primarschule hätte unterrichten dürfen, aber das war nicht vorgesehen. Das Ganze weckte nostalgische Erinnerungen an meine Kindheit, an französische Schulen mit meist hoffnungslos überqualifizierten Lehrern. Mein Französischlehrer am Lycée, Monsieur Minvielle, ein Stendhalexperte, der am Collège de France hätte lehren können, hatte ein Faible für «Les Pieds Nickelés», eine umstürzlerische Comic-Serie aus den 1930ern, die er häufig aus dem Gedächtnis zitierte, und war lebenslanges Mitglied des Hot Club de France, einer Art Hochamt des Jazz. Selbstverständlich war der Mann an uns verschwendet, nicht zuletzt, weil der nationale Lehrplan ihn nötigte, sich mit Nullen wie Ronsard und Plaudertaschen wie Chateaubriand zu befassen. Manchmal wich er vom Plan ab und extemporierte für fünf Minuten über etwas, das ihm am Herzen lag, so dass selbst die Aufsässigsten unter uns ihm mit spitzen Ohren lauschten. Wissen gebietet Aufmerksamkeit, und Liebe gebietet Respekt. Doch dann begann ich mich zu fragen, ob M. Minvielle sich wirklich an uns verschwendet hat. Man glaubt im allgemei-

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nen, die Übermittlung von Wissen müsse denselben Prinzipien folgen, die Toyota gross gemacht haben: keine Produktion auf Vorrat, kurzfristig bedarfsorientierte Lieferung, keine Lagerhaltung. Das Niveau des Lehrers sollte nur gerade so weit über dem der Schüler liegen, dass er sicherstellen kann, dass der Stoff in die richtige Richtung fliesst. Ich selbst habe als Student auf diese Weise unterrichtet und entsinne mich der Angst – als spazierte ich auf einem Drahtseil über dem Abgrund, in den mich eine einzige gescheite Frage hätte stürzen können. Die Schüler lassen sich übrigens nicht verschaukeln, sie spielen in der Regel einfach mit. Aber wenn ich zurückblicke, dann habe ich wirklich aufregenden Unterricht nur bei Lehrern erlebt, die tausendmal mehr wussten, als sie sagten. Kurz gesagt: Sie haben vielleicht ihre Zeit verschwendet, aber nicht meine. Was mich zur Formulierung des Gesetzes von der optimalen Verschwendung bringt: Zu wenig Zuviel ist nicht genug. In der Lehre, in den Wissenschaften und in den Künsten ereignet sich Grosses oft dann, wenn aussergewöhnliche Menschen gezwungen sind, Berufe unter ihren Möglichkeiten auszuüben. In den Naturwissenschaften bahnt sich daher eine Revolution an: Weil überall die Verteidigungsbudgets gekürzt werden, bekommen Physiker nicht mehr die Stellen, die sie sich wünschen, und sind gezwungen, sich in die Niederungen der Biologie herabzulassen. Der grosse italienische Designboom der 1960er Jahre war im wesentlichen eine Folge des Überschusses an Architekten, die Wolkenkratzer entwerfen wollten und bei Aschenbechern endeten. In der Literatur – Shakespeares Helden sind ein gutes Beispiel – wie im Leben richten diejenigen, die ehrgeiziger sind, als sie dürften, regelmässig grosses Unheil an. Dagegen scheinen jene, die bescheidener sind, als sie müssten, für die grössten Wohltaten verantwortlich. Das ist kein moralisches Gesetz, sondern ein praktisches: Habgier schreckt ab, Grossmut regt an.

«Sei meine Frau», murmelte Jan zugeknöpft und überreichte mir einen Kaktus. Dann hängte er seinen Mantel über den Bügel. Hoffentlich erstickt er an einer Gräte, dachte ich und servierte ihm blitzGudrun Sachse, Folio schnell den Fisch. Knöpf deine Bluse ruhig wieder zu, der Blitz der Liebe hat nicht eingeschlagen. Du passt zu mir wie ein Fisch in die Wüste. Drum lass uns die Sache tiefer hängen, schliesslich geht’s ja nur um eine – Daniel Weber, Folio Zweckheirat. Willst du meinen Kaktus zügeln? Meine Fische prügeln? Meine Kleider bügeln bis zum Knopf und weiter? Dann werde doch mein Blitzableiter. Reto U. Schneider, Folio Süsse Gräte, wie ein Blitz traf mich die Liebe zu dir, nach Jahren in der Wüste. Nichts wünsche ich mir mehr, als dass bis ans Ende meiner Tage dein Mantel neben meinem hängt. Willst du dein Leben an Anja Jardine, Folio meines knüpfen?

Machen Sie mit: Sie wollen eine Lohnerhöhung vom Chef. Ihre Begründung muss fünf aus den unten abgedruckten Symbolen abgeleitete Worte enthalten (auch im übertragenen Sinn). Die besten Beiträge werden abgedruckt und mit dem Spiel «Icon Poet» der Spielautoren Gebrüder Frei belohnt (im Buchhandel erhältlich). Schicken Sie Ihre Texte bis am 17. Oktober 2011 an iconpoet@nzz.ch oder an NZZ Folio, Icon Poet, Postfach, 8021 Zürich.

Luca Turin Illustration: Fabienne Boldt

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Z E RLEGT

Ein Kleid für gewisse Stunden Fürs Büro ist es zu sexy, für den Abendanlass zu schlicht: Das Cocktailkleid wurde für die Zeit dazwischen erfunden – und für stilbewusste «Damen der Gesellschaft». Darüber, warum der Cocktail so heisst wie er heisst, nämlich Hahnenschweif, gibt es Dutzende von Geschichten. Sie reichen von tollkühnen Männern, die zum Begiessen von Hahnenkämpfen bunte Federn in der Bar herumreichten, bis zu grossen Keramikvogelfiguren, in die die Barkeeper die Liqueurreste kippten und an deren Schweif sich ein kleiner Zapfhahn befand, aus dem dann dieser Mix kredenzt wurde. Vermutlich ist der Cocktail jedoch eine zwischen Paris und London verschliffene Wortverdrehung, die aus dem französischen «coquetier» (Eierbecher) entstand. Heute ist der Cocktail aus dem sozialen Repertoire nicht mehr wegzudenken. Er markiert die Schnittstelle zwischen Arbeitsschluss und Abendvergnügen, und eigens dafür gibt es eine Damenbekleidung: zu sexy fürs Büro, zu kurz und schlicht für ein Abendkleid. In der Kostümhistorie taucht das Cocktailkleid vor hundert Jahren auf, als auch die Mixgetränke in Mode kamen. Es erlebte einen ersten Boom in den 1920er Jahren, als die Rocksäume für die Abendgarderobe erstmals bis über die Wade stiegen und die Taille auf die Hüfte rutschte. Letztmals richtig in Mode war das kurze, gerade Kleid dann in den späten 1960er Jahren, als die Säume noch einmal deutlich kürzer wurden. Danach wurde es als zu bürgerlich abgelehnt. In die heutige Zeit der «Mad Men»Begeisterung, die traditionelle Kleidung (und Rollen) aufleben lässt, passt das Cocktailkleid wieder gut. Es muss ein gerüttelt Mass an Sex-Appeal haben und gerne auch ein wenig Transparenz. Für Marken wie Schumacher, die eine feminine, bürgerlich-arrivierte Kundin ansprechen wollen, gehört es sogar zum Pflichtprogramm. Denn es sind die «Damen der Gesellschaft», die sich auch heute noch Kleider für die frühen Abendstunden leisten. Der grosse Rest glaubt, auch diese in Jeans und T-Shirt verbringen zu können. Die Düsseldorferin Dorothee Schumacher knüpft mit ihrem hier zerlegten Cocktailkleid namens «Layer Play» an die Traditionen des Genres an. Man erkennt

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Cocktailkleid, Seidenchiffon, Dorothee Schumacher, 498 Franken.

in den horizontal geschichteten Bahnen ein Zitat von Chanel und einen Hauch von Lanvin und Balenciaga. Es ist mit seinem einfachen, geraden Schnitt und einem leicht dehnbaren Trägermaterial bequem und für vielerlei Figuren schmeichelhaft. Doch es ist nicht nur schlicht, sondern hat mit seinen aufgesetzten Streifen aus Chiffon eine verspielte Seite. Gebrochen wird die Zartheit der unversäumten, also nur geschnittenen und verdeckt aufgenähten Chiffonstreifen durch ein metallisch glänzendes Netzgewebe, das dem Kleid eine unterschwel-

lig futuristische Note gibt. Kleine Provokationen oder Regelabweichungen wie der leuchtend orange eingefasste Halsring oder der kernige, sichtbar eingearbeitete Metallreissverschluss im Rücken fügen der Kreation einen modischen «Störfaktor» hinzu. Genäht wird das Kleid in Asien, wo Schumacher die meisten Seidenqualitäten ihrer Kollektion fertigen lässt. (Das zerlegte Kleid ganz: Seite 80.) Jeroen van Rooijen Foto: Patrick Rohner

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R ÄTS E L

Johann ohne Land Ein Abenteurer war er, ruhelos und rücksichtslos. War er auch der reichste Schweizer? Jedenfalls nicht für lange. Raten Sie mit – und gewinnen Sie! (meint der Schriftsteller), nur: wen interessiert das? Die restlichen Jahrzehnte seines Lebens verbringt der Schweizer damit, an höherer Stelle für sein Recht zu kämpfen. Er bekommt es nicht. Verarmt, verhärmt, gescheitert stirbt er. Er, der einmal der Reichste aller Schweizer gewesen war. Wie lautet sein Name?

Der reichste Schweizer Auswanderer überhaupt? Nicht nur das. Doch erst mal der Reihe nach: Sein Heimatort liegt in der Schweiz, sein Geburtsort in Deutschland, dann kehrte er in die Schweiz zurück. Damit hätte es gut sein können, doch verrannte er sich offenbar in undurchsichtige Geschäfte und musste vor Gläubigern oder Häschern fliehen. In seiner Not erbat er Hilfe in seinem Schweizer Heimatort, einer wahren Sonnenterrasse der Schweiz (meint die Website der Gemeinde). Die Hilfe wurde ihm aber nicht gewährt, weil er sich nicht ordentlich ausweisen konnte. So verliess er die Schweiz, Weib und Kinder blieben zurück. Streitlustig und rechthaberisch war er also und ein Mann der Tat obendrein. In seinem neuen Leben schlug er sich durch, bewährte sich, hätte eine gesicherte Existenz aufbauen können. Doch was bedeutet das den Tatmenschen, den Abenteurern? Wieder zog er los und fand nach längerem Umherirren das Stück Land, das ihn berühmt machen sollte. Schon bald mussten seine Leute Überlebende retten, die im winterlichen Gebirge zum Äussersten, zum Kannibalismus gezwungen waren. Doch es kam schlimmer: Er wurde der wohl reichste Mensch Schweizer Abkunft überhaupt (ein bekannter Schriftsteller geht noch einen Superlativ weiter). Der Reichtum währte jedoch nicht lange. Wenige Tage später liegt sein Land verödet, brüllen die Kühe im Stall, stehen die Mühlräder still. Einige Jahre später endlich bekommt er recht – er ist wiederum der Reichste

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Auflösung des Rätsels aus Folio 9/11 Gesucht war der Schweizer Schiedsrichter Gottfried Dienst. Er pfiff den Final der Fussball-WM 1966 England – Deutschland. Das entscheidende 3 : 2 für England in der Verlängerung ist in Deutschland bis heute die bekannteste Fussballszene, über die stets mit Leidenschaft debattiert wird. Godi Dienst gab das Tor nach Rück-

sprache mit dem Linienrichter Bachramow aus Aserbaidschan. An der Stelle des alten steht heute in London das neue Wembley-Stadion. Bachramow hatte bei der gleichen WM übrigens das Spiel Spanien – Schweiz zugunsten der Spanier verpfiffen (meinten viele Schweizer). Einsenden und gewinnen: Wer das Rätsel gelöst hat, kann die Antwort an folioraetsel@nzz.ch schicken (oder per Post an Verlag NZZ Folio, Rätsel, 8021 Zürich). Aus den Einsendern der richtigen Lösung wird ein Gewinner ausgelost, der eine exklusive Folio-Tasche erhält. Einsendeschluss ist der 17. Oktober 2011; der Rechtsweg ist ausgeschlossen. Ende 2011 werden alle Monatsgewinner überdies zu einem Nachtessen mit dem Rätselmeister CUS eingeladen. Gewinner des September-Rätsels war Heinrich Mahler aus Birrhard AG. CUS Illustration: Anna-Lina Balke

B IN D E RS V E X I E RB I LD

Wo ist das Südseemädchen?

Aus Gründen des Urheberrechts nicht elektronisch erhältlich.

Auflösung auf Seite 80.

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LI E B H A B E R

«Phil Collins sammelt Spur H0» Während Claude Nobs das Montreux Jazz Festival zu dem machte, was es heute ist, sammelte er Modelleisenbahnen – wie so mancher Musiker, den er einlud. «Einer fehlt noch: der Trans-Europ-Express, dann ist Schluss und fertig», sagt Claude Nobs und haut energisch einen Schlussstrich in die Luft. Und tatsächlich ist der TEE doch vor zwei Tagen auf Ebay aufgetaucht. Jetzt versucht Claude Nobs sein Glück. Nobs sammelt Eisenbahnmodelle der Spur 1, das sind Nachbildungen des Originals im Verhältnis 1 : 32. Die sind fast so gross, dass Einjährige auf die Idee kommen könnten, sich draufzusetzen, doch das sollten sie besser bleiben lassen. Von einigen der Präzisionsmodelle wird nur ein Exemplar produziert, von anderen kann es hundert geben, und die sind trotz Werkpreisen von mehreren Tausend Euro meist sofort ausverkauft. Da kann man als Spur-1-Freund von Glück reden, wenn mal wieder einer auftaucht wie jetzt der TEE auf Ebay. Der Trans-Europ-Express war einst der Paradezug der Deutschen Bahn, 1957 gebaut für den internationalen Verkehr verband er unter anderem Hamburg mit Zürich. Die Nachbildung, die zurzeit Nobs’ Begehren weckt, ist eine Miniatur aus Messing und Edelstahl. Von der Form der Räder über die Beleuchtung der Abteile in den richtigen Farben, den antriebstypischen Sound, die korrekte Führerstandsbeleuchtung und die durchbrochenen Lüftungsgitter bis hin zum Lichtwechsel bei Fahrtrichtung, zu kugelgelagerten Achsen und Dachlüftern, die wirklich Wind machen: alles wie beim grossen Vorbild! Für dieses vier Meter lange Kunstwerk würde sich noch ein Plätzchen finden im untersten Stockwerk von Claude Nobs’ Chalet in Haut-de-Caux, wenn auch nur mit Mühe. Das ganze Chalet ist ein Schatzkästchen, doch dort unten findet sich die Essenz aller Nobsschen Leidenschaften. Seine Musiksammlung, die Züge. Und ein paar Jukeboxen. «Ich habe immer die mechanischen Sachen gern gehabt», sagt Nobs. Umgeben von Zügen, kann Nobs hier in einem Bildband über Eisenbahnen oder Musiker blättern, Musik hören, ein Glas Rotwein trinken. Niemals allein, denn Kuki und Kiku, die beiden Berner

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Claude Nobs hat nicht nur fast alle grossen Musiker der letzten Jahrzehnte in Montreux versammelt, sondern auch fast alle grossen Züge.

Sennenhunde, sind in seiner Nähe. «Genau alle 40 Minuten kommen sie und schauen, ob ich da bin.» Doch fast immer sind auch Menschen um ihn – seien es seine Mitarbeiter Oskar und Simon oder hundert Gäste. Wie zuletzt jeden Tag während des Montreux Jazz Festival im August. Nobs’ Gastfreundschaft ist legendär. Während dieser Wochen steht sein Haus den Musikern offen, Nobs engagiert extra zwei, drei Köche, und jedem Gast sagt er: «Das ist dein Haus. Was möchtest du gern sehen, hören, geniessen?»

Miles liebte Uhren Als Neil Young die Modelleisenbahnen sah, rief er: «Claude, magst du Lionel?» – «Ja», sagte Claude, «du auch?» – «Und ob!» sagte Young. «Mir gehört Lionel.»

Young erzählte, dass sein neuer Vertrag mit Warner es ihm ermöglicht habe, den Modelleisenbahnhersteller in Chicago kurzerhand zu kaufen. «Für seinen Sohn, der ist Autist», sagt Nobs. «Neil wollte ihm eine riesige Anlage bauen, und die von Lionel kann man mit einem einzigen Knopfdruck in Gang setzen.» Überhaupt scheinen viele Musiker Nobs’ Faible für Züge zu teilen: Mit Eric Clapton hat er sich mal die berühmte Sammlung des Grafen Giansanti Coluzzi in Lausanne angesehen, «der ist fast ausgeflippt vor Begeisterung». Phil Collins sammelt die kleine Spur, H0. Rod Stewart sowohl die grosse als auch die kleine. Stewart hat Nobs einen Katalog gegeben, den Nobs später zufällig bei sich trug, als er nach New York reiste. Am Flughafen

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entdeckte ein Zollbeamter ihn in dem Gepäck und sagte: «Sie sammeln Eisenbahnen? Mein Freund in Queens verkauft grad seine gesamte Lionel-Sammlung.» Nobs hat sich sofort ins Taxi gesetzt, ist zu der Adresse gefahren und hat «bumm, alles aufgekauft». Begegnungen und anfallsartige Einkäufe dieser Art sind es, die ihm Freude machen. «Ich sammle, um etwas zu haben, was ich teilen kann», sagt Nobs. Um das gehe es auch bei den gut einer Million Musiktiteln in verschiedenen Formaten, die in den exakt temperierten Archivschränken lagern. Gäste aus aller Welt dürfen darin stöbern, und wenn einer zum Beispiel fragt, «hast du ‹Giant Steps› von John Coltrane, die Aufnahme von 1959», dann sagt Nobs: «Ja, willst du sie haben? Ich mache dir eine Kopie.» Nicht nur seiner Grosszügigkeit, sonder vor allem seinem Talent, die speziellen Wünsche jedes Einzelnen zu erfüllen, ist es wohl auch zu verdanken, dass Musiker wie Miles Davis, David Bowie, B. B. King, Van Morrison und Al Jarreau immer wieder nach Montreux kamen. Nur in Montreux hat Miles Davis Aufnahmen seiner Konzerte erlaubt. «Das war nicht billig», sagt Nobs, «dafür wollte er jedes Mal eine Uhr, und keine billige.»

Züge und Zahnärzte «Schwer zu glauben, dass jemand wenig materialistisch ist, der so viel Zeugs besitzt wie ich», sagt Nobs amüsiert und schaut sich um. «Aber es ist so. Das ganze Haus ist ein Sammelsurium von Dingen, die mir begegnet sind. Sie sitzen auf Stühlen vom ‹Montreux Palace›, die Lampen sind auch von dort, der Tisch war ein Nestlé-Konferenztisch, die Barhocker sind vom Casino Montreux, der Art-déco-Schrank in der Küche stammt von einem Coiffeur aus den 1930er Jahren.» Als er das Chalet gebaut habe – mit einem Blick über den Genfersee «wie aus einem Flugzeug» –, habe er dem Architekten gesagt: «Keine Wände, keine Türen. Die schränken nur ein.» Die Züge stehen auf einem Regal, das quer im Raum von der Decke hängt. Dazu bedurfte es einer Extrakonstruktion aus besonders tragfähigem Beton. Zufällig wies das Holz, das auch den Pool einfasst, eine Maserung auf, die der Spurbreite 1 entspricht. Deswegen stehen Big Boy, Santa Fe, Rio Grande und alle anderen auf Holz. Früher gab es mal eine Gleisverbindung, hundert Meter lang, hinüber zu

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Nobs’ zweitem Chalet, in dem sein Lebenspartner wohnt. Doch eines Tages ist ein Zug entgleist und den Hang hinuntergepurzelt. Seitdem werden die Züge auf der fünf Meter kurzen Teststrecke im Untergeschoss auf ihre Funktionstüchtigkeit überprüft. Nobs legt den Schalter um, nichts rührt sich. «Oskar!» ruft er durchs Haus, «Le train ne marche pas!» Wie gesagt: Das kann er nicht ausstehen. Geboren wurde Nobs in Territet nahe Montreux, «direkt neben der SBB-Haltestelle. Und nicht weit entfernt von der Seilbahn nach Glion.» Schon damals hätte er gern eine Eisenbahn gehabt. Jedes Jahr zu Weihnachten wurden in einem Laden in Montreux die Lionel-Züge aus Amerika ausgestellt. «Baumstämme und Milchkannen liessen sich elektrisch verladen!» Unerschwinglich für Nobs’ Eltern, sein Vater war Bäcker, die Mutter Röntgenassistentin. Doch die Liebe zu den Zügen blieb. Während seiner Kochlehre in Basel sah Nobs am Bahnhof all die grossen Fernfahrzüge, DB und SNCF. Aber es sind die Schweizer Züge, die Nobs besonders gernhat. Die Lötschbergbahn von Märklin aus dem Jahre 1936 ist sein Lieblingszug. Den hat er von einem pensionierten Zahnarzt aus der Deutschschweiz. Der hatte in der Zeitung gelesen, dass Nobs Eisenbahnen sammle, und rief ihn an. Er habe auf dem Dachboden die Eisenbahn entdeckt, mit der er als Kind gespielt habe, ob Nobs Interesse hätte. Hatte er. Und er bot mehr Geld als alle Händler. Glücklich brachten der Zahnarzt und seine Kinder die Bahn persönlich nach Haut-de-Caux. «Wir haben ein kleines Fest gefeiert», sagt Nobs. Überhaupt freue er sich jedes Mal wie ein Kind, wenn Pakete kämen und er auspacken könne. Einmal dauerte das Auspacken Monate. Wieder hatte Nobs mit einem Zahnarzt telefoniert, diesmal mit einem aus Texas. Der wollte seine Sammlung verkaufen, um seinen Enkeln das Studium zu finanzieren. Hier kamen Sammlerglück und guter Zweck aufs glücklichste zusammen. Nobs schlug zu, und wenig später traf aus den USA ein Container voller Züge ein, fast alle noch originalverpackt, darunter auch der legendäre Big Boy, ein schwarzes Walross von einem Zug, von dem es nur vier Exemplare gibt. Fehlt nur der TEE. Anja Jardine Foto: Suzanne Schwiertz

Der Jura in der Flasche.

Es war Gutsherr Archibald Campbell, der 1810 die erste und auch heute noch einzige Destillerie auf der Isle of Jura in Betrieb nahm. Will man den Überlieferungen glauben, war er nicht der Erste, der auf der kleinen Hebrideninsel Whisky brannte. Viele Jahre vor ihm destil<wm>10CAsNsjY0MDAx1TU0srQ0MAIAnxJYNg8AAAA=</wm>

lierten die Duirachs – so der gälische <wm>10CEXKPQqAMAwG0BMlfAlNS8zYn6mIqHj_o1hcHN725gxjfGrf736GAMlI1B0aYsaOHEWxBhyuENnWcS2WU_yXaqMLGMAD4aONF6fGEmlbAAAA</wm>

Name der Inselbewohner – bereits den typischen Jura, bis es ihnen ein Gesetz verbot. Campbell wählte für seinen Betrieb das kleine Dorf Craighouse, wo der Bhaille Mharghaidh das Wasser für seinen Whisky spendete. John Ferguson und seine Söhne übernahmen den Betrieb mit wenig Erfolg. Bald konnten sie die Pacht nicht mehr bezahlen und das Feuer erlosch. Seit Mitte der 1990er Jahre ist die Destillerie wieder in Betrieb und verhilft dem typischen, wenig getorften Isle of Jura zu neuer Stärke. Den Whisky der Duirachs gibt es als 10- und 16-jährigen Single Malt und als Superstition.

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Überall im guten Fachhandel und in der guten Gastronomie.

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Besser als das Herumsitzen in einem Schweizer Altersheim: Wassergymnastik in der Seniorenresidenz Lotuswell in Hua Hin, Thailand.

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Ausgewandert Aufbruch ins Glück

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Ein Haus am Meer Nach dreissig Jahren in der Modebranche zog Gabriela Räss Padroudakis nach Kreta, wo sie mit einem Ziegenhirten lebt und eine Pension betreibt. Von Anja Jardine

Der Winter ist eine Prüfung. «Dann sind wir hier zu fünft», sagt Gabriela Räss Padroudakis, «auf einen Schlag sind alle weg: die Touristen, die Saisonarbeiter, die Einheimischen.» Das halbe Dorf ist mit Brettern vernagelt. Die Wellen peitschen gegen die Fassaden, überfluten die Wege und Terrassen. Das Schiff kommt nur zweimal pro Woche; stürmt es, kommt es gar nicht. In den Häusern herrscht eine feuchte Kälte, die in die Knochen kriecht. Die Alten, die in der Bucht überwintern, hocken drinnen, und Gabriela weiss oft nicht, welcher Wochentag ist. Um fünf Uhr nachmittags geht sie zum Kiosk und wartet, dass Sofia ihn für zwanzig Minuten öffnet. Im Winter sind die Häuser grau, das Meer ist schwarz und der Mensch allein. Zurück sehnt sie sich auch dann nicht. Gabriela sagt es mit Entschiedenheit. Nicht nach der schönen Wohnung in Basel, die sie mit so viel Liebe eingerichtet hat. Nicht nach ihrer Arbeit als Modeeinkäuferin. Nicht einmal nach ihrer alten Familie – dem Lebensgefährten von über zwanzig Jahren, seinen zwei Töchtern, die sie grossgezogen hat. Nichts vermisst sie: Nicht das Skifahren. Nicht die Berge. Nicht die Schweiz. «Ich bin froh, dass ich mein altes Leben hatte», sagt sie. «Aber ich möchte es nicht mehr.» Nur das Essen fehle ihr manchmal. Vor allem Wurstsalat. Nikolas isst keinen Wurstsalat, er würde ihn nicht einmal probieren. Nikolas isst nur traditionelle griechische Küche, deswegen kann Gabriela mittlerweile alles zubereiten: Moussaka, Pastizio, Souvlaki. Sogar Schmortopf aus Ziegenfleisch oder Kaninchen, obwohl sie ihn selbst nicht mag. Gabriela ist 57 Jahre alt, Nikolas 71, Ziegenhirte und Gabrielas Ehemann. Sie kennen sich seit 16 Jahren, sind seit 11 Jahren ein Paar und seit 6 Jahren verheiratet. Nikolas sei anfangs nicht der Grund gewesen, Jahr für Jahr nach Loutro zu reisen, sagt Gabriela, «aber er war der Grund, zu bleiben». Meist sitzt er im Hof hinterm Haus und schneidet Brot für seine Ziegen, im weissen Unterhemd, den grauen Schopf gesenkt. So sass er dort vermutlich schon vor 16 oder 17 Jahren, als Gabriela das erste Mal nach Loutro kam. 1994 war das oder 1995, an Jahreszahlen kann Gabriela sich kaum mehr erinnern, «da werde ich langsam griechisch». Jedenfalls war sie völlig erschöpft damals, auf grundsätzliche Art. Die Arbeit in der Modebranche, die sie viele Jahre voller Freude getan hatte, gefiel ihr nicht mehr. «Ich weiss es noch genau, ich stand eines Tages auf der Modemesse in Düsseldorf, schaute mich um und fragte mich: ‹Ist das noch meine Welt?›» Früher habe ihr Herz für jedes Detail geschlagen, und plötzlich habe sie nichts mehr gespürt. Hinzu kamen Sorgen in der Familie, die Arbeitslosigkeit ihres Partners – all das habe ihr über Jahre viel abverlangt. «Ich

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musste immer die treibende Kraft sein, und plötzlich hatte ich selbst keine mehr.» Sie brauche einmal eine Woche für sich, entschied Gabriela damals, und eine Freundin sagte: «Ich weiss da einen Ort für dich.» Loutro ist nicht leicht zu erreichen. Keine Strasse führt dorthin, nur ein steiler Wanderpfad und das Boot. Der einzige Weg im Dorf ist schubkarrenbreit, führt entlang dem Wasser durch die Cafés und Restaurants hindurch. Sieben Monate im Jahr mindestens ist Loutro ein Postkartenkreta: die Häuser weiss, die Türen blau, ein Meer, in dem die Korallen schimmern wie Eiswürfel. Nicht zu vergessen das Zirpen der Zikaden, der Duft von Thymian, das Rauschen der Wellen. Der Mond ist hier praller als anderswo, der Sternenhimmel opulenter. Nicht nur wer mit seinem Leben hadert, fragt sich angesichts dieser majestätischen Natur: Wer bin ich? Was tue ich? Gehe ich mit meiner Lebenszeit anständig um? Allerorts sieht man die Menschen in Gedanken versunken aufs Meer hinausschauend. Sie denken so sehr, dass ihnen das Eis auf die Knie tropft. Loutro ist ein Ort, der einen dazu verleiten kann, einen Olivenbaum zu umarmen. «Da spürst du eine Kraft», sagt Gabriela, «die haut dich fast um.» Bei ihrem ersten Besuch wohnte sie in der Nr. 1 in Nikolas’ Pension, gleich neben dem Eingang. Nikolas war meist in den Bergen bei seinen Ziegen, «sprang selbst wie eine Geiss über die Felsen, mit offenen Schuhen und nie auf dem Pfad». Gabriela spielte mit seinem Hund. «Es gab von Anfang an eine Nähe zwischen uns», sagt Gabriela. «Aber mehr war da nicht.» In den folgenden Jahren kam sie jeden Oktober nach Ende der Modesaison zum Erholen hierher. Oft in Begleitung ihres Lebenspartners. Sie setzte sich auf die Bank oben bei der Kirche, wo auch der Friedhof ist, und sortierte schriftlich ihre Gedanken. Die Notizen deponierte sie unter einem Stein, im Jahr darauf holte sie sie hervor und prüfte, was sich verändert hatte. Immer deutlicher wurde, dass der Unzufriedenheit nicht kosmetisch beizukommen war. Im Herbst 1999 wusste sie: «Ich muss jetzt nach Hause und kündigen.» Da war sie Anfang vierzig. Zu dem Zeitpunkt stand noch nicht fest, was an die Stelle des Bisherigen treten würde. «Beruflich wollte ich mich im sozialen Bereich umsehen, vielleicht Mode- und Stilberatung für Krebskranke machen oder mit Kindern arbeiten.» Doch zunächst bedurfte es einer räumlichen Zäsur, denn Gabriela trennte sich auch von ihrem Partner – wie immer nahm sie Zuflucht in Loutro. «Ich habe Niko angerufen und gefragt, ob er für die nächste Saison eine Putzhilfe brauche.» Die brauchte er tatsächlich. Diesmal wohnte Gabriela

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Das Leben ist härter, die Welt enger. Gabriela bei ihrem Baum, Nikolas bei seinen Tieren.

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in der Nr. 2, dem Hauswirtschaftszimmer, hier stehen auch Bügelbrett und Bürotisch. Sechs Jahre sollte es ihr Zimmer bleiben. Zumindest tagsüber, die Nächte verbrachte sie von der zweiten Saison an bei Niko. Es geschah auf dem Weg nach «Small Paradise», wie kann es anders sein. Sie waren mit Nikos kleinem Boot auf dem Weg in die Nachbarbucht, als Gabriela sagte, sie wolle auch mal steuern. Niko gab karge Instruktionen, Gabriela übernahm, und das kleine Boot fuhr immer im Kreis herum. Bis Niko eingriff und dabei seine Hand auf ihre legte. Da gab es eine physikalische Reaktion, wie sie nur die Liebe kennt: «Wir haben es beide gespürt», sagt Gabriela, «es war so gross und elektrisch, dass ich ihm erst mal drei Tage aus

Macht Gabriela Rösti und lädt Nikolas’ Freund zum Essen ein, schaut der in den Topf und rennt davon. dem Weg gegangen bin. Ich habe es mit der Angst zu tun bekommen. Wegen so einer Geschichte wollte ich diesen Ort nicht verlieren. Loutro war da schon mein Zuhause.» Anfang November, nach Saisonende, ging Gabriela zurück in die Schweiz. Sie musste Geld verdienen, die 300 Franken monatlich, die sie bei Nikolas bekam, reichten nicht aus, um Krankenversicherung und AHV zu bezahlen. Freunde halfen ihr, eine Stelle als Serviertochter in einer Beiz in Basel zu bekommen. «Anfangs habe ich mich geniert», sagt Gabriela, «die Leute kannten mich ja, und plötzlich brachte ich ihnen in weisser Schürze den Kaffee an den Tisch. Aber dann habe ich gedacht, soll mal jemand etwas sagen. Dann frag ich: ‹Hättest du den Mut, alles aufzugeben? Von einem hohen Gehalt runterzuschalten auf fast nichts?›» «Drei oder vier Jahre» pendelte Gabriela zwischen Basel und Loutro hin und her: sieben Monate Putzen bei Niko, fünf Monate Kellnern in Basel. Dort bewohnte sie nur noch ein Zimmer in ihrer alten Wohnung, der Lebenspartner war zum Freund geworden, das ist er bis heute. Doch in der Schweiz fühlte sich Gabriela zunehmend fremd, ihr echtes Leben fand in Loutro statt. «Unsere Liebe war immer stärker geworden, und irgendwann sagte Niko, es wäre schön, wenn du über Winter bleiben würdest.» – «Aber nicht ohne Küche», antwortete Gabriela. Bis dahin hatte Niko nur ein Rechaud in einer Abstellkammer ohne Licht. «Das war abenteuerlich. Wenn ich kochte, hatte ich die Taschenlampe zwischen den Zähnen.» Niko baute eine Küche. In der sitzt Gabriela nun, auf dem Herd köchelt Ziegenfleisch, Katzen räkeln sich auf der Bank, unterm Tisch, auf den Stühlen. Inzwischen gibt es noch ein Stockwerk obendrüber, mit zwei kleinen Zimmern, dort wohnen Nikolas und Gabriela, leicht versetzt hinter der Pension. Auch die wurde um drei Zimmer aufgestockt, müssen doch jetzt zwei Menschen davon leben. Das kleine Stück Land vor der Felswand, auf dem heute ihr Wohnhaus steht, besass Niko

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bereits, aber den schmalen Gang zwischen beiden Häusern musste er hinzukaufen. Die Alten aus dem Dorf kamen, fuchtelten mit dem Zeigefinger in der Luft umher und zeigten, welcher Quadratmeter von wo bis wo welcher Familie gehörte, sie sind hier das wandelnde Grundbuch. Die Dinge funktionieren anders. Als Niko dem befreundeten Bauunternehmer, der die Pension aufstockte, den vollständigen Baupreis bar aushändigte – noch bevor auch nur ein einziger Stein geliefert worden war –, blieb Gabriela fast das Herz stehen. Ein Handschlag, ein Raki auf ex oder auch zwei, und los ging’s. So schliesst man Verträge in Loutro. Das Fenster über der Spüle zeigt einen handtuchgrossen Strand, vollgepackt mit Menschen, Liegestühlen und Sonnenschirmen. Das ist neu. Seit dieser Saison erlaubt sich einer im Dorf, dort Schirme und Liegen zu vermieten. Wie es dazu kam, weiss Gabriela nicht. Nur dass es ihr nicht gefällt, das weiss sie. «Das ist für mich Rimini», sagt sie. Allerdings ein Rimini in homöopathischer Dosis. Es ist August, Hochsaison, vermutlich sind alle 700 Betten in Loutro ausgebucht. Brütend heiss ist es. Jetzt sind die Griechen da und nicht die sinnsuchenden Wanderer aus Mitteleuropa. Bei den Griechen geht es etwas lauter, etwas unzuverlässiger, etwas lustiger zu, eine anstrengende Zeit. In Gabrielas Küche ist es dunkel und kühl. Die Griechen halten Siesta, das Telefon ist mal ein paar Minuten stumm. Gegen fünf kommt das nächste Schiff und bringt neue Gäste, Gabriela erwartet welche für drei Zimmer. Sie ist seit sechs Uhr morgens auf den Beinen, gemeinsam mit ihrer bulgarischen Hilfe Rosy hat sie geputzt, gewaschen, organisiert. Nun kocht sie das Abendessen für Niko. Der schläft um diese Zeit. Und um halb sieben geht er hinauf zur Steinruine oben am Hang und füttert die Ziegen. «Ella! Ella!» ruft er aus Leibeskräften, und schon kommen sie angelaufen. Manchmal, wenn sie abends von einem Restaurant nach Hause gehen und von irgendwoher ertönt ein «Bimbim», bleibt Niko stehen und horcht. Er weiss genau, welches Glöckchen zu welcher Ziege gehört. Hat sie sich nur im Schlaf bewegt, oder hat sie ein Problem? Niko kann das hören. «Niko liebt die Ziegen mehr als mich», sagt Gabriela, lacht und meint es doch ernst. Die Ziegen sind der Grund, warum sie nie drei Tage irgendwohin fahren können. Eine Nacht in Chania bei der Familie, weiter entfernt sich Niko nicht von seinen Ziegen. Als Niko klein war, waren in der Schule noch 28 Kinder, heute gibt es keine Schule mehr. Er hatte 18 Geschwister. «Der Vater war ein Taugenichts, die Mutter stark», sagt Gabriela. Mit 16 heuerte Niko auf einem Frachtschiff an, wurde Maschinenmechaniker. Fast 30 Jahre fuhr er zur See, um die Familie daheim zu ernähren, die Mitgift für die Schwestern zu verdienen. Überall auf der Welt ist er gewesen, hat die Häfen gesehen, und ging er an Land, besuchte er griechische Verwandte. Dieses Leben war seine Pflicht, im Herzen chronisches Heimweh. Als der Vater starb, hinterliess er sieben Ziegen. Da kehrte Nikolas heim. Für ihn war es

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Rauchen fügt Ihnen und den Menschen in Ihrer Umgebung erheblichen Schaden zu Fumer nuit gravement à votre santé et à celle de votre entourage Il fumo danneggia gravemente te e chi ti sta intorno


Ausgewandert

wohl so etwas wie ein Zeichen. Niko verwertet bis heute weder die Ziegenmilch, noch verkauft er das Fleisch. Seine Ziegen sterben an Altersschwäche, sie kosten Geld. Das verdient er seitdem mit der Pension, die er im Laufe der Jahre am Ende der Bucht gebaut hatte. Mittlerweile sind es über hundert Ziegen und ein Dut­ zend Schafe, im Winter stehen die Lämmer beim Haus und spazieren in die Küche, stirbt ein Mutterschaf, gibt Niko ihnen die Flasche. Als er vor Jahren nach Chania ins Kran­ kenhaus musste, hätte Gabriela ihn gern begleitet. Doch er wollte, dass sie bei den Ziegen bleibe. Jeden Tag am Telefon war seine erste Frage: «Sind alle gekommen?» – «Ja, sie sind alle gekommen», hat Gabriela geantwortet. «Ich hatte keine Ahnung, ob das stimmte.» Abends, kurz vor Sonnenuntergang, trinken die Männer Metaxa. Sie können stundenlang über einen Baum reden

Nikolas auf seinem Boot, dem wichtigsten Transportmittel in Loutro.

oder darüber, wer wie viele Tische aufgestellt hat und bei wem es abends voll war. Nichts bleibt hier unbeobachtet, nicht, wer morgens um sieben immer aus irgendeinem Ho­ tel herausschleicht, nicht, wie viele Dosen Katzenfutter Ga­ briela einkauft. «Ah, viel Geld für die Katzen!» Baut jemand etwas, was einem anderen missfällt, wie zum Beispiel der neue Steg beim Hotel Porto Loutro, kommt eines Tages die Polizei aus Sfakia, herbeigerufen von einem anonymen An­ rufer, und verlangt die Genehmigung zu sehen, die eigent­ lich niemanden schert. Und schon ist der Bau gestoppt. Gabriela sagt: «Ich halte mich raus. Zum Glück sind wir das letzte Haus. Ich helfe, wenn jemand Hilfe braucht. Ich tröste, wenn jemand trauert. Ich bin immer höflich. Aber ich wahre Distanz. Und wenn ich nach Chania reise, neh­ me ich einen Koffer, so dass niemand meine Einkäufe be­

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gutachten kann.» Ihre Pension läuft gut, besser als viele andere. Gabriela weiss, worauf es den Gästen aus Mittel­ europa ankommt. Schlicht, einfach und sauber ist es bei ihr. Sie arbeitet mit System. Jeden März, wenn das Haus von innen und aussen neu gestrichen wird, wird zuerst der rote Sand von den Wänden geschrubbt. Nicht erst die Wand streichen und dann wieder aufreissen, um neue Kabel zu legen, wie hier üblich. Anfangs wollte das Niko nicht ein­ leuchten, doch mittlerweile hat er grossen Respekt vor ihrem Organisationstalent, ihrer Tatkraft. Deswegen über­ lässt er heute das meiste ihr. «Nach aussen habe ich nichts zu sagen.» Angenommen, der Bruder nebenan beginnt abends um sieben zu bohren, wenn die Gäste müde von ihrer Wanderung heimkehren, und Gabriela bittet Niko, dem Bruder zu sagen, dies doch bitte am Nachmittag zu tun, weigert sich Niko. Die Brüder bohren, wann sie wollen. «Die Familie ist stärker, das Dorf ist stärker.» Gerade hat sie es wieder einmal zu spüren bekommen. Niko ist krank, er hat Fieber, starken Hus­ ten, Brustschmerzen. Gabriela hat ihm die halbe Nacht Brustwickel gemacht, sie sorgt sich, dass eine Lungenentzündung daraus wird, Niko raucht drei Schachteln Ziga­ retten am Tag. Gabriela möchte, dass er ein Aspirin nimmt. Niko weigert sich. Dann spaziert er durchs Dorf, jemand bietet ihm Lutschtabletten an, fröhlich lut­ schend kehrt Niko heim. Und kann gar nicht verstehen, dass Gabriela gekränkt ist. Manchmal droht sie die Koffer zu packen. Dann geht Niko morgens in die Berge und kommt verwandelt zurück. Er guckt dann wie ein Hündchen, sagt Gabriela, und gibt zu, sie habe schon recht gehabt. Wie im vorletzten Winter, als sie sehr krank war und er sie allein liess. Das kam nie wieder vor. Ein Geschenk hat er ihr noch nie gemacht. Nicht einmal zur Hochzeit. Aber im Standesamt hat er sein Ja so laut ge­ rufen wie sonst nur das «Ella! Ella!» für die Ziegen, da ist Gabriela richtig erschrocken. Nikolas würde nicht mehr ohne Gabriela essen gehen, anders als die Männer im Dorf, die sich abends versammeln, während die Frauen daheim hocken. Und beim Einschlafen hält er immer ihre Hand. Woher Gabriela kommt, wie es dort aussieht, will in Loutro niemand wissen. «Wer als Fremder glaubt, Einfluss neh­ men zu können auf das Leben hier, der täuscht sich», sagt Gabriela. Tausende von Touristen aus aller Welt sind in den letzten Jahrzehnten hier gewesen, das Menu in den Restau­

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Über die Zukunft, das Alter, den Tod sprechen sie nicht, und Gabriela hat sich abgewöhnt, darüber nachzudenken, sagt sie. Sie wisse nicht, was sein werde. Ob sie ohne Niko hier wird leben können. Bei der Hochzeit musste sie ihm versprechen, dass sie sich um zwei seiner Brüder kümmern wird, was sie heute schon tun. Auch musste sie sich damit einverstanden erklären, dass die Pension und das Wohn­ haus in den Besitz der Familie übergehen, wenn sie selber stirbt. Gabriela gehört hier nichts. Zurück in die Schweiz möchte sie dennoch nicht. Sie wird nur eine kleine Rente bekommen, aber das ist nicht der Grund. Als Schweizerin hätte sie Anspruch auf Unter­ stützung, im Zweifel auf einen Platz im Altersheim. Gabrie­ la lacht bei dem Gedanken. Manchmal wundert sie sich selbst. Sie ordnet sich unter, fügt sich ein, stellt in Loutro nicht in Frage, was ihr zu Hau­ se fragwürdig vorkäme. Sie akzeptiert die langen Wege zum Arzt, die Unsicherheit, die Einsamkeit. Sie lebt eine Liebe, die wenig Gemeinsames kennt und doch genug. Der Raum ist enger, das Leben härter und Gabriela freier. «Immer wenn ich mit dem Boot hier ankomme und das kleine Dörf­ chen sehe, schlägt mein Herz.»

rants ist dasselbe wie vor fünfzig Jahren. Die Menschen in Loutro koexistieren mit den Fremden, sie nehmen sie hin wie eine neue Gattung Fisch, die in die Bucht kommt und die man irgendwie handhaben muss, um damit seinen Le­ bensunterhalt zu verdienen. Aber das Fremde selbst ver­ dunstet wie einer dieser kurzen Sommerregen. Macht Ga­ briela Rösti und lädt Nikos Freund zum Essen ein, schaut der in den Topf und rennt davon. Die Söhne übernehmen das Geschäft und führen den Namen weiter, die Töchter werden verheiratet, die Frauen tragen Schwarz und sitzen im Haus, die Männer davor. Stirbt ein naher Verwandter, lassen die Frauen ihr Haar wachsen, die Männer ihre Bärte. Wie eh und je. «Ich werde keine schwarze Witwe, wenn du vor mir stirbst», das hat Gabriela Niko schon gesagt. Sie werde im­ mer ihr Haar tönen, sich abends schminken und schön ma­ chen. So wie sie es auch jetzt tut. Niko ist einverstanden. Er hat Respekt vor der Welt, aus der sie kommt, kennenlernen aber möchte er sie nicht. Sie interessiert ihn einfach nicht. Seine Welt sind die Ziegen, die Berge, das Meer. Vor kurzem rief er Gabriela zu sich. Er schaute mal wie­ der hinaus auf die kleine Bucht, die er seit siebzig Jahren kennt, zeigte auf eine Stelle im Wasser und sagte: «Schau mal, wie sich das Wasser da kräuselt. Das habe ich so noch nie gesehen.» Solche Geschenke macht Nikolas.

Anja Jardine ist NZZ-Folio-Redaktorin. Fotos: Eirini Vourloumis, Athen.

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Für seine Familie will man nur das Beste. Gut, jemanden an seiner Seite zu wissen, der grosse und kleine Höhenflüge möglich macht.


Der letzte seiner Art Der Benediktiner Urs Egli ging vor 56 Jahren nach ­Kamerun, um zu missionieren. Er baute Brunnen und Schulen. Heute ist er 84 und möchte bald heimkommen. Von Gudrun Sachse

«Es goss und blitzte, als ich den Fluss Sanaga überquerte. Ich war nachts unterwegs, das war sicherer, in Douala war ein Aufstand ausgebrochen. Die Metallplatten auf der Eisenbahnbrücke lagen lose: Tatam, tatam, tatam. Plötzlich rutschte mein alter Jeep in die Verstrebungen und blieb über dem Abgrund hängen. Er blockierte die Brücke und damit die französischen Truppen der Kolonialmacht, die auf dem Weg nach Douala waren. Die Soldaten zogen den Wagen zurück auf die Fahrbahn. ‹Bon voyage›, sagten sie, doch ich zitterte so sehr, dass mich ein Offizier von der Brücke chauffieren musste. Gegen Mitternacht erreichte ich endlich eine Missionsstation. Ein gebückter Katechist mit einer Sturmlampe in der Hand trat heraus und sprach: ‹Gelobt sei Jesus Christus.› Es war das Jahr 1955, ich war 28 Jahre alt – das waren meine ersten Stunden in meinem neuen Daheim Kamerun. Anderntags fuhr ich weiter nach Otélé, wo meine Mitbrüder ein Missionszentrum im Regenwald führten. Wenn ich mich recht erinnere, waren wir damals zu achtzehnt, ich war der Jüngste. Als man Priester für die Mission suchte, hatte ich nichts dagegen, mich interessierte alles Fremde. Ich erhielt den Auftrag, Schulen zu bauen. Von Geld sprach keiner, das würde ich schon irgendwie organisieren. Als junger Mann war ich lange unschlüssig, was ich werden sollte: Agronom oder Mönch. Eines Abends, nach ein paar Bieren, stellte ich mich auf den Dorfbrunnen und verkündete meinen Freunden, dass ich ins Kloster ginge. Ich hatte mich entschieden. Dem Abt von Engelberg ging das etwas zu schnell, darum schickte er mich zuerst ins Militär, dann an die Universität. Meine Eltern waren Wirtsleute und Bauern im luzernischen Buttisholz. Mutter pilgerte mit jedem Kind nach Einsiedeln, um es der Muttergottes zu präsentieren. Elfmal war sie unterwegs. Auch Vater war religiös. Meine Geschwister und ich mussten zu Hause immer mit anpacken, wir waren nie auf Reisen, sondern halfen bei der Ernte. Vermutlich missionierte ich deshalb, indem ich half und sah, wo es etwas zu tun gab: Damit die Kinder in Otélé zur Schule kamen, brauchten wir Strassen; weil immer wieder Arbeiter bei der Ernte von Hochstammpalmen stürzten, kümmerten wir uns um den Anbau von niederstämmigen Palmen; um zu zeigen, dass Kinder durch verschmutztes Wasser krank werden und nicht durch den Zauber von bösen alten Frauen, filterte ich während einer Messe auf dem Altar Tropfen für Tropfen – die braune Brühe wurde klar, das überzeugte sie. Manchmal genügt es, wenn Kinder eine Alte ärgern und die sie beschimpft. Geschieht dem Kind später etwas, heisst es im Dorf: Die Alte war’s. Ist das Aberglaube? Was ist Aberglaube? Die Menschen dort waren nie

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ungläubig, sie wussten immer, da ist jemand, der das Ganze organisiert, sie nennen ihn den Uralten, den uralten Geist. Ich versuche aufzuklären wie mit dem Filterexperiment. Und immer hatte ich Menschen zur Seite, die mich unterstützten. Heute haben wir tausend Brunnen mit sauberem Trinkwasser für 400 000 Menschen. Mission bedeutet seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil nicht mehr Seelsorge, sondern Menschensorge. Gehet und lehret, heisst es. Man kann das strenger oder weniger streng durchziehen. Ja, was wussten wir damals in Buttisholz von Afrika? Man kannte das Negerli, das dankend nickte, wenn man einen Batzen als Opfergabe hineinwarf. Schon wenige Wochen nach meiner Ankunft merkte ich, wie überheblich wir Weisse sind. Das Überlegenheitsgefühl hat mit Dummheit zu tun. Wir haben doch alle dieselben Probleme: Frauen und Männer, Liebe und Hass, Krankheiten. In Otélé lösen sie ihre Probleme auf ihre Art und nach ihren Fähigkeiten. Besonders belastbar sind die Frauen. Sie sind die tragende Kraft. Nach sechs Jahren kam ich erstmals nach Engelberg zurück. Das Leben in Otélé zehrt an den Kräften: die Hitze, die Malaria, die körperliche Arbeit und kaum einen Tag Erholung. Wir Missionare kämen gerne öfter heim, aber wer soll das bezahlen. Auf einem Heimatbesuch lernte ich beim Autostop – ich stand in der Kutte, den Daumen draussen, am Dorfausgang in Engelberg – einen Geschäftsmann kennen, wir kamen ins Gespräch, und seither finanziert er mir alle zwei Jahre einen Flug in die Schweiz. Auch nach 56 Jahren in Kamerun bleibt meine Heimat Buttisholz und Engelberg. Hier habe ich meine Verwandtschaft, 45 Nichten und Neffen, 73 Grossnichten und Grossneffen, und so geht es weiter. Vermutlich bleibe ich bald für immer im Kloster Engelberg. Ich werde älter und schwächer und dadurch abhängiger. Im Kloster ist, anders als in Kamerun, alles organisiert, die Hilfe geregelt, das beruhigt im Alter. Ich bin jetzt 84 Jahre alt und der letzte Benediktiner in Otélé. Uns fehlt es an Brüdern. Es gibt keine Jungen mehr, die meinen Platz übernehmen könnten. Die Seelsorge der Bewohner von Otélé ist an schwarze Bischöfe und Priester übergeben. Es wird auch ohne mich weitergehen, ich sehe das pragmatisch, wem nutzt Wehmut? Ich bin zufrieden, im Grunde war ich ja auch noch Agronom. Man ist zeitlich begrenzt an einem Ort, und in dieser Zeit soll man etwas Vernünftiges und Menschenwürdiges machen und nicht in den Tag hineinleben.» Gudrun Sachse ist NZZ-Folio-Redaktorin.

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Gehet und lehret: Benediktinerpater Urs Egli ein Jahr nach seiner Ankunft in Kamerun, 1956.

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Heimkehr in die Fremde Der Grossvater ist von Grindelwald nach Bolivien ausgewandert. Seine Enkel sind nun wieder hier. In einer Heimat, die sie kaum kennen. Von Florian Leu

Sie leben wie auf der Durchreise, in einem Zimmer mit ei­ ner Fläche von vielleicht zwanzig Quadratmetern. Es liegt im zweiten Stock der Familienherberge an der Rieterstras­ se, Zürich Enge. Aussen Backstein und Vögel, die von den Tannen pfeifen. Innen Linoleum und Kinder, die durch die Gänge toben. Fernando und Rosita Richards-Bohren sitzen auf dem Sofa des Besprechungszimmers und erzählen ihre Geschichte, es ist ein Morgen im Juli, seit zwei Monaten sind sie hier. Ihr Sohn Adriel, gerade ein Jahr alt geworden, tappt durch den Raum und spielt mit einem Plastic-Schiff ohne Segel. Ihre Tochter Hayana, kurz vor dem siebten Ge­ burtstag, schmiegt sich an ihren Vater, und wenn sie etwas nicht hören will, legt sie sich die Hände auf die Ohren. Rosita sitzt auf der Kante der Couch und streicht sich die Haare zur Seite, dann zeigt sie ihre Narbe, die quer über den Schädel verläuft. Rosita hat die Verletzung seit einem Nachmittag im Frühling, es muss etwa vier Uhr gewesen sein. Drei Diebe brachen in ihr Haus ein, das in einem Aussenquartier von Santa Cruz steht, der grössten Stadt Bo­ liviens, einer der am schnellsten wachsenden Cities der Welt, bekannt wegen des Kokainhandels. Rosita war gerade allein daheim, die Kinder spielten mit dem Kindermäd­ chen in einem Park, Fernando, der Chef einer regionalen Telekommunikationsfirma, war im Geschäft. Die Einbre­ cher schleppten Rosita zur Bank und zwangen sie, ihr Geld abzuheben. Als sie es hatten, schlugen sie ihr auf den Kopf und flüchteten. Die Polizei fasste einen der Einbrecher, von den anderen fehlte jede Spur. Fernando ging mit Rosita oft auf den ­Posten, wo die Verdächtigen in einer Reihe standen, ein Dutzend Männer hinter Glas. Die Gesuchten waren nie dar­ unter. Rosita und Fernando bekamen Anrufe von Unbe­ kannten, die ihnen mit Gewalt drohten. Sie zogen zu Ver­ wandten, Hals über Kopf. Nachts lagen sie wach und fragten sich, was sie tun sollten. Sie hätten in ein Nachbarland aus­ wandern können, nach Argentinien oder nach Chile, ob­ wohl sie dort niemanden kennen. Sie hätten in die Schweiz fliegen können, wo Fernandos Grossvater gelebt hatte, be­ vor er von Bern nach Bolivien aufbrach und neu anfing, als Bauer auf einer Gummibaumplantage. Fernando hatte wie seine Verwandten den Schweizer Pass, und in den letzten zehn Jahren waren sie alle in die Schweiz gezogen, alle bis auf eine Schwester und einen Onkel, insgesamt ein Dutzend Leute. Sie kamen als Rückwanderer der ersten und der zweiten Generation, oft weil sie arbeitslos geworden waren oder sich bedroht fühlten von der Gewalt auf der Strasse. Fernandos Bruder war der erste dieser Rückwande­ rungsstafette, mit neunzehn landete er in Kloten. Im Kopf hatte er eine Liste mit Sätzen auf deutsch, in der einen

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Hand einen Koffer mit ein wenig Trockenfleisch, Nahrung gegen das Heimweh, in der andern den Schweizer Pass, die Eintrittskarte ins zweite Leben. Fernando und Rosita entschieden sich nach wenigen Tagen und fuhren zur Schweizer Botschaft, hinauf nach La Paz, viertausend Meter über dem Meer. Die Kinder muss­ ten sich immer wieder übergeben, weil sie die Höhe nicht vertrugen. Ein Dutzend Unterschriften und einige Tage später stiegen sie ins Flugzeug nach Europa. «Ich habe während der ganzen Reise nur geweint», sagt Rosita im winzigen Sitzungszimmer an der Rieterstrasse. Als sie in Zürich landeten und in eine Ankunftshalle voller Verwand­ ter traten, kam ihnen die Szene ein wenig wie ein Wider­ spruch vor. Sie glich einer Heimkehr in die Fremde. Rosita und Fernando kamen an einen Ort, von dem sie wenig wussten. Vor einem Jahr hatten sie hier vier Wochen Ferien verbracht und Grindelwald besucht, wo Fernandos Grossvater aufgewachsen war. Heute lebt dort niemand mehr, den sie kennen. Mit einem Postkartenbild im ­Gedächtnis waren sie heim nach Südamerika geflogen. Manchmal assen sie ein Fondue, am 1. August brannten sie ein Feuerwerk ab, mehr Schweiz war nicht. Jetzt kamen sie, um zu bleiben, vier von 700 000 Schweizern, die jenseits der Grenzen leben, vier von 20 000 Schweizern, die jedes Jahr zurückkommen. In einem ihrer vier Koffer lag auch das einzige Erbstück des Grossvaters: eine Schwarzweissfoto­ grafie, darauf ein ernsthafter und entschlossener Mann mit den Tropen im Hintergrund. Sieben Kerzen für Hayana Die Temperatur passt eher zu Bolivien als zu Schlieren an diesem flimmernden Sonntag Mitte August. Die Familie hat eine Hütte am Waldrand gemietet. Es sind etwa vierzig Leute hier, laut und froh. Auf der Wiese laufen die Kinder einem Volleyball hinterher, in der Hütte steckt Fernando sieben kleine Kerzen in den Kuchen und zündet sie an. ­Hayana steht in ihrem Glitzerkleid daneben und schaut still in die zitternden Flammen. Als alle Kerzen flackern, wird es ruhig, und die Leute holen die Kameras hervor. Dann singen sie und machen Hayana zum meistfotografierten Mädchen des Tages. Fer­ nando schneidet den Kuchen an, der so süss ist, dass einem die Zähne wehtun. Wenn er nicht den Rahm von der Nase seines Sohnes wischt oder über die Witze eines Schwagers lacht, erzählt er vom Schweizer Alltag, einer Mischung aus Langeweile und Horror. Er spricht zum Beispiel von den vierzig Wohnungen, die er und seine Frau schon besichtigt haben. Neulich fuhren

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Adriel und Fernando, Rosita und Hayana Richards-Bohren sind vor fünf Monaten in der Schweiz gelandet, der fremden Heimat.

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sisch spricht, werde schon einen Job finden. Er sei sich für nichts zu schade, Gott werde ihm beistehen. Seine Angst hat mit Hayana zu tun, die mit ihrer Kartonkrone durch die Gegend hüpft und sich immer wieder Kuchen holt. «Morgen ist ihr erster Schultag», sagt Fernando, «ich fürchte, dass sie heimkommt und weint, weil niemand sie versteht.» Im Abendlicht sieht alles aus wie durch den Weichzeichner. Die Leute verabschieden sich voneinander. Viele wohnen in Schlieren, wo man kaum zehn Meter weit gehen kann, ohne die Plakate der SVP zu sehen: «Masseneinwanderung stoppen». Die Frauen räumen die Hütte auf, am Ende müsste man mit der Lupe nach Krümeln suchen. Es ist, als wären sie alle nie hier gewesen.

sie nach Spreitenbach, jetzt machen sie sich mal wieder Hoffnungen, obwohl sie keine Chance haben dürften, trotz dem makellosen Vorstrafenregister. Ohne Deutsch, ohne Job bekommen sie wohl keine Wohnung. Er erzählt vom Deutschkurs, den er und Rosita zweimal in der Woche besuchen, in der Migros-Klubschule an der Engelstrasse. Abends holen sie ihre Bücher hervor, doch die Fälle und Geschlechter der fremden Sprache wirken oft wie Schlafpillen. Fast sind sie froh, wenn der Kleine heult und sie wachhält. Fernando erwähnt auch die Fussballspiele, die er mit Freunden austrägt. Viele stammen aus Südamerika, am 6. August hat er sie kennengelernt, dem Unabhängigkeitstag Boliviens, den die Gemeinschaft mit einem Grillfest gefeiert hat. Fernando spricht vom Arbeitsvermittlungsamt, wo er jede Woche vorbeigeht, bis jetzt ohne Erfolg. Er schildert das Leben in der Herberge, die er und seine Familie verlassen werden, sobald sie eine Lösung gefunden haben. Sechs Monate lang gibt ihnen die Stadt diese Starthilfe, ein Zimmer und Unterstützung bei der Wohnungssuche. Dann müssen sie weiter. Es sei denn, sie finden keinen Ort, wo sie hinkönnen. Am Ende spricht Fernando von seiner Angst. Es ist nicht die Angst vor dem Scheitern, die ihn um den Schlaf bringt. Nicht die Angst, hier nicht zu finden, wofür sie gekommen sind: Arbeit und Sicherheit. Er, der wie seine Frau 36 ist und neben Spanisch auch Portugie-

Ein Applaus für Gott Im Keller der Freikirche am Bucheggplatz könnte man in Ohnmacht fallen. Mehr als zweihundert Leute singen und klatschen, Fernando und Rosita summen und beten, die Luft ist dünn, die Decke hängt tief. Es ist Sonntag, vier Uhr am Nachmittag, das letzte Wochenende im August, und wie immer beginnt der spanische Gottesdienst mit Musik. Eine Band spielt Rock, ein Tontechniker drückt die Knöpfe eines Mischpults mit drei Dutzend Lämpchen, an der Wand leuchten die Zeilen wie beim Karaoke, und am Rand des

Sri Lanka. Kultur live.

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Leute hinweg und lässt sie «Amen» rufen am Ende der Zitate. Er hat einen Blick, der durch die Reihen wandert wie ein Suchscheinwerfer. Immer wieder geht Frühwirt in die Knie und begibt sich auf Augenhöhe. Manchmal erzählt er auch einen Witz. Und oft fordert er die Leute auf zu klatschen, «un aplauso para Dios!» Nach zwei Stunden mit Gott holen Fernando und Rosita ihre Kinder von der Krippe ab, in der die beiden Szenen aus der Bibel gemalt haben. Es ist ein kühler, schöner Abend, und sie entschliessen sich, einen kleinen Spaziergang zu machen. Einmal meint Rosita, dass ihre Rückkehr in die Schweiz wohl einfach eine Prüfung sei, die Gott ihnen stelle. Einmal sagt Fernando, dass er sich manchmal frage, ob er in zehn oder fünfzehn Jahren möglicherweise wieder in Bolivien lebe. Hayana erzählt, dass ihr die Schule gefalle und dass sie auch schon eine Freundin gefunden habe. Sonst reden sie wenig. Auf die Frage, ob es zurzeit auch Dinge in ihrem Leben gebe, die ihnen besonders gefielen, hat Rosita sofort eine Antwort: «Das Beste ist, dass wir endlich mehr Zeit füreinander haben!» Fernando lacht und sagt: «Ja. Und manchmal haben wir sogar fast zu viel.»

Raums schliessen ein Dutzend Leute die Augen, strecken die Arme in die Höhe und bewegen die Hüften. Sie wirken, als würden sie mit dem Heiligen Geist tanzen. Eine Frau tritt auf die Bühne: glänzende Stöckelschuhe, opulentes Décolleté, muskulöses Lächeln. Sie übermittelt Gott den Dank, den ihr die Leute auf kleinen Zetteln überreicht haben. Eine Frau bedankt sich dafür, dass sie eine Arbeit gefunden hat nach mehr als einem Jahr auf der Suche. Ein Mann sagt danke dafür, dass Gott ihm mit der Grammatik geholfen habe, nachdem er sich im Deutschunterricht fast die Haare ausgerissen habe. Die Leute jubeln. Auf ein Zeichen der Rednerin hin stimmt die Band noch ein Lied an. Es ist so laut, dass die Scheiben beben. Die Kirche steht in der Mitte des Lebens von Fernando und Rosita. Hier sehen sie Bekannte und fühlen sich aufgehoben. Vielleicht tut es ihnen auch einfach gut, Zeilen zu singen wie diese: «Has cambiado mi lamento en baile!» – «Du hast mein Leid in einen Tanz verwandelt!» Dann ist es Zeit für Gerardo Frühwirt. Der Argentinier mit dem Erweckerblick und der Moderatorenstimme ist der Pfarrer hier, ein Entertainer im Namen Christi, ein Performer von Gottes Gnaden. Er redet vom Licht Jesu, das uns den Weg weise. Er vergleicht die Menschen mit Taschenlampen, die man putzen müsse, damit sie wieder leuchteten. Er verkündet Stellen aus der Bibel über die Köpfe der

Zum Glück hat die Mobiliar auch Lebensversicherungen.

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Florian Leu ist Volontär beim NZZ Folio. Bild: Julian Salinas, Zürich.


Eidgenossen auf Aussenposten In Salvador da Bahia, Brasilien, pflegen Auslandschweizer der ersten, zweiten und dritten Generation Kontakt zueinander. Und zur fernen Heimat. Beides nicht einfach. Von Ruedi Leuthold

Schon am 28. November 1857 gründeten die Auswanderer in Salvador da Bahia, Brasilien, zur Unterstützung not­ leidender Landsleute die schweizerische Wohltätigkeits­ gesellschaft, die Sociedade Suiça de Beneficência. Aber nie gab es, im Auf und Ab der folgenden Zeiten, während die Sklaverei abgeschafft wurde und zwei Weltkriege den Han­ del mit Kaffee und Kakao erschwerten, nie gab es in all dieser Zeit in der Stadt am südlichen Atlantik einen Ort, um das Heimweh zu besänftigen und Informationen auszutau­ schen. Erst im Jahr 2006 beschloss der Vorstand der Wohl­ tätigkeitsgesellschaft, die seit Jahren von keinem verarmten Schweizer mehr in Anspruch genommen worden war, die Hälfte des Vermögens, wohlweislich in der Schweiz depo­ niert, zum Kauf eines Hauses zu nutzen, das der Diaspora zur Seele und der Schweiz zum Schaufenster werden sollte. Seither hat Vreni Tobler Ärger. Vreni Tobler ist Präsidentin der Wohltätigkeitsgesell­ schaft, und für das heutige Fest hat sie eine Rüeblitorte ge­ backen. Der Staat Bahia zählt etwa 800 eingeschriebene Schweizer, die Hälfte davon wohnen in der Umgebung der Hauptstadt Salvador, und nicht wenige der 150 Besucher, die Vreni Tobler heute erwartet, kommen wegen des Ange­ bots an heimischem Gebäck, das die Damen der Kolonie mitzubringen pflegen. Vreni Tobler ist Auslandschweizerin der dritten Generation. Und etwas weiss sie von den Schweizern ganz bestimmt: Sie haben kaum das Bedürfnis, sich in der Fremde dauernd nahe zu sein. Seit statt Aus­ wanderern Aussteiger nach Brasilien kommen, hat sich diese Befangenheit noch verstärkt. Jetzt gibt es Leute, die fast böse werden, wenn sie auf einen anderen Schweizer stossen. Dass das Schweizerhaus aber fast das ganze Jahr über unbenutzt ist und nur am 1. August seinen noblen Zweck erfüllt, hat damit nichts zu tun. Das Schweizerhaus liegt im Viertel Federação unweit des Zentrums, ein bescheidenes zweistöckiges Gebäude in der boomenden Millionenstadt, auffällig geschützt von ei­ ner Mauer und einem Elektrozaun, umgeben von einer pal­ mengeschmückten Grünfläche, die gerade gross genug ist, um darauf das traditionelle 1.-August-Feuer zu entzünden; das Holz ist schon aufgeschichtet. Vreni Tobler hat eine Cateringgesellschaft beauftragt, das Haus mit rotweissen Wimpeln zu schmücken und die Gäste mit grillierten Brat­ würsten zu versorgen. In seinen Räumen würdigt das Haus jene Pioniere, die den Schweizern in Bahia einen Einfluss verschafft haben, wie er andernorts nur ehemaligen Kolonialmächten zukam. So trägt die kleine Bibliothek den Namen von Hugo Kauf­ mann, dem Pionier der Kakaoindustrie von Ilhéus, 460 Ki­

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lometer südlich der Hauptstadt Salvador. Der Anbau und Handel mit Kakao wurde von den Schweizern beherrscht. Sie machten aus Ilhéus eine Stadt, die sich mit Paris und London verglich und wo keine Dame von Welt ein Abend­ kleid mehr als einmal trug. Hugo Kaufmann ging in die Weltliteratur ein als Vorbild für die Figur des Mundinho Falcão in Jorge Amados Buch «Gabriela wie Zimt und Nel­ ken». Schade nur, dass Hugo Kaufmanns Sohn, 88jährig, getauft nach seinem Vater, heute nicht dabei sein kann, um all diese Geschichten selber zu erzählen. Als Hugo Kaufmann junior als Kind zum ersten Mal De­ rendingen besuchte, den Ort, aus dem sein Vater 1903 aus­ gewandert war, dauerte die Reise mit Schiff und Eisenbahn 18 Tage. Noch heute reist er alljährlich mit seinen Kindern und Grosskindern dorthin, weil er Wert darauf legt, dass sie Deutsch lernen, und deshalb hat er sich bei Vreni Tobler abgemeldet. Er ist in der alten Heimat. Der grosse und leider oft leere Saal des Schweizerhauses ist nach Fritz Buchser benannt, in den 1950er Jahren Direktor der örtlichen Getreidemühle. Der beglückte die Kolonie oft mit seinen Jodelliedern. Seine Tochter hat eine Rüeblitorte mitgebracht. Der Grill ist in Betrieb, zwei Clowns unterhalten die Kin­ der. Letztes Jahr wurde eine Musikkapelle engagiert, aber danach reklamierten die Besucher, die Musik sei so laut gewesen, dass man nicht zum Schwatzen gekommen sei. Jetzt klingen vertraute Weisen aus dem Lautsprecher: «Es Buurebüebli», «Lueget vo Bärg und Tal», «Grüezi wohl, Frau Stirnimaa!», dezent genug, um auf schweizerdeutsch, portugiesisch, italienisch gegenzuhalten oder auch auf französisch, denn der französische Honorarkonsul gibt sich hier und heute die Ehre. Die meisten Gäste sind in Brasilien aufgewachsen, Kin­ der und Grosskinder von Schweizer Auswanderern. Einige der Jüngeren haben der Schweiz aus eigenem Entschluss den Rücken gekehrt. So wie Adrian Hänzi, der 1977, dreis­ sigjährig, die Heimat floh, weil sie ihm zu klein und lang­ weilig war. Die Zeit im Ausland hat dem Mann seinen Zorn genommen. Jahrelang war Hänzi Broker in São Paulo, ver­ kaufte Soya in alle Welt. Seit einigen Jahren lebt er in Salva­ dor und setzt sich für eine gesunde Ernährung ein; neben den Torten und Kuchen der Damen stellt er heute seinen eigenen Honig zum Verkauf aus. Hin und wieder reist Adrian Hänzi in die Schweiz zu­ rück, er staunt, wie dort alles bestens funktioniert, und er stellt fest, dass er sich immer besser mit ihr verträgt; die Schweiz kommt ihm farbiger vor und weniger stur als da­ mals, als er unbedingt wegwollte. Seine drei Töchter sind

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Vreni Tobler, die Präsidentin des Schweizerhauses in Salvador da Bahia, mit ihrer Mutter und ihrer Schwester.

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dem die Schweizer, die ihren Beitrag entrichten, noch heu­ te, wenn es sie trifft, ein Plätzchen sicher haben. Die Män­ ner im Vorstand, beide aus der Schweiz eingewandert, bei­ de vom Vorsatz beseelt, die Kolonie mit frischen Ideen zu beleben, steuerten ihre Visionen bei: Fotoausstellungen, Vreni Toblers Rüeblitorte ist nach einem alten Rezept aus Künstler aus der Schweiz, Tanzkurse, ein Zentrum des bra­ dem Kanton Aargau gebacken, nicht einmal die Mandeln silianisch­schweizerischen Kulturaustausches. fehlen, und darauf ist Vreni Tobler stolz. Ihr Grossvater war Diese Männer hatten es auch übernommen, die Reno­ Anfang des 20. Jahrhunderts aus dem Appenzellerland vation des Hauses zu organisieren. Wenn Vreni Tobler sich nach Brasilien ausgewandert, wurde Direktor einer Zigar­ daran erinnert, muss sie seufzen. Aber, um es kurz zu ma­ renfabrik. Der Vater studierte in Winterthur und brachte chen: Jacques und Daniel, Präsident und Kassier, vielbe­ von dort die Mutter nach Brasilien. Auch Vreni Tobler schäftigte Geschäftsleute, hatten vielleicht nicht immer ge­ machte ihre Handelslehre in der Schweiz. Aber es kam ihr nug Zeit, um die Arbeiten zu überwachen. Jedenfalls war nie in den Sinn, dort zu leben. Alles so schön, so organisiert, das Budget bald aufgebraucht, der Bau noch nicht fertig, so «bäschelet», wie sie sagt, dass sie sich schnell fremd fühlt und das war die Stunde, da die Töchter der Pioniere das in der alten Heimat. Sie liebt es zu wandern, sie liebt die Heft und das Erbe ihrer Väter in eigene Hände nahmen. Schweizer Berge. Aber sie zieht es doch vor, durch wilde, Silvia Escudeiro­Kübler, Tochter eines Mexikaners und unbegangene Gegenden Bahias zu streifen, wo kein Schild einer Schweizerin, deren Familie aus der Kakaoregion stammt, half als Architektin aus, obwohl sie kei­ nen Schweizer Pass besass. Was sich mittlerweile geändert hat. Silvia hat einen Kiwikuchen mitgebracht. Zu den Retterinnen des Schwei­ zerhauses gehörte auch Ania Bil­ lian. Ania ist kraft ihrer Persönlich­ keit und familiären Herkunft der mütterliche Anker in der Schwei­ zergemeinde von Salvador da Ba­ hia. Ende des 19. Jahrhunderts war ihr Grossvater, Karl Neeser, 17jäh­ rig aus Altstetten im Kanton Zürich nach Brasilien ausgewandert, zu­ sammen mit Emil Wildberger, Schaffhausen. Die beiden Freunde heirateten zwei Schwestern aus der brasilianischen Oberschicht, und Auslandschweizer feiern den 1. August im Schweizerhaus in Salvador da Bahia, Brasilien. Viele kommen wegen der Rüeblitorten. das half ihnen, im Import­Export­ Handel eine herausragende Stel­ lung zu erobern. Bei einem Aufenthalt in der Schweiz lernte Anias Mutter die Richtung und die Zeit bis zum nächsten Ziel angibt. Ihr ihren Mann Otto Billian kennen, dessen Familie eine Bijou­ Vater kam bei einem Flugzeugunfall ums Leben. In Brasi­ terie am Limmatquai in Zürich führte, und nahm ihn mit lien habe sie gelernt zu improvisieren und mit Rückschlä­ nach Brasilien. Dort leistete er Pionierarbeit in der Erfor­ gen zu rechnen, sagt Vreni Tobler, und manchmal frage sie schung von Quarzvorkommen. Im Geologischen Museum sich, ob die Schweizer zu Hause, so gut versichert wie sie von Bahia ist ihm heute ein eigener Saal reserviert. seien, solche Eigenschaften noch hätten. Seit dem Ärger 1940 kaufte Otto sich einen landwirtschaftlichen Gross­ mit dem Schweizerhaus sind ihre Zweifel noch grösser ge­ betrieb, und als die Stadt immer näher rückte, verkaufte er worden. die Parzellen mit der Auflage, achtzig Prozent als Grünflä­ Sie selber war nicht unbedingt für den Hauskauf. Aber che zu erhalten. Jetzt ist die damalige Fazenda ins Stadt­ sie erinnerte sich an 1.­August­Feste ihrer Kindheit und zentrum von Salvador gerückt. Ania Billian ist Königin in dachte an die Möglichkeit, mit dem Schweizerhaus den einem der exklusivsten Viertel der Stadt, grün wie kein an­ Pionieren ein kleines Denkmal zu setzen. Waren sie es deres. Eine Königin mit rustikalem Charme und bescheide­ doch, die der Schweizerkolonie Rang und Namen ver­ nem Auftreten. Sie liebt ihre Grosskinder, schottischen schafften, mit eigenem Geld nicht nur die Wohltätigkeits­ Whisky und Weisswein aus der Schweiz. Seit den Erfahrun­ gesellschaft, sondern auch den Friedhof gründeten, auf alle in die Schweiz zurückgekehrt. Brasilien ist seinen Kin­ dern zu gross und zu ungezogen. Er jedoch will hierbleiben; Heimat ist ihm, was er sich selber geschaffen hat.

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kam. Für höhere Ehren hat es aber nicht gereicht. Als 2009 der langjährige schweizerische Honorarkonsul Adriano Neeser, ein Cousin von Ania Billian, starb, machte sich der Schmuckverkäufer und Abenteurer Daniel Klay zwar Hoffnungen, aber gewählt wurde der Immobilienhändler Daniel Kunz. Daniel Kunz ist in Arbon aufgewachsen. Nach einer Lehre als Flugzeugmechaniker kam ihm die Schweiz zu klein Der Berner Daniel Klay, ehemaliger Kassier und noch keine vor, er fand eine Stelle in São Paulo, seit acht Jahren handelt fünfzig Jahre alt, war ein junges Vorstandsmitglied. Er war er in Salvador mit Immobilien. Er ist verheiratet und hat ein der eifrigste Visionär eines kulturfreudigen SchweizerhauKind. Zwei Stunden täglich widmet Daniel Kunz den konses. An der heutigen Feier fehlt er. Er ist an einer Schmucksularischen Geschäften. Schon zwei Mal in seiner erst kurmesse in São Paulo. Der Elan, kulturelles Leben ins Schweizen Amtszeit traf es Honorarkonsul Kunz, dass er ganz alzerhaus zu bringen, zum Vorteil des Publikums und zur leine einen Landsmann zu Grabe bringen musste. Belebung des eigenen Geschäfts, ist ihm ohnehin abhanEiner hatte sich, im Vertrauen auf seine robuste Natur, den gekommen. partout geweigert, eine kleine Wunde am Bein behandeln Immerhin hat Daniel Klay sein eigenes Erfolgsmärchen zu lassen, bis ihm dann die Tropen den Meister zeigten; er geschrieben. Klay ist in der Nähe von Laupen aufgewachstarb an einer Blutvergiftung. «Ein typischer Schweizer», sagt Daniel Kunz, und das muss er in seinem neuen Amt häufig beobachten: wie Eigenschaften, die zu Hause positiv besetzt sind, in Brasilien plötzlich hinderlich werden – wie Geradlinigkeit zur Sturheit wird, Selbstbewusstsein zur Arroganz. Dabei gebe es nichts Wichtigeres als Geduld und Toleranz, sagt er, um in diesem Land zu bestehen. Ohne Flexibilität und Improvisationsvermögen gehe gar nichts, und es solle bloss keiner, der jetzt nach Brasilien komme, denken, er habe das Land verstanden, bevor er nicht mindestens sieben Jahre den Launen der Bürokratie und der Politik ausgesetzt gewesen sei. Auf dem Schweizerfriedhof in Salvador da Bahia ist für jeden Schweizer ein Plätzchen gen mit dem Schweizerhaus ist Ania allerdings misstrauisch, wenn Männer Visionen haben. Am Schluss, das hat sie gelernt, bleibt die Arbeit an den Frauen hängen. Am 7. April 2006 war Eröffnung des Schweizerhauses, danach übernahmen die Frauen die Führung der Beneficência Suiça. Die Männer traten zurück.

reserviert, sofern er den Beitrag entrichtet.

sen, er machte eine Lehre als Radio- und Fernsehverkäufer in Bern, reiste nach Mexiko, Indien und kam endlich, weil ihm die Musik gefiel, mit Rucksack und Gitarre nach Brasilien. Als das Geld ausgegeben war und das Visum abgelaufen, begann er sich auf seine wahre Stärke zu besinnen: ein Mundwerk, das mehrsprachig wie geölt funktioniert, wenn es etwas zu verkaufen gilt. Er bearbeitete die Touristen in einem Schmuckgeschäft, eröffnete seinen eigenen Laden, erwarb, 600 Kilometer von der Hauptstadt entfernt, die Konzession für eine Smaragdmine. Heute beschäftigt Daniel Klay dreizehn Angestellte, vom Smaragdschürfer bis zum Goldschmied, und weder Bundesrat Pascal Couchepin noch Bundesrätin Doris Leuthard, dienstlich in der Gegend, gingen ohne Schmuck von Daniel Klay nach Hause. Ein langer Weg für einen, der als Hippie nach Brasilien

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Die Schweizer Fahne hängt neben der brasilianischen, die Lampions leuchten, die Bratwürste brutzeln, Honorarkonsul Kunz übersetzt die 1.-August-Botschaft der Bundespräsidentin Calmy-Rey ins Portugiesische, dann folgt sie in den schweizerischen Landessprachen per Tonband. «Das Schweizerhaus», ruft Vreni Tobler in ihrer Ansprache, «ist dazu da, die Beziehung zur alten Heimat aufrechtzuerhalten.» Dann ertönt die Nationalhymne. Und Vreni Tobler verschweigt, wie schwierig es einem die alte Heimat macht, das Vorhaben zu erfüllen. Im Schweizerhaus wurde, um die Unterhaltskosten zu decken, ein Künstleratelier eingerichtet. Salvador da Bahia war lange Zeit Wirkungsstätte des Aargauer Musikers und Komponisten Ernst Widmer. Das Aargauer Kuratorium zeigte sich interessiert, seinen Künstlern mittels halbjähriger Aufenthalte «einen Zugang zur vielfältigen brasiliani-

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«Ich bin nicht Kunde bei Wegelin & Co., weil die nur mit Wasser kochen.» Miraculixl

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schen Kultur zu ermöglichen», wie die «Aargauer Zeitung» schrieb. Ein Mietvertrag wurde unterschrieben. Die brasilianische Kultur, so stellte sich heraus, war aber für zwei Stipendiaten vielfältiger als erwartet. Der erste schrieb Ende 2010 nach Hause, das Haus befinde sich in einer unsicheren Gegend, und er sei von einem Taxifahrer beraubt worden. Darauf wurden die Mauern des Schwei­ zerhauses mit einem Elektrozaun ausgerüstet. Als dann noch sein Nachfolger vermeldete, im Haus um sein Bargeld gebracht worden zu sein, kündigte das Kuratorium den Vertrag und verlegte seine Künstler in ein kleines Hotel in der Innenstadt. Das Schweizerhaus blieb mit einem be­ schädigten Ruf und ohne seine einzige Einnahmequelle zurück. Aber folgenlos erhebt man solche Vorwürfe nicht in ei­ ner Stadt, die sich drei Generationen von Auslandschwei­ zern zur eigenen gemacht haben: Vreni Tobler und ihre Mitstreiterinnen brauchten nur wenig Detektivarbeit und ein paar Telefonate, um die Vorfälle zu klären. Im ersten Fall leistete Ricardo Aufklärung, Hauswart im Schweizerhaus und beauftragt, den Gästen das Leben zu erleichtern. Er hatte den Disput mit dem Taxifahrer und seinem der Sprache unkundigen Klienten mitbekommen und wusste Folgendes zu berichten: Der Taxifahrer hatte nicht das notwendige Rückgeld zur Hand und schlug des­ halb vor, die grosse Note, mit der sein Kunde bezahlen wollte, am nächsten Kiosk zu wechseln. Der Künstler be­ stand darauf, das Geld an Ort und Stelle zu empfangen, worauf der Taxifahrer schliesslich samt Hunderternote ent­ nervt davonfuhr. Im zweiten Fall, und auch dafür fehlt es den noch immer empörten Detektivinnen nicht an Namen und Zeugen, ver­ süsste sich der Künstler seinen Aufenthalt mit zweifelhaf­ ten Damen, womit auch das Rätsel der in der eigenen Woh­ nung abhanden gekommenen 1700 Franken geklärt war. Das Aargauer Kuratorium aber wies darauf hin, dass es die Sicherheit seiner Stipendiaten im Schweizerhaus nicht gewährleisten könne, und beharrte auf der Kündigung. Worauf sich der Vorstand der Beneficência zusammensetz­ te und zuhanden des Regierungsrats des Kantons Aargau einen Brief aufsetzte: «Als aufrechte Eidgenossen auf Aus­ senposten schmerzt es sehr, aus dem Heimatland statt Un­ terstützung ein Messer in den Rücken zu kriegen, und wir sind nicht willens, dies schweigend hinzunehmen.» Aber dann schwiegen sie doch, liessen den Brief unver­ schickt und trösteten sich damit, dass es ein Leben ausser­ halb von Norm und Sicherheit ist, das die Auswanderer gelehrt hat, aus Rückschlägen das Beste zu machen. Am 1. August wird jetzt endlich das Feuer angezündet. Danach gibt es Kuchen nach vielerlei alten Rezepten, geba­ cken von den Frauen der Schweizerkolonie in Salvador, Bahia. Ruedi Leuthold ist freier Journalist, er lebt in Rio de Janeiro. Fotos: Luca Zanetti, Zürich.

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Mauritius – Berge inklusive…! Natürlich müssen Sie in Mauritius nicht auf die Berge kraxeln, wenn Sie dies nicht möchten. Aber eine Idylle darf nun einmal nicht eintönig sein. Mauritius ist gerade auch wegen der facettenreichen Landschaft wohl einzigartig: glasklares Meer (geschützt von einem Korallenriff), weisse, unberührte Strände, üppige Flora,

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Jagen, töten, ausstopfen Ein Mechaniker aus dem Zürcher Oberland präpariert Grosswild in Südafrika. Ein Elefant kostet bei ihm 100 000 Dollar. Von David Signer

«Die sehen ja aus, als ob sie verliebt wären!» Dieter Ochsen­ bein bleibt beim Rundgang vor zwei kämpfenden ausge­ stopften Steinböcken stehen. «Die Augen müssen geändert werden.» Entscheidend beim Präparieren sei nämlich die Positur des Tieres, vor allem der Blick seiner Glasaugen. Ein Bär muss bedrohlich wirken, ein Löwe majestätisch. Und Dieter Ochsenbein ist der Mann, der für jedes Grosswild postum die attraktivste Pose findet. Momentan wird bei Highveld Taxidermists ein Elefant präpariert. Dabei schaben die Arbeiter die 2 Zentimeter di­ cke Haut bis auf 2 Millimeter ab, wobei sich ihre Fläche auf das Dreifache ausdehnt. Sie wird mit einer Aluminiumsul­ fatmischung gegerbt, dank der sie auch in hundert Jahren nicht die kleinsten Risse aufweisen wird. Im nassen Zu­ stand hat die Haut ein Gewicht von fast einer Tonne und kann nur mit einem Kran transportiert werden. Dann wird sie auf die Fiberglasskulptur appliziert, die Ochsenbein von jeder Tierart modelliert hat, wobei sich die Haut wieder auf die ursprüngliche Grösse zusammenziehen muss. Highveld Taxidermists in Erasmia, gelegen zwischen Jo­ hannesburg und Pretoria, präpariert Tiere, macht also das, was man früher «ausstopfen» nannte. Die Firma hat achtzig Angestellte und produziert mehrere Tausend Trophäen pro Jahr. Geführt wird das Unternehmen seit Mitte der 1980er Jahre von dem Schweizer Dieter Ochsenbein. Der sitzt im «Jagdzimmer» seines Hauses. Die Wände sind über und über bestückt mit den Köpfen von Tieren, die er eigenhändig erlegt hat: Giraffen, Elefanten, Löwen, Leo­ parden, Geparden, Büffel, Nilpferde, Nashörner, Steinbö­ cke. Ochsenbein jagt in Afrika, Südamerika, Pakistan, Iran, selbst im Himalaya und in Sibirien hat er dem Wild nachge­ stellt. Was ist es, was das Jagen reizvoll macht? «Die lange Vorbereitung. Hinreisen, die Beute erspähen, sich nähern, verfolgen. Die zunehmende Spannung und Erregung, die aufgebaut wird, bis man das Tier dann erlegt.» Dieter Ochsenbein war 25, als er zusammen mit seiner Verlobten die Schweiz Richtung Südafrika verliess; in der Tasche einen Arbeitsvertrag für zwei Jahre. Das ist inzwi­ schen vierzig Jahre her, und die beiden sind immer noch dort, mitsamt ihren beiden mittlerweile erwachsenen Kin­ dern. «Ich bin vor wenigen Tagen 65 geworden», sagt Och­ senbein und zündet sich eine Pfeife an. «Aufhören könnte ich allerdings nicht. Ich arbeite täglich zehn bis zwölf Stun­ den, einige Monate pro Jahr bin ich unterwegs. Ich habe genau das Leben geführt, das ich mir erträumt habe. Würde ich morgen tot umfallen, würde ich glücklich umfallen.» Aufgewachsen ist er im Zürcher Oberland. «Es war eine sehr enge Welt damals in der Schweiz», sagt er. «Man war mehr oder weniger ein Gefangener der sozialen Struktur, in

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die man hineingeboren wurde.» Ein guter Mechaniker sei er nie gewesen, sagt Ochsenbein. Vielleicht fehlte das Inter­ esse. Was ihn hingegen schon als Jugendlichen faszinierte, war das Fischen. Auch von der Jagd träumte er damals, aber erst in Afrika bot sich die Möglichkeit dazu. Ungefährlich ist die Jagd nicht. «Abgesehen von den Strapazen, den Skorpionen und Schlangen sind es vor al­ lem die angeschossenen Tiere, vor denen man sich in Acht nehmen muss», sagt Ochsenbein. «Am unberechenbarsten sind die Elefanten. Und die Raubkatzen.» Zu Ochsenbeins Kunden gehören Angehörige des euro­ päischen Hochadels und Mitglieder der arabischen Kö­ nigshäuser. Die Grosswildjagd ist ein teures Vergnügen. Allein die Trophäe eines Elefanten kostet gut 100 000 Dol­ lar. Vor kurzem kam eine Delegation von Chinesen, mit Privatflugzeug und zwanzig Bodyguards. Namen lebender Kunden mag er nicht nennen, aber dass der Schah von Per­ sien, Giscard d’Estaing und Franz Josef Strauss bei ihm wa­ ren, könne er wohl verraten. «In dreissig Jahren ist meine Arbeit wahrscheinlich nicht mehr möglich», sagt Ochsenbein. «Es wird zwar noch ge­ jagt werden, aber auf Druck der Öffentlichkeit werden sich die Fluggesellschaften weigern, Trophäen nach Europa zu transportieren.» Er hält die Kritik am Jagen für irrational: «Wir essen Fleisch, aber mit der Jagd möchten wir nichts zu tun haben.» Dabei werde die Jagd heute gerade in Südafri­ ka streng kontrolliert, und das Geld komme den Einwoh­ nern zugute, was sie wiederum vom Wildern abhalte. «In Kenia hingegen, wo die Jagd verboten ist, sind Wildtiere so gut wie ausgestorben, weil sie illegal getötet werden», be­ hauptet er. Die südafrikanische Gesellschaft empfindet Ochsenbein als freier und toleranter als die schweizerische. «Hier wird einem nicht dauernd auf die Finger geschaut.» Das einzige Problem sei die Gewalt. «Wir leben nur noch dank unserem kugelsicheren Landrover.» Vor ein paar Jahren wurde er mit seiner Familie an einem Flussufer von bewaffneten Gangstern angegriffen und konnte nur knapp entkommen, 21 Einschusslöcher zählten sie am Auto. Ochsenbeins 150 Hektaren grosses Anwesen ist mit elektrischem Draht, ­Infrarot, Hunden und Wächtern geschützt. Nicht immer war er so reich. In den ersten Jahren, mit wechselnden Jobs, hätten sie am Hungertuch genagt, erinnert er sich. Zum Tierpräparator wurde Ochsenbein autodidaktisch, 1984. «Es gibt viel bessere als mich», sagt er. «Aber ich war ein guter Manager. Und ich bin ein fanatischer Jäger.» David Signer ist Redaktor bei der NZZ am Sonntag. Foto: Rudi Bliggenstorfer, The Crags, Johannesburg.

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Dieter Ochsenbein in seinem Jagdzimmer: Beute erspähen, sich nähern, verfolgen, erlegen und präparieren.

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Wenn Hirne wandern Wissenschafter verlassen zwar das Land, aber nie ihre Forschergemeinschaft. Deswegen sind sie auch in der Ferne nie ganz weg. Von Matthias Daum

Ende der 1990er Jahre fürchtete die Schweiz die Abwan«Es war Zufall», sagt sie. Beatrice Weder di Mauro spricht derung ihrer klügsten Köpfe. Braindrain wurde das in Sportlersätzen. Einsilbig, floskelhaft. Die bekannteste Abfliessen von eidgenössischer Geisteskraft ins Ausland Schweizer Ökonomin mag nicht darüber nachdenken, genannt. Einer der lautesten Warner war der frühere Wisweshalb es sie, die Volkswirtschafterin mit ihrer glatt versenschaftsdiplomat Xavier Comtesse, der heute beim laufenden Karriere, vor zehn Jahren ausgerechnet auf den Think-Tank Avenir Suisse tätig ist. Rückblickend sieht er Lehrstuhl für Internationale Makroökonomik an der Unidie Dinge anders. Die Debatte sei sehr politisch gewesen, versität Mainz verschlug. Beginnt man etwas zu bohren, man habe mehr Forschungsgelder gewollt. «Wir diskutiersagt sie: «Das Angebot war das Beste.» Für sie, für ihren ten ohne harte statistische Basis, wir hatten nur AnhaltsMann, der damals schon in Frankfurt bei der Europäischen punkte», sagt Comtesse. Der Wirtschaftsaufschwung und Zentralbank arbeitete, und später für den gemeinsamen die unzähligen Professorenstellen an den neugegründeten Sohn. Nur dreissig Autominuten trennen Frankfurt und Fachhochschulen machten den Mainz, Familie und Karriere liessen Braindrain vergessen. Heute spricht sich so unter einen Hut bringen. man von Brain-Circulation. Hirne Aber eigentlich findet Weder di zirkulieren. Schweizer gehen in die Mauro die Standortfrage seltsam. USA, Deutsche in die Schweiz, Die Wissenschaftswelt ist globaliAmerikaner nach Deutschland und siert, Forscher sind Nomaden. Für in die andere Richtung. Profitieren die 46jährige, aufgewachsen im sollen davon alle. bürgerkriegsgeschüttelten GuateDoch die Wissenschaftskulturen mala, wo ihr Vater als Manager für unterscheiden sich. Auch jene der Ciba-Geigy arbeitete, heisst das: Schweiz und Deutschlands. BeatriVolkswirtschaft lässt sich überall ce Weder di Mauro erzählt von der betreiben. grösseren Bürokratie, die an deutEgal, ob als Doktorandin und Asschen Unis herrscht. Vor allem Persistenzprofessorin an der Uni Basel, sonalentscheide seien mit einem als Beraterin beim Internationalen immensen Papierkrieg verbunden. Währungsfonds und der Weltbank Das Nachbarland wurde für die in Washington oder später als FelÖkonomin zur Traumdestination. low an der United Nations UniverDie blonde Mittvierzigerin ist in der sity in Tokyo. Was zählt, ist das unDie Ökonomin Beatrice Weder di Mauro ist deutschen Wirtschaftspolitik zum mittelbare Umfeld am Institut: die Mitglied der Wirtschaftsweisen in Schwergewicht geworden. 2004 beProfessorenkollegen und die StuDeutschland. Dass sie heute in Mainz lebt, rief sie der Bundespräsident als ersdenten – möglichst brillant sollten nennt sie einen Zufall. te Ausländerin und als erste Frau sie sein. ins wichtigste Beratergremium der Regierung in Berlin – in Beatrice Weder di Mauro war brillant. Schon im Studen Rat der deutschen Wirtschaftsweisen. Im November dium an der Uni Basel waren die Professoren voller Bewunerscheint sein neues Gutachten. Man erhofft sich darin derung für die junge Frau. Dass das Ausnahmetalent später eine Antwort auf die Frage: Wie soll Europa aus der Krise ins Ausland zog, interessierte von Amtes wegen niemanfinden? So verbringt Weder di Mauro zurzeit viel Zeit in den. Weder gibt es fundierte Studien darüber, was WissenBerliner Amtsstuben, diskutiert mit Parlamentariern und schafter in die Fremde zieht, noch weiss man, wie viele Ministern. Manchmal gelingt es ihr sogar, ein Stück der Schweizer im Ausland forschen und wo sie das tun. Das, Schweizer Wirtschaftserfolgsstory dem grossen Nachbarn obschon die Eidgenossenschaft an achtzehn Botschaften schmackhaft zu machen: Die Wirtschaftsweisen schrieben Wissenschaftsräte beschäftigt und mit Swissnex seit zehn dem deutschen Volk die Schuldenbremse in die VerfasJahren ein eigenes Wissenschaftsnetzwerk aufbaut. Aber es sung. herrscht keine Meldepflicht im Ausland, also gibt es auch keine gesicherten Daten. Schätzungen gehen davon aus, Im Gegensatz zu Beatrice Weder di Mauro weiss Gaudenz dass am meisten Schweizer Hochschulpersonal in DeutschDanuser genau, wieso er aus der Schweiz wegging. Er sitzt, land arbeitet, nämlich etwa 800 Personen, danach folgen am letzten Tag eines Heimaturlaubs, beim Frühstück im 300 Personen an der amerikanischen Ostküste.

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Ausgewandert

Ursprünglich Vermessungsingenieur, ist Danusers Fachgebiet heute die Computational Biology. Die Frage, die den begeisterungsfähigen Forscher antreibt, lautet: Was macht Krebszellen metastatisch? Was bringt sie dazu, sich in einem fremden Gewebe anzusiedeln? Dem Laien erklärt er seine Arbeit an einem Beispiel aus der Musikwelt. «Wie analysieren Sie den Unterschied zwischen einer Beethoven- und einer Mozart-Sinfonie, wenn Sie die Partitur nicht besitzen?» Das Orchester ist dasselbe, die Konzerthalle ist dieselbe – doch die Musik ist unterschiedlich. Die Molekularbiologie kann nun den Dirigenten rausnehmen – oder einen Trompeter oder eine Violinistin. «Aber solch invasive Experimente bei komplizierten Systemen haben grosse Nebeneffekte», sagt Danuser. Er wolle stattdessen hinten im Konzertsaal sitzen und das Zusammenspiel zwischen Pauken und Trompeten und Geigen studieren. «Mein Gehör sind dabei das Mikroskop und aufwendige Software.» Damit können Danuser und sein Team heute die Bewegungen eines einzelnen Moleküls in einer Zelle in Echtzeit verfolgen. Bei aller Kritik, als Heimatmüden oder besserwisserischen Expat solle man ihn bitte nicht missverstehen, sagt Gaudenz Danuser. «Die Schweiz ist phantastisch.» An der ETH habe er viele gute Freunde, mit denen er in regem Kontakt stehe. Ganz weg ist ein ausgewanderter Wissenschafter nämlich nie. Darin unterscheidet er sich vom Auswanderer, der am Yukon eine Blockhütte baut. Auch in der Fremde bleibt ein Forscher seiner Fachgemeinde treu, besucht dieselben Konferenzen, arbeitet mit denselben Forscherkollegen rund um den Gaudenz Danuser ist Professor für Bioinformatik an der Harvard Medical School in Boston. In einem Epizentrum des Wissens zu forschen erspart ihm viele Reisen. Globus zusammen. Aber forscht er, wie Gaudenz Danuser, in einem Epizentrum des Wissens wie der Harvard Medical School, erspart er sich unzählige Stunden sen Sommer in der Schweiz ein Fünfsternhotel gönnte – im Flugzeug. «Alles, was Rang und Namen hat, kommt «das Zimmer kostete über 400 Franken die Nacht» –, kam nach Boston», sagt Danuser. So hat er, trotz vierzehndem Concierge beim Frühstück nicht einmal ein «Guten stündigen Arbeitstagen, noch Zeit, um abends ins KunstMorgen, wie haben Sie geschlafen?» über die Lippen. Etmuseum der Stadt zu gehen, das unmittelbar neben der was, das in den USA in jedem Motel selbstverständlich sei. Medical School liegt. «Dort esse ich im Café etwas und «Ich weiss, diese Sachen sind alle oberflächlich», sagt schaue mir danach zehn Bilder an.» Danuser. «Aber wie war das mit der Spitze des Eisbergs? Schlummert da nicht immer noch viel mehr unter der WasEinen besonders originellen Grund, im Ausland zu forseroberfläche?» schen, kann der Chemiker Kurt Wüthrich vorweisen. WüthIn den USA schätzt er auch die echte Freude der Instirich verbrachte über 30 Jahre seiner Forschertätigkeit an tutskollegen, wenn man selbst ein Top-Paper publiziert der ETH in Zürich, wo er auch tätig war, als er im Jahr 2002 hat. Nicht Neid herrsche, sondern die Einstellung: Vielmit dem Nobelpreis in Chemie ausgezeichnet wurde für leicht kann ich selber von dieser Entwicklung profitieren. seine bahnbrechenden Arbeiten zur kernmagnetischen «Als ich das erstmals am Scripps in San Diego erlebte, war Resonanzspektroskopie. Sie ermöglichten es, biomedizinidas für mich eine Wohltat.» Zürcher Hotel Leoneck in unmittelbarer Nähe zur ETH. Hier hatte er studiert und später als Assistenzprofessor eine Forschungsgruppe geleitet. Eigentlich wollte ihn das Schweizer Hochschulflaggschiff als Lehrstuhlinhaber verpflichten. Doch er zog ein Angebot aus den USA vor. Der 41jährige ist nach einem Aufenthalt am Scripps-Forschungsinstitut in San Diego heute Professor an der Harvard Medical School in Boston. Zum einen passte Amerika in seine Karriere, die er jeweils in Fünfjahresschritten plant. Zum anderen eckte er in der Schweiz immer wieder an. Er haderte mit der hiesigen Mentalität, dem Miesepetrigen. Im Grossen wie im Kleinen. Als ihn die ETH verpflichten wollte, machte der Forschungschef im Bewerbungsgespräch das Angebot von Harvard schlecht, anstatt die eigene Hochschule anzupreisen. Aber nicht nur wenn es um seine Arbeit geht, hat Danuser manchmal Probleme mit der Schweiz. Als er sich die-

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Tim Fellner, Leiter IT-Services, DPD (Schweiz) AG

DPD ist Business Sunrise Kunde, weil auch ihr wichtig ist, dass Nachrichten ankommen.

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Ausgewandert

Mitarbeiter bezahlt kriegt sowie rund 200 000 Franken für Instrumente und Gerätschaften, gibt es in den USA ein einmaliges Start-Package – und fertig. Den Rest muss der Wissenschafter selber auftreiben, bei staatlichen wie privaten Stellen. Einen Drittel ihrer Arbeitszeit kostet dies amerikanische Forscher. «Ein irrsinniger Aufwand», sagt Wüthrich. Hier wie dort zählt für ihn nur die Arbeit. In San Diego steht er um 4 Uhr früh auf, auch an den Wochenenden. Er will der Zeitverschiebung ein Schnippchen schlagen. «Sonst ist die Rückkehr nach Europa umso mühsamer», sagt er. Noch zu Hause spricht er per Skype mit seinem Zürcher Sekretariat: Morgenrapport. Nach einem ausgiebigen Frühstück und der kurzen Fahrt ins Büro, das mitten im Institutslabor steht, folgt der Wissenschafteralltag: Korrespondenz erledigen, oft Hunderte von Seiten, Gutachten diktieren für die Mittelanträge von Fachkollegen, Sitzungen abhalten mit seinen Mitarbeitern zu aktuellen Forschungsfragen, eigene Publikationen bearbeiten oder Vorträge schreiben. Dazwischen joggt der diplomierte Sportlehrer jeden Tag am Sandstrand von La Jolla, dem Stadtteil, in dem er wohnt. «Wenn man erfolgreich ist», sagt Wüthrich, «hat man es in den USA besser.» Nicht wegen des Lohns, sondern wegen der Freiheiten, die man geniesst. Er selbst hat keine Lehrverpflichtungen, keine Studenten, nur handverlesene Doktoranden. Und einen Monat im Jahr verbringt er als Professor der World Class University in Südkorea. «Meine Frau und ich machen unsere Pensionistenweltreisen so vermutlich komfortabler, als wir es uns sonst leisten würden.» Arbeitsende ist spätabends. Mal Der Chemiker Kurt Wüthrich war mehr als dreissig Jahre an der ETH tätig, bevor ihm 2002, ein Jahr vor der Pensionierung, der Nobelpreis verliehen wurde. Da er in der Schweiz nicht kommt ein Nachtessen mit Kolleweiterarbeiten konnte, zog er in die USA. gen dazu, dann eine Verabredung mit einem privaten Geldgeber. «Häufig sind das interessante Leute», sagt Wüthrich, der Der 72jährige Wüthrich erzählt in breitem Berndeutsch Kalifornien als seinen Rückzugsort betrachtet, wo er sich von 1965, seinem ersten Amerikaaufenthalt. Wer es damals auf seine Forschung konzentrieren kann. Auf seinem in den Naturwissenschaften zu etwas bringen wollte, mussGrundstück steht ein separater Büropavillon für ungestörte nach dem Doktorat in die USA. Dort trafen sich die klügstes Arbeiten. «In der Schweiz hetzt man mich von Interview ten Köpfe in den am besten ausgerüsteten Labors der Welt; zu Fototermin», sagt er. In den USA hat der NobelpreisträWüthrich ging an die Uni Berkeley und in die Bell Labs in ger seine Ruhe, er fällt nicht auf. La Jolla ist der Ort mit der New Jersey. Als die ETH «ihren» Forscher zurück in die höchsten Nobelpreisträgerdichte der Welt. «Allein in meiSchweiz holen wollte, schickte sie einen Mitarbeiter zu ihm ner Nachbarschaft wohnen rund 15», sagt Wüthrich. Nur ins Labor, der auf seinem Notizblock notierte, welche Ineinmal war die Idylle gefährdet, als die Stadtverwaltung in strumente und Gerätschaften man für Wüthrich anschafeinem Park Büsten aller Preisträger aufstellen wollte: «Zum fen musste. Glück konnten wir das verhindern.» Heute schielen die USA auf Europa. «Die Forschungsfinanzierung in den Staaten ist katastrophal schwierig geworden», sagt Wüthrich. Während ein ETH-Professor jährlich nicht nur sein Salär, sondern auch fünf bis sechs Matthias Daum ist freier Journalist; er lebt in Zürich. sche Vorgänge auf molekularer Ebene zu verstehen. Wer nun glaubt, ein Nobelpreisträger finde überall einen Platz, täuscht sich. Dass Wüthrich heute in Amerika arbeitet, verdankt das Land der Schweizer Regulierungswut. Jahre vor seinem 65. Geburtstag bat Kurt Wüthrich den Bundesrat, er möge ihm bitte seinen Vertrag so abändern, dass er bis 70 weiterarbeiten könne. Mit der Forschung aufzuhören stand nie zur Diskussion. «Sonst wäre ich ja die letzten sieben Jahre nur rumgesessen.» Doch in Bern hiess es: Pensioniert wird mit 65! Wüthrich sah sich anderweitig um, das beste Angebot kam aus San Diego vom Scripps-Institut. Zwar weichte Bundesbern in der Zwischenzeit die Regelung über das Emeritierungsalter für ETH-Professoren etwas auf und schuf die «Lex Wüthrich», die dem Namenspaten ermöglichte, ein Standbein in Zürich zu behalten. Aber sein Kernteam ist in Kalifornien.

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Vom Seil gestürzt Als junger Mann verkehrte der Fotograf Rudi Bliggenstorfer mit Golo Mann, Max Frisch und Federico Fellini. Heute lebt er auf einer verwahrlosten Farm in Südafrika. Was ist geschehen? Von David Signer

Ein abgelegenes Haus mit Strohdach in einem verwilderten Garten in Südafrika. Der Bewohner, ein 62jähriger, grauhaariger, unrasierter Mann in abgetragener Kleidung, sucht im Durcheinander von Papierstapeln, Wäsche und Gartengeräten nach einem Buch. Endlich findet er es: «Wallenstein – Bilder zu seinem Leben. Von Golo Mann und Rudi Bliggenstorfer» steht auf dem Umschlag. Der Mann legt das fleckige Buch wie ein Beweisstück auf den Tisch. Die Klappe zeigt ein Bild des jungen Fotografen Rudi Bliggenstorfer, der 1973 ein bisschen aussah wie Jim Morrison. Man käme nie auf die Idee, dass er jetzt vor einem sitzt. Golo Mann ist hier in dieser gottverlassenen Gegend namens The Crags an der Südküste des Landes niemandem ein Begriff. Und Rudi, der einst eng befreundet war mit dem berühmten Historiker und Thomas-Mann-Sohn, ist für die Anwohner einfach ein kauziger Farmer, der zurückgezogen auf seinem Stück Land lebt. Solche gibt es hier viele. Bliggenstorfer bringt einen Stapel vergilbter Fotos, die im Schrank gelegen haben. Nach der Staubschicht zu urteilen, hat die Bilder schon jahrelang niemand mehr angeschaut. Sie stammen aus einem anderen Leben, sagt er. Eines zeigt ihn mit einer Boa constrictor um den Hals neben Federico Fellini, auf einem anderen raucht er mit dem Ballettstar Rudolf Nurejew im Zürcher Nobelrestaurant Kronenhalle eine Zigarre. Unsere Bekanntschaft begann vor einigen Jahren mit einer E-Mail. Bliggenstorfer hatte meinen Roman «Keine Chance in Mori» über einen Mann gelesen, der sich in Afrika verirrt, verliert – und verschwindet. «Dieser Mann bin ich», schrieb er. Offenbar lebte er unter elenden Bedingungen am Indischen Ozean in Südafrika, unweit vom Rentnerparadies Plettenberg Bay. Im Internet stiess ich auf den WallensteinBildband und fand heraus, dass Bliggenstorfer in den 1970er Jahren ein bekannter Fotograf gewesen war, der für «Stern», «Bunte» und «Du» arbeitete. Manchmal schickte mir Bliggenstorfer seitenlange ­E-Mails mit elenden Geschichten aus seinem jetzigen Leben. Einmal entschuldigte er sich für die ungewöhnlich vielen Fehler: «Es ist schwierig, korrekt zu schreiben, wenn der eine Arm gebrochen ist und man mit dem anderen ein Baby halten muss.» Es stellte sich heraus, dass ihn die Frau, mit der er zusammenlebte, im Suff mit einem Vorschlaghammer angegriffen hatte. Mary Anne kam aus der nahen Township, einer während der Apartheid eingerichteten Wohnsiedlung für schwarze Südafrikaner; sie ist halb so alt wie Bliggens­ torfer. Nach der Hammerattacke steckte die Polizei nicht nur sie ins Gefängnis, sondern auch das gemeinsame Baby.

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Erst mit Hilfe einer Anwältin konnte er die Rückkehr des Mädchens erwirken. Wie war er bloss in solche Lebensumstände geraten? Warum er nach Afrika gegangen war, blieb mir ebenso rätselhaft wie die Frage, warum er mich kontaktiert hatte. Hoffte er in seiner Isolation, ich würde ihn aufgrund meiner eigenen Afrika-Erfahrungen verstehen? Versuchte er sich in den langen E-Mails selber auf die Spur zu kommen? Sicher war, dass es in seinem Leben ein markantes «Vorher» und «Nachher» gab. 2009 stach mir in der eben erschienenen Golo-Mann-Biographie von Tilmann Lahme ein Foto ins Auge. Es zeigte Bliggenstorfer mit 18 Jahren. Er sah sehr gut aus, mit hohen Wangenknochen und vollem braunem Haar. Das fand offenbar auch Golo Mann, als der damalige «Du»-Chefredaktor Manuel Gasser die beiden 1968 miteinander bekannt machte. Bliggenstorfer war Fotografenlehrling und nebenher Schauspieler und Zirkusartist (er hatte als Kind in einer Theatergruppe mitgemacht). Mann engagierte ihn als Fahrer, der ihn in den nächsten Jahren durch Europa chauffieren und mit ihm beim geistigen Hochadel von Madrid bis Prag ein und aus gehen sollte, ohne recht zu wissen, mit wem er es da zu tun hatte. Bliggenstorfer kochte regelmäs­ sig für Katja Mann, Thomas Manns Witwe, und verbrachte Wochen in Golo Manns Zweitwohnsitz in Berzona, wo auch Max Frisch und Alfred Andersch lebten. Golo Mann nannte ihn in seinen Briefen schwärmerisch «Fanny»; aber im wirklichen Leben versteckte er seine Homosexualität und machte Bliggenstorfer keine Avancen. So viel zumindest erfuhr ich aus der Biographie. In seinen E-Mails erzählte mir Bliggenstorfer, dass er als Fotoreporter Karriere gemacht hatte, bevor er 1980 eine Auszeit nahm. Er habe sich vom ruhelosen Leben ausgebrannt gefühlt und beruflich blockiert. Zudem sei seine erste Ehe mit einer kolumbianischen Künstlerin in die Brüche gegangen. Er wollte Europa den Rücken kehren und suchte ein Anwesen in Südamerika. Stattdessen wurde ihm eine günstige Farm in Südafrika angeboten. Er griff zu und zog mit seiner zweiten Ehefrau, einer Schweizerin, und den Kindern in das Haus mit grossem Umschwung, in dem er jetzt noch lebt. Er renovierte, legte einen weitläufigen Gemüsegarten an, mit dessen Ertrag er zwei Supermärkte belieferte, betrieb einen florierenden Handel mit Farnen und anderen Pflanzen für Blumengeschäfte in ganz Europa, eröffnete – schon immer ein passionierter Koch – in Plettenberg Bay ein Gourmetrestaurant samt dazugehöriger Delikatessen­ linie. Sein früheres Leben vermisste er nicht. Aber dann,

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Ein Grund zu bleiben: Rudi Bliggenstorfer mit seiner Tochter Amalia.

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Ausgewandert

ungefähr vor zehn Jahren, geriet alles aus den Fugen. Seine zweite Ehe war gescheitert, die Frau mit den Kindern in die Schweiz zurückgekehrt, er selbst mit einer Südafrikanerin zusammen. «Die Beziehung war ein Desaster», schrieb er mir, «das Restaurant ging pleite.» Sozial geriet er ins Ab­ seits, beruflich war er desorientiert, unschlüssig, wer er war und was er wollte. Der Abstieg begann: «Ich fiel in ein tiefes Loch, aus dem ich bis heute nicht herausgefunden habe.» Der etwas heruntergekommene Mann, der mich am Flughafen in George abholt, hat nichts mit dem langhaa­ rigen Jüngling von 1968 gemein. Für seine 62 Jahre sieht

Ob er sein Elend auch ein wenig zelebriert? Wenn schon heruntergekommen, dann bühnenreif? Der Verlierer Nummer eins. Bliggenstorfer reichlich verwittert aus. Die Hose hält er mangels Gürtels mit einer Hand fest, damit sie nicht hinun­ terfällt; unten hat er überhaupt keine Zähne mehr. «Kein Geld für den Zahnarzt», erklärt er auf dem Weg zu seinem klapprigen Pick-up. Wir fahren zwei Stunden dem Indischen Ozean entlang Richtung Osten. Die «Garden Route» gilt als eine der schönsten Strecken der Welt. Bloss sehen wir nichts davon, denn es regnet auf dem ganzen Weg, und die Scheibenwi­ scher sind defekt. «Jedes Mal, wenn es regnet, denke ich: Sobald es trocken ist, kümmere ich mich darum», sagt er. «Und dann vergesse ich es wieder.» «Ein höllisches Paradies», nannte Bliggenstorfer seine Farm in den E-Mails. Tatsächlich: Das Haus mit dem Strohdach, die Gärten, der Weiher – es könnte ein Idyll sein. Aber das Anwesen mit den matschigen Wegen, den verrosteten Maschinen, den überwucherten Ruinen alter Hütten wirkt gespenstisch, ausgestorben, unwirtlich. Im Haus ist es kalt und düster. Bliggenstorfer entfacht ein Feu­ er im Cheminée. Mary Anne und die Tochter Amalia schla­ fen bereits. Unter «The Crags» hatte ich mir ein Dorf vorgestellt. Aber es ist ein amorphes Niemandsland. Neben Bliggenstorfers verwildertem Grundstück und der Township mit dem selt­ samen Namen Kurland gehören eine Tankstelle mit Laden und vereinzelte ärmliche Häuser dazu. Irgendwo zeigt ein Wegweiser in Richtung «Paradise». Die Bewohner nennen ihre Siedlung Neverland, wegen der Versprechen, die die Politiker gemacht und nie gehalten haben. Am nächsten Morgen taucht als erstes die vierjährige Amalia auf und dann Mary Anne. Sie begrüsst mich nur flüchtig und antwortet kaum auf meine Fragen. Bliggens­ torfer sagt, sie sei verstimmt, weil er am Abend erst so spät vom Flughafen zurückgekommen sei. Nach kurzer Zeit ver­ schwindet sie wieder im Schlafzimmer. Warum ist er ei­ gentlich noch mit ihr zusammen? «Sie würde Amalia mit­ nehmen», sagt er. «Das wäre schlimm für mich. Und für

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Amalia auch.» Angesichts der Zustände in Kurland will Bliggenstorfer auf keinen Fall, dass seine Tochter dort auf­ wächst. Am Abend bekomme ich eine Kostprobe vom Leben in Kurland. Mary Anne hat eine 14jährige Tochter aus einer früheren Verbindung, die in Kurland bei Mary Annes Schwester lebt. An diesem Abend ruft die Schwester aufge­ regt an, Mary Anne müsse vorbeikommen, es gebe Ärger. Rudi fährt sie nach Kurland. Wir betreten gerade die enge Hütte von Mary Annes Schwester, als die betrunkene Nach­ barin hereinstürzt. Demonstrativ schreitet sie zur Kom­ mode, auf der ein Kassettenrecorder steht, reisst die Schub­ lade auf und schnappt sich drei Kassetten. Sie wirft wilde Blicke um sich und brüllt: «Schluss jetzt mit diesen Dieb­ stählen!» «Sie sucht einen Vorwand, um sich zu prügeln», flüstert Rudi. «So ist das fast jeden Abend hier.» Als niemand auf ihre Provokationen reagiert, beschimpft sie die Hausbe­ wohner als Feiglinge. Draussen haben sich Schaulustige versammelt, die sie anfeuern. Dann fliegen die ersten Fäus­ te zwischen der Tante und der Nachbarin. Mary Anne ent­ scheidet sich dafür, die Nacht bei ihrer Tochter in Kurland zu bleiben. Rudi fährt erleichtert nach Hause, wo er Amalia auf einer Bank vor dem Cheminée schlafen legt und eine Flasche Wein öffnet. Er erzählt von der allgegenwärtigen Gewalt; von Mary An­ nes Bruder, der in Kurland getötet wurde bei einem Streit um einen Fisch; vom Einbruch in sein Haus, als er von ­einem Schlag auf den Kopf geweckt wurde. Drei Männer waren eingebrochen, und einer hatte ihm mit einer Bierfla­ sche eins übergezogen. Er fragt sich, warum er ausgerech­ net hier gelandet und fast dreissig Jahre hängengeblieben ist. «Die Natur ist phantastisch, aber die Gesellschaft grau­ enhaft.» Es gebe weder europäische Kultur – Film, Theater, Ausstellungen, Literatur – noch afrikanisches Savoir-vivre: Musik, Tanz, Bars, Ausschweifungen. «Hässlichkeit, Leere und Langeweile, wohin man schaut.» Gelegentlich fotografiert Bliggenstorfer für die südafri­ kanische «Sunday Times». Aber mit Begeisterung erfüllen ihn die schlechtbezahlten Aufträge nicht. «Und heute kann ja sowieso jede Hausfrau fotografieren», sagt er. Am Vor­ mittag hört er meist DRS 2, seine «Rückzugs­insel». An der Wand hängt ein «Farinelli»-Plakat. Den Film über den le­ gendären Eunuchensänger hat er sich mehr als zwanzig Mal angeschaut, und für seine Delikatessenlinie liess er sich den Namen «Farinelli» als Marke registrieren. Es ist das Opulente daran, das Dekadente, das ihn fasziniert. Oft sitzt er Ewigkeiten auf dem Sofa und schaut aus dem Fenster. «Wenn es in den Teich regnet, stelle ich mir vor, die Trop­ fen seien Geld, das meinen Tresor langsam füllt.» Auf dem Weg ins kalte Schlafzimmer gibt er mir noch einen Literaturtip: «Vom Nachteil, geboren zu sein» von Emil M. Cioran. «Es ist ja heute Mode, an Wiedergeburt zu glauben», meint er. «Ich finde, ein einziges Leben ist mehr

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Ausgewandert

hen alle Stiefel an. Es regnet weiter, das Wasser steigt. Ein Sack Mehl wird vom Fussboden auf eine Ablage gehievt, zu spät. Niemand hat die Energie, etwas zu unternehmen. Die Situation erinnert Rudi an einen Telefonanruf, den er einmal bekam, als er gerade in George mit einem Chinesen zu

als genug.» Ob er sein Elend auch ein wenig zelebriert? Wenn schon heruntergekommen, dann bühnenreif? Der Verlierer Nummer eins. Als das Wallenstein-Buch zum Vorschein kommt, von dem wir immer wieder gesprochen haben, erinnert Bliggenstorfer sich, wie er es damals, 23jährig, stolz seinem Vater präsentierte. Aber der, ein Bankangestellter, interessierte sich nicht dafür. Seiner Mutter zeigte er es schon gar nicht. Fellini schickte er das Bild mit der Schlange. «Ich hoffte, er würde mir eine Rolle anbieten.» Auf anderen Fotos voller Stockflecken sieht man Dürrenmatt, Chagall, Miró, Kissinger, Willy Brandt, de Givenchy, Yves Saint Laurent, Charles Aznavour und natürlich den ganzen Mann-Clan. Ein Bild zeigt ihn mit seiner hinreissenden ersten Frau, ein anderes auf dem Hochseil unter der Zirkuskuppel. Kürzlich hat er für Amalia ein Seil zwischen zwei Bäumen gespannt und ihr vorgemacht, wie man balanciert. Es war ernüchternd. «Früher konnte ich sogar auf dem Seil jonglieren. Jetzt kann ich nicht einmal mehr ruhig darübergehen. Es ist offensichtlich, dass ich das Gleichgewicht verloren habe.»

«Afrika war und ist für mich ein Seiltanz ohne Sicherung», sagt Bliggenstorfer. Mittag ass: Es brannte auf seinem Grundstück. «Soll es doch brennen», dachte er. «Bis ich zu Hause bin, ist es sowieso zu spät, und dann muss ich bloss all die Formulare ausfüllen.» Immerhin griff das Feuer nicht auf sein Haus über. Lediglich ein Nebengebäude ging in Flammen auf. «Das Essen war prima.» Derselbe Fatalismus führte dazu, dass Bliggenstorfer heute ohne Pension, Krankenkasse und Versicherungen dasteht. Er hat es jahrelang versäumt, die Rechnungen zu bezahlen. Natürlich fehlt ihm auch die Energie, das Haus zu verkaufen, den Unglücksort zu verlassen und woanders neu anzufangen. Gegen Abend kommt Besuch aus Kurland. Eine 43jährige Frau mit zehn Kindern von zehn verschiedenen Männern. Das älteste ist 28, das jüngste eben erst zur Welt ge-

Am nächsten Morgen steht die Küche unter Wasser. Es tropft durch Löcher im Strohdach. Zuerst gelingt es noch, den Pfützen auszuweichen, doch im Laufe des Tages zie-

Perfekter Genuss dank feinstem Hopfen.

Das Schweizer Amber-Bier

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wie ein Gefangener mit Stockholmsyndrom, der sich gegen seine Befreiung wehrt.» Bliggenstorfer nimmt seit zehn Jahren Antidepressiva. In letzter Zeit hat er das Gefühl, dass sie endlich ein biss­ chen wirken. «Aber vielleicht hat es gar nichts mit den Tabletten zu tun.» Womit hat es dann zu tun? Nach langem Schweigen sagt er: «Afrika war und ist für mich ein Seiltanz ohne Sicherung. Ein Abenteuer bedeutet ein unberechen­ bares Risiko, das man nicht im Reisebüro bucht. Alles an­ dere sind Spielchen.»

kommen. Auch die 15jährige Tochter mit ihrem Baby ist mitgekommen. Sie hat ein Messer dabei. Der Vater des Ba­ bys ist ein gleichaltriger Drogendealer. Seine Mutter, die nach einem Autounfall halbseitig gelähmt war, erstach aus dem Rollstuhl heraus einen Mann. Bliggenstorfer fotogra­ fierte sie für die Zeitung, als sie ins Gericht geschoben wur­ de. Bevor es zu einer Verurteilung kam, wurde auch sie er­ mordet. Mary Anne kommt aus Kurland zurück. Sie sucht offenbar Streit und schimpft herum, weil Rudi am Laptop sitzt. Viel­ leicht spürt sie, dass das Internet für ihn eine Art Nabel­ schnur zur Aussenwelt ist, ein Fluchtweg – auch weg von ihr. Derweil steht bereits das Essen auf dem Tisch, er hat sich den ganzen Tag um Amalia gekümmert, und die Besu­ cherfamilie hat das Wasser aus der Küche geschrubbt. Schliesslich beruhigt sich Mary Anne, setzt sich mit einem Roman ans Cheminée und sagt den restlichen Abend kein Wort mehr. Anfangs sei sein Haus sein Réduit gewesen, sagt Blig­ genstorfer einmal. Aber dann sei der Bereich, in dem er sich sicher gefühlt habe, immer mehr geschrumpft. Die letzten Monate habe er sich manchmal für Stunden in die Toilette geflüchtet, um zu lesen. «Vielleicht sollte man dich mit Ge­ walt hier rausholen», sage ich zu ihm. Er antwortet: «Ich bin

«Eigentlich schade», sagt Rudi beim letzten Mittagessen. «Ich habe so viele interessante Menschen kennengelernt, als ich jung und nichtsahnend war. Und jetzt, wo ich etwas damit anfangen könnte, lebe ich hier in Isolationshaft.» Ich frage ihn nach Max Frisch. «Mit dem habe ich einmal Schach gespielt.» «Und?» «Ich weiss nur noch, dass ich verloren habe.»

David Signer ist Redaktor bei der NZZ am Sonntag. Foto: Rudi Bliggenstorfer, The Crags, Südafrika.

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Bilaterale Beziehungen Wie liebt es sich, wenn die Familie immer dabei ist, die Frau nur im Haus das Sagen hat und man auf griechisch fluchen muss? Eine Umfrage unter Schweizerinnen und Schweizern im Ausland.

Irina Schläpfer Alkhali, Syrien Mein Mann Edmond und ich haben uns Ende 2005 während meines Sprachaufenthalts in Damaskus kennengelernt. Seit Sommer 2008 wohne ich in Damaskus. Hier konnten wir mehr als drei Monate das Zusammenleben ausprobieren, ohne gleich zu heiraten. In der Schweiz hätte es ohne Heirat höchstens ein Touristenvisum für drei Monate gegeben. Heute arbeite ich als Deutschlehrerin am Goethe-Institut. Seit dem 29. April 2010 haben wir einen Sohn, Carlos. Es gibt Dinge zu klären, die ich mit einem Schweizer nicht hätte klären müssen. Zum Beispiel, dass ich auch mal nur mit ihm einen Ausflug machen möchte – und nicht immer mit der ganzen Familie. Das Gefüge der Familie habe ich wohl unterschätzt. Wir verbringen sehr viel Zeit mit ihr, und zwischendurch gibt es oft telefonischen Kontakt. Das ist aus meiner Sicht manchmal etwas übertrieben. Der Kompromiss ist der, dass ich nicht die Wände hochgehe, wenn das Telefon mehrmals täglich klingelt, selber aber nur in dringenden Fällen anrufe. Dennoch fühle ich mich sehr willkommen. Die Familie hat mich voll und ganz aufgenommen. Manchmal hat mich die Skepsis im eigenen heimischen Umfeld verletzt. Es gab Leute, die mir die Schwierigkeiten mit einem Araber aufgezählt haben, ohne je in einem arabischen Land gewesen zu sein oder Menschen aus dem arabischen Raum zu kennen. Das empfand ich als frech. Die Rollenverteilung ist in Syrien noch sehr traditionell. Aus gutem Grund habe ich Edmond noch vor dem ersten Kuss gefragt, ob er sich bewusst sei, dass ich in einer Partnerschaft den Haushalt nicht allein führen würde. Und das tue ich auch nicht. Auch ich hatte das Klischee des Arabers, der keinen Lappen in die Hand nimmt, im Hinterkopf. Ich streite eindeutig temperamentvoller als früher. Woran das liegt, ist schwer zu sagen. Vielleicht, weil hier so­ wieso dramatischer und mit den Händen geredet wird. Vielleicht streite ich aber auch deswegen heftiger, weil ich gewisse Dinge aus kulturellen Gründen einfach nicht nachvollziehen kann und dann erst recht explodiere. Und vielleicht auch, weil ich unbewusst das Gefühl habe, dass ich in einer fremden Kultur mehr Einsatz zeigen muss, um meine Meinung klarzumachen. Ich finde es sehr schwierig, im Konflikt zwischen Charakter und Kultur zu unterscheiden. Oft vermischt es sich. Die Tatsache, dass ich meine Heimat für meinen Partner verlassen habe, werfe ich nicht in die Waagschale. Aber ich habe hier gewisse Bedürfnisse, sogenannte Luxusbedürfnisse, gerade weil ich meine Heimat verlassen habe. Zum

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Beispiel zwischendurch mal einen europäischen Moment: in einem modernen (teuren) Café einen Milchkaffee trinken und ein Croissant dazu essen. Ich hatte und habe dabei den Anspruch, dass mein Mann das nachvollziehen kann und mir den «Luxus» gönnt. Ein Fallstrick in unserer Beziehung liegt auch darin, Dinge zu akzeptieren, die mir nicht passen, indem ich mir unbewusst sage: Das ist hier halt so, das ist die andere Kultur. Ich finde das gefährlich. Man muss auf jeden Fall einen Weg zwischen beiden Kulturen finden, aber das heisst ja nicht: alles akzeptieren. Es ist wichtig, auf die eigenen Bedürfnisse zu hören, auch wenn sie für die andere Kultur vielleicht eigenartig sind.

Elisabeth Lipshitz-Nett, Israel Ich lebe seit 42 Jahren in Israel. Meinen Mann habe ich 1971 an meinem Arbeitsplatz in Tel Aviv kennengelernt. Vor meiner Reise nach Israel in einen Kibbuz habe ich verschiedene Mittelmeerländer besucht, habe mich in junge Männer verliebt, in Venedig, Griechenland usw. Nur in Israel habe ich mich zuerst ins Land verliebt. Ich bin ein Jahr im Kibbuz geblieben anstatt die üblichen drei Monate. Orangen pflücken ist toll, nur wollte ich auch meinen Beruf als Hochbauzeichnerin ausüben, was mich in die Stadt Tel Aviv brachte. Dort lernte ich meinen Mann Ygal kennen, meine Lebensliebe. Ygal wollte meine Familie und das Wunderland Schweiz kennenlernen, also lebten und arbeiteten wir zwei Jahre in Zürich, bis auch er überzeugt war, dass wir unser Leben in Israel verbringen wollen. Als ich meinen Mann 1971 kennenlernte, war er schon von seinem Einsatz als Soldat im Sechstagekrieg geprägt, weitere Kriege haben wir miteinander erlebt: er an der Front, ich mit den Kindern zu Hause. Er ist auch der Sohn von Holocaust­überlebenden. Er ist ein richtiger «Zabar», die israelische Kaktusfrucht: aussen stachlig, innen süss. Bis er älter wurde, habe ich den Satz «Ich liebe dich» nie gehört, obwohl ich es spürte und wusste durch sein Benehmen. Auf hebräisch tönt dieser Satz wunderschön. Das kulturelle Leben ist in Israel viel reichhaltiger. Alles, was auf der Welt geschieht, erscheint den Menschen hier interessant und wissenswert. Das Interesse am Ausland bleibt nicht nur auf Sport und Ferienplanung begrenzt. Man liest hier unheimlich viele Bücher, auch Übersetzungen aus allen Sprachen ins Hebräische. Die Rollenverteilung ist moderner als in der Schweiz. Schon in den 1970er Jahren, als unsere Kinder klein waren, arbeiteten wir beide. Wir wechselten uns beim Kinderhüten ab. Für Ygal war es kein Problem, mit dem Kinderwagen auf den Spielplatz zu gehen. Auch wenn ich geschäft-

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Bei uns hat sich das im Vergleich zu früher nicht stark verändert. Allerdings hilft mir mein Partner weniger im Haushalt als noch in der Schweiz. Das ist auch der grösste Streitpunkt zwischen uns. Er sagt, es hänge damit zusammen, dass ich zurzeit nicht arbeite, während er Teilzeit arbeitet. Dass ich für ihn die Schweiz verlassen habe, schätzt er sehr. Manchmal wird das Thema Schweiz zum Streitthema. Wir sind beide politisch interessiert, und in der Schweiz ist das Ausländerthema die Nummer eins. Mein Partner fühlt sich heute noch persönlich angegriffen. Er hat in der Schweiz nicht immer gute Erfahrungen gemacht. Wenn ich sehe, wie ich hier in der Türkei aufgenommen werde und welcher Respekt mir gezollt wird, da schäme ich mich manchmal für die Schweiz. Obwohl ich erst seit 19 Monaten in der Südtürkei lebe, bin ich schon gelassener geworden und rege mich nicht mehr wegen jeder Kleinigkeit auf. Das Sicherheitsdenken ist etwas, was ich noch ablegen möchte. In der Schweiz ist vieles auf das Materielle ausgerichtet. Viele vergessen, sich an kleineren Dingen zu erfreuen. Das Leben hier spielt sich mehr im Hier und Jetzt ab, hier wird noch mehr gelebt!

lich ins Ausland musste, übernahm er die Rolle des Hausmanns. Was ich unterschätzt habe, ist die Tatsache, wie unruhig mein Leben werden würde. Die ständige Gefahr eines weiteren Krieges oder Selbstmordanschlages. Auch die ständige Sorge um unsere Kinder und Enkel im täglichen Leben. Und die Sorge, ob es für sie eine Zukunft gibt. Nicht zuletzt wenn man älter wird, werden die acht Monate Hitze und Feuchtigkeit lang. Ich bin dankbar, dass die Schweiz mein Heimatland ist. Man kann sich dort wirklich erholen. Die Ruhe und Sicherheit, wie sie in der Schweiz herrschen, braucht die Seele auch. Nur nicht zu lange.

Natalie Blöchlinger, Türkei Seit Februar 2010 leben wir im Raum Side in der Südtürkei, in einem kleinen Haus mit einem Panoramablick. Hier kann man neun Monate im Jahr draussen geniessen. Wir haben uns 2007 in der Schweiz kennengelernt. Mein Partner hatte den Wunsch, mit 50 Jahren in sein Heimatland zurückzukehren. Auch hatte er es satt, ewig nur als der Ausländer angeschaut zu werden. Also haben wir die Rollen getauscht. Zum Glück habe ich bis heute keine negativen Erfahrungen gemacht, ich fühle mich hier sehr wohl. In der Türkei ist die klassische Rollenverteilung zwischen Mann und Frau deutlicher spürbar. Die Frau ist die «Innenministerin», nach aussen hat der Mann das Sagen.

Daniel Thürig, Deutschland Wir lernten uns vor elf Jahren in einer Sprachschule in Barcelona kennen, wo ich ein Jahr Ferien machte. Meine Frau ist Spanierin. Im Juli 2002 gingen wir gemeinsam nach

Für Momente, in denen man eine zweite Meinung haben will. <wm>10CAsNsjY0MDAx1TU0MTU0NAMAZ_yr4w8AAAA=</wm>

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Hause bist, während ich mir überlege, welchen Kerl ich als ersten umlege. Im Umgang mit anderen scheint mir meine Frau etwas zurückhaltender veranlagt und sehr diplomatisch. Wenn wir eingeladen sind und ich keine Lust habe, sage ich zu dem, der einlädt: Ich habe heute keine Lust auf Menschen, während sie eher sagt, dass sie körperlich nicht fit sei, obwohl sie vielleicht grad aus dem Fitnessstudio kommt. Ich rege mich über die deutschen Politiker genauso auf wie über die SVP-Betonköpfe, und meine Frau meint jeweils bloss, dass ich kein Deutscher sei und deshalb auch gar nicht das Recht hätte, mich über die Deutschen aufzuregen. Zudem könnte ich ja in die Schweiz ziehen, wenn mir hier alles zu blöd sei. Ich denke, ich war noch nie wirklich ein Schweizer als Humanoide. Ich bin nicht sehr pünktlich und schere mich einen Deut, was andere Leute über mich denken. Ich bin, seit wir in Deutschland leben, sehr viel chauvinistischer geworden und auch stolzer, was die Schweiz angeht. Die Schweiz ist ein schönes Land, aber das Gleiche gilt auch für jedes andere Land .

Chemnitz in Ostdeutschland, wo ich ein Jobangebot hatte. Inzwischen haben wir zwei Buben und leben noch immer hier. Wir sprechen Spanisch miteinander, meine Frau mit den Kindern ebenfalls. Ich rede mit den Kindern Schweizerdeutsch, die Buben untereinander sprechen Sächsisch. Wenn wir einen freundlichen Streit ausfechten, bleibt es bei Spanisch, aber wenn es uns komplett aushängt, fluche ich lauter als sie und dann auch auf schweizerdeutsch. Wenn wir Fussball gucken wie den WM-Final, flucht sie komischerweise auf hochdeutsch, was sie sonst nie macht. Anfangs war die Mutter meiner Frau ziemlich sauer auf uns. Meine Frau war meine Spanischlehrerin in der Sprachschule in Barcelona, und meine Schwiegermutter dachte, jetzt lässt die sich von einem arbeitslosen Ausländer schwängern, und dann haut der ab, und mein Töchterlein ist ganz allein auf der Welt. Aber so kam es nur teilweise. Die Vorurteile über die Rollenverteilung in unseren beiden Kulturen bestätigen sich bei uns überhaupt nicht. Sie sagt zwar, ich sei genauso ein doofer Macho wie die Spanier, aber ich weiss, dass das nicht stimmt – ich bin ziemlich liberal eingestellt, was Frauen angeht. Was ich unterschätzt habe, ist die unsägliche Gelassenheit meiner Frau – grad wenn die Kinder streiten und ich nach Hause komme, da rennen manchmal vier, fünf Kinder durchs Haus, ein Heidenlärm, und meine Frau sitzt auf dem Sofa, liest ein Buch und sagt, schön, dass du auch zu

Barbara Zähnler Angelopoulos, Griechenland Mein Mann und ich haben uns 1987 auf Santorini, einer griechischen Insel, kennengelernt. Ich war auf Reisen mit einer Freundin und er der gutaussehende Kellner im Restaurant Dionysos. Nach zwei Sommern auf dem Vulkan

Die See lässt sich nicht zähmen. Die Strasse schon eher. Genau rechtzeitig zu einer der härtesten Segelregatten auf hoher See, dem Volvo Ocean Race, sind die passenden Fahrzeuge eingetroffen. Mit dabei der geländetaugliche Volvo XC60, mit dem Sie das Abenteuer auch an Land erleben. Ausgerüstet mit modernster Technik, verführt Sie dieser luxuriöse Crossover mit seinem kurvenreichen Coupé-Design. Willkommen an Bord. Jetzt beim Volvo Vertreter in Ihrer Nähe.

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schneebedeckten Bergen und Kuhglockengeläut! Heidi lässt grüssen! Meinem Mann halte ich das bestimmt nicht vor, er hat mich ja nicht gezwungen, hierherzuziehen. Ich gehe ihm aber sicher manchmal auf die Nerven mit meiner Swiss-Nostalgie! Da wir auf einer touristischen Insel leben, lerne ich Menschen aus aller Welt kennen. Das hat meinen Horizont sehr erweitert und mich auch neugierig gemacht. Ich habe mich voll und ganz hineingegeben, die Sprache gelernt, die Musik, den Tanz, die Küche, nicht nur von Griechenland, sondern auch von anderen Ländern und Kulturen. Trotzdem fühle ich mich je länger, desto mehr meinen Wurzeln verpflichtet. Ich möchte gerne die Schweiz bereisen, mehr Zeit mit meiner Familie verbringen. Obwohl ich einmal pro Jahr für zwei bis drei Wochen dort bin, ist nie genug Zeit. Ich wusste nicht, dass es wehtut, weder Fisch noch Vogel zu sein! Ehrlich gesagt, werde ich, je länger ich hier lebe, immer kritischer gegenüber Griechenland und den Griechen. Obwohl es auch eine typische Schweizer Eigenschaft gibt, die ich abgelegt habe: Pünktlichkeit! In unserem Haushalt gibt es fünf Uhren, und alle zeigen eine andere Zeit an, also leben wir zeitlich im Ungefähren.

haben wir geheiratet und für drei Jahre in der Schweiz gelebt. Seit 1992 leben wir wieder auf Santorini, mein Mann leitet das Restaurant Dionysos, und ich begleite Ausflüge mit dem Bus rund um die Insel auf deutsch und englisch und engagiere mich schon seit Jahren im Tierschutz. Mein Mann geht Konflikten gern aus dem Weg, ich hingegen glaube an die Kraft der Worte, rede gerne und viel. Obwohl wir nur griechisch sprechen, benutze ich Schimpfwörter sehr zielsicher. Ehrlich gesagt, würde ich auf schweizerdeutsch viele dieser Ausdrücke nicht benutzen. Da wir auf einer Insel leben, also in einer kleinen Welt, ist ihm die Meinung der anderen sehr wichtig. Es irritiert mich aber immer wieder, wie sehr Äusserlichkeiten ins Gewicht fallen und er sich darstellen will oder muss. Als wir vor zwanzig Jahren nach Santorini zogen, habe ich mich bewusst oder unbewusst von meinem Mann abhängig gemacht. Nicht nur finanziell und sprachlich, sondern auch in vielen wichtigen Bereichen des täglichen Lebens habe ich am Anfang mein Licht unter den Scheffel gestellt. Motiviert durch verschiedene Krisen, erarbeite ich mir meine Unabhängigkeit wieder Schritt für Schritt. Ich glaube nicht, dass ich vor zwanzig Jahren richtig bewusst meine Heimat verlassen habe. Ich war jung, verliebt, und die Welt stand mir offen. Ich lebe heute auf einem Vulkan, da wird es doch manchmal etwas heiss unter den Füssen, und ich träume von grünen Wiesen,

Helen Kämpf, Sikkim, Indien Mein Exmann und ich haben uns in San Francisco kennengelernt, und zwar in einem Meditationszentrum. In den

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Jahren, in denen ich mit meinem Mann zusammenlebte, verbrachten wir zwei Jahre in den USA und der Schweiz, bevor wir 1999 ins ehemalige Königreich Sikkim in Indien, zwischen Nepal, Tibet und Bhutan, übersiedelten. Heute sind wir geschieden. Die Kombination aus Liebe sowie die Faszination an der buddhistischen Kultur und am Himalaya haben mich nach Indien gebracht. In Sikkim habe ich meine Existenz auf­ gebaut – eine Reiseagentur, Terralaya.com, und ein Hotel, Bambooretreat.in. Ich musste lernen, dass die Faktoren Geld, Einkommen und Reichtum eine nicht zu unterschätzende Rolle spielen für Partner aus Entwicklungsländern, die aus weniger wohlhabenden Verhältnissen stammen. Sie können ein wesentlicher Motivationsfaktor für eine Beziehung sein, ei­ ner, der von Schweizer Frauen oft unterschätzt wird. Auch der Einfluss der Familie ist nicht zu unterschätzen, und man sollte nicht erwarten, dass der Partner unverän­ dert bleibt, wenn er in sein Land und sein altes Umfeld zu­ rückkehrt. Unterschätzt habe ich wohl auch, dass man es mit der Ehrlichkeit nicht so genau nimmt. Wichtiger sind Ehre und Würde. Manchmal war es für mich nicht einfach, zwischen der Kultur und dem Charakter meines Mannes zu unterschei­ den. Der Charakter wird ja auch durch Erziehung geformt. Mein Exmann hat versucht, mich darin zu unterrichten,

wie eine sikkimesische Frau sich zu verhalten habe. Er er­ munterte mich, Goldschmuck zu tragen, und freute sich, wann immer ich die sikkimesische Tracht trug. Gleichzeitig war er stolz auf das Anderssein seiner Schweizer Frau. Auch den hiesigen Erwartungen an eine gute Gastgeberin ge­ recht zu werden – und dazu gehört in Sikkim auch das wie­ derholte, fast aufzwängende Offerieren von Alkohol aller Art – fiel mir nicht leicht. Als Kulturgut gilt sicher auch das Spielen: chinesisches Würfelspiel und Kartenspiel sind weit verbreitet. Die Tatsache, dass ich für meinen Mann meine Heimat verlassen hatte, wurde von den Verwandten als sehr ehren­ wert eingestuft – dass sich eine Schweizerin aus Liebe im abgelegenen Sikkim niederlässt, um dort etwas aufzubau­ en. Vorgehalten habe ich mir das höchstens selber, als die Beziehung auseinanderbrach und ich mich mit Anwälten um meine Rechte zu kümmern versuchte. Mein Exmann hat im Streit die Tatsache, dass sich Ausländer in Sikkim in einer rechtlichen Grauzone befinden, gegen mich verwen­ det, um mir Angst zu machen. Dennoch lebe ich noch gern hier. Nicht nur, weil ich hier meine Existenz aufgebaut habe, sondern auch, weil es ein Stück Heimat geworden ist. Die Gastfreundlichkeit und die Fröhlichkeit der Menschen hier, ihre Spontanität und Direktheit und ihre unbeschwerte Art bereichern mich.

Das Leben sollte wieder einfacher werden. Das Leben sollte wieder einfacher werden. Die Bürokratie kann einem wirklich manchmal über den Kopf wachsen. Aber nicht bei Sympany: Profitieren Sie flexiblen Lösungen persönlichem für Kopf Private und Unternehmen – erfrischend anders. Die von Bürokratie kann einem und wirklich manchmalService über den wachsen. Aber nicht bei Sympany: Profitieren Jetzt informieren: www.sympany.ch Sie von flexiblen Lösungen und persönlichem Service für Private und Unternehmen – erfrischend anders. Jetzt informieren: www.sympany.ch


Monsieur Otto chez les Welsch Der Bauer Otto Stämpfli und seine Frau Veronika sind vor 47 Jahren ausgewandert, ohne das Land zu verlassen: von Ittigen bei Bern nach Champvent bei Yverdon. Von Balz Ruchti

Otto Stämpfli ist heimisch geworden in Champvent VD. Seit 47 Jahren lebt er im kleinen Dorf am Jurafuss, ein paar Kilometer westlich von Yverdon-les-Bains. Sein Hof steht am Dorfeingang, an einem schmalen Landsträsschen, das sich unbescheiden Grand-Rue nennt, sobald es ein paar Steinmauern und die gedeckten Dorfbrunnen passiert, die sorgsam mit Geranien dekoriert sind. Stämpfli hat hier seine drei Kinder grossgezogen, jahrzehntelang Rinder gemästet und Felder bestellt. Er war ­Mitglied im Chœur mixte, Feuerwehrkommandant und ­Gemeinderat. Allwöchentlich trifft er sich mit Kollegen zu einem Jass. Für die Dorfkinder ist er Monsieur Otto, weil «Stämpfli» für französische Zungen schwer auszusprechen ist. Und doch: Wenn der 72jährige von den Leuten im Dorf erzählt, sagt er nicht «wir», sondern «sie». Auch nach fast einem halben Jahrhundert sind die Romands die anderen geblieben. «Der Welsche hat schon ein bisschen eine andere Mentalität als wir Deutschschweizer – unsereins ist vielleicht etwas weltoffener», sagt Stämpfli. Offene Feindseligkeit habe es aber nie gegeben. Vielleicht ein paar kleine Sticheleien, anfangs vor allem. Als er sich zum Beispiel kurz nach der Ankunft bei einem benachbarten Bauern erkundigte, welcher Weizen auf seinem Boden am besten gedeihen würde, riet ihm der Einheimische zu einer Sorte, die völlig ungeeignet war. «Mit Absicht», sagt Stämpfli. Er zuckt mit den Schultern. Dass ein Bauer dem anderen nichts gönne, das komme auch unter Deutschschweizern vor. Unter Landwirten ist der Röstigraben eher eine Ackerfurche. Missgunst ziehen laut Stämpfli vor allem Deutschschweizer «Baulandbauern» auf sich, die durch Umzonungen zu Geld gekommen sind und den Einheimischen die schönsten Höfe vor der Nase wegkaufen: «Das treibt die Bodenpreise in die Höhe.» Auch Otto Stämpfli kam des günstigen Bodens wegen. 1964 wanderte er von Bern ins Welschland aus. Der Hof der Eltern in Ittigen stand der Autobahn im Weg, und hier hinten in der Waadt reichte das Geld «für etwas Richtiges»: ­einen stattlichen Hof mit dicken Steinmauern und 20 Hekt­ aren Land. «Vielleicht wäre ich auch ohne die Autobahn hergekommen», sagt Stämpfli. Die Romandie habe ihn schon angezogen, seit er hier das Bauernlehrjahr absolviert habe. «Vor allem diese offene Gegend hat es mir angetan.» Er blickt zum wuchtigen Schloss Champvent mit seinen vier Ecktürmen hinab, das etwas unterhalb der Dorfes steht. Hinter dem Mont de Chamblon, der sich auf der anderen Talseite erhebt, liegt das Gros-de-Vaud, das weite Waadtländer Mittelland.

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Dass Bauern aus dem Bernbiet in diese Gegend auswandern, hat eine lange Tradition. Zu viele Kinder auf zu kleinen Betrieben. Schon Stämpflis Onkel zog 1927 hierher, und auch viele Alteingesessene in Champvent haben Deutschschweizer Namen: Blaser, Glauser, Urfer. «Hier im Dorf sagen sie, man könne keinen anständigen Schieber mehr jassen, ohne dass ein Deutschschweizer am Tisch sitze», sagt Stämpfli. Allerdings sprächen diese Familien ihre Namen konsequent französisch aus. Aber eigentlich gebe es viele Gemeinsamkeiten zwischen Zuwanderern und Alteingesessenen – die konservativen Werte zum Beispiel. Das habe sicher mit dem bäuerlichen Milieu zu tun. Auf dieser Ebene versteht man sich. Einer von Stämpflis Deutschschweizer Kollegen sagt sogar, die Waadtländer seien welsche Berner. Mehr noch. Die Waadtländer waren Berner – bernische Untertanen nämlich. Und das, vermutet Stämpfli, erkläre, weshalb sie sich gegenüber den Suisses allemands reserviert geben: Die historische Kränkung durch die Herren von Bern sitze tief. Deswegen ertrügen es die Einheimischen hier noch heute nicht, wenn ihnen ein Deutschschweizer sage, wo’s langgehe. «Als Feuerwehrkommandant war das besonders heikel», sagt Stämpfli. Da murrte es im Glied schon mal, wenn sich die stolzen Camarades pompiers von einem «Cheibetütsch» herumbefehlen lassen mussten. «Ich habe schnell gelernt: Wenn du hier etwas anders machen willst als gewohnt, darfst du nie sagen: In der Deutschschweiz geht das so und so. Du sagst: In Frankreich machen sie das so.» Ablehnung gegenüber Deutschschweizern bekomme höchstens die erste Generation zu spüren: «Bei unseren Kindern war das kaum mehr Thema – nur der Älteste hatte einen Deutschschweizerhasser als Lehrer; der nannte ihn immer ‹stauffif› – das kommt von Stauffacher oder so.» Ihm selbst seien Sprüche und Bezeichnungen wie «Cheibetütsch» egal gewesen – «nur als ‹l’Allemand› betitelt zu werden mag ich nicht – ich bin Schweizer, nicht Deutscher». Er habe stets versucht, sich in die Dorfgemeinschaft einzubringen. Stämpfli lehrte die Dorfjugend schwimmen und fuhr im Winter als Skilehrer mit ins Sportlager. Durch seine Engagements hat er im Dorf viele Kollegen gefunden. Auch Freunde? «Ich hatte hier einen welschen Freund, aber der ist gestorben.» Stämpfli pflegt regelmässig Kontakt zu anderen Deutschschweizern. Immer dienstags, wenn in Yverdon Markt ist, trifft er sich mit ein paar anderen Auswanderern zum Apéro. Vormittags in der Beiz zu sitzen ist zwar keine Deutschschweizer Tugend, aber man passt sich halt dem hiesigen

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Veronika und Otto Stämpfli vor ihrem Hof in Champvent: «E chli Usländer blybt me hie.»

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Brauchtum an und sorgt sich bei einem Glas Bier über den Weizen, der bald auswächst, oder andere landwirtschaftli­ che Aktualitäten. Weiter hinten im Lokal haben auch ein paar Einheimi­ sche einen Stammtisch. Man grüsst sich freundlich, aber zusammengesessen wird nicht. Die Deutschschweizer Runde ist in den letzten Jahren von fast einem Dutzend auf fünf oder sechs Männer geschrumpft. Einige sind gestor­ ben, andere gegangen – heim nach Bern. Nicht jedem gelinge es, sich richtig einzuleben, sagt Stämpfli: «Wenn wir irgendwo sind, sagt meine Frau immer noch: Komm, wir gehen zurück – nicht: Komm, wir gehen heim.» Veronika Stämpfli ist das Heimet in Champvent nie ganz zur Heimat geworden. «Daheim» ist immer noch in Bern. «Ich ginge gern wieder zurück», sagt die 66jährige. Im ele­ ganten Kostüm, geschminkt und gut frisiert steht sie in der kühlen Küche ihres grossen Hauses und sieht so gar nicht aus wie eine Bäuerin. Zu gross sei das Haus geworden, seit die Kinder ausgezogen seien. Sie sei nicht so gesellig wie Otto, ihm falle das alles sehr leicht. Aber Dorfverein und Gemischtenchor sind nicht ihre Sache. Und mit der wel­ schen Lockerheit ist Veronika Stämpfli auch nie warm ge­ worden. «Es ist mir zu unverbindlich. Dieser Quart d’heure vaudois zum Beispiel – anfangs waren wir immer pünktlich und standen dann da wie die Dummen.» Heute würde sie nicht mehr ins Welschland ziehen, sagt sie. «Aber damals war ich 19 Jahre alt und unbeschwert.» Wenn das Reissen zu stark wird, nimmt Veronika Stämpfli den Zug und fährt für einen Tag nach Bern zu ihrer Mutter. «Ich muss einmal durch die Altstadt hinunterspazieren, dann ist es wieder gut für einen Monat.» Otto Stämpfli kennt solches Sehnen nicht. Das Ittigen seiner Jugend gebe es schon lange nicht mehr. Vor einer Weile war er als einstiges Gründungsmitglied zur Jubi­ läumsfeier des Turnvereins Ittigen eingeladen und kannte dort nur noch zwei alte Gesichter. Und überhaupt: Was die alles gebaut haben seither. Nicht nur die Autobahn. «Was soll ich dort? Da wäre ich völlig verloren», sagt Stämpfli. Nein, er wolle nicht zurück: «O we me geng chli Usländer blybt hie.»

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Dicke Luft im Rentnerparadies Die thailändische Küstenstadt Hua Hin hat sich zu einer Lieblingsdestination für betagte Auswanderer entwickelt. Aber auch in den Tropen scheint nicht immer die Sonne. Von Andreas Heller

Obwohl sich die Sonne hinter einer zähen Dunstglocke versteckt, wird Jörg Räz auch den heutigen Tag in der Badehose verbringen. Am Morgen war er in den Kanal gehüpft, der direkt an seinem Bungalow vorbeifliesst, dann war er zur täglichen Wassergymnastik im grossen Pool geschwommen. Nach einem ausgiebigen Frühstück entspannt er sich nun im Liegestuhl. Der Pensionär lässt den Blick über den tropischen Garten schweifen, er blinzelt zufrieden in den milchig weissen Tropenhimmel. «Also, wem es hier nicht gefällt», sagt er mit trotzigem Unterton, «dem ist wohl nicht mehr zu helfen.» Räz arbeitete in der Administration der Thunerseeschifffahrt und träumte schon lange davon, den letzten Lebensabschnitt an einem anderen Ort zu verbringen, irgendwo, wo es wärmer ist als in der Schweiz. Als er mit sechzig in Pension ging, schaute er sich auf den Kanarischen Inseln um, doch da gab es nichts, was ihm zusagte und seinem Budget entsprach. Dann stiess er im Internet auf die Altersresidenz Lotuswell in der thailändischen Küstenstadt Hua Hin. Das Konzept – deutschsprachige Bewohner, schlüsselfertige Wohnungen, guter Service – entsprach genau seinen Vorstellungen, und so fuhr er mit Ursi, seiner Frau, zum ersten Mal nach Thailand. Sie waren auf Anhieb begeistert von «Lotuswell». Für keine 150 000 Franken erstand das Ehepaar vor einem Jahr ein lebenslanges Wohnrecht in einer Dreieinhalbzimmerwohnung. Ihr Domizil in der Schweiz haben sie behalten, doch die meiste Zeit des Jahres wollen sie jetzt in Thailand verbringen. «Mir passt vor allem das warme Klima», sagt Jörg Räz. Und immer sei jemand da, mit dem man in seiner eigenen Sprache plaudern könne. «Und endlich brauche ich mich nicht mehr um alles zu kümmern», ergänzt seine Frau. In der Alterssiedlung gibt es einen Reinigungsdienst für Wohnung und Wäsche, je nach Wunsch auch Halbpension. In jedem Zimmer sind deutschsprachige Fernsehkanäle zu empfangen, jede Stunde fährt ein Shuttle in die Stadt, und auch Golfplätze gibt es jede Menge. «Viel günstiger als in der Schweiz hat man hier alles, was man braucht», sagt Räz und lacht. «Mit all dem Geld, das wir hier sparen, können wir uns sogar wieder einmal schöne Ferien in der Schweiz leisten.» Menschen, die im ewigen Sommer den Herbst ihres Lebens geniessen wollen, begegnet man in Hua Hin auf Schritt und Tritt, auf dem Markt, auf dem Golfplatz, beim Strandspaziergang, in Heidis Gartenrestaurant, beim Metzger Sämi aus dem Appenzellerland. Die 200 Kilometer südlich von Bangkok gelegene Küstenstadt, Sommerresidenz der thailändischen Königsfamilie, hat sich in den letzten Jahren zu

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einer Lieblingsdestination für Pensionäre aus Nord- und Mitteleuropa entwickelt. Die Schweden waren die ersten, die sich hier niederliessen, es folgten Isländer, Niederländer, Briten und schliesslich auch die Schweizer. Markus Rellstab, ein jovialer Mittfünfziger in Sandalen und Seidenhemd, lebt schon seit zehn Jahren in Hua Hin. Als Immobilienmakler und Manager des Resorts «Tropical Paradise Garden» hat er täglich mit Schweizern zu tun, die den thailändischen Ferienort als Alterssitz gewählt haben. Wie viele es sind, wisse keiner genau, sagt Rellstab. Um die 400 aber bestimmt. Die meisten sind ältere, noch rüstige Ehepaare, die sich in einer Residenz einen Bungalow oder eine Wohnung geleast haben. Es gibt ein paar wenige alleinstehende ältere Damen, die vor der Einsamkeit in die Gemeinschaft einer Alterssiedlung geflohen sind. Und wie überall in Thailand gibt es auch in Hua Hin zahlreiche ältere Herren, die mit einer jungen Frau ihrem Leben eine neue Wendung oder auch nur einen neuen Kick geben möchten. Rolf Baumgartner ist einer von ihnen. Der 66jährige wohnt in einer Siedlung etwas ausserhalb der Stadt. Vor seinem Bungalow hat er eine grosse Schweizer Fahne und eine etwas kleinere thailändische Flagge gehisst. Was er an seinem neuen Zuhause am meisten schätzt, ist die Ruhe. Der Stress in der Schweiz, sagt er, habe ihn krank gemacht. Nach einer Darmoperation mit schweren Komplikationen fiel er für drei Tage ins Koma, und als er wieder erwachte, wusste er: «Ich muss mein Leben ändern.» Er trennte sich von seiner Ehefrau, kündigte den Job als Product Manager bei einer Heizkesselfirma und wanderte nach Thailand aus. «Wäre ich in der Schweiz geblieben», sagt Baumgartner, «wäre alles wie bis dahin weitergelaufen. Ich musste einfach weg.» Er besuchte Freunde auf der Insel Ko Samui. Auf der Rückreise kam er nach Hua Hin und blieb hängen. In einem italienischen Restaurant lernte er eine Thailänderin kennen und zog mit ihr in ein Mietshaus, wo ausschliesslich Einheimische wohnten. Es war lärmig, und die Leute schmissen den Müll einfach auf die Strasse oder verbrannten ihn im Garten. Baumgartner wollte für Ordnung sorgen, war oft mit dem Besen unterwegs. Doch schliesslich kapitulierte er. Nun wohnt er seit einigen Monaten mit einer neuen, ebenfalls gut 20 Jahre jüngeren Partnerin in einer Siedlung mit Nordeuropäern. In der Schweiz habe er auf einem ganz anderen Niveau gelebt, in einem Haus in Zollikon, sagt Baumgartner. Aber hier gehe es ihm besser. «Neues Land, neue Frau, neues Leben.» Den meisten Thailänderinnen gehe es nur ums Geld, sagt Baumgartner, da mache er sich keine Illusionen. Dar-

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Neue Frau, neues Leben: Rolf Baumgartner.

Mühe mit der Schrebergartenmentalität: Ehepaar Burkard.

Wartet auf Besuch von ihrem Sohn: Rosmarie Schneiter.

Villa statt Pflegeheim: Kurt Seewer und Ruth Darnuzer.

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Stück Land. Als sich seine Frau weigerte, in ein derart armes Land zu ziehen, einigten sie sich schliesslich auf Thailand, das sie schon früher bereist hatten. Das tropische Klima, das Essen, die Lebensart der Thailänder – Steger fühlte sich wie im Paradies. Ein paar Wochen lang. Aber mit der Zeit vermisste er Menschen, mit denen er in der eigenen Sprache sprechen konnte. Als Unternehmer, der er sein Leben lang war, beschloss er, sich dieses Umfeld selber zu schaffen. «Ich dachte, es gebe sicher noch andere Schweizer, die den Ruhestand in Thailand verbringen möchten. So entstand die Idee einer deutschsprachigen Altersresidenz.» Steger bereiste Thailand und entschied sich schliesslich für Hua Hin – wegen In einer deutschsprachigen Siedlung ist die Verständigung der Sauberkeit, des langen Sandstrands und der Nähe zu einfacher. Aber das will nicht heissen, dass das ZusammenBangkok. Auf einem Ananasfeld fand er das Grundstück, leben frei ist von Misstönen. «Es gibt Leute wie Herr und auf dem er seine Idee verwirklichen wollte. Frau Räz, die ihr Glück so richtig geniessen können», sagt Eigentlich sei er ja nach Thailand gekommen, um kürCornelius Steger, der Besitzer von «Lotuswell». Aber es zerzutreten, sagt Steger, doch seit er vor sieben Jahren dieses Land gekauft habe, arbeite er praktisch nonstop 12 bis 14 Stunden pro Tag. Die Schwierigkeiten begannen damit, dass Ausländer in Thailand zwar ein Haus, aber kein Land erwerben dürfen. Möglich ist dies nur über eine Gesellschaft, an der ein Einheimischer eine Mehrheitsbeteiligung hält. Für grössere Projekte, die mehrere Arbeitsplätze schaffen, können Ausländer ausserdem ein Zertifikat des Board of Investment (BOI) der thailändischen Regierung beantragen, mit dem sie inländischen Investoren mehr oder weniger gleichgestellt werden. Für Steger war von Anfang an klar, dass er nur mit einem BOI-ZerCornelius Steger, Gründer der Altersresidenz Lotuswell, ist den ganzen Tag auf Achse. In einem Jahr soll die Anlage endlich fertiggestellt sein – rund ein Drittel der Bewohner sind tifikat sein Projekt realisieren würde aber schon wieder ausgezogen. – er hatte zu viele Geschichten über Ausländer gehört, die von ihren thailändischen Partnern über den Tisch gezogen worden gebe eben auch andere. «Leute, die einfach nicht aus ihrer waren. Zwei Jahre lang pilgerte er von Amtsstelle zu AmtsHaut können, Leute, die am liebsten meckern und Problestelle, reichte Formular um Formular ein und scheute keine me machen.» Steger sitzt in seinem klimatisierten Büro am Kosten, bis er endlich im Besitz der begehrten Urkunde Eingang zur grössten Schweizerkolonie von Hua Hin. Er war. 2006 war Baubeginn, 2008 zogen die ersten Bewohner nippt an einem thailändischen Energy-Drink und raucht ein. Als sogenannte Leaseholder kaufen sie für 30 Jahre das eine Zigarette nach der anderen. Er ist 59, ein grossgewachWohnrecht, das sich zweimal um weitere 30 Jahre verlänsener, hagerer Kerl mit Bart und wachem Blick. Ein Mann, gern lässt. der seinen eigenen Weg gegangen ist. Mittlerweile haben sich 120 Bewohner in der Anlage nieMit 50 hatte Steger genug von der Schweiz. Das Wetter, dergelassen, 80 Prozent sind Schweizer. Stegers Idee ist die Politik, die Beamten, alles zerrte nur noch an seinen Wirklichkeit geworden. Der tropische Garten, der Pool, das Nerven. Er liquidierte das Sanitär- und Heizungsgeschäft, zwischen den zweistöckigen Häusern mäandrierende Urdas er von seinem Vater übernommen hatte, und reiste auf waldflüsschen bilden eine anmutige Kulisse. Bloss dröhder Suche nach einem Alterssitz um die halbe Welt. Zunen auf dem Areal auch jetzt noch die Betonmischer. Zwei nächst hatte er die Karibik im Visier; ohne seine Frau zu letzte Trakte mit Wohnungen und Hotelzimmern werden fragen, kaufte er in der Dominikanischen Republik ein um habe er seiner neuen Freundin von Anfang erklärt, dass er nicht der Zahlmeister des ganzen Clans sei. Aber er sorge für sie und ihre 13jährige Tochter. Die ist vor kurzem ebenfalls eingezogen und soll jetzt eine gute Schule besuchen. Als erstes hat ihr Baumgartner einen Computer gekauft. Ausserdem hat er verfügt, dass in seinem Haus nur noch Englisch gesprochen wird. Noch sei die Verständigung etwas schwierig, meint er, aber für den Alltag reiche es. Er selber hat es nach ein paar Lektionen aufgegeben, Thailändisch zu lernen. «Ich habe nun einmal kein ausgeprägtes Sprachtalent.»

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hochgezogen. Später sollen Einrichtungen wie das Medical Center folgen, das aus finanziellen Gründen bis jetzt ein Projekt geblieben ist. «In Thailand zu bauen ist sehr viel anspruchsvoller als in der Schweiz, auch ich musste Lehrgeld zahlen», sagt Steger. «Hier muss man sich um alles selber kümmern.» Der tägli­ che Kleinkrieg auf der Baustelle ist ihm an die Substanz gegangen. Am meisten ärgerte ihn aber, dass es in seiner Residenz auch Leute gab, die überhaupt n­icht zu schätzen

«Ich bin nicht nach Thailand ­gekommen, um dieselbe Schrebergartenmentalität wie in der Schweiz zu geniessen», meint einer. wussten, was er geschaffen hatte. Leute, die gegen ihn auf die Barrikaden stiegen und, wie er sagt, die Atmosphäre vergifteten. Da wurde es ihm zu viel. Das Herz machte nicht mehr mit; im Spital in Bangkok musste er sich einen Stent einsetzen lassen. Der Konflikt mit einigen Leaseholdern begann mit Diskussio­nen um Kleinigkeiten wie die Höhe des üppig spriessenden tropischen Buschwerks zwischen den Häu­ sern oder den Belag der Fusswege, die in der Regenzeit zu Rutschbahnen wurden. Manche mäkelten am ambitionier­ ten Kochstil von Stegers Sohn herum, der das Restaurant führt, andere hielten den Baulärm nicht mehr aus. Ein pen­ sionierter Buchhalter nahm die Nebenkostenabrechnung unter die Lupe und stellte angebliche Ungereimtheiten fest, eine Gruppe verlangte, dass endlich das versprochene ­Medical Center eingerichtet werde, andere kritisierten die vermeintliche Arroganz der Führungscrew um Cornelius Steger. Einen Tiefpunkt erreichte die Stimmung, als mehre­ re Bewohner an Denguefieber erkrankten. Schliesslich kam es zum Eclat – Anfang 2010 verliessen die ersten unter lau­ tem Protest das Seniorenparadies. Seither haben etwa drei Dutzend Bewohner ihre Verträ­ ge aufgelöst und dabei zum Teil happige Einbussen in Kauf genommen. Mehrere verschaffen ihrer Enttäuschung im Internet Luft. Ein Ehepaar schreibt: «Wir waren gewohnt, in Freiheit zu leben und unsere Entscheidungen selber zu treffen. Auch wenn wir, wie alle anderen, auf unzählige Versprechungen hereingefallen sind, müssen wir dies nicht zwangsläufig akzeptieren und den letzten Abschnitt in ei­ nem Ghetto verbringen.» Ein anderer doppelt nach: «Die Intoleranz und Dummheit – um nicht zu sagen: Hörigkeit – einer ansehnlichen Zahl der Bewohner hat mir immer mehr zu schaffen gemacht. Ich bin nun wirklich nicht nach Thailand gekommen, um dieselbe Schrebergartenmentali­ tät wie in der Schweiz zu genies­sen.» Auch Hans und Vera Burkard haben die Seniorenresi­ denz nach fast drei Jahren verlassen. Sie sind in ein Haus in einer kleineren, gemischten Siedlung etwas ausserhalb der Stadt gezogen und scheinen nur darauf zu warten, ihre Er­

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fahrungen publik zu machen. «In meinem Leben bin ich nie so beschissen worden», schimpft Burkard. «Irgend­ wann hatten wir einfach genug von all den nicht eingehal­ tenen Versprechungen und von der unkritischen Haltung der meisten Mitbewohner.» Burkard ist Kunstmaler. Vor bald zwanzig Jahren ver­ liess er seine Heimat, weil er die Mentalität der Schweizer, «die Borniertheit und Engstirnigkeit», nicht mehr ertrug. Er lebte längere Zeit in Südfrankreich, doch mit fortschrei­ tendem Alter sorgte «der ewige Mistral» zunehmend für ­gesundheitliche Probleme. Burkard hatte Lungenentzün­ dungen, die Legionärskrankheit, litt an einem Pneumotho­ rax, und dann kam auch noch Diabetes dazu. Der Arzt riet ihm zu einem tropischen, feuchtwarmen Klima. Im Inter­ net stiess er auf «Lotuswell». «Das medizinische Angebot dort war für unsere Wahl entscheidend», sagt der 75jährige. «Doch das existierte eben nur auf dem Papier.» Burkard machte sich dafür stark, dass das Medical Center endlich gebaut würde – doch fand er offenbar nicht die nötige Ge­ folgschaft, was ihn noch mehr frustrierte. «Was immer der Geschäftsleiter beschlossen hatte, wurde bei den Leasehol­ derversammlungen gläubig mit Applaus belohnt und ange­ nommen. Das Ganze glich für mich immer mehr einer An­ stalt oder Sektenklause.» Cornelius Steger will auf solche Vorwürfe gar nicht ein­ gehen. «Wir haben eine Eigentümerversammlung, unsere Entscheide werden demokratisch gefällt, jeder hat eine Stimme – auch ich. Aber es gibt offenbar Leute, die Mehr­ heitsentscheide nicht akzeptieren können.» Es ist Abend geworden in der Seniorenresidenz. Um die 30 Pensionäre haben sich im Freiluftrestaurant Sala Bua ein­ gefunden, die Tische sind schön gedeckt, Kerzen flackern in der schwülen Tropennacht. Von unerträglichen Span­ nungen, vom Kleinkrieg ist nichts zu spüren. Steger schrei­ tet durch die Reihen. Er begrüsst den fröhlichen Jürg Räz, der seinen Ferientag bei einem Wurstsalat ausklingen lässt; er klopft dem 79jährigen Erwin Wegmann auf die Schulter, der sich kürzlich seinen Bubentraum verwirklichte und ein Motorrad mit Seitenwagen kaufte; er erkundigt sich bei ei­ ner älteren Dame, die von der Chemotherapie zurückge­ kommen ist, nach dem Verlauf der Behandlung; die 79jäh­ rige Rosmarie Schneiter möchte wissen, ob jemand sie morgen zum Arzt begleiten könnte, da sie ja leider kein Englisch spreche. Rosmarie Schneiter ist die älteste Bewohnerin im «Lo­ tuswell» und froh, wenn man sich ein wenig um sie küm­ mert. Sie ist erst seit knapp einem Jahr hier und war in ­ihrem Leben oft allein. Ihr Ehemann starb vor 33 Jahren, und vor zwei Jahren verlor sie ihre beste Freundin, mit der sie ins Altersheim in Bern ziehen wollte. So entschied sie sich, ihren Lebensabend im günstigen Thailand zu verbrin­ gen. Sie kam mit ihrem Sohn, der die Altersresidenz im In­ ternet gefunden hatte. Nach einer Woche, als er alles gere­ gelt hatte, reiste er wieder ab. Vielleicht werde er später

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von Landsleuten suchten. «Ich halte da lieber etwas Di­ stanz.» Auch Kurt Seewer ist mit seiner Lebenspartnerin Ruth Darnuzer nach Thailand gezogen, um in einem wär­ meren Klima alt zu werden. Ruth Darnuzer leidet seit der Geburt an rheumatischen Gelenkentzündungen, und ihr Arzt riet ihr zu einem tropischen Klima in der Nähe zum Meer. Die Schmerzen sind seither zurückgegangen, die Medikamente konnte sie absetzen. «Für mich war immer klar, dass ich nie in ein Schweizer Pflegeheim will», sagt sie. «Ich habe in meiner eigenen Familie erlebt, was das heisst.» Das Paar hat deshalb ein rollstuhlgängiges Haus gewählt, und sollte einmal eine Pflegeperson nötig sein, gibt es ge­ nügend Zimmer. Die Nachbarschaft ist gemischt, Pensionäre aus sieben verschiedenen Nationen leben in der elf Bungalows zäh­ lenden Alterssiedlung. Kurt Seewer und Ruth Darnuzer schätzen das internationale Umfeld; beide haben sie jahre­ lang im Ausland gearbeitet, er als Berater, sie als Chefsekre­ tärin. Sie haben schnell neue Freunde gefunden. Er ist im lokalen Rotary Club aktiv, sie engagiert sich für behinderte Kinder. «Man muss dem Leben selber einen Sinn geben», sagt Ruth Darnuzer.

einmal nachkommen, sagt Frau Schneiter. «Jetzt muss er noch arbeiten, und ausserdem hat er einen Hund.» Frau Schneiter gehört nicht zu den Leuten, die sich beklagen. Sie hat sich daran gewöhnt, dass es in Thailand nicht nur warm ist, sondern sehr oft brütend heiss. Sie nahm es in Kauf, dass sie vier Monate auf den Einbau der Küche warten musste, und der Baulärm direkt hinter ihrem Haus stört sie nicht gross. «Ich habe es gut hier. Der Pool, das Essen, die Leute», sagt Frau Schneiter, «das ist schon besser als ein Schweizer Altersheim.» Im November werde der Sohn das erste Mal auf Besuch kommen, er habe es versprochen. Das Bett in seinem Zimmer, sagt sie, habe sie bereits bezogen. Die Spannungen in der Altersresidenz Lotuswell sind unter den Schweizern in Hua Hin ein beliebtes Gesprächsthema. Der neuste Klatsch macht schnell die Runde, am Bartresen, beim Golfturnier und beim Sonntagsbrunch im Strand­ hotel. Wer recht hat, ist für Aussenstehende schwer abzu­ schätzen – wie bei einem Ehekrach. Dass es Probleme gibt, wenn eine Hundertschaft unterbeschäftigter Schweizer in einer Altersresidenz miteinander kutschieren müssen, er­ staunt jedoch die wenigsten. «Mir wäre es in einer Residenz viel zu eng», sagt Kurt Seewer, der seit dreieinhalb Jahren in Hua Hin lebt. Ausser­ dem gehöre er nicht zu denen, die primär die Gesellschaft

Andreas Heller ist NZZ-Folio-Redaktor. Fotos: Dario Pignatelli, Bangkok/Rom.

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SCH L AG LICHT

Seid umschlungen, Billionen! Seit Finanzkrise, Schuldenkrise und Rettungsschirmen sind uns Zahlen geläufig, die wir uns gar nicht vorstellen können. Von lumpigen Millionen spricht schon lange niemand mehr. Dollars zu Billionen hat die Finanzkrise in diesem Jahr vernichtet, um 2,1 Billionen darf Präsident Obama die Staatsschulden erhöhen, Billionen haben die Kriege in Afghanistan und im Irak gekostet – und die Hunderte von Milliarden Euro, mit denen die EU zugunsten ihrer überschuldeten Mitglieder jongliert, taumeln auch schon der Billion entgegen. Billion! Tausend Milliarden! Eine Million Millionen! Noch vor wenigen Jahren kam diese kaum vorstellbare Zahl in keiner Zeitung vor. Was ist eigentlich passiert?

12 Nullen für 1 Terabyte Ja, die Weltbevölkerung hat sich in den letzten hundert Jahren vervierfacht; weit mehr multipliziert hat sich die Menge der Güter, die sie herstellt; und die Kaufkraft der meisten seriösen Währungen ist seit 1900 auf etwa einen Zwanzigstel geschrumpft. Für 12 Nullen hätte das nicht gereicht. Dann aber kam die hemmungslose Verschuldung vieler grosser Staaten – und die wilde Jagd der Zertifikate, Derivate, Leerverkäufe durch die Börsen der Welt. An einen Zahlenrausch hatte das Internet uns gewöhnt: Für 1 Billion Informationseinheiten steht das Terabyte bereit. Und wie viel ist das eigentlich, eine Billion? 1 Billion Dollar, unter die 7 Milliarden Menschen verteilt, ergäbe 143 Dollar für jeden. 1 Billion Kubikmeter: Das wäre zwanzig Mal die Wassermenge des Bodensees. 1 Billion Millimeter: Das ist die dreifache Entfernung des Mondes von der Erde. Für Napoleon: schäbige Millionen Zwölf Nullen! Mit dreien war das Abendland die längste Zeit zufrieden. Schon «1000» galt als Symbol für das Unermessliche: «Wenn die 1000 Jahre vollendet sind», heisst es in der Apokalypse (20, 7), «wird der Satan losgelassen.» Und war nicht die Erde ganze 6000 Jahre alt – erschaffen 4004 v. Chr.? Der irische Bischof Ussher hatte das 1698 so errechnet, und bis weit ins 19. Jahrhundert vertrauten ihm die meisten. Die Million kam zuerst um 1300 in Gebrauch, in italienischen Banken: milione,

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eigentlich «Grosstausend». Und was war sie noch wert anno 1803! Da verkaufte Napoleon, weil er Geld für seine Kriege brauchte, die französische Kolonie Louisiana für 15 Millionen Dollar an die jungen USA, die damit ihre Fläche fast verdoppelten – 15 Millionen Dollar für 2,1 Millionen Quadratkilometer Land westlich des Mississippi, fast viermal die Fläche des heutigen Frankreich. Heute bekommt man für diese Summe ein gehobenes Anwesen in Malibu.

Für Bismarck: 5 Milliarden Das Wort für 1000 Millionen, die Milliarde, die 1 mit 9 Nullen, war bis 1871 nur Mathematikern geläufig. Dann erst sprang es in die Schlagzeilen: weil das Deutsche Reich vom besiegten Frankreich eine weithin als schamlos empfundene Kriegsentschädigung verlangte – 5 Milliarden Francs. Dass die Menschheit um 1800 auf eine Milliarde angewachsen war, davon sprach damals keiner. Zum Thema wurde erst die dritte Milliarde, 1960 erreicht: Da warnte die Uno vor den Problemen, die aus der galoppierenden Zunahme der Esser auf Erden folgen würden. 7 Milliarden sind wir inzwischen. Und die Milliardäre? Als erster gilt der Ölkönig John D. Rockefeller (1839–1937). Die «New York Times» hat sein Vermögen auf 192 Milliarden Dollar nach heutigem Geld geschätzt und ihn zum reichsten

Menschen der Weltgeschichte ausgerufen. Heute ernährt die Erde, nach der Liste des amerikanischen Wirtschaftsmagazins «Forbes», 1210 Milliardäre (52 davon in Deutschland, 26 in der Schweiz, die ansässigen Ausländer eingeschlossen).

Eine Milliarde – was ist das schon? Was heisst das, Milliardär zu sein? Zum Beispiel dies: Wer mit 40 Jahren 1 Milliarde Dollar besässe und weitere 40 Jahre davon leben wollte, dem stünden pro Jahr 25 Millionen, pro Tag also 68 000 Dollar zur Verfügung – nicht ganz leicht auszugeben. Doch ausgeben: Das liegt Milliardären nicht. Nach aller Erfahrung folgt aus dem Besitz der ersten Milliarde nur eines: die zweite muss her! Das ist irrational, aber schlüssig: Denn wer nicht von solcher Gier besessen wäre, der hätte wahrscheinlich auch die erste Milliarde nicht geschafft. Um es zu der zu bringen, braucht man einen guten Riecher, Glück, Machtlust und ein erotisches Verhältnis zum Geld. Von Millionären spricht unterdessen kaum noch einer. Längst gibt es die zu Millionen, laut «Forbes»: fast 1 Million allein in Deutschland, 11 Millionen auf der Welt. Der erste Billionär würde uns wahrscheinlich mehr interessieren. Ein paar Jahre noch! Wolf Schneider Illustration: Angelo Boog

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VOM FAcH

A M H E RD

Unter Reitern

Der Mann im Hintergrund

Neulich beim Pferdehändler. Was reden die da?

Das «Schäfli» in Wigoltingen ist eine der feinsten Adressen der Schweiz – dank schwäbischer Präzision und einem tamilischen Naturtalent.

«Wenn Sie einen Dressurcrack suchen, empfehle ich den Fuchs mit dem schwar­ zen Ohrengarn und der weissen Schabra­ cke. Super Pedigree, tolle Hinterhand!» «Placierungen?» «Gerade einen Spécial gewonnen. War nicht mal heiss beim Abreiten im frem­ den Viereck! Seine GGA sind raumgrei­ fend, und in der Piaffe nimmt er wunder­ bar Last auf, wie Totilas.» «Ich seh schon, er schreitet mit Übertritt. Und die anderen Lektionen?» «Die Traversalen macht er mit viel Gum­ mi, die Wechsel bergauf. Für die Einer gab’s auch schon die Zehn.» «Welches Stockmass hat er?» «Mit Eisen 182 cm, schon als Remonte gross, aber immer fein an den Hilfen.» «Kann ich ihn mal zur Probe reiten?» Fuchs: Pferd mit braunem oder rötlichem Fell, Schweif und Mähne. Ohrengarn: Käppchen, das die Pferde gegen Insekten über den Ohren tragen. Schabracke: Sattelunterlage. Pedigree: Stammbaum. Hinterhand: Hinterteil des Rückens und Hinterbeine. Placierungen: vordere Plätze bei einem Wettkampf. Spécial: Grand Prix Spécial, das schwierigste Dressurprogramm. Heiss: temperamentvoll bis nervös. Abreiten: Aufwärmen vor dem Wettkampf. Viereck: Platz von meistens 20 × 60 Metern, auf dem Dressurwettkämpfe stattfinden. GGA: die Grundgangarten Schritt, Trab, Galopp. Piaffe: trabartiges Treten auf der Stelle. Nimmt Last auf: Pferd tritt mit den Hinterbeinen weit unter den Schwerpunkt seines Körpers. Totilas: teuerstes Dressurpferd aller Zeiten. Übertritt: Mass, mit dem die Hinterbeine die Spur der Vorderbeine übertreten. Lektionen: einzelne Elemente und Aufgaben in der Dressur. Traversale: Lektion, vorwärts-seitliche Bewegung. Mit Gummi: elastisch. Wechsel: Wechsel vom Links- in den Rechtsgalopp oder umgekehrt. Bergauf: vorwärtsaufwärtsgehender Bewegungsablauf. Einer: fliegende Galoppwechsel bei jedem Sprung. Zehn: Höchstnote, die die Richter vergeben. Stockmass: Höhe des Pferdes, gemessen an der Stelle, wo der Hals in den Rücken übergeht. Eisen: Hufeisen. Remonte: junges Pferd, das noch in der Grundausbildung ist. Hilfen: Einwirkung des Reiters, mit der er dem Pferd andeutet, was es tun soll. Anna Widmer

Haben Sie Lust, ein «Vom Fach» zu schreiben? Dann schicken Sie Ihren Vorschlag, wir prüfen ihn gern: folioredaktion@nzz.ch. Eine Liste der Dialoge gibt es online: bit.ly/ehtmPu

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Während der Sommerferien fuhr Wolf­ gang Kuchler mit dem Velo von Genf bis nach Santiago de Compostela. Zehn Stunden sass er täglich im Sattel, nach zehn Tagen hatte er die 1850 Kilometer geschafft. Ausdauer beweist der 60jähri­ ge auch in seinem Beruf: Seit 27 Jahren kocht er in seiner Taverne zum Schäfli in Wigoltingen, und dies auf einem Niveau, das andere nur mit einer ganzen Brigade erreichen. Der Gastroführer «Gault Mil­ lau» nennt ihn «den wohl besten Allein­ koch der Schweiz». Die Auszeichnung ist verdient. Kuch­ ler ist ein geradezu heroischer Einzel­ kämpfer. Aber so wie im Radsport die besten Fahrer von Wasserträgern oder Domestiken unterstützt werden, so hat auch jeder Spitzenkoch zumindest einen Gehilfen oder Commis. Bei Kuchler ist dies der Tamile Velasamy Sirakumar, ge­ nannt Simi. Am 26. Oktober 1989 stand der Asyl­ bewerber aus Sri Lanka vor der Türe des «Schäfli» und erkundigte sich nach Arbeit. Kuchler, selber vor kurzem aus Stuttgart in die Schweiz eingewandert und im Hei­ matdorf seiner Ehefrau Marlies heimisch geworden, drückte ihm einen Besen in die Hand und liess ihn zuerst einmal putzen. «Wir verstanden uns auf Anhieb», sagt Kuchler. «Ich merkte sofort: Er ist einer wie ich – ein Perfektionist.» Bald half Simi in der Küche mit. Zuerst als Tellerwäscher, dann durfte er Gemüse rüsten. Der gelernte Textilkaufmann hat­ te keine Mühe mit den langen, spitzen Messern der Profis. Längst beherrscht er das ganze Repertoire der Haute Cuisine.

Er bereitet die konzentrierten Jus aus Krustentieren und Ochsenschwänzen zu, welche die Basis von Kuchlers Küche bilden, und er beherrscht auch elaborier­ te Kreationen mit bretonischem Hum­ mer, Trüffeln und Gänseleber. «Simi ist für mich längst mehr als ein Gehilfe, er ist mein Assistent», lobt Kuchler. «Wenn ich ihn nicht hätte, müsste ich wohl zwei bis drei gelernte Köche anstellen.» Nach 22 gemeinsamen Jahren verste­ hen sich die beiden blind. Die Türe zur Küche ist im «Schäfli» stets weit offen, aber kaum ein Laut dringt von dort in die Biedermeierstube. «In der Küche sollte es ruhig sein wie in einer Kirche», sagt Kuchler. «Jeder muss wissen, was er zu tun hat.» Simi ist heute für die Vorspeisen zu­ ständig. Flink arrangiert er eine Essenz von Krustentieren, ein mit Ziegenkäse gefülltes Mangoldblatt und ein Gänse­ leberparfait zum Amuse­bouche; dann richtet er aus verschiedenen Tomaten­ sorten, mariniertem Mozzarella und fri­ tiertem Basilikum einen kunstvollen Spätsommersalat an. Die mit Fischfarce gefüllten Maultaschen mit Hummer und Gambas sind dann aber Sache des Schwaben Wolfgang Kuchler. Er persönlich, sagt Simi lachend, esse ja am liebsten so richtig scharf. Aber das passe natürlich nicht so recht ins «Schäf­ li». Die Küche des Gourmetrestaurants trägt ganz klar die Handschrift eines klas­ sisch ausgebildeten Meisters. Da und dort glaubt man aber doch asiatische Einflüsse zu erkennen. Etwa beim Carpaccio mit Sesam­Schalotten­Chutney. Oder auch bei Desserts wie dem Fruchtsalat mit hausgemachtem Passionsfruchtsorbet. Zum Klassiker geworden ist der Brioche­ Zitronengras­Pudding mit Sauerrahm­ glace. «Simi bringt mich immer wieder auf neue Ideen», sagt Kuchler. «Und der Cur­ ry, den er exklusiv für einen Stammgast zubereitet, ist wirklich Spitze.»

Andreas Heller Illustration: Serge Nyfeler Rezept online unter www.nzzfolio.ch

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JEDE

N FR E I TA G IN D ER 20 M INUT EN B OX

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DaS e x pe Ri m e nt

Showdown im Ngorongoro-Krater Als der Tierschützer Bernhard Grzimek in den 1960er Jahren herausfinden wollte, wie ein Rhinozeros die Welt sieht, machte er sich auf die Suche nach einem Gumminashorn. Es ist eines der ungewöhnlichsten Bilder aus der Tierverhaltensforschung: Bernhard Grzimek steht in der weiten Ebene des Ngorongoro-Kraters in Tansania alleine einem Nashorn gegenüber. Zwischen ihm und dem Bullen einzig ein aufblasbares Nashorn aus der Nürnberger Gummi- und Plasticwarenfabrik Eitel. «Ich vergesse ganz, dass mich nur Luft und ein bisschen Plastic-Haut von einem angriffslustigen Nashornbullen trennen», schrieb er später über die Begegnung. Vergessen hatte er offenbar auch, was er mit dem Experiment wollte. Jedenfalls sucht man in seinem Bericht darüber vergeblich nach einer Deutung. Das aufblasbare Nashorn stand am Ende einer langen Reihe von Tierattrappen, mit denen Grzimek seit den 1940er Jahren versucht hatte, herauszufinden, wie ein Tier die Welt sieht. Wie ähnlich musste eine Attrappe oder ein Bild sein, damit es als Artgenosse wahrgenommen wurde? Vermutlich ahnte er, dass er nur scheitern konnte: «Wir Tierforscher haben es nicht ganz leicht, herauszufinden, was in Tierköpfen geschieht. Es geht uns ähnlich wie den Menschenpsychologen, die wissen möchten, was (…) ein kleiner Mensch denkt, der noch nicht reden kann.» Während des Zweiten Weltkriegs unternahm Grzimek im Auftrag des Veterinärinspekteurs des Heeres Versuche zum «Erkennen von plastischen Nachbildungen und Bildern durch Pferde». Als Grund für diese Arbeit gibt Grzimek an, er wolle Aufschluss über «das oft unerklärliche Scheuen der Pferde» gewinnen. Doch der Antrieb, immer neue Versuche zur «Begrüssung zweier Pferde» oder «Zum Verhalten von Elefanten zu Bildern und kleinen Tieren» durchzuführen, dürfte ebenso sehr der Russlandfeldzug gewesen sein. Laut seiner Biographin Claudia Sewig hoffte Grzimek, so der Einberufung an die Front zu entgehen. Über das Verhalten von Tieren gegenüber Attrappen und Bildern gab es viele Anekdoten: ein Hund, der kleine Tonlöwen anbellte, ein Wolf, der ein Hundebild zerriss (ein Papier gleicher Grösse zerriss er allerdings auch). Gesichert war einzig,

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Bernhard Grzimek mit attrappe: Wenn der nashornbulle wüsste!

dass Männchen mit allem zu kopulieren versuchten, was auch nur geringste Ähnlichkeit mit einem Weibchen hatte. Grzimek konfrontierte seine Pferde als erstes mit einem «nicht gerade naturgetreu ausgestopften Pferd, das jahrelang im Schaufenster eines kleinen Sattlermeisters gestanden hatte», und später mit Pferdebildern auf Papptafeln. Die Pferde verhielten sich vor diesen Attrappen ähnlich wie bei richtigen Pferden. Dass zwei Hengste schon in 20 Metern Entfernung wieherten, eine Erektion bekamen und zum Sprung auf das Papppferd ansetzten, bewog Grzimek allerdings dazu, «auf irgendeine andere Art nachzuprüfen», wie echt Attrappen auf Tiere wirkten. Nach dem Krieg wurde Grzimek Direktor des Zoos Frankfurt. Um die Zebras dort bei Kinderfesten vor der «Belästigung der Kinder» zu schützen, stülpten sich zwei junge Angestellte ein Zebrakostüm über und streiften durch den Zoo. Als sie dabei einmal ins Gehege der Zebras gerieten, beobachtete Grzimek, dass sie wie ein richtiges Zebra begrüsst wurden. Das brachte ihn auf die Idee, auf seine nächste Afrikareise ein Zebrakostüm mitzunehmen. In diesem Kostüm schickte er im Herbst 1958 zwei afrikanische Helfer in Richtung einer frei weidenden Zebraherde. Doch die Zebras liefen weg. Grzimek vermutete, dass unter anderem

der unnatürliche Gang für den Misserfolg verantwortlich war, und zog das Kostüm im nächsten Jahr über ein gepolstertes Holzgestell, das er an einem Wasserloch aufstellte, wo es Löwen niederrissen. Doch auch das Holzgestell befriedigte Grzimek nicht. Zwei Jahre lang suchte er einen Gummihersteller, der ihm aufblasbare Giraffen, Löwen, Elefanten und Nashörner herstellen würde. Als Filmemacher und Fernsehmoderator hatte er damals wohl schon mehr die Wirkung des Bildes im Auge als den wissenschaftlichen Gehalt. Anders als die Versuche mit den Pferden und Zebras publizierte er die Studie mit den aufblasbaren Tieren nicht mehr in einer Fachzeitschrift, sondern in seinen populärwissenschaftlichen Büchern: «Nur einmal berührt sein Horn den Kopf des Kunstnashorns, ich habe schon Angst, dass er merkt, wie weich der Schwindel ist, doch nichts dergleichen. Haute er wirklich in mein dünnhäutiges Rhino, stünde ich schnell allein da.» Ob das Nashorn das Gummitier als Artgenossen wahrnimmt oder als Spielball, kann Grzimek nicht klären. Grzimeks spektakuläre Aufnahmen aus Afrika haben Millionen von Menschen über die Gefährdung der Tiere aufgeklärt. Dass wir immer noch nicht wissen, wie ein Nashorn die Welt sieht, ist darob zu verschmerzen.

Reto U. Schneider

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Holz ohne Ende – und auf dem Weg in den Keller geht’s ans Eingemachte.

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We r Woh nt da?

Zusammengestrickt Ein ordentlicher Werklehrer? Eine kompakte Familie, die der Konsumwelt trotzt? Wen eine Psychologin und ein Innenarchitekt anhand der Bilder in diesen Räumen vermuten. Die Psychologin Ein solides Geflecht ist diese Behausung. Gewohnt wird währschaft und naturbe­ tont mit Holz ohne Ende, viel Geknüpftes und Geflochtenes rundum, hier haben auch die Menschen einen starken Zu­ sammenhalt. Die Bewohner leben sehr bestimmt und mit viel Überzeugung ihr Leben: Bescheidenheit, Einfachheit und Nachhaltigkeit sind ihre Ideale, sie schei­ nen dem Fortschritt und der Konsumwelt fast ein wenig zu trotzen. Man wundert sich, dass es überhaupt Strom gibt, der Kühlschrank – fast schon eine «Sünde» – wurde in den Keller ver­ bannt. Immerhin darf das Kind oder dürfen die Kinder mit Playmobil spielen, aber Selbstgebasteltes gibt den Ton an. Man sieht viel Eingemachtes in den Rega­ len, auf Eigenproduktion wird grosser Wert gelegt, im Kühlschrank lagert wohl kaum Fertigpizza. Trotz altem Gebälk und nostalgi­ schem Holzofen hat die ganze Wohnung etwas Sprödes und Schmuckloses, Geld mag man in die Einrichtung nicht wirk­ lich investieren. Vielleicht besteht der Genuss dieser Menschen gerade darin, möglichst wenig zu brauchen, autark und für sich zu sein? Ob die schon immer so und hier waren, oder ob hier Aussteiger

wohnen, die sich dem einfachen Land­ leben verschrieben haben, ist schwer zu sagen. Auch ganz wie früher geht der Mann vielleicht zur Arbeit, die Frau schaut zum Haus mit Umschwung. Das Hinterzim­ mer mit Tisch ist wohl nicht der Salon für Gäste, da betätigt man sich mit Farben, Pinsel und Knüpfwerk, wo man für sich sein kann und nicht ins Menschenge­ tümmel muss. Hier wohnt wahrscheinlich eine kom­ pakte Familie mit einem, zwei oder mehr Kindern, sie leben gerne auf dem Land, sind öko, und alle ziehen am gleichen Ingrid Feigl Strick.

Der Innenarchitekt Hier sind Romantiker zu Hause. Apple hat es noch nicht in dieses Haus geschafft. Anscheinend. In einem Dorfmuseum be­ finden wir uns dennoch nicht. Obwohl die Weidenkörbe und der baumwollene Rucksack dahängen, wie wenn sie vom Assistenten des Freilichtmuseums Bal­ lenberg jeden Morgen frisch drapiert würden. Glaubt man dem, was man sieht, dann sammeln die Bewohner Beeren und kochen sie zu Konfitüre ein, wäh­ rend die Flammen im Holzherd unter den metallenen Kochplatten züngeln.

die Psychologin: «Selbstgebasteltes gibt den ton an.»

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Im Zimmer des Sohnes verlässt die Seilbahn eben die Talstation. Die Spielsa­ chen stapeln sich der zeitlichen Abfolge der Kindergeburtstage gleich auf dem Holzregal. Überhaupt, in diesem Haus ist vieles aus Holz gefertigt. Ein Schreiner hinge­ gen wohnt kaum hier. Vielleicht sind das die Spuren eines Werklehrers der örtli­ chen Schule. Auch die Gouachefarben sind in Gebrauch. Aber das Malatelier scheint nicht im Haus zu sein. Vielleicht gibt es irgendwo einen Ort, wo sich die Töpferscheibe dreht und wo die Späne fliegen. Hier im Haus ist es ordentlich. Selbst im Kinderzimmer sind die Gegen­ stände sorgfältig aufgereiht. Nicht einmal im steilen Abgang zum Keller zeigt sich eine Spur von Chaos. Die Dinge sind unter Kontrolle. Das übergrosse Dach sitzt in sanfter Schwere auf den tragenden Balken des Hauses. Wir sind im Berner Aargau unter Hunder­ ten auf einer riesigen Fläche liegenden Ziegeln. Vielleicht beeinflusst die Ruhe des Hauses die Gewissheit der Bewoh­ ner. Man erfährt wenig über sie. Aber es scheint, dass alle drei ihre Zeit sinnvoll zu Jörg Boner nutzen wissen. Auflösung auf der nächsten Seite

der Innenarchitekt: «Keine Spur von Chaos.»

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Juri, 8, Marek, 9, Bärbel Schwarz, 44, und Daniel Rau, 50: «Fehlt nur noch die Kuh.» Auflösung von der vorigen Seite

Bärbel Schwarz, Sozialpädagogin, und Daniel Rau, Gärtner «Ob wir Ökos sind? Das könnte man schon sagen. Bei der Ernährung, bei den Putz- und Waschmitteln greifen wir auf biologisch unbedenkliche Produkte zurück. Wir haben ein Auto, das wir hauptsächlich geschäftlich brauchen, und auf Flugreisen verzichten wir ganz bewusst. Wir sind beide berufstätig, daneben dieses grosse Haus, das sehr viel Arbeit macht, das erfordert sehr viel Koordination. In dieses Haus zogen wir am 1. Mai 2002 ein. Es ist ein typisches Aargauer Bauernhaus aus dem Jahr 1800, ein Hochstudhaus. Als Hochstud bezeichnet man die Firstständer, eine Art Säulen, die den Firstbalken tragen, auf dem ihrerseits die Rafen liegen. Nach diesem Prinzip wurden übrigens schon die ersten Bauernhäuser in der Jungsteinzeit gebaut. Ursprünglich waren diese Häuser alle mit Stroh eingedeckt – davon gibt es nur noch wenige. Die meisten haben heute wie unseres Schilfbedachung. Vor dem Haus bleiben oft Leute stehen, ma-

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chen Fotos oder freuen sich, wenn man sie hereinbittet und ihnen das Haus zeigt. Daniel und ich lernten uns über einen ehemaligen Arbeitskollegen kennen. Ich arbeitete damals neben meinem Studium in einem Waldkindergarten. Ein altes Bauernhaus zu besitzen reizte uns schon immer. Wir wohnten davor sehr beengt in Brugg: Daniel nach seiner Trennung in einer WG, ich hatte in Tübingen ein Zimmer. In unserem Bauerngarten pflanzen wir an, was uns gefällt, wir sind keine Selbstversorger. Daniel mag Sträucher, deshalb haben wir viele Beeren. Wenn die alle reif sind, bin ich gefordert: Ich koche Konfitüre oder mache Sirup. Es ist nicht so, dass wir prinzipiell nur Selbstgemachtes essen. Die Kinder helfen bei den Arbeiten mit, die ihnen Spass machen, etwa Holz aufschichten; viel lieber spielen sie aber Fussball oder schauen fern. Von den vielen Zimmern in unserem Haus sind nur drei beheizbar. Das Zimmer mit dem Computer und dem Fernseher beheizen wir elektrisch, die anderen mit Holz. Für das Einheizen ist Daniel zuständig. Zum Glück kühlt es nie ganz aus – die Arbeit ist extrem aufwendig.

Im Haus ist es relativ dunkel, und die Räume sind niedrig. Wenn ich im Erdgeschoss stehe und den Arm ausstrecke, berühre ich die Decke. Ich bin 1,65. Daniel ist auch nicht viel grösser. Für uns passt es gut. Die Früchte in der Küche lagern wir wegen der Mäuse in der aufgehängten Ampel. Die ist von einer Freundin, ebenso die Töpferwaren. Ich webe, allerdings nicht zu Hause, sondern in einer Freizeitanlage in Zofingen. Die Experten halten uns für verinnerlicht, denken, wir beschäftigten uns nur mit uns selbst. Das stimmt nicht. Neben dem Haus steht ein alter Getreidespeicher, in dem Daniel jeden Freitagabend eine kleine Bar betreibt. Im Sommer verkaufen wir an den Sonntagnachmittagen Eis. Das Eis stellt ein Bauer aus der Nachbarschaft her: Heidelbeer, Mokka, Vanille, das ganze Sortiment. Manchmal organisieren wir auch eine Ausstellung, ein Konzert oder machen Figurentheater. Wir haben auch ein Kinderatelier, in dem Kinder mit Ton, Holz und Farben experimentieren. Sie können frei schalten und walten. All das machen wir, weil wir in diesem Haus viel Raum und ungewöhnliche Räume haben, die wir gern teilen und zeigen. Ausserdem ist es uns als Zugezogenen wichtig, in die Dorfgemeinschaft hineinzufinden. Kölliken ist klein, hat 4000 Einwohner, wir wohnen im alten Dorfkern. Natürlich träume ich manchmal von einer Zentralheizung, manchmal sogar von einem Loft in der Grossstadt, vor allem, wenn sich eine Ratte unter das alte Buffet verirrt, dort verendet und verwest und wir sie nicht herausbekommen. Es gibt Momente, da möchte man am liebsten alles herausreissen, funktionale Möbel hinstellen und alles weiss streichen. So ein Koller legt sich meist rasch, und wir versöhnen uns mit dem Alten, der Geschichte des Hauses. Auch für die Kinder gibt es kaum etwas Schöneres, als in einer solchen Umgebung aufzuwachsen. Ich selbst hatte als Kind drei Wünsche: ein Bauernhaus, selbst zu weben und eine Kuh zu melken. Zwei Dinge konnte ich mir bisher erfüllen – jetzt fehlt nur noch die Kuh.»

Aufgezeichnet von Gudrun Sachse Fotos: Heinz Unger

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le s e rb ri e fe

worden sind. 1998 und 1999 wurden am Petersdom in Rom Weihehandlungen vollzogen, nachdem sich dort Menschen das Leben genommen hatten. Can. 1211 des Codex des kanonischen Rechts der römisch-katholischen Kirche sieht dies vor, wenn an heiligen Orten «schwer verletzende, mit Ärgernis für die Gläubigen verbundene Handlungen» geschehen sind und der Ortsbischof darauf erkennt, dass «es nicht mehr erlaubt ist, an ihnen Gottesdienst zu halten». Dann hilft ein Buss- oder Weiheritus. Auf heilige Orte lässt sich nicht so leicht verzichten wie auf Pfarrer Martin Streck, Wohnhäuser. Maintal-Dörnigheim (D)

«Puppenstuben des Grauens» im Foyer der NZZ Am Freitag, 16., und Samstag, 17. Septem- trag des Instituts für Rechtsmedizin Züber, zeigte das Folio in einer exklusiven rich angefertigt wurden. Die Geschichte Ausstellung die Tatortmodelle, die in den der minutiösen Rekonstruktionen wird 1970er Jahren von Jacques Bürgi im Auf- im Folio «Am Tatort» (9/2011) erzählt.

Verschwunden «Barbies Albtraum», Am Tatort 9/11

Hoffentlich wird das Geheimnis des Haars auf dem Titelbild nie gelöst. Wunderschön, poetische Einfachheit. Bleibt nur noch die Frage, wo die verschollene Puppenstube aus «Barbies Albtraum» ist. Mein Tip: Der Gärtner war es nicht. Schon eher die Putzfrau, die den KunstwerkCharakter des Objekts verkannte. Oder ein manischer Sammler aus dem engsten Umkreis. Meist sind die Täter ja ganz aus der Nähe. In Berlin ist sogar einmal ein ganzes Zimmer – eher eine Eingangshalle – verschwunden. Jahrzehntelang. Plötzlich tauchte es wieder auf: im Heim eines Bezirks in einer Strasse am Wannsee. Mies van der Rohe hatte den Entwurf gemacht, und das Wissen darum ging bei den Bewohnern verschütt. Aber plötzlich war es wieder da. Zum Tatort gehört ja immer der Täter, leider oft ein «Mörder». Der Luxemburger Kriminologe Armand Mergen hat dazu den schönen Satz geprägt: «Wer und wie ein Mörder ist, weiss Uwe-Jens Has, Berlin nur der Laie.»

Zum Heulen

den Opferberatungsstellen. Was da in einer einzigen Woche an menschlichem Elend zusammenkommt, ist schlicht zum Marianne Lüthi, per E-Mail Heulen.

In die Wüste geschickt «Wenn Hirne wandern», Ausgewandert 10/11

Unsere Beamten haben wirklich das Talent, sich zum Gespött zu machen. Da muss also der ETH-Professor und Nobelpreisträger Kurt Wüthrich in die USA auswandern, weil er an der ETH mit 65 zwangspensioniert wird! Obwohl es Kurt Wüthrich in La Jolla sehr zu gefallen scheint, kann ich mir nicht vorstellen, dass die Wüsten Kaliforniens wirklich eine Alpweide im Berner Oberland ersetzen können. Ich habe im Sommer am Lyssbachmärit vorbeigeschaut, leider ein paar Tage bevor es losging. Das hätte Wüthrich – als gebürtigem Aarberger und Ehrenbürger von Lyss – ganz sicher besser gefallen als eine Fourth-of-July-Party mit Hot Dogs, Cheerleadern und Fähnchenschwingen. Bleibt ihm und vor allem der Schweiz zu wünschen, dass er bald wieder ganz zu uns zurückkehrt. Martin Kashaf, Scuol GR

Willkommene Abwechslung 20 Jahre Folio 8/11

Noch immer bin ich am Lesen der letzten Ausgabe. Ich lese alles, von Anfang bis Ende. Einfach Spitze! Ich bin Oberin eines Klosters, habe darum wenig Zeit, ich lese es abends im Bett. Eine willkommene Abwechslung nach den Sorgen des Tages. Sozusagen escape literature, so wie anglikanische Bischöfe Krimis lesen. Seite 119, «Von Jubiläen» von Urs Widmer, habe ich mehrere Male gelesen, so gut ist es. Aber auch Seite 87 – die Zahnschmerzen des Killers – schaue ich mir immer wieder an. Ich werde das Blatt meinem Zahnarzt mitbringen. Sr. Anna Benedicta Glauser, St. Niklausen

Au flÖs u ng

Binders Vexierbild, S. 15 Dreht man das Bild um 180 Grad, erkennt man zu Füssen des Mannes als kleine Figur das gesuchte Südseemädchen. Der Mann ist der französische Maler Paul Gauguin (1848–1903), der 1891 für zwei Jahre nach Tahiti zog; 1895 wanderte er dahin aus. Zerlegt, S. 13

Am Tatort 9/11

Einmal mehr ein hochinteressantes Folio mit überraschenden Geschichten – selbst ein so alter und bekannter Fall wie derjenige von Seewen wird so erzählt, dass er frisch und spannend wirkt. Absolut erschütternd fand ich die Protokolle aus

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Heilige Tatorte «Leichen im Keller», Am Tatort 9/11

Nur zu verständlich ist die Scheu, dort zu wohnen, wo ein Verbrechen begangen wurde. Auch heilige Orte werden anders empfunden, wenn sie zum «Tatort» ge-

ganz: Cocktailkleid von schumacher.

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Folio Folie s

Aus Gründen des Urheberrechts nicht elektronisch erhältlich.

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VORSCH AU

Verantwortung

I M PRE S S U M Redaktion Daniel Weber (Leitung), Reto U. Schneider (Stv.), Andreas Heller, Anja Jardine, Gudrun Sachse, Barbara Klingbacher, Florian Leu (Volontär), Katja Abderhalden (Sekretariat) Gestaltung und Produktion Partner & Partner / Benno Maggi (Art Direction und Bildredaktion), Ernst Jaeger Die Autoren der Rubriken Marc Lettau, Journalist, Bern Luca Turin, Duftforscher MIT, Boston (USA) Jeroen van Rooijen, Mode- und Stilkritiker der NZZ Hannes Binder, Illustrator, Zürich (Vexierbild) Wolf Schneider, Schriftsteller, Starnberg (D) Anna Widmer, Studentin an der Uni St. Gallen Gerhard Glück, Cartoonist, Kassel (Folio Folies) Korrektorat Alexandra Bernoulli, Urs Remund, Zürich Titelblatt Max Grüter und Patrick Rohner, Zürich Übersetzung Robin Cackett, Berlin (Seitenblick) Bildnachweise S. 5: Eirini Vourloumis, Athen; S. 7: Julian Salinas, Zürich; S. 27: zVg Archiv Pater Urs, Kloster Engelberg; S. 43: imago / Wolf P. Prange; S. 44: Institute of Molecular Biology and Biophysics, ETH Zürich; S. 46: Privatarchiv Gaudenz Danuser; S. 75: Prof. Bernhard Grzimek / OKAPIA; S. 80: Janine Schranz, NZZ. Adresse Redaktion Redaktion NZZ Folio, Falkenstrasse 11 Postfach, CH-8021 Zürich Tel. +41 44 258 12 40, Fax +41 44 258 12 59 E-Mail: folioredaktion@nzz.ch Internet: www.nzzfolio.ch Newsletter: E-Mail mit Informationen zur jeweils nächsten Ausgabe: www.nzzfolio.ch/mailing Verlag Andreas Häuptli (Leiter Product Management) Milena Andretta

Das nächste Folio erscheint am 7. November 2011.

Alle reden von ihr, viele entziehen sich ihr, andere übernehmen sie vollmundig, doch wer trägt sie eigentlich, die Verantwortung? Immer schwieriger scheint es zu sein, konkrete Menschen für konkrete Desaster zur Verantwortung zu ziehen. Für die Finanzkrise zum Beispiel. Wieso kann niemand etwas dafür? Der Soziologe Richard Sennett hat sich in der globalen Finanzwirtschaft umgesehen und muss ernüchtert feststellen, welcher Geist dort weht: nach mir die Sintflut. Kein Tramführer würde damit durchkommen. Und alle anderen? Wie verantwortungsvoll konsumieren wir eigentlich? Bin ich mir dessen bewusst, dass jedes Licht, das ich brennen lasse, Einfluss hat auf die Frage: Atomkraft ja oder nein? Dass jedes Ei aus Massentierhaltung eine gequälte Kreatur bedeutet? Und wenn ja, macht das Leben dann noch Spass? Als Unternehmer zum Beispiel? Wie viel Verantwortung trägt der Textilhersteller in der ersten Welt für Kinderarbeit und Umweltzerstörung in der dritten? Ist «Corporate Social Responsibility» mehr als eine Seifenblase? All diesen Fragen geht das November-Folio nach. Auch dieser: Wie viel Verantwortung trage ich für meine Liebsten? Meine Verwandten? Meine Mitmenschen? Und warum müssen und wollen Behinderte dafür kämpfen, die Verantwortung für sich selbst übernehmen zu dürfen? Ein Heft über Last und Lust.

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Anzeigenverkauf Publicitas AG, NZZ Media, Seehofstr. 16, 8021 Zürich Telefon 044 258 16 98, Fax 044 258 13 70 E-Mail anzeigen@nzzmedia.ch, www.nzzwerbung.ch Deutschschweiz: Nicole Costa, Tel. +41 44 258 12 63 Finanzmarkt: Urs Ramsauer Tel. +41 44 258 12 62 Westschweiz: Yves Gumy, Tel +41 21 317 88 08 Leser- und Aboservice Tel. +41 44 258 15 30, Fax +41 44 258 18 39 leserservice-schweiz@nzz.ch Abonnements NZZ Folio wird am ersten Montag des Monats der Inlandauflage der «Neuen Zürcher Zeitung», der «Neuen Zuger Zeitung» sowie Teilauflagen des «St. Galler Tagblatts» und der «Neuen Luzerner Zeitung» beigelegt. Den Auslandabonnenten der NZZ wird es separat zugestellt. Separatabonnements Inland CHF 94 inkl. MWSt, Ausland CHF 105 / € 68 pro Jahr. NZZ Folio erscheint monatlich. Einzelheftbestellung Tel. +41 44 258 13 78, Fax +41 44 258 12 68 Einzelnummern CHF 12 / € 12 Adresse Verlag Verlag NZZ Folio, Falkenstrasse 11 Postfach, CH-8021 Zürich Tel. +41 44 258 12 60, Fax +41 44 258 12 68 E-Mail: folioverlag@nzz.ch Druck und Litho Swissprinters St. Gallen AG, Fürstenlandstrasse 122, 9001 St. Gallen NZZ-Mediengruppe Albert P. Stäheli (CEO) Geschäftsbereich NZZ Markus Spillmann, Marius Hagger, Felix E. Müller, Peter Hogenkamp © Verlag NZZ Folio, 2011 (ISSN 1420-5262). Alle Rechte vorbehalten. Jede Verwendung der redaktionellen Texte (besonders ihre Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung und Bearbeitung) bedarf der schriftlichen Zustimmung durch die Redaktion. Ferner ist diese berechtigt, veröffentlichte Beiträge in eigenen gedruckten und elektronischen Produkten zu verwenden oder eine Nutzung Dritten zu gestatten.

10/2011


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