Der Freischütz

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DER FREISCHÜTZ

CAR L MAR IA VON WEBER 1


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DER FREISCHÜTZ CARL MARIA VON WEBER (1786-1826)

Partner Opernhaus Zürich

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ERSTER AUFZUG Der Jäger Max wird von anhaltendem Schusspech verfolgt. Obwohl er zu den besten Schützen des Dorfes gehört, trifft er nichts mehr. Er steht unter grossem Druck, denn er will Agathe, die Tochter des Erbförsters Kuno, heiraten. Bedingung für diese Hochzeit ist ein öffentlich abgelegter Probeschuss. So will es ein alter Brauch: Nur wem der Probeschuss gelingt, darf die Försterstochter heiraten und die Försterei erben. Auch beim grossen Sternschiessen hat Max versagt. Der Bauer Kilian hat ihn besiegt und ist der neue Schützenkönig. Das Volk feiert den Sieger und verspottet den Verlierer Max. Der Erbförster Kuno setzt der immer aggressiver werdenden Verhöhnung ein Ende. Auf Bitten Kilians erzählt er noch einmal, wie es zur Tradition des Probeschusses kam: In alten Zeiten pflegte man Wilderer zur Strafe auf einen Hirschen zu binden. Ein Vorfahre Kunos im Försteramt wurde Zeuge einer solchen Szene, bekam Mitleid und versprach dem Schützen, der den Hirsch erlegt, ohne den Wilderer zu verletzen, das Erbe der Försterei. Der Schuss gelang, aber es ging das Gerücht um, der Schütze hätte eine teuflische Freikugel geladen. Deshalb beschloss man, dass jeder Anwärter auf die Försterei zuerst einen Probeschuss ablegen muss. Max verzweifelt an seiner verloren gegangenen Treffsicherheit und dem drohenden Verlust seiner geliebten Agathe. Der sinistre Jäger Kaspar nimmt Max zur Seite und redet ihm ein, sein Gewehr sei verhext. Er verleitet ihn zum Trinken und erklärt ihm, nur mit einer Freikugel werde er beim Probeschuss erfolgreich sein. Er könne Freikugeln beschaffen, man müsse sie nur gemeinsam um Mitternacht in der Wolfsschlucht giessen. Mit einer von Kaspars Kugeln erlegt Max einen in unerreichbarer Höhe fliegenden Adler. Das überzeugt diesen. Max willigt ein, um Mitternacht in die Wolfsschlucht zu kommen. Kaspar, der einen Pakt mit dem Teufel geschlossen hat, triumphiert: Vom Netz der Hölle sei Max umgarnt, nichts mehr könne ihn vor dem Fall retten.


ZWEITER AUFZUG Agathe wartet am Vorabend ihrer Hochzeit im Forsthaus sehnlichst auf Max. Ein Bild des Urahnen Kuno ist von der Wand gefallen. Ännchen, eine junge Verwandte Agathes, versucht die bekümmerte Braut aufzuheitern, die sich um Max und das gemeinsame Liebesglück sorgt. Endlich erscheint Max. Doch er will gleich wieder fort. Er behauptet, einen kapitalen Hirsch geschossen zu haben, der noch in der Wolfsschlucht liege. Den müsse er nach Hause schaffen. Die bangen Frauen können ihn vom Gang an den verrufenen Ort nicht abbringen. Kaspar wartet in der furchterregenden Wolfsschlucht auf Max. Er ruft den schwarzen Jäger Samiel. Der erscheint. Kaspars Pakt mit Samiel sieht vor, dass er ihm alle drei Jahre ein neues Opfer zuführen muss, sonst ist seine eigene Seele des Teufels. Am folgenden Tag läuft Kaspars Frist ab. Samiel gestattet den Guss von sieben Freikugeln für Max und Kaspar: «Sechse treffen, sieben äffen.» Das heisst: Sechs Kugeln treffen nach dem Willen des Schützen, aber die siebente lenkt Samiel nach seinem eigenen Willen. Max trifft in der Wolfsschlucht ein. Ihn schaudert. Er sieht den Geist seiner toten Mutter, und in einer weiteren Spukvision, wie Agathe stürzt. Kaspar vollzieht das Ritual des Freikugelgiessens. Jeder Guss wird von gespenstischen Erscheinungen begleitet. Der Höllenspuk steigert sich von Kugel zu Kugel.


DRITTER AUFZUG Am Morgen der Hochzeit und des Probeschusses hat Max den Fürsten Ottokar und seine Jagdgesellschaft mit treffsicheren Schüssen beeindruckt. Vier Freikugeln hat er von Kaspar bekommen, drei hat er verschossen. Die vierte hebt er sich für den Probeschuss auf. Kaspar verschiesst seine drei Kugeln sinnlos, aufdass für den Probeschuss nur noch die siebente und letzte übrig bleibt. Agathe ist in angstvoller Stimmung. Sie deutet die Albträume der vergangenen Nacht als schlechte Vorzeichen. Sie sah sich als weisse Taube, auf die Max zielte. Sie sucht Trost in ihrem Vertrauen auf Gott. Ännchen versucht sie erneut aufzumuntern mit einer scherzhaften Gruselgeschichte. Die Brautjungfern singen Agathe ein Lied und Ännchen bringt den Jungfernkranz. Aber in der Schachtel befindet sich eine Totenkrone. Agathe beschliesst, sich einen neuen Jungfernkranz winden zu lassen aus den weissen Rosen, die ihr ein frommer Eremit bei einem Besuch zum Schutz gegen Unheil geschenkt hat. Der Augenblick des Probeschusses ist gekommen. Der Fürst zeigt auf eine weisse Taube als Ziel. Max schiesst. Agathe bricht zusammen. Aber sie ist nur ohnmächtig geworden. Die Kugel hat sie nicht getroffen, durch die weissen Rosen des Eremiten war sie geschützt. Stattdessen ist Kaspar tödlich getroffen. Max gesteht, mit Freikugeln geschossen zu haben. Fürst Ottokar verbietet ihm die Hochzeit mit Agathe und verbannt ihn aus der Dorfgemeinschaft. Wundersam erscheint der fromme Eremit und ergreift Partei für Max. Er empfiehlt, die Verbannung von Max in ein Probejahr umzuwandeln und den unmenschlichen Brauch des Probeschusses abzuschaffen.

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AUS DEM EINFACHEN ERWÄCHST DIE MAGIE Der Regisseur Herbert Fritsch über seine Art, Carl Maria von Weber «Freischütz» auf die Bühne zu bringen Herbert, wovon handelt der Freischütz? Ein grosses Thema ist die Angst des Mannes vor der Frau. Die Angst, sich einer Frau gegenüber klein und ohnmächtig zu fühlen und dann nach Hilfe zu suchen, und diese Hilfe nicht zu bekommen und daran kaputt zu gehen. So ergeht es Max. Das ist ja ein sehr heutiges Thema: Was heisst Mann sein? Was heisst stark sein? Was bedeutet es, keinen Erfolg zu haben als Mann, plötzlich immer daneben zu treffen und zu versagen? Der Misserfolg von Max bezieht sich aber im Freischütz nicht nur auf die Beziehung zu Agathe, sondern auch auf die Gesellschaft insgesamt, der er sich gegenübersieht. Die ist eng­stirnig und übt einen extremen Erwartungs- und Konformitätsdruck auf ihn aus. Absolut. Max muss alles an einem bestimmten Tag richtig machen. Er muss treffen. Das ist übrigens auch der Druck, unter dem ich als Regisseur stehe. Der Freischütz ist so bekannt und schon so oft gemacht worden, und es ist schwer, diesem Stück gerecht zu werden. Plötzlich spürst du als Re­gis­seur die gleiche Versagensangst wie Max. Eine stärkere Identifikation zwischen dem Regisseur und seiner Hauptfigur kann es gar nicht geben. Du bist umstellt von Erwartungen, die dich wie finstere Geister umgarnen. Und dann sollst du diesen unglaublichen Schuss machen. Wahnsinn. Kannst du die Situation von Max noch etwas genauer beschreiben? Er hat kein Vertrauen mehr, in nichts und niemanden. Man sagt ja, dass Ver­trauen die Überwindung von Komplexität ist. Das ist für mich ein ganz wichtiger Aspekt, auch beim Regie­führen. Wenn Vertrauen da ist, kannst du

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die Dinge geschehen lassen. Aber Max ist überall mit Komplexität konfrontiert. Stärkster Ausdruck davon ist Kaspar, der macht das alles noch schwie­riger und undurchschaubarer, als es eh schon ist. Und Max fällt auf diese Komple­ xi­tät rein anstatt zu sagen: Es ist, wie es ist. Ich schiesse jetzt halt mal und dann schauen wir weiter. Das schafft er nicht. Er hat auch das Vertrauen in sich selbst verloren. Er ist total allein. Furchtbar, diese Einsamkeit, der er ausgesetzt ist. Du sagst, als Regisseur kennst du die Versagensängste von Max. Was ist deine Strategie dagegen? Es gibt einen Heiligen, Josef von Copertino, er ist der Schutzpatron der Prüf­lin­­ge. Er wird auch der heilige Einfaltspinsel genannt. Der ist ein grosses Vorbild für mich. Den haben im Kloster alle für den totalen Deppen gehalten, deshalb durfte er nicht zur Priester­prüfung. Er wollte es aber unbedingt. Mit Riesenschritten – Forrest Gump hat da seinen Ursprung – rennt er nach Bologna. Gerade noch rechtzeitig kommt er zur Prüfung. Die Kardinäle stellen ihm eine hochkomplexe theo­lo­gische Frage. Josef von Copertino denkt lange nach und sagt dann einfach nur: «Amen!» Die Kardinäle sind völlig perplex, finden aber, dass das genau die richtige Antwort sei. Sie stellen die zweite Frage, wieder sagt Josef: «Amen». Die dritte Frage, wieder: «Amen». Er hat die Priesterprüfung bestanden. Das war der heilige Josef von Copertino.

Das komplette Programmbuch können Sie auf www.opernhaus.ch/shop oder am Vorstellungsabend im Foyer des Opernhauses erwerben Max wendet sich am Punkt grösst­mög­licher Verzweiflung dem Dä­mo­ni­­ schen zu. Er geht in die Wolfsschlucht. Findest du, dass das Un­heim­­liche heute immer noch eine wirksame Kraft ist, oder ist das nur noch schwarze Märchenromantik aus dem 19. Jahrhundert? Nein, das ist Realität! Wir kennen doch alle Situationen, in denen wir das Unheimliche spüren. Du stehst auf einem hohen Felsen, guckst in die Tiefe und spürst plötzlich diesen Sog, der dich nach unten zieht und musst ganz schnell weggehen, damit du dem Zwang nicht erliegst, dich vornüber zu beugen. Manche Menschen sind von Krimi­nalität fasziniert. Ihnen geht es nicht darum, Leuten Geld abzuluchsen, sondern sie fühlen sich von dem Unheimlichen angezogen, der Verlockung, die dem Kriminellen innewohnt.

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Oder der Abgrund der Depression: Alles finster zu sehen, alles schwarz zu malen, kann einen unglaublichen Sog entwickeln, der einen immer weiter in die Tiefe zieht. Irgendwann fängst du an, die Schwärze auszukosten und dich in der Negation zu suhlen. Im Freischütz steckt das alles drin. Und wie bringt man das Unheimliche auf die Bühne? Im Stück hat es ja seine Erscheinungsform in Gestalt von Samiel, dem Teufel. Zu Carl Maria von Webers Zeiten war das eine furchterregende Figur. Kann man ihn heute nur noch als Witzfigur auf die Bühne bringen? Nein, überhaupt nicht. Es kommt ja auch immer darauf an, was Witz bein­­­ haltet. Clowns können sehr böse sein. Der Arlecchino aus der Commedia dell’arte kann bestialisch lachen und hat in seiner Maske noch die Reste der Teufelshörner an der Stirn. Das vermeintlich Witzige kann sehr unheimlich sein. Aber der Witz hilft uns, in Distanz zu kommen zum Bösen. Ich finde, man darf den Zuschauern das Teuflische nicht distanzlos um die Ohren hauen wie in den humorlos aufgedonnerten Horrorfilmen. Der Witz verleiht dem Teufel Souveränität. Genau. Das beste Beispiel ist Mephisto. Fragst du einen Schauspieler, ob er lieber Faust oder Mephisto spielen will, wird er immer Mephisto wählen. Der sahnt nämlich ab beim Publikum. Ich selbst habe auf dem Theater immer gerne die abgefeimten, bösen Typen gespielt. Das stachelt die Schauspielerlust an. Ich kann es gar nicht genau erklären, worin die Faszination solcher Figuren liegt. Über Harlekine mit richtig bösem Humor haben die Leute geschrien vor Lachen, aber sie mussten auch damit rechnen, hingerichtet zu werden. Und die Teufelsdarsteller wurden nicht auf dem Friedhof begraben, sondern dahinter. Der Freischütz ist ein aufwendiges Aus­stattungsstück. Da gibt es Jäger, Gewehre, heruntergeschossene Adler, von der Wand fallende Ahnengemäl­de, Wolfsschluchtfelsen usw. Wie gehst du damit um? Ich räume das alles ab. Nicht nur im Freischütz, sondern immer in meinem Theater. Ich finde, dass man sich frei machen sollte von diesem ganzen

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Ballast, gerade in der Oper. Für mich ist der Sänger oder der Schauspieler der Mittelpunkt des Theaters. Er muss mit Energie aufgeladen sein, er muss Funken schlagen und nicht die Feuerwaffen-Abteilung. Für mich ist das die Grundsituation: Ein Darsteller singt oder erzählt eine Geschichte mit solcher Spannung und Konzentration, dass ich alles leibhaftig vor mir sehe. Dazu brauche ich keine Requisiten. Aus der Einfachheit des Theaters erwächst die Magie! Das ist ja gerade der Trick im Theater, dass die Zuschauer auf der Bühne Dinge sehen, die gar nicht pas­sie­ren. Und davon handelt ja auch der Freischütz, insbesondere in der Wolfsschlucht. Was heisst das konkret, wenn etwa im Freischütz geschossen wird und es keine Gewehre gibt? Der ganze Chor schreit «Peng!».

Das komplette Programmbuch können Sie auf So einfach, wie du sagst, ist dein Theater aber gar nicht. Was du auf die Bühne bringst, lebt auch von der Lust am Verschwenderischen: Du liebst www.opernhaus.ch/shop die grosse Körpergeste, spektakuläre Artistik, übertriebene Aussprache, opulente Kostüme. oder am Vorstellungsabend Foyer Immer wenn ich die Körper in einen Zustand des Überschwangs im bringe, wenn Energie vergeudet wird, entsteht etwas Spannendes. Die Schauspieler sagen manchmal mir: Herbert, wenn wir die ganze Zeit mit dieser extrem deszu Opernhauses erwerben hochgefahrenen Energie spielen, können wir am Ende nicht mehr. Ich sage aber: Wenn das Herz offen ist und man voll in den Wahnwitz geht, wird man am Ende noch viel mehr Energie haben als vorher. Da bauen sich grosse Glücksmomente auf, weil man spürt, wozu der Körper fähig ist, wie er strahlen kann. Ich bin total begeistert von den Solisten und dem Chor hier in Zürich, von der Kraft und der Lust und der Offenheit, mit der sich alle in die Arbeit schmeissen. Ich versuche immer die Trennung zwischen Musik und Schauspieldramatik aufzuheben. Von meinen Schauspielern erwarte ich, dass sie singen, wenn sie sprechen, und tanzen, wenn sie sich bewegen, und bei den Sängern umgekehrt. Wir haben hier viele Sänger im Ensemble, die Deutsch nicht als Muttersprache gelernt haben, was im deutschen Singspiel oft als Problem empfunden wird. Ich finde es aber gerade interessant,

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eine Norwe­gerin, einen Engländer, eine Französin, einen Bulgaren und einen Russen deutsche Dialoge sprechen zu lassen. Ich bin voller Respekt, mit wieviel Leiden­schaft sie sich den Texten widmen, und geniesse es, dass sie mit starkem Akzent sprechen. Sie bringen dadurch unglaublich viel an Persönlichkeit ein. Natürlich nehme ich sie streng in die Pflicht, was Aussprache, Betonung usw. angeht, aber da entsteht eine grosse Energie. Ist das nicht auch eine Form der viel beschworenen Integration, um mal einen Modebegriff der Gegenwart ins Feld zu führen? Im Schauspel wird ständig über migran­ti­ sches Theater diskutiert, in der Oper ist das selbstverständlich. Du propagierst ein direktes, um­stands­loses Theater, das die Dinge gerne Karl-Valentin-haft beim Wort nimmt. Das aber wird als sehr künstlich wahrgenommen. Wie ist das zu erklären? Ich hatte mal ein Schlüsselerlebnis, als ich die Traviata-Aufnahme aus der Scala mit der Callas und Di Stefano gehört habe. Da war ich an einer hochdramatischen Stelle regelrecht geschockt vor Ergriffenheit, als ob ich einen Verkehrsunfall erlebt hätte. Als ich die Aufnahme dann noch einmal mit Distanz gehört habe, ist mir klar geworden: Die Emo­tio­nen sind total gespielt, hergestellt, künstlich. Von da an wusste ich, dass das ganze method-acting, der vermeintliche Realismus, der aus tiefer emotionaler Einfühlung erwachsen soll, völlig ballaballa ist. Durch rein mechanische Vorgänge, die man ganz präzise und am besten übertrieben ausführt, entsteht wesentlich mehr. Ist es Realismus, wenn sich ein Schauspieler auf der Bühne eine Zigarette anzündet, ein Bier trinkt und dabei einen Monolog spricht, oder ist es realistischer, wenn einer den Text ganz bewusst in einer falschen, künstlichen Tonlage spricht? Es gibt ja diese typischen Situationen an den Schau­spielschulen: Der Schüler macht etwas Ungelenkes, und der Lehrer sagt: Das glaube ich dir jetzt nicht. Furchtbar. Anstatt dass man aus der interessanten Verrenkung etwas ent­wickelt! Das Theater ist künstlich. Ich kann die Worte «ehrlich» und «beschei­den» im Zu­sam­menhang mit dem Theater nicht hören! Wir sind doch auf der Bühne und nicht im Kloster! Und wir sind nicht ehrlich. Die Leute dürfen ruhig wissen, dass sie im Theater reingelegt werden. Theater ist Betrug! Wie Nietzsche in Jenseits von Gut und Böse sagt: Warum soll es immer um

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die Wahrheit gehen, warum nicht um die Unwahrheit? Die Leute sind von der Unwahrheit fasziniert, nicht von der Wahrheit. Theater lebt von der Verarschung. Wenn ich hinter die Bühne gehe, sehe ich ein Kulissenteil, auf dem «Wolfsschlucht» steht. Manche Leute glauben, du würdest dich lustig machen über die Stücke. Das ist aber gar nicht so. Nimmst du dieses Missverständnis in Kauf? Das muss ich. Ich kann den Zuschauern ja nicht vorschreiben, wie sie meine Stücke wahrzunehmen haben. Natürlich kenne ich das: Es gibt Leute, die un­ter­­stellen mir, ich würde puren «Klamauk» machen, und meine Bühnen sind nicht farbig, sondern «quietschbunt». Warum werden die Werke der mo­dernen bil­denden Kunst nie als quietschbunt beschrieben? Weil im Kontext von Theater immer noch Kategorien wie Wahrhaftig­keit und Bescheidenheit ins Feld geführt werden. Dann wird es natürlich schwierig, wenn man etwas Knalliges macht und Sachen überbetont. Das ist dann gleich eine Karikatur, und es wird gar nicht wahrgenommen, dass es zunächst Gestaltung ist, bewusste, klar gesetzte Gestaltung. Es ist der Versuch, das Gewöhnliche hinter sich zu lassen und in eine andere Welt vorzudringen. In deiner King Arthur-Inszenierung hier am Opernhaus gab es in der Premiere einen Zwischenruf. Einer hat vom Rang gebrüllt: «Geht’s auch mit Niveau?» Was hat sich deiner Meinung nach da Luft verschafft? Jeder hat einen anderen Begriff von Niveau, und der Zwischenrufer fand, dass sein Begriff missachtet wurde. Ich kann das nachvollziehen. Über der Oper liegt viel mehr noch als über dem Schauspiel eine Aura des Andächtigen mit diesen vielen eingespielten Ritualen. Die Kunst wird mit heiligem Ernst zelebriert, und – seien wir ehrlich – dieser Ernst überspielt manchmal auch eine gewisse Routine. Wenn man das mit Fratzenschneiden unterläuft, wird es als niveaulos empfunden. Die Konventionen zu stören, hat aber auch eine Qualität, man könnte auch sagen: Niveau. Aber halt ein anderes. Störung ist in unserer Welt nicht erwünscht. In unserer allgemeinen Coolness wird es als übertrieben und niveaulos empfunden, wenn einer zu zappeln anfängt. Bloss nicht ausrasten im Supermarkt, weil wieder mal nur eine Kasse besetzt ist! Immer blank face. Warum? 18


Womit wir wieder beim Freischütz wären: Auch Max soll immer schön in der Spur laufen und sich in die Realität der wohlgeordneten Försterwelt fügen. Und genau das macht ihn kaputt. Im Freischütz ist die Frage nach der Realität ein ganz wichtiges Thema. Das Auge, das für den Jäger so wichtige Sinnes­ organ, wird ständig getäuscht. Was ist Realität für Max? Für Agathe? Für Kaspar? Für uns? Und wer bestimmt eigentlich die Realität da draussen in der Welt? Wenn ich aus dem Fenster gucke, sehe ich Sachen, die ich nicht möchte. Also ist das nicht meine Realität. Ich will aber meine Realität! Als Künstler hast du das Privileg, dir auf der Bühne deine eigene Reali­tät zu schaffen. Ich finde, jeder sollte sich seine eigene Realität schaffen.

Das komplette Programmbuch können Sie auf www.opernhaus.ch/shop oder am Vorstellungsabend im Foyer des Opernhauses erwerben Das Gespräch führte Claus Spahn

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Was tun gegen Selbstzweifel? 1. Hinterfrage die Situation. 2. Höre auf zu grübeln. 3. Akzeptiere deine negativen Gedanken und Gefühle. 4. Sei du selbst und verstelle dich nicht. 5. Verbessere deine Körperwahrnehmung. 6. Freue dich an kleinen Erfolgen. 7. Umgib dich mit den richtigen Leuten. Aus einem Internet-Ratgeber

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MIT FRISCHEM BLICK Der Dirigent Marc Albrecht über die Interpretation einer Oper, die jeder gut zu kennen glaubt Marc Albrecht, gehört der Freischütz zu den Opern, bei denen man als Dirigent sofort zugreift, wenn man sie angeboten bekommt? Ich habe ganz früh zugegriffen, mit 28 Jahren, ausgerechnet in Dresden am Pult der Staatskapelle, wo der Freischütz zum Allerheiligsten gehört. Ich kam als Novize, habe – ganz ohne Proben – einige Repertoirevorstellungen dirigiert und festgestellt, dass es unter diesen Umständen nahezu unmöglich war, meine eigene Auffassung der Partitur auch nur annähernd durchzusetzen. Bei so bekannten Werken, die ganz tief in der DNA aller Beteiligten verankert sind, holt man sich als junger Dirigent schnell eine blutige Nase. Denn jeder – von den Musikern über den Chor bis zu den Solisten – weiss oder glaubt zu wissen, wie das Stück geht. Jeder pocht auf liebgewonnene Gewohnheiten, und viele neigen dazu, gar nicht mehr richtig hinzuhören. Um den Freischütz von dieser Routine wegzubekommen, braucht es einen knallharten Probenprozess, in dem alles auf den Prüfstand kommt – jedes Tempo, jeder Wechsel in der Artikulation, jede melodische Verbreiterung. Alles muss dem Partitur-­ Text neu abgewonnen werden und nicht irgendwelchen Konventionen. Das setzt natürlich auch beim Dirigenten einen gründlichen Überlegungsprozess voraus. Warum hast du jetzt ausgerechnet für Zürich zugesagt? Weil ich grosse Lust auf einen neuen Freischütz habe und sehr zuversichtlich bin, dass hier in Zürich bei allen Be­teiligten die Offenheit da ist, einen frischen Blick auf das Stück zu wagen. Hat sich dein Blickwinkel auf die Par­titur in der Zwischenzeit ver­ändert? Ja, sehr. Ich habe das gesamte Wagner- und Strauss-Repertoire dirigiert, viel Modernes und viele Opern, die stilgeschichtlich um den Freischütz herum

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liegen. Dadurch ist die Partitur für mich jetzt ganz anders in persönliche Er­fahrungen eingebettet. Ausserdem bin ich älter und hoffentlich reifer ge­ worden und kann heute viel freier mit rhetorischen Formulierungen in der Musik um­gehen. Das ist gerade im Freischütz wichtig, denn es gibt darin grosse, nicht notierte Gestaltungsspielräume, die man als Dirigent nutzen muss. Carl Maria von Weber hat oft nur das Notwendige niedergeschrieben und viele Details offen gelassen. Man sieht an seiner Hand­schrift, dass er bei aller Kühnheit der musikalischen Ideen sehr zügig gearbeitet hat. Vieles ist flüchtig notiert: Dynamikangaben findet man oft nur in einer Stimme, bei den parallel ver­dop­peln­den Instrumenten dann nicht mehr. Weber schreibt etwa «col fagotto», das heisst, die Anweisungen sollen auch für die mit­ laufenden Celli gelten. Und da, wo er tatsächlich ausnotiert, be­­ginnen dann die Streit­fragen: Gilt der Legato-Bogen in der Flötenstimme auch für die unisono geführten Violinen, ob­wohl er dort nicht notiert ist, oder ist diese Differenzierung genau so gewollt?

Das komplette Programmbuch können Sie auf www.opernhaus.ch/shop Und wie lautet die Antwort? Ich bin mir ziemlich sicher, dass Weber die unterschiedlichen Artikulationen oder am Vorstellungsabend im Foyer wollte. Diese Ausdifferenzierung führt zu einer spannenden Aufrauhung des Klangbildes. In der Wolfsschlucht etwa verlangt er an einer Stelle einen c-Moll-Akkord für das ganze Orchester im Fortissimo, nur die drei Posaunen des Opernhauses erwerben sind piano notiert. Man hört sie also eigentlich kaum, sie sind nur wie ein Schatten präsent. Das halten viele Di­rigenten für einen Notationsfehler. Aber ich bin überzeugt, dass Weber diese Dynamik ganz bewusst eingesetzt hat. Er wollte keinen durchhomogenisierten, polierten Klang.

Die Freischütz-Partitur lässt Beethoven und die Klassik hinter sich, führt uns mitten hinein in die Hochromantik und weist Komponisten wie Wagner und Berlioz den Weg. Geht dein interpretatorischer Blick eher von Wagner auf das Werk zurück oder von Beethoven aus voraus? Man muss beides im Blick haben. Die musikalische Dämonie, die Weber im Freischütz entwickelt, war für die damalige Zeit unglaublich innovativ, ein Geniestreich. Es gibt Klänge, Naturlaute, die bis zu Gustav Mahler vor­­aus­-

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weisen, und das muss man in einer Aufführung auch hören. Ich finde es spannend, solche Momente expressiv zu­gespitzt zu spielen, mit all unserem Wissen um die klanglichen Möglichkeiten des modernen Orchesters. Dem­ gegenüber zeigt die Musik allerdings auch eine grosse Einfachheit, wenn das amabile, das Kantable und Liedhafte sich ausspricht. Auch dem muss man ge­recht werden mit wenig Vibrato im Streicherklang, fliessenden Tempi und schönen agogischen Momenten. Es ist enorm, welche Breite des Ausdrucks Weber im Freischütz angelegt hat, und jede Sphäre braucht ihren eigenen Stil, ihren eigenen Tonfall. Ich möchte das noch unterstützen, indem ich die dramatischen Teile mit voller Be­setzung, die liedhaften aber mit reduzierter Streicherbesetzung spielen lasse. Wo es geboten ist, muss man alles an Dramatik mobilisieren, und wo die Partitur in zarten Pastelltönen malt, mit Leichtigkeit und Transparenz agieren. Worin besteht denn der, wie du sagst, Geniesteich, der Weber im Frei­ schütz gelungen ist? Was macht die Wolfsschlucht so besonders? Weber ist es hier faszinierend gelungen, die Farbe Schwarz in Klang zu ver­wandeln. Das Unheil scheint bereits in der Ouvertüre auf, greift dann Raum in der grossen Max-Arie und entwickelt einen immer stärkeren Sog. Es sickert regelrecht in das Stück ein, und in der Wolfsschlucht merkt man dann, wo die Reise ihr Ziel hat. Dieses schwärzes­­te Schwarz, das Weber in der Wolfsschlucht geschaffen hat, hat damals alle verzückt – Berlioz, Wagner und viele ande­re mehr. Verblüffend dabei ist: Weber erzeugt die Dämonie mit ein­fachs­ten Mitteln. Fis-Moll, tiefe Klari­net­ten und Posaunen haben auch schon andere Komponisten verwendet. Aber ihre Kom­bination ist hier unerhört. Weber verbindet die hohlen Töne der Klarinetten und die Pizzicati von Celli und Bässen mit einem erstickten Paukenklang, und sofort kriegt man Gänsehaut. Die Hörner stehen eigent­lich für Naturklang und Jägerstolz, aber in der Wolfsschlucht beginnen sie plötzlich fratzenhaft zu quieken. Oder der Charakter des Kaspar: Er ruft den Teufel an – eine unglaubliche Anmassung ei­ gentlich –, und der kommt tatsächlich. Weber fasst dann den enormen Druck, unter dem Kaspar steht – seine Lebenszeit läuft morgen ab – in Töne: Die Musik beginnt zu stammeln und zu haspeln, kaum eine Note erklingt mehr

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auf der «Eins», dem Schwer­punkt des Taktes. Das metrische Gefüge kippt total aus der Balance. Nur Samiel setzt mit seinen Worten kräftige «Einsen» – eine Demonstration von Ruhe und Macht. Grossartig, welche ex­tremen Zustände Weber da mit einfachsten musikalischen Mitteln kreiert. Vor 200 Jahren war die Wolfsschlucht ein Faszinosum. Wie ist das heute? Können wir aufgeklärten modernen Menschen das Unheimliche des Waldes überhaupt noch nachvollziehen? Man muss nur einmal selbst in die Berge gehen und kann erleben, dass Natur auch Gewalt und Bedrohung bedeuten kann. Wer je im Hochgebirge in ein Gewitter geraten ist, weiss, was ich meine. Der Mensch sieht sich plötzlich schutzlos mit einer lebensbedrohlichen, feindlichen Kraft konfrontiert. Das, was eben noch idyllisch war, schlägt um, sodass man denkt: Es geht doch nicht mit rechten Dingen zu! Und sind nicht grosse Gletscherspalten tatsächlich der Eingang zur Unterwelt?

Das komplette Programmbuch können Sie auf Suchstwww.opernhaus.ch/shop Du selbst solche Erfahrungen? Ja, ich finde, es tut gut, wenn man sich diesen elementaren Kräften immer mal oder am Vorstellungsabend im ist.Foyer wieder ausliefert, um sie zu spüren. Am besten, wenn man ganz alleine Dann kann man auch viel über sich selbst lernen. Es gibt im Gebirge keine Sicherheit, wir sind dort bestenfalls nur geduldet. desundOpernhauses erwerben Der Komponist Hans Pfitzner schrieb, die Hauptperson des Freischütz sei der deutsche Wald. Adorno hat dieser Naturverklärung, Elias Canetti zitierend, ein anderes Bild vom deutschen Wald entgegengesetzt, indem er «das Rigide und Parallele der aufrecht stehenden Bäume» und den «marschierenden Wald» auf den Freischütz bezog. Die Frage nach dem Wald war im 20. Jahrhundert immer wieder eine Kampfstätte interpre­ta­ to­rischer Auseinandersetzungen. Ist sie das heute auch noch? Ach ja, der Wald. Ich bin, ehrlich gesagt, froh, dass der nun nicht mehr so im Vordergrund steht. Ob der Wald auf der Bühne steht oder nicht, spielt für den Abend keine entscheidende Rolle. Ich halte das Thema für ausgereizt. Das Stück hat glücklicherweise sehr viel mehr Facetten.

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Und der andere Kampfplatz: Die Frage nach dem Deutschen und Nationa­len im Freischütz? Ist die für dich heute noch von Relevanz? Herbert Fritsch hat zu Probenbeginn den Harald-Schmidt-Witz erzählt: Was wird gespielt, wenn in der Theaterkantine alle in SS-Uniformen herum­sitzen? Richtig: Der Freischütz! Das hat mir gut gefallen, denn das sagt viel über die Freischütz-Rezeption der vergangenen vierzig Jahre aus. Ich glaube, man muss die Diskussionen um das Deutsche in dieser Oper kennen, um sich davon frei machen zu können. Wir haben genug Deutungen erlebt, die das thematisiert haben. Muss man den Freischütz deutsch dirigieren? Du bist ja ein deutscher Dirigent. Für mich ist das keine Kategorie. Ich wüsste gar nicht, wie das gehen soll. Mehr Pathos? Mit mehr Nachdruck? Deutsche Tiefe? Was soll das sein? Ich habe das Gefühl, dass das Stück oft zu schwerfällig gespielt wird. Das hat mich immer gestört, denn da geht sehr viel verloren. Die Ausdifferenzierung der Sprache als Ausdrucksmittel bei­spiels­weise ist im Freischütz unglaublich reich. Es gibt hier viel mehr, als den gesprochenen Dialog und die klassische Arie. Das Rezitativ ermöglicht vor allem Max und Agathe Momente beson­ derer Ausdrucksfreiheit: das Tempo richtet sich hier allein nach dem Ausdruck des Textes, die Sänger sollen wirklich frei und unabhängig vom Orchester phrasieren. Dann das Melodram, das einen wichtigen Teil der Wolfsschluchtszene darstellt, als ausserge­wöhn­liches Moment der Interaktion von Text und Musik, und es gibt das Lied. Weber arbeitet also mit einer maximal grossen Palette an Ausdrucksformen der menschlichen Stimme. Die muss man musikalisch nutzen. Wir sprachen über die existenziellen Abgründe des Unheimlichen, die sich im Freischütz auftun. Aber am Ende wenden Weber und sein Librettist Friedrich Kind das Stück wieder ins Geordnete und Gott­gläubige. Ist dieser Schluss glaubwürdig? Die Oper handelt von Versagensangst und Einsamkeit. Max wird von der Gesellschaft aussortiert, schon bevor er den Skandal des nächtlichen Kugelgiessens

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gesteht. Misserfolg macht einsam. Max wird aus der Gemeinschaft verbannt, und Fürst Ottokars «Hinweg, hinweg aus meinem Blick» markiert für mich den eigentlichen Schluss des Stücks. Ein böser Schluss. Was danach kommt, wirkt auf merkwürdige Weise angehängt. Der Eremit erscheint und macht einen Vorschlag zur Beilegung des Konflikts, der auch irgendwie vergiftet ist. Das Probejahr, das er vorschlägt, wird sicher kein Erfolg. Dafür offenbart die Freischütz-Ge­sellschaft zu viele üble Züge: Sie besitzt einbetonierte hierarchische Strukturen und Obrigkeitsdenken, enormes Aus­grenzungspotenzial, Häme und Schadenfreude. Max bleibt stigmatisiert, und auch das Paar hat schweren Schaden genommen. Sie müssten wohl anderswo ganz von vorn beginnen.

Das komplette Programmbuch Der ins Positive gewendete Schluss ist eine Konzession an die politische Situation der Uraufführungszeit. Weber und Kind mussten Rücksicht können Sie auf nehmen auf das reaktionäre Klima der Metternich-Zeit. Die Gesellschaft durfte in ihren Grundfesten nicht in Frage gestellt werden. Die Volkssage, diewww.opernhaus.ch/shop als Vorlage des Librettos diente, endet nicht gut: Agathe wird tatsächlich erschossen und Max landet im Irrenhaus. oder am Ende Vorstellungsabend im Foyer Das schwarze zu schreiben, haben sich Weber und Kind nicht getraut. Aber die Umkehrung ist wenig überzeu­gend. Ich finde, das Stück erholtdes sich nichtOpernhauses mehr von dem Knacks des Ausgrenzungsurteils, das über erwerben Max ge­sprochen wird. Und es ist gossartig, dass Weber in seiner Musik doch dazu Stellung bezieht. Die Freischütz-Welt be­wegt sich harmonisch den ganzen Abend über in C-Dur, F-Dur, dem E-Dur von Agathe, dem D-Dur der Volksszenen und dem fis-Moll der Wolfsschlucht. Und dann kommt im dritten Akt plötzlich nach dem Auftritt des Eremiten das in diesem harmonischen Umfeld sehr weit entfernte H-Dur! Die Tonart wirkt an dieser Stelle und im Kontext des Stücks total entrückt. Max und Agathe singen von der neuen Chance, die ihnen nun gegeben wird. Aber Weber wählt dazu den schwankenden 6/8 Takt in einer «unerreichbar» fernen Tonart. Da fliegt das Stück weg und mit ihm jede Hoffnung. Die vermeintliche Harmonie des grellen C-Dur, das ganz am Ende steht, bleibt Behauptung. Das Gespräch führte Claus Spahn 31


Es zog der wilde Jägersmann Sein grasgrün neues Röcklein an; Nahm Ranzen, Pulverhorn und Flint’ Und lief hinaus ins Feld geschwind. Er trug die Brille auf der Nas’ Und wollte schiessen tot den Has. Das Häschen sitzt im Blätterhaus Und lacht den wilden Jäger aus. Aus dem «Struwwelpeter»


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DAS GRAUEN UND DAS LACHEN In der Wolfsschlucht herrscht das Grauen. Aber wo das Grauen herrscht, ist auch das Lachen nicht weit. Eine kleine Dämonologie des Grauens und des Lachens. von Georg Seesslen

Vor langer, langer Zeit lebte in den Menschen ein Dämon. Er war fest eingeschlossen und hielt sich ruhig, bis zu jenem verhängnisvollen Tag, an dem die Menschen glaubten, vom Baum der Erkenntnis essen zu müssen. Keine gute Idee. Ein schlecht gelaunter Kerl mit einem Flammenschwert trieb sie hinaus, damit sie Fleiss und Industrie entfalteten, Kapital und Arbeit, und jede Menge Ärger mit der Rollenverteilung. Aber das war noch nicht das Schlimmste. Das Schlimmste war, dass sich der eingeschlossene Dämon befreite. Wie konnte er das? Indem er sich teilte. Was einst ein umfassendes und mehr oder weniger schlummerndes Wesen war, das wurde nun zwei. Der eine Dämon nannte sich: Das Lachen. Der andere: Das Grauen. Das Lachen und Das Grauen wussten natürlich, dass sie ursprünglich ein einziges, richtig geiles Dämonendings gewesen waren, und dass sie das nie wieder werden würden. Das machte sie ganz wild. Unglücklich. Deprimiert. Zornig. Und böse. Vor allem böse. Das Lachen und das Grauen wussten nicht, ob es besser wäre, sich irgendwann wieder zu vereinen, oder wenn einer den anderen verjagen würde. Wenn das Lachen die Menschen schüttelt, soll das Grauen verjagt sein. Und wenn das Grauen sie packt, soll für das Lachen kein Platz sein. Geklappt hat natürlich weder das eine noch das andere. Die Nachkommen von Adam und Eva nannten dies «das unglückliche Bewusstsein». Es wurden viele kluge Bücher darüber geschrieben, aber die Fragen waren nicht zu beantworten: Sollen wir über die Welt lachen oder uns vor ihr grauen? Soll ich über mich selbst lachen oder soll es mir

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vor mir selber grauen? Soll es mir vor mir selbst grauen, damit ich über die Welt lachen kann? Oder soll es mir vor der Welt grauen, damit ich über mich selbst lachen kann? Schon die Grammatik wird zum Problem. Und weil die Grammatik von Grauen und Lachen nie einen vernünftigen Aussagesatz zu bilden imstande war, suchte man sich parallele Dinge, Wesen und Welten, auf die man die verdammten zwei Dämonen loslassen konnte: Götter, Karneval, Opern… Seitdem ist immer was los, wenn es um das Lachen und um das Grauen geht. Nur mit der Erlösung will und will es nicht klappen.

Es gibt jede Menge Modelle, das vielleicht verbreitetste (und leider auch trivial­ ste) lautet: Das Grauen ist das Problem, und das Lachen ist die Antwort. Es gibt ein Ich, das dem Grauen das Lachen gegenüber stellt. Dann haben wir entweder einen lachenden Helden, oder einen Helden, der einen Lachen-Macher bei sich hat. Das Böse will den Helden Angst machen. Da Helden vor bei­nahe nichts Angst haben, muss es schon das Grauen sein. Das Grauen hat drei Ursachen: Das, wovor man Angst hat, ist nicht von dieser Welt (Himmel und Hölle brechen herein). Das, wovor man Angst hat, übersteigt das menschliche Mass (Können dies wirklich Menschen anderen Menschen antun?). Das, wovor man Angst hat, ist selbstwidersprüchlich (Wurde jener zum Schlächter, gerade weil er den Menschen Gutes bringen wollte? Ist jener Mensch, den ich am meisten begehrte, der, den ich am meisten fürchten muss?). Dummerweise aber steckt in der Verkörperung des Grauens (die immer eine Abmilderung ist, denn das eigentliche, das richtige Grauen hat kein Bild und keinen Namen) immer auch wieder das Lachen. Entweder lacht das Monster – es tendiert dazu, schrill, laut und unaufhörlich zu lachen –, oder es ist selbst zum Lachen. Der Killerclown ist eine aktuell beliebte Figur des lachenden Grauens. Natürlich verhält es sich auch andersherum. Was treibt einen lachenden Helden denn in der Welt herum? Warum bestellt er nicht seine Felder und liest am Abend die Zeitung? Warum sucht er die Gefahr, die ihn zum Lachen bringt? Genau. Weil ihn das Grauen treibt. Weil ein Held das Grauen lieber vor sich hat als in sich. Klar, dass wir von hier aus ein dialektisches Modell entwickeln: Grauen

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und Lachen überwinden einander, indem sie sich aufheben. Sie bezwingen einander nur, indem sie sich perpetuieren. Man mag zudem nach einem Umschlag­ punkt suchen: Wer einfach nicht mehr aufhören kann zu lachen, erregt Grauen. Wer so viel Grauen akkumuliert, dass ihn nicht einmal die Götter beruhigen können, muss lachen.

Grauen und Lachen entstehen aus dem Mythos und sind subjektive Empfindungen. Das eine hat mit dem anderen zu tun. Ich könnte mein Grauen nicht benennen, wenn es dafür nicht Vorbilder gäbe. Ist dies nicht ein grauenvoller Zusammenhang? Mir graut, weil anderen schon vor mir gegraut hat. Lachen und Grauen sind nicht nur in Mythos und Subjekt verborgen, sondern es sind auch Kulturtechniken. Es gibt ein Lachen, das verbindet, und eines, das trennt. Ein Friedenslachen und ein Kriegslachen. Es gibt ein Grauen, mit dem man allein nicht zurechtkommt, und ein anderes, das wohlige Schauer macht. Zeit, das Lager­feuer zu entzünden. Und grausige Geschichten zu erzählen. Lachen und Grauen sind da, schon länger als es Menschen gibt, wie wir sie kennen; Lachen und Grauen sind in jedem Menschen; Lachen und Grauen müssen aber auch gelernt werden. Wer darf wann und unter welchen Umständen über etwas lachen? Und wer darf sich wann und unter welchen Umständen vor etwas grauen? Lachen und Grauen müssen kontrolliert werden. «Erwachsen» und «frei» ist, wer Lachen und Grauen kontrollieren kann. Weil niemand je wirk­lich erwachsen und frei wird, müssen wir («die Gesellschaft», «der Staat») ein wenig nachhelfen. Eine Gemeinschaft besteht aus Menschen, die miteinander lachen und sich miteinander grauen. Eine Gesellschaft muss mehrere Lachkulturen und mehrere Kulturen des Grauens in sich vereinen. Leicht ist das nicht.

Lachen und Grauen haben die selben Ursachen, meistens. Etwas ist nicht, was es scheint. Etwas ist undeutlich und uneins, nicht gestern und nicht heute, nicht da und nicht fort, nicht gesagt und nicht beschwiegen, nicht Bild und nicht Zeichen. Etwas, das ganz sein sollte, ist nur in Teilen da (Splatter) und etwas, das in Teilen funktionieren sollte, tut es als Ganzes nicht (Slapstick). Lachen

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und Grauen erheben sich, wo die Sinnsysteme Lücken aufweisen. Sie treten auf, wo Menschen mit grössten Mühen Sinn herzustellen versuchen. Alle Menschen, deren Beruf es ist, Sinn herzustellen, gibt es in einer lächerlichen und in einer grauenhaften Variante. Das Böse versucht, das Zerbrochene von Lachen und Grauen auf seine Weise wieder herzustellen. Es bastelt, wo Götter schöpfen. Aber meistens ist es nicht so einfach. Das Grauen im Herz der Finsternis ist so jedenfalls nicht zu erklären. Na klar! Das Verdrängte! Lassen Sie mich doch in Ruhe mit dem Verdrängten. Da lache ich doch. Da graust es mir. Der kluge Mann mit der Couch aus Wien hat freilich auch nur einen neuen Begriff für den Ort gefunden, an dem sich Grauen und Lachen im Geheimen verabreden, um zu sehen, ob sie es nicht doch noch einmal miteinander versuchen.

Das komplette Programmbuch können Sie auf Es ist vernünftig, das Grauen und das Lachen ernst zu nehmen. Das fällt uns zunehmend schwer. Es ist einfach zuviel von dieser «Ironie» unterwegs. Es gibt Leute,www.opernhaus.ch/shop die glauben, dass man das Lachen und das Grauen in Ironie auflösen könnte. Als könnte man über das lachen, worüber man lachen soll. Lachzwang oder am Vorstellungsabend Foyer für die niederen Stände! Ironie für die kulturell Bessergestellten!im Nein, sagen die beiden Dämonen (sie sind sich eben dann doch in vielem einig), so wird das nichts! Wir lassen uns von euch keinen dritten Dämon aufschwatzen, dieses des Opernhauses erwerben Dämönchen namens Ironie verspeisen wir bei der kleinsten Krise, ihr postmodernen Heuchler. Weil es nämlich keineswegs so ist, dass das, worüber man lacht, etwas ist, das man nicht ernst nimmt. Mit solchen Rationalisierungen kommt man den Dämonen nun wirklich nicht bei. Das Grauen liegt jenseits der Angst, und das Lachen liegt jenseits der Lust.

Das Lachen will hinaus. Es explodiert und steckt an. Es ist, sagt man, einem Or­gasmus verwandt. Gott, wie peinlich! Das Lachen verrät einen ja immer, hören Sie sich doch dieses hysterische Gekicher der Weiber an, oder das dumpfe männerbündische Höhöhö. Da lache ich doch lieber gleich gar nicht, wenn Lachen einen so entblösst.

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Das Grauen will hinein. Es implodiert und macht einen stumm. Es ist, sagt man, einem Tod verwandt. Hölle, wie schrecklich! Das Grauen verrät einen ja immer, sehen Sie dieses Kreischen vor der Maus, diese Angst vor der Mutter. Das Grauen zersetzt den Körper. Im Lachen spielt das Es, im Grauen das Über-Ich verrückt. Vielleicht ist es auch umgekehrt. Jedenfalls wird Lachen leicht Musik, und Grauen wird leicht Text. Während sich also im Vordergrund auf der Bühne Lust und Angst begegnen, balgen sich im Hintergrund Lachen und Grauen. (Auch das kann man natürlich einmal herumzudrehen versuchen.) Kein Wunder, dass die Katastrophe auf der Bühne als Erlösung gesehen wird. Erst einmal. Das Happy End von Lachen und Grauen ist meistens fad. Oder es ist eigentlich gar keines. Denn dies ist der Stand des unglücklichen Bewusstseins: Dass der Mensch dringend sein Lachen und sein Grauen zusammenbringen muss. Und dass dabei fast nie etwas Gescheites herauskommt. Es sei denn, dieses Bewusstsein wäre seines eigenen Unglücks, nun ja, bewusst. So entsteht die Poesie des Lachens. So entsteht die Poesie des Grauens. So entsteht die Poesie der unversöhnbaren Einheit von Lachen und Grauen.

Die Verteilung von Lachen und Grauen ist auch eine Frage der Macht. Das Lachen den Mächtigen, das Grauen den Ohnmächtigen, so hätten sie es gern. Das Lachen wie das Grauen sind auch als Waffen zu gebrauchen. Leute, die gelernt haben, die beiden Dämonen als Kulturtechniken zu domestizieren, konnten auch lernen, dass sich in Lachen und Grauen Machtverhältnisse abbilden lassen. Das geht auf sehr einfache Weise, im Lachen über des Kaisers neue Kleider, oder im Grauen vor dem Vampir, der eigentlich die rachsüchtige Wieder­ kehr des entmachteten Fürsten ist. Aber es wird immer komplizierter, je feiner man die Waffen justiert. Wenn man sie beide in Bezug miteinander einsetzt, bekommt der gespaltene Dämon einen neuen Namen. Er heisst jetzt: Kritik.

Aber vergesst die Gefühle nicht. Und vergesst die Körper nicht! Ist es nicht so, dass man sich beides mal, im Lachen wie im Grauen, «angefasst» fühlt? Etwas

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Körper­loses greift nach dem Körper: es streicht über die Oberfläche, es piekst, es kitzelt, es reisst. Der Körper kann nicht einer bleiben unter dem Anfassen dieser Dämonen. Er macht die Spaltung der Dämonen nach. Was lacht und was graut, will sich lösen. So muss aus dem Lachen wie aus dem Grauen jeweils ein Genre werden. Im Genre sind diese drei Dinge, der Mythos, die Wahrnehmung, der Körper, aufgehoben; auf eine Poetik von Lachen und Grauen folgt eine Semantik. Wir können das Lachen nicht und nicht das Grauen vollständig kontrollieren und «kultivieren». Aber mit den Zeichen des Lachens und mit den Zeichen des Grauens ist das etwas anderes. Ja, so müsste es gehen: Das Lachen und das Grauen werden an die semantische Leine des Genres genommen. Da weiss man, was man darf, was man soll, was einen erwartet. Und dass man immer wieder zurück kann. Denn Lachen und Grauen sind immer auch epidemisch. Sie wollen sich in der Zeit ausdehnen. Man kann einfach nicht aufhören zu lachen und sich zu grausen. Es ist mächtiger als ich. Es überkommt mich. Es ergreift Besitz von mir. Es ist die Frage, ob die Androiden, Roboter, Postmenschen nicht lachen und nicht sich grausen dürfen, oder ob sie beides lernen müssen, um wirklich die Geschichte der Menschen fortsetzen zu können. Algorithmen lachen nicht. Drohnen graust vor nichts. Daran müssen wir noch arbeiten. Am Tag, als der paranoide Androide zum ersten Mal schallend lachte, begann es ihn vor seiner Zukunft dermassen zu gruseln, dass er den Selbstzerstörungsmechanismus aktivierte. Tricky, nicht wahr? Es bedeutet: Das Grauen und das Lachen gehören zum Menschen; sie machen ihn erst dazu. Wir sind in unserer Geschichte durch Lachen und Grauen verbunden. In Bruch und Kontinuität.

Das komplette Programmbuch können Sie auf www.opernhaus.ch/shop oder am Vorstellungsabend im Foyer des Opernhauses erwerben Der deutsche Buchautor, Filmkritiker und Essayist Georg Seesslen schreibt für DIE ZEIT, SPIEGEL, taz, Jungle World und andere. Er hat Bücher über Kinoregisseu­re wie David Lynch, Quentin Tarantino, Lars von Trier und Michael Haneke ver­ öffentlicht und ein Buch über die Geschichte und Mythologie des Horrorfilms geschrieben.

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WEBERS SCHWUNG Schwung und Verblendung sind im Freischütz einander nicht fern. Will der Klassizismus durch die Einheit thematischer Arbeit die Totale als sinnvoll rechtfertigen, so hat demgegenüber der Webersche Schwung schon etwas Blindes wie die späteren Ideen vom Willen und vom Leben, und kommt dadurch dem Dämonischen des Vorwurfs zugute; er entrollt grundlos und ziellos sich selbst wie das Rad in der Wolfsschlucht. Der Webersche Schwung definiert in Wahrheit bereits die hundert Jahre spätere Reaktionsform von Richard Strauss. Beethoven, der dynamische Komponist schlechthin, kennt eigentlich kaum etwas dem Verwandtes. Leben als bewusster Drang übernimmt sich permanent; in seinen grossen Sprüngen hat es schon den Sturz in sich. Aus Theodor W. Adorno: «Bilderwelt des Freischütz»

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BLUT QUOLL ÜBER IHR GESICHT Nun dann – rief der Commissar – Courage, Herr Förster, schiessen Sie! Der Schuss fiel, und in demselben Augenblick stürzte Käthchen mit einem lauten Schrei zu Boden. Wunderliches Mädchen! – rief der Landjägermeister – und hob Käthchen auf, aber ein Strom von Blut quoll über ihr Gesicht, die Stirn war zerschmettert, eine Büchsenkugel lag in der Wunde. Was ist? – rief Wilhelm – als lautes Geschrei hinter ihm ertönte. Beim Zurückblicken sah er Käthchen todtenbleich in ihrem Blut. Neben ihr stand der Stelzfuss und mit höllischem Hohnlachen grinste er: Sechzig treffen, drei äffen. Wilhelm riss wüthend seinen Hirschfänger aus der Scheide, und hieb nach dem Verhassten. Verfluchter – schrie er verzweifelnd – so hast du mich getäuscht? Mehr konnte er nicht sprechen, denn er sank besinnungslos neben der blutenden Braut zu Boden. Der Commissar und der Pfarrer suchten vergebens, den verwaisten Eltern Trost zuzusprechen. Mutter Anna hatte kaum der bräutlichen Leiche den prophetischen Todtenkranz auf die Brust gelegt, als sie den tiefen Schmerz in der letzten Thräne ausweinte. Der einsame Vater folgte ihr bald. Wilhelm beschloss sein Leben im Irrenhause.

Das komplette Programmbuch können Sie auf www.opernhaus.ch/shop oder am Vorstellungsabend im Foyer des Opernhauses erwerben Der Schluss der Freischütz-Sage aus dem «Gespensterbuch» von Johann August Apel, die als Vorlage für die Oper diente.

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ICH DREHE DAS SPIEL UM Wir trafen uns sehr bald; wir sprachen das Hundertste ins Tausendste. Endlich äusserte er: wir würden uns schon näher treten; ich müsste ihm ein Singspiel oder eine Oper dichten. Ich musste lachen; so manches ich schon versucht hatte, etwas dieser Art war mir nie in den Sinn gekommen. Aber der Einfall war für mich reizend, und es ist stets meine Meinung gewesen, ein Dichter müsse alles ins Werk setzen können. Ich gestand ihm offen, dass ich kaum die Noten kenne; er meinte, das sei ihm gleich! «Und was?» – Ich hielt ihm das Gespensterbuch hin. «Apels Freischütz!» er kannte ihn, er war ergriffen. «Herrlich! Herrlich! Nur –» Wir brachten nun gegeneinander vor, was sich sagen liess – dass man vielleicht nirgends die Aufführung wagen werde, denn freilich herrschte damals auf den Bühnen eine strengere Censur; dass der doppelte Untergang der Liebenden als Schluss allzu tragisch sey; dass man uns der Beförderung des Aberglaubens beschuldigen werde; dass die Aufopferung der Unschuld mit der Schuld als unmoralisch gelten könne, usw. Dies schmerzlich bedauernd, doch ohne eine Wahl zu treffen, schieden wir voneinander. Doch die Freikugel hatte auch mich schon getroffen; mein Herz schlug unruhig, ich rannte in der Stube auf und ab, ich berauschte mich in Waldeslust und Volkston. Endlich dämmerte die Morgenröthe, das Tagesgestirn trat hinter Nebeln hervor. Ich lief zu Weber. «Ich dichte Ihnen den Freischützen! Mit einem Teufel selbst nehm’ ich’s auf! Ich drehe das ganze Spiel um! Nichts Modernes; wir leben nach dem dreis­sig­jährigen Kriege, tief im Böhmischen Waldgebirg! Ein frommer Einsiedler ist mir erschienen! Die weisse Rose schützt gegen den höllischen Jäger! Die Unschuld hält den wankenden Schwachen aufrecht! Der Orkus liegt unter, der Himmel triumphirt!» Ich setzte Webern den entworfenen Plan auseinander; wir fielen einander jubelnd in die Arme; wir riefen scheidend: «Unser Freischütz hoch!» Aus dem «Freischützbuch» des Librettisten Friedrich Kind über das erste Zusammentreffen mit Carl Maria von Weber. 48


DER UNBEHAUSTE MENSCH Weber hat schon im Libretto angelegte Eigenschaften musikalisch überhöht: So wird das Gute in Agathe zur Hymne gesteigert, das Böse in der Welt von Samiel/Kaspar in die Allgegenwart des verminderten Septakkordes gebannt. Was Max in seiner Gefährdung während des Freikugelgiessens in der Wolfsschlucht für jedermann ersichtlich erlebt, widerfährt letztlich sogar Agathe in der Abgeschlossenheit des Försterhauses: die Konfrontation mit der Unbehaustheit des Menschen. Da schiesst Weber über das Biedermeier in die Moderne vor. Und die C-Dur-Diatonik des Eremiten wird in ihrer Plakativität durchscheinend für die Unerlöstheit, die seine Botschaft des Vergebens insgeheim mitprägt.

Das komplette Programmbuch können Sie auf www.opernhaus.ch/shop oder am Vorstellungsabend im Foyer des Opernhauses erwerben Aus Ulrich Schreiber: «Die Geschichte des Musiktheaters»

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UNFREIE EXISTENZEN Die Menschenwelt im Freischütz ist eine tief unfreie Welt. Sie setzt die totale Unterordnung voraus: im Gebet wie im Gehorsam. Bürgerliche Aufklärung suchte sich gegen solche Unterjochung durch Gelächter zu wehren. Sie traf damit aber bloss den Aberglauben, herabstürzende Ahnenbilder und den Vorüberzug der Wilden Jagd. Das wahrhaft Unheimliche jedoch wurde nicht durch Gelächter gebannt: Die Hierarchie von Untertänigkeiten, die vollkommen unfreie, total gebundene Existenz. Gott, Fürst, Oberförster. Wie soll da ein Glück erblühen für Max und Agathe? Der Freischütz bringt eine vergangene absolutistische und verstörte Wirklichkeit auf die Bühne. Verwüstetes Land und verwirrte Gemüter. Unfreiheit im Stufenbau der Autoritäten.

Das komplette Programmbuch können Sie auf www.opernhaus.ch/shop oder am Vorstellungsabend im Foyer des Opernhauses erwerben Aus Hans Mayer: «Wer hat gut lachen im Freischütz?»

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DER FREISCHÜTZ CARL MARIA VON WEBER (1786-1826) Romantische Oper in drei Aufzügen Libretto von Friedrich Kind Uraufführung: 18. Juni 1821, Königliches Schauspiel Berlin Dialogfassung Opernhaus Zürich Personen

Ottokar, böhmischer Fürst

Bariton

Kuno, fürstlicher Erbförster Agathe, seine Tochter

Bass

Sopran

Ännchen, eine junge Verwandte Kaspar, erster Jägerbursche Max, zweiter Jägerbursche Ein Eremit

Tenor

Bariton

Samiel, der schwarze Jäger Vier Brautjungfern

Sprechrolle

Soprane

Sprechrolle

Zweiter Jäger

Bass

Bass

Kilian, ein reicher Bauer

Erster Jäger

Sopran

Sprechrolle

Chor

Jäger und Landleute


ERSTER AUFZUG

KILIAN

Schau’ der Herr mich an als König! Dünkt Ihm meine Macht zu wenig? Gleich zieh Er den Hut, Mosje! Wird Er, frag’ ich, he, he, he?

OUVERTÜRE

MÄDCHEN aushöhnend, Rübchen schabend, mit den Fingern auf Max deutend

NR. 1 – INTRODUKTION

Hehehehehehehehehehe!

Platz vor einer Waldschenke, sogenanntem Schenkgiebel. Im Hintergrund eine Vogelstange, von Volksgetümmel umgeben. Böhmische Bergmusik.

MÄNNER

Wird Er – frag’ ich? Wird Er – frag ich? Gleich zieh Er den Hut, Mosje! Wird Er, frag’ ich, wird Er, hehehe?

ERSTER AUFTRITT

KILIAN

Kilian. Max. Landleute.

Stern und Strauss trag’ ich vorm Leibe! Kantors Sepherl trägt die Scheibe! Hat Er Augen nun, Mosjeh? Was traf Er denn, he, he, he?

Max sitzt allein im Vordergrunde an einem Tisch, vor sich den Krug. Bald nach dem Aufgehen des Vorhangs fällt von Kilians Büchse ein Schuss, und das letzte Stück einer Sternscheibe fliegt herunter.

Chor wiederholt die letzten Zeilen Kilian jauchzt auf. KILIAN

Darf ich etwa Eure Gnaden ’s nächste Mal zum Schiessen laden? Er gönnt andern was, Mosje! Nun, Er kommt doch, he, he, he?

CHOR DER LANDLEUTE

Viktoria! Viktoria! Der Meister soll leben, Der wacker dem Sternlein den Rest hat gegeben! Ihm gleichet kein Schütz von fern und von nah! Viktoria! Viktoria! Viktoria!

Chor wie oben Allgemeiner Jubel. Die Stange wird herabgelassen. MAX

Lasst mich zufrieden, oder –!

MAX

Schreit nur! Schreit! War ich denn blind? Sind denn die Sehnen dieser Faust erschlafft?

ZWEITER AUFTRITT Kuno. Kaspar und mehrere Jäger. Die Vorigen.

Es ordnet sich ein Zug. Voran die Musikanten, den folgenden Marsch spielend; dann Bauernknaben, die das letzte Stück der Scheibe auf einem, alten Degen und mancherlei neues Zinngerät als Gewinn tragen. Hierauf Kilian, als Schützenkönig, mit gewaltigem Strauss und Ordensband, worauf die von ihm getroffenen Sterne befestigt sind. Schützen mit Büchsen, mehrere mit Sternen auf Mützen und Hüten; Weiber und Mädchen folgen. Der Zug geht im Kreise herum, und alle, die bei Max vorbeikommen, deuten höhnisch auf ihn, verneigen sich, flüstern und lachen. Zuletzt bleibt Kilian vor Max stehen, wirft sich in die Brust und singt.

KUNO

Was gibt’s hier? Wer untersteht sich, meinen Burschen anzutasten? KILIAN

Alles in Güte und Liebe, werter Herr Erbförster, gar nicht böse gemeint! Es ist Herkommen bei uns, dass, wer stets gefehlt hat, vom Königsschuss ausgeschlossen und dann ein wenig gehänselt wird – alles in Güte und Liebe.

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Programmheft DER FREISCHÜTZ Romantische Oper in drei Aufzügen von Carl Maria von Weber (1786-1826) Libretto von Johann Friedrich Kind Premiere am 18. September 2016, Spielzeit 2016/17

Herausgeber

Intendant

Opernhaus Zürich

Zusammenstellung, Redaktion

Claus Spahn

Layout, Grafische Gestaltung

Carole Bolli

Titelseite Visual

Anzeigenverkauf

Andreas Homoki

François Berthoud Opernhaus Zürich, Marketing

Telefon 044 268 64 14, inserate@opernhaus.ch

Schriftkonzept und Logo

Druck

Textnachweise: Die Handlung schrieb Claus Spahn. – Die Interviews mit Herbert Fritsch und Marc Albrecht, sowie der Essay von Georg Seesslen «Das Grauen und das Lachen» sind Originalbeiträge für dieses Programmheft. – «Webers Schwung», zitiert nach Theodor W. Adorno: «Moments musicaux», Suhrkamp, Frankfurt, 1964. – «Der unbehauste Mensch», zitiert nach Ulrich Schreiber: «Geschichte des Musiktheaters», Bärenreiter-Verlag, Kassel 2000. – «Unfreie Existenzen», zitiert nach Attila Csampai/Dietmar Holland: «Frei­schütz – Texte, Materialien, Kommentare», Rowohlt Verlag, Reinbek 1981 Bildnachweise: Hans Jörg Michel fotografierte die Klavier­ hauptprobe am 9. September 2016. Urheber, die nicht erreicht werden konnten, werden zwecks nachträglicher Rechtsabgeltung um Nachricht gebeten.

Studio Geissbühler Fineprint AG


Unsere Vorstellungen werden ermöglicht dank der Subvention des Kantons Zürich sowie den Beiträgen der Kantone Luzern, Uri, Schwyz, Zug und Aargau im Rahmen der interkantonalen Kulturlastenvereinbarung und den Kantonen Nidwalden und Obwalden. PARTNER

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Max Kohler Stiftung

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Clariant Foundation

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Ernst Göhner Stiftung GÖNNER Abegg Holding AG

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Die Mobiliar

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Pro Helvetia, Schweizer Kulturstiftung

Stiftung Melinda Esterházy de Galantha

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Fritz Gerber Stiftung

Swiss Casinos Zürich AG

Egon-und-Ingrid-Hug-Stiftung

Van Cleef & Arpels

FÖRDERER Confiserie Teuscher

Luzius R. Sprüngli

Frankfurter Bankgesellschaft (Schweiz) AG

Elisabeth Stüdli Stiftung

Garmin Switzerland

Madlen und Thomas von Stockar

Horego AG

Zürcher Theaterverein

Sir Peter Jonas 57


Welche Rolle spielt Engagement?

Nur wer hinter den Kulissen langjährige Partner hat, kann auf der Bühne glänzen. Die Credit Suisse unterstützt das Opernhaus Zürich seit 1989 als Partner.

credit-suisse.com/sponsoring


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