Spirit 03-04 2013 Bewusstseinserheiterung

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DAS MAGAZIN FÜRS WESENTLICHE

9€

03–04/2013 29. Jg. B 6128

Bewusstseins-Erheiterung

www.connection.de

Schweiz 16,80 sfr, übrige EU-Länder 9,40 €

BewusstseinsErheiterung Humor als spiritueller Weg

Interviews mit Eckart von Hirschhausen, Werner Tiki Küstenmacher und Silvia Doberenz über Humor. Mit Rainer Langhans über Politik & Medien. Mit Jeff Salzmann über die Integralen


Lebensfreude Messen

MÄRZ-APRIL 3-4/2013

Gesundheit & Spiritualität

Bewusstseins-Erheiterung Nicht nur Irren ist menschlich, auch Lachen ist menschlich, und davon gibt es zweierlei: das Spotten über andere und das Lachen über sich selbst. Das eine verletzt und grenzt aus, das andere hingegen ist der sicherste Weg, um Weisheit zu erlangen – was nur ein anderes Wort ist für »Bewusstseins-Erheiterung«.

S. 17 – 41 Narzissmus Die Selbstliebe, auch Narzissmus genannt, entsteht aus unserem ganz natürlichen Bedürfnis nach Selbstwerterhöhung. Erst wenn einem Menschen eine von außen unabhängige Wertschätzung für sich selbst völlig fehlt, wird dieses Bedürfnis zu einer »Störung«, weil er sich die Anerkennung dann erbetteln muss oder den Mangel durch Prahlerei kompensiert

8. – 10. März ’13 Musik- & Kongresshalle Mit Dr. Rüdiger Dahlke & Prof. Fred Travis

5. – 7. April ’13

S. 42 – 45

Congress Center Hamburg Mit Dr. Masaru Emoto und Veggi Living

200 Aussteller 200 & Events Programm unter:

04502 / 788 90 40

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Ken Wilber Unsere Serie über die Integrale Bewegung setzen wir fort mit einem Interview mit Jeff Salzmann, einem begeisterten Pionier der US-amerikanischen Integralen, sowie einer Erläuterung des wilberschen Stufenweges von Katharina Ceming und Michael Habecker – mit vier Fragen, die als GuruGuide und Selbsttest dienen können

S. 46 – 55

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Neu!

I N H A LT 3

Editorial

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Weisheit & Humor: Albert Einstein über das Unendliche

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Hier und Jetzt: die Kurzmeldungen

12 Macht Liebe. Interview mit Rainer Langhans über Politik, Medien und die Macht der Liebe

Schwerpunkt: Bewusstseins-Erheiterung 17 Michel de Montaigne über das Besondere unseres Menschseins 18 Humor als Flirt mit der Identität. Wolf Schneider findet bei Narren und Weisen viel Gemeinsames und in Europa anstelle des Zen den Humor 24 Tränen, die man gelacht hat, muss man nicht mehr weinen. Eckart von Hirschhausen über das Paradoxe des Humors 25 Gute Pointen zünden mehrfach. Werner Tiki Küstenmacher verrät, wie ihm der Humor auf seinem Lebensweg geholfen hat. 28 Ein Anfängerkurs bei der Erleuchterin. Silvia erzählt, wie sie in einer Lebenskrise die Kurve kriegte und ein Kabarett-Programm erschuf

Wie

Sex die

Seele heilt und auch noch

Spaß

32 Die Guru-Ambulanz. Ralf Hellmuth klärt uns auf, wie man den Guru findet und beleuchtet

macht!

34 Schöpferischer Humor. Matthias Mala über den Witz und Sinn der ewig emergierenden Schöpfung 38 Es gibt für alles eine Göttin. Chameli Ardagh freut sich an der Vielfalt des Weiblichen und ihren Abbildungen im Himmel 31 Kurt Tucholsky über den Unterschied zwischen den Klugen und den Dummen

Hier sprüht die Energie! Susanne Wendel lädt zum Forschen, Ausprobieren, Staunen, Lachen und Spüren ein. Zum

42 Narzissmus. Bäbel Wardetzki über die Kunst, sich selbst richtig einzuschätzen und darzustellen

Erleben dessen, was Sie bisher

46 Wir müssen Bodhisattvas sein. Julia Koloda und Katharina Ceming haben einen »reizenden« Vertreter der Integralen interviewt: Jeff Salzmann

Buch bringt ihre eigene Wahr-

nur geträumt haben. Dieses

50 Spirituelle Evolution. Katharina Ceming und Michael Habecker präsentieren Ken Wilbers Theorie der Wahrnehmung in holarchischen Stufen

heit über Sex ans Licht. Eine

55 Ken Wilber findet: das

zu intimsten Sexwünschen,

56 Ragnar. Gabriele Palm hat einen Programmierer getroffen, der über Jesus zur Mystik fand

mehr Gesundheit und Lebens-

63 WerWasWo

freude!

64 Ravi Shankar starb am 11. Dezember. Yogendra über das Leben dieses großen Musikers 66 Filme: Die Veggie-DVD Gabel statt Skalpell bekommt von uns fünf Karotten und der Kinofilm Ende der Schonzeit immerhin vier Sternchen 68 Bücher: von Barbara Strohschein, Katja Lührs, Wolf-Dieter Storl, Bernhard Pörksen und anderen

sehr ehrliche Entdeckungsreise

Der schungsa rr e b Ü Erfolg von el end Susanne W

Susanne Wendel Gesundgevögelt 176 Seiten, Broschur EUR 20,ISBN 978-3-942-88001-5

72 Leserbriefe: diesmal v.a. über Ken Wilber, Jean Gebser und das Integrale Modell 78 Marktplatz 80 Veranstaltungskalender und Inserentenverzeichnis 82 Vorschau/Impressum

gesundgevögelt

, Zeitschrift für Lebenskunst, Weisheit, Humor und ein integrales Verständnis des menschlichen Lebens. Erscheint alle zwei Monate mit einem starken Schwerpunkt. Gegründet 1985, ist Connection Spirit die älteste transkonfessionelle spirituelle Zeitschrift auf deutsch. Fachmagazine über Tantra und Schamanismus aus demselben Verlag ergänzen sie.

SusanneWendel

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BEWUSSTSEINSERHEITERUNG

Ein Anfängerkurs bei der

Erleuchterin

© INGO SCHULZ (GANZ LINKS), ROBERT BABICZ, LINKS

Silvia Doberenz erzählt, wie aus ihrer Suche nach der totalen spirituellen Erfüllung ein Kabarett-Programm wurde

Das »Ego-Mudra« verstärkt die Durchsetzungsfähigkeit im Alltag

Ob man Humor in den Genen haben muss oder es erlernen kann, darüber wird unter Pädagogen viel gestritten. Eines aber hilft sicher: schlimme Erlebnisse! Wenn man sich die Statistiken zunehmender Depressionen und Burn-out Fälle ansieht, scheint das jedoch nicht auszureichen, um aus einem Gescheiterten oder Geprellten einen lächelnden Weisen zu machen. Es muss wohl noch etwas dazu kommen, um über das eigene Scheitern lachen zu können. Bei der Yogalehrerin Silvia Doberenz kam zu dem Schock, zutiefst betrogen worden zu sein (Ah, danke!), die Hilfe von Freunden hinzu, ihre Kämpfernatur und ein Mantra aus ihrer DDR-Jugend: »Vorwärts immer – rückwärts nimmer!« FRAGEN AN SILVIA DOBERENZ

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BEWUSSTSEINSERHEITERUNG

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allo Silvia, in deinem Kabarettstück »Erleuchtung für Anfänger« mokierst du dich über so einige Marotten der Psycho- und Spiriszene. Und gehörst ihr als Yogalehrerin doch selbst an, oder? Wie ist das für dich zu vereinbaren? Für mich ist das sehr gut zu vereinbaren. Schließlich hat ja jeder Berufsstand seine Eigenheiten und Marotten, nur ist die HumorFähigkeit in der spirituellen Szene besonders unterbelichtet, finde ich. Und genau da beginnt meine Mission – als Erleuchterin. Humor und die Bereitschaft, über sich selbst zu lachen, sind für mich Schlüssel, um bei der spirituellen Suche nicht Dogmatismus und

Scheinheiligkeit zum Opfer zu fallen. Schon der große Guru Karl Valentin meinte: »Man soll die Dinge nicht so ernst nehmen, wie sie sind.« Seit meiner Teenie-Zeit beschäftige ich mich mit diesen Dingen. Mir ist dabei immer wieder aufgefallen, wie ernst sich doch viele Menschen nehmen bei ihrer Suche und wie schnell dabei so etwas wie ein spirituelles Strebertum entsteht. Während man noch reiner, noch liebevoller, noch gütiger werden möchte, fängt man an, andere, die sich nicht auf dem gleichen Weg befinden, insgeheim zu verurteilen, sich als was Besseres zu fühlen und eigene negative Gefühle in einen Zucker-

»Humor und die Bereitschaft, über sich selbst zu lachen, sind für mich Schlüssel, um bei der spirituellen Suche nicht Dogmatismus und Scheinheiligkeit zum Opfer zu fallen«

© WALTER K. SCHULTZ

mantel der liebevollen Güte zu kleiden, der irgendwann ziemlich klebrig wird, weil er keine authentische Kommunikation und keinen ehrlichen Austausch mehr ermöglicht.

Silvia mit »Cosmic Channel Star«, einem Gerät für die Verbesserung des Empfangs beim Channeling

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Genau! Deshalb bin ja seit einiger Zeit, speziell auch in dieser Zeitschrift, zum Missionar des Humors geworden und muss nun aufpassen, dass ich in dieser Rolle nicht überschnappe und mich weiterhin, nun auch in dieser Rolle, ausreichend komisch finde. Schon aus Gründen der guten Unterhaltung. Ob die Humor-Fähigkeit unter Spiris unter- oder überbelichtet ist, darüber kann man wohl streiten. Eine humorvolle Haltung gegenüber religiösen Themen grassiert jedenfalls unter Gläubigen eher nicht. Als Begeisterter von einer religiösen Praxis – auch: einem Glauben – ist man in seiner frischen Verzückung ja erstmal nicht so erpicht darauf, diese von anderen verspottet zu finden. Mein Eindruck ist jedoch, dass in den reiferen Stadien jedweden spirituellen Weges, die ja auch Phasen der »dunklen Nacht der Seele« enthalten, spätestens nach solchen »Nächten« der Humor ein Ingredienz des Lebensgefühls geworden ist. Ja, das denke ich auch, ohne die einzelnen spirituellen Wege wirklich gut zu kennen. Ich glaube, dass richtig guter Humor immer aus einer emotionalen Tiefe kommt. Bei mir jedenfalls war tatsächlich eine sehr »dunkle Nacht der Seele« der Auslöser, um »Erleuchtung für Anfänger« zu schreiben. Humor war dabei absolut mein Lebensretter, nur durch Humor gelang es mir, aus meinem persönlichen Drama eine Komödie zu machen. Mein Drama (so richtig kann ich immer noch nicht glauben, dass das alles mir passiert ist) begann ganz romantisch: Ich hatte im Sommer 2010 in Deutschland meinen Seelenpartner gefunden, davon war ich jedenfalls von ganzem Herzen überzeugt. Es war ein sehr charismatischer indischer NachwuchsGuru. Ich hab mich Hals über Kopf in ihn

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BEWUSSTSEINSERHEITERUNG

Wow, starke Geschichte! Sie erinnert mich an das, was Eckart von Hirschhausen mir gerade geschrieben hat: Humor ist Tragik plus Zeit (ein jüdisches Sprichwort). Jedenfalls hast du es geschafft, diesen Schock in Kreativität umzusetzen. Anscheinend hast du dich von deiner Identität als Opfer dieser Situation – als die von diesem Guru Betrogene – gelöst und deinen Schmerz und deine Wut in Schaffenskraft umgesetzt. Du bist vom Opfer zur Schöpferin geworden. Und deine Show wirkt so fröhlich! Die Tragik deines »Reinfalls« ist dort nicht mehr spürbar, außer vielleicht für die »traurigen Clowns«, die selbst als Humoristen tätig sind, die wissen, woher diese Tiefe kommt. Was würdest du heute rückblickend sagen, was der Trick dabei war? Wie hast du es geschafft, nach diesem Schock nicht depressiv zu werden oder zur Männer-, Guru- oder Yogahasserin, sondern weiterhin weltoffen, nahbar und begeisterungsfähig? Mmmm …, einen Trick gibt es da wohl nicht. Das wäre doch zu schön, dann würde ich jetzt einen Ratgeber darüber schreiben und ein Seminarprogramm dazu entwickeln. Mit Zertifikat.

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Ich glaube, was mir geholfen hat, das war eher eine Haltung oder Fähigkeit. Resilienz vielleicht. Dazu gibt es ja eine Menge aktuelle Forschungen, und Humor scheint dabei ei-

sehr geholfen hat, das waren einerseits meine Freunde, die mich aufgefangen haben, und andererseits meine Kämpfernatur. In der DDR aufgewachsen, hab ich das Mantra »Vorwärts immer – rückwärts nimmer!« wohl sehr tief in mir verankert. Ich hatte zum Glück schon sehr viele positive Erfahrungen mit anderen Lehrern gesammelt, so dass ich nicht zur Guruhasserin wurde. Ich sehe vie»Es war für mich Glück – le Dinge jetzt kritischer, obwohl ich immer oder sogar eine große noch ziemlich naiv bin – aber nicht mehr ganz so sehr wie damals. In mir gibt es außerdem Gnade –, mit diesem den unbedingten Glauben, dass alles, was geKabarett-Stück meine schieht, ein Geschenk in sich trägt. Egal, wie schlimm es ist. Wut und Enttäuschung Mich da selbst wieder rauszuholen war also in Freude und Kreativität meiner Meinung nach keinem Trick zu verdanken, sondern es war Glück, oder sogar eitransformieren zu können« ne große Gnade, die ich erfahren durfte. Das Geschenk, Wut und Enttäuschung in Freude und Kreativität transformieren zu können – und jetzt damit andere zu beglü cken! Ich hatte ja immer darum gebetet, dass ne große Rolle zu spielen: die Fähigkeit, an ich den Weg finden möge zu der Aufgabe, die den Widrigkeiten des Lebens nicht zu zer- meinem Herzen und meiner Seele entspricht. brechen, sondern daran zu wachsen. Was mir Manchmal lässt sich das Leben ein paar Umwege einfallen, bis man endlich dort landet, wo man hinErleuchtung kann gehört. ganz schön action-geladen sein Stimmt! Und man weiß vorher nicht, ob es ein Umweg ist oder eine Abkürzung, und genau genommen weiß man es auch danach nicht. Jetzt nochmal zu deinem Stück »Erleuchtung für Anfänger«, das du auf dem RainbowFestival in Karls ruhe aufführen wirst, und dann in einer erweiterten Fassung noch einmal auf dem Kongress »Bewusstseins-Erheiterung« in Freudenstadt. Warum gerade Erleuchtung? Ist Erleuchtung das, was dich als spiritueller Mensch, als Suchende immer (oder damals) am meisten interessiert hat? Oder eher etwas, das du an den Spiris komisch findest? Wir könnten doch auch Glück, Gesundheit oder Liebe suchen (und dann bei dir darin einen Anfängerkurs machen) – warum ausgerechnet Erleuchtung? Das Stück hab ich so genannt, weil ich den Titel einfach cool finde und dabei zwei Dinge eigentlich nicht zusammen passen: Erleuchtung und Anfänger. Erleuchtung ist außerdem so schön mystisch und nebulös. Glück, Gesundheit, Liebe, da kann man sich was drunter vorstellen, das hat jeder schonmal irgendwie erlebt. Aber Erleuchtung? Das große Erwachen? Ich weiß gar nicht so ge-

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© ROBERT BABICZ

verliebt und bin dann mit ihm nach Indien, um dort ein Meditationszentrum aufzubauen. Ich war wie hypnotisiert, keine Ahnung, was da passiert ist. Wir sprachen von Hochzeit, und ich hatte meine Zelte in Deutschland schon fast abgebrochen, die Yogaschule einer Freundin übergeben und mich auch sonst nicht weiter um die Akquise für meine Kommunikationstrainings gekümmert. Bis ich eines Tages feststellte, dass er die ganze Zeit über parallel in Deutschland noch eine andere Verlobte hatte. Und ein Kind aus erster Ehe und wahrscheinlich noch die eine oder andere Geliebte ... Puh – das war ein Schock! Mir war klar, ich muss ganz schnell da weg, sonst schafft er es – er mit seiner großen Überredungs- und Manipulationsgabe –, mich zum Bleiben zu überreden. Also bin ich geflüchtet und stand im Frühjahr 2011 zurück in Deutschland erst mal vor einem riesengroßen Fragezeichen. Alle Hoffnungen, Träume und Pläne dahin – wovon jetzt leben, was tun? Dann kam ziemlich schnell die Idee, endlich das zu machen, was schon immer ein Herzenswunsch von mir war: ein eigenes Solo-Programm. Kaum war die Entscheidung gefallen, bekam ich von allen Seiten so viel Un ter stützung – es war ein einziges FlowErlebnis. Drei Monate später, im August 2011, war schon die Premiere.


Ich kĂśnnte alles tun, wenn ich nur wĂźsste, was ich will

BEWUSSTSEINSERHEITERUNG

Wenn die Erwachte ihre Stimme erklingen lässt, beginnt der ganze Kosmos zu schwingen

Š WALTER K. SCHULTZ

Das komplette Set

Ich dachte: ›Was die anderen Erwachten kÜnnen, das kann ich auch!‚ Und so wurde ich Erleuchterin

Š WALTER K. SCHULTZ

Armleuchter zu einem groĂ&#x;en Licht zu werden. Da dachte ich: ÂťWas die anderen Erwachten kĂśnnen, das kann ich auch!ÂŤ Und so wurde ich Erleuchterin. Um die Humorfähigkeit steht es in der spirituellen Szene besonders schlecht, hast du vorhin gesagt. Bekommst du Anfeindungen, weil du in deiner Show die Spiris mit ihrer Leichtgläubigkeit an Gurus, Reinkarnation, Symbolmagie und Energiephänomene auf die Schippe nimmst? Nein, bis jetzt nicht. Ich denke, es ist mir gelungen, mich lustig zu machen, ohne etwas wirklich ins Lächerliche oder durch den Dreck zu ziehen. Gut, ab und zu geht mal je-

mand in der Pause, warum, das weiĂ&#x; ich natĂźrlich nicht. Wahrscheinlich traut sich niemand zu sagen, dass er es doof findet, weil ich dann mit einem milden Lächeln, leicht geneigtem Kopf und sanftem Nicken antworten wĂźrde ÂťJaja, du bist halt noch nicht so weit – geh und polier deinen Heiligenschein!ÂŤ Ich bekomme im Gegenteil sehr viel UnterstĂźtzung, und besonders freut mich immer das Feedback von männlichen Zuschauern, die spirituell nicht vorbelastet sind und offensichtlich von ihrer Frau mitgeschleppt wurden, wenn die dann hinterher sagen: ÂťMensch, das war ja sogar was fĂźr Männer!ÂŤ Wie gesagt, so richtig angefeindet wurde ich noch nie. Aber wer weiĂ&#x;, vielleicht gibt es ja die eine oder andere Voodo-Puppe mit meinem Antlitz – ich hab in letzter Zeit so Nackenschmerzen ...

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nau, ob mich das persĂśnlich am meisten interessiert. Ich denke eher, das passiert dann halt irgendwann, wenn’s so weit ist. Oder auch nicht. Mit dem Versprechen der Erleuchtung wird auf alle Fälle auch viel Geld verdient. Die Menschen geben so viel fĂźr Mantras, Meditationen und erleuchtungsfĂśrdernde Techniken aus, in dem Glauben, bei regelmäĂ&#x;iger Anwendung endlich vom

Silvias Karma-Kabarett Erleuchtung fßr Anfänger kann man auf dem Rainbow-Festival in Karlsruhe (18.-20. Mai) bewundern, sowie auch (die erweiterte Version fßr Fortgeschrittene) auf dem Humor-Kongress BewusstseinsErheiterung am 27./28. Juli in Freudenstadt. Anmeldung in beiden Fällen ßber www.rainbowspirit.info, info@onespirit.de, 07221-99649-50.

SILVIA DOBERENZ, Jg. 1978, Kabarettistin, Yogalehrerin, Dipl. Soz.päd., Theaterpädagogin und KommunikationsTrainerin, lebt in Hoffnungsthal bei KÜln. Wenn sie nicht auf der Bßhne steht, macht sie entweder Kopfstand auf ihrer Yogamatte oder hält Seminare, in denen sie die Spontanität, KÜrpersprache und Schlagfertigkeit der Teilnehmer trainiert. www.die-erleuchterin.de

Ein erfĂźlltes Leben wird uns zuteil, wenn wir das tun, was wir lieben. Doch was, wenn wir nicht wissen, was wir wirklich wollen? Barbara Sher, GrĂźnderin der „Erfolgsteams“, gibt hier praktische Ratschläge, wie das gelingt. Dieses Kombi-Set enthält ein Buch mit dem vollständigen Originaltext der erfolgreichen dtv-Ausgabe sowie 49 Karten, die markante Szenen aus dem Text illustrieren. Die Verbindung von Buchtext und Bildkarten folgt einem neuen Konzept: der gezielten Verbindung von Wissen und Intuition = lesen / studieren (Buch) und anwenden / spielerisch einĂźben (Karten).

Barbara Sher: Ich kÜnnte alles tun, wenn ich nur wßsste, was ich will 6OHFLà S[UF 4POEFSBVTHBCF t #VDI VOE ,BSUFO 1BQFSCBDL 4 t ,BSUFO JN (SP•GPSNBU *4#/ t Ý

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BEWUSSTSEINSERHEITERUNG

FLICKR.COM © CHRISTOPHER MACSURAK

Die GuruAmbulanz

Von der ambulanten Beleuchtung bis zur Lichtarbeit für Fortgeschrittene VON RALF HELLMUTH

Der freie Texter und Grafiker Ralf Hellmuth lebt im schönen 5-SeenLand südwestlich von München, arbeitet dort u.a. für die »FreiZeitSchrift« und hat vor allem vom Nichts einen blassen Schimmer. Wir baten ihn deshalb um ein paar Tipps zum Umgang mit Gurus in und außer sich

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evor wir miteinander so richtig transpersönlich werden, dies vorweg: Die folgenden Zeilen enthalten eine ordentliche Portion absolute Wahrheit. Insofern kann dieser wild arrangierte Buchstabensalat für Allergiker sämtlicher Couleurs und Glaubensrichtungen zu Irritationen im Körper-Geist-Seele-System führen und sogar die Vision der eigenen Himmelfahrt eintrüben. Auch wenn dies nur der holp rige Ausdrucksversuch eines inkarnierten Seelenanteils auf dem Planeten Terra ist, aber immerhin. Da wir ja alle eins sind, hat dieser undurchsichtige Text sehr wohl etwas mit dir zu tun, liebe Leserin, lieber Leser!

Sollte sich in dir bereits jetzt ob dieser Worte eine leichte Empörung oder subtile Freude ausbreiten? Ist das so? Es bitzelt innen, schimmert und schwelt außen? Gut, dann unbedingt weiterlesen, denn dann hat deine ambulante, non-invasive und dimensionsübergreifende Beleuchtung bereits begonnen.

FAQs – die Antworten auf einen Blick • Du suchst die schnelle Erleuchtung? – Vergiss es! • Du hast keine Ahnung, was du hier eigentlich sollst? – Wunderbar, willkommen zu Hause!

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Gurus da, hier und dort »Ein Guru steht nicht an jeder Ecke«, sagt ein Sprichwort aus dem Orient. Klingt einleuchtend, ist es aber nicht. Denn tatsächlich ist der nächste Guru viel näher als an irgendeiner Ecke. Er ist da, hier und sogar dort! Deshalb haben wir von der Guru-Ambulanz uns auf die Fahnen geschrieben, Gurus überall und jederzeit zu entdecken, sie zu entlarven, zu beleuchten, zu tilgen und bei Bedarf auch ordentlich zu erden. Immer mit mild tätigem Blick und zum Wohl des Großen Ganzen und somit letztendlich nur, um den Guru vollständig zu realisieren. Ein jeder in sich selbst und im direkten Gegenüber, denn auch in den schrägsten Fratzen und Gestalten hat sich ein Quantum göttlicher Essenz verhüllt. Meister E.T. formuliert es folgendermaßen: »Alles ist Gott, Gott ist Alles …, alles ist Gott in Verkleidung …, nur manchmal ist Gott so gut verkleidet, dass man sie kaum noch erkennen kann.«

Ambulante Beleuchtung Die Guru-Ambulanz bietet keine greifbaren Leistungen, fügt dem illusionären Ich nichts Neues hinzu, gibt weder Tipps noch Ratschläge fürs aufgeblähte Ego und hat vor allem vom Nichts einen blassen Schimmer. Trotzdem bieten wir kraftvolle Wegweiser in Richtung Erleuchtung an, denn wir denken positiv und sind sehr zuversichtlich. Unser multidimensionales Abbau-Programm findest du auf unserer ComingHome Page. Die dort empfohlene Zwielichtarbeit und ganzheitliche Dunkelfeld-Tilgung beinhaltet u.a. • Erleuchtungs-Beschleunigungen bis Mach 13 auf der Richterskala • Karma-Löschungen für Fortgeschrittene bis in den Nano-Bereich • die radikale Terra-Karma-Aufblähung bis zum Ende aller Tage • eine komplette Chakra-Reinigung mit Vorwäsche und Weichspüler • bayerische Sphärenmusik von der Maultrommel bis zum Alphornquintett Ambulant oder stationär, intravenös oder non-invasiv? Lerne uns umgehend kennen, auch wenn Zeit keine Rolle spielt. Und gib

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Selbst Laien erkennen ein Guru-Abziehbildchen daran, dass es wie Kaugummi an der Sohle klebt und so immens das eigene Voranschreiten erschwert

zu, dein gieriges, prall gefülltes Ego wünscht sich die ambulante Beleuchtung, jetzt sofort!? Here we are!

Der Guru als Projektionsfläche »Ist der Schüler bereit, ist auch der Guru nicht weit!« Diese spirituelle Wahrheit bewegt man schon seit Jahrtausenden mehr oder weniger erfolgreich in inneren Kreisen. Und auch in äußeren Kreisen rangiert der Guru als Projektionsfläche noch immer weit oben. Besonders bei spirituellen Strebern scheint das mysteriöse Ich heute endlich bereit zu sein für den Guru. Andere hingegen haben in ihrer Naivität hilfesuchend einen Guru angezogen und wollen den Quälgeist nun wieder abstreifen. Man könnte fast meinen, der Guru erscheint immer »als Problem getarnt«, egal, ob man ihn nun abschütteln oder anziehen will, ob man ihn übersieht, anleuchtet oder gar selbst zum Guru auserkoren wird. Deshalb gilt: Guru werden ist nicht schwer, Guru sein dagegen sehr! Und nun unsere Tipps zur Beleuchtungsschmiede.

Tipp 1: Wie ziehe ich einen Guru an? Du fühlst dich bereit für einen Guru? Und willst jetzt eine ambulante Beleuchtung? Dein Ego stochert zu diesem Zweck im Feinstofflichen herum und bringt dort das energetische Gefüge durcheinander? Du forderst endlich einen Meister aus dem Licht? Gemeinsam und unerkannt durchs Märchenland? In dieser gierig grapschenden Gruppe finden sich spirituelle Sucher, religiös Enttäuschte, materiell Überversorgte und poten tielle Lichtarbeiter. Der Guru erscheint ihnen als die erlösende Instanz. Der Grad deiner Enttäuschung und Selbstüberschätzung spiegelt bestens, welcher Guru zu dir passt. Unser Tipp: Stoppe die Guru-Suche, denn Er oder Sie wird dich zur rechten Zeit finden! Meist viel schneller, als es dir lieb ist.

Tipp 2: Wie werde ich ihn wieder los? Für alle diejenigen, welche bereit waren, aber nun wieder aus dem Bereitschaftsdienst im Umgang mit dem Guru aussteigen wollen. Diesen Gefangenen bieten wir allerlei energetische Übungen an. Selbst Laien erken-

nen ein Guru-Abziehbildchen daran, dass es wie Kaugummi an der Sohle klebt und so immens das eigene Voranschreiten erschwert. Auch das Entblättern von Körper und Seele bringt keine Erlösung. Um so ein Klebebildchen abzustreifen, empfehlen wir den Betroffenen den Workshop »Karmafreie Wochen am Ammersee«. Die Sektion 5-Seenland bietet dieses Spektakel viermal jährlich im zünftigen Oberbayern. In diesem multidimensionalen Abbaukurs arbeiten wir mit omnipotenten Licht An/Aus Effekten. Karmalöschung und Dimensions-Hopping runden diese herzhafte Woche harmonisch ab. Unser Tipp zur Prophylaxe: Auch Gurus, die eine »Herzens-Beziehung« oder einen »gemeinsamen Weg« anpreisen, sind weiträumig zu umschiffen. Als Eselsbrücke: »Ein Guru ohne Schüler ist stets rein, den Guru mit viel Anhang prüfe fein.«

Tipp 3: Entdecke den Guru in dir! Jetzt sind wir dort angekommen, wo wir immer schon waren und stets sein werden, bei uns selbst. Mit diesem Tipp berauben wir uns mittelfristig als Guru-Ambulanz jeglichen Umsatzes, aber was soll’s ... raus damit. Loslassen war schon immer die Königin aller Tugenden. Und keine Angst vor dem AllEinsSein! Wir besuchen dich gerne im Feld deiner Träume, bis auch du dich in dir selbst entdeckt hast. Ruf uns an, wir sind da! Bleib bei dir, du brauchst niemanden!

Abschlusstipp für die harten Nüsse Wer bis hierher immer noch nichts zum Schmunzeln gefunden hat und nun grimmig dem Ende des Artikels entgegenblickt, sei hiermit herzlich zur großen »Karma Blindverkostung« eingeladen, welche am 31. Juni 2013 auf dem magischen Untersberg bei Salzburg stattfindet. Dort darf innerhalb einer Nacht der gesamte Wahnsinn der Menschheitsgeschichte (die letzten 128.000 Jahre) in sich aufgesogen, ausgiebig gegurgelt und hoffentlich endgültig ausgekotzt werden. Nach einer geringfügigen Erstverschlimmerung in den nächsten 3 bis 33 Inkarnationen garantiert die Guru-Ambulanz die nachhaltige Verbesserung der Karmastruktur um bis zu 3 GB (GuruByte) auf der nach oben offenen Richterskala. Im Jahr 2013 kündigt sich deshalb eine Bewusstseinserheiterung geradezu kosmischen Ausmaßes an. Wir sind dabei. Du auch?

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• Du hast einen Guru und willst ihn wieder loswerden? – Schau in den Spiegel! • Du bist ein Guru und hast dich verlaufen? – Sehr gut, weiter so! • Du weißt nicht, ob du Schüler bist, Guru, oder gar nichts? – Offenbar dämmert es nun auch dir. Wenn du diese profunden Antworten tief in dich hast einsinken lassen, wirst du vermutlich wissen wollen, wer hinter der Guru-Ambulanz steckt und wann wir uns auf welcher Ebene treffen werden. Geduld, Geduld ... lasst uns zunächst tiefer ins Innere des Guru-Seins und -scheins eintauchen.

RALF HELLMUTH, born in the Summer of ‘69, tätig als freier Texter, Grafiker und Öffentlichkeitsarbeiter. Aufgewachsen und beheimatet am Ammersee, ist er liebend gerne ein Landei geblieben, und so findet man ihn viel in der Natur, AllEins oder mit einer Gruppe. www.alles-ist-da.de, www.guru-ambulanz.de

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INTEGRALE BEWEGUNG

Wir müssen

Bodhisattvas sein!

Unsere Welt ist in einem schlechten Zustand. Jeff lässt sich davon jedoch nicht beirren. In seiner amerikanisch-enthusiastischen Art, die manche Deutschen ungut an die Evangelikalen erinnert, wirbt er dafür, die Welt integral zu betrachten. Auch wenn weit weniger als ein Promille der Weltbevölkerung sich auf einer hohen Entwicklungsstufe befinden, bleibt er zuversichtlich. Für ihn enthält das Integrale Denken, wie es Ken Wilber in seinen Schriften dargelegt hat, eine riesengroße Chance und führt zu der Forderung, alle Menschen vom Leiden zu befreien, wie der MahayanaBuddhismus sie im Bodhisattva-Gelübde äußert

Kopf einer Bodhisattva-Statue, China

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JEFF SALZMAN IM INTERVIEW MIT JULIA KOLODA UND KATHARINA CEMING

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Interview mit einem »reizenden« Vertreter der Integralen


INTEGRALE BEWEGUNG

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JK: Jeff, ich freue mich, dass ich mit dir und mit Katharina dieses Gespräch führen kann. Katharina ist eine Philosophin, die alle Traditionen, die Wilber in seinen Werken ein bezieht, kennt, und die aus meiner Sicht Wilber tatsächlich versteht. Daran schließt gleich meine erste Frage an: Wie hoch schätzt du die Zahl derer ein, die Wilbers Theorie verstehen? Jeff: Das ist eine sehr kleine Zahl. Wenn du dir überlegst, dass Kens populärstes Buch 120.000 Mal verkauft wurde, oder dass »Das Integrale Leben«, die Hauptinternetseite für Wilbers Arbeit, eine Mailingliste von etwa 70.000 oder 80.000 Namen hat. So betrachtet ist es eine kleine Anzahl von Menschen, die tatsächlich in dieses Denken und Leben involviert sind. Ich denke, es sind weltweit vielleicht eine Million Menschen, die von Kens Arbeit überhaupt gehört haben. Es sind nicht viele. JK: Die Akademie von Platon in Athen hatte bei weitem keine Million Anhänger, und er ist nach 2.500 Jahren immer noch bekannt ... Jeff: Ja, es geht erst los. Wir müssen ja irgendwo anfangen, so sehe ich es auch (lacht).

»Man muss freundlich sein« KC: Gestern hatte ich bei deinem Auftritt das Gefühl, dass viele Menschen deine Darstellung der Integralen Theorie als Provokation empfinden. Jeff: Du meinst, sie denken, dass ich ein integraler Evangelikaler bin?! KC: Ist so ein Auftreten von dir geplant und wenn ja, warum? Jeff: Ja, das wollte ich. Es macht Spaß (lacht). KC: Ich habe den Eindruck, dass viele, die sich als integral bezeichnen, auf einer sehr grünen Stufe argumentieren (siehe Kasten auf Seite 49). Alle reden ständig vom Integrieren aller Sichtweisen und aller Lebensperspektiven und bedenken dabei nicht, dass Integration auch Bildung einer hierarchischen Ordnung der Dinge, die man integriert, bedeutet. Jeff: Das beobachte ich nicht nur in Deutschland. Es wird klar, wenn man bedenkt, dass die integrale eine neue Stufe in der Entwicklung des Bewusstseins ist. Sogar die Menschen, die sich selbst als integral identifizieren, sind oft tief in der grünen Ebene verwurzelt oder generell im »Primärbewusstsein« (in der Wilber-Philosophie ist das die erste Dimension der Entwicklung, bestehend aus folgenden Bewusstseinsstufen: Beige – archaisch/instinktiv; purpurn – magisch/animistisch; rot – machtvolle Götter; blau – konformistische Regeln; orange – wissenschaftliche Leistungen; grün – sensitives Selbst; Anm. d. Red.). Ein wichtiger Teil des integralen Projekts ist daher die Freundlichkeit. Man muss freundlich sein zu den vorhergehenden Stufen, freundlich zu diesen

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Die grüne Stufe sieht die ganze Weltgeschichte als voll von Katastrophen, die dadurch hervorgerufen wurden, dass eine Gruppe der Menschen andere dominieren wollte

Ebenen in den anderen Menschen, in der Welt insgesamt, aber auch freundlich zu diesen Ebenen in unseren eigenen Körpern und unserem eigenen Geist. Und ja, es sind viele Menschen in der integralen Bewegung, die in ihrem Denken grün sind. Es ist angemessen, und es ist auch vorübergehend. Ich denke, dass gerade jetzt etwas dadurch gewonnen werden kann, wenn man sich enthusiastisch über die integrale Theorie äußert. Wenn man eine Stellung bezieht. Und ja, es ist meine Art, die positiven Aspekte der Bewegung zu sehen und sie stark zu machen, das bin ich.

Integraler Imperialismus? KC: Viele Menschen reagieren auf die integrale Theorie mit Abwehr, weil sie Angst haben, ihren eigenen Standpunkt zu verlieren, wenn sie sich eine integrale Sicht zu eigen machen. Von der integralen Perspektive aus sieht man, dass eine Sache viele verschiedene Sichtweisen zulässt, dass es viele verschiedene Perspektiven geben kann, und man erkennt, wie sie miteinander zusammenhängen. Eigentlich macht die integrale Sicht der Dinge den Menschen freier, aber viele bekommen Angst bei der Vorstellung, dass die integrale Sicht eine Metasichtweise ist, die die partikularen übersteigt. Sie reagieren mit Aggression und Ablehnung. Meinst du, dass es die Wirkung dieser Angst ist, dass man die integrale Theorie als eine Art Imperialismus, eine Art Unterdrückung aller anderen Sichtweisen und keineswegs als Freundlichkeit wahrnimmt? Jeff: Diese Abwehr ist der Job der grünen Bewusstseinsstufe. Was die grüne Stufe sieht, ist, dass die ganze Weltgeschichte voll von Katastrophen ist, die dadurch hervorgerufen wurden, dass eine Gruppe der Menschen andere dominieren wollte. Das zwanzigste Jahrhundert ist der traurigste Beweis dafür. Die Aufgabe der grünen Bewusstseinstufe ist die Verhinderung jeder hierarchischen Struktur. Das ist eine überaus wichtige Aufgabe. Es gehört aber auch zu jeder Stufe, dass sie bei der Erfüllung ihrer Aufgabe übertreibt. Jede Stufe, die emergiert, betrachtet die Stufe,

die hinter ihr liegt, als eine Regression. Aus der grünen Perspektive ist jede Hierarchie, auch wenn man über eine natürliche Hierarchie redet, wie z.B. die, dass sich aus einem Samen ein Baum entwickelt und der Baum sich nicht zu seinem Samen zurückentwickelt, abzulehnen. Das ist ja der Job der grünen Bewusstseinstufe, dass sie das nicht zulässt. Ja, aber es ist ein Unterschied zwischen einer natürlichen und einer dominierenden Hierarchie. Aus der integralen Perspektive ist der Unterschied zwischen den beiden sichtbar. In einer natürlichen Hierarchie gibt es keine Umkehrung, es gibt eine absolute und kategorische Aussage darüber, dass Bäume sich nicht mehr in Samen verwandeln. Zirkulär gesehen, wird der Baum einen Samen gebären, der wieder einen Baum wachsen lässt, aber linear betrachtet, wird der Baum nie wieder zu einem Samen werden. Das ist eine absolute und kategorische Einsicht: Es gibt eine natürliche Hierarchie. Erst kommt der Same, aus ihm wächst der Baum, der Baum wird sich nie wieder in einen Samen verwandeln. Bei den Worten »absolut« und »kategorisch« kann man damit rechnen, dass vielen schlecht wird, weil diese Angst vor dominierenden Hierarchien sehr tief sitzt.

Angst und Abwehr KC: In vielen spirituellen Traditionen gibt es Übungen, um die Angst vor Einsichten, die das Leben verändern, zu nehmen. Gibt es so etwas im Integralen Programm? Ich finde, dass es sehr wichtig wäre, genau hier anzusetzen und die Menschen von der Angst zu befreien. Viele lehnen die integrale Theorie einfach ab, weil sie diese schlicht nicht verstehen. Andererseits bin ich überzeugt, dass die Abwehr auch ein psychologisches Problem ist. Wie kann man den Menschen helfen, die Angst davor zu überwinden? Jeff: Ich würde es nicht als Problem titulieren, wenn jemand noch nicht bereit für die höher liegende Stufe ist. Ich glaube nicht, dass du jemanden, der modern ist, zu einem postmodernen Menschen machen kannst. Und niemanden, der postmodern ist, zu einem integralen. Was wir tun können, das ist, ein Angebot zu machen. Für alles gibt es seine Zeit. Ich weiß noch, wie es war, als ich in diesem Buchladen stand und das erste Mal Wilbers »Up from Eden« gelesen habe. Es hat mich völlig weggeblasen, ich war überreif für dieses Buch, für diese Ideen. Niemand würde mir das Buch wegnehmen können, ich war atemlos gefangen in diesen Gedanken, ich war herausgehoben aus der Zeit, es war eine im wahrsten Sinne evolutive Erfahrung. Und so ist es unsere Aufgabe, die Theorie anzubieten. Die Menschen, die dafür bereit sind, werden sie annehmen. Wir müssen die Zuversicht haben, dass das System funktioniert. Was macht die Men-

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INTEGRALE BEWEGUNG

Wir alle befanden uns an dem Punkt, als wir in Kreisen saßen, in denen jeder Meinung ein endloser Raum gegeben wird und deshalb nichts passiert

schen bereit dazu? Na, ihre grüne Bewusstseinstufe! Wir, die sich schon länger im spirituellen Milieu bewegen, kennen es zu Genüge, diese Art der grünen Krankheit. Wir alle befanden uns an dem Punkt, als wir in Kreisen saßen, in denen jeder Meinung ein endloser Raum gegeben wird und deshalb nichts passiert, und wo es uns nicht erlaubt war, eine kategorische Aussage zu machen, zu sagen, dass etwa etwas besser oder schlechter ist oder dass etwas nur dies und nicht auch noch das ist. Wir sind so gründlich satt davon geworden und gelangweilt. Ich denke, dass die Langeweile eine der Erfindungen der Evolution ist (lacht). Gott ist zu großzügig, um uns zu langweilen, Gott ist zu lebendig, zu emergierend, wenn man will. Er lässt uns nicht ruhen, Gott sei Dank. Wenn die Menschen bereit sind dafür, wird es passieren, und wenn nicht, dann ist es auch okay. Weil ein augenscheinlicher Stillstand auch zum Prozess gehört. Denn wenn man von einer neuen Idee hört, setzt sich eine Spur. So ist es. Es ist nicht immer angenehm, aber wer sagte, dass die Evolution angenehm sein muss (lacht).

furchtlos, das ist ein Resultat und ein Teil davon, was die integrale Bewegung ist. Diese Befriedung kennen andere spirituelle Traditionen auch. In der integralen Sicht neu ist, dass dieser Zustand nicht nur auf der horizontalen Ebene passiert, sondern auch auf der vertikalen. Es durchdringt dein ganzes Sein, es bleibt nicht nur ein Zustand. JK: Wirst du manchmal müde, es immer und immer wieder zu wiederholen? Jeff: Nein, auf keinen Fall. Ich kann es immer noch nicht glauben, was ich für ein Glückspilz bin, dass ich es machen darf. Was gibt es Interessanteres auf der Welt für mich als das? Nichts. Es ist für mich ein großes Privileg, hier zu sein und diese Botschaft an die Menschen weiterzugeben. JK: Meinst du nicht, dass die Skepsis gegenüber der Integralen Theorie in Europa größer als in Amerika ist? Ist es vielleicht ein Mentalitätsunterschied, dass Europäer eher zurückhaltend und weniger begeistert sind von der Integralen Theorie als die Amerikaner? Jeff: Ja, die Europäer haben eine natürliche Abneigung gegen diesen amerikanischen Enthusiasmus. Und ich denke, das ist angemessen und gut. Es gibt eine gewisse europäische Besonnenheit. Und das ist gut, weil man nicht so leicht den Kopf verliert. Schau-

en wir uns doch die Geschichte an, sie ist voll von Menschen, die hinter etwas her rennen und Hurra schreien. Dazu kommt natürlich auch noch die persönliche Typologie. Es gibt Menschen, die eher optimistisch sind, und andere haben eher eine pessimistische Sicht auf die Dinge. Je nachdem, was in dir dominiert, wirst du Neuem gegenüber eher skeptisch oder eher aufgeschlossen sein. Oder nimm das Enneagramm: Je nachdem, was für ein Typ du bist, wirst du anders auf etwas reagieren. Jede Typologie hat eine besondere Qualität, und ein gesundes System braucht alle diese Qualitäten, da sie sich gegenseitig kontrollieren. Aber, um auf deine Frage zurückzukommen: Wir können, denke ich, uns über unsere eigene Evolution begeistern, ohne uns davor zu erschrecken oder uns davor zu verstecken.

Emerging Nations JK: Kommen wir noch zu einem eher praktischen Aspekt der integralen Theorie. Was denkst du über die Politik? Länder wie China, Brasilien, Russland, Indien werden wirtschaftlich immer mächtiger und damit in Zukunft immer mehr die globale Politik mitbestimmen. Das wird in unserer globalen Welt Auswirkungen auf uns alle haben. Wie wird das aus der integralen Perspektive gesehen?

Es gibt die Grundannahme in der integralen Theorie, dass der Übergang von postmoderner Sichtweise in die integrale, also der Übergang in das »Sekundärbewusstsein«, von der radikalen Verminderung der Angst begleitet wird. Das ist eine logische Konsequenz dessen, dass ich gewahr werde, dass meine Identität viel größer ist als dieses Köper-Geist-Gebilde. Wenn ich verstehe, dass ich nicht das kleine Stück Fleisch bin, das vergehen wird, dann bin ich nicht mehr so besorgt darüber, was mit diesem Fleisch passiert. Ich bin natürlich besorgt, klar, aber nicht mehr in dem gewohnten Maße. Wenn ich krank werde, mag ich das weiterhin nicht, aber wenn ich dessen gewahr werde, dass meine Identität das System selbst ist, das Leben selbst, kann diese Identität nichts mehr verletzen, nichts bedrohen, es ist sicher, und ich bin sicher. Also bin ich

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Emerging

continents

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FLICKR.COM © KARA ALLYSON

»Ich bin das Leben selbst«


INTEGRALE BEWEGUNG

BODHISATTVAS

Innnerhalb der Wilber-Philosophie nimmt »das grüne Mem« eine besondere Rolle ein. Mit Mem ist hier etwas Ähnliches wie ein Paradigma gemeint, ein Denkmuster. Auf der Entwicklungsstufe des grünen Mems halten wir alles auf der Welt und insbesondere alle Menschen für gleichwertig und sind überzeugt, dass alles und alle gleich viel Wertschätzung verdienen und gleich viel Gehör bekommen sollten, und dass niemand einem anderen Menschen überlegen ist. Wer dennoch Hierarchien sieht oder für sinnvoll hält, gilt für im grünen Mem Verankerte als intolerant und als sowas wie ein Rassist oder Faschist.

In der Philosophie des Mahayana-Buddhismus sind Bodhisattvas »Erleuchtungswesen«. Das sind auf die Überwindung des Leidens ausgerichtete Menschen, die sich verpflichtet haben, die drei leidverursachenden Grundübel Gier, Aversion und Unwissenheit in sich selbst zu überwinden und zugleich allen anderen Wesen zu ermöglichen, sich davon zu befreien, was sie durch ein »Bodhisattva-Gelübde« deklarieren.

Jeff: Es ist super. Erstens sind Milliarden Menschen in den letzten Jahren der furchtbaren Armut entronnen. Menschen haben genug zu essen, Kinder überleben, es gibt bessere Medizin etcetera. Das ist auf jeden Fall gut. Andererseits verbraucht das Mehr an Menschen auch mehr Ressourcen, es wirkt sich wieder auf das ökologische Gleichgewicht aus, das müssen wir unbedingt bedenken und beim Umgang mit dem Klima berücksichtigen. Wir können aber auf keinen Fall die Welt retten, indem wir Menschen in der Armut halten. Das ist der eine Aspekt. Ein anderer ist, dass diese Staaten ihr Karma in die Gemeinschaft der Welt einbringen. Denkt doch an Mother India, diese unglaublichen fünf bis sechs tausend Jahre Geschichte und Zivilisation, das gleiche gilt für China. Jeder Staat hat sein Gewebe, seinen Typus, seine Unverwechselbarkeit, seine Spiritualität, seine Kunst. Wenn man das Ennea gramm anschaut, besteht das große Ganze aus neun einzigartigen Typen. Die gesunde

wissen darum, was es heißt, chinesisch zu sein, was die Essenz dieser Chinesischkeit ist.

Wir müssen zugeben, dass Evolution wunderbar ist, aber nicht hübsch

Welt muss eine volle chinesische Komponente haben und das heißt nicht, dass die Chinesen nur unser Spielzeug oder unsere Autos bauen, sondern dass es für unsere kollek tive Psyche wichtig ist, dass sie mit uns verbunden sind. Wir kennen sie nicht. Nur sie

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KC: Wenn wir bei China als Beispiel bleiben. Was passiert aber, wenn eher blau dominierte Länder, welche die Menschenrechte mit Füßen treten, zu bestimmenden Spielern auf der globalen politischen Bühne werden und die Menschenrechte als rein westliche Werte deklarieren und sie deshalb nicht akzeptieren? Aus der Integralen Perspektive sind Menschenrechte ja nicht eine westliche Erfindung, sondern sind das Ergebnis der orangen Bewusstseinstufe. Jeff: Ja, du hast völlig recht. Die Menschenrechte sind das Ergebnis der Moderne, der orangen Stufe der evolutionären Emergenz. Es gibt eine amerikanische Version, und es wird eine chinesische Version davon geben. Was wir aktuell in China haben, sind 1,3 Milliarden Menschen. Etwa 300 Millionen davon sind mehr oder weniger auf der Stufe der Moderne, und eine Milliarde ist völlig ethnozentrisch. Für sie ist eine Welt dann gut, wenn China alle anderen dominiert. Für die ethnozentrische Ebene dürfen nicht alle zusammenkommen und kooperieren, sondern einer muss alle andere dominieren. Und ich danke Gott, dass es noch keine direkte Demokratie in China gibt! Es ist aber ein Geschenk der Evolution, dass die Menschen, die bewusstseinsmäßig an der Spitze der Be wusstseinsspirale stehen, ungleich mehr Kapazität haben für das, was sie sehen, was sie verstehen und wie sie Probleme angehen. Und es ist mehr oder weniger wahr, dass in dem Moment, wenn zehn Prozent der Menschen in einem Land die nächste Stufe der Entwicklung erreicht haben, die Entwicklung sich zu zeigen beginnt. Ich sage es nochmal: Gott sei Dank, ich bin nicht dafür, dass China gleich demokratisch wird, ich bin dafür, dass die Eliten das Land führen, weil sie modern sind. Das aktuelle China verletzt Menschenrechte, wie andere Länder, die wir im Auge haben auch, darü-

ber gibt es keine Zweifel. Aber wenn du China in anderen Zeiten ansiehst, unter den Kaisern, unter Mao, die Kulturrevolution, muss man einfach sagen, dass die Situation noch nie so gut war. Es ist unbestritten so, dass die Art, wie die obere Schicht die Massen behandelt, ekelhaft ist. Aber es ändert sich. China steigt auf. Das System ist korrupt und repressiv, aber es brodelt in einer Art, wie es noch nie passiert ist. Und das geschieht auch in Ägypten, in Russland und anderen Ländern. In Russland haben wir zwar eine Monarchie mit Putin, aber andererseits haben wir Demonstrationen, die vorher nie möglich waren. Das ist eine interessante Sache: Wir stellen einen Fortschritt fest, sogar dort, wo es ekelhaft und hässlich ist. Und das ist schwer zu verstehen und schwer für einen selbst. Wir müssen zugeben, dass Evolution wunderbar ist, aber nicht hübsch. Wir wünschen uns keine Hässlichkeit und keine Ekelhaftigkeit, aber wir sehen sie. Die Welt ist voller Katastrophen, die aber, wie es scheint, Katastrophen auf dem Weg der Evolution sind. Mein Herz bricht immer wieder aufs Neue, wenn ich das Leiden der Menschen sehe und oft nichts dagegen tun kann. Aber wir können und dürfen uns nicht vom Leiden abwenden. Und es ist Teil meiner spirituellen Praxis, mich nicht davon abzuwenden, auch wenn ich diese Praxis nicht perfekt lebe und umsetze. KC: Wir müssen Bodhisattvas sein. Jeff: Ja, genau. Und je mehr du dich integral entwickelst, desto deutlicher wird dir, dass nicht du das Bodhisattvagelübde auf dich nimmst, sondern es dich nimmt. Und du erkennst, dass das Leiden der anderen nicht von dir getrennt ist. Es gibt einen Haufen toller Meditationen, wie die »Maitri«-Meditation. Es geht nicht darum, sich besser zu fühlen, sondern darum, mittendrin zu sein.

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DAS GRÜNE MEM

PROF. DR. DR. KATHARINA CEMING, Jg. 70, promovierte in Philosophie zu Meister Eckhart und Johann Gottlieb Fichte und in Theologie zum Verhältnis von Menschenrechten und Religion. 2008 erhielt sie den Mystikpreis der Theophrastus Stiftung. Sie lebt als freie Seminarleiterin und Publizistin in Augsburg. www.quelle-des-guten-lebens.de JULIA KOLODA, Jg. 80, studierte Philosophie, Vergleichende Literaturwissenschaft und Psychologie. Sie unterrichtet Literaturwissenschaft an der Universität Augsburg.

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