DAS MAGAZIN FÜRS WESENTLICHE
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7–8/2015 31. Jg. B 6128
Ankommen im richtigen Leben
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Ankommen
im richtigen Leben
Mit Texten von oder über Ramana Maharshi, Jiddu Krishnamurti, Konstantin Wecker, Jed McKenna, Charles Eisenstein und den Dalai Lama
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K W O +
O E H M
N C N E
S T A N T I N K E R E W A R U M H R DIE NEUE WECKER-CD IST DA!
02.08.2015 | 20:00 Uhr Zeltpalast an der Messe D – 35398 Gießen
15.10.2015 | 20:00 Uhr Stadthalle D – 66663 Merzig - Saar
02.12.2015 | 20:00 Uhr Stadthalle Alsdorf D – 52477 Alsdorf
07.04.2016 | 20:00 Uhr Nikolaisaal D – 14467 Potsdam
03.08.2015 | 19:30 Uhr Amphitheater D – 63454 Hanau
16.10.2015 | 20:00 Uhr Kurhaus D – 55543 Bad Kreuznach
04.12.2015 | 20:00 Uhr Stadttheater Idar-Oberstein D – 55743 Idar-Oberstein
08.04.2016 | 19:00 Uhr Alte Oper D – 99084 Erfurt
06.08.2015 | 20:00 Uhr Burgarena Finkenstein A – 9582 Latschach
18.10.2015 | 19:00 Uhr Tollhaus D – 76131 Karlsruhe
07.08.2015 | 19:30 Uhr Domplatz A – 4020 Linz
20.10.2015 | 20:00 Uhr
08.08.2015 | 20:00 Uhr Kasemattenbühne A – 8010 Graz 09.08.2015 | 20:00 Uhr Donaubühne Tulln A – 3430 Tulln
19.07.2015 | 20:00 Uhr Schloss Triebenbach D – 83410 Laufen
20.07.2015 | 19:30 Uhr Auf der Wiese vor Kloster Banz Sparkassen-Kulturzelt D – 96231 Bad Staffelstein D – 94469 Deggendorf 40 JAHRE WAHNSINN 16.07.2015 | 20:00 Uhr Burggarten Dreieichenhain D – 63303 Dreieich
23.07.2015 | 20:30 Uhr Kraftwerk D – 78628 Rottweil
Freilichtbühne Zwickau D – 08056 Zwickau
24.07.2015 | 20:00 Uhr Bergwaldtheater D – 91781 Weißenburg in Bayern
W E I T E R E
I N F O S
17.07.2015 | 20:00 Uhr
21.10.2015 | 20:00 Uhr Bühne im Opernhaus D – 39104 Magdeburg
23.10.2015 | 20:00 Uhr Stadthalle D – 59494 Soest
JEDER AUGENBLICK IST EWIG (SOLO) 10.09.2015 | 19:30 Uhr
Tonhalle D – 40479 Düsseldorf
Schloss Esterházy A – 7000 Eisenstadt
25.10.2015 | 19:00 Uhr
24.10.2015 | 20:00 Uhr
Theater der Stadt Gummersbach Kongress und TheaterHausy D – 51653 Gummersbach | 27.07.2015 20:30 Uhr A – 4820 Bad Ischl Luisenburg-Festspiele 24.11.2015 | 20:00 Uhr D – 95632 Wunsiedel Konzertsaal im Pfalzbau OHNE WARUM D – 67059 Ludwigshafen 28.07.2015 | 20:00 Uhr 09.10.2015 | 20:00 Uhr Hof der Burg Brattenstein Barbara-Künkelin-Halle 25.11.2015 | 20:00 Uhr D – 97285 Röttingen Kurhaus Benazet-Saal D – 73614 Schorndorf D – 76530 Baden-Baden 31.07.2015 | 19:30 Uhr 13.10.2015 | 20:00 Uhr Einhaldenhof Milchwerk - Tagungs- und 30.11.2015 | 20:00 Uhr D – 88263 Horgenzell Kulturzentrum Amberger Congress Centrum D – 78315 Radolfzell D – 92224 Amberg 01.08.2015 | 20:00 Uhr | Kulturhaus Osterfeld 14.10.2015 20:00 Uhr 01.12.2015 | 20:00 Uhr Innenhof Stadthalle Eberbach - Baden Stadthalle D – 75172 Pforzheim D – 69412 Eberbach - Baden D – 37073 Göttingen
13.09.2015 | 20:00 Uhr
SONGS AN EINEM SOMMERABEND 03.07. 2015 + 04.07.2015 | 19:00 Uhr
Stadthalle Chemnitz D – 09111 Chemnitz
U N D
05.12.2015 | 20:00 Uhr Hohenzollernhalle D – 91560 Heilsbronn 06.12.2015 | 18:00 Uhr Stadthalle D – 87700 Memmingen 19.02.2016 | 20:00 Uhr Forum am Hofgarten D – 89312 Günzburg 21.02.2016 | 19:00 Uhr Stadthalle Schopfheim Großer Saal D – 79650 Schopfheim 23.02.2016 | 20:00 Uhr Zentrum am Park (ZAP) D – 56281 Emmelshausen 25.02.2016 | 20:00 Uhr Die Glocke, Großer Saal D – 28195 Bremen 01.03.2016 | 20:00 Uhr Alte Oper D – 60313 Frankfurt am Main
02.03.2016 | 20:00 Uhr Stadthalle D – 65549 Limburg
03.03.2016 | 20:00 Uhr Kunstwerk D – 41189 Mönchengladbach (Wickrath)
05.04.2016 | 20:00 Uhr UdK Konzertsaal Hardenbergstraße D – 10623 Berlin – Charlottenburg
10.04.2016 | 20:00 Uhr Großes Haus D – 74072 Heilbronn 14.04.2016 | 20:00 Uhr Stadthalle D – 33602 Bielefeld 15.04.2016 | 20:00 Uhr Philharmonie Essen D – 45128 Essen 16.04.2016 | 20:00 Uhr Siegerlandhalle (Leonhard-Gläser-Saal) D – 57072 Siegen 24.04.2016 | 18:00 Uhr Steintor-Variete Halle D – 06112 Halle (Saale) 25.04.2016 | 20:00 Uhr Konzertkirche D – 17033 Neubrandenburg 26.04.2016 | 20:00 Uhr Gewandhaus zu Leipzig D – 04109 Leipzig 28.04.2016 | 20:00 Uhr Meistersingerhalle D – 90478 Nürnberg 03.05.2016 | 20:00 Uhr Congress Centrum D – 97070 Würzburg 04.05.2016 | 20:00 Uhr Kongress am Park D – 86159 Augsburg
Ä N D E R U N G E N : U N T E R : W W W.W E C K E R . D E
Da sein
Orientierungskrisen Wir müssen erst einmal da ankommen, wo wir wirklich sind, sonst kann uns niemand helfen, vor allem wir selbst uns nicht. Wir müssen in der Realität landen, im richtigen Leben. Wir müssen aufwachen aus dem Schlummer all der Illusionen, die wir über die Welt und uns selbst haben. Manchen passiert das in einer Orientierungs krise wie der Midlife-Crisis, manchen nie. Auch wer dabei nicht gleich nach der Erleuchtung greifen will, dem Olymp menschlicher Entwicklung, der Erledigung aller Illusionen über die Welt und sich selbst – das Anbohren der eigenen Lebenslüge wäre schon mal ein guter Anfang.
Weltkultur in Trance Das gilt übrigens auch für unsere Weltkultur als Ganzes, die gerade
noch nicht bei sich selbst angekommen sind.
Erst landen, dann jubeln Dort anzukommen, wo wir eigentlich schon sind, kann eine lange Reise sein. Diese Zeitschrift hat es sich zur Angewohnheit gemacht, auf die Beschönigung dieser Reise zu verzichten.Wellness-Spiritualität gewohnte Leser mag das überraschen. Wir meinen jedoch, dass Lebensfreude und Gesundheit sich erst dann nachhaltig gut entwickeln, wenn man auf Illusionen verzichtet und erstmal bei sich selbst ankommt. Nach den geplatzten Träumen, auf dem Boden der Tatsachen und der bewusst gestalteten Fiktionen kann sich das Leben so richtig gut entfalten und genossen werden. Deshalb empfehle ich: erst landen, dann jubeln!
[
darauf aus ist, ihre endlichen Ressourcen zu verbrauchen und den Biotop zu vernichten, der sie trägt. Sie ist noch nicht bei sich angekommen, in der Realität. Sie ist wie ein Heroin-Süchtiger, der glaubt, er könne sich den Stoff ewig weiter spritzen. Es ging doch bisher alles gut, wir sind doch noch jedes Mal wieder high geworden mit unserem gewohnten Ressourcenverbrauch. Ein Ankommen bei sich selbst würde bedeuten, die Biodiversität zu schützen, ebenso die Urwälder und die Meere, und in naher Zukunft nur noch erneuerbare Energien zu verbrauchen. Außerdem die Weltbevölkerung nicht mehr anwachsen zu lassen und innerhalb des globalen Dorfs die Ressourcen besser zu verteilen. Sonst werden die Gleichgewichte kippen, die uns am Leben erhalten, und schon vorher, wenn wir auf diesen Punkt zusteuern, werden Verteilungskämpfe es auch für uns, die wir noch in einem privilegierten Teil der Welt leben, sehr ungemütlich machen.
Schattenkämpfe Deshalb ist es so wichtig, dass immer mehr Menschen bei sich selbst ankommen, und dass sie dieses Aufwachen oder Ankommen im traumfreien, illusionslosen Zustand gegen wärtiger Präsenz nicht mit Visionslosigkeit verwechseln. Es ist sogar so, dass wir erst dann imstande sind, realisierbare Visionen zu verwirklichen, wenn wir bei uns selbst angekommen sind und einander nicht mehr bei Schattenkämpfen mit unserer Umgebung aufreiben. Es ist ja nicht nur jeder private Konflikt eine Arena, wo nach außen projizierte innere Dämonen gegeneinander antreten, sondern das gilt auch für alle politischen Konflikte. Da werden Feinbilder projiziert, Minderheiten verfolgt und irrationale Ängste geschürt, weil die Akteure
www.connection.de · Juli-August 7-8/2015
FOTO: ANIELA ADAMS
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nter Coaches und Beratern heißt es: Du musst einen Menschen dort abholen, wo er ist! Stimmt. Aber sind Berater und Beratener selbst schon dort, so dass der eine den anderen abholen kann? Dazu fällt mir die Geschichte von den beiden Männern ein, die über einen See rudern, und ausgerechnet der Nichtschwimmer der beiden fällt ins Wasser. »Hilfe, Hilfe!«, ruft er. Sein Freund greift nach ihm, bekommt aber nur seine Jacke zu fassen. »Hilfe, Hilfe!« Wieder packt sein Freund zu; diesmal bekommt er ihn an den Haaren zu fassen, aber die erweisen sich als Perücke. »Hilfe, Hilfe!« Ein drittes Mal greift er nach dem Ertrinkenden, aber diesmal hat er eine Armprothese in der Hand, und erwidert: »Wenn du willst, dass ich dir helfe, muss du mir schon was Echtes von dir geben!«
Editorial
Erst wer wirklich hier ist, kann sich entfalten
Wolf Schneider, schneider@connection.de
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r ssike a l K r r De ferba e i l r wiede
JULI-AUGUST 7-8/2015
Ankommen im richtigen Leben
Zusammengestellt und liebevoll gestaltet von Parvatee und Shankara. Tipps aus eigener Erfahrung mit vielen Anleitungen zu den Themen Bekleidung (Pflanzenfärben, Schlafsäcke, Hemden, Hosen, Steppdecken), Körperpflege (Heilsalben, Massageöle, Zahnwasser, Gesichtscremen, Jaguarbalsam), Gartenbau (Humafix, Aussaattage, Lausbekämpfung, Hügelbeet, Kompost) und Ernährung (Vollkornbrot, Tannwipfelhonig, Käse, Joghurt, Holdersaft) und vielem mehr! 205 S. m. Zeichn., kart. ISBN: 978-3-922708-66-7
Das richtige Leben ist jetzt, hier, heute. Wir sollten nicht mehr darauf warten, dass es erst noch kommt, denn wenn wir es jetzt nicht leben, wann dann? Die Arten jedoch, wie Menschen zu sich und bei sich selbst ankommen, sind sehr verschieden. Manche sind schockiert über den Verlust an Illusionen, andere in Ekstase ob der gewonnenen Freiheit
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S. 14 – 41
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Aufklärung und Spiri-Phobie Eine tiefe Kluft trennt die Gesellschaft in zwei Lager: in die »spirituell Empfänglichen« und die vermeintlich Aufgeklärten, die dann über die Spiris, Esos und andere religiös Verirrte ablästern. Wolf Schneider sprach mit Konstantin Wecker darüber, warum »SpiriPhobie« so verbreitet ist und inwieweit das spezifisch deutsch ist
S. 42 – 44
Ist Weisheit übertragbar? Wenn Weisheit vom Podium aus verkündet wird, fällt es schwer zu unterscheiden, ob wir dabei gerade unsere eigene innere Wahrheit erkennen oder uns dies nur von einer Autorität suggeriert wird. Saleem hat in Berlin an einem Seminar mit Almaas und Karen von der Ridhwan-Schule teilgenommen und fragt sich, inwieweit Weisheit überhaupt vermittelbar ist – und wenn ja, wie man das am besten macht
S. 60 – 63
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Juli-August 7-8/2015 · www.connection.de
I N H A LT 6 7 10 12
Gustav Mahler über Tradition Wie es ist – Nachrichten von heute Wie es sein könnte – Nachrichten aus einer Welt von morgen Visuelle Poesie von Christina von Puttkamer
S. 14
Schwerpunkt: Ankommen im richtigen Leben 14 18 20 22 26 28 32 34 38 39 42 46
Sei jetzt hier! – Wolf Schneider aber schätzt auch das Dann-und-dort Wie ich dem Dalai Lama begegnet bin und so bei mir selbst ankam, erzählt K.-L. Leiter Desillusionierung erfuhr Marianne Gnendinger mitten in der dunklen Nacht der Seele Wenn die Puppenstube zerbricht, musst du mit dir selbst zurecht kommen – Jürgen Fischer erklärt Jed McKennas Begriff der spirituellen Dissonanz Die Kausalität geht manchmal seltsame Wege – Charles Eisenstein spricht über den Schock und das Glück des Ankommens Reinkarnation bei lebendigem Leib – Verklärung ist etwas anderes als Erleuchtung, meint Matthias Mala Die Lebendigkeit in der Tiefe des Augenblicks zu finden ist Christian Meyers Anspruch Einfach Atmen empfiehlt Annelie Tacke, um in schwierigen Situationen zu sich zu kommen Das unscheinbare Glück erfreut Camilla Maier Drei Portraits von Menschen und Methoden, die das Ankommen unterstützen: 39 Sabina Tschudi, 40 Christian Meyer, 41 Paul Busse Die Seichten und die Tiefen – Wolf Schneider und Konstantin Wecker über »Spiri-Phobie« Ich bin erleuchtet, aber das ist jetzt auch egal, findet Sabrina Mansouri als Meisterschülerin Narafin
49 WerWasWo 50 Die Erleuchtungskiste – Ulrich Nitzschke hat ein Gespräch zwischen Jed McKenna und Ramana Maharshi belauscht 52 Hilfe! Wer rettet uns vor den Opfern? – Wolf Schneider hat lieber Täter um sich 56 Wann ist eigentlich Geisterstunde? – Connection-Hofnarr Johannes Galli über Geist, Schuld und das richtige Leben 59 Große und kleine Wellen – Daniel Herbst verabscheut den Gleichheitswahn 60 Weisheit, vom Podium verkündet – Saleem Matthias Riek war auf einer Veranstaltung der Ridhwan-Schule 64 Promotion: Als Goldgräberin unterwegs ist Sigrid Beckmann-Lamb, die Gründerin des Seifener Modells 66 Promotion: Offen für das Wunder des Lebens ist Egbert Griebeling, der Gründer von animoVida® 68 Kinofilm: Señor Kaplan, Komödie von Alvaro Brechner über einen Nazi-Jäger in Uruguay 69 DVD: Goldenes Königreich, Spielfilm von Brian Perkins über Myanmar (Burma) 70 Bücher über Schmerz, das Sterben, Eckhart Tolle, Citizen Science und anderes 74 Leserbriefe über Geist & Materie, Männer & Frauen, Wirtschaft und Erleuchtung 78 Marktplatz 79 Einstein über sein Gottesbild 80 Veranstaltungskalender und Inserentenverzeichnis 82 Vorschau/Impressum
S. 18
S. 28
S. 34
S. 50
, Zeitschrift für Spiritualität & Politik, Mystik & Widerstand, Ökologie, Lebenskunst und Humor. Erscheint alle zwei Monate mit einem starken Schwerpunkt. Gegründet 1985, ist Connection Spirit die älteste transkonfessionelle spirituelle Zeitschrift auf deutsch. Fachmagazine über Tantra und Schamanismus aus demselben Verlag ergänzen sie.
www.connection.de · Juli-August 7-8/2015
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ANKOMMEN
»Meditation ist nicht, was man denkt!« Karl-Ludwig Leiter
Wie ich dem
Dalai Lama begegnet bin das ankommen bei einem anderen Menschen kann zu einem ankommen bei sich selbst werden. Vorausgesetzt, du verstellst dich nicht
Von Karl-ludwig leiter
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n den frühen 80er Jahren traf ich einmal in Frankfurt auf der Buchmesse den Dalai Lama. Genauer gesagt, bin ich mehr oder weniger in ihn hineingerannt. Es war kurz vor Messe-Ende, und ich stürmte mit eiligen Schritten aus Halle 6.0, um in Halle 8 noch einige Geschäftspartner zu treffen. Schwungvoll riss ich die Türen auf und stand unvermittelt dem Dalai Lama gegenüber. Nein, ich hatte ihn nicht berührt – aber ich war fast mit ihm zusammengestoßen. Er führte eine kleine Entourage mit sich, genauer gesagt führte er die Gruppe an und zog sie, wie eine Entenmama ihre Jungen nach sich zieht. Es schien mir, als wollte er im gleichen Schwung in die Halle hinein, aus der ich
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in großer Eile fliehen wollte. Ich sprang zur Seite und machte der kleinen Gruppe Platz.
Buchmessetrubel Damals war der Dalai Lama noch nicht jedem Kind auf der ganzen Welt bekannt. Ein erstes Buch über ihn und sein Leben war auf Deutsch in einem relativ kleinen Verlag erschienen. Und dieser Verlag hatte seinen Stand in dieser Halle. Ohne einen Augenblick zu zögern, änderte ich meine Pläne und ging auf direktem Weg zu besagtem Messestand. Dort warteten Fotografen, und dann war er auch schon da, der Dalai Lama, das Oberhaupt der Buddhisten.
Juli-August 7-8/2015 · www.connection.de
ANKOMMEN
nommen: von der Brille Seiner Heiligkeit. Avalokiteshvara, der Buddha des grenzenlosen Mitgefühls, war kurzsichtig! Mindesten 3,5 Dioptrien, dachte ich mir. Und dann steckten diese dicken Brillengläser in einem unfassbar hässlichen Brillengestell. Eines, das man von seiner Krankenkasse umsonst bekommt, wenn man sich die hochwertigeren Fassungen nicht leisten kann. Ein sogenanntes Kassengestell! Inzwischen schien sich sein Blick über mein kindliches Staunen zu amüsieren. Als ich sein mildes Lächeln bemerkte, wachte ich wie aus einer Trance auf. Mit einem Schlag war ich ganz da.
Buddha-Lachen
ILLUSTRATION: KARL-LUDWIG LEITER
Abgepasst Bevor das Oberhaupt der Tibeter Anstalten machte zu gehen, hatte ich mich aus der Menschentraube herausgelöst und war zu einem der hinteren Notausgänge gegangen. Ich öffnete die Stahltür und stand direkt vor einer großen schwarzen Limousine, in der ein uniformierter Fahrer mit laufendem Motor auf seinen VIP-Gast wartete. Ich stellte mich auf die gegenüberliegende Seite des Autos, zwischen einen hohen Maschendrahtzaun und große Müllcontainer, und wartete. Keine fünf Minuten waren vergangen, da öffnete sich die Tür der Halle, und wieder stand mir der Dalai Lama – diesmal nur von zwei Begleitern flankiert – unmittelbar gegenüber. Eine Kofferraum-Breite weit entfernt. Obwohl ich in meinem dunkelblauen italienischen Anzug mit passender Krawatte ganz und gar nicht danach aussah, war ich doch einer der wenigen westlichen Buddhisten der ersten Generation sozusagen. Ich hatte im Kloster Zen praktiziert und war Schüler eines tibetischen Lamas geworden. Ich wusste, wer vor mir stand: die Emanation des Buddha Avalokiteshvara, des Buddhas des grenzenlosen Mitgefühls … ein lebender Buddha.
Aufwachen Das rote Gewand, nach uralter Vorschrift gefaltet, ließ den rechten Arm frei. Auf dem nackten kräftigen Oberarm hatte der Dalai Lama einen Pickel. Keinen großen Pickel, sondern einen ganz normalen, so wie jeder schon mal einen in seinem Leben gehabt hat. Ein Pickel, den man bei jedem anderen Menschen übersehen oder ignoriert hätte. Aber hier beim Dalai Lama stach er endlos groß und mächtig ins Auge: Buddha Avalokiteshvara hatte Pickel! Unfassbar! Mein Auge konnte sich kaum wegreißen von der monumental gewordenen Hautunreinheit Seiner Heiligkeit, da bemerkte ich, dass seine gütigen Augen von meinem Erstaunen beeindruckt gewesen sein könnten. Sein Blick ruhte sanft und aufmerksam auf meinem Gesicht, und diesmal wurde mein Blick von etwas ganz anderem in Beschlag ge-
www.connection.de · Juli-August 7-8/2015
Ich sollte mich verbeugen, dachte ich. Die Hand geben? Nein, das wäre anmaßend und übergriffig. Aber verbeugen, so wie ich es
Weinen, bis das Gefäß leer ist Der Wagen war verschwunden. Alles um mich herum wurde plötzlich grau. Tief grau. Und dann schossen mir die Tränen in die Augen. Urplötzlich und wie aus heiterem Himmel. Ich, der so gut wie niemals weinte, der sich mit 12 oder 14 Jahren geschworen hatte, keinen Moment der Schwäche zuzulassen und seither auch nicht mehr weinen konnte, selbst wenn er es gewollt hätte – dieser jemand wurde unvermittelt von endlosem Schmerz übermannt. Niedergestreckt müsste man sagen, denn meine aufrechte Haltung fiel in sich zusammen, kollabierte regelrecht. Tränen strömten über meine Wangen, Schleim und Rotz liefen in dicken Flüssen aus meiner Nase, ein anfänglich stilles Schluchzen wurde zu einem lauten und hemmungslosen Heulen.
»Ich wollte keiner dieser devoten Gläubigen sein, kein buckelnder Verehrer von jemandem, der Pickel hatte wie ich und kurzsichtig war«
schon unzählige Male vor den hölzernen Buddhas der Zen-Klöster gemacht hatte: die Hände falten zum Gasho – wie es im Zen heißt – oder in der Mudra des Anjali … dann den Kopf neigen in Ehrfurcht und Bescheidenheit … dem Buddha Ehre erweisen, die eigene Hingabe und Demut zum Ausdruck bringen … in einer einzigen tiefen Verbeugung. Aber das konnte ich plötzlich nicht mehr. Eingefroren. Schockstarre. Ich wollte nie einer dieser Speichellecker sein, wollte keiner dieser devoten Gläubigen, kein buckelnder Verehrer von jemandem sein, der Pickel hatte wie ich und kurzsichtig war, wie so viele auf dieser Welt. Der Dalai Lama schien meinen inneren Konflikt glasklar zu sehen. Während wir uns fest und offen in die Augen schauten – mein Blick mutig, aufrecht, unnachgiebig und stolz und sein Blick sanft, warm, wohlmeinend und sichtlich von diesem stillen Schauspiel amüsiert – schenkte er mir das zauberhafteste Buddha-Lachen, das man sich vorstellen kann. Ich lächelte zurück, immer noch steif und gerade, aber mit offenem Lachen in Augen, Herz und Mund. Der Dalai Lama bestieg lächelnd die Limousine, die Tür wurde geschlossen und der Wagen fuhr auf der trostlosen Straße zwischen Maschendraht und Blechcontainern davon. Ich blieb in meinem dunkelblauen Designeranzug allein zurück. Jung, aufrecht, gutaussehend. Ein Buddhist der neuen Generation. Smart, clever, unkorrupt. Ein Bodhisattva-Krieger, mutig, gerade, stolz.
Klebrige Rotze, Tränen, Sabber aus dem Mund liefen über Gesicht und Kragen; Hemd und Jacke aufgeweicht und klebrig, schleimig, nass. Mir war das egal. Nur Weinen. Weinen, Weinen. All den Schmerz hinausweinen. All die tausend ungeweinten Tränen. Wie weh ein aufgeblasenes Ego tut. Wie schmerzhaft Arroganz sein kann. Wie falsch der Stolz, wie verknöchert die Härte. Wie verloren man sein kann, besonders dann, wenn man sich clever und gut und richtig wähnt. Lange stand ich da. Weggeworfen zwischen Müllcontainern. Grau geworden im Grau kalter Industrielandschaft. Über eine Stunde lang hat es gedauert. Bis ich keine Tränen mehr hatte. Bis sie alle vergossen waren. Bis ich ganz leer war. Dann richtete ich mich langsam wieder auf, stolz und gerade, drehte mich in die Richtung, in der der Wagen des lebenden Buddha verschwunden war, faltete die Hände vor der Brust, und verbeugte mich tief und voller Dankbarkeit. Still und vorsichtig kam das Lächeln zurück.
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Schnell hatte sich eine Traube von Menschen um ihn geschart. Er schüttelte Hände (auch mit dem katzbuckelnden Verlagsinhaber, der ironischerweise heute, dreißig Jahre später, einer seiner erbittertsten Gegner und Feinde geworden ist) und ließ sich lächelnd fotografieren. Immer mehr Menschen kamen, und die Traube um ihn herum verdichtete sich zu einem massiven Gebilde aus Neugier und Vorwitz. Da ich mich mit der Gebäudesituation der Frankfurter Messe seit Jahren recht gut auskannte, wusste ich, was der Dalai Lama bald tun würde, um sich nicht durch die größer werdende Schar der Neugierigen hindurchkämpfen zu müssen.
entnommen aus: Karl-ludwig leiter, Wie vor Was, arkana Verlag 2014, HC, 320 S., € 17,99
Karl-ludwig leiter, Jg. 53, Vater von drei töchtern, selbständiger grafikdesigner. Meditiert seit ca. 40 Jahren und leitet seit vielen Jahren europaweit Seminare und workshops zu Meditation und achtsamkeit. www.sit-zen.com
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ANKOMMEN
Desillusionierung Aufwachen, mitten in der dunklen Nacht der Seele
Das Ankommen im richtigen Leben, bei der Wahrheit hinter den Rollen, die wir einander vorspielen, ist keineswegs immer süß. Besonders in langjährigen Beziehungen kann dies eine beinharte Landung in der Wirklichkeit sein, eine kaum erträgliche Enttäuschung. Damit zurechtzukommen braucht Mut, Verständnis, Weisheit, Verzeihen. Marianne Gnendinger berichtet von einem solchen Aufwachen aus einer langen, dunklen Nacht der Illusionen
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VON MARIANNE GNENDINGER er nachfolgende Text entstand in seiner Urfassung in der Nacht auf den 19. März 2015 zwischen ein und drei Uhr morgens. Ich hatte wochenlang kaum noch geschlafen, oft vergessen zu essen, so sehr war mein Leben aus den Fugen geraten. Äußerlich blieb scheinbar alles beim Alten, doch in mir tobte ein schmerzhafter Kampf, und der ist noch nicht zu Ende. Ich sah da, was ist, wie ich bin, wozu ich imstande bin und wie ich mich im Gegenüber getäuscht hatte, und zwar über Jahrzehnte. Der Text musste geschrieben werden, weil ich an mir selber immer mehr irre wurde und nicht mehr wusste, ob ich nicht verrückt geworden war. Denn nachdem die Täuschung weggefallen war, war da ein riesiges, trichterartiges Loch, das an seinen Rändern immer noch schmerzhaft bröckelt.
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Rollenspiele Desillusionierung bedeutet Erkennen – und zwar radikal zu erkennen, dass ich mich getäuscht habe. Dass ich Dinge geglaubt hatte, die so nie waren. Erkennen, dass das Bild, das ich von mir selber hatte, eben ein Bild war. Und zwar eines, dessen Aufrechterhaltung mich größte Anstrengung gekostet hatte, ebenso wie die Rollen zu spielen, die damit verbunden sind. Diese Anstrengung wurde schließlich so groß, dass nun alles in mir zerbröckelt. Ich bin wie im Nebel und weiß vor lauter Behauptungen, Lügen und Trugbildern selbst nicht mehr, wer ich bin. Jede Rolle ist verbunden mit einem bestimmten Handeln, das ich mir angewöhnt hatte; ich kann mir nun kaum mehr vorstellen, wie ich ohne das jeweilige Handlungs-
Juli-August 7-8/2015 · www.connection.de
ANKOMMEN
en beginnen. Dann suchen wir uns andere Menschen, die noch nichts ahnen von den Abgründen und die uns noch genauso blind begegnen wie wir uns selber begegnen, und so beginnt das Spiel von Neuem. Das hat nichts mit Liebe zu tun, es ist nur eine ununterbrochene Aneinanderreihung von Liebeleien.
Zusammenbruch Wenn wir selber aufgehört haben zu spielen oder zumindest den tiefen, aufrichtigen Wunsch haben, in jedem Moment der Fratze unserer Manipulationen ins Gesicht zu schauen, dann verändern sich die Begegnungen mit unseren Mitmenschen dramatisch. Dann halten wir die Masken, die wir so gerne aufsetzen, nicht mehr für die Wirklichkeit, haben aber mit Menschen zu tun,
Es ist die Angst, buchstäblich keine Rolle
FLICKR.COM © BRUNO CORDIOLI
mehr zu spielen in der Welt
dazu bei, dass sie ihr Spiel immer weiter fortsetzen. Weil ich unwahrhaftig bin, tun und sagen auch sie Dinge, die ihnen in der Begegnung mit mir vorteilhaft erscheinen, und auch sie tun es gewohnheitsmäßig und mit immer größerem Raffinement. So treffen Spieler aufeinander, die zugleich sich selber wie auch ihr Gegenüber so manipulieren, dass sie sich für das halten, was sie einander gerade vorspielen. Und wenn dies schöne, erfreuliche, das eigene Ego erhebende Facetten sind, schauen wir verliebt hin und glauben, unser wahres Selbst zu entdecken, das göttliche Selbst.
Einander betrügen Wenn es wahr ist, dass Dualität Illusion ist, dann müssten wir eigentlich auch bereit sein, die unschönen Seiten, die uns gespiegelt werden, als göttliche Wahrheit unserer selbst anzuerkennen. Aber das tun wir nur selten: Wir verhalten uns dann eher so, als hätten wir etwas verwechselt und tun so, als hätten wir jetzt im anderen etwas erkannt, wo dieser seine Not hat, und wir könnten durch unser Fragen, unseren Kontakt, dazu beitragen, dass der andere diesen Schatten erkennt und Zugang erhält zu seiner göttlichen Wirklichkeit, die auch bei ihm unserem Konzept nach schön, aber nicht vollkommen, also alles zulassend, ist. Dadurch lenken wir uns ab und schauen uns das nicht an, was in uns von uns selber endlich gesehen werden will. Ab und zu kommen wir mit einem Menschen an die Grenze, also dahin, wo wir dieses Spiel nicht mehr spielen können, entweder weil der andere aufgehört hat zu spielen oder weil wir unser eigenes Spiel plötzlich zu durchschau-
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die an ihren Fratzen noch unbedingt festhalten wollen. Je intensiver, näher, vertrauter eine Beziehung mit einem Mitmenschen ist, desto dramatischer kann hier die Desillusionierung erlebt werden. Dann wird uns plötzlich klar, dass unser Gegenüber nicht der ist, für den wir ihn immer gehalten haben. Wir werden wütend auf ihn, bezichtigen ihn, er habe uns immer etwas vorgemacht, er bediene sich der Lüge, und wir verzweifeln, weil wir nicht mehr wissen, mit wem wir es zu tun haben. Unser Gegenüber aber verzweifelt ebenso, denn dieser Mensch spürt, dass jetzt etwas dabei ist zusammenzubrechen: dieses Gewirr aus Identitäten, die das Produkt von selbstverliebten Illusionen sind. Dahinter verbirgt sich nichts anderes als die Angst, überhaupt nicht mehr zu wissen, wer man ist, und ohne dieses Wissen nicht mehr in die Welt gehen zu können und dann vollkommen zu vereinsamen. Es ist die Angst, buchstäblich keine Rolle mehr zu spielen in der Welt. Wir wissen ja noch nicht, dass diese Angst unbegründet ist, denn ausgespielt haben wir nur in der Welt der Illusionen, und ab diesem Wendepunkt sind wir da – ohne Maske, ohne Anstrengung, ohne Angst, und unabhängig davon, welche Menschen aus welchen Kontexten zusammenkommen, es wird immer leicht sein, weil wir einfach sind.
Wahrhaftig sein Wenn wir wissen, wie schwierig es für uns war, zu dieser tiefen Einsicht zu kommen, und dass wir sie nur als Endpunkt eines schmerzvollen Absturzes erleben konnten; wenn wir uns dann noch verbinden können mit unserer ei-
genen Angst vor dem totalen Loslassen; wenn wir uns noch erinnern, wie schrecklich unsere Angst ist, das Gesicht zu verlieren und nicht mehr der oder die sein zu können, die wir doch meinten, wahrhaft zu sein, dann ist es uns auch möglich, unser Gegenüber nicht zu verurteilen für die Lügen, die er oder sie immer noch aufrechterhält. Was aber ist mit dem Schmerz, der daraus resultiert, dass wir uns betrogen fühlen, und dass wir nun, da wir die Wahrheit wissen, nicht mehr mit der Illusion weiterleben können? Was ist mit unserer tiefen Sehnsucht danach, nicht nur zu wissen, wer wir selber sind, sondern auch, uns darauf verlassen zu können, dass unser Gegenüber wahrhaftig da ist? Kann sie erfüllt werden? Wir haben kein Recht darauf, und solange wir die Erfahrung noch nicht gemacht haben, wie es ist, wenn zwei Menschen einander vollkommen illusionslos in Bezug auf sich selbst und den andern begegnen, können wir uns nicht einmal vorstellen, dass das möglich ist. Aber dadurch, dass wir bei uns selbst erlebt haben, wie befreiend es ist, mit dem Spielen von Rollen und dem Tragen von Masken aufzuhören (selbst wenn wir dann immer noch manchmal spielen), haben wir Hoffnung. Und hier lauert die Gefahr, denn aus der Hoffnung heraus wollen wir etwas tun, damit der andere endlich auch erkennt. Dieser wird sich aber umso verzweifelter bemühen, die Illusionen aufrecht zu erhalten. So bleibt nur die Verzweiflung, in der vielleicht eine leise Ahnung liegt, dass die Begegnung mit einem anderen Menschen, der die Masken ebenso total fallen lässt, immer nur ein Geschenk sein kann, ein Geschenk des Lebens. Wir können nichts tun, um diesen Prozess zu beschleunigen. Wir können nur unsere Mühen und unsere Angst anschauen, und unsere Versuchung zu manipulieren; dann erkennen wir allmählich, dass jegliches Tun, das mit einer Absicht verknüpft ist, Manipulation ist. Lange Liebesbeziehungen stehen an so einem Punkt auf des Messers Schneide, denn wir können nun nicht mehr Rollen spielen. Wir können nicht zurück in den Zustand der Illusion, und so sind wir tagtäglich mit der Lüge konfrontiert. Wir sehen sie! Und es scheint, als müssten wir die Beziehung beenden, um endlich in Wahrheit und Freiheit zu leben.
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muster meinen Mitmenschen begegnen soll. Weil ich mein Handeln über die Jahrzehnte sorgfältig angepasst, verfeinert und perfektioniert hatte, gelang es mir mit trügerischer Leichtigkeit, je nach Bedarf oder Gegen über, genau das Muster zu aktivieren, das mir angemessen erschien. Da dieses Handeln aber nicht meiner tiefen, inneren Wahrheit entspricht – und es entsprach ihr nie! –, konnte ich nie konfliktfrei mehreren Personen, denen ich verschiedene Seiten vorgaukelte, zugleich begegnen. Ich werde nun zwangsläufig schlittern, unsicher sein, fürchten, mich lächerlich zu machen und mir angewöhnen, Begegnungen mit Menschen zu vermeiden, die mich vor allem als Rollenspielerin kennen, ohne dass sie das jedoch wüssten. Allerdings sitzen auch meine Mitmenschen einer Illusion auf. Mit meinem Spiel trage ich
MARIANNE GNENDINGER, Jg. 62, Stud. d. Anglistik & Romanistik, Lehrerin, lebt im Allgäu. Viele Male gestrauchelt, gefallen, eingetaucht und wieder aufgetaucht. Mit allen möglichen therapeutischen Wassern gewaschen. Der Rote Faden? Geschichten, das Erzählen, das Leben als Erzählung sehen. m.gnendinger@live.com
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SPIRITUALITÄT
Die Seichten & die Tiefen Warum die vermeintlich Aufgeklärten so oft »spiri-phob« sind Unsere Gesellschaft ist tief gespalten. Zwischen arm und reich, das schon lange, und diese Kluft driftet immer weiter auseinander. Auch zwischen rechts und links ist die Gesellschaft gespalten, seit immerhin gut 200 Jahren. Nun gibt es eine dritte, die ebenso tief zu sein scheint: die zwischen vermeintlich Aufgeklärten einerseits und »spirituell musikalischen« andererseits. Wolf Schneider fragte Konstantin Wecker, warum so viele Menschen »spiri-phob« (oder spirito-phob) sind – und woran das liegen könnte KONSTANTIN WECKER IM GESPRÄCH MIT WOLF SCHNEIDER
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SPIRITUALITÄT
allo Konstantin, kürzlich las ich im Newsletter von »Spektrum der Wissenschaft«, dem führenden Wissenschafts-Newsletter auf Deutsch, im Editorial: »Der Begriff ›Achtsamkeit‹ klingt bereits ziemlich schlimm nach Wellness und Küchenesoterik. Dabei belegen aktuelle psychotherapeutische Studien, dass die meditationsähnlichen Techniken keineswegs Schnickschnack sind.« Selbst dann, wenn wissenschaftliche Studien bestätigen, dass Meditation und Achtsamkeit hilfreich sind, vermutet der typische deutsche Mainstream-Journalist auch heute noch, dass es sich dort »schlimm« um Wellness und Küchenesoterik handeln müsse, und verwahrt sich dagegen. Gibt es sowas wie Spirito-Phobie?
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Ich würde es ja Spiri-Phobie nennen, und … ja, ich kenne das sehr gut. Nur macht es mich nicht mehr wirklich wütend, weil ich die Angst dieser Menschen spüre. Es ist die Angst, etwas zuzulassen, was neu ist, undeutbar. Ein neues Ufer, das sich nicht in Gewohntes einordnen lässt. Vor ein paar Tagen stieß ich in einer Talkshow auf eine junge Frau, eine glühende Atheistin. Sie war zwar nicht beleidigend, aber bei ihr spürte man, dass sie nichts an sich ranließ, was mit etwas Tieferem, nicht sofort rational Erfassbarem zu tun hatte. Sie ist sehr jung, und weil sie eben auch sehr empathisch und klug ist, bin ich mir sicher, dass in ihrem Leben noch einiges passieren wird, das sie vielleicht in andere Universen des Geistes führen wird. Andererseits gibt es auch Menschen, die sich so zumauern, dass sie sich jeden Weg nach innen verbauen. Für immer. Die sind dann meist besonders gehässig auf andere Weltsichten, denn alles außerhalb ihrer fertigen und für immer gültigen Welt erscheint ihnen als Bedrohung. Und ich glaube auch, dass es – woher und warum auch immer – Begabung gibt für Spiritualität. Es gibt junge Menschen, die sich dem Mönchischen, der Meditation, dem Weg nach innen, der Stille verschreiben. Da fragt man sich in dieser lauten, narzisstischen Welt, wie das überhaupt noch möglich ist. Was für ein Wunder ist das?! Gottfried Benn sagte einmal, sinngemäß, es würde später nur noch zwei Arten von Menschen geben: die Seichten und die Tiefen. Spannender als Gesprächspartner sind die Tiefen allemal. Deine Aussage, dass es eine Begabung für Spiritualität gibt, erinnert mich an die Antwort, die ich von meinem Namensvetter Wolf Schneider bekam, dem »deutschen Sprachpapst« und Begründer der Henri-Nannen-Schule, nachdem ich ihm mein Buch »Auf der Suche nach dem Wesentlichen« zugeschickt hatte. Er schrieb mir: »Ich bin religiös unmusikalisch.« Gibt es sowas, eine spirituelle oder religiöse Unempfänglichkeit
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für Erfahrungen wie Allverbundenheit oder grenzenloses Mitgefühl? Ich vermutete damals, dass er, wie so viele in seiner Generation nach der Hitler-Erfahrung, jeglicher Metaphysik abschwor – er war bei der deutschen Kapitulation im Mai 1945 Soldat und gerade 20 Jahre alt. Auch das könnte eine Rolle gespielt haben für die SpiriPhobie dieser Jahrgänge.
Ich kann mich noch gut erinnern, wie in meiner Studienzeit alles Metaphysische geächtet wurde, weil die Nazis das Mystisch-Mythische und die Spiritualität so missbraucht hatten. Dorothee Sölle schrieb einmal, sinngemäß, dass das Gemeinschaftserleben auf Parteitagen der Naziverbrecher durchaus etwas mystisch Erbauendes hatte. Entrückung, Eks -
Bei manchen Menschen ist es schwer, ihnen klar zu machen, dass Aussagen der Wissenschaft zu Dogmen werden können, deren Wahrheitsgehalt als in Stein gemeißelt und für alle Ewigkeit gültig erscheinen. Ob Priester oder Propheten, Diktatoren oder Volkstribunen, wer auch immer die endgültige Wahrheit für sich gefunden zu haben beansprucht, ist ein machtbesessener Lügner. Jeder, der uns erklärt, er wisse, was Gott wolle, wie Gott urteile, wen er strafe oder belohne, jeder dieser Fundamentalisten ist ein falscher Prophet. Nicht nur die Profanen, die Angst haben vor dem Mystischen, weil es nicht fassbar ist, sondern auch diese Verkünder von Irrlehren aller Arten sind »religiös unmusikalisch«. Sie verwenden die Religion als Mittel zur Macht.
»Ob Priester oder Propheten, Diktatoren oder Volkstribunen, wer auch immer die endgültige Wahrheit gefunden zu haben beansprucht, ist ein machtbesessener Lügner«
tase, Hingabe an die eine gemeinsame Idee, aber – es ist nicht wirklich ein mystisches Erleben. Es ist eine falsche Mystik. Eine Scheinmystik, weil sie andere ausschließt, ausgrenzt, zu Untermenschen erklärt. Wirkliche Mystik grenzt nicht aus. Sie schließt ein, umfängt und umfasst die ganze Welt, alles, was lebt und existiert. Solche Mystik erspürt, dass alles miteinander unsichtbar verbunden ist. Das Irrationale war verpönt, verständlicherweise, denn die mörderische Ideologie hatte dieser Irrationalität gehuldigt und sie zum Mythos verklärt. Bei meinem Musikstudium wurde mir schnell bewusst, dass meine Liebe zur Melodie, zur Harmonie, zum Pathos nicht nur nicht gern gesehen wurde, sondern geradezu verdächtig war. Musik musste in diesen Jahren rational sein, gedeutet, konstruiert und dadurch eben auch entheiligt, verweltlicht. Deshalb wandte ich mich von der akademischen Musik ab und den Straßensängern zu, den Rinnsteinpoeten, den fahrenden Gesellen. Wie gesagt, diese Angst vor dem Mystischen, Irrationalen ist auf Grund unserer Geschichte sehr verständlich, aber wir sollten uns von ihr nicht in Geiselhaft nehmen lassen. Denn Kunst ist erstmal eben nicht rational. Der Poesie gelingt es ja nur deshalb, die Ratio auszutricksen und unseren Geist mit Symbolen und Bildern zu bereichern, weil sie uns in unseren unausgeloteten Tiefen anspricht, weil sie verzaubert und vergeistigt.
Sie missbrauchen sie für ihre weltlichen Zwecke, aber sie sind nicht religiös. Religiös zu sein bedeutet, sich zurückzusehnen in die geistige Heimat, ohne all die irrlichternden Bilderwelten unserer so genannten Realität. Sich zurückzusehnen aus der Realität, ja, aus den vielen Realitäten, die uns die Ratio in den verschiedensten Kulturkreisen geschaffen hat. Sich zurückzusehnen in die Wirklichkeit, die man nicht wissen, aber erahnen kann, manchmal in den wunderbaren Augenblicken der Inspiration, der Stille, des Gewahrseins, der Erleuchtung. Religiös sein, spirituell sein, mystisch sein, das heißt doch auch zu zweifeln, unsicher zu sein, sich durch die dunkle Nacht des Johannes vom Kreuz zu quälen, zu erkennen, dass das Leben ein tragischer Entwurf ist, dem man nie entfliehen kann. Religiös sein heißt nie und nimmer unfehlbar zu sein und moralischer Zweifel, quälender Selbstzweifel enthoben. Ich habe Gott angenommen, als Wort, als Symbol – aber ich werde doch nicht so vermessen sein, ihn deuten zu wollen. Auch wenn Gott von uns erfunden ist, gibt es ihn. Auch das Wort Liebe ist von uns geschaffen, und wer möchte bezweifeln, dass es Liebe gibt? Tod und Niedergang, Verlust und Schmerz, all das, was ausgesprochen wird, ist auch existent. Es ist in der Welt und wird vermutlich von jedem Menschen anders gesehen, anders verstanden, anders interpretiert. Ich habe das Wort »Gott« angenommen – wohlgemerkt nicht »das Wort Gottes« –, und es ist tröstlich für mich, einen Gott zu wissen, der – befreit von seinen Interpreten –
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zu zweifeln, unsicher zu sein und sich durch die dunkle Nacht der Seele zu quälen«
nicht droht und nicht straft, niemanden in die ewige Verdammnis verbannt, sondern versteht und versöhnt und alles vergibt. Ja, der gar nicht vergeben muss, weil er nie jemanden beschuldigt hat. Dieser Gott ist mein Gott, unerforscht und unverstehbar, nicht zu fassen, nicht zu greifen, aber zu erahnen und zu spüren in den Momenten tiefsten Schmerzes und großer Freude, immer in mir und voller Güte. Das kann es nicht sein, von dem sich die Spiri-Phoben bedroht fühlen. Also sind es wohl die Religionen und ihre Kirchen, die Gurus und Verführer, vor denen sie zu Recht Angst haben. Also sollten wir dafür sorgen, wo immer es möglich ist, klarzustellen, dass wir ebenso die Schnauze voll haben von falschen Versprechungen der Kirchen, Vertröstungen auf spätere Himmelreiche, die doch allzu oft den Zweck haben, dass wir nicht aufmucken, wenn wir zu sehr ausgebeutet werden. Wir sollten unseren Verstand und unsere Lebenserfahrung benutzen, um die falschen spirituellen Versprechungen und Drohungen zu entlarven, und diesen Propheten untersagen, so zu tun, als wüssten sie mehr über Gott als andere. Ja, genau!!! Das bringt so viele Themen in mir zum Klingen, dass ich erstmal gar nicht weiß, wo ich da anknüpfen soll mit meiner nächsten Frage. Ich pick mir jetzt erstmal nur dieses ty-
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pische deutsche Thema raus: die deutsche Sehnsucht, Romantik und Metaphysik, an die eben auch die menschenverachtende Nazi-Philosophie angeknüpft hat, was für die Mehrheit der Deutschen nach 1945 zu einem Rückzug ins Profane führte. Alles Andersweltliche wurde nun von ihnen als sinnloses Geschwurbel oder Küchenesoterik verachtet oder der Nähe zur braunen Soße verdächtigt. Mir hilft hierbei die Unterscheidung zwischen Mystik und Mystizismus. Mystik als echte, tiefe Erfahrung des Grenzenlosen, der es niemals möglich ist, einen anderen Menschen als weniger wert oder gar als Untermenschen zu bezeichnen; sogar Tiere und die ganze Natur werden von solcher mystischen Erfahrung umarmt und darin aufgenommen. Es gibt aber auch sowas wie Mystifizierung (von lat. mystica facere), das »mystisch Machen« von etwas. Das fügt dem Wahrgenommenen eine Absicht hinzu, meist eine Absicht der Vernebelung oder Verdrehung, oder auch, für die Realitätsflüchtigen, eine Art Weichzeichner über dem Wahrgenommenen. Das verfälscht. Während echte Mystik doch eher das Gegenteil davon ist: unverfälschte Wahrnehmung. Weil die mystische Erfahrung der Wirklichkeit eine außerbegriffliche ist, eine Wahrnehmung, bevor noch irgendein Begriff das Wahrgenommene deutet oder einkastelt. Mystik ist urig, echt, tief und für keine Absicht benutzbar. Sie ist »Ohne Warum«, wie du in deiner neuen CD so schön sagst.
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»Religiös sein, spirituell sein, mystisch sein, das heißt auch
Dieses »Ohne Warum« begleitet mich schon lange. Ich hab es entdeckt als Jugendlicher in einem Gedicht des Barock-Dichters Angelus Silesius: Die Rose ist ohne Warum. Sie blühet, weil sie blühet. Sie achtet nicht ihrer selbst, fragt nicht, ob man sie siehet. Erst viele Jahre später habe ich erfahren, dass es auf Meister Eckhart zurückgeht. Vielleicht inspirierte es mich ja auch schon damals zu einem meiner ersten Lieder, das ich mit gut zwanzig Jahren schrieb: Ich singe, weil ich ein Lied hab, Nicht weil es euch gefällt … Nun, fast 50 Jahre später, schließt sich der Kreis mit »sunder warumbe«: Ohne Berechnung, vielleicht ohne Sinn, ohne Verdienst und ohne Gewinn wie all die Klänge um uns herum: Sunder warumbe – ohne warum Unsere narzisstische Gesellschaft ist zwanghaft davon besessen, alles verwerten zu müssen. Dieser Versuch, aus allem einen materiellen Nutzen zu ziehen, raubt uns die Chance, uns am Nutzlosen zu erfreuen und die »Nützlichkeit des Unnützen« zu entdecken, wie das Nuccio Ordine in seinem lesenswerten Buch so treffend erläutert. Denn in einer Welt, die sich ausschließlich durch finanziellen Mehrwert definiert, ist jedes Wissen unnütz, dessen »wesentlicher Wert vollkommen losgelöst ist von jeder Zweckbestimmtheit« (Ordine). Sänger, die singen, weil sie ein Lied haben, sind in einer Gesellschaft der Hit-Manu fakturen rar geworden. Bei den meisten jungen Sängern scheint der Wunsch berühmt zu werden der größere Antrieb zu sein, als ein Lied in sich zu haben, das in die Herzen der Menschen will. Umso stolzer war ich, als ich erfuhr, dass Cynthia Nickschas, eine junge Künstlerin meines Labels »Sturm und Klang«, freundlich, aber bestimmt, eine Einladung zu Dieter Bohlens DSDS-Show abgelehnt hat und dabei verschmitzt auf ihren Song »Niveau« verwies, das könne er sich doch mal anhören. Diese großartige Liedermacherin singt auch auf meiner neuen CD bei einigen Liedern mit und wird auf meiner neuen Tour als Musikerin und Sängerin mit dabei sein.
KONSTANTIN WECKER, geb. 1947 in München, ist verheiratet und Vater zweier Söhne. Er komponiert und singt seine selbst getexteten Lieder über Liebe, den Menschen und die Welt und ist dabei ein scharfer Gesellschaftskritiker und unerschütterlicher Pazifist. www.wecker.de
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EINSICHT
Ich habe wiederholt gesagt, dass die Idee eines personengebundenen Gottes meiner Meinung nach eine kindische ist. Sie können mich als Agnostiker bezeichnen. Aber ich teile nicht den kämpferischen Geist des Atheismus. (…) Ich bevorzuge eine demütige Haltung entsprechend der Schwäche unserer intellektuellen Erkenntnis der Natur und unseres eigenen Daseins Albert Einstein
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