Spirit 5/6 2015

Page 1

DAS MAGAZIN FÜRS WESENTLICHE 5–6/2015 31. Jg. B 6128

Weibliche Spiritualität

www.connection.de

Schweiz 16,80 sfr, EU-Länder außer Deutschland 9,40 €

Weibliche Spiritualität

Himmel & Erde genießen Mit Texten von und über Christina Kessler, Joanna Macy, Chân Không, Vivian Dittmar, Schulz von Thun und anderen

9€


Die Connection Sonderhefte connection Tantra LIEBE · EROS · WEISHEIT

Abo Tantra ❏ 2 Ausgaben für 16 / 18 €* ❏ 4 Ausgaben für 30 / 33 €* ❏ 6 Ausgaben für 42 / 46 €*

te* inzelhef s und E o b A Booke e r ll ü A PDF f ls a h c reis ! jetzt au selben P m u z – r Reade

Wege connection Schamanische

NATUR · MAGIE · GEIST · GESUNDHEIT

Abo Schamanische Wege ❏ 2 Ausgaben für 16 / 18 €* ❏ 3 Ausgaben für 23 / 25 €* ❏ 4 Ausgaben für 30 / 33 €*

BERND STERZL / PIXELIO.DE

Kombi-Abo (Tantra + Schamanische Wege) ❏ 1 Jahr (2x Tantra, 1x Schaman.) für 23 / 25 €* ❏ 2 Jahre (4x Tantra, 2x Schaman.) für 42 / 44 €* ❏ 3 Jahre (6x Tantra, 3x Schaman.) für 62 / 64 €* Angebot für Abonnenten von Connection Spirit: Für 18 € zusätzlich bekommst du das Kombi-Abo (Tantra + Schamanische Wege) dazu! * jeweils erster Preis Inland, zweiter Preis europ. Ausland

Connection AG · Hauptstraße 5 · D-84494 Niedertaufkirchen · Fon: 08639-9834-14 · www.connection.de · vertrieb@connection.de

re h a J 0 4 nsinn h Wa


Himmel auf Erden durch eine neue Weiblichkeit?

Das Pendel schwingt Lange genug hat das Patriarchat die Frauen als Menschen zweiter Klasse behandelt. Im weitaus größten Teil der Menschheit ist das auch heute noch so. In den postmodernen Subkulturen des Westens aber gibt es einen Trend, teils nur in Andeutungen, teils mächtig anwachsend, bei dem das Pendel nun in die andere Richtung auszuschlagen scheint. Den Mädchen fällt das Lernen auf der Schule leichter, und sie heimsen bessere Uni-Abschlüsse ein. Man erwartet generell mehr Sozialkompetenz von den Frauen und mehr Teamgeist, und in den spirituellen Szenen sieht der Zeitgeist sie zudem als die natürlichen Inhaber von Herz, Intuition und Bauchgefühl, was die Männer erst noch zu lernen hätten, weil sie ja »noch« im linearen, logischen Denken gefangen seien und folglich zu sehr »im Kopf«. Erleuchtung? Während wir Männer noch da rüber nachdenken und versuchen, das verflixte Koan mit dem ver-

maledeiten Ego zu lösen, seid ihr Frauen schon ganz ins Hier-undJetzt eingetaucht, Himmel und Erde vereinend, glückselig aufgelöst in der Ekstase der ewigen Gegenwart …

Stockholm-Syndrom Doch das ist nur der Trailer zu dem Film, die Werbeshow. Der eigentliche Film ist das Drama, in dem sich die Geburt der neuen Zivilisation entfaltet, und die steckt noch in den Wehen. Tatsache ist, dass Frauen in den Machtpositionen unserer heutigen Weltordnung sich als die schlimmeren Männer erweisen können. Tatsache ist, dass Frauen millionenfach die Genitalverstümmelung ihrer eigenen Töchter unterstützen und dass sie, ähnlich wie die Geiseln der Bankräuber 1973 in Stockholm – daher der Begriff »Stockholm-Syndrom« –, oft mehr Sympathie mit ihren Unterdrückern empfinden als mit ihren potenziellen Befreiern. So verteidigen viele Frauen das, was sie demütigt und gefangen hält, und das Befreiungspotenzial der spirituellen Lehren verkommt in täglich wiederholten Phrasen zu einem Filz aus Einengung, Rechthaberei und Dogmatik.

re, geistige Restrukturierung sein, die weibliche wie männliche Qualitäten in ihrem Wert anerkennt, ohne die einen zu romantisieren und die anderen zu verteufeln. Eine Neuausrichtung, die weiß, dass Männer höchst empathisch und fürsorglich sein können und Frauen eminent zielstrebig und durchsetzungsfähig.

Lasst uns bereit sein Im vorliegenden Heft äußern sich Frauen wie Männer zu diesem Thema, kritisch und hoffnungsvoll, im Bewusstsein, dass dabei noch vieles zu erforschen und praktisch zu erproben ist. Jetzt ist eine gute Zeit, damit anzufangen! Die alte Welt des Patriarchats wird vermutlich nicht so schnell zerfallen wie der Ostblock in den Jahren nach 1989, aber das Tempo der Auflösung könnte uns doch überraschen. Besser, wir bereiten uns gedanklich und gefühlsmäßig darauf vor, haben Lösungen für die Zeit danach parat und haben bis dahin in alternativen Subkulturen schon das eine oder andere neue Lebensmodell auf Herz und Nieren geprüft! Mit herzlichem Gruß,

Wir sind auf einer Baustelle Offensichtlich befinden wir uns auf einer Baustelle. Die neue Welt, die wir uns ersehnen, ist noch nicht da. Eine Welt jenseits des Geschlechterkampfes, in der für Männer das Weibliche nicht mehr als hysterisch und überdreht gilt und Frauen nicht mehr versuchen, die besseren Männer zu sein. Mehr Margaret Thatchers und Hillary Clintons an den Schaltstellen der Macht, das wird es nicht bringen. Die Grundlage der neuen Zivilisation muss eine inne-

www.connection.de · Mai-Juni 5-6/2015

FOTO: ANIELA ADAMS

W

enn wir uns hier dem Thema der »Weiblichen Spiritualität« stellen, trägt uns die Hoffnung, dass Frauen durch das, worin sie wesentlich anders sind als Männer, der Welt ein anderes Gesicht geben können, eine neue, andere Prägung. Und dass wir, Männer wie Frauen, auf diese Weise gemeinsam eine andere, bessere Zivilisation begründen können – besser, als wir es in den vergangenen Jahrtausenden getan haben. Nicht mehr eine Welt voller Kriege, Naturzerstörung,Ausbeutung, Entmenschlichung, sondern eine wahrhaft humane Zivilisation. Ein soziales Miteinander, das von Liebe und Mitgefühl getragen ist mit allem, was Fell, Haut und Haare hat, was atmet, begehrt und genießen will.

Editorial

Ach, wären wir doch schon so weit …

Wolf Schneider, schneider@connection.de

3


Schmuck für die Seele

Aphrodite (Venus)Anhänger 925er Silber, Zirkonia Grün und Weiß, 25 x 25 mm 89,00€ Artemis (Diana)Anhänger 925er Silber, Zirkonia Gelb und Weiß, 25 x 25 mm 89,00€ Aphrodite gilt als die Alchimistin unter den Göttinnen. Sie mischt Weiblichkeit, Erotik, Schönheit und befeuert die Kraft des Eros. Artemis führt ein freies weibliches Leben, welches ohne Abhängigkeit von männlicher und/oder gesellschaftlicher Anerkennung auskommt. Tel: 0 61 54 - 60 39 5-45 / Fax: -10 E-Mail: shop@collection-inner-light.de

www.collection-inner-light.de

MAI-JUNI 5-6/2015

Weibliche Spiritualität Frauen sind anders als Männer, schon klar, aber was ist »weibliche Spiritualität«? Sind Geist, Spirit oder Esprit nicht etwas Geschlechtsneutrales? In unserem Schwerpunktthema kommen vor allem Frauen zu Wort, aber auch ein paar Männer, zu der Frage, ob wir mehr Weiblichkeit brauchen und was das eigentlich ist – und, ebenso wichtig, was wir für die Zeit nach dem Ende des Patriarchats eigentlich wollen.

S. 14 – 53 Steht der Geist links? Der Spirit jedenfalls steht nicht links, sondern ist rechtslastig und blauäugig, wenn man den Vorwürfen einiger linker Politaktivisten Glauben schenken will. Ex-ConnectionRedakteur Roland Rottenfußer ist jetzt der verantwortliche Redakteur von Konstantin Weckers Webseite und erfährt dort einiges über die antispirituellen Vorbehalte von Alt68ern und linken Hardlinern.

S. 54 – 58

Der Terror der Authentizität In den Profilen der sozialen Netzwerke und auch sonst im heutigen Gesellschaftsleben ist Authentizität so begehrt, dass man auf manchen sozialen Parketts nur als guter Authentizitätsdarsteller reüssieren kann. Ein Medienwissen schaftler und ein Kommunikationspsychologe im Gespräch über diesen Hype und die Frage, wie narzisstisch man heutzutage sein muss.

S. 62 – 65

4

Mai-Juni 5-6/2015 · www.connection.de


I N H A LT 6

Rosa Luxemburg über Hummeln und Parteitage

7

Wie es ist – Nachrichten von heute

10 Wie es sein könnte – Nachrichten aus einer Welt von morgen 12 Visuelle Poesie von Christina von Puttkamer

S. 20

Schwerpunkt: Weibliche Spiritualität 14 Sind Frauen besser? – Wolf Schneider erzählt von seinen Hoffnungen und Enttäuschungen in Bezug auf die neue Weiblichkeit 18 Selbstrealisation ist Weltrealisation, meint Christina Kessler 20 Hoffnung durch Handeln – Joanna Macy erklärt, wie wir dem Chaos standhalten können 26 Heilsbringer Weiblichkeit? – Saleem Matthias Riek meldet Zweifel an 30 Mitten im Leben finden wir, was wir suchen, sagt Vivian Dittmar 34 Muttersein ist Initiation und Praxis und Quelle von weiblicher Spiritualität,

S. 26

meint Jana Gabriella Fe 36 Aus Liebe zu allen Wesen handelt die Nonne Chân Không, schreibt Gönna Pezely 38 Stark und süß klang der Gesang der buddhistischen Nonnen in den Ohren von Grace Schireson 42 Verbundensein mit allem ist die Essenz der weiblichen Spiritualität, meint Yella Cremer 44 Das Erwachen des Schoßes ist für Mayonah Bliss ein natürlicher Weg zum Frausein 47 Großmutter Erde – mit ihr fühlt sich Beatrice Bartl in weiblicher Linie verbunden 48 Fünf Portraits von spirituell engagierten Frauen 48 Susanne Kohts, 49 Nhanga Grunow und Inari Hanel, 50 Yatro Alanah, 51 Catalixx Cuna, 52 Sieglinde Sitzmann und Isa Lüerssen

S. 36

54 Als Spiri unter Linken setzt sich Roland Rottenfußer heftiger Kritik aus 59 Warum gute Eltern böse Kinder haben – Johannes Galli hat es herausgefunden 62 Totale Aufrichtigkeit kann zerstörerisch sein, finden Bernhard Pörksen und Friedemann Schulz von Thun 66 Die Spiri-Psychose – auch aus der Erleuchtung kann man aufwachen, meint Tom de Toys 68 Die große Verwirklichung ist eine gegenwärtige Tatsache, erklärt Alan Watts 70 Film: An den Ufern der heiligen Flüsse – eine Doku über die Kumbh Mela 2013

S. 38

72 Bücher über Massage, Kooperation, Genuss, Anthroposophie, Jobsuche, Burnout und anderes 76 Leserbrief zu einem berühmten Zitat von Karl Marx 77 WerWasWo 78 Marktplatz 80 Veranstaltungskalender und Inserentenverzeichnis 82 Vorschau/Impressum , Zeitschrift für Spiritualität & Politik, Mystik & Widerstand, Ökologie, Lebenskunst und Humor. Erscheint alle zwei Monate mit einem starken Schwerpunkt. Gegründet 1985, ist Connection Spirit die älteste transkonfessionelle spirituelle Zeitschrift auf deutsch. Fachmagazine über Tantra und Schamanismus aus demselben Verlag ergänzen sie.

www.connection.de · Mai-Juni 5-6/2015

S. 66

5


WEIBLICHE SPIRITUALITÄT

Selbstrealisation ist Weltrealisation Frauen »an die Macht«? Vergiss es! Die neue Spiritualität ist der Vermarktung zum Opfer gefallen und hat ihre Chancen vielleicht schon verspielt. Nur ein netteres Patriarchat zu erschaffen, soll das alles sein? In diesem System hilft es nichts, wenn Frauen an die Macht kommen. Stattdessen müssen wir, Frauen wie Männer, einen Zugang zum wilden Denken wiederfinden und zur »Innenansicht der Wirklichkeit«, dann sind Selbstrealisation und Weltrealisation dasselbe

18

VON CHRISTINA KESSLER eradeheraus und ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen: Ich glaube weder an eine Spiritualität, in der die Frauen »an die Macht« kommen, noch an eine weibliche Spiritualität. Spiritualität als innere Wissenschaft ist von Natur aus weiblich. Sie steht für das Weibliche im Menschen ebenso wie für die Innenansicht der Wirklichkeit. Eher würde ich sagen, dass wir uns im Verlauf des Patriarchats den Zugang zur Spiritualität, zum Weiblichen, verbaut haben. Mit der Folge, dass sich auch die Intuition (intueri, lat. – hineinblicken) nicht in gleichem Maße entwickeln konnte wie der Intellekt, und das war bei Männern ebenso der Fall wie bei Frauen. Ich meine echte Intuition, wirkliche Einsicht, Durchblick bis auf den Grund. Das

G

haben nach wie vor nur wenige Menschen, sonst gäbe es nicht so viele Probleme.

Im Dualismus gefangen Was die Welt braucht, ist eine neue Anerkennung des Weiblichen in allem! In jedem. In uns. Kollektiv! Frauen sind darin nicht automatisch stärker als Männer, sie tun sich damit genauso schwer, nur auf andere Weise. Wir sind alle Kinder des Patriarchats und bis in die Fußspitzen patriarchal konditioniert. Die Frage nach einer weiblichen Spiritualität selbst entstammt dieser Konditionierung; ihr typischstes Merkmal ist ja gerade dieses ewige Entweder-Oder. Solange wir in einem dualistischen Raster gefangen sind, wird es keine echte Spiritualität geben. Spi-

Mai-Juni 5-6/2015 · www.connection.de


WEIBLICHE SPIRITUALITÄT

FOTOLIA.COM, © ALEKSANDAR MIJATOVIC

Das wilde Denken In Connection habe ich über das wilde Denken geschrieben. Ich meine damit ein analoges, holografisches Denken, das nicht in einzelnen Teilen, Subjekt – Objekt, sondern relational, prozesshaft denkt und jede aktuelle Situation mit der kosmischen Ordnung in Zusammenhang bringt. Nur dieses Denken ist in der Lage, das Entweder-Oder zugunsten eines natürlichen Sowohl-als-auch zu überwinden. Nur dieses Denken lässt uns herausfinden, wann wir uns wohin richten sollen – nach innen oder nach außen – und unter welchen Umständen wir Geist oder Materie Rechnung tragen müssen. Das wilde Denken ist das natürliche Gegenstück zum Rationalen, welches stets in Gegensatzpaaren denkt und für die Außenansicht eingerichtet ist. Für die inneren, geistigen Räume brauchen wir ein Innendenken! Hier liegt das eigentliche Handikap, denn wir Westler können gar nicht mehr wild denken. Wir können uns nicht einmal etwas unter wildem Denken vorstellen. Unser linkshirniges Bildungssystem hat uns das Einheits-Denken und das Gespür für das unsichtbare Beziehungshafte gründlich ausgetrieben. Wildes Denken scheint nur noch bei den letzten Naturvölkern vorzukommen. Wir sind dermaßen verkopft, dass wir uns Spiritualität einbilden, sie aber nicht leben. Wir sind Schauspieler, wir tun als ob, aber dieses Spiel ist nicht echt. Wollen wir kollektiv dorthin zurück, zur Wahrheit, steht uns allen ein Richtungswechsel, eine radikale Meta noia bevor. Wer diesen Richtungswechsel geschafft hat, weiß, was ich meine. Denn dort innen finden wir das Ungetrennte, allem Gemeinsame, das Universale, Verbindende mit seinem weichen, umarmenden – weiblichen – Charakter und seiner gnadenlosen Stringenz, die nichts anderem als ihrem eigenen Gesetz gehorcht.

Spiritualität als Unterhaltung Ich glaube an ein neues Bewusstsein, verbunden mit einer neuen Bewusstheit für die innere Ordnung der Dinge, für das, was die Welt und uns selbst im Innersten zusammenhält. Dafür trete ich ein. In der spirituellen Ecke, wie sie sich in den letzten Jahren gestaltet, wird es mir jedoch zunehmend mulmig und eng. Dort fühle ich mich eingesperrt, unfrei und fehl am Platz. Ich kann all die Versprechungen, das Aufgebauschte, Spek takuläre nicht mehr aushalten und am wenigsten das scheinheilige Getue. Ich lehne den Markt ab, der sich um die neue Spi-

www.connection.de · Mai-Juni 5-6/2015

ritualität aufgemotzt hat, weil er nach einer seichten, wohlklingenden, beschönigenden Tour verlangt, und die Herausforderung im Banalen erstickt. Ich finde es beschissen, dass selbstgefällige Meister mit einem RiesenWerbeaufgebot die Massen mit einer Hausfrauen-Spiritualität bedienen, die für mich unakzeptabel ist, weil sie vom Eigentlichen ablenkt. Eine solche Spiritualität besitzt keine transformative Sprengkraft, sie ist Unterhaltung, Hobby.

Nur ein netteres Patriarchat? Und die Religionen? Selbst wenn sie sich innovativ geben und zum Teil gute Fürsprecher haben, sind sie nur noch Relikte einer vergangenen Zeit, denen es um die Anbetung der Asche, nicht aber um die Weitergabe des Feuers geht. Ani Jinpa Lhamo, buddhistische Nonne und Übersetzerin meiner Bücher, sagt

Neue Bildung Ich glaube, wir brauchen ein selbstverständliches universales Bewusstsein und eine Bildung, die es jedem Menschen ermöglicht, den Weg der Selbstrealisation zu gehen. Einfach deshalb, weil wir verloren sind, wenn wir nicht lernen, aus der Überfülle an Informationen blitzschnell zu synthetisieren und im Gegensätzlichen das Gemeinsame, im Besonderen das Universelle erkennen. Wir brauchen die Anerkennung eines neuen Tiefen-Verständnisses, in dem Gott, Götter, Engel und alle himmlischen Wesen endlich als das erkannt werden, für was sie als Symbole stehen: Bewusstsein, eine implizite Ordnung, die man, sobald man sich mit ihr verbindet, als Liebe und Inspiration erfährt (»da spricht etwas in mir«). Und die man, ob man will oder nicht, zu respektieren hat, weil sie die Grundlage des Lebens

Spiritualität als innere Wissenschaft ist von Natur aus weiblich, und für diese inneren, geistigen Räume brauchen wir ein Innendenken

dazu: »Die Religionen und alle Traditionen, die auf sich abgrenzenden institutionalen Mustern aufgebaut sind, sind dabei, sich in den Schwanz zu beißen, und jaulen, weil es weh tut. Weil sie erkennen, dass die alte Party vorbei und der Wandel unaufhaltsam ist, wollen sie die Kontrolle behalten, so gut es geht, um ihre Eliten hinüberzuretten. Allenfalls sind sie zu einem ›netteren Patriarchat‹ bereit. Dumm nur, dass sie dabei – wie die politischen und wirtschaftlichen Eliten sowieso – auch korrupt und gewalttätig werden. Auch die östlichen Spiris wollen letztendlich nur die alte Gesellschaftsordnung aufrechterhalten. Social pacification, ein netteres Patriarchat.« Ist weibliche Spiritualität etwa das – dieses nettere Patriarchat?

Ende einer Denk-Ära Manchmal frage ich mich, ob die neue Spiritualität ihre Chancen nicht bereits verspielt hat, gerade weil sie von einer beabsichtigten Gefälligkeit regiert wird. Wie alles andere auch ist sie einer totalitären Vermarktungsmaschinerie zum Opfer gefallen. Wie vor ihr die Religionen, landete auch sie in der Falle eines uns alle beherrschenden trennenden Paradigmas. Trennende, elitäre, macht- und egoanfällige Formen werden niemals in der Lage sein, ihre eigentliche spirituelle Aufgabe zu verwirklichen. Die DenkÄra selbst, in der das Heilige und das Profane, Geist und Materie zwei verschiedenen Bereichen zugeordnet wurden, muss ein Ende haben!

bildet. Ist das so schwer? Braucht es dazu diesen ganzen Götzen-Zirkus – heute noch?

Verantwortung übernehmen Vielleicht wollen wir ja aber noch gar keine echte »Erleuchtung«. Denn das hieße ja, dass uns plötzlich die Verantwortung zufiele für dieses Leben. Lieber schieben wir diese Verantwortung noch ein wenig herum und projizieren sie noch eine Weile hinaus – auf spirituelle Idole oder auf Politiker, die sich so gut als Sündenböcke eignen. Genau diese Verantwortung heißt es jedoch zu übernehmen. Jetzt! Nur so kann sich an der Basis etwas verändern. Nur so kann sich der Humus für eine neue Kultur des Herzens bilden, an deren Schaltstellen im Sinne eines ganzheitlichen Paradigmas, eines Paradigmas des Lebendigen, gedacht und entschieden werden kann. Das wäre genial. Das wäre für mich die neue Spiritualität – eine große bodenständige Transformation, von der wir sagen könnten: »Selbstrealisation ist Weltrealisation«.

[

ritualität zielt auf Einheit, Ganzheit ab, auf das Transzendieren der Gegensätze zu etwas Neuem. Es geht nicht um Männer oder Frauen. Es geht um eine völlig neue Bewusstseins- und Beziehungskultur.

Dr. phil. CHRISTINA KESSLER, Jg. 55, studierte Kulturanthropologie, Religionswissenschaft und Philosophie. www.christinakessler.com

19


WEIBLICHE SPIRITUALITÄT

Heilsbringer Weiblichkeit? Die Schattenseite eines Megatrends Die wirkliche Macht liegt nicht bei »den Männern«, sondern in Strukturen, von denen Historiker nach dem Weltuntergang schreiben würden, dass sie so niemand wollte. Es ist nicht ein Zuviel an Männlichkeit, was Frauen, Männer und Kinder leiden lässt, sagt der Paar- und Sexualtherapeut Saleem Matthias Riek, sondern auf beiden Seiten sind Verletzungen zu heilen. Dann können wir einander den je einzigartigen Beitrag für das Wunder des Lebens voller Freude schenken

VON SALEEM MATTHIAS RIEK

26

D

ie Zukunft ist weiblich. Mehr Frauen müssen an die Macht, wenn die Gesellschaft menschlicher werden soll. Sogenannte weibliche Qualitäten sind zunehmend gefragt. Das Zukunftsinstitut nennt diese Entwicklung »Megatrend Female Shift« und sieht Konsequenzen auf allen Ebenen, von der privaten bis zur politisch-ökonomischen: »Neue Arrangements für Sexualität und Partnerschaft drängen aus den Nischen in den Mainstream« und »Letztlich werden es gar nicht so sehr die soziokulturellen Treiber sein, sondern ökonomische Interessen, die den Megatrend Female Shift in Zukunft noch tiefer in der Gesellschaft verankern.«

Mai-Juni 5-6/2015 · www.connection.de


WEIBLICHE SPIRITUALITÄT

Diese Entwicklung spiegelt sich auch im religiösen und spirituellen Feld. Die Männerzirkel nicht nur in der katholischen Kirche geraten zunehmend unter Druck, und in der spirituellen Szene bekommen immer mehr Göttinnen, sprich weibliche Qualitäten, die Aufmerksamkeit, die ihnen zusteht.

verliert Motivation und Fähigkeit, gegenüber diesen Strukturen innerlich frei zu bleiben, und erst recht, sie zu verändern. Auch er – oder sie – wird ihr Sklave. Mann oder Frau, Obama oder Merkel, die individuelle Besetzung machtvoller Positionen macht aus dieser Perspektive keinen echten Unterschied.

Die neue Leitkultur Chancengleichheit Eine begrüßenswerte Entwicklung, und sie durchdringt alle Ebenen unserer Kultur. Von Männern dominierte Strukturen haben mehr und mehr ausgedient, sogenannte Soft Skills sind gefragt: in Partnerschaften, im Betrieb, in der Kirche und in der Meditation. Grundsätzlich – abgesehen von einigen Sonderformen – geht diese Entwicklung nicht gegen Männer. Im Gegenteil, auch Männer dürfen sich angesichts dieser neuen Leitkultur entspannen, heißt es. Weibliche Spiritualität, das klingt sympathisch. Sie erinnert an die bedingungslose Lie be der (Ur-)Mutter und lässt uns die Strenge von (Gott-)Vater vergessen. Empathie, Koo peration, Bindungsfähigkeit, Fürsorge, Herzenswärme bis hin zu einer achtsamen, heiligen Körperlichkeit und Sexualität – das alles klingt wunderbar und ist so dringend nötig in unserer weitgehend von lebensfeindlichen und unmenschlichen Strukturen beherrschten Welt. Ich brauche das hier nicht weiter auszuführen, ich gehe davon aus, dass andere Artikel in diesem Heft deutlich darauf hinweisen.

FLICKR.COM © MARKUS TACKER

Erlösungsfantasien Mein Fokus in diesem Text ist ein anderer. Seit einiger Zeit beschleicht mich nämlich der Verdacht, dass dieser Trend etwas Wichtiges ausblendet. Sitzen wir in einer Art kollektiven Trance einer Erlösungsfantasie auf? Ich meine: ja, zumindest teilweise. Eine kollektive Trance verbindet sich mit individuellen Lebenslügen und mächtigen gesellschaftlichen Strukturen zu einer unheilvollen Allianz. Die kollektive Trance heißt: Nur mit mehr Weiblichkeit – und weniger Männlichkeit – werden wir die Welt retten. Die individuellen Lebenslügen lauten in etwa so: Die Dominanz von Männern und ihren männlichen Verhaltensweisen und die Unterdrückung von Frauen und deren Weiblichkeit sind die entscheidenden Verletzungen, die es derzeit zu behandeln gilt. Und die machtvollen Gesellschaftsstrukturen? Bei ihnen handelt es sich um dynamische Formationen unübersichtlicher Machtverhältnisse, von denen nachhaltig gedacht niemand wirklich profitiert, sondern die letztlich alle an ihr Beteiligten – Menschen, Tiere, Pflanzen, Umwelt – versklaven und abtöten. Diese Strukturen scheinen gegen die in ihnen tobenden Machtkämpfe immun zu sein. Wer immer in ihnen zur Macht gelangt,

www.connection.de · Mai-Juni 5-6/2015

Um mögliche Missverständnisse auszuräumen: Ich bin sehr dafür, dass Frauen in jeder Hinsicht über die gleichen Rechte, ökonomischen Grundlagen, Optionen auf Teilhabe an kultureller, politischer und wirtschaftlicher Macht, die gleiche gesellschaftliche Akzeptanz, die gleiche Freiheit zu persönlicher Entfaltung und einiges dergleichen mehr verfügen. Alles das sollte selbstverständlich sein. Ob echte Chancengerechtigkeit und Wahlfreiheit dahin führt, dass alle wichtigen Entscheidungsgremien paritätisch besetzt sein werden, wage ich zu bezweifeln, spielt aber vorerst keine Rolle. Der Weg dahin sollte frei sein. Dabei kommt dem »Female Shift« eine wichtige Bedeutung zu, und temporäre Übertreibungen gehören durchaus zu einer solchen Entwicklung.

Prosperierende Männlichkeit? Der Irrtum liegt auf einer ganz anderen Ebene. Er liegt in dem Missverständnis, dass unterdrückte Weiblichkeit mit prosperierender Männlichkeit einhergehe – und umgekehrt. Die spirituelle Lehrerin Chameli Ardagh schreibt: »Der Begriff weibliche Spiritualität macht nur dann einen Sinn, wenn wir ihn in Bezug zur männlichen Spiritualität setzen, von der wir in den letzten Jahrtausenden sehr

Erde an den Abgrund, weshalb dringend weibliche Qualitäten her müssen, um die Welt zu retten. Ich habe das auch lange geglaubt, doch seit einiger Zeit kommen mir Zweifel. Warum?

Der Wille zur Macht 1. Die heute im Zentrum der Kritik stehenden sogenannt männlichen Eigenschaften wie Zielfixierung, unbedingter Wille zur Macht, Gewaltbereitschaft, Gefühllosigkeit und Bindungsschwäche sind keine Merkmale von Männlichkeit, sondern von Verletzungen. Jeder empathiefähige Psychotherapeut würde sie in seiner Praxis so deuten. Gesellschaftlich werden diese Eigenschaften jedoch der Männlichkeit zugeordnet. Aus dieser Zuordnung ergibt sich dann der Ruf nach weiblichen Qualitäten, aber sie ist unzutreffend.

Mitgefühl und Kooperation 2. Sogenannt weibliche Qualitäten sind ebenso wenig wie männliche an sich gut oder schlecht. Sie sind Ausdruck der Polarität des Lebens. Beide haben ihre Licht- und Schattenseiten. Mitgefühl kann Ausdruck von Selbstlosigkeit sein, aber auch von fehlendem Respekt für eigene Grenzen. Die Ausrichtung auf Kooperation kann eine Maske sein für die Weigerung, trotz ausreichender Kompetenz auch mal die Führung zu übernehmen.

Heilung beider Pole 3. Die positiven Aspekte sogenannt männlicher Qualitäten sind genauso wenig im Übermaß vorhanden wie deren weibliche Pen-

Mann oder Frau, Obama oder Merkel, es ist fast egal, wer innerhalb dieser Positionen an der Macht ist

beeinflusst worden sind. Diese männlich ausgerichtete Spiritualität wurde in erster Linie von Männern begründet, niedergeschrieben und auch von ihnen praktiziert. So ist selbst die ganze Weisheit, die all diese Traditionen beinhaltet, doch sehr maskulin gefärbt.« Dies ist eine moderate und spirituelle Variante einer verbreiteten Erzählweise, die so allgegenwärtig ist, dass wir sie mit der Wahrheit verwechseln. Vereinfacht gesagt, geht die zugrundeliegende Geschichte so: Der Mann hat im Laufe der Zeit die Macht an sich gerissen, die Frau unterdrückt und die Balance von männlich-weiblich zugunsten »seiner«, d. h. der männlichen Qualitäten, aus dem Lot gebracht. Das bringt den Planeten

dants. Wo Weiblichkeit unterdrückt wird, kann auch Männlichkeit nicht blühen, sondern bestenfalls wuchern. Von beiden Seiten bleiben nur Zerrbilder übrig. Eine menschlichere Kultur braucht nicht die quantitative Gleichstellung weiblicher Eigenschaften, sondern ein gelungenes Zusammenspiel von Yin und Yang und als Voraussetzung dafür die Heilung beider Pole, d. h. auch die Heilung von Frauen und Männern.

Hinderliche Polarisierung 4. Die Polarisierung in dunkle, abgründige Männlichkeit und helle, heilbringende Weiblichkeit ist – genauso wie deren früher geläufigere Umkehrung – ein Hirngespinst. Ein

27


WEIBLICHE SPIRITUALITÄT

Wir brauchen nicht mehr Weiblichkeit, sondern geheilte Weiblichkeit und nicht weniger Männlichkeit, sondern die Heilung von Männlichkeit

und innere Entwicklung sind Frauen- wie Männergruppen hilfreich, und hier hat auch die Pflege und Praxis von weiblicher Spiritualität ihren Platz. Für die kulturelle Entwicklung brauchen wir jedoch nicht mehr Weiblichkeit, sondern geheilte Weiblichkeit, genauso brauchen wir nicht weniger Männlichkeit, sondern die Heilung von Männlichkeit. Nur mit beiden Qualitäten zusammen sind wir in der Lage, dem kritischen Zustand unserer Kultur wirkungsvoll zu begegnen. Empathie verbindet sich mit Zielstrebigkeit, Kooperation mit Führung, Sachverstand mit Emotionalität, Allverbundenheit mit gesundem Selbstverständnis. Je mehr uns dies gelingt, sind wir in der Lage, uns dessen gewahr zu werden und dem zu begegnen, was unseren Planeten wirklich in den Abgrund treibt.

Paartherapeut, der bewusst oder unbewusst Partei für eine Seite ergreift, ist zum Scheitern verurteilt. Warum sollte das auf kollektiver Ebene anders sein? Natürlich ist letztere komplexer, aber eine systemische Sicht kann helfen, die Polarisierung (nicht die Polarität!) zugunsten eines gelingenden Zusammenspiels zu überwinden.

rührende und tief herausfordernde Moment der Wiederbegegnung der Geschlechter lässt offenbar werden, was in den jeweiligen Kreisen Illusionen genährt hat und was sich für das Gewahrsein von Verbundenheit jenseits aller Projektion öffnet. Ich liebe diese Momente.

Verbundenheit

Verletzungen und Verzerrungen

5. Spiritualität bedeutet für mich im Kern das Gewahrsein der Verbundenheit von al-

Auch wenn es in Anbetracht der Dominanz von Männern in Führungspositionen – auch

Wo Weiblichkeit unterdrückt wird, kann auch Männlichkeit nicht blühen, sondern bestenfalls wuchern

lem, was ist, oder anders gesagt das Aufwachen aus der Illusion der Trennung. Die zeitweilige Trennung von Männern und Frauen ermöglicht wichtige Prozesse und Erfahrungen, ich nutze diese Möglichkeit in jedem meiner Trainings. Doch erst der heikle, be -

28

in Religionsgemeinschaften und spirituellen Schulen – naheliegend scheint: Es gibt keinen Nachholbedarf von Weiblichkeit, um ein Zuviel an Männlichkeit auszugleichen, sondern Verletzungen und Verzerrungen auf beiden Seiten. Für die persönliche Heilung

Es ist nicht ein Zuviel an Männlichkeit, sondern es sind Machtstrukturen, innerhalb derer sich auch die mächtigsten Individuen wie Marionetten fühlen müssen – wenn sie überhaupt noch etwas fühlen. Unsere individuell gefühlte Ohnmacht gegenüber Umweltzerstörung, Ungerechtigkeit und Krieg korrespondiert eben nicht mit der individuellen Macht einiger Bosse und Präsidenten. Diese sind längst selbst machtlos und können sich nur so lange in der Illusion ihrer Macht sonnen, wie sie tun, was sie aufgrund ihrer Funktion im Machtgefüge tun müssen. Die wirkliche Macht liegt heute in Strukturen, von denen Historiker nach dem Weltuntergang schreiben würden, dass sie »so niemand wollte«. Die wichtigste dieser Strukturen sehe ich in der zwanghaften Wachstumsdynamik, die auf Dauer alles Lebendige auslöscht, indem sie es für Profite verwertbar macht. Im Körper nennt man grenzenloses Wachstum Krebs. Zu glauben, weniger Männlichkeit zugunsten von mehr Weiblichkeit rette diese Welt, wäre gerade so, als wollten wir Hodenkrebs mit Brustkrebs heilen. Auf der persönlichen Ebene entspricht dies der Haltung mancher Frauen, die nicht merken, wie sie Männer und Männlichkeit ängstlich meiden oder gar verachten und sich wundern, dass sie keinen Partner finden, obwohl sie sich danach sehnen. Diese Haltung wird oft gut getarnt, wahrscheinlich auch vor sich selbst und manchmal unter dem Deckmantel weiblicher Spiritualität.

Sind Frauen weiter? Es ist eine statistische Tatsache, dass mehr Frauen spirituell unterwegs sind als Männer. »Frauen sind da schon etwas weiter« ist die verbreitete Lesart dieses Phänomens. Ist diese Lesart zutreffend? Ist sie hilfreich? Aus

Mai-Juni 5-6/2015 · www.connection.de

FLICKR.COM © LEE HAYWOOD

Die Macht der Strukturen


WEIBLICHE SPIRITUALITÄT

systemischer Sicht eher nicht. Es handelt sich um eine Dynamik, an der beide Seiten beteiligt sind, so wie in einer Partnerschaft, in der die gesteigerte Lust des einen zur Unlust des anderen beitragen kann und umgekehrt. Immerhin erlebe ich immer mehr Frauen, die sich ihre Arroganz gegenüber Männern eingestehen und mit einem Schuss Selbstironie zugeben, daran zu glauben, dass

findet diese spezielle Variante populärer Spiritualität mehrheitlich, aber nicht nur, bei Frauen.

Und die Männer? Und was ist mit uns Männern? Mir kommt es manchmal so vor, als werde von uns nicht viel mehr erwartet, als dass wir der weibli-

Es tröstet mich nicht, dass die Protagonisten der

1. Lebensfreude Festival klich Glüc m a r Mee

ausufernden Weltreligion Mammon – oder ihre Kinder – am Ende mit untergehen

Weltreligion Mammon Vielleicht wird nun nachvollziehbar, wa rum mir bei solchen Statements nicht ganz wohl ist. Die Situation unseres Planeten ist ernst, wir brauchen alle verfügbaren Ressourcen, wenn eine Wende in Betracht kommen soll. Manchmal habe ich die Fantasie, dass sich Bosse und Lobbyisten in Anbetracht der Begeisterung für den Female Shift, bei all den Debatten um Frauenquote, Soft Skills und »sonstiges Gedöns« (wie es Altkanzler Schröder nannte), insgeheim ins Fäustchen lachen. Ach wie gut, dass niemand weiß … Allerdings: Rumpelstilzchen wurde durch seine Kenntnisse, wie man Stroh zu Gold spinnt, nicht glücklich. Es kann mich nicht trösten, dass die Protagonisten der ausufernden Weltreligion Mammon – oder ihre Kinder – am Ende mit untergehen, so wie das Krebsgeschwür, wenn es sich durchsetzt, zusammen mit seinem Wirtsorganismus stirbt. Ich fasse meine These provokativ zusammen: Unter dem Label »Weibliche Spiritualität« verbirgt sich zuweilen eine gut getarnte Schattenseite, eine kindlich-regressive Heile-Welt-Mystik, die sich womöglich in ihrer Illusion per se heilender Weiblichkeit so lange selbst gefällt und feiert, bis es für ein Aufwachen zu spät ist. Ihre Anhängerschaft

www.connection.de · Mai-Juni 5-6/2015

chen Zukunft nicht im Wege stehen, da wir hier bewusstseinsmäßig »sowieso nicht mithalten können«. In der gegenwärtigen historischen Situation können Männer nichts wirklich richtig machen, also lassen wir doch die Frauen ran. Wir mögen Beifall für diesen Standpunkt bekommen, aber er ist eine bequeme Ausrede! Auch wir tragen Verletzungen, Lebenslügen und Vermeidungsstrategien in uns, die nähere Betrachtung verdienen. Dazu mehr im nächsten ConnectionTantra-Special zum Thema »Männerlüste in der Patriarchatsdämmerung«. Bei aller Skepsis gegenüber dem Weiblichkeitshype, die ich hier vortrage, habe ich auch eine Vision: dass Frauen und Männer ihre Verletzungen jeweils für sich und auch miteinander anschauen und heilen können. Ich wünsche mir von Herzen, dass der wunderbare Tanz, zu dem wir miteinander fähig sind, uns die Kraft gibt, unseren je einzigartigen Beitrag für das Wunder des Lebens voller Freude zu schenken. Diese Vision bestimmt mein Leben. Soft Skills spielen darin eine wesentliche Rolle, der Weg ist das Ziel, und fünf dürfen auch mal gerade sein. Aber wenn wir uns nicht einfach nur einlullen lassen wollen, spielt zuweilen auch die präzise Unterscheidungsfähigkeit unseres Verstandes eine wichtige Rolle. Dass sie als typisch männlich gilt, ist mir hier grad egal.

[

Frauen doch die besseren Menschen seien. Das finde ich ermutigend, denn Selbstironie gehört nicht unbedingt zum klassischen Kanon zukunftsweisend-weiblicher Eigenschaften. »Es deutet vieles darauf hin, dass unser materiell ausgerichtetes Dasein auf einen Wendepunkt zusteuert. Sensitive und Visionäre sind sich darin einig, dass die Weiblichkeit bei dieser Neuorientierung, bei der immer dringlicher werdenden globalen Heilung und Transformation eine tragende Rolle spielen wird. Doch sind die Frauen für ihre große Aufgabe bereit?« schreibt die Sexologin und spirituelle Lehrerin Maitreyi Piontek.

SALEEM MATTHIAS RIEK ist Tantralehrer, Paar- und Sexualtherapeut und Buchautor. Leiter der »Schule des Seins«. Seit dem Jahr 2000 Ausbildung von Gruppenleitern. Sein jüngstes Buch »Lustvoll Mann sein« räumt u.a. gründlich mit dem Vorurteil auf, männliche Sexualität sei einfacher gestrickt als weibliche. www.schule-des-seins.de, www.lustvoll-mannsein.de

Travemünde 19. – 21. Juni 2015 Brügmanngarten

Satyaa & Pari Nils Tannert Seom Shinouda Ayad Jens Zygar · DJ Vargo Yoga Space Kinder-Mitmachzirkus Vegane Köstlichkeiten Jetzt Tickets online kaufen und 25 % sparen

04502/788 90 40

29


WEIBLICHE SPIRITUALITÄT

Mitten im Leben Weibliche Spiritualität will das Leben ganz erfahren, statt es zu transzendieren Barbara Stützel vom zeGG sprach mit Vivian Dittmar von der Be-the-change Stiftung über die rolle von mutterschaft, Gefühlen, Beziehungen und Gemeinschaften und darüber, wie weibliche Spiritualität sich auch im Umgang mit Gefühlen von männlicher unterscheidet

BarBara Stützel im GeSpräch mit ViVian Dittmar

30

Begegnung auf dem Pfingstfestival im ZEGG

H

allo Vivian, das Thema dieser Connection-Ausgabe ist die weibliche Spiritualität. Was verstehst du darunter? Gibt es für dich einen Unterschied zur männlichen Spiritualität? Ehrlich gesagt habe ich mit dem Begriff Spiritualität an sich schon ein Problem, da er suggeriert, dass es Nicht-Spiritualität gibt. Dadurch erzeugt er Trennung, und damit sind wir mittendrin im Unterschied zwischen männlicher und weiblicher Spiritualität, den es für mich auf jeden Fall gibt, auch wenn dieser sich nicht immer an Geschlechtergrenzen hält. Weibliche Spiritualität bejaht und verbindet, sie schließt alles mit ein, während männliche Spiritualität unterscheidet und trennt. Für mich ist die Grunderkenntnis von Spiritualität, egal ob männlich oder weiblich, dass alles eins ist. Die männliche Spiritualität sucht die Erfahrung dieser Tat-

Mai-Juni 5-6/2015 · www.connection.de


WEIBLICHE SPIRITUALITÄT

© ZEGG

sache durch Transzendenz und Abwendung, die weibliche über die Hinwendung, das tiefer Eintauchen, mitten ins Leben hinein. Sehr deutlich ist das in diversen Religionen, die von Männern gegründet wurden. Sie haben die Welt fein säuberlich in gut und böse sortiert. Heute läuft das oft subtiler ab. Da wird dann erleuchtet von nicht erleuchtet getrennt, Erwachte von nicht Erwachten. Bei Frauen ist hingegen Spiritualität alles. Sie geschieht mitten im Leben und ist überall im Alltag integriert. Meditation ist für mich zum Beispiel etwas, das genauso beim Spülen passiert wie beim Kuscheln, beim Arbeiten wie beim Tanzen. Eine spirituelle Praxis zu erschaffen, die getrennt vom Alltag passiert, ist in meinem Verständnis ein männlicher Zugang. Auch wenn ich den weiblichen Zugang klar bevorzuge, hat natürlich auch die männliche Unterscheidungskraft ihren Platz. Menschen leben in unterschiedlichen Bewusstseinszuständen, und es ist hilfreich, das zu benennen, denn Unterscheidung bringt Klarheit. Abseits des Alltags in Klöstern oder Ashrams können ganz besondere Räume kultiviert werden, die wertvoll sind. Doch wie in vielen Lebensbereichen haben wir in den letzten Jahrhunderten auch hier den weiblichen Zugang aus den Augen verloren, während das männliche Paradigma die Oberhand hatte. Das ändert sich meines Erachtens gerade. Du bist ja auch Mutter. Glaubst du, dass deine Mutterschaft etwas mit deiner Spiritualität zu tun hat? Auf jeden Fall! Ich bin sehr jung Mutter geworden. Damit ist das »Wunder des Lebens« durch mich gekommen und war in Form von einem Kind mitten in meinem Leben. Es schien absurd, sich vom Leben abzuwenden, um dem Leben näher zu kommen. Du merkst schon, dass ich Leben und Gott synonym verwende. Das ist für mich weibliche Spiritualität. Nicht dass Gott nun Göttin heißt, sondern dass das Leben als das Göttliche erkannt wird. In vielen männlichen Zugängen hingegen müssen wir uns vom Leben abwenden, um uns Gott zuzuwenden. In vielen männlich geprägten Schulen wird daher eine Reduzierung der Beziehungen gelehrt und praktiziert, bis hin zum Zölibat. Die Idee dahinter ist, dass man sich dadurch ganz auf die Beziehung zu Gott (oder in Religionen ohne Gott auf das Erwachen) konzentrieren kann. In einer weiblichen Spiritualität ermöglicht gerade das Eintauchen in Beziehungen, Einheit zu erfahren. Sexualität ist für mich zum Beispiel das ureigentliche Gebet weiblicher Spiritualität. In Beziehungen kann ich Verbundenheit erfahren, während ich meine Individualität erlebe — also Einheit und Trennung zugleich. Die Verschmelzung von Gegensätzen, die unio mystica, die Alchemie ist dann kein

www.connection.de · Mai-Juni 5-6/2015

theoretisches Konstrukt mehr, das Momenten theologischer oder mystischer Höhenflüge vorbehalten ist, sondern sie ist Alltagspraxis. Was ist, wenn du etwas anderes möchtest als ich? Was ist, wenn mein Kind gerade schwierig und anstrengend ist und ich mich nach Ruhe sehne? Diese Gleichzeitigkeit ist für mich das Spannende und auch das Einzigartige an der menschlichen Erfahrung. Die reine Einheit kann ich auch ohne Körper erfahren, das finde ich weit weniger interessant. Welche Rolle spielen denn hier die Gefühle? Viele spirituelle Lehrer predigen ja den Gleichmut, deshalb denken viele, es ginge darum, die Gefühle loszuwerden. Das finde ich eines der tragischsten Missverständnisse. In spirituellen Schulen wird oft von »verhaftet sein« gesprochen, und jedes Gefühl — außer der bedingungslosen Freude — wird als Ausdruck dessen gedeutet. Das Tragische hieran ist, dass es von der Nichtanhaftung zum »Ist mir doch alles egal« nicht weit ist. Letztere ist jedoch eine Haltung, die mich vom Leben entfernt, statt mich tiefer zu verbinden, und kann daher schnell in die Isolation bis hin zur Depression führen. Gefühle sind tatsächlich der Schlüssel, um das Leben in diesem Menschsein zu erfahren. Gefühle sind Beziehungskräfte. Natürlich ist nicht jedes Gefühl in jeder Form hilfreich, und ich habe lange gebraucht, um herauszufinden, was den Unterschied macht. Heute weiß ich, dass Gefühle sich als Kräf-

Hierzu ein Beispiel. Nehmen wir die negativen Gefühle, mit denen haben wir mehr Probleme: Wut, Trauer, Angst und Scham. Sie treten auf, wenn etwas anders ist, als wir es gerne hätten. Ich komme nach Hause und sehe, dass die Küche nicht aufgeräumt ist. Jetzt kann ich sagen: Das geht nicht, wir haben doch eine Vereinbarung, dass die Küche aufgeräumt sein soll! Das ist der Absolutheitsanspruch. Der führt dazu, dass ich nicht bereit bin, mit dem, was ist, in Beziehung zu gehen, denn es sollte ja gar nicht sein. Das wiederum führt dazu, dass die Gefühle, die ich produziere, Schattengefühle sind. Die Wut, die ich erzeuge, wird dann zerstörerisch. Ich fange an, innerlich zu schimpfen über meine Kinder oder meinen Partner und verurteile sie. Ich kann auch in die Trauer gehen. Wenn die im Schatten ist, gleite ich in Passivität oder Depression. »Nie schaut jemand, ob es auch für mich richtig ist, es ist immer das Gleiche.« Ähnlich kann ich Angst oder Scham wählen. Der Fakt ist einfach nur, dass die Küche nicht aufgeräumt ist. Wenn ich auf meinem Absolutheitsanspruch beharre, produziere ich den Schatten und trenne mich ab. Aber ich kann auch anders damit umgehen und einfach feststellen, dass die Küche nicht aufgeräumt ist und dass das nicht meinem Bedürfnis entspricht. Mir ist eine aufgeräumte Küche lieber. Hier bleibe ich in Kontakt mit meinem Bedürfnis und der Lücke zwischen dem, was ist, und dem, was meinem Bedürfnis nach sein sollte. Diese Lücke ist

Bei Frauen ist Spiritualität alles. Sie findet mitten im Leben statt und fördert nicht das sich Raushalten, sondern das Eintauchen in Beziehungen

te oder in ihrem Schattenausdruck zeigen können. In vielen spirituellen und psychologischen Schulen wird das alles in einen Topf geschmissen und gilt als solches Gesamtpaket dann als unpraktisch und nicht hilfreich. Erkläre doch mal den Unterschied! Es geht hier um die Unterscheidung zwischen einem persönlichen Bedürfnis und einem Absolutheitsanspruch. Als Menschen haben wir Bedürfnisse, und es ist unsere Verantwortung, uns um diese zu kümmern. Wenn wir der Versuchung widerstehen, Gefühle als unspirituell und unerwacht abzustempeln, dann können wir über das Eintauchen in Gefühle diesen ganz feinen Unterschied kennenlernen und nehmen wieder wahr, dass sie die Richtung der Verbindung angeben zu dem, was ist.

schmerzhaft. Wenn ich sie jedoch annehme, dann ist da Intensität oder Energie. Natürlich kann ich mich dann da auch rausmeditieren. Das ist der klassische Ansatz, den finde ich allerdings nicht so interessant. Spannender ist, diese Intensität in Gefühlskraft zu übersetzen. Die positive Wutkraft hilft mir, aktiv zu werden, zu handeln, für meine Bedürfnisse einzustehen – das würde heißen: Ich suche das Gespräch, ich mache die Küche selbst sauber oder bitte jemand, es zu tun. Der Unterschied zwischen der Schatten- und der Gefühlskraft ist folgender: Das Gefühl ist eine Brücke zwischen mir und der Situation. Es befähigt mich, mit der Situation umzugehen. Der Schatten hingegen trennt mich von der Situation. Das Gleiche gilt für die anderen Gefühle. Trauer bringt mich in ihrer Kraft zum Hinnehmen eines Verlustes. Angst gibt mir die Kraft, mich mit dem

31


WEIBLICHE SPIRITUALITÄT

Vivian Dittmar in Aktion

Ungewissen zu konfrontieren: »Ich weiß nicht, was ich noch tun soll …«. Oder die Scham: »Habe ich es laut genug gesagt?« oder »Gab es Situationen, in denen ich selbst die Küche mal nicht sauber gemacht habe?« Das Wunderschöne für mich ist erstmal die tiefe Annahme von dem, was ist, einfach weil es ist. Aber das bedeutet nicht, zu resignieren und alles so zu lassen, wie es ist. Leben bedeutet sich einmischen, sich engagieren. Aber das sollte von einem Ort aus geschehen, wo ich ganz tief verbunden bin mit dem, was ist. Ich trenne es nicht von mir. Von dem Ort aus kann ich wählen, wie ich damit in Beziehung gehen möchte, z.B. ob ich etwas verändere (Wutkraft) oder es annehme (Kraft der Trauer).

immer wieder von meinen Bedürfnissen ab und versäume es, für diese einzustehen. Damit stehle ich mich aus einer wichtigen Dimension menschlicher Erfahrung. Vielfach tun wir dann so, als wäre alles okay, obwohl es das gerade nicht ist, und erkennen nicht, dass eben auch das okay ist. Was hat dich in deinem Leben zu deinem Handeln motiviert? Als ich 18 war, lebte ich in Indien und hatte dort eine sehr starke mystische Erfahrung.

Ist es für die Entwicklung eines Menschen erstrebenswert, eine starke mystische Erfahrung zu machen, einen solchen Sprung, oder geht der Weg auch über viele kleine Schritte? Es gibt so viele Wege, wie es Menschen gibt, und das wird immer so sein. Sprünge und kleine Schritte schließen einander nicht aus. Meine Erfahrung bei mir und bei den Menschen, die mir nahe sind, ist, dass das eine nicht einfacher ist als das andere. Es ist nicht einfacher, einen Sprung zu machen und sich dann jahrelang damit zu befassen, bis alles andere nachkommt, als viele kleine Schritte zu machen. Beides hat seine Vor- und Nachteile und seine Herausforderungen. Was kann uns bei dieser Entwicklung unterstützen? Einmal braucht es natürlich eine innere Arbeit, die jeder Einzelne für sich tut. Ich sehe heute viele Menschen, für die das nicht optional ist. Wir können nicht anders als an uns zu arbeiten und uns zu entwickeln. Natürlich kann es hierfür sehr hilfreich sein, von anderen zu lernen, die einen ähnlichen Weg gehen und vielleicht ein paar Schritte voraus sind oder einfach andere Bereiche erforscht haben.

»Sexualität ist für mich das ureigentliche Gebet weiblicher Spiritualität«

Hat denn auch Freude eine Schattenseite? Ja, das hat sie. Und die ist gerade in spirituellen Kreisen sehr verbreitet. Der Schatten der Freude ist die Illusion. Wenn ich beispielsweise den Absolutheitsanspruch habe, dass ich als spiritueller Mensch alles, was ist, als richtig empfinden sollte, dann lande ich schnell in der Illusion. Ich schneide mich

32

Seitdem ist mein ganzes Bestreben, das, was ich da erfahren habe, in die Welt, den Alltag, das Leben zu übersetzen, es mitzunehmen und auch, es anderen zugänglich zu machen. Diese starke Erfahrung war für mich

Neben der persönlichen Arbeit, die jeder einzelne tun kann, spielt aber auch das Kollektiv eine wichtige Rolle. Welche Bewusstseinsfelder schaffen wir als Kollektiv? Was in mir passiert und wie mein Bewusstsein

Mai-Juni 5-6/2015 · www.connection.de

© VIVIAN DITTMAR

ein Anfang von etwas, kein Ende. Einerseits war sie eine Antwort: Alles ist eins und das Göttliche durchdringt alles! Aber dann kam die Frage: Was jetzt? Was bedeutet diese Erfahrung für unser Leben, für unsere Existenz? Mein Hauptinteresse ist es, an der Erschaffung einer Kultur mitzuwirken, die diese Erkenntnis reflektiert. Hierfür habe ich verschiedene Wirkungsfelder gefunden: von der Persönlichkeitsentwicklung Einzelner in Ausbildungen über die gesellschaftliche Bewusstseinsbildung durch die Be-the-Change-Stiftung oder die Begleitung von Entwicklungsprozessen in der Wirtschaft mit dem Terra Institute. Mein nächstes großes Projekt ist, die vier Wissensfelder, die ich nun seit fast zwanzig Jahren erforsche und lehre, erstmals in einem anzubieten. Es geht um eine Art Universität des Menschseins, in der die Kunst der Gegenwärtigkeit und die der Kooperation, die Kraft der Absicht und die der Gefühle entwickelt werden kann. Darauf freue ich mich sehr.


WEIBLICHE SPIRITUALITÄT

sich öffnet, ist ganz stark beeinflusst durch das Feld, in dem ich mich aufhalte. Ein bestimmtes Bewusstseinsfeld zu entwickeln und zu halten ist unheimlich wertvoll für unsere Entwicklung. Solche Gemeinschaften

trennen und die Dinge als getrennt betrachten. Das findet man in der Spiritualität und in auch anderen Lebensbereichen. Eine ganz tiefe Trennung ist die zwischen der Natur und der Kultur, die immer als Gegensätze gedacht

Gefühle sind Beziehungskräfte, die sich als Kräfte

[

oder in ihrem Schattenausdruck zeigen können

Großen, wie den Beziehungen zwischen Nationen, Spezies und Ökosystemen. Mystische Erfahrungen sind für mich kein Selbstzweck. Heute haben immer mehr Menschen mystische Erfahrungen oder suchen sie, weil dadurch mehr Einheitsbewusstsein in die Menschheit kommt. Das erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass es uns gelingen wird, unsere Lebens- und Wirtschaftsweisen so anzupassen, dass sie diese Erkenntnis reflektieren. Das ist meines Erachtens kein Luxusprojekt, sondern der Schlüssel zur Zukunftsfähigkeit unserer Spezies.

hat es immer gegeben: Klöster, Ashrams. Auch heute gib es Gemeinschaften unterschiedlicher Art, wie eure im ZEGG, wo ein bestimmter Geist geteilt wird. Menschen können dorthin kommen, um diesen zu erfahren und vor allem, um von ihm transformiert zu werden. Da werden Entwicklungen möglich, die woanders nicht so schnell möglich wären. Die Kraft solcher Felder wird noch einmal mehr aktiviert oder potenziert, wenn dort besondere Veranstaltungen, Festivals oder Rituale initiiert werden. Daher freue ich mich darauf, dass ich dieses Jahr mit euch zusammen an Pfingsten ein Festival für Gefühle gestalten kann. Denn da wird so etwas geschehen, und zwar unabhängig von dem Spaß, den wir dort haben und den Inhalten, die wir teilen oder dem Rahmenprogramm. Der wirkliche Mehrwert liegt bei solchen Veranstaltungen in dem Feld, das erzeugt wird, wenn mehrere hundert Menschen zusammenkommen, ein bestimmtes Bewusstsein kultivieren und sich mit bestimmten Themen auseinandersetzen. Du sprichst in deiner Arbeit auch davon, dass das Individuum nur im Kontext neuer, lebensbejahender Strukturen gut leben kann. Was sind solche Strukturen? Was haben Strukturen mit Spiritualität zu tun? Kann es »äußere« Strukturen geben, die »innere« Spiritualität erzeugen? Deine Frage zeigt genau das Phänomen, warum ich es mit dem Begriff Spiritualität schon schwer habe. Es ist das Phänomen, dass wir

wurden. Lange war Kultur das Gute und die Natur das Böse. Jetzt hat man es umgedreht, aber es bleibt immer noch die Trennung. Unsere Aufgabe heute ist, die vermeintlichen Gegensätze wieder zusammenzudenken: Alltag und Spiritualität, Natur und Kultur, innen und außen. Dann bin ich bei lebensbejahenden Strukturen. Bislang haben wir unsere Strukturen mechanistisch aufgestellt. Wir haben die Funktionsweise der Welt wie ein Uhrwerk betrachtet. Seit etwa 100 Jahren setzt sich auch in der Wissenschaft die Erkenntnis durch, dass das nur die halbe Wahrheit ist. Systeme können im Zusammenspiel ihrer Teile intelligent sein, und damit sind wir bei den Beziehungen angelangt. Am liebsten schaue ich mir ein Ökosystem an, zum Beispiel einen Wald. Bislang haben wir uns darauf konzentriert, die Einzelteile zu sehen, welche Spezies gibt es: Bäume, Vögel etcetera. Aber wir haben viel zu wenig die Wechselwirkungen beachtet. In meiner Arbeit in Unternehmen steht im Vordergrund, dass der Blick für die Beziehungen geschärft wird. Das Ziel ist immer, Strukturen abzubauen, die Beziehung verhindern, damit die Dinge ihre natürliche Intelligenz entwickeln. Dieser Entwicklungsprozess — vom Mechanistischen ins Systemische, von der Trennung in die Verbindung, von der Individualisierung zur Beziehung — steht heute überall an. Im ganz Kleinen — in der Beziehung zwischen mir und dir etwa — bis zum ganz

Das Buch dazu: Vivian Dittmar: Gefühle & Emotionen, eine Gebrauchsanweisung – wie emotionale Intelligenz entsteht. Sc, 17,50 €

BarBara Stützel ist Dipl. psychologin und mitglied der zeGG Gemeinschaft. Sie ist besonders interessiert an prozessen und Strukturen, die zu innerem Wachstum und einer zukunftsfähigen lebens weise führen. www.pfingsten.zegg.de ViVian Dittmar ist autorin und versteht sich als impulsgeberin für persönliche, systemische und gesellschaftliche Verän derung. Durch ihre Kindheit und Jugend auf drei Kontinenten in sehr unterschiedlichen Kulturen entwickelte sie schon früh ein Bewusstsein für die großen herausforderungen, vor denen wir heute als menschheit stehen. in ihren Büchern, Seminaren, ausbildungen und trainings in ganz unterschiedlichen Kontexten begleitet sie menschen durch Klarheit und empathie zu einem neuen Umgang mit den zentralen themen des menschseins. www.viviandittmar.net

Tanzen, Lachen und Stille

© JOUJOU / PIXELIO.DE

www.connection.de · Mai-Juni 5-6/2015

Unser Frühlingsfest findet dieses Jahr vom 14. bis 17. Mai im Connection Seminarhaus statt. Wie üblich mit viel Tanz, Freude, Genuss und Stille. Sicher sind schon der berühmt-berüchtigte KabarettAuftritt Wolf Schneiders mit Freunden, das Kabarett-Soloprogramm mit Oliver Bader, ein Konzert mit Trollius Weiß, eine Einführung in Continuum Movement mit Kalimah Morea und ein Workshop mit Marianne Gallen zum Thema Focusing. Zudem sind ein Frauen-Tempel und eine Männer-Zeit geplant. Änderungen sind vorbehalten (siehe www.connection.de/index.php/connection-fruehlingsfest-2015) Wie immer gilt: Die Angebote sind alle kostenlos. Nur Übernachtung und Verpflegung dürfen gezahlt werden. Übernachtung: 12 – 28 € pro Person/Nacht Essen: 30 €/Tag Veranstaltungsort: Hauptstr. 5, 84494 Niedertaufkirchen (bei Mühldorf/Inn) Anmeldung bei Sibylle Schütz, seminare@connection.de, Tel.: 089-52 48 32

33


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.