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Künstlerische Erklärung
DEU
„Vom Himmel HocH, da komme icH Her...” Ludwig van Beethoven, Konversationshefte (1819)
Wir finden diesen Satz handschriftlich in Beethovens Konversationshefte von 1819. In die geheiligte Welt von Beethovens Musik einzudringen bedeutet für mich, eine Dimension außerhalb der Zeit in einem unendlichen Raum zu betreten. Beethoven ist universell, auch kosmisch, ein ganzes Universum... und er war sich dessen voll bewusst. Vor einigen Jahren konnte ich mir nach der Aufnahme der Diabelli-Variationen, Op. 120 noch nicht vorstellen, dass John Anderson mir vorschlagen würde, die 32 Klaviersonaten aufzunehmen. Ich denke, dass die Gelegenheit, einen Gipfel dieser Bedeutung zu erklimmen, ein großes Privileg für einen Pianisten ist, und mehr noch für den Musikliebhaber. Anstatt einen kritischen oder ästhetischen Essay über Beethoven anzubieten, möchte ich den Zuhörern dieser etwa 10 Stunden Musik meine Beziehung zu Beethoven zeigen, denn die Interpretation eines musikalischen Kunstwerks ist immer eine Frage der Verinnerlichung unseres Bewusstseins. Es geht darum, die emotionale Beziehung zu jeder Note der Musik wiederzugeben; es geht darum, die Intimität eines emotionalen Universums zu teilen, das aus dieser Musik entstanden ist. Ich fühle eine besondere Nähe zu Beethoven, weil ich ihm von klein auf zuhörte. Als Erstes entdeckte ich die ‚Eroica‘-Symphonie Nr. 3, und dann die Sonate Op. 27, Nr. 2, ‚Mondscheinsonate‘, die ich mir immer wieder anhörte. Ich war erst sieben Jahre alt und war schon fasziniert von dieser Musik voller Spannung, purer Energie und explosiver Kraft. Viele Jahre lang setzte ich meine Pilgerreise fort und bewegte mich mit diesem außergewöhnlichen Gesamtwerk fort, der bald ein unverzichtbarer Teil meines Lebens wurde. Mein Polarstern!
Heute könnte ich Beethoven als den letzten Barockkomponisten und gleichzeitig als den ersten des 20. Jahrhunderts bezeichnen. Was mich an Beethoven immer fasziniert hat, als ich mein musikalisches Wissen entwickelte und erweiterte, ist die Tatsache, dass er in gewisser Weise allein drei Jahrhunderte Musik ‚abdeckt‘. Diese Aussage mag übertrieben erscheinen, aber zum einen hat er die Form der Fuge in unvorstellbare Dimensionen geführt (ich verweise besonders auf Opp. 106 und 133), zum anderen hat er Komponisten des 20. Jahrhunderts beeinflusst, insbesondere Schönberg, und war sogar eine Inspirationsquelle für Boulez. Tatsächlich finden wir Berührungspunkte zwischen der Sonate Nr. 2 des französischen Komponisten und Beethovens „Hammerklavier” Sonate op. 106, sowohl in struktureller Hinsicht als auch in der Tatsache, dass beide, wenn auch auf sehr unterschiedliche Weise, Gegensätze, sprich einen heftigen Zusammenprall zwischen dem horizontalen und dem vertikalen Material schufen. Beethoven goss alles in eine zu eng gewordene Form ein; Boulez ‚sprengte‘ sie, ließ aber die freigelegten Fundamente eines untergegangenen Gebäudes sichtbar. Ich habe immer verschiedene Editionen verglichen und nach verfügbaren Autographen gesucht, aber heute hat sich meine Spielweise mit Hilfe neuer Veröffentlichungen entsprechend geändert, nicht in emotionaler oder intuitiver Sicht, sondern vor allem hinsichtlich Artikulation, Phrasierung und Dynamik. Wir suchen immer, auch unbewusst, nach Symmetrie; dann entdecken wir, dass Beethoven praktisch mit jeder Reprise immer zahlreiche Details verändert. Ich war an bestimmte interpretative ‚Traditionen‘ gewöhnt, die sich jedoch als Widerspruch zu Beethovens Vorstellungen erwiesen. Ich versuchte, mich in Bescheidenheit so weit wie möglich seinem Willen zu nähern, ohne auf meinen Charakter, meine Spontanität und meine Intuition zu verzichten, da mir bewusst war, dass mein Ziel immer ein work-inprogress bleiben würde; wissend, dass jedes Mal, wenn ein Musiker ein Werk interpretiert, er oder sie etwas produziert, das sowohl absolut als auch relativ ist: absolut, weil jedes Individuum und damit jeder Interpret einzigartig und unwiederholbar in seinen Besonderheiten ist; relativ, weil ein Kunstwerk niemals durch irgendeinen Akt der Interpretation ‚erschöpft‘ werden kann, auch nicht durch den detailgetreuesten der Partitur.
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