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Die Hammerklavier-Sonate
Die Hammerklaviersonate
Sonate Nr. 29 in B-Dur, Op. 106
Komponiert 1817-18, veröffentlicht 1819. Erzherzog Rudolf gewidmet I. Allegro II. Scherzo: Assai vivace III. Adagio sostenuto IV. Introduzione: Largo – Fuga: Allegro risoluto
Die Hammerklaviersonate ist eine Sonate, die sich nicht zuletzt durch ihren schieren Umfang und ihren überragenden Ruf auszeichnet. Sie ist ein monumentales Bekenntnis zum Glauben an die Fähigkeit des Klaviers (und natürlich des Pianisten), eine nachhaltige und dramatisch abstrakte musikalische Auseinandersetzung führen zu können. Wie die Dritte und Neunte Symphonie, die Diabelli-Variationen, die Missa Solemnis und das Streichquartett Op. 131 handelt es sich hier um ein wahrhaft revolutionäres Werk, das vor seiner Komposition eigentlich unvorstellbar war, ein Akt also von tiefgreifender Kreativität. Es markiert eine qualitative und nicht nur eine quantitative oder evolutionäre Entwicklung in der Gattung – so schwer zu spielen, dass nur wenige Pianisten der Generation unmittelbar nach Beethoven es in ihr Repertoire aufgenommen haben. Sein bahnbrechender Status ist heute ein fester Bestandteil des Repertoires. Es war das Werk, das sowohl Elliott Carter als auch Pierre Boulez ausdrücklich in Klaviersonaten aus den 1940er Jahren zum Vorbild machten, einer Zeit, als die gesamte Musiktradition radikal in Frage gestellt wurde. Die Hammerklaviersonate ist zu einem Prüfstein in der Definition und Neudefinition des Genres geworden. Es war Beethovens erste groß angelegte Komposition seit einigen Jahren und das Produkt einer langen Entstehungszeit. Nach den formalen Experimenten der vorangegangenen Sonaten kehrt Beethoven hier zum viersätzigen Schema seiner frühesten Sonaten zurück. Aber selbst wenn Beethoven in dieser, der grossartigsten aller seiner Sonaten, zu einer konventionellen Form zurückkehrt, so geschieht dies doch auf sehr unkonventionelle Weise. Man wird förmlich überwältigt von den Konventionen, auf die er sich stützt; nicht nur wegen des Umfangs, sondern auch in Bezug auf die Techniken, die er anwendet. Analytiker und Kritiker schwelgten in der groß angelegten Verbindung von motivischem Material – eine fast zwanghafte Verwendung von fallenden Terzen – und einer tonalen Strategie in der die Tonika B ständig durch ein H herausgefordert wird. Beethoven führt den Interpreten und den Zuhörer auf die Höhe seines strukturellen und rhetorischen Könnens, und zwar in einer Weise, die keinen Zweifel an seiner Absicht lässt.
Die vier Sätze sind an den formalen Archetypen, die in den frühesten Sonaten verwendet wurden, sehr gut zu erkennen (abgesehen vom fugierten
Finale und nicht von der erwarteten Rondo- oder Sonatenform). Aber von der ersten Note bis zum Finale ist das Werk ungestüm. Es beginnt mit einem Sprung der linken Hand, der die Musik in die einleitende Sonatenform Allegro treibt. Dies ist ein Satz im größten Maßstab mit einer breiten Palette von eng miteinander verknüpftem tonalem Material, in dem aber der Vorwärtsdrang nie nachlässt. Der zweite Satz ist der kürzeste und klarste, wobei lediglich ein Presto im Zweiertakt eingefügt wurde, um die ansonsten geradlinige Form von Scherzo und Trio zu unterbrechen. Aber selbst dieser, der einfachste der Sätze, wird verändert und nimmt aktiv am tonalen Dialog von B-Dur und H-Dur teil. Wenn am Ende des Satzes die Tonhöhen B und H spielerisch nebeneinander gestellt werden, ist dies einer von vielen Momenten, die den Eindruck der Spontaneität mit einer tiefen strukturellen Logik verbinden.
Während der Energiefluss im dritten Satz des Adagio sostenuto abklingt, wird die strukturelle Logik beibehalten. Es bleibt das anhaltende Gefühl, dass die Musik bis an ihre Grenzen getrieben wird. Dieser Satz ist enorm lang – so lang wie oder länger als einige der früheren vollständigen Sonaten – und scheint die ausgedehnten symphonischen Adagios des späteren 19. Jahrhunderts vorwegzunehmen. Auch hier ist der Satz, obwohl es sich um eine erweiterte unabhängige Struktur handelt, an den thematischen und tonalen Eigenschaften der Sonate als Ganzes beteiligt, als Teil einer integrierten mehrsätzigen Struktur. Die Largo-Einleitung zum fugierten Finale ist einer der kürzesten Abschnitte in der gesamten Sonate, aber sie versinnbildlicht auf verblüffende Weise Beethovens schöpferische Leistung. Charles Rosen beschreibt diese Passage als ‚eine der erstaunlichsten in der Geschichte der Musik‘, da Beethoven ‚die Wirkung eines fast unkontrollierten improvisatorischen Satzes‘ mit ‚einer gänzlich systematischen Struktur‘ verbindet. Diese Synthese von Improvisation und System, von Logik und Ungestüm treibt das fugierte Finale an und charakterisiert das gesamte außergewöhnliche Werk.