La finta giardiniera

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LA FINTA GIARDINIERA

WOLFGANG AMADEUS MOZART


DER NEUE AUDI A1

EPIC MODE ON

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LA FINTA GIARDINIERA WOLFGANG AMADEUS MOZART (1756–1791)


Huw Montague Rendall, Jonathan Abernethy, Alina Adamski, Gemma Ni Bhriain, Adriana Gonzalez Spielzeit 2017/18




Huw Montague Rendall, Adriana Gonzalez, Natalia Tanasii, Thobela Ntshanyana, Jonathan Abernethy Spielzeit 2017/18


DIE HANDLUNG Ouvertüre Vor einem Jahr hat Graf Belfiore seine Geliebte, die Gräfin Violante, aus Eifersucht verletzt und ist geflohen. Belfiore glaubt, Violante sei tot.

Erster Akt Don Anchise, der Podestà, gibt ein Fest, auf dem seine Nichte Arminda mit Belfiore verheiratet werden soll. Doch die allgemeine Freude trügt; jeder hat versteckte Wünsche und Sorgen. Don Anchise schwärmt für seine Gärtnerin Sandrina und will sie heiraten. Doch Sandrina weicht ihm aus. Sie beklagt das Schicksal der Frauen, die ständig von der Liebe gequält werden. In einer heimlichen Unterhaltung zwischen Sandrina und Nardo wird klar, dass sie die totgeglaubte Violante ist. In der Hoffnung, ihren ehemaligen Geliebten wiederzufinden, hat sie sich verkleidet und bei Don Anchise anstellen lassen. Nardo ist eigentlich ihr Diener, gibt sich aber als ihr Cousin aus. Auch er wird von seinen Gefühlen gequält: er ist in die Dienerin Serpetta verliebt, die ihm keine Beachtung schenkt. Die verspätete Ankunft des Grafen Belfiore setzt alle in helle Aufregung. Belfiore ist von Armindas Anmut entzückt. Sie macht ihm aber klar, dass sie launisch und stur sei und sehr klare Vorstellungen von einem Geliebten habe. Serpetta regt sich über ihre Arbeit auf und beschwert sich über Nardo, der ihr nachstellt. Nardo versucht, ihr zu gefallen. Doch Serpetta glaubt nicht, dass er der Richtige für sie ist. Sie schwärmt für Don Anchise. Sandrina erfährt, dass Arminda die Braut von Belfiore ist. Sie wird ohnmächtig. Der herbeigerufene Belfiore meint in Sandrina seine ehemalige Geliebte zu erkennen; auch Sandrina erkennt ihn. Gleichzeitig stösst Arminda auf

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ihren früheren Geliebten Ramiro. Don Anchise, der dazukommt, versteht nicht, was vor sich geht. Serpetta und Nardo tragen mit gegensätzlichen Aussagen zur allgemeinen Verwirrung bei.

Zweiter Akt Arminda ignoriert Ramiro, der sich nach ihr zurücksehnt. Sie ist wütend auf Belfiore, der in Gedanken Sandrina nachhängt, und fühlt sich betrogen. Nardo versucht erneut, um Serpetta zu werben. Diese ist von seinen Bemühungen amüsiert. Belfiore trifft wieder auf Sandrina, die ihre wahre Identität weiterhin verschleiert. Don Anchise beobachtet die beiden und ist über Sandrinas Verhalten gekränkt. Arminda glaubt, dass Belfiore seine Gefühlsverwirrungen bereut und die Hochzeit stattfinden kann. In diesem Moment trifft ein Schreiben ein, das Belfiore des Mordes an der Gräfin Violante bezichtigt. Don Anchise entscheidet, dass die Heirat in diesem Fall völlig undenkbar ist. Ramiro schöpft deshalb neue Hoffnung, von Arminda beachtet zu werden; sie weist ihn aber ab. Belfiore soll erklären, was es mit dem Mord auf sich hat. In diesem Moment gibt sich Sandrina als die totgeglaubte Violante zu erkennen. Als Belfiore seine ehemalige Geliebte sicher vor sich wähnt, verstellt sich Sandrina aber gleich wieder: sie habe das nur so gesagt, um ihn vor seiner Bestrafung zu schützen. Belfiore versinkt in eine tiefe Verwirrung der Gefühle und Erinnerungen. Plötzlich ist Sandrina verschwunden. Arminda hat sie, aus Wut über die vereitelten Hochzeitspläne, an einen einsamen Ort entführt. Trotz einbrechender Dunkelheit will man nach ihr suchen. Sandrina erscheint gequält und verwirrt. Auf der Suche nach ihr verlieren und verirren sich alle in der Dunkelheit. Im allgemeinen Durcheinander verlieren Sandrina und Belfiore den Verstand. Das nächtliche Aufeinandertreffen endet in einer Szene heiteren Wahnsinns.

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Dritter Akt Nardo trifft auf Sandrina und Belfiore, die ihren Verstand noch nicht wiedergefunden haben. Die beiden versuchen, ihn in ihr heiteres Spiel hineinzuziehen. Doch Nardo gelingt es zu entkommen. Arminda pocht weiterhin auf die Heirat mit Belfiore. Ramiro will Arminda heiraten. Don Anchise verliert über diese Forderungen die Nerven. Ramiro wird von Arminda erneut abgewiesen und lässt seiner Wut freien Lauf. Nachdem sie zur Vernunft zurückgefunden haben, erkennen sich Sandrina und Belfiore. Erschrocken will Sandrina wieder ihre wahre Identität verstecken. Doch Belfiore hält sie zurück. Die Liebe zwischen den beiden scheint neu zu entstehen. Don Anchise stellt jedem frei zu heiraten, wen er will. Die Macht der Liebe wird gefeiert.

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Huw Montague Rendall, Adriana Gonzalez Spielzeit 2017/18

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Natalia Tanasii Spielzeit 2017/18


Setz dir PerĂźcken auf von Millionen Locken, Setz deinen Fuss auf ellenhohe Socken, Du bleibst doch immer, was du bist. Johann Wolfgang von Goethe: Faust I


HINTER DEM SCHÖNEN SCHEIN Die Regisseurin Tatjana Gürbaca im Gespräch über ihr Inszenierungskonzept

Tatjana Gürbaca, Mozart hat La finta giardiniera im Alter von 18 Jahren als Auftragswerk für den Münchner Fasching geschrieben. Es ist ein Spiel voller Liebeswirren und Verwechslungen, wie man es von Goldoni oder Marivaux und aus vielen Opern des 18. Jahrhunderts kennt. Was begeistert dich besonders an diesem Stück? Mich fasziniert, dass uns Mozarts tiefer Humanismus auch in unserer Zeit noch direkt meint und berührt. Die Thematik von La finta giardiniera ist gar nicht so stark an seine Zeit gebunden, wie man auf den ersten Blick meinen könnte. Im Kern geht es um ein ganz grundlegendes menschliches Thema: nämlich darum, dass wir alle als kleine hilflose Menschenwürmlein auf diese Welt geworfen sind und dabei von zwei Grundkräften bestimmt werden: von der Angst und von der Sehnsucht, geliebt zu werden. Das erzählt dieses Stück, wie ich finde, ganz wunderbar. Alle Protagonisten versuchen Takti­ken zu finden, um zwischen diesen beiden extremen Polen mit dem Leben zu­rechtzukommen – jede der Figuren versucht ihre Wahrheit hinter einem schönen Schein zu verbergen, gibt sich selber ein Image und spiegelt den anderen etwas vor. Das ist ein Vorgang, der in unserer Zeit sicher nicht an Bedeutung verloren hat … Nein, und in Mozarts Oper steckt meiner Meinung nach sehr viel Wahrheit, denn er zeigt uns, wie es hinter der Fassade aussieht und dass dieses ganze Spiel irgendwann an Grenzen stösst. Wenn alles zu viel wird und im Wahnsinn unterzugehen droht, dann sind die Figuren dazu gezwungen,

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ihre Schutzfunktionen abzulegen. Anders gesagt, wenn das Spiel am wil­d­ esten getrieben wird, kommt irgendwann der Punkt, an dem die Figuren ausser sich geraten und mit ihren Träumen Schiffbruch erleiden. Dann kommt der Mensch hinter der Fassade zum Vorschein. Diese Grundthematik um Sein und Schein steckt schon im Titel der Oper. Sandrina, die Hauptfigur, ist eigentlich eine Gräfin. Nachdem sie von ihrem Liebhaber Belfiore in einem Streit vermeintlich getötet wurde, gibt sie sich am Hof des reichen Don Anchise als Gärtnerin aus – und trifft dort ver­steckt auf ihre ehemalige Liebe. Diese Vorgeschichte um die Auseinandersetzung zwischen Sandrina und Belfiore zeigen wir in der Ouvertüre zur Oper als ein verkürztes, traumartiges Bild der Erinnerung. Interessant finde ich aber, dass gerade Sandrina, also die eigentlich verkleidete Figur, am meisten bei sich selbst ist. Sie zeigt ihren Schmerz in den Arien sehr offen und geht unverstellt damit um. Mehr noch als sie werden alle anderen Figuren, die bei Don Anchise zu einer Hochzeitsfeier zusammenkommen, von den eigenen Posen und Attitüden beherrscht. Sie verlieren sich in ihren Träumen, jagen Phantomen hinterher, kämpfen gegen Windmühlen. Sie begegnen mit Hilfe der Verstellung den Verwirrungen der Welt und ihrer eigenen Gefühle. Arminda zum Beispiel, die Nichte von Don Anchise, die verheiratet werden soll, sagt von sich selber: «Wisst Ihr, wer ich bin? … Ich bin eigensinnig, anmassend und launisch!» Dabei steckt hinter ihren vorgeblichen Wut- und Eifersuchtsattacken eigent­lich auch eine sehr verletzliche Frau, die sich nach Anerkennung und Liebe sehnt.

Das komplette Programmbuch können Sie auf www.opernhaus.ch/shop oder am Vorstellungsabend im Foyer des Opernhauses erwerben

Wie bringst du die Vielschichtigkeit dieser Charaktere auf die Bühne? Die Arien-Struktur bei Mozart, die noch aus der Barockzeit kommt, hilft dabei sehr: Wenn der erste Teil der Arie als Reprise wiederkehrt, hat man stets die Möglichkeit, die Akzente zu verschieben, Inhalte zu variieren oder sogar eine 180°-Wende zu vollziehen. Man kann der gleichen Musik einen anderen Tonfall unterlegen, so dass man innerhalb einer Arie zum Beispiel von Wut zu Verzweiflung gelangt; oder man kann eine Arie resigniert beginnen und sie

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dann mit neuer Hoffnung enden lassen. Nicht nur die Figuren, auch die Musik ist bei Mozart stets sehr janusköpfig. Und darin liegt der Spass beim In­ szenieren. Man muss sich in La finta giardiniera eigentlich jede Sekunde ent­scheiden, ob das Stück eine Komödie oder eine Tragödie ist – es ist eine ständige Gratwanderung, eben eine Komödie über die menschlichen Ängste und Schwächen. Wie später in Le nozze di Figaro gibt es auch in dieser Oper Standes­ unterschiede von der Gräfin bis zur Dienerin. Spielt das in deiner Insze­ nierung eine Rolle? Ein bisschen schon. Probleme haben zwar alle Figuren; aber die einen sind etwas erdverbundener, weil sie die ganze Zeit arbeiten müssen, während sich andere viel freier ihrem Hedonismus hingeben können. Don Anchise, der Gastgeber der Hochzeitsfeier, ist der Reichste von allen und kann sich deshalb am meisten erlauben. Aber in Wahrheit wird das Leben dadurch nicht einfacher. Die Zeit, die einem der Reichtum lässt, will gefüllt werden, gegen die innere Leere ist kein Kraut gewachsen. Das sind Probleme, mit denen Charaktere wie Don Anchise, Belfiore und Arminda, die der Oberschicht an­ge­hören, zu kämpfen haben. Serpetta dage­gen, die ständig etwas zu arbeiten und zu putzen hat, schlägt sich auch mit Problemen herum, aber die sind in dem Fall etwas handfester. Sandrina, die als Gräfin eigentlich Violante Onesti heisst, gibt sich bewusst als Dienerin aus. Warum nimmt man eine solche Verwandlung eigentlich auf sich? Nach der entsetzlichen Vorgeschichte mit Belfiore ist ihr Verhalten vielleicht als Ausdruck von Trauer zu verstehen. Sie nimmt die Situation demütig auf sich, verpuppt sich sozusagen in einem Kokon, schlüpft in sich selbst hinein. Für mich ist Sandrina auf eine besondere Art das stille, dunkle Zentrum dieses Stücks. Barbara Drosihn deutet das auch im Kostüm an: Während alle anderen Kostüme «Blüten treiben», ist Sandrina der ruhigste Punkt, um den sich alles dreht. Ich denke, dass Sandrina hinter ihrer Maske freier ist als alle anderen Figuren. Das ist übrigens auch in Mozarts Così fan tutte gut

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zu beobachten: Despina ist in ihren Verkleidungen als Arzt oder Notar viel mehr sie selbst, als wenn sie Dienerin ist. Als Dienerin kämpft sie ständig mit dem, was sie sein soll. Die Maskerade befreit sie davon. Im Kern zeigt sich daran, warum wir überhaupt Theater spielen! Der von Johan Huizinga als Homo ludens verstandene Mensch, der im Spiel zu sich findet, übt und reflek­tiert auf der Theaterbühne immer auch ein Stück weit sein eigenes Leben. Aus der Distanz lässt sich die Wahrheit besser betrachten. Wie entscheidend sind für dich in diesem Spiel der Verwandlungen die Geschlechterrollen? Ramiro, der frühere Liebhaber von Arminda, wird bei Mozart von einer Frau gesungen … Diese Unschärfe, die in der Figur des Ramiro schon bei Mozart angelegt ist, hat uns dazu inspiriert, mit den Geschlechterrollen zu spielen. Ich glaube, Mozart liebte diese Verwirrung, dass Partien wie Cherubino im Figaro oder hier Ramiro von Frauen gesungen werden. In La finta giardiniera hat man ohnehin selten den Eindruck von festgefahrenen Geschlechterklischees. Die Frauen sind den Männern absolut eben­bürtig. Im Fall des Paares Belfiore/ Arminda wird beispielsweise vorgeführt, dass der Graf ein schüchterner, zärtlicher Mensch ist, während Arminda «die Hosen anhat» und zupackt. Ich glaube – und die Textbücher und Briefe von Mozart be­weisen uns das –, dass man damals in dieser Hinsicht viel frecher und unkonventioneller war, als wir uns das heute vorstellen können!

Das komplette Programmbuch können Sie auf www.opernhaus.ch/shop oder am Vorstellungsabend im Foyer des Opernhauses erwerben Das Aufeinandertreffen der sieben Figuren findet laut Textbuch am Hof von Don Anchise, irgendwo im italienischen Niemandsland statt. Was für eine Situation ist das in deiner Inszenierung? Die Form von Mozarts Oper in ihrer Abfolge von Rezitativen, Arien und Ensembles bietet grundsätzlich viele Möglichkeiten für Brüche. Wir spielen deshalb mit dem Wechsel in verschiedene Realitäten, tauchen ganz ins Spiel ein, erlauben aber auch Kommentare dazu. Henrik Ahr hat dafür eine Bühne erfunden, die für dieses Stück wunderbar funktioniert: Der Raum kann tatsächlich das Haus des Podestà sein, aber auch einen Wald bei Nacht darstellen, wo das Finale des zweiten Akts spielt. Er kann ein Ort sein, an

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dem man verloren geht, aber auch sehr geschützt und geschlossen. Er kann mehrere Orte nebeneinander behaupten, aber auch innere Zustände ver­ deutlichen. Es ist vor allem ein Raum, der zahlreiche Spiegelungen erlaubt und dem Zuschauer dadurch die Posen, Attitüden und Eitelkeiten der einzelnen Charaktere in verstärktem Mass vorführt. Er ist ein Spielplatz, in dem man weder den anderen noch sich selber entkommt, der das eigene Bild und die mühevolle Ver­stellung vervielfacht. Auch die Kostüme von Barbara Drosihn geben allen die Möglichkeit, sich in verschiedenen Rollen auszu­ probieren, bis sie schliesslich bei ihrem eigenen Kern ankommen. In Mozarts Opern geht es immer auch um Lernprozesse. Wie in Così fan tutte durch­ laufen die Figuren in La finta giardiniera eine wahre Schule der Liebenden. Wobei in La finta giardiniera weniger mit dem Finger auf die Moral gezeigt wird … Mozart erzählt am Ende, dass es eigentlich gar kein ganz richtiges Paar gibt – das zeigt ja schon die Wahl von sieben Figuren, also einer ungeraden Zahl. Es kann niemals aufgehen und kann immer neue Kombinationen geben. Wenn alle Knoten gelöst sind, bleiben die Paare dennoch ein bisschen windschief und nicht ganz zuein­an­der passend zurück – das Leben geht weiter. Es ist ja auch in der Realität nicht so, dass jeder Topf seinen Deckel hat. Liebe hat immer mit einer Ent­scheidung zu tun und bleibt auch danach eine Aufgabe – man muss den Anderen jeden Tag aufs Neue kennen und schätzen lernen. Nachdem bereits am Ende des ersten Akts grosse Verwirrung herrscht, weil Belfiore meint, die totgeglaubte Sandrina erkannt zu haben, führt das Finale des zweiten Akts in ein unbeschreibliches Chaos und letztlich in den Wahnsinn. Wie ist das zu deuten? Das Finale des zweiten Akts erinnert teilweise an den Sommernachtstraum und der Wahnsinn potenziert sich. Schon zu Beginn des Finales sind die Figuren ausser sich und in einem anderen Zustand. Und aus dieser Grundstimmung heraus werden dann alle noch wütender, die Verwirrung wird grösser – und in der Dunkelheit der Nacht, in der diese Szene spielt, entstehen

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noch einmal ganz andere «Paarungen». Das führt schliesslich dazu, dass Sandrina und Belfiore diese Verwirrung nicht mehr aushalten und in andere Rollen schlüpfen, sie sind ver-rückt und ent-rückt. Ist der Wahnsinn also der Liebe immanent? Dem Leben immanent! Wer kann schon sagen, wo das Normale aufhört und wo der Wahnsinn beginnt? Ich sehe den Wahnsinn in der Oper immer als eine Tür in eine bessere – oder zumindest andere Welt. Bei Mozart wird der Wahnsinn ja durch eine unglaublich heitere, luzide Musik begleitet. Man kann vielleicht sogar sagen, dass bei Mozart im Wahnsinn – der hier mit einer grossen Anarchie und Freiheit einhergeht – die eigentliche Klarheit liegt. Der Wahnsinn bringt den Knoten zum Platzen, und das führt wiederum dazu, dass die Masken fallen und die Figuren zu sich selber finden. Der Wahnsinn ist also heilsam!

Das komplette Programmbuch können Sie auf Also führt der Wahnsinn in deiner Inszenierung im dritten Akt zu einem www.opernhaus.ch/shop glücklichen Ende? Zumindest in einen neuen Zustand. Man kommt ja im Leben auch nicht an oder aman dem Vorstellungsabend imend.Foyer den Punkt, man sich sagt: Jetzt habe ich alles erreicht. Happy Wenn das so wäre, dann könnte man sich in diesem Moment ja gleich in den Sargdes legen. Aber das Leben geht weiter und man gerät in immer neue Opernhauses erwerben Zustände und Lebens­phasen. Wunderbar finde ich, dass uns Mozart all diese grossen und bedeutenden Themen mit einer unglaublichen Lust serviert. Und diese Lust überträgt sich auf uns alle. In diesem Stück ist alles enthalten, was ich mir vom Theater wünsche – und mit den jungen, wunderbaren Sängerinnen und Sängern vom Inter­nationalen Opernstudio macht es gleich doppelt so viel Spass! Das Gespräch führte Fabio Dietsche

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Thobela Ntshanyana, Alina Adamski Spielzeit 2017/18


Hippolyta: Sehr wunderlich, was die Verliebten reden. Theseus: Mehr wunderlich als wahr. Ich glaube nicht An diese Märchen, diesen Feenzauber. Verliebten und Verrückten kocht das Hirn, Die Phantasie treibt Blüten, fabuliert Mehr als ein klarer Kopf verstehen kann. […] Hippolyta: Bedenkt man aber diese Nachtgeschichten Und wie die Herzen umgewandelt sind, Dann sieht man mehr darin als Hirngespinste: Ein Etwas, das zu grosser Dauer wächst, Ein Etwas, was es sei, schön ist’s und gut. William Shakespeare: Ein Sommernachtstraum V/1


Alina Adamski, Jonathan Abernethy, Gemma Ni Bhriain Spielzeit 2017/18



DIE MASCHINERIE DER OPER In der Rolle des Liebhabers beobachtet Marivaux, wie die vorgeblich natürlichen Reize einer Geliebten in Wirklichkeit nur ein geschickt beherrschtes Spiel sind.

Mit siebzehn Jahren verliebte ich mich in ein junges Mädchen. Ihr sittsames Wesen hatte mich für ihre Schönheit empfänglich gemacht. Ausserdem bemerkte ich bei ihr so viel Gleichgültigkeit gegenüber ihren Reizen, dass ich geschworen hätte, sie sei sich ihrer gar nicht bewusst. Wie einfältig ich damals war! Welch ein Vergnügen, sagte ich mir, wenn ich die Liebe eines Mädchens wecken kann, das keine Verehrer haben möchte, denn sie ist schön, ohne darauf zu achten, und also nicht kokett. Immer, wenn ich mich von ihr trennte, hatte mein zärtliches Erstaunen über so viel Anmut in einem Wesen, das sich darum nicht höher schätzte, noch zugenommen. Sass sie oder stand sie? sprach sie oder lief sie? stets hatte ich den Eindruck, dass sie sich nichts dabei dachte und sich über nichts weniger Gedanken machte als darüber, zu sein, wie sie war. Eines Tages, als wir auf dem Land waren und ich sie gerade verlassen hatte, bewog mich ein bei ihr vergessener Handschuh wieder umzukehren, um ihn zu holen; ich bemerkte von weitem die Schöne, wie sie sich in einem Spiegel betrachtete, und zu meinem grossen Erstaunen sah ich, dass sie sich selbst alle Bewegungen vorführte, in der ich ihr Gesicht während unserer Unterhaltung gesehen hatte; und es erwies sich, dass ihre Mimik, die ich für so natürlich gehalten hatte, nichts anderes war, um es deutlich zu sagen, als ein Taschenspielertrick; ich erkannte von weitem, dass ihre Eitelkeit den einen oder anderen Ausdruck guthiess oder auch verbesserte; es waren kleine Zierereien, die man hätte notieren können, damit sie eine Frau wie ein Musikstück auswendig lernen kann. Ich zitterte bei dem Gedanken an die Gefahr, in die ich geraten wäre, wenn ich mich gutgläubig noch weiter den Betrügereien ausgesetzt hätte, die sie mit so

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vollkommenem Geschick ausführte; ich hatte sie für natürlich gehalten und sie nur so geliebt; daher war meine Liebe auf der Stelle verflogen, als ob mein Herz sich nur mit Vorbehalt für sie erwärmt hätte. Sie bemerkte mich ihrerseits im Spiegel und errötete. Ich trat lachend ins Zimmer und nahm meinen Handschuh: Oh, Mademoiselle, ich bitte um Verzeihung, sagte ich zu ihr, dass ich bisher der Natur Reize zuschrieb, deren Ruhm doch allein Ihrem Geschick zu verdanken ist. – Was soll das heissen? fragte sie mich. Soll ich offener mit Ihnen reden? gab ich zurück; ich habe eben die Maschinerie der Oper gesehen. Jetzt bereitet sie mir zwar immer noch Vergnügen, aber sie rührt mich weniger. Pierre Carlet de Marivaux

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Alina Adamski Spielzeit 2017/18

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In der Liebe sind die unbeständigen Herzen wie die der Kinder. Darum ist nichts so amüsant, so liebenswürdig, so frisch und draufgängerisch wie ihre Zärtlichkeit. Verlässt du einen beständigen Menschen? hörst du auf, ihn zu lieben? dann verwundest du ihn tödlich; doch ist er fast auf die gleiche Art verletzt, wie er liebt, das heisst ohne Aufsehen, ohne Lärm. Sein Schmerz äussert sich kaum; er könnte an seinem Gleichmut sterben. Nur die Zeit kann ihm helfen. Pierre Carlet de Marivaux


DIE TRADITIONEN ÜBERWINDEN Ein Gespräch mit dem Dirigenten Gianluca Capuano über ein wegweisendes Werk in Mozarts Opernschaffen Gianluca Capuano, La finta giardiniera ist 1775 während des Münchner Faschings uraufgeführt worden. Mozart war damals knapp 19 Jahre alt. Welche Bedeutung hat das Werk im Kontext von Mozarts Opernschaffen? Nach den frühen Opern wie Mitridate, Ascanio in Alba und Lucio Silla, die in Italien entstanden sind, hat Mozart etwa drei Jahre lang nicht mehr fürs Theater geschrieben. Man weiss aber, dass er ungeduldig auf eine weitere Möglichkeit wartete. Bei La finta giardiniera wird besonders deutlich, was für ein unglaublich gutes Gespür Mozart schon damals für die Mechanismen des Theaters hatte. Die Charaktere dieser Oper sind alle sehr differenziert ge­zeichnet. Es zeigt sich an diesem Werk, wie viel Mozart von der italienischen Tradition gelernt hat, aber auch wie er diese bereits zu überwinden versuchte. Der Idomeneo, der fünf Jahre später als nächste grosse Oper folgte, wird allgemein als Schwelle zwischen Mozarts Jugendwerken und seiner Reifezeit verstanden. Ich sehe aber grosse Ähnlichkeiten zwischen La finta giardiniera und Idomeneo und glaube, dass Mozart in dem früheren Werk bereits eine klare Richtung eingeschlagen hat. La finta giardiniera ist sozusagen ein erstes Zeichen seiner künstlerischen Unabhängigkeit und Freiheit, die er mit der Komposition des Idomeneo noch einmal festigen sollte. Die Opern, die Mozart in Italien geschrieben hat, sind dort mit grossem Erfolg auf die Bühne gekommen. Inwiefern hat er sich danach von den Traditionen der italienischen Opernpraxis abgewendet? Mozart hat in Mailand zum Beispiel den damals schon alten Johann Adolph Hasse kennengelernt, der dort seinen Ruggiero auf die Bühne brachte.

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Die Opern von Hasse, die oft auf Textbüchern von Pietro Metastasio, dem angesehensten Librettisten dieser Zeit, basieren, sind typisch für die damalige Tradition: Il Ruggiero ist eine umfangreiche Opera seria, die noch stark an die Konventionen des Barockzeitalters gebunden ist. Diese Art von Opern hat Mozart kennengelernt – und davon sind auch seine ersten eigenen Werke geprägt. Und doch soll Hasse schon Mozarts Genie erkannt und gesagt haben: dieser Junge wird uns alle in den Schatten stellen! La finta giardiniera ist interessanterweise das erste Werk von Mozart, das die Gattungsbezeichnung «dramma giocoso» trägt. Diesen Begriff hat der Dichter Carlo Goldoni zwar schon 1748 verwendet und es gibt zahlreiche Werke dieser Gattung wie beispielsweise Cimarosas Il matrimonio segreto und später Rossinis La cenerentola. Aber bei Mozart hat dieser direkte Kontrast von heiteren und tragischen Stimmungen eine geradezu philosophische Tiefe. Deutlich zeigt sich das in seinen späteren Werken dieser Gattung wie z.B. dem Don Giovanni.

Das komplette Programmbuch können Sie auf Trägt bei La finta giardiniera auch die Textvorlage zu dieser tragikomi­ schen www.opernhaus.ch/shop Gattung bei? Es muss auch mit dem Textbuch zu tun haben, dass Mozart in dieser Oper oder am Konventionen Vorstellungsabend imnichtFoyer die geltenden überwinden konnte. Ich halte den Text für so schlecht, wie das oft gesagt wird und kann mir kaum vorstellen, dass Mozart kein Mitspracherecht hatte, was diese Vorlage anging. Jedenfalls folgt des Opernhauses erwerben er den Feinheiten und Metaphern des Texts in seiner Musik sehr detailliert. Es ist bis heute nicht sicher geklärt, ob der Text – wie lange angenommen – von Ranieri de’ Calzabigi stammen könnte, der auch den Text zu Christoph Willibald Glucks Orfeo ed Euridice geschrieben hat. Es würde mich nicht erstaunen, wenn Calzabigi neben dem Libretto für Glucks revolutionäre Oper auch dasjenige für La finta giardiniera geschrieben hätte, die in Mozarts Schaffen ebenfalls einen wichtigen Wendepunkt markiert.

Trotzdem ist La finta giardiniera ein Stück, das deutlich auf das Theater­ modell der Commedia dell’Arte zurückgeht. Es gibt Dienerfiguren, «ernste» Figuren und mit dem Podestà einen typischen Pantalone, einen verliebten, betrogenen und ehrgeizigen Alten...

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Natalia Tanasii, Alina Adamski, Thobela Ntshanyana, Gemma Ni Bhriain, Jonathan Abernethy Spielzeit 2017/18

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Diese Strukturen sind natürlich noch zu erkennen, aber Mozart bedient sie nicht mehr auf eine einseitige Weise. In La finta giardiniera gibt es eigentlich keine Figuren mehr, die ganz eindeutig ein bestimmtes Rollenbild der Commedia dell’Arte verkörpern. Alle sieben Charaktere sind vielschichtig und komplex angelegt; die komischen Charaktere haben auch eine tragische Seite und umgekehrt. Mozart steigt durch seine Musik tief hinab in die Psyche jeder einzelnen Figur. Auffällig ist zum Beispiel, dass es in dieser Oper mehrere grosse Arien in Moll-Tonarten gibt: Arminda hat zu Beginn des 2. Akts eine Wutarie in g-Moll, Ramiro am Ende der Oper eine verzweifelte c-MollArie, die von Todessehnsucht spricht, und Sandrina eine Kavatine in a-Moll, in der sich Einsamkeit und Verlorenheit ausdrücken. Das sind Affekte, die für ein Stück mit einem Commedia dell’Arte-Hintergrund eher unüblich sind.

Das komplette Programmbuch Kurze Zeit später, zurück in seiner Heimatstadt Salzburg, hat Mozart können Sie auf eine weitere kleine Oper geschrieben: Il re pastore. Der Mozart-Biograf Wolfgang Hildesheimer spricht in diesem Fall von einem Werk, dass «ganzwww.opernhaus.ch/shop und gar lustlos» erscheine. Wie ist das nach der innovativen und vom Publikum angeblich begeistert aufgenommenen Finta-Komposition oder am Vorstellungsabend im Foyer möglich? Es zeigt sich daran, wie sehr Mozart unter der einengenden Dienst-Situation in Salzburg haben muss. Deshalb finde icherwerben die Parallelen, die desgelitten Opernhauses zwischen La finta giardiniera und Idomeneo auffallen, so interessant. Das Textbuch zu Il re pastore stammt von Pietro Metastasio, ist also ganz der Tradition verpflichtet. Mozart muss diese zunehmend als Einschränkung empfunden haben, während ihm die beiden Textbücher für München (also Finta und Idomeneo) mehr Freiheiten geboten und neue Horizonte eröffnet haben. In La finta giardiniera zeigt sich bereits deutlich, dass sich Mozart von den Traditionen lösen und eine neue, eigene Oper schaffen wollte. Mozarts Inspiration war so gross, dass sie sich nicht in vorgefertigte Muster zwängen liess. Wo findet man denn konkrete Parallelen zwischen La finta giardiniera und Idomeneo?

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Bei Idomeneo ist es offensichtlich, dass Mozart die gesamte Dramaturgie der Oper genau geplant hat. Es war ihm dort wichtig, die einzelnen Nummern zu einem grossen, fortlaufenden Musikdrama zu verbinden. Dieses Bestreben kann man aber bereits in La finta giardiniera beobachten. Das zeigt sich hier nicht nur an der insgesamt sehr ausgewogenen Abfolge von kontrastieren­ den Nummern, sondern auch an konkreten Beispielen: Im zweiten Akt geht die G-Dur Arie «Chi vuol godere il mondo» von Serpetta nahtlos in die nächste, sehr dramatische Arie von Sandrina über, die in c-Moll beginnt. Indem Mozart hier keine Möglichkeit für einen Arienapplaus gibt und die beiden sehr unterschiedlichen Affekte der beiden Nummern direkt anei­ nander­bindet, schafft er einen Moment von grosser Spannung. Ein weiteres Stilmittel, das Mozart in beiden Opern anwendet, sind die vom Orchester begleiteten Rezitative, die in der früheren Opera seria noch nicht von Bedeutung waren. Er macht davon jeweils Gebrauch, wenn im Rezitativ plötzlich sehr tiefe Gefühlsregungen zum Ausdruck kommen sollen. Aus Mozarts Briefen ist bekannt, dass er sich spätestens zur Zeit der Idomeneo-Komposition intensiv mit den Melodramen (zu Musik rezitierte Texte) von Georg Anton Benda auseinandergesetzt hat. Bendas Medea muss er geradezu verehrt haben. Die präzise Arbeit am Text und dessen musikalische Ausdeutung wurde für Mozart in den Opern seiner mittleren Schaffensphase also besonders wichtig. Aber auch die einzelnen Arien sind weniger an strenge Formschemen ge­ bunden, als man es aus der italienischen Tradition des 18. Jahrhunderts gewohnt ist... Die Arien sind in La finta giardiniera sehr vielfältig. Das Spektrum reicht von kurzen Kavatinen bis zu gewichtigen Nummern, in denen Mozart auch mit der Instrumentation experimentierte: Für Armindas Arie «Vorrei punirti indegno» sind zum Beispiel vier Hörner vorgesehen! Ausserdem gipfeln die ersten beiden Akte in gross angelegten Finali für das ganze Ensemble, die Mozart jeweils durch verschiedene Tonarten, Taktmetren und Tempi sehr abwechslungsreich und lebendig gestaltete. Auch das ist ein grosser Schritt in seiner Entwicklung hin zu den unübertroffenen Finali seiner späten Meister-

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werke. Aber in La finta giardiniera ist alles noch im Entstehen begriffen; die Neuerungen stehen neben dem Traditionellen: der dritte, wesentlich kürzere Akt endet nach einem langen, zukunftsweisenden Duett wieder mit einem kurzen Schlusschor, wie er noch in der Barockoper üblich war. Glaubt man dem Inhalt von Mozarts euphorischem Brief, den er nach der Uraufführung an seine Mutter schickte, muss die Oper in München ein riesiger Erfolg gewesen sein. Trotzdem wurde sie nach nur drei Vorstellungen vom Spielplan abgesetzt. Wie kann das passieren? Aus heutiger Sicht ist das schwer zu beurteilen. Interessant finde ich aber, dass Mozart – angeblich selbst – ein paar Jahre später eine deutsche Singspiel­ fassung der Oper unter dem Titel Die Gärtnerin aus Liebe, mit gesprochenen Dialogen statt Rezitativen, eingerichtet hat. Diese Fassung wurde noch zu Mozarts Lebzeiten in mehreren Städten Deutschlands aufgeführt. Und bald nach seinem Tod kam La finta giardiniera in Prag in einer neu instru­men­ tierten Fassung auf die Bühne. Das zeigt, dass Mozart viel von dieser Oper gehalten hat und dass ihm der Erfolg wichtig war. Die Rezeptionsgeschichte von Opern ist oft überraschend. Mozarts La clemenza di Tito zum Beispiel, die im späten 19. und 20. Jahrhundert lange als ein rückständiges Werk betrachtet wurde, war noch um das Jahr 1800 herum die meistgespielte Mozart-Oper überhaupt! Der Geschmack des Publikums ist wechselhaft und die Meisterwerke sind davon abhängig!

Das komplette Programmbuch können Sie auf www.opernhaus.ch/shop oder am Vorstellungsabend im Foyer des Opernhauses erwerben Das Gespräch führte Fabio Dietsche

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GLATSCHEN UND VIVA MAESTRO SCHREYEN München den 14ten jenner 1775 Gottlob! Meine opera ist gestern als den 13ten in scena gangen; und so gut aus­gefallen, daß ich der Mama den lärmen ohnmöglich beschreiben kan. Erstens war das ganze theater so gestrozt voll, daß vielle leüte wieder zurück haben müssen. Nach einer jeden Aria war alzeit ein erschröckliches getös mit glatschen, und viva Maestro schreyen. S: Durchlaucht die Churfürstin, und die verwitwete, welche mir vis à vis waren sagten mir auch bravo. wie die opera aus war, so ist unter der zeit wo man still ist, bis der ballet anfängt, nichts als geglatscht und bravo geschryen worden; bald aufgehört, wieder angefangen, und so fort. Nach dem bin ich mit meinem papa in ein gewisses Zimmer gangen, wo der Churfürst und der ganze hof durch Muß und hab s: d: den Churfürste und Churfürstin und den hoheiten die händ geküst, welche alle sehr gnädig waren. heunt in aller frühe schickt S: fürstlichgnaden bischof in Chiemsee her, und läst mir gratuliren, daß die opera bey allen so unvergleichlich ausgefallen ist. wegen unserer rückreise wird es so bald nichts werden, und die Mama soll es auch nicht wünschen, dan die Mama weis ja wie wohl daß schnaufen thut – – – – wir werden Noch fruh genung – – komen. Eine rechte und nothwendige ursache ist, weil den künftigen freytag die opera abermahl geben wird, und ich sehr nothwendig bey der Production bin – – sonst wurde Man sie nicht mehr kennen – – – – dan es ist gar curios hier. ich küsse der Mama 1000 mahl die hände. Meine Empfehl: an alle gute freünd und freündinen. an M: Andretter mein Compliment, ich bitte ihn um verzeyhung daß ich noch nicht geantworte, aber ich hatte ohnmög­lich die zeit, mit nächsten soll es geschehen. Addieu. an bimberl 1000 buserln. Mozart an seine Mutter

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Alina Adamski, Thobela Ntshanyana Spielzeit 2017/18


Alina Adamski Spielzeit 2017/18

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Huw Montague Rendall, Natalia Tanasii, Thobela Ntshanyana, Adriana Gonzalez, Gemma Ni Bhriain Spielzeit 2017/18


Als ein labiles Gefüge von gasgefüllten Hohl­räumen, die wie durch einen nächtlichen Putsch die Oberhand über das Solide ge­wannen, präsentiert sich der Schaum als freche Umkehrung der natürlichen Ordnung inmitten der Natur. Peter Sloterdijk


WAHNSINN UND WAHRHEIT In der subjektiven Sprache des Wahnsinns erscheinen laut dem Philosophen Michel Foucault die geheimen Wahrheiten des Menschen

Was bereits der Neveu de Rameau [Denis Diderot, 1761 – 74] anzeigte und nach ihm eine ganze Literaturmode, ist das Wiedererscheinen des Wahnsinns im Gebiet der Sprache, einer Sprache, in der es gestattet war, in der ersten Person zu reden und unter soviel nichtigen Worten und in der irren Grammatik ihrer Paradoxe etwas auszusprechen, was eine wesentliche Beziehung zur Wahrheit hatte. Diese Beziehung beginnt jetzt, sich zu entwirren und sich in ihrer ganzen diskursiven Entwicklung darzustellen. Was der Wahnsinn über sich selbst sagt, ist für das Denken und die Poesie am Anfang des neunzehnten Jahrhunderts das, was der Traum in der Unordnung seiner Bilder ebenfalls ausspricht: eine Wahrheit über den Menschen, die sehr archaisch und sehr nahe, sehr schweigend und sehr bedrohlich ist; eine Wahrheit unterhalb jeder Wahrheit, der Entstehung der Subjektivität äusserst benachbart und auf der Ebene der Dinge sehr verbreitet; eine Wahrheit, die der völlige Rückzug der Individualität der Menschen und die inchoative Form des Kosmos ist. So finden sich in der gemeinsamen Sprache von Traum und Delirium die Möglichkeit einer Lyrik des Verlangens und die Möglichkeit einer Poesie der Welt verbunden, da Wahnsinn und Traum gleichzeitig der Moment der äussersten Subjektivität und der ironischen Objektivität sind und es infolgedessen keinen Widerspruch gibt: die Poesie des Herzens in der endlichen Einsamkeit ist durch eine unmittelbare Umkehrung in der Verzweiflung ihrer Lyrik der ursprüngliche Gang der Dinge. Die angesichts des Tumults des Herzens lange schweigsame Welt findet darin ihre Stimme wieder.

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Jenseits des langen Schweigens in der klassischen Epoche findet der Wahnsinn also seine Sprache wieder, aber eine Sprache, die völlig andere Bedeutungen trägt. Vergessen sind die alten tragischen Reden der Renaissance, in denen es sich um die Zerrissenheit der Welt, um das Ende der Zeiten, um den von der Animalität verschlungenen Menschen handelte. Die Sprache des Wahnsinns entsteht von neuem, aber als lyrischer Ausbruch. Es wird die Entdeckung gemacht, dass im Menschen das Innere ebenso äusserlich ist, dass die Subjektivität im Extrem sich mit der unmittelbaren Faszination des Objekts identifiziert, dass jedes Ende für die hartnäckige Wiederkehr bestimmt ist. In dieser Sprache erscheinen nicht mehr die unsichtbaren Gestalten der Welt, sondern die geheimen Wahrheiten des Menschen.

Das komplette Programmbuch können Sie auf www.opernhaus.ch/shop oder am Vorstellungsabend im Foyer des Opernhauses erwerben Michel Foucault

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Gemma Ni Bhriain, Huw Montague Rendall, Natalia Tanasii, Thobela Ntshanyana, Alina Adamski Spielzeit 2017/18

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Thobela Ntshanyana, Huw Montague Rendall, Alina Adamski Spielzeit 2017/18


LA FINTA GIARDINIERA WOLFGANG AMADEUS MOZART (1756–1791) Dramma giocoso in drei Akten Libretto von Giuseppe Petrosellini Uraufführung 13. Januar 1775, München

Personen

Don Anchise Podestà di Lagonero, Liebhaber der Sandrina

Tenor

La Marchesa Violante Geliebte des Grafen Belfiore, tot geglaubt, unter dem namen Sandrina als Gärtnerin verkleidet Il Contino Belfiore früher der Geliebte von Violante, jetzt von Arminda

Sopran

Tenor

Arminda Mailänder Edeldame, Nichte des Podestà, zuerst die Geliebte von Ramiro, jetzt die Braut des Grafen Belfiore Il Cavalier Ramiro Liebhaber der Arminda, von dieser jedoch verlassen worden Serpetta Dienerin des Podestà, in diesen verliebt

Sopran

Sopran

Roberto Diener der Violante, der sich unter dem Namen Nardo als ihr Cousin ausgibt, als Gärtner verkleidet, Liebhaber der Serpetta, von dieser jedoch abgewiesen Bariton Die Handlung spielt im Gebiet von Schwarzensee.

Sopran


OVERTURA

OUVERTÜRE

ATTO PRIMO

ERSTER AKT

Vago giardino con spaziosa scalinata per cui si ascende al palazzo del Podestà.

Lieblicher Garten mit einer breiten Treppe, über die man zum Palast des Podestà (des Amtshauptmanns) hinaufsteigt.

SCENA I

1. SZENE

Il Podestà, cavalier Ramiro e Serpetta; Sandrina e Nardo applicati alla coltura del giardino.

Der Podestà, Cavaliere Ramiro und Serpetta; Sandrina und Nardo mit Gartenarbeit beschäftigt.

INTRODUZIONE

INTRODUKTION

SANDRINA, SERPETTA, RAMIRO, IL PODESTÀ, NARDO

SANDRINA, SERPETTA, RAMIRO, DER PODESTÀ, NARDO

Che lieto giorno, Che contentezza, Qui d’ogn’intorno spira allegrezza; Amor qui giubila, brillando va.

Welch freudiger Tag, welche Zufriedenheit, alles ringsumher verbreitet Fröhlichkeit; hier jubiliert die Liebe, sie strahlt.

RAMIRO

RAMIRO

Fra cento affanni sospiro e peno, Per me non splende mai dì sereno, Per me non trovasi felicità.

Unter hundert Kümmernissen seufze und leide ich, für mich erstrahlt niemals ein froher Tag, für mich findet sich kein Glück.

IL PODESTÀ

DER PODESTÀ

Il cor mi balza per il piacere, Tra suoni e canti dovrò godere: Sandrina amabile pur mia sarà.

Das Herz hüpft mir vor Freude, bei Musik und Gesang werde ich mich ergötzen: Die liebliche Sandrina wird die meine sein.

SANDRINA

SANDRINA

Sono infelice, son sventurata, Mi vuole oppressa la sorte ingrata, Di me più misera no non si dà.

Ich bin unglücklich, ich bin vom Pech verfolgt, das undankbare Schicksal will mich niederdrücken, eine Elendere als mich gibt es nicht.

NARDO

NARDO

Neppur mi guarda, neppur m’ascolta; Farà costei darmi da volta,

Sie sieht mich nicht an, sie hört mir nicht zu; sie treibt mich noch zum Wahnsinn,

accennando Serpetta

auf Serpetta deutend

Che donna barbara senza pietà.

welch grausame Frau ohne Mitleid.

SERPETTA

SERPETTA

Con quella scimmia già s’è incantato, Fa il cascamorto, lo spasimato,

Er ist schon ganz vernarrt in diese Äffin, er raspelt Süssholz, leidet Liebesqualen,

accennando il Podestà

auf den Podestà deutend

Ma se mi stuzzica la pagherà.

doch wenn er mich reizt, wird er es büssen.

RAMIRO

RAMIRO

Celar conviene la pena ria.

Ich muss die schwere Pein verbergen.

IL PODESTÀ

DER PODESTÀ

Via sollevatevi, Sandrina mia.

Wohlan, erhebt Euch, meine Sandrina.


SANDRINA

SANDRINA

Son troppe grazie, troppa bontà.

Zuviel der Huld, zuviel der Güte.

RAMIRO

RAMIRO

Vedrò placata l’iniqua stella.

Ich werde das grausame Schicksal noch versöhnt sehen.

IL PODESTÀ

DER PODESTÀ

Non so lasciarla ch’è troppo bella.

Ich kann sie nicht lassen, sie ist zu schön.

SERPETTA

SERPETTA

Son pieni gl’uomini di falsità.

Die Männer sind voller Falschheit.

SANDRINA, SERPETTA, RAMIRO, IL PODESTÀ, NARDO

SANDRINA, SERPETTA, RAMIRO, DER PODESTÀ, NARDO

Che lieto giorno, Che contentezza, Qui d’ogn’intorno spira allegrezza; Amor qui giubila, brillando va.

Welch freudiger Tag, welche Zufriedenheit, alles ringsumher verbreitet Fröhlichkeit; hier jubiliert die Liebe, sie strahlt.

REZITATIV Das komplette Programmbuch können Sie auf www.opernhaus.ch/shop SCENA II 2. SZENE oder am Vorstellungsabend im Foyer des Opernhauses erwerben RECITATIVO REZITATIV RECITATIVO

IL PODESTÀ

DER PODESTÀ

Don Ramiro, Sandrina, allegramente. Qui a momenti s’attende La sposa mia nipote. Prepariamoci Ai banchetti, ai festini. lo non voglio veder malinconia Oggi che siamo in tempo d’allegria.

Don Ramiro, Sandrina, seid lustig. Jeden Augenblick erwartet man hier meine Nichte, die Braut. Lasst uns Bankette und Freudenfeste vorbereiten. Ich will keine Trübsal sehen, heute ist ein Freudentag.

Il Podestà, Sandrina, Serpetta e Nardo.

Der Podestà, Sandrina, Serpetta und Nardo.

IL PODESTÀ

DER PODESTÀ

Presto, Nardo, Serpetta andate, andate, che tutto sia pronto per le nozze. Via.

Eilt euch, Nardo, Serpetta, geht, geht, damit alles für die Hochzeit vorbereit ist. Geht.

Nardo parte e Serpetta resta in disparte.

Nardo geht ab und Serpetta bleibt beiseite.

IL PODESTÀ

DER PODESTÀ

Siam pur soli una volta, Veniamo un poco a noi: cara Sandrina Mi spiego in due parole, Ardo, moro per te, quel brio, quel vezzo Subito mi colpì.

Endlich sind wir einmal allein, sprechen wir ein wenig über uns: Liebe Sandrina, ich erkläre mich in zwei Worten, ich brenne, ich sterbe für dich, dieses Feuer, dieser Liebreiz hat mich plötzlich getroffen.

IL PODESTÀ

DER PODESTÀ

Voglio farti mia sposa.

Ich will dich zu meiner Frau machen.

SANDRINA

SANDRINA

Permettete, signor…

Gestattet, mein Herr…


Programmheft LA FINTA GIARDINIERA Oper von Wolfgang Amadeus Mozart Premiere am 5. Mai 2018, Spielzeit 2017/18 Wiederaufnahme am 17. Februar 2019, Spielzeit 2018/19

Herausgeber

Intendant

Opernhaus Zürich Andreas Homoki

Zusammenstellung, Redaktion Fabio Dietsche Layout, Grafische Gestaltung Carole Bolli Anzeigenverkauf Opernhaus Zürich, Marketing

Telefon O44 268 64 14, inserate@opernhaus.ch

Schriftkonzept und Logo

Studio Geissbühler

Druck

Textnachweise: Die Handlung sowie die Gespräche mit Tatjana Gürbaca und Gianluca Capuano sind für dieses Heft entstanden. Weitere Quellen: Johann Wolfgang von Goethe, Faust, Insel Verlag Frankfurt a.M. und Leipzig 1998; Pierre Carlet de Marivaux, Betrachtende Prosa, Insel Verlag, Frankfurt a.M. 1979; William Shakespeare, Ein Sommernachtstraum, dtv Verlagsgesellschaft, München 1995; Michel Foucault, Wahnsinn und Gesellschaft, Suhrkamp, Frankfurt a.M. 1969; Peter Sloterdijk, Sphären III – Schäume, Suhrkamp, Frankfurt a.M. 2004; Mozart, Briefe und Aufzeichnungen, Bärenreiter/Deutscher Taschenbuch Verlag, Kassel/München 2005.

Stäubli AG Zürich

Bildnachweis: Herwig Prammer fotografierte die Klavierhauptprobe und die Orchesterhauptprobe im April 2018. Wir bitten Sie, während der Vorstellung elektrische Ge­räte mit akustischen Signalen (Mobiltelefone, Uhren usw.) ausgeschaltet zu lassen. Zu spät kommende Besucher werden nur bei Unterbrechungen eingelassen. Das Fotografieren sowie Film- und Tonaufnahmen während der Vorstellung sind aus urheberrechtlichen Gründen nicht gestattet.


Unsere Vorstellungen werden ermöglicht dank der Subvention des Kantons Zürich sowie den Beiträgen der Kantone Luzern, Uri, Schwyz, Zug und Aargau im Rahmen der interkantonalen Kulturlastenvereinbarung und den Kantonen Nidwalden und Obwalden. PARTNER

ab PRODUKTIONSSPONSOREN AMAG Freunde der Oper Zürich Evelyn und Herbert Axelrod Zürich Versicherungs-Gesellschaft AG PROJEKTSPONSOREN Baugarten Stiftung Ringier AG René und Susanne Braginsky-Stiftung Georg und Bertha Schwyzer-Winiker-Stiftung Clariant Foundation Hans und Edith Sulzer-Oravecz-Stiftung Freunde des Balletts Zürich Swiss Life Ernst Göhner Stiftung Swiss Re Max Kohler Stiftung Zürcher Kantonalbank Kühne-Stiftung GÖNNER Accenture AG Josef und Pirkko Ackermann Alfons’ Blumenmarkt Ars Rhenia Stiftung Familie Thomas Bär Berenberg Schweiz Beyer Chronometrie AG Margot Bodmer Elektro Compagnoni AG Stiftung Melinda Esterházy de Galantha Fitnessparks Migros Zürich Fritz Gerber Stiftung Gübelin Jewellery Egon-und-Ingrid-Hug-Stiftung Walter B. Kielholz Stiftung KPMG AG

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