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Wir brauchen mehr Platz

Herr Homoki, Sie haben ein Projekt mit dem Namen «Zukunft Oper» gestartet. Was verbirgt sich dahinter? Das Opernhaus platzt aus allen Nähten. Unser Erweiterungsbau, besser bekannt unter dem Namen «Fleischkäse», muss in der ersten Hälfte der 2030-er Jahre saniert werden. Eine Studie, die wir bei Theaterfachplanern in Auftrag gegeben haben, hat ergeben, dass unser Platzbedarf um sechzig Prozent höher ist als der Status quo. Die meisten Beschäftigten des Opernhauses arbeiten jenseits des Vorstellungsbetriebs im Fleischkäse, und viele Arbeitsplätze entsprechen nicht mehr den gesetzlichen Grundlagen zur Arbeitssicherheit. Menschen arbeiten zu zweit oder zu dritt in Büros, die eigentlich nur für einen ausgelegt sind. Auch die Räume der Kostümabteilung sind unzumutbar beengt. Im dritten Untergeschoss hat das Ballett seine Probensäle, unsere Tänzerinnen und Tänzer sehen also von morgens bis abends keinen Himmel, es fehlen die vorgeschriebenen Aufenthaltsräume mit Tageslicht. Besonders sichtbar sind unsere Platzprobleme in der Falkenstrasse, wo die Dekorationen auf dem Trottoir und teilweise auch auf der Fahrbahn stehen, weil es keine angemessene Be- und Entladezone gibt. Das ist ein absolutes Unding: Unsere empfindlichen und teuer gebauten Bühnenbilder stehen bei jedem Wetter und allen Temperaturen unter Kunststoffplanen auf der Strasse. Die notwendige energetische Sanierung des Fleischkäses stellt uns vor weitere Probleme: Neuere Gebäudetechnik, beispielsweise für Rauch- und Wärmeabzug, braucht wesentlich mehr Platz als die alten Anlagen. Eine Sanierung ohne räumliche Veränderungen würde deshalb unsere akute Raumnot noch weiter verschärfen. Um Raum zu schaffen, sieht unser Projekt deshalb eine betriebliche Neuorganisation und eine bauliche Entwicklung für den Fleischkäse vor, nicht nur die Sanierung.

Heisst das, das Opernhaus müsste wegen veralteter Gebäudeteile eigentlich schliessen?

Wir agieren in vielen Bereichen auf der Basis von sogenannten Bestandsgenehmigungen. Das bedeutet, dass diese Bereiche früher so genehmigt wurden, aber heute nicht mehr den gesetzlichen Vorgaben entsprechen. Solange keine bauliche Veränderung stattfindet, wird die Situation als Bestandsgenehmigung geduldet. Im Rahmen einer Sanierung müssen jedoch zwingend alle aktuellen Richtlinien umgesetzt werden.

Kann die Lösung der Probleme im Fleischkäse warten, bis es diese grosse «bauliche Entwicklung» gibt? Das können wir gegenüber unseren Mitarbeitenden nicht vertreten. Deshalb wird im Sommer 2024 auf dem Dach des Fleischkäses ein Überbrückungsbau entstehen. Das ist ein eingeschossiger Holzbau, in dem etwa Büros untergebracht werden und Räume für Anproben, die heute teilweise auf den Fluren stattfinden, und sanitäre Anlagen für unsere Mitarbeiterinnen auf der Bühne. Frauen in technischen Berufen gab es beim Bau des Fleischkäses in den achtziger Jahren noch nicht, deshalb müssen diese Räume nun geschaffen werden. Der hölzerne Überbrückungsbau ist eine Notmassnahme, um die akuten Verstösse gegen das Arbeitsgesetz aufzuheben, aber keine dauerhafte Lösung.

Wieso ist der Fleischkäse so beengt, so alt ist er doch noch gar nicht? Er war schon bei seiner Einweihung 1984 zu klein. Relativ spät im Planungsprozess wurde politisch entschieden, das Bernhard Theater in den Bau zu integrieren, diese Flächen gingen zulasten des Opernhauses. Wir freuen uns, dass es das Bernhard Theater gibt, aber der Missstand ist geblieben, und den müssen wir jetzt beheben. Der Opernbetrieb hat sich weiterentwickelt. Wir haben mehr Mitarbeitende als in den achtziger

Jahren, und mit Dekorationen wie vor vierzig Jahren gewinnt man im 21. Jahrhundert kein Publikum mehr. Damals passte ein Bühnenbild auf acht Transportwagen, heute benötigt man die dreifache Fläche.

Heisst das alles, dass ein Neubau am Sechseläutenplatz entstehen soll? Gemeinsam mit dem Hochbauamt des Kantons Zürich geben wir dazu eine Studie in Auftrag. Sie wird untersuchen, ob wir die benötigten Flächen im bestehenden Gebäude erreichen können. Sind derartig grundlegende Eingriffe in den Betonbau möglich, in dem viele Wände tragend sind? Lässt die Statik eine Aufstockung zu? Wenn nicht, wird ein Neubau unumgänglich sein. Die Studie soll im Herbst vorliegen. Danach können wir auch die Kosten ermitteln.

Jetzt soll ein öffentlicher Dialog zu diesem Thema stattfinden. Was hat es damit auf sich?

Wir laden ganz unterschiedliche Akteursgruppen ein, ihr Wissen und ihre Erfahrungen mit uns zu teilen und Anforderungen an die bevorstehende bauliche Entwicklung zu formulieren. Wir möchten erfahren, welchen Beitrag sie für unsere Gäste, für die Bevölkerung und für die Kulturszene leisten. Wir stehen ja mitten in der Stadt. In Workshops, Interviews und Gruppengesprächen sollen Meinungen gebündelt und Impulse für ein Opernhaus der Zukunft gegeben werden. Wir sprechen auch mit unseren Mitarbeitenden, mit Freundinnen, Aktionären, Abonnentinnen, Stammbesuchern und den Gästen von morgen, unserem Club Jung. Wir laden die Verwaltungen und die Politik von Stadt und Kanton zu Workshops ein und möchten mit der Kulturszene in Austausch treten. Schliesslich wird die Öffentlichkeit am 17. Juni, am Tag von «oper für alle», zu einem «Dialog für alle» eingeladen. Das ist eine wichtige Grundlage für die weitere Planung des Projektes und für das Wettbewerbsprogramm, denn Kulturinstitutionen müssen tief in der Gesellschaft verankert und akzeptiert sein, damit sie eine Zukunft haben. Und das Bauprojekt soll einen Mehrwert bieten für die Menschen in der Stadt und im Kanton. Auch für diejenigen, die keine Opernvorstellungen besuchen.

Was passiert mit dem historischen Opernhaus? Bleibt das, wie es ist?

Ja, alle denkmalgeschützten Bereiche wie der Zuschauerraum, die Foyers, die Fassade bleiben unverändert und werden renoviert. Aber wir möchten eine barrierefreie Zugänglichkeit erreichen, die es heute nicht gibt. Wir brauchen eine neue Bestuhlung, gewisse technische Anlagen müssen erneuert werden. Grundsätzlich ist der Altbau dank guter Pflege und regelmässiger Instandhaltungsarbeiten in sehr gutem Zustand.

Haben Sie ein Zukunftsbild für das Opernhaus der Zukunft?

Es soll ein lebendiger Ort für alle entstehen, der auch tagsüber zugänglich ist und Raum für Begegnungen schafft. Vielleicht gibt es eine öffentliche, begrünte Dachterrasse mit Blick auf den See und die Alpen. Wir planen eine neue Laborbühne, in der wir an innovativen Formaten des Musik- und Tanztheaters arbeiten können, und wir wollen in den neuen Räumen unser Vermittlungsprogramm ausbauen, denn die Nachfrage ist hier immer grösser als das Angebot. Übrigens sind wir bei allen Initiativen in einvernehmlichem Austausch mit meinem Nachfolger Matthias Schulz.

Wie sieht der zeitliche Fahrplan aus? Auf den Dialogprozess folgen Machbarkeitsstudien. Dann wird ein Wettbewerbsprogramm erstellt, und im Herbst 2024 findet ein internationaler Architekturwettbewerb statt. Den Juryentscheid erwarten wir 2025. Wir rechnen mit einem Baubeginn in der ersten Hälfte der 2030er Jahre. In der nächsten Saison machen wir uns daran, eine Ersatzspielstätte für die Bauphase zu finden, denn während der Fleischkäse aus- oder neu gebaut wird, kann im Opernhaus nicht gespielt werden.

Weitere Infos: www.zukunft-oper.ch

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