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Fantasie oder Sonate?

Sonate Nr. 12 in As-Dur, Op. 26

Komponiert 1800-1801, veröffentlicht 1802. Fürst Lichnowsky gewidmet I. Andante con variazioni II. Scherzo. Allegro molto III. Marcia funebre sulla morte d’un eroe. Maestoso andante IV. Allegro

Sonate ‚quasi una fantasia’ Nr. 13 in Es-Dur, Op. 27, Nr. 1

Komponiert 1801, veröffentlicht 1802. Prinzessin Josephine von Liechtenstein gewidmet I. Andante II. Allegro molto e vivace III. Adagio con espressione IV. Allegro vivace

Sonate ‚quasi una fantasia’ Nr. 14 in cis-Moll, Op. 27, Nr. 2, ‚Mondscheinsonate’

Komponiert 1801, veröffentlicht 1802. Der Gräfin Giulietta Guicciardi gewidmet I. Adagio sostenuto II. Allegretto III. Presto agitato

Beethoven hat ein Jahrzehnt lang in Wien gelebt. Sein Ruf nahm zu, und er bekam zahlreiche Aufträge für neue Werke. Es war eine Zeit des beruflichen Erfolges, aber auch großer persönlicher Sorgen, da er sich mit seiner zunehmenden Taubheit abfinden musste. 1802 wurden fünf Klaviersonaten veröffentlicht (Op. 22, 26, 27 und 28), aber es war auch das Jahr, in dem er das Heiligenstädter Testament verfasste, das beredtste und ergreifendste Zeugnis des angstvollen Konflikts zwischen der Erkenntnis um sein ungewisses künstlerisches Schicksal und seine physischen Einschränkungen. Diese Jahre gehörten zu Beethovens produktivsten; seine Musik der damaligen Zeit zeichnete sich durch eine ausgeprägte Kühnheit aus, die in der EroicaSymphonie (1803) ihren vollkommensten Ausdruck finden sollte.

Die Aufnahme der Marcia Funebre sulla morte d’un Eroe in die Sonate Op. 26 legt eine direkte Verbindung zur Eroica nahe. Dieser düstere Satz mit seinen sich wiederholenden Akkorden mit punktierten Rhythmen, dem großen dynamischen Umfang und der orchestralen Empfindsamkeit deutet auf eine musikalische Sprache hin, die sich von klassischen Archetypen entfernt, und ist ein Hinweis auf den Grad der Fantasie, der in den Sonaten Op. 27 ausbrechen würde. Alle früheren Sonaten Beethovens wurden mit der Sonatenform Allegro eröffnet. Ungewöhnlich ist, dass Op. 26 mit einem lyrischen Satz von Variationen beginnt. Hierfür gibt es ein Beispiel – Mozarts Sonate KV 331 hatte ebenfalls mit einem Variationssatz begonnen – aber hier verändert sich die strukturelle Dynamik eines mehrsätzigen Werkes, von einer Darstellung mit Auswirkungen zu einer Reihe zusammenhängender Sätze. Auf die Lyrik der Variationen folgt ein spielerisches, oft kapriziöses Scherzo mit einer kontrastierenden, mehr erdgebundenen TrioSektion. Nach dem Trauermarsch folgt das letzte Rondo, das mit einem Notenwirbel und einem Fortschreiten in Sechzehnteln beginnt, das niemals abklingt. Die Rhetorik des Satzes wird jedoch merkwürdigerweise heruntergespielt, und die Aussage des Schlussrondos hat keine große strukturelle Kraft, sondern sie fällt allmählich ins tiefe Register ab, bis sie vom Tonika-Akkord absorbiert wird. Dieser Abschluss ist durchaus angemessen für ein Werk, das den Kontrasten des musikalischen Charakters in seinen vier Sätzen Vorrang vor der formalen Rhetorik der Sonatenform einräumt.

Beethovens nächste zwei Sonaten tragen den Untertitel Sonata quasi una fantasia und beginnen,

wie Op. 26, beide nicht mit einem Sonaten-Allegro. Sonata und Fantasia sind seltsame Bettgenossen, die in entgegengesetzte Richtungen weisen: Die erstere schlägt etwas kompositorisch Kontrolliertes innerhalb einer begrenzten Anzahl gegebener Möglichkeiten vor, während die letztere etwas Freieres und Improvisatorischeres suggeriert. Beethoven stößt hier an die Grenzen sowohl der formalen Logik als auch der Ausdruckskraft. In Op. 27, Nr. 1 gibt Beethoven die Anweisung, dass die Sätze ineinander übergehen sollen, wobei sie ausgedehnte Abschnitte mit kontrastierenden Stimmungen und Tempi präsentieren. Der gleiche Vorgang läuft auch innerhalb der Sätze ab. Im ersten Satz wird ein plötzlich auftauchendes Allegro von zwei Andante-Abschnitten eingerahmt; die Schroffheit dieser Gegenüberstellung zeigt, dass Beethoven die Sonatenform nicht einfach auflöst, sondern Musik schreibt, die auf völlig anderen Prinzipien beruht. Das einleitende Andante ist ein typisches Beispiel, das aus sich wiederholenden viertaktigen Phrasen und häufigen Kadenzen mit abschließender Tonika aufgebaut ist. Das Gefühl des tonalen Abschlusses wird gefestigt – das Gegenteil zur Einleitung eines tonalen Dramas, das einen Sonatensatz dynamisieren würde. Im anschließenden Allegro molto e vivace ändert sich die Stimmung wieder. Es handelt sich um eines der lyrischsten und tiefgründigsten Scherzi Beethovens, das durch einen Trio-Abschnitt, der provokativ fast gänzlich ohne melodisches Material auskommt, zur vollen Geltung kommt. Das Adagio con espressione beginnt, als wolle es sich zu einem großen langsamen Satz entwickeln, aber bevor daraus eine vollständige Struktur entstehen kann, führt eine kadenzartige Passage direkt in ein Allegro vivace. Was zunächst wie ein eigenständiger langsamer Satz ausgesehen haben mag, ist zu einer ausgedehnten langsamen Einleitung des Rondo-Finales geworden. Dieses Rondo klingt anders als die früheren Rondos. Es übernimmt einen Teil des strukturellen Gewichts des fehlenden ersten Sonaten-Allegro-Satzes. Es ist ein Rondo mit klaren Merkmalen einer Sonate. Der Satz endet auf dramatische Weise mit einer Reprise des Adagio, gefolgt von einem kräftigen, fast lebhaften Presto. Das Werk bewahrt seinen Sinn für Phantasie bis zum Ende, aber trotz

seiner häufigen Richtungswechsel wird es sowohl durch die strukturelle Kontinuität seiner tonalen und thematischen Elemente als auch durch den Kontrast von Stimmung und Tempo bestimmt. Die Idee der Kontinuität innerhalb einer mehrsätzigen Struktur wird in der zweiten der quasi una fantasia Sonaten, Op. 27, Nr. 2, fortgesetzt. Hier gibt es drei differenzierte Sätze, wobei der zweite Satz dem ersten ohne Unterbrechung folgt und der Schlusssatz als struktureller Höhepunkt fungiert. Der Titel ‚Mondscheinsonate‘ wurde dem Werk erst nach Beethovens Tod gegeben; und obwohl er wahrscheinlich wenig mit Beethovens Vorstellung zu tun hat, hat er sich für die nachfolgenden Generationen von Interpreten und Hörern als ein starkes Bild eingebrannt. Dies ist natürlich eines der bekanntesten aller Klavierstücke, aber seine Popularität sollte nicht von seiner Kühnheit und Originalität ablenken. Das einleitende Adagio sostenuto ist voller Paradoxien – indem es auf Bach-Präludien zurück- und auf romantische Charakterstücke vorausschaut – die straff strukturiert sind und doch improvisatorisch anmuten. Der Satz ist von großer melodischer Schönheit, bei dem die Melodie jedoch oft auf einfache wiederholte Notenmuster reduziert wird. Und formal schafft es der Satz, einer Sonatenform sowohl ähnlich als auch unähnlich zu sein, indem er ihre Logik, wenn auch nicht immer ihre Grammatik übernimmt.

Der zweite Satz ist in vielerlei Hinsicht konventioneller, da es sich um ein anmutiges, wenn auch leicht melancholisches Menuett handelt. Aber indem er direkt an den ersten Satz anschließt, erhält er einen ungewöhnlichen Kontext. Das Finale ist, wie der erste Satz, voller Paradoxien – ein ziemlich konventioneller Satz in Sonatenform mit einem ungewöhnlichen Grad an Rohheit und Gewalt im musikalischen Material. Er teilt mit dem ersten Satz eine Obsession für Arpeggios und kann in vielerlei Hinsicht als eine verwandelte Überarbeitung des vorhergehenden Satzes angesehen werden. Gegen Ende des Satzes gibt es Einblicke in die Welt des ersten Satzes, aber es sind nur Rückblicke in einem Werk, in dem Energie und Vorwärtsdrang immer die treibenden Kräfte sind.

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