DAS MAGAZIN FÜRS WESENTLICHE 3–4/2015 31. Jg. B 6128
Popspiritualität
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Spiritualität Mit Texten von Konstantin Wecker Johannes Galli Eli Jaxon Bear Geseko v. Lüpke Wolf Schneider und anderen
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2015 27.03. | 20:00 Uhr Sport- und Kulturhalle Garbenteich POHLHEIM
28.03. | 20:00 Uhr
29.04. | 20:30 Uhr
17.07. | 20:00 Uhr Freilichtbühne Zwickau ZWICKAU
Theatre Palace CH – BIEL / BIENNE
30.04. | 20:30 Uhr
20.04. | 20:00 Uhr Volkshaus CH – Z RICH
12.06. | 0:00 Uhr
Theatersaal National CH – BERN
23.04. | 20:00 Uhr Tonhalle CH – ST. GALLEN
24.04. | 20:00 Uhr Stadtsaal M hldorf am Inn 25.04. | 20:00 Uhr Audimax REGENSBURG 26.04. | 19:00 Uhr
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16.07. | 20:00 Uhr
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28.04. | 20:00 Uhr SAL - Großer Saal LI – SCHAAN
Stadt-Casino CH – BASEL
KKThun Schadausaal CH – THUN Naturtheater Reutlingen
20.06. | 19:00 Uhr Freilichtbühne im Stadtpark Hamburg
Burggarten Dreieichenhain DREIEICH
20.07. | 19:30 Uhr Sparkassen-Kulturzelt DEGGENDORF 24.07. | 20:00 Uhr Bergwaldtheater WEISSENBURG I. BAY. 27.07. | 20:30 Uhr Luisenburg-Festspiele WUNSIEDEL
22.06. | 20:00 Uhr
28.07. | 20:00 Uhr Hof der Burg Brattenstein RöTTINGEN
Kulturzelt WOLFHAGEN
01.08. | 20:00 Uhr
23.06. | 20:00 Uhr Burgtheater Dinslaken
26.06. | 18:30 Uhr Tollwood Sommerfestival Musik Arena M NCHEN
Kulturhaus Osterfeld Pforzheim
02.08. | 20:00 Uhr Zeltpalast an der Messe Giessen
03.08. | 19:30 Uhr Amphitheater HANAU
Ausserdem Sturm & Klang Konzerte im Mai 2015 und neue Tournee Ohne Warum ab Herbst 2015!
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Tiefe oder Flachland
Geldverdienen ist keine Schande Ich mag die selbstgefälligen Mienen der Eso-Seller nicht, wenn sie wieder einmal mit einem Engelsspray für unerwarteten Geldsegen gute Umsätze erzeugt haben. Mit einem Produkt, an das sie selbst nicht glauben, das aber trickreich ausgedacht ist, um die Sehnsüchte der Suchenden zu berühren und so deren Erfüllung verheißt. Produkte werden für Marktlücken geschaffen, weil doch Geldverdienen keine Schande ist. Nein, Geldverdienen ist keine Schande. Nadelöhr hin, Kamel her, Reichtum ist mit Spiritualität vereinbar. Aber Heuchelei ist mit Spiritualität nicht vereinbar! Ja, ich weiß, das geschieht überall, wo es Märkte gibt, und ich kann es nicht verhindern. Es geschieht auch im Bereich der spirituellen Produkte, und auch dort kann ich es nicht verhindern. Markt ist Markt, als freigeistiger Menschen sollte man keinen Zaun um das vermeintlich Heilige, zu Schützende machen. Zensur ist mir ein Gräuel, und ich will auch selbst kein Zensor sein. Die bunte Vielfalt der Märkte ist erfreulich – meistens. Aber es ärgert mich, dass viel zu oft der
Glitzerkram dort die besten Umsätze erzeugt. Dass Glasperlen zu Bestsellern werden, und man die Diamanten in all dem Blendwerk übersieht.
Geschäfte mit dem Heiligen Eine Schändung des Heiligen gibt es für mich nicht. Ich bin ein Anarchist des Spirituellen, und doch habe ich ein Gewissen und Gefühle. Es widert mich auch heute noch an, nach dreißig Jahren »im Geschäft«, die mich längst zu einem abgebrühten Händler hätten machen müssen, wie da so oft und heute sogar immer mehr seichte Phrasen als Wahrheit vermarktet werden und gefällig präsentierte Kopien wirklicher Tiefe die Massen verzücken und eine Zeitlang mit der Gewissheit erfüllen, dass es das ist, was die Weisen meinten. Nein, das ist es nicht, möchte ich aufschreien, ihr irrt euch! Ihr müsst es selbst entdecken! Auch wenn das Gesuchte heute nicht erst nach strapaziösen Reisen durch Wüsten und auf Berggipfeln zu erringen, sondern billig zu haben ist und uns aus den Kaufhäusern und von den Kiosken her entgegenschreit.Täuscht euch nicht, bitte lasst euch nicht täuschen, das ist es noch nicht!
fluteten Welt erkennst du sie nicht. Sie zu erkennen braucht ein feines Unterscheidungsvermögen und mehr Einsatz als nur eine Kauflaune. Die Wahrheit zu erkennen fordert den ganzen Menschen. Sie packt uns und verbaut uns alle Ausreden und Ausflüchte, nun müssen wir echt werden. Sie wäscht uns und macht uns dabei nass. Sie ist das Leben selbst, wie es uns vorfindet, beschenkt und durch Höhen und Tiefen schleudert – und glücklich sein lässt, unendlich glücklich. Es braucht nichts dazu, wirklich nichts. Das Gesuchte lässt sich nicht in Worten sagen und nicht einmal in Tönen, mit Musik. Aber man kann es finden! Wenn wir nur aufhörten, an unserer Suche zu kleben, und so – ohne die Last der ewig vor uns hingehaltenen Karotten falscher Verheißungen – ganz leicht würden, dann wüssten wir kaum mehr, wohin mit all dem Glück. Das vorliegende Heft befasst sich mit den Verheißungen. Wenn dabei etwas übrig bleibt, wirf auch das weg. Und auch das. Alles. Dann, ja, dann ... das ist es!
Die Wahrheit Die Wahrheit ist einfach, sehr einfach, aber sie ist nicht billig zu haben. Sie ist ohne Geld zu haben, aber nicht billig. Wenn du sie in den Schoß gelegt bekommst, und es ist nicht der rechte Moment dafür, erkennst du sie nicht und wirfst sie fort. Heute wird sie dir sogar nicht nur in den Schoß gelegt, sondern nachgeworfen, aber in all dem Müll unserer von Informationen über-
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FOTO: ANIELA ADAMS
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ieses Heft ist ein Manifest des Widerstands gegen die Spiritualität der Belanglosigkeit unserer Zeit, gegen den Missbrauch der Worte und einer vor nichts haltmachenden Kommerzialisierung, die sich allerorten mehr oder weniger subtil einschleicht in das Heilige, Schöne, Wahre und ernst Gemeinte. Sicher, der tiefsten Wahrheit kann nichts etwas anhaben, aber es tut weh, sie verfälscht, missbraucht und so letztlich auch verachtet zu sehen.
Editorial
Es gibt noch mehr als nur ›Spirituality light‹
Wolf Schneider, schneider@connection.de
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Loslassen, Entrßmpeln und Abnehmen Halten Sie vÜllig mßhelos Ihr Gewicht oder verlieren Sie ßberflßssige Pfunde! Jeder Mensch hat EFO ,ÚSQFS EFS TFJ OFN 8FTFO VOE TFJ OFO %FOLXFJTFO FOU TQSJDIU #PEZ 'FOH 4IVJ CFGBTTU TJDI NJU EFO FOFSHFUJTDIFO ;VTBNNFOIÊOHFO [XJ TDIFO ,ÚSQFS (FJTU VOE 6NGFME %BCFJ TQJFMU EJF /BISVOH FJOF HSP•F 3PMMF %JF JO EJFTFN #VDI FNQGPIMFOF CBTJTDI WFHBOF &SOÊI SVOHTMJOJF CFTUFIU BVTTDIMJF•MJDI BVT OBUVSCF MBTTFOFO Qø BO[MJDIFO 1SPEVLUFO Irmgard Brottrager zeigt ihnen wie dies geht! 4 LBSU Bd. 1: 220 S., m.Abb., kart. Bd. 2:
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MĂ„RZ-APRIL 3-4/2015
Popspiritualität Was den Pionieren noch heilig war, ist nun zum Kommerz geworden, denn Der Markt hat sich des Themas angenommen. KÜnnen wir damit leben? Wollen wir es? Wohin flßchten wir uns nun – oder, anders gedacht, was liegt darin Gutes, dass alles käuflich ist, auch Zeit, Kunst, Wertschätzung, Liebe und Wahrheit?
S. 14 – 39
Was kommt nach dem Sterben?
70 Jahre nach Auschwitz
ZwÜlf Verstorbene berichten ßber ihre Heimkehr in die jenseitige Welt. Diese Berichte sind auf ungewÜhnliche, aber doch erklärbare Weise zustande gekommen. Ein eindrßckliches Dokument und Zeugnis.
Noch immer gibt es Zeitzeugen, auch 70 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz, aber es sind nur noch wenige. Christa Spannbauer und Thomas Gonschior haben mit vieren von ihnen gesprochen und ein Buch und einen Film darĂźber gemacht.
Was uns erwartet Beatrice Brunner 297 Seiten, â‚Ź 9,50 ABZ Verlag ZĂźrich ISBN 978-3-85516-010-5
Und sie sägten an den Ă„sten, auf denen sie saĂ&#x;en, und schrien sich zu ihre Erfahrungen, wie man besser sägen kĂśnne. Und fuhren mit Krachen in die Tiefe, und die ihnen zusahen beim Sägen, schĂźttelten die KĂśpfe und sägten kräftig weiter.
S. 48 – 53
Bhutans Sonderweg Ein kleines Land im Himalaya hat das ÂťGlĂźcksproduktÂŤ in die Welt gesetzt, als Alternative zum Missbrauch des Bruttosozialproduktes als umfassendem Gradmesser von Wohlstand. Auch die Menschen in Bhutan kĂśnnen sich der Weltwirtschaft nicht entziehen, aber sie gehen einen eigenen Weg
Bertolt Brecht
S. 54 – 61
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Tao Chi über die Bedeutung der Dinge
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Wie es ist – Nachrichten von heute
10 Wie es sein könnte – Nachrichten aus einer Welt von morgen 12 Visuelle Poesie von Christina von Puttkamer
S. 18
Schwerpunkt: Popspiritualität 14 Der Wasserverkäufer am Fluss – Wolf Schneider rätselt immer noch, warum kaum einer von allein hingeht zum Trinken 18 Spiritualität und Kapitalismus können koexistieren, meint Eli Jaxon Bear 21 Heiliger Blöff – Tom de Toys besingt seinen Verlust der großen Begriffe 22 Die mystische Rose – Konstantin Wecker über ein Leben ohne Warum 24 Spiritualität und Spirituosen sind einander höllisch ähnlich, verrät uns ein Niemand von der Liga der Leeren
S. 24
26 Gehen wir Spirit shoppen, empfiehlt Johannes Galli als Deppenweg zur Erleuchtung 29 Stirb bevor du stirbst und entledige dich so des falschen Selbst, rät Jed McKenna 30 Der wunde Punkt – Ulrich Nitzschke hat ein Gespräch zwischen Eckhart Tolle und Jed McKenna belauscht 32 Transzendentale Schwadronage nervt auch Matthias Mala. Aber er weiß einen Weg, um die Selbstverneinung zu beenden 37 Alan Watts über den Spießer-Zen und das Verlangen nach Echtem 39 D. T. Suzuki sagt: Zen ist der Mensch 40 Vom Mangel zur Fülle führt uns die indische Göttin Lakshmi, sagt Dagmar Kylar nach einem Seminar mit Chameli Ardagh
S. 30
46 WerWasWo 48 »Die Toten haben uns bevollmächtigt zu sprechen« – Rainer Spallek über Erinnerungskultur 70 Jahre nach Auschwitz 54 Hoch und heilig liegt Bhutan im Himalaya, und seine Philosophie des Glücks. Geseko von Lüpke hat es besucht 63 »Liebe ist die Antwort« – zum Tod von Veeresh. Ein Nachruf von Wolf Schneider 64 Promotion: Wir sind veränderbar, sagt Sigrid Beckmann-Lamb, und sie weiß einen Weg, wie es geht 66 Promotion: Public Relations für eine bessere Welt – Bobby Langer über die Ansprüche von ecoFAIRpr
S. 40
68 Filme: über das Leben im Kibbuz (Doku, DVD) und Frauen in Äthiopien (Spielfilm, Kino) 72 Bücher über innere Helfer, Advaita, das Enneagramm, Heilung der Erde und anderes 74 Leserbriefe über Tucholskys Löcher, Körpererfahrung und spirituellen Guguus 78 Marktplatz 79 Heidrun Bomke über das Erwachen 80 Veranstaltungskalender und Inserentenverzeichnis 82 Vorschau/Impressum , Zeitschrift für Spiritualität & Politik, Mystik & Widerstand, Ökologie, Lebenskunst und Humor. Erscheint alle zwei Monate mit einem starken Schwerpunkt. Gegründet 1985, ist Connection Spirit die älteste transkonfessionelle spirituelle Zeitschrift auf deutsch. Fachmagazine über Tantra und Schamanismus aus demselben Verlag ergänzen sie.
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POPSPIRITUALITÄT
Der
FLICKR.COM © AFRONIE
Wasserverkäufer am Fluss
Von der Schwierigkeit, das Echte zu vermarkten Die große Schwierigkeit bei der Vermittlung der Essenz unseres Daseins ist, dass diese Essenz jedem ohne Vermittler zugänglich ist und ein Vermittler dabei im typischen Fall sogar mehr stört als nützt. Die meisten Methoden einer vermeintlichen Vermittlung oder Aufklärung über das Wesen unseres Daseins schütten diesen Zugang eher zu als ihn freizulegen. Was tun? Ein ernüchterter Verkäufer des Heiligen spricht hier aus 30 Jahren zumeist gescheiterter Versuche, auf das Selbstverständliche und Offensichtliche hinzuweisen
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VON WOLF SCHNEIDER
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POPSPIRITUALITÄT
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as Dao, über das man sprechen kann, ist nicht das wahre Dao. Diesen ersten Satz aus dem Daodejing (nach der Bibel das meistübersetzte Buch der Welt) werde ich nie vergessen. Dass man diesen ersten Satz aus dem Altchinesischen auch noch ganz anders übersetzen kann, weiß ich, es gibt da eine Fülle von Varianten, die der Essenz des eben Gesagten aber nicht widersprechen. Schon diese Hunderten von Übersetzungen scheinen zu bestätigen, dass man über das Wesentliche nicht sprechen kann. Oder soll ich vielleicht den großen Wittgenstein noch mit dazuholen, der 1921 schrieb: Was sich überhaupt sagen lässt, kann man klar sagen, und wovon man nicht reden kann, darüber muss man schweigen? Nein, ich werde nicht schweigen, sondern euch die Geschichte vom Wasserverkäufer am Fluss erzählen.
Alle haben Durst Jener Wasserverkäufer sah, dass die Menschen Durst hatten. Wo man auch hinschaut, überall sind Durstige – Tanha, Begehren, nannte der Buddha diesen Durst in seiner Muttersprache Pali. Wenn dann einer drauf kommt, dass man zum Fluss gehen kann und trinken, dass das Wasser dort klar ist und gut bekömmlich und den Durst löscht – wunderbar! Ist doch egal, wie er drauf gekommen ist, ob ihm jemand den Tipp gegeben hat, oder er es von allein herausgefunden hat. Das Wasser ist köstlich, es löscht den Durst, und jeder kann hingehen und davon trinken, so viel er will; kein Zaun hindert uns und kein Schild »Privatgrund, Trinken verboten!«. Nun sah dieser Mensch aber, dass kaum einer seiner Mitmenschen, die doch so durstig waren, dort hingingen und tranken. Vielleicht wussten sie gar nicht von diesem Fluss und der Qualität seines Wassers. Und wenn doch, warum gingen sie dann nicht hin? Wussten sie vielleicht nicht, wie man dort hingelangt? Oder fürchteten sie, dass das Wasser vergiftet sein könnte? Vielleicht kamen sie einfach nicht darauf, dass ihr Durst löschbar war, weil sie mit so viel anderem, Alltäglichen beschäftigt waren. Vielleicht dachten sie, das sei eben so; die menschliche Existenz, la condition humaine, sei so, dass man durstig sei und Sehnsucht nach Wasser habe, und dass das eine im Diesseits, in dieser Welt nicht erfüllbare Sehnsucht wäre. Er aber wusste, wie gut es sich anfühlte, von diesem Wasser zu trinken. Es löschte den Durst, und es war genug da für alle. Und es schmerzte ihn, dass kaum jemand davon trank.
te, wenn man davon getrunken hatte. Die Menschen hörten ihm fasziniert zu. So schön hatten sie nur selten jemand vom Wasser sprechen hören. Besonders dann, wenn er immer wieder sagte, dass jeder selbst zum Wasser gehen könne, zum Trinken, dass sie ihn dazu gar nicht bräuchten und es nichts koste, lobten sie ihn und seine Bescheidenheit. So ein großer Redner! Und er predigte so ganz ohne Arroganz, das gefiel ihnen. Er sprach zu ihnen auf Augenhöhe, hatte nichts zu verkaufen und fühlte sich dabei auch nicht als was Besseres, deshalb versammelten sie sich um ihn in immer größeren Mengen, lauschten seiner Rede und empfahlen ihn weiter. Immer mehr kamen, und sie fragten nach den Terminen, wann er denn wieder sprechen würde, damit sie ihre Freunde und die anderen Durstigen mitbringen könnten. Aber keiner von ihnen ging zum Fluss, um zu trinken.
Zeig es ihnen! Diesen großartigen Redner, wir könnten ihn Adam nennen, auch wenn sie vielleicht eine Frau war, das soll jetzt keine Rolle spielen. Vielleicht war es ja Lilith, die erste Frau, oder Inanna, die große Göttin. Sie hatte erst noch so gerne von dem Wasser gesprochen, wurde nun aber allmählich immer unwilliger, diese Reden fortzusetzen. Sollte sie selbst hingehen und trinken, um es ihnen zu zeigen?
nen stand »köstliches Wasser«. Das müsste genügen, um die Menschen zu überzeugen, dachte er. Hundert dieser Flaschen stellte er bei seiner nächsten Rede auf, aber trotz seiner großen Beredtheit griffen nur vier der Zuhörer zu den Flaschen. Sie nahmen sie mit nach Hause und tranken in kleinen Schlucken davon, so kostbar war dieses Wasser für sie; es sollte ja noch lange reichen, wer weiß, wann sie wieder welches bekämen. Vier von hundert? Adam war enttäuscht.
Der Verkauf gelingt Als nächstes probierte er es mit einem noch ausgefeilteren Trick. Wieder besorgte er sich Etiketten, auf denen aber stand diesmal »Wasser zum Sonderpreis von 1 €! Nur heute, und nur für die Kunden des besten Wasserverkäufers der Welt!« Kaum hatte er den Tisch aufgebaut und die Hörer seiner Rede sich versammelt, standen sie Schlange vor seinem Tisch und wollten das Wasser kaufen. Noch ehe er mit seiner Rede geendet hatte, waren alle Flaschen verkauft. Das setzte sich so bei den weiteren Veranstaltungen fort, so dass er nun kaum mehr dazu kam, seine Rede zu halten, denn nun brauchte er eine Kasse und Wechselgeld, und die Leute wollten wissen, wann der Stand wieder offen sei, wann es Nachschub gäbe, und ob sie bei Abnahme von fünf oder zehn Flaschen einen Rabatt bekämen. Das Geschäft war eröffnet, und es lief gut. Immerhin tranken die Leute
So ein großer Redner! Und er predigte so ganz ohne Arroganz, das gefiel ihnen
Reden genügt nicht, du musst es ihnen zeigen, hatten so viele Coaches ihr immer wieder gesagt. Also versuchte sie das nun. Als sie sich aber zum Wasser hinunterbeugte, um ihnen das Trinken zu zeigen, sorgten sich die Menschen um ihren Nacken, der sich dabei verspannen könnte, denn viele von ihnen waren in den Körpertherapien bewan dert. Außerdem könnte sie hineinfallen, fürchteten sie, deshalb riefen sie vorsorglich die Ambulanz; und die, denen das zu schulmedizinisch war, riefen jemand von Artabana herbei. Keiner wollte es ihr nachmachen. Es selbst zu tun erschien ihnen dann doch zu gefährlich.
Die Partitionierung
nun Wasser, doch Adam war enttäuscht. Wegen des Geschäftes hatte er nun nicht mehr so viel Zeit, das Wasser zu loben, kaum dass er selbst zum Trinken kam, und an einem Ort tief in seiner Brust fühlte er sich mit seiner Idee verraten. Die wenige Zeit, die ihm noch neben dem Wassergeschäft blieb, saß er zuhause mit Lilith und träumte von einer Welt, in der jeder von allein zum Fluss gehen und Wasser trinken würde. Von einer Welt, in der nicht nur dieses ganze Wassergeschäft überflüssig wäre, sondern sogar alle Lobesreden über das Wasser, weil einfach jeder Durstige das Rauschen des Flusses hörte und dann von selbst hinginge, um auszuprobieren, ob es trinkbar ist.
Die frohe Botschaft Deshalb sprach er immer öfter davon, mit einfachen, klaren Worten. Er lobte das Wasser, er beschrieb, wie es seine Kehle hinunterrann, und wie gut man sich danach fühl-
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Daraufhin besorgte Adam sich Flaschen, die er mit diesem köstlichen Wasser befüllen konnte. Ein paar hundert davon, das müsste reichen. Jede konnte einen Liter Wasser fassen. Und er besorgte sich Etiketten, auf de-
Das spirituelle Geschäft Wer auch immer sich mit Tiefenspiritualität befasst hat – manche nennen es »Mystik« –, weiß, wovon ich hier spreche. Ich bin ja nicht
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bei dieser doch recht anspruchsvollen Geschäftemacherei selber das Trinken – und sogar das Wesentliche: dass nach wie vor jeder allein zum Fluss gehen kann und dort seinen Durst stillen.
Der Preis Wie soll man ein Magazin vermarkten, das von der Köstlichkeit des Wassers spricht und davon, dass es für jeden frei verfügbar ist? Würde ich diese Zeitschrift verschenken,
dort stehen inmitten der Anzeigen oft gute Texte über die Köstlichkeit des Wassers, aber sie werden ein bisschen weniger ernst genommen, weil es doch »nur Anzeigenblätter« sind, die spirituelle Angebote vermarkten. Ist 9 € teuer genug für eine Zeitschrift, die im Wesentlichen nur von der Köstlichkeit und Erreichbarkeit des Wassers spricht? Ich werde nach diesem Heft von Connection Spirit nur noch für zwei weitere Ausgaben der verantwortliche Verleger sein. Das ist
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der Wasserverkäufer, und ihr seid die Durstigen, so einfach ist es nicht. Wir alle sind durstig, und wir alle können zum Fluss gehen und Wasser trinken. Und diejenigen unter uns, die sich ein bisschen eingehender mit dem Durst und dem Wasser beschäftigen, kommen früher oder später darauf, dass es nicht so leicht ist, vom Wasser zu sprechen und von seiner Trinkbarkeit, geschweige denn andere dazu zu bringen, selbst davon zu trinken. Dann entsteht das spirituelle Geschäft. Wer etwas gegen Geschäftemache-
Dieser Shiva, dort, was kostet der? – Last price!
rei mit dem für alle zugänglichen Wasser hat, schweigt daraufhin – und leidet, weil nur so wenige zum Trinken an den Fluss gehen. Die anderen mühen sich damit ab, die Flaschen
hätte ich zwei Probleme. Das eine: Wer bezahlt die Herstellungskosten und darunter auch die Lebenshaltung der Menschen, die es erstellen? Das zweite: Die Zeitschrift wür-
Ich bin Fundamenlist nur in einer Hinsicht: was den Humor betrifft
meine letzte Chance, den Preis noch einmal zu erhöhen. Sind 12 € genug, um die Botschaft rüberzubringen, dass jeder selbst zum Fluss gehen kann, um Wasser zu trinken? Dass es niemand anders dazu braucht, kein Buch, keinen Guru, kein Seminar und keine Zeitschrift? Oder besser 15 €? Oder, noch besser, 19,99 €, der Preis für ein gutes Hardcoverbuch? Oder ist das alles noch viel zu wenig? Das Leben ist unbezahlbar, und ein ganzes Leben lang durstig zu bleiben, das ist nicht mit Gold aufzuwiegen.
Alles ist erlaubt zu befüllen und zeitgemäße, attraktive Etiketten zu entwerfen, damit das Wasser auch gekauft wird. Manche von ihnen vergessen
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de nicht beachtet. Die weitaus meisten spirituellen Zeitschriften werden verschenkt, sie finanzieren sich über Anzeigen. Auch
Jesus hat in Gleichnissen gesprochen. Das Daodejing spricht in vielfältig schillernden
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menlist nur in einer Hinsicht: was den Humor betrifft (und während ich dies sage, fühle ich mich dabei schon lächerlich.) Man muss über alles lästern dürfen: über den Markt und jedwede Anbetung und Vergötterung von Diesseitigem und Jenseitigem. Man muss es nicht tun, oft kreiert man damit doch nur unnötige Konflikte, weil man Menschen in ihrem Heimatgefühl verletzt,
Heuchelei schadet dem, der heuchelt, letztlich mehr als seinen Opfern, die ihm auf den Leim gehen
käufer der Ersatzmittel diese anbieten und verkaufen dürfen. Schaut euch die Wirtschaftsstatistiken an: Ich glaube sogar, dass die Flaschen sich noch besser verkaufen, wenn sie nicht »köstliches Wasser« enthalten, sondern Zuckerwasser, mit Etiketten wie Coca-Cola (»It’s the real thing«, s. S. 20).
Blasphemie Mein eigener Groll gegen das Unechte und dessen Erfolge auf dem Markt lässt mich nun auch verstehen, warum es im alten Testament heißt »Du sollst den Namen des Herrn, deines Gottes, nicht unnütz führen« oder du dürftest diesen Namen nicht einmal nennen, oder er hieße nur »Ich bin, der ich bin«. Und warum es religiöse Richtungen gibt, die trotz all der doch angeblich von Gott selbst geschaffenen Fülle und Schönheit der Dinge der Welt sich gegen Idolatrie wenden, gegen Bilderverehrung. Für sie lässt sich Gott, das Ganze, das Tao, die Wahrheit hinter den Dingen nicht durch einen Gegenstand darstellen – ebensowenig übrigens durch ein Wort, meine ich, und das meint auch das Daodejing, so dass es dementsprechend auch kein Gotteswort geben kann. Dieses Bedürfnis nach dem Schutz des Kostbaren, Ganzen, Unsagbaren, Heiligen steht hinter den diversen »Blasphemie«-Gesetzen, diesen schrecklichen Verboten einer Got teslästerung, von denen manche sogar die Tötung der Delinquenten verlangen – was meist Menschen waren, die dem Tao, Gott, der Wahrheit näher waren als ihre Richter, weil sie von allein, ohne Anleitung und ohne priesterlichen Segen zum Fluss gegangen waren und dort Wasser getrunken hatten.
Heiliger Geist Nein, kein Verbot von Unsinn, Irrtum und Lästerung sollte es geben, alles muss erlaubt sein, alles außer Gewalt. Ich bin Funda-
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aber es muss grundsätzlich erlaubt sein. Geist verlangt diese Freiheit, um sich bewegen und entwickeln zu können, auch der Heilige Geist, gerade der. Denn Geist ist die Freiheit, jeden Standpunkt einnehmen zu können, und die Radikalität in der Ausübung dieser Freiheit sollte uns heilig sein, weil sie alles transzendiert. Mit dem »Heiligen Geist« kann kein Gespenst aus einer anderen Welt gemeint sein, das wäre dann doch nur wieder ein mythischer Vogel zum Abschießen, will sagen: fürs weitere Transzendieren. Wenn man schon aus »Geist« noch etwas Heiliges herausholen und extra stellen will, dann die Radikalität und Grenzenlosigkeit in der Anwendung dieser Freiheit.
Heiliger Zorn Ich werde deshalb weiterhin ab und zu gegen das Begaffen von Fetischen und Erleuchtungswegen ablästern, woraufhin mir dann sicherlich wieder bescheinigt wird, »ein Ding damit« zu haben; meist wird mir netterweise auch noch irgendeine Therapie empfohlen, damit ich das »loslassen« und entspannen könne. Möge jeder selbst entscheiden, ob mein Zorn ein heiliger ist, wie man ihn dem mythisch-historischen Jesus andichtet, der die Händler aus dem Tempel vertrieben haben soll, oder ein zu bedauernder und zu therapierender. Ich habe auch nicht grundsätzlich etwas gegen Pseudogurus, Rattenfänger und Scharlatane. (Die letzteren sind mir sogar besonders nah ans Herz gewachsen, habe ich doch für sie neulich eine »Mysterienschule der Scharlatane« gegründet.) Sie bereichern die Szene, sie sind ein Zeichen von Vielfalt, sie bringen bunte Farben in eine Gesellschaft, die sonst vielleicht nur aus Gut- und Schlecht menschen bestünde. Heuchelei schadet dem, der heuchelt, letztlich mehr als seinen Opfern, die ihm auf den Leim gehen. Geschäftemacherei ist nicht grundsätzlich schlecht; das Funktionieren der Wirtschaft ist nach wie vor die wichtigste Vor-
aussetzung für unser materielles Wohlbefinden, und Märkte können so viel Gutes leisten, sie bieten Wettbewerb, Vergleichsmöglichkeiten, Alternativen. Schon immer bin ich gerne auf arabische Suqs und türkische, persische, indische Bazare gegangen, allein schon die Vielfalt der dortigen Düfte und Farben lohnt; und auch Ebay ist gelinde gesagt erstaunlich. Wenn wir bei all der Angebotshascherei aber vergessen, dass wir Luft atmen können und das auch dürfen, ohne Genehmigung und ohne Gebrauchsanleitung; dass Wasser trinkbar und zumindest in Bergbächen noch sauber ist und dort auch nichts kostet; wenn wir vergessen, dass wir Sonnenuntergänge am Meer – noch – ohne Eintritt zu bezahlen ansehen dürfen, und dass wir lieben dürfen – und das vielleicht sogar auch können – ohne Schulabschluss, dann ist etwas faul an unserer Religiosität und Lebensphilosophie. Dafür möchte ich werben – ich als durchaus ermüdlicher Wasserverkäufer am Lebensfluss und Prediger des Selbstverständlichen.
Der Finger und der Mond »Lesen ist leben« ist der Slogan des Herder-Verlages, der seit vielen Jahren unzählige spirituelle Bücher herausgibt und die geistige Heimat von Anselm Grün ist und von vielen weiteren großen Autoren. Jedes Jahr wieder komme ich auf der Frankfurter Buchmesse am Eingang zur Halle 3.1 am Herder-Stand vorbei und wundere mich. Wie kann das der Slogan eines spirituellen Verlages sein? Starre nicht den Finger an, der auf den Mond zeigt, heißt es im Zen. Nicht für die Schule lernen wir, sondern fürs Leben, ist ein Grundsatz der Bildung. Wenn schon das Lesen übers Leben für Lebendigkeit gehalten wird, dann sind wir doch noch in Platons Reich der Schatten an der Höhlenwand. Nein, das Lesen ist nur eine kleine, sehr besondere Variante des Lebens, eine Variante, die zu Wissen führen kann – wenn denn die Texte gut sind und wahrhaftig. Das Lesen, Schreiben oder Nachdenken über das Leben sollte aber nicht mit dem Leben verwechselt werden, der Finger nicht mit dem Mond. Und eine schöne Rede über das Wasser im Fluss sollte nicht mit dem Genuss des Wassers selbst verwechselt werden. Nur das Trinken löscht den Durst, nicht das Zuhören. Also, vergesst bitte diesen Text, geht trinken!
[
Begriffen. Manche schweigen: Meher Baba, die Vipassana-Lehrer, viele Zenmeister. Ach, Wittgenstein, du hattest wohl doch recht. Aber darf man dann nicht wenigstens gegen diejenigen wettern, die falsche Botschaften verbreiten, die nur Ersatz anbieten statt des Echten? Die uns damit zustopfen und glauben machen, wir hätten und wüss ten es schon? Ja, man darf wettern, ebenso wie Ver-
WOLF SCHNEIDER, Jg. 1952. Autor, Redakteur, Kursleiter. Studium der Naturwissenschaften und Philosophie (1971–75) in München. 1975–77 in Asien. 1985 Gründung der Zeitschrift Connection. Seit 2007 Theaterspiel & Kabarett. Kontakt: schneider@connection.de
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Die
mystische Rose Ohne ein Warum zu leben ist näher am Wesentlichen als ein bloßes Funktionieren Begriffe altern und werden missbraucht. So ist es dem Begriff »Esoterik« ergangen, und dann dem Begriff »Spiritualität«, und davon wird wohl auch der Begriff »Mystik« nicht verschont bleiben. Dagegen können wir uns nicht wehren. Manches aber überdauert wie durch ein Wunder. Als sei sie von heiliger Hand gehalten und geschützt hat Angelus Silesius’ Sentenz »Die Ros ist ohn Warum, sie blühet, weil sie blühet. Sie acht’t nicht ihrer selbst, fragt nicht, ob man sie siehet« die Zeiten überdauert und berührt uns noch heute WOLF SCHNEIDER IM GESPRÄCH MIT KONSTANTIN WECKER
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POPSPIRITUALITÄT
POPSPIRITUALITÄT
dass das dann doch wie nebenbei verpufft, entfernt aus der Kartei, ein Leben wie ein Paukenschlag vergehen muss an einem Tag und in der letzten Stunde dann nichts dir die Zeit anhalten kann – auch keiner hat Gevatter Tod jemals wohl mit Erfolg gedroht Und doch, wenn ich so Bilder seh aus schöner Zeit, dann tut es weh dass sich nichts rüber nehmen lässt in diese Welt des Hier und Jetzt, dass die oft herrlich warme Zeit verlorener Vergangenheit nicht mehr präsent ist wie zuvor. Da steh ich nun, ich armer Tor und würd mich gern an Weisheitslehren berauschen oder gar verzehren ich hab so gern gelebt und nun macht es mir Angst mich auszuruhen. Dass alles Schöne endlich ist und oft nur das, was schändlich ist
allo, Konstantin, mir scheint, dass heute jeder irgendwie ein bisschen spirituell sein will. Es ist chic geworden, es liegt im Trend, aber die meisten würden kein bisschen von ihrer bisherigen Lebensweise, ja oft nicht mal Denkweise dafür opfern. Wobei das ja kein Opfer sein muss im Sinne von Verzicht, es ist ein Gewinn! Aber ich wünsche mir dabei mehr Tiefe, mehr Echtheit. Deshalb habe ich oft das Gefühl, lieber Nein sagen zu wollen, wenn mich jemand fragt »Bist du spirituell?«. Immer öfter habe ich dabei das Gefühl, nicht in guter Gesellschaft zu sein. Der Begriff scheint mir ausgehöhlt, leer, fast bedeutungslos. Wie geht es dir damit? Ich habe mir seit einiger Zeit abgewöhnt von Spiritualität zu sprechen. Aus eben diesen Gründen, die du aufgeführt hast. Und für mich wird der Begriff Mystik immer wichtiger. Lieber bezeichne ich mich als Myste, als Suchenden, der versucht das Ewige zu erspüren, ohne Vermittlung von Priestern und Meistern. Das zu erspüren, vielleicht sogar zu be-greifen, wenn auch nur kurz und stets außerhalb der Zeit, im Nu, im Jetzt, im Immerwährenden. Wohl wissend, dass es immer wieder Abstürze gibt, ein Versinken in die »dunkle Nacht« des Johannes vom Kreuz, und eben auch die Abstürze in die Verführbarkeit des Sinnlichen, der Ablenkungen aller Art, Zeiten des Unangebundenseins, Zeiten verlockender Gottlosigkeit.
H
www.connection.de · März-April 3-4/2015
dir mahnend im Gedächtnis bleibt stets wiederkehrt und Unfug treibt Und dass das Glück so flüchtig ist doch das, wonach man süchtig ist und an das Schreckliche gemahnt im Rad des Werdens fest verzahnt. Es gibt Geläuterte, die meinen man würd sich dann mit sich vereinen und selig in den Himmel schweben jedoch verzeiht mir – ich will leben zum Leben ward ich doch geboren dem Leben hab ich mich verschworen und ach, des Todes Possenspiel scheint mir noch nicht das rechte Ziel! Ich ahn’s, jetzt wär es an der Zeit für Wunsch- und Körperlosigkeit Erleuchtung ist jetzt das Gebot sie hebt dich fort aus deiner Not und ja, ich hab es auch studiert mit Inbrunst selbstlos meditiert und fühl mich manchmal auch ganz klug doch kenn ich auch den Selbstbetrug Drum nehmt zum Schluss die Botschaft hin ich scheine weiser als ich bin. Erleuchtung ist mir noch so fern: ich lebe einfach schrecklich gern!
Ich glaube, in nebenstehendem Gedicht über die Vergänglichkeit, das ich gerade als Lied im Studio aufnehme, habe ich diese Zerrissenheit besser als mit ach so klugen Worten beschreiben können. Auch ich verwende den Begriff Spiritualität kaum mehr, es sei denn zur Beschreibung der Denkweise und Bilderwelt einer Zielgruppe, die gewissen Gewohnheiten und Klischees verhaftet ist, die sie für transzendent hält, wie das die Religionen ja auch schon immer tun. Mystik ist gewiss der bessere Begriff für das, was du und ich suchen und zu praktizieren versuchen. Noch ist er das! Denn wenn der Begriff »Mystik« einmal beginnt, größere Kreise anzusprechen, wird auch das für Vermarkter eine lohnende Zielgruppe sein. Dann werden sie die Accessoires der mystischen Lebensweise zu verkaufen suchen. Der Workshop, der durch »die dunkle Nacht der Seele« führt, wird dann bei sehr großer Dunkelheit auch ziemlich teuer sein. Wie sollen wir damit umgehen, dass alles, wirklich alles, was sich sagen oder zeigen lässt, vermarktbar ist? Wie gehst du damit um? Ich überlege nicht, ob das, was ich sage oder die Lieder, dich ich singe, irgendwann von irgendwem missbraucht werden könnten. Klar können sie das! Sie können missverstanden werden, und sie werden missverstanden. Sie können missbraucht werden, und natürlich gibt es schon heute Menschen, die das, was ich sage, verdrehen, um damit ihre eigenen Zwecke
zu verfolgen. Das können wir nicht verhindern. Ich aber sage heute mit Angelus Silesius »Die Ros ist ohn Warum, sie blühet, weil sie blühet. Sie acht’t nicht ihrer selbst, fragt nicht, ob man sie siehet« und glaube, dass man das auch heute noch verstehen kann, obwohl Silesius das im 17. Jahrhundert formuliert hat. »Ich singe, weil ich ein Lied hab’«, so hab’ ich das schon vor 40 Jahren gesagt und gesungen. Heute sind Mystik und die Suche nach dem Ewigen für mich noch viel bedeutsamer geworden. Und dieses »Leben ohne Warum«, das ja auch schon ein Kerngedanke bei Meister Eckhart war – so zu leben, so ohne Berechnung, vielleicht auch ohne Sinn, wie eine Rose die einfach blüht und sich dabei nicht fragt, ob sie das darf und ob das irgendeinen Sinn ergibt. Ob jemand sich spirituell nennt oder nicht, ist mir fast egal. Es wird ja so viel dahergeredet, weil man weiser, erleuchteter oder frommer scheinen möchte als man ist. Ich lebe einfach schrecklich gerne, so wie ich es in diesem Lied formuliert habe. Manchmal habe ich Angst vor dem Tod, dann flehe ich darum, dass dieses schöne Leben nicht enden möge; und dann wieder erscheint es mir als richtig, passend und natürlich, dass ich auch davon werde Abschied nehmen müssen. Und bei all meiner Neigung zur Mystik und Hinwendung zum Ewigen werde ich nicht aufhören, Widerstand zu leisten gegen eine Gesellschaft, die so sehr auf Leistung und Gewinn ausgerichtet ist, dass der Mensch dabei kaum mehr zählt und nur noch funktionieren muss. Empathie und Mitmenschlichkeit gehen dabei vor die Hunde. Mir geht es inmitten all des Wahnsinns unserer heutigen, von Leistung, Gier und Wettbewerb bestimmten Gesellschaft um die Rückbesinnng auf das Wesentliche, und die ist für mich – zur Zeit jedenfalls noch – in dem Begriff »Mystik« besser eingefangen und aufgehoben als in dem Begriff »Spiritualität«.
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Dass alles so vergänglich ist auch wenn es überschwänglich ist und scheinbar für die Ewigkeit gemacht und gilt für alle Zeit
Konstantin Weckers neue CD »Ohne Warum«, an der er jetzt gerade arbeitet, wird im Juli erscheinen. Zusammen mit Margot Käßmann gibt Konstantin Wecker ein neues Buch heraus: Entrüstet euch – Warum Pazifismus für uns das Gebot der Stunde bleibt; es erscheint am 23. März im Gütersloher Verlagshaus. Konstantins Webseite (redigiert von Roland Rottenfußer) findet ihr unter: www.hinter-den-schlagzeilen.de.
KONSTANTIN WECKER, geb. 1947 in München, ist verheiratet und Vater zweier Söhne. Er komponiert und singt seine selbst getexteten Lieder über Liebe, den Menschen und die Welt und ist dabei ein scharfer Gesellschaftskritiker und unerschütterlicher Pazifist. www.wecker.de
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