NATUR • WEISHEIT • HEILEN
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31. Jg. B 6128
connection Schamanische Wege Nr. 13
Zurück zu den Wilden?
Schamanische Wege Nr. 13
Zurück zu den
Wilden
?
Mit Beiträgen von oder über: Carlos Castaneda, Joseph Beuys, Geseko von Lüpke, Nana Nauwald, und die Tattoos der Kalinga
© Stefan Stutz
Ab- oder zunehmende Wildheit?
Wer mehr über die Irrwege der Evolution wissen will, lese Connection Spirit im Abo. Das Magazin fürs Wesentliche
Themenvorschau: 09 – 10/15 Wie Sprache Welten erschafft 11 – 12/15 Jetzt mal im Ernst: Sind wir komisch? 01 – 02/16 Weisheit und Empathie – warum es gut ist, klug zu sein
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Editorial
Wohin des Wegs, Wanderer? Das Leben im Anthropozän und die Frage nach unserer Herkunft o kommen wir her, wo gehen wir hin? Diese Fragen stellt sich der Mensch seit Jahrtausenden. Er stellt sie sich individuell, seine eigene Biografie betreffend, ebenso wie kulturell, das Kollektiv betreffend. Neuerdings stellt er sie auch die ganze Spezies Mensch betreffend – wie sich das Leben auf der Erde entwickelt hat, von den Einzellern im Urozean über die Landlebewesen bis zu den Primaten, deren menschliche Abkömmlinge vor 40.000 bis 60.000 Jahren Afrika verließen. Und was unsere Kulturen anbelangt, wo kommen die her? Im Bereich des Religiösen und der Heilkunst kommen sie aus dem Schamanischen. Alle prähistorische Heilkunst und Religiosität wurzelt im Schamanischen.
Foto: Aniela Adams
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schen seiner privaten Lebensweise zu sich nimmt, weiß, dass eine neue Weltordnung für unser Überleben unerlässlich ist – eine neue Ordnung für uns alle, die wir auf der Erde leben. Diese neue Ordnung braucht einen Abschied von den Kulturen, die das Militär verherrlicht haben, und sie braucht einen freundlicheren Bezug zur Natur, zum Ursprünglichen. Zu unserer Herkunft. Und darin unabdingbar einen Bezug zur eigenen inneren und äußeren Wildheit. Ordnung muss Chaos integrieren. Eine Ordnung, die das gefürchtete Chaos ihres eigenen Ursprungs bekämpft, wird sich mittels ihrer eigenen, unverstandenen Wildheit immer wieder selbst vernichten. Ein »Zurück zu den Wilden« gibt es so
flickr.com © Sven Wusch
Vergessliches Europa
In Europa scheint das Wissen, dass wir kulturell vom Schamanismus herkommen, weniger stark verankert zu sein als in den anderen Kontinenten. Wir Europäer haben unsere Wurzeln sehr gründlich verdrängt und vergessen. Amerika hat, unübersehbar, seine Indianer, Australien seine Aborigines, und das Subsahara-Afrika hat auch heute noch eine kaum überschaubare Vielfalt schamanischer Kulturen. In ZentralAsien hat der tibetische Buddhismus aus dem Bön so viel Schamanismus in sich aufgenommen, dass man ihn fast schamanisch nennen könnte, in Indien gilt das für den Hinduismus. Während Europa seine vorchristlichen Kulturen so gründlich vernichtet hat, dass es hier viel schwerer ist, mit unseren prähistorischen Wurzeln, »unseren eigenen Wilden«, Kontakt aufzunehmen – mit den Kulturen, die noch vor Landwirtschaft, Patriarchat und Christentum hier lebten. Kolonialismus und Industrialisierung gingen von Europa aus. Die Spaltung des Atomkerns und das Internet gingen vom europa-stämmigen Nordamerika aus. Naturvernichtung und die Bereitschaft zum militärischen Suizid sind zwar nicht europäische Phänomene, unser Kontinent hat dazu aber eine besondere Affinität – und, hoffen wir es, auch eine Affinität zum Finden eines Auswegs aus diesen menschengemachten Krisen. Auch in unserem Kontinent liegen die Wurzeln der Kulturen im Schamanischen.
Ordnung und Wildnis
Wer heute, im Anthropozän, dem Erdzeitalter des Menschen, die politischen Nachrichten nicht nur als Hintergrundrauwww.connection.de
wenig, wie es für einen Erwachsenen ein Zurück in die Kindheit gibt und fürs Internetzeitalter ein Zurück in die Steinzeit. Aber es gibt ein Anknüpfen an das, was damals war, an unsere Wurzeln. Um von dort aus besser in die Zukunft schauen zu können. Wenn wir wissen, woher wir kommen, wird die Orientierung, wohin wir denn gehen sollen – und überhaupt gehen können –, leichter sein.
Wolf Schneider Herausgeber von Connection Schamanische Wege schneider@connection.de connection Schamanische Wege 13
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Inhalt
S. 10
S. 14
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Editorial
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Hier und Jetzt – Kurzmeldungen über die Natur, Naturvölker und Indigene
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Henri David Thoreau in der Wildnis eines Bildes von Christina von Puttkamer
S. 18
10 Wildnis und Zivilisation – Wolf Schneider findet die Wildnis ganz ordentlich und die Zivilisation ziemlich wild 14 Das Christentum und die Mystik der Naturvölker – Jürgen Wagner vergleicht die Monotheismen der Wüste mit den ekstatischen Religionen des Urwalds 14 Reisen in andere Wirklichkeiten in der toltekischen Tradition – Preston Haydon untersucht das Erbe von Don Juan Matus und Carlos Castaneda 24 Ubuntu – Geseko von Lüpke ist fasziniert von Südafrikas Philosophie der Verbundenheit 30 Fliegenpilz trifft Ayahuasca – Nana Nauwald begegnet in Moskau einer Spiri-Szene, die das Exotische liebt und mit dem Einheimischen fremdelt 34 Gebündelte schamanische Kraft – Julia Vitalis will die Natur und die schamanische Tradition Europas mit vereinten Kräften heilen 38 Tätowierkunst bei einem Kriegerstamm – der Anthropologe Lars Krutak traf auf den Philippinen eine 94 Jahre alte Tätowiererin vom Stamm der Kalinga
S. 24
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S. 30
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Zurück zu den Wilden?
Inhalt
S. 38
S. 46
S. 52
46 Eure Wildnis, unser Zuhause – Stephen Corry setzt sich für das Recht der Indigenen ein, ihre eigene Heimat pflegen zu dürfen 51 Innere Wildnis – Christian Salvesen gehörte zu den Wilden, die in den 70er Jahren ihre inneren Räume erforschten 52 Zeige deine Wunde – Rüdiger Sünner hat einen Film über Joseph Beuys gemacht, der den schamanischen Rebellen als verwundeten Heiler zeigt 60 Zurück zur Zivilisation – pflegebedürftig und abhängig von der Apparatemedizin, weiß Johannes Galli die Zivilisation wieder mehr zu schätzen
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63 Bärinnenpfade – ein Portrait von Catalixx Cuna
64 Der schamanische Weg im 21. Jahrhundert – Sinchota D. Genzmer findet, dass dieser Weg für alle gut ist, auch heute noch 68 Bücher über die Magie der Heilung, Initiation und Liebe, die Heilige Erde und anderes 73 William Blake über Freude 74 Vorschau und Impressum
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Wildnis & Zivilisation Wir Steinzeitmenschen im Internetzeitalter wollen das Beste von beidem Die moderne Sehnsucht nach der Natur und zur Wildnis ist eine Gegenbewegung, die sich von zu viel Ordnung, Zwang und der ›Zuvielisation‹ zu befreien sucht, eine Hinwendung zum Einfachen und Ursprünglichen. Das ist sinnvoll und kann sehr befreiend sein, wenn es nicht Innen und Außen verwechselt und die Natur und Wildnis zu sehr romantisiert und verkitscht
Von Wolf Schneider 10
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Schneider: Wildnis und Zivilisation
Schon vor unserer Zeit haben Revolutionäre mit Zukunftsplänen, die sich auf weit Zurückliegendes beziehen, dadurch ihre Realisierungschancen verbessert a, wir sollten uns der Zukunft zuwenden. Heute gestalten wir sie, jeden Tag neu. Können wir dabei die Vergangenheit ignorieren? Keinesfalls. Die Gestaltung der Zukunft und die Erinnerung an die Vergangenheit, beides geschieht ja in der ewigen Gegenwart. Das sollte nach all dem Hier-undJetzt-Hype der vergangenen drei, vier Jahrzehnte inzwischen jeder kapiert haben. Hellwach und geistesgegenwärtig wollen wir sein, jetzt, immer wieder jetzt! Und das können wir besser, wenn wir gut verwurzelt sind. Verwurzelt in einer kulturellen, vielleicht auch geografischen Heimat, in einer weit zurück reichenden Historie, die wir verstehen und uns selektiv damit anfreunden und identifizieren. Von dort aus richten wir unseren Blick weit hinaus auf eine lebenswerte Zukunft.
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flickr.com © Andreas S.
Weit zurück und weit voraus
Schon vor unserer Zeit haben diverse Revolutionäre mit großen Plänen für die Zukunft die Erfahrung gemacht, dass soziale Veränderungen bessere Chancen haben, realisiert zu werden und weit in die Zukunft hinein zu wirken, wenn sie ihre Visionen mit weit Zurückliegendem verknüpfen. So wie es die Renaissance-Menschen des 16. Jahrhunderts taten, die sich als Wiederbeleber der Antike verstanden und auf diese Weise die Neuzeit begründeten. So greifen auch heutige soziale Bewegungen, die nachhaltig sein wollen, weit in die Vergangenheit zurück. »Nachhaltig« heißt ja nichts anders als weit in die Zukunft hineinreichend – bis in die siebte Generation nach uns sollen wir vorausdenken, sagt ein indianisches Sprichwort. Für viele der heutigen sozial, ökologisch oder spirituell »Alternativen« (d.h. derer, die »es anders« machen) ist die Vergangenheit, in der sie sich verwurzelt fühlen, die Zeit vor der neolithischen Revolution. Die Zeit vor dem Patriarchat, in der die Landwirtschaft begann, und mit ihr das Aufbewahren von Nahrungsmitteln, die Anhäufung von Besitz, vielleicht entstand sogar erst damals das persönliche »Eigentum«. Die Zeit, bevor die monotheistischen Religionen aufkamen und die Hochkulturen sich bildeten mit ihren Eliten wie dem Adel (der Kriegerkaste) und dem Klerus (der Priesterkaste). In der Einfachheit und Natürlichkeit dieser Zeit fühlen wir uns beheimatet und wünschen uns dorthin zurück – wenn es dort doch nur Badezimmer mit fließend heißem Wasser gäbe und wir unsere Smartphones mitnehmen könnten!
Idealisierung des Vergangenen
Deshalb beziehen sich viele der heutigen religiösen und heilerischen Erneuerungsbewegungen auf die heute noch existierenden Naturvölker mit ihren Schamanen und die ihnen entsprechenden prähistorischen Kulturen. Also auf Lebensweisen, die sich noch nicht patriarchal und stark hierarchisch organisierten und die Natur als unzerstörbare, endlos nutzbare Ressource verstanden, die als gütig oder auch bedrohlich wahrgenommen wurde, aber nicht als pflegebedürftig.
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Dass bei diesem Rückblick auf unsere Vergangenheit vieles idealisiert wird, ist aufgrund der starken Sehnsucht nach einem anderen Leben wohl kaum vermeidbar. Die sozialen Verhältnisse der Frühmenschen werden idealisiert. Ihre Ernäh rungsweise wird (vereinfacht und vermanscht mit Low-CarbDiäten) als »Paläo-Diät« zum kulinarischen Trend. Der religiöse Naturbezug dieser Zeit wird verkitscht, und ihre Wirtschaftsweise erscheint uns oft nur deshalb als weniger naturzerstörerisch, weil die sozialen Gruppen kleiner und ihre Mittel der Zerstörung (z.B. Brandrodung) schwächer waren als unsere heutigen. Die Frühmenschen waren nur selten kannibalisch, aber sie waren auch nicht generell die »guten Wilden« unseres sehnsüchtigen Rückblicks auf eine verlorene Heimat, in der »alles gut« war. Dennoch können die Naturvölker und frühen Kulturen für uns Vorbildliches enthalten. Immerhin haben einige dieser Kulturen Jahrtausende lang existiert, ohne den sie tragenden Biotop zu zerstören. Sie kamen mit Krankheiten zurecht, und ihre Waffen waren nicht selbstmörderisch, sonst hätten sie ja nicht überlebt. Nicht alles, was alt ist, ist auch gut, aber was lange währt, beweist damit immerhin, überleben zu können. Das hat unsere heutige, hochtechnologisierte Kultur noch nicht bewiesen, in der viele Tendenzen auf einen baldigen Selbstmord hinweisen.
Das Paradies
Wenn wir uns geistig zurückversetzen in unsere Vorgeschichte, tendieren wir dazu, sie parallel zu unserer individuellen Biografie als eine Art Kindheit unserer Kultur zu verstehen, und sind dabei in ähnlicher Weise verführt, in kindliche Gefühlswelten und Verhaltensweisen zu regredieren wie bei der Erinnerung an die eigene individuelle Kindheit. »Werdet wie die Kinder«, soll Jesus gesagt haben. Hat er vergessen zu sagen »Werdet wie die Wilden«, in der Kindheit unserer Kultur, oder versteht sich das von selbst? Man kann die Frühzeit idealisieren als eine Zeit der Unschuld, als wir »noch nicht wussten, was wir tun«. Wie schön, wie süß. Wir waren unbewusst und unschuldig, man konnte uns noch nicht zur Rechenschaft ziehen für all das Schlimme, was wir taten. Wie paradiesisch! Aber das ist es auch nur in unseren Träumen. Tatsächlich haben »die Wilden« in der Regel einige Mühen, sich ihren Lebensunterhalt zu beschaffen, und ihr Leben war aufgrund von Krankheiten und »natürlichen« Gefahren viel kürzer als das unsere.
Prä- und Transrational
So findet man gerade bei den Verehrern der Naturvölker und des Schamanischen häufig die Verwechslung von Prä- und Transrationalem. Eine sehr nützliche Unterscheidung, mit der uns Philosophen wie Jean Gebser und Ken Wilber beschenkt haben. Prärational ist das Denken und Fühlen des Menschen, bevor er, sei es biografisch oder kulturbiografisch, die Ratio als Hauptagenten seiner Entscheidungen einsetzte. Transrational
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ist sein Denken, Fühlen und Verhalten, nachdem er die Begrenzung der durch die Ratio gesteuerten Lebensweise erkannt und überwunden hat und nun als weiser Mensch auch seine Intuition und sein »Herz« im Sinne eines ganzheitlichen, in sich zentrierten Fühlens einsetzt. Spiritueller Kitsch ist ein Zeichen der Regression ins Prärationale. Spirituelle Kunst hingegen ist Ausdruck eines ganzheitlichen Verständnisses, mit Tendenz zum Transrationalen.
Die Aussteiger
»Aussteiger« aus der Gesellschaft gab es wohl schon immer und in allen Kulturen. Teils stiegen sie nur aus der Massenhypnose ihres jeweiligen Mainstreams aus, teils vor allem aus deren Lebensweise. Teils war das Aussteigen sogar in den gesellschaftlichen Konventionen vorgesehen, etwa für den Werdegang eines Schamanen oder als Eremitage in diversen Hochkulturen. In Indien wurden Aussteiger tendenziell eher als Heilige verehrt denn im profanen Europa oder China, wo der Mainstream der Gesellschaft sie meist einfach nur als verrückt erklärte. Ein Aussteiger im Sinne unseres heutigen Verständnisses war wohl der Grieche Diogenes von Sinope, von dem die Anekdote überliefert ist, dass er in einer Tonne gelebt habe und sich von Alexander »dem Großen« nichts anderes wünschte, als dass er ihm aus der Sonne gehe. Nach ihm waren auf jeden Fall auch die in Ägypten und Syrien lebenden »Wüstenväter« des frühen Christentums Aussteiger. Im europäischen Mittelalter gab es Eremiten ähnlich denen Asiens, wenn auch seltener. Seit der Romantik wird dann der Begriff des Aussteigens auch in einigen nicht-religiösen Kreisen populär: Eichendorff und Seume kann man sicherlich Aussteiger nennen, weil sie in ihrer Liebe zur Natur und dem einfachen Leben auf Annehmlichkeiten der Zivilisation verzichteten. Bedeutend für den Hang zum Aussteigen aus der Zivi-
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connection Schamanische Wege 13
lisation im modernen Europa ist auch Rousseau, der dies mit seinem Aufruf »Zurück zur Natur« wirkmächtig propagierte, aber nicht selbst vorlebte. Hundert Jahre näher an unserer Zeit liegt der Nordamerikaner Thoreau, der 1845 für zwei Jahre eine Blockhütte bezog und darüber sein berühmtes Buch »Walden. Oder das Leben in den Wäldern« schrieb. Zu einer bedeutenden Subkultur des profanen Main streams in Europa wurden die Aussteiger aber erst ab Anfang des 20. Jahrhunderts mit der Wandervogelbewegung, die noch einigermaßen gesellschaftskonform war, und mit radikaleren Figuren wie dem Maler und Kommunarden Karl Wilhelm Diefenbach und dessen Schüler Gusto Gräser, der im Jahr 1900 im Tessin die Künstlerkolonie des Monte Vérita gründete. Und dann mit den Hippies und Aussteigern der 70er und 80er Jahre, die als »Alternative« eine bedeutende Ressource kultureller Innovation für den immer mehr von ökologischem und spirituellem Geistesgut beeinflussten Mainstream wurden.
War es das schon?
Heute suchen nicht nur Freaks und Aussteiger, sondern auch Manager, Celebrities, Lehrer, Ausgebrannte aus den Führungs etagen und ehemalige Karrieristen jeglicher gesellschaftlichen Herkunft in Visionquests nach Antworten aus der Natur und dem eigenen Inneren. Geld, Macht und die Anerkennung von Seiten versteifter Autoritäten machen eben noch nicht glücklich, und auch ein intaktes Familienleben erfüllt noch nicht alle Bedürfnisse, irgendwann fragt sich jeder Mensch: War es das schon? Und beginnt nach einem tieferen Lebenssinn zu suchen. Wofür das Eintauchen in die eigene innere Wildheit schon mal ein guter Anfang sein kann. Wer in Nachtträumen oder wacher Alltags-Introspektion der eigenen inneren Wildheit begegnet, wird nicht mehr so leicht Indigene als »Wilde« verkitschen und auch nicht das Chaos einer wilden Kindheit romantisieren. Ich kenne kein Kind, das von allein sein Kinderzimmer aufräumt, und doch suchen alle nach Ordnung, Orientierung, Halt und Wiederkehr des Gleichen. Und auch »die Wilden« vom Amazonas haben ihre eigene Kultur mit ihren eigenen Regeln, die ihnen Rhythmus und Ordnung geben.
Dionysos und Apollo
Chaos und Ordnung, diese Grundprinzipien menschlichen Daseins und Seinsverständnisses wechseln einander ab. Manchmal bedingen sie einander sogar: Ordnung führt zu Chaos und Chaos zu Ordnung. Sie stehen sich polar gegenüber, so wie die griechische Antike sie in den Götterfiguren Dionysos und Apollo gegenüberstellte: Dionysos der Wilde, Berauschte, und Apollo, der Ordnung, Form und Schönheit repräsentierte. Wenn ein Zwangsneurotiker mit seinem Ordnungstick sein inneres Chaos zu bezähmen versucht, steht da
Schneider: Wildnis und Zivilisation
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Seit der Romantik wird der Begriff des Aussteigens auch in einigen nicht-religiösen Kreisen populär
In der Natur geht es nicht nur wild, sondern auch sehr ordentlich zu
einem ĂœbermaĂ&#x; an äuĂ&#x;erer Ordnung ein ĂœbermaĂ&#x; an innerem Chaos gegenĂźber, beide Seiten verstehen einander nicht in ihrem Bezug und treiben sich so zu Extremen. Und Ăźberstrukturierte, zwanghafte Gesellschaften produzieren wilde Träume und – im Falle des Âťdie WildenÂŤ kolonisierenden Europa – die romantischen Figuren einerseits des Âťedlen WildenÂŤ (hierzulande entspricht ihr die des Naturburschen), andererseits des gefährlich unberechenbaren Unzivilisierten, der keine Schulbildung ÂťgenossenÂŤ hat, durch die er diszipliniert wurde. Um die eigene innere Wildheit und das Dionysische in sich selbst verstehen und ausleben zu kĂśnnen, ist wildes Tanzen gut, wilder Sex, Wanderungen in menschenloser Natur, dort drauĂ&#x;en Ăźbernachten, mehrtägige Visionquests, Kindern beim Spielen zusehen, ihnen eine Ordnung bieten, in der sie ihre Wildheit ausleben kĂśnnen, mit Tieren leben. In Wirtschaft, Gesellschaft, Politik: Brainstorming, Experimente und Varianten zulassen, Randgruppen ehren, VerrĂźcktheit wertschätzen.
Ordentliche Natur
Die Natur, ach, die Natur ‌ darßber wird so viel geredet. Jeder scheint darßber Bescheid zu wissen. Sie wird verkitscht
und romantisiert, man dichtet ihr an, was man will, und immer finden sich Beispiele, das Behauptete sowohl zu belegen wie auch zu widerlegen. Sie ist groĂ&#x;, wild und ordentlich, und aus ihrer Wildnis und Ordnung, da kommen wir her. Nicht nur aus ihrer Wildnis, auch aus ihrer Ordnung! Denn in der Natur geht es nicht nur wild, sondern auch sehr ordentlich zu. Die DNA bestimmt genau, was reproduziert werden soll, da ist kaum ein Raum fĂźr Improvisation und Spontis. Die Zellmembran lässt nur ganz bestimmte MolekĂźle durch, die anderen mĂźssen drauĂ&#x;en bleiben, und so machen es auch die Haut, der Darm, Tiergesellschaften und menschliche Clans – und das Ego. Das lehnt bestimmte Behauptungen Ăźber mich, wer ich bin, ab und heiĂ&#x;t andere willkommen. Es hat eben auch in der wilden Natur, inner- und auĂ&#x;erhalb von uns, alles seine Ordnung. n
Wolf Schneider, Jg. 1952. Autor, Redakteur, Kursleiter. Studium der Naturwissenschaften und Philosophie (1971–75) in Mßnchen. 1975–77 in Asien. 1985 Grßndung der Zeitschrift Connection. Seit 2007 Theaterspiel & Kabarett. Kontakt: schneider@connection.de
Allein in der Wildnis auf dem Weg zu sich selbst
Im Herz der „GrĂźnen HĂślle“
„Wilder Frieden“ Die heilige Balance zwischen Männern & Frauen Visionssuche fĂźr Männer & Frauen
Ein Workshop mit der chilenischen Heilerin Astrid Brinck
Männer – Visionssuche 2015
Es gibt Zeiten in Deinem Leben, da ist es nÜtig, alles hinter Dir zu lassen. Zeit hinaus zu gehen und mit Gott alleine zu sein, mit der Natur und ihren Wesen. Und an diesem einsamen Platz LVW GHU +HOG GLH +HOGLQ GHU 6XFKHQGH RGHU Pilger allein mit den Wesen der Natur. Und an diesem einsamen Ort geht der Mensch auf InQHQVFKDX HUKlOW ZLH HLQ *HVFKHQN $QWZRUWHQ .ODUKHLW HLQH 9LVLRQ GLH HU PLW ]XU FNQLPPW LQ seine Gemeinschaft, auf das sie weiter besteKHQ NDQQ ´ 6WHYHQ )RVWHU
Unsere Kultur hat es uns nicht gelehrt, wie mit den unterschiedlichen Energien und Kräften von Männern und Frauen umzugehen ist. Zahllose Traumata und Missverständnisse verhindern das gemeinsame Wachstum und I KUHQ ]X .RQĂ LNW 8P LQ JHJHQVHLWLJHU :HUWschätzung einen ‚wilden Frieden‘ zwischen den Geschlechtern zu leben, braucht es Felder GHU (QWIDOWXQJ 5LWXDOH JXWH .RPPXQLNDWLRQ JHPHLQVDPH 6SLULWXDOLWlW $VWULG %ULQFN +HLOHULQ XQG 6FKDPDQLQ YHUPLWWHOW GLH /LHEHVNXOWXU GHU ,QGLJHQHQ 6 GDPHULNDV
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Wer bin ich? Wo stehe ich? Was will ich ins Leben bringen? Wer ist meine Gemeinschaft?
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Fliegenpilzfrau auf einem Frühstücksbrett, Russland
2009: Die im Dorf noch reich grünende Ayahuasca
Notizen vom globalen Schamanismus-Markt In der Moskauer Spiri-Szene kennt kaum jemand sibirische Schamanen aus eigener Erfahrung. Umso lieber reisen sie nach Amazonien und nehmen dort am boomenden AyahuascaTourismus teil, der dort sowohl die begehrte Pflanze massenhaft ernten lässt, wie auch auf die Indigenen-Gemeinden in einer Weise wirkt, wie die Touristen das kaum je zur Kenntnis nehmen
Von Nana Nauwald 30
connection Schamanische Wege 13
ndlich in Sibirien! Genug über sibirischen Schamanismus gelesen, genug von echten sibirischen Fliegenpilzritualen gelesen und mich danach gesehnt. Es begann in Irkutsk. Begleitet von meiner russischen Freundin, die seit sechs Jahren in Moskau meine Seminare mit Naturritualen und rituellen Körperhaltungen und Trance nach Dr. F. Goodman organisiert, begann mein sibirisches Schamanen-Abenteuer damit, dass ich im 13. Stock in einem großen Wohnzimmer ein Seminar hielt.
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Ayahuasca in Sibirien?
Noch vor dem Seminar sprachen mich aufgeregt zwei junge Männer an und berichteten mir stolz, dass sie gerade aus Peru zurückgekommen seien. Sie waren zwei Wochen in Cuzco ge-
Nauwald: Fliegenpilz trifft Ayahuasca
Alle Fotos © Nana Nauwald
Fliegenpilz trifft Ayahuasca
Die Moskauer Schamanismus-Fans wollen nach Amazonien. Sibirien kennen sie nicht
wesen und hatten dort in einem Nachbarort bei einer Schamanin Ayahuasca getrunken. Ich setzte mein bestes Pokerface auf, atmete einmal tief durch und blickte einen Moment lang aus dem Fenster, hinaus auf den mächtigen Fluss Irkut, der hier in die Angara fließt. Angara – der mythenumwobene Fluss mit dem berühmten Schamanenstein kurz bevor sie, die Angara, den Baikalsee verlässt. Sie wird auch als einzige Tochter des Baikal bezeichnet, da sie dessen einziger Abfluss ist. Zuflüsse, »Söhne« genannt, gibt es dagegen über 300, die in den Baikalsee fließen. So dicht am Herzen des traditionsreichen Schamanismus Sibiriens höre ich das in meinen Ohren seit einiger Zeit schmerzende Wort »Ayahuasca«.
Exotisches ist interessanter
Interessiert fragte ich die beiden jungen Männer nach dem Namen der Schamanin. Und wieder ging mein Blick hinaus zum großen Fluss: Die Ayahuasca gebende »Schamanin« entpuppte sich als ein junge Frau aus Großbritannien. Die Frage, ob ich ihnen raten würde, diese »Schamanin« nach Irkutsk einzuladen, haben die beiden Männer mir nach meinem Seminar nicht mehr gestellt. »Wisst ihr denn, wo die Pflanzen wachsen, die ihr getrunken habt?« – »Ja, im Dschungel«, war ihre Antwort. »Aber dorthin zu gehen hatten wir Angst.« »Habt ihr denn schon Rituale hier bei euch mit einheimischen Burjat-Schamaninnen gemacht?« war meine nächste Frage. Kopfschütteln war die wortlose Antwort.
Trends kommen aus dem Westen
Es sind schwierige Zeiten für Menschen im »neuen« Russland. Aus ihrer Geschichte heraus verständlich, betreten sie mit unsicheren Schritten spirituelle Wege, die abseits der Kirchen liegen. Die Verunsicherung bezieht sich nicht nur auf den Verlust der gesellschaftlich einst feststehenden Werte, sondern auch auf alle Wege, die in der Sowjetzeit zu betreten verboten waren. Sibirischer Schamanismus gehörte auch dazu. Dazu gehört ebenso, dass alle Angebote für spirituelle Wege aus westlichen Gesellschaften kommen – auch wenn die Ursprünge einiger dieser Wege, wie etwa Yoga, andere kulturelle Wurzeln haben als die unsrigen. »Wir Westler« kennen schon alles in der Spirit-Szene, haben alles schon gemacht, von Osho über schamanisch Reisen bis zu Reiki, alles was jetzt in Moskau neu und »in« ist. Und nun Ayahuasca. So ist es seit etwa zwei bis drei Jahren: Wer in Moskau Therapeutin oder Psychologin ist und noch nicht in Peru war, noch nicht »getrunken hat«, gilt in dieser Szene nicht mehr viel.
Zuerst die Heimat entdecken
Seit einigen Jahren schon bedrängt mich meine Freundin, die mich in Moskau organisiert und Psychologin ist, dass ich sie mit nach Peru nehmen soll. »Lena«, sagte ich ihr darauf, »ich habe auf Google Earth gesehen, dass zur russischen Föderation ein Teil gehört, der ›Sibirien‹ heißt.« Worauf Lena bestätigend nickte. »Und dann«, so fuhr ich fort, »habe ich bei uns im Fernsehen Berichte über Schamaninnen in Sibirien gesehen, die dort wieder mehr und mehr öffentlich wirken.« Wieder nickte Lena bestätigend. »Bist du denn schon in diesem Teil deiner Heimat gewesen?« Wieder war betretenes Kopfschütteln die Antwort. »Solange du nicht mit mir in Sibirien warst, in diesem Teil deines Heimatlandes, solange kannst du nicht mit mir nach Peru in ›mein‹ Dorf am Amazonas fahren«, war meine etwas hinterlistige Antwort …
Ayahuasca-Tourismus
2014: Karge Ayahuascaernte im gleichen Dorf
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Nachdem ich dann zweimal mit ihr in Sibirien war, fuhr sie mit mir nach Peru, zur Familie des alten, traditionell arbeitenden Schamanen, bei der ich seit 14 Jahren Gast bin. Nun ist ihre Arbeit als Psychologin in Moskau wieder etwas »wert«, nun hat sie Ayahuasca getrunken! Im letzten Jahr hatte ich die große Ehre, in der Akademie der russischen Wissenschaften, in der dortigen anthropologischen Sektion, einen Vortrag über die schamanische Tradition des Volkes der Shipibo am Ucayali in Peru zu halten. Nicht unerwähnt ließ ich die rasanten Veränderungen in diesem Volk durch die wachsenden Ayahuasca-Touristen-Ströme, die glücklicherweise hauptsächlich die entsprechenden Ayahuasca-Touristen-Zentren bei Iquitos bevölkern. Empört sprach mich nach
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Erst haben wir diese Länder militärisch und wirtschaftlich erobert, nun nehmen wir ihnen auch noch die kläglichen Reste ihrer geistigen Welt
Das Kochen der Ayahuasca
meinem Vortrag eine sehr junge Frau an: Sie sei vier Wochen in Peru gewesen, in einem der von mir im Vortrag erwähnten Zentren bei Iquitos, und sie habe über zwanzigmal Ayahuasca getrunken. Der »Schamane« habe ihr ein »Schamanenlied« zum Heilen gegeben, nur für sie, und nun sei sie Schamanin und singe in Moskau diesen Heilgesang und gebe ihren Klienten Ayahuasca.
Missbrauch verläuft im Geld-Sand
Der »Schamane«, von dem sie da sprach, war früher, bevor er sein großes Zentrum bei Iquitos aufgemacht hatte, ein für seine Gemeinschaft heilsam und engagiert arbeitender Schamane. Ich kannte ihn gut, deshalb habe ich nichts mehr dazu gesagt. Ausgerechnet dieser in Insider-Kreisen berühmte Mann hatte in den letzten Jahren in seinem Zentrum mehrfach im Ritual sich an Frauen vergangen, die unter der Wirkung von Ayahuasca standen. Die Anzeigen, die einige der Frauen sich daraufhin trauten zu tätigen, verliefen bei der peruanischen Polizei im Geld-Sand. Nun reist dieser Mann seit vorigem Jahr höchstpersönlich nach Moskau, gibt in Therapeuten- und Psychologenzirkeln Aya huasca und ist ein umjubelter Schamanen-Star. Ja, Sibirien ist noch weiter entfernt von Moskau als Peru.
Der Geist der Ayahuasca
Ayahuasca, auch Yagé genannt, die Liane der Seele, ermöglicht bei vielen der Traditionen indigener südamerikanischer Völker die Verbindung zu Geistern und Bewusstseinswelten. Der psychoaktiv wirkende Sud besteht aus zwei Pflanzen: der
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Liane Ayahuasca (Banisteriopsis caapi) und den Blättern des Strauches Chacruna. Er wird in stundenlanger Arbeit gekocht, oft auch schon dabei besungen. Dem Sud können mit heilwirkenden Absichten auch Tabak und andere Pflanzen zugesetzt werden. Der Geist der Ayahuasca lässt den Schamanen Verborgenes sehen, Ursachen von Krankheiten erkennen, und er stellt durch seine Gesänge, die Icaros, die Harmonie im Einzelnen und der Gemeinschaft wieder her. Die meisten der indigenen Völker Südamerikas nutzen die Kraft entheogener Pflanzen zum »Sehen«. Es wird vermutet, dass die Völker Amazoniens über 200 dieser pflanzlichen Substanzen kennen und nutzen. Auch in unseren europäischen Kulturen sind Pflanzen-Schätze wohlbekannt, die in veränderte Bewusstseinszustände führen. Im Zustand des visionären Sehens lassen sie die Welten des Bewusstseins und ihre inneren Zusammenhänge erkennen. Vielfältig öffnen sich »vor unserer Haustüre« Wege und zeigen sich Mittel, in diesen Zustand des Sehens, des Erkennens zu gelangen, vor allem die »kleinen Pilzfreunde« sind hier zu nennen. Als ich im Ayahuasca-erfahrenen »Expertenkreis« in Moskau die freundlichen bewusstseinsöffnenden Pilze erwähnte, auch auf tiefe Trancezustände sibirischer Schamanen durch Trommeln hinwies, hatten alle schon davon gelesen. Gelesen!
Geld, Geld, Geld statt Geist
Meine Versuche, auf die Hintergründe und Folgen dieses Ayahuasca-Tourismus hinzuweisen, hörten sie sich mit geschlossenen Ohren an, so wie dies auch in unseren mitteleuropäischen Seminar-Welten der Fall ist: Erst haben wir westlichen Nationen den Menschen in Südamerika ihre Land genommen, dann ihre Bodenschätze, dann ihre Wälder, dazu beglücken wir sie heute mit Monokulturen von Soja-Anbau und Palmölplantagen, um unseren Hunger nach »richtiger«, veganer Nahrung zu stillen. Und nun nehmen wir ihnen mit unserer auf exotische Schamanen-Erfahrungen ausgerichteten Gier auch noch die kläglichen Reste ihrer geistigen Welt – und tauschen sie gegen den allen Geist übertrumpfenden Wert ein: Geld, Geld, Geld! Und lassen uns einlullen von den großartigen Versprechungen der Zentrums-Leiter, sie würden das Geld aus den Ayahuasca-Einnahmen an die Gemeinschaften weiterverteilen. Kaum eines von diesen wohltönenden Prospekt-Versprechen wird erfüllt, es profitieren mit wenigen Ausnahmen nur die Familien des Clans, dem das jeweilige Zentrum gehört. Unser Ayahuasca-Geld hat tiefe Schnitte in die Gemeinschaften geschlagen. Immer noch ist es so, dass ein Ayahuasca-Geber in einer gut besuchten Ritual-Nacht mehr verdient als die gesamte Gemeinschaft eines kleinen Dorfes in einem Jahr. Die
Nauwald: Fliegenpilz trifft Ayahuasca
Wir müssen auf unserer Suche Verantwortung übernehmen auch für unser Handeln gegenüber den Menschen und Wesen, die davon betroffen sind
Autos und Motorboote der Ayahusaca-Geber werden immer größer, die Goldkettchen immer dicker, währenddessen die Verelendung in den Dörfern wächst und die wirtschaftliche Not mehr und mehr junge Menschen in die Elendsviertel treibt, und Familienväter in die Städte oder an die Küste zur Orangenernte.
Trommelnde Burjat-Schamaninnen
Ausverkauf der begehrten Lianen
Staunend habe ich im letzten September beobachtet, wie mit Ayahuasca-Lianen vollgepackte Pick-ups Staub aufwirbelten, als sie ins nächste Dorf fuhren. »Woher holen die die Ayahuasca?« fragte ich den jungen Schamanen im Dorf. »Aus dem Bergdschungel« – »Und warum, wofür holen sie so viel?« – »Hier bei uns im Flussdschungel haben wir nichts mehr, wir haben alle Pflanzen verbraucht«, war die trockene Antwort. »Und im Nachbarort brauen sie jetzt andauernd Ayahuasca, sie bringen es kistenweise nach Lima.« – »Nach Lima?« – »Oh ja, in Lima ist Ayahuasca jetzt sehr modern, da kommen auch viele Europäer hin zum Trinken, die nicht in den Dschungel fahren wollen. Viele Italiener. Wir verschicken Ayahuasca sogar nach Mexiko, die sind ganz wild danach.« In den Dörfern am Fluss, für die der Verkauf von Ayahuasca ein leichtes, gutes Geld einbringt, wird den Menschen langsam bewusst, dass auch die »Dschungelapotheke«, die für den eigenen Gebrauch immer reich gefüllt war, demnächst ausverkauft sein wird, wenn nicht für jede abgeschlagene Liane ein neuer Setzling gepflanzt wird. Ich verdanke der Lehrerin Ayahuasca tiefe Einsichten und heilsame Stärkungen. Ich achte sie so sehr, dass ich den Mut habe, nach 16 Erfahrungsjahren in Amazonien diese Kritik anzubringen, und ich verweise darauf nicht nur in diesem Artikel. Wir müssen auf unserer Suche nach Erkenntnis Verantwortung übernehmen auch für unser Handeln gegenüber den Menschen und Wesen, von denen wir Erkenntnis erhoffen. Auch Spiritualität kennt Gier, Eitelkeit, Machtstreben. Der hungrige Esoterik-Einfall in die Welten der Menschen und Pflanzen Amazoniens hat leider auch mit diesen Begriffen zu tun.
Angst vor den Burjat-Schamaninnen
Ich hatte das Glück, mit meiner Moskauer Gruppe an einem jährlichen Schamanen-Clan-Treffen im Baikal teilzunehmen. Mächtig waren die Trommeln, beeindruckend das sorgsame, lange Rufen ihrer Ahnen und Geister in der Vorbereitung auf das Ritual ihrer Trance. Und dann der Moment, als die Trance einsetzt: die wilden Bewegungen und Sprünge, die so rau, fremd veränderte Stimme der Schamaninnen! Und dann rasen sie brüllend mit ihrem »schamanischen Segensstock« auf die Menschen zu, die Frau-
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en nehmen den Segen mit ihrer wie ein Auffangbecken geschürzten Bluse auf, die Männer zupfen am Ausschnitt ihres T-Shirts und lassen den Segen der Schamanin dort oben hinein fallen. In diesem Moment, als die Schamanin wild herumrannte, mit dem Ritualstock fuchtelte und Unverständliches brüllte, verschwanden eilig alle aus meiner Moskauer Gruppe aus der Nähe des Ritualplatzes. »Die Schamaninnen haben uns Angst gemacht«, sagten sie später übereinstimmend. »Bei den Schamanen in Peru ist es schöner«, sagte eine Teilnehmerin, »die singen so sanft die ganze Nacht.« Und noch eine Notiz aus der internationalen Schamanenwelt: Eine Burjat-Schamanin gab mir für mein neues Buch ein langes Interview. Ich bat sie, mir zu sagen, was ich ihr als Gegengeschenk geben könne. »Ich hätte gerne, dass du für mich ein Fliegenpilzritual machst«, war ihre Antwort. n Bücher von Nana Nauwald: Der Gesang des schwarzen Jaguar – mein Leben bei den Schamanes des Amazonas, Ullstein TB 2003, 8,95 € Das Lachen der Geister – meine Reise zu den Schamanen, Magie und Rituale am Amazonas, Kindle Edition 2015, 6,99 €. und viele andere Nana Nauwald, geb. 1947. Künstlerin, Autorin, Dozentin für Rituale der Wahrnehmung, erforscht seit 30 Jahren schamanische Bewusstseinswelten. Autorin mehrerer Bücher über Wahrnehmung, Naturerfahrung, Schamanismus. www.ekstatische-trance.de, www.visionaryart.de, www.feuerfrau.com
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