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Zwei lyrische Experimente

Sonate Nr. 27 in E-Moll, Op. 90

Komponiert 1814, veröffentlicht 1815. Graf Moritz Lichnowsky gewidmet I. Mit Lebhaftigkeit und durchaus mit Empfindung und Ausdruck II. Nicht zu geschwind und sehr singbar vorgetragen

Sonate Nr. 28 in A-Dur, Op. 101

Komponiert 1816, veröffentlicht 1817. Baronin Dorothea Ertmann gewidmet I. Etwas lebhaft, und mit der innigsten Empfindung. Allegretto, ma non troppo II. Lebhaft. Marschmäßig. Vivace alla marcia III. Langsam und sehnsuchtsvoll. Adagio, ma non troppo, con affetto IV. Geschwind, doch nicht zu sehr und mit Entschlossenheit. Allegro

Die Jahre zwischen etwa 1812-1817 waren schwierig für Beethoven. Er war in Rechtsstreitigkeiten um das Sorgerecht für seinen Neffen Karl verwickelt, wurde zunehmend depressiv und schrieb vergleichsweise wenig Musik. Diese beiden Sonaten spiegeln jedoch wenig von diesem inneren Aufruhr wider. Sie sind von einer Lyrik durchdrungen, die in recht experimentellen formalen Entwürfen enthalten ist. Sie zeichnen sich auch dadurch aus, dass sie Tempomarkierungen in Deutsch statt im üblichen Italienisch haben, was Teil der patriotischen Wiener Reaktion auf die Niederlage Napoleons ist. Die E-Moll-Sonate Op. 90 besteht aus zwei Sätzen. Der erste ist in vielerlei Hinsicht eine unproblematische und effiziente Sonatenform, voller thematischer Kontraste und motivischer Verbindungen, wie wir sie von Beethoven erwarten dürfen. Sie beginnt mit einem kurzen Motiv im Wechsel von forte und piano und hat teilweise den Charakter eines Scherzos. Doch bald verwandelt sie sich in eine lyrische absteigende Linie und dann in eine achttaktige Melodie von sehnsuchtsvoller Schönheit. Diese kehrt nicht nur in der Reprise, sondern auch ganz am Ende des Satzes wieder. Durch ihre melodische Vollständigkeit wirkt sie wie ein Refrain oder sogar wie ein Lied, und ihr Erscheinen am Ende ist voller Nostalgie, wodurch die Sonate von etwas äußerst Dramatischem in etwas viel Besinnlicheres verwandelt wird. Diese Stimmung führt direkt zu der des zweiten Satzes, eines sehr lyrischen Rondos, in welchem das meiste thematische Material wieder liedhaft ist und die Refrains der Rondoform sich wie die Refrains eines Liedes verhalten.

Die A-Dur-Sonate Op. 101 ist formal eher experimentell, wird aber in lyrischer Weise weitergeführt. Die vier Sätze verbinden sich zu einem zusammenhängenden Ganzen. Obwohl in Sonatenform, ist der erste Satz sehr ungewöhnlich, da er keine der starken formalen Artikulationen und dramatischen Kontraste aufweist, die normalerweise mit dieser Form verbunden sind. Stattdessen vermittelt er ein fast beständiges Gefühl einer sich entfaltenden Melodie. Die liedhaften Implikationen von Op. 90 werden tiefer in die Mechanik der Instrumentalform eingeführt. Die Tonart wird erst

gegen Ende des Satzes festgelegt, und ein Großteil der Harmonie deutet eher auf eine strukturelle Progression hin, anstatt sie zu bestätigen. Auf den Kopfsatz folgt weder ein langsamer Satz noch ein Scherzo, sondern ein ‚Marsch‘. Konstante punktierte Rhythmen und eine einfache Form suggerieren ein Charakterstück, aber Beethoven scheint dies konsequent mit komplexen Harmonien und Texturen zu untergraben. Die kontrapunktische Komplexität nimmt im Trio-Abschnitt zu – ein Kanon, überwiegend ruhig und oft dolce bezeichnet. So gelingt es dem Satz, marschähnlich, aber doch nicht ganz ein Marsch zu sein. Der folgende langsame Satz ist ähnlich schwer zu kategorisieren. Er ist voller Schönheit und Zartheit, aber kurz; er entpuppt sich als lediglich eine Einleitung zum Finale. Eine kurze kadenzartige Passage führt zu einer überraschenden Reprise der Einleitung des ersten Satzes. Dies kann als nostalgische Reminiszenz oder sogar als ein struktureller Irrtum angesehen werden, welcher dann durch einen Triller korrigiert wird, der direkt zum Finale führt. Wie bei einigen von Beethovens früheren formal experimentellen Sonaten ist das strukturelle Gewicht der Sonate nicht in ihren einleitenden Passagen, sondern in ihrem letzten und substanziellsten Satz deutlich zu spüren. Dieser enthält eine große Bandbreite an musikalischem Material; abwechselnd leicht, spielerisch, virtuos und kraftvoll, lässt er auch etwas Raum für lyrische Stellen. Sein auffälligstes Merkmal ist die Art und Weise, wie er sich von den kontrapunktischen Implikationen seines Materials, wie sie in ihrer anfänglichen Präsentation zum Ausdruck kommen, zu einer ausgewachsenen Fuge im Durchführungsteil entwickelt. Es gibt eine klare übergreifende musikalische Erzählung, die vom lyrischen und mehrdeutigen ersten Satz bis zu den starken Affirmationen des Finales reicht.

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