Das Land des Lächelns

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DAS LAND DES LÄCHELNS

FR ANZ LEHÁR


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DAS LAND DES LÄCHELNS FRANZ LEHÁR (1870-1948)

Partner Opernhaus Zürich



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In der Fremde wohnen oder nach Hause zurĂźckkehren ist einerlei. Jingru


INHALT Die junge Wienerin Lisa hat viele Verehrer, darunter auch ihr langjähriger Kamerad Gustl. Doch die Liebe ihres Lebens hat Lisa bereits gefunden: Prinz Sou-Chong, ein chinesischer Gesandter in Wien. Auch Sou-Chong liebt Lisa. Als die Nachricht eintrifft, dass er zum Ministerpräsidenten von China ernannt wurde und in seine Heimat zurückkehren muss, ist Lisa bereit, mit ihm nach Peking zu gehen. In China währt das Glück des jungen Paares jedoch nicht lange. Als Minister­ präsident ist Sou-Chong gesellschaftlichen Zwängen ausgesetzt, die Lisa nicht verstehen kann. Inzwischen ist Gustl Lisa nach China gefolgt. Er trifft auf Sou-Chongs Schwester Mi, von der er augenblicklich verzaubert ist. Sou-Chong wird von seinem Onkel Tschang daran erinnert, dass er vier Chinesinnen heiraten muss. Überzeugt davon, dass die chinesische Hochzeit seine aufrichtige Liebe zu Lisa nicht beeinträchtigt, willigt Sou-Chong ein. Doch Lisa fühlt sich von ihm verraten. Die beiden müssen erkennen, dass ihre Liebe gescheitert ist. Keine gemeinsame Zukunft in China haben auch Mi und Gustl. Die beiden Paare trennen sich.

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EINE ZERBRECHLICHE KUNST Regisseur Andreas Homoki im Gespräch Andreas, mit Franz Lehárs Das Land des Lächelns präsentierst Du die erste Operette während Deiner Zürcher Intendanz, und Du inszenierst sie auch gleich selbst. Was magst Du an Operette? Zunächst einmal bin ich ein grosser Freund von guter Unterhaltung. Musiktheater muss ja nicht immer philosophisch schwere Kost sein, sondern soll sich auch von seiner leichteren Seite präsentieren dürfen. Ich habe auch bereits einige Operetten inszeniert wie Kálmáns Csárdásfürstin oder Lehárs Lustige Witwe, sogar ein Musical wie My Fair Lady. Operette zu machen ist für mich jedes Mal eine schöne Herausforderung, gerade auch wegen ihres genuin tänzerischen Charakters. Es gehört zu diesem Genre einfach dazu, dem Publi­kum visuelle und sinnliche Reize zu bieten, und ich bin der Meinung, dass man das durchaus mit einer gewissen Schamlosigkeit tun soll. Ich ge­niesse es, mich auf das Sentiment einzulassen und manchmal haarscharf am Kitsch vorbei zu schrammen. Natürlich ist es wichtig, eine reflektierte Haltung einzunehmen und nicht in die alten Operettenkonventionen zu verfallen. Eine Prise Humor gehört immer dazu, ein kleines Augenzwinkern und szenischer Widerstand, wenn es allzu glatt wird. Die spielerische Form und offene Struktur der Operette, die sich zuweilen dem Kabarettistischen annähert, erlaubt mir als Regisseur viele Freiheiten. Gleichzeitig muss man immer sehr genau hinhören, denn der Charme der Operette ist sehr zerbrechlich. Wer beim Land des Lächelns nun mit einer schmissig-leichten Operette à la Lustige Witwe rechnet, wird allerdings überrascht sein: dieses Werk schlägt ernstere Töne an. 1929 in Berlin uraufgeführt, gehört das Land des Lächelns zum Spätwerk Lehárs, zur sogenannten Silbernen Operettenära. Was ist das Besondere an diesem Stück? Auffällig ist, dass sich Lehár in seinen Werken der Zwischenkriegszeit der grossen Oper annähert. Er entfernt sich von der klassischen Operette, die in

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ihrem Kern eine Komödie war und aus pointierten Dialogszenen und dazwischengeschobenen Musiknummern bestand. Im Land des Lächelns ist die musikalische Struktur viel autonomer. Die Operettendramaturgie wird introvertierter, indem das Schicksal der Protagonisten und ihr Gefühlsleben im Zentrum stehen. Nebenhandlungen, Intrigen und ausgeprägte Milieuschilderungen sind für die eigentliche Geschichte nicht mehr so wichtig. Mein Bühnenbildner Wolfgang Gussmann und ich haben beim Land des Lächelns festgestellt, dass sich die Geschichte und das, was mit den Figuren geschieht, eigentlich allein über die Musiknummern erzählen lässt. Aus diesem Grund haben wir uns schliesslich entschieden, die Dialoge fast ganz wegzulassen und viele Nebenrollen, die musikalisch und auch sonst nichts zum eigentlichen Verlauf der Geschichte beitragen, zu streichen. Auch der Musikstil von Land des Lächelns hat immer weniger mit dem alten Stil der Goldenen Wiener Operette zu tun. Instrumentierung, Orchesterstärke und die Gestaltung der Melodien erinnern stark an Puccini, den Lehár überaus bewunderte und mit dem er befreundet war. Man spürt bereits die Filmmusiken der 30-er Jahre. Die musikalische Struktur ist sehr avanciert und überrascht immer wieder mit interessanten Modulationen, Dissonanzen, überraschenden Einbrüchen und Zäsuren. Lehár geht hier virtuos mit den Emotionen um, und manchmal scheint mir, zwinkere er einem zu, als ob er sagen wollte: Schaut alle her, kann ich das nicht gut? Gerade in den Duetten zwischen Lisa und Sou-Chong klingt es oft nach grosser Oper. In unserer Inszenierung fassen wir das Ganze wie eine Revue auf und konzentrieren uns auf die jeweiligen Situa­tio­ nen der Figuren und ihr Emotionsfeld. Schlag auf Schlag folgen einander kontras­tierende Musiknummern – Walzer, Schlager, charmantes Wiener Lied, tra­gische Finali und grosse Tableaux –, die dem Abend insgesamt eine melancholische Grundstimmung geben.

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Das übliche Operettenpersonal wie Grafen, Generäle oder Diener kommt also nicht mehr vor, im Mittelpunkt der Geschichte stehen Lisa und Sou-Chong. Worum geht es? Kurz gesagt, um den Clash der Kulturen und das Scheitern einer Liebe. Eine selbstbewusste, von Männern umschwärmte junge europäische Frau, Lisa,

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verliebt sich Hals über Kopf in einen chinesischen Attaché, den schüchternen und zurückhaltenden Sou-Chong. Sie ist bereit, für diese Liebe bis ans Ende der Welt zu gehen, und begleitet ihn nach China, nachdem er dort zum Mi­nisterpräsidenten ernannt wurde. In China wird ihr ihre Fremdheit jedoch rasch bewusst. Sie, die eine emanzipierte, moderne Frau ist, wird mit anderen Sitten und einem vollkommen antiquierten Frauenbild konfrontiert. Sou-Chong ist letztlich nicht in der Lage, sich von seinem kulturellen Umfeld zu befreien, auch aufgrund seiner gesellschaftlichen Funktion, denn als Ministerpräsident ist er bestimmten politischen Zwängen aus­gesetzt. Die chi­nesische Gesellschaft erweist sich Lisa gegenüber als zunehmend feindselig, was nach und nach auch auf Sou-Chong übergreift, worauf diese Beziehung auseinanderbricht. Lisa kehrt in ihre Heimat zurück. Mich berührt an dieser Geschichte, dass sich diese beiden Menschen im Grunde bis zuletzt lieben und um ihre Liebe kämpfen. Wir erleben die Höhen und Tiefen ihrer Beziehung und die Verzweiflung der beiden darüber, dass dieser Ver­bindung keine Zukunft vergönnt ist. Es gibt kein Happy End, was bemerkenswert ist für eine Operette. Verträgt dieses Genre denn solch eine Tragik? Auf jeden Fall. Die Geschichte ist ja nicht wirklich tragisch, sondern einfach nur wunderbar traurig. Lisa und Sou-Chong, ja selbst das Buffopaar Mi und Gustl, können nicht zusammenbleiben und müssen in dieser Operette voneinander Abschied nehmen, ganz so, wie wir das auch aus melancholischen Liebesfilmen kennen. Jeder von uns fühlt sich da angesprochen, denn jeder weiss, wie schwer Abschiednehmen ist; unser ganzes Leben besteht letztlich aus Abschiednehmen! Deine Inszenierung ist in einem eleganten Revueraum der 20er-Jahre ange­siedelt. Eine konkrete Aktualisierung des Stoffes wäre für Dich nicht in Frage gekommen? Etwa, um der Frage nachzugehen, wie sich ein Mensch in einem anderen Kontext verhält, oder was es bedeuten kann, in eine fremde Familie einzuheiraten? Dass eine Frau wegen eines Mannes etwa nach Afghanistan oder nach Saudi-­

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Arabien ziehen würde, wäre für mich schon aufgrund des chinesischen Kolorits von Lehárs Musik problematisch. Für mich sind die Situationen, die im Stück erzählt werden, vollkommen zeitlos, so dass ich eine Über­tragung ins Heute nicht brauche. Ich finde auch, dass es nicht die Stärke von Musik­ theater ist, politische Themen in einer aktualisierten Form darzu­bringen, denn die Musik hebt es immer in etwas Allgemeingültiges. China ist im Übrigen immer noch sehr weit weg von uns, wenn auch viel näher als in den 20erJahren. Die asiatische Kultur und ihre Traditionen sind uns doch im Grunde noch immer sehr fremd. Trotzdem wird hier ein für ein heutiges Empfinden ziemlich klischee­haftes China heraufbeschworen. Die damalige Vorstellung vom chinesischen Volk beschränkte sich auf «Schlitzaugen», das maskenhafte Lächeln, das Geheimnisvoll-Exotische. Wie gehst Du mit Klischees um? Die Operette arbeitet immer mit Klischees, davon lebt sie. Mir macht das Spass. Man muss die Klischees sogar noch ironisch überzeichnen. Ich muss ja kein authentisches China auf die Bühne bringen, es reicht aus, eine kleine Choreografie oder eine deutliche Kostümierung zu zeigen, die im weitesten Sinne an chinesi­sches Ballett oder chinesisches Theater erinnert. Dadurch habe ich schon «Fremdheit» erzählt. Ich zeige nicht wirklich die Chinesen.

Das komplette Programmbuch können Sie auf www.opernhaus.ch/shop oder am Vorstellungsabend im Foyer des Opernhauses erwerben Die Operette hat seit ihren Anfängen immer auch Gleichheit und Brüder­ lichkeit gepredigt. Ist es nicht eine traurige Botschaft von Land des Lächelns, dass kulturelle Unterschiede nicht miteinander vereinbar sind? Das mag vielleicht bedauernswert sein, ist aber hochaktuell. Tatsächlich leben wir heute in einer Zeit, in der wir feststellen müssen, dass die kulturellen Wurzeln die Menschen sehr stark determinieren und ihr Verhalten bestimmen. Es wird einem bewusst, dass es sehr viel Zeit braucht, um festgefahrene Normen und Welt­anschauungen zu verändern; diese Prägungen sitzen tief. Aber die Musik Lehárs wagt dennoch die wunderschöne Operetten-These: «Meine Liebe, Deine Liebe, die sind beide gleich!» Das Gespräch führte Kathrin Brunner

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Das komplette Programmbuch können Sie auf www.opernhaus.ch/shop oder am Vorstellungsabend im Foyer des Opernhauses erwerben Diese Gewissheit, dass ein anderer Mensch ein Seelenverwandter ist, kann sich ganz plötzlich einstellen. Wir brauchen nicht einmal mit ihm gesprochen zu haben; vielleicht wissen wir nicht einmal, wie er heisst. Objektives Wissen spielt gar keine Rolle. Vielmehr entscheidet die Intuition; ein spontanes Gefühl, das gerade deshalb so genau und zuverlässig wirkt, weil es die üblichen Gefühle der Vernunft umgeht. Alain de Botton




EINE REIZENDE FRAU, SO PIKANT UND MONDÄN Die moderne Frau der 1920er-Jahre Thomas Bleitner

Die Faszination, die von der kurzen Ära der Zwanzigerjahre ausgeht, ist bis heute allgegenwärtig und basiert vor allem auf dem atemberaubenden Tempo, mit dem die Gesellschaft sich damals veränderte und Konventionen über Bord gingen – niemals zuvor wurde so schnell gelebt, so radikal erneuert. Der Erste Weltkrieg hatte die Belle Époque über Nacht verschwinden lassen und eine Generation hervorgebracht, die gegen anachronistische Werte aufbegehrte und mit Vehemenz die Lockerung sozialer Normen betrieb. Die Vertreter jener «Verlorenen Generation» sahen ihr Schicksal als Chance, und nach dem Motto «Anything goes» gestalteten sie ihr Leben unabhängig und nach eigenen Vorstellungen. Beim Abschneiden alter gesellschaftlicher Zöpfe taten sich insbesondere die Frauen hervor. Die veränderten politischen und ökonomischen Verhältnisse nach 1918 boten ihnen Räume für Emanzipation und ungeahnte neue Freiheiten. Die Ausbildungschancen waren gestiegen und in Deutschland und weiteren europäischen Ländern hatte man neben anderen demokratischen Grundgedanken auch das Frauenwahlrecht verwirklicht. Zudem war die Arbeits­ kraft der Frauen gefragter denn je: Millionen von Männern hatten seit 1914 auf den Schlachtfeldern ihr Leben gelassen. Notgedrungen brachen erwerbstätige Frauen auf unterschiedlichsten Gebieten in die Domänen der Männer ein. «Die Frau ist es müde geworden, das Ideal des Mannes zu sein», schrieb Robert Musil 1929; und auch wenn längst nicht alle Frauen der Zwanzigerjahre dem Bild der verwegenen neuen Frau entsprachen, so brachen doch Persönlichkeiten wie Dorothy Parker, Louise Brooks, Anita Berber, Lavinia Schulz, Josephine Baker, Claire Waldoff oder Marlene Dietrich mit muffig abgestandenen Regeln, mit Traditionen und Prüderie, kreierten Stile und lebten so, wie sie es wollten.

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GENIALER MELODIKER Die Operettenkomponisten sind die eigentlichen Urheber der Schlager. Man spricht in diesem Zusammenhang von der «Kunst der drei Minuten»: In diesen kurzen drei Minuten muss der Komponist das ganze Gefühl eines konkreten Momentes einfangen – und es muss eine Melodie sein, die einprägsam ist für die Zuhörer. Das gab es bei Johann Strauss noch nicht, sondern blüht erst so richtig bei Lehár, Emmerich Kálmán, Leo Fall und später bei Robert Stolz auf. Die Kunst des genialen Melodikers Lehár zeigt sich zum Beispiel in diesem zweieinhalb Minuten dauernden, innigen Heimwehlied von Lisa. Es ist im klassischen Stil des Wienerliedes gehalten, aber von Lehár für diese Operette auf moderne Weise neu erfunden worden. Fabio Luisi

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DAS INNERE AUSBAUEN Franz Lehárs Zeit-Operette «Das Land des Lächelns» Stefan Frey

«Es ist meine Überzeugung, dass sich seit 1927, als wir die Nachwirkungen der Inflation überwunden hatten, ein grosser Umschwung in der mitteleuropäischen Seele vollzogen hat. Man könnte sehr wohl von einer Stabilisierung der Gemü­ ter sprechen. Wir haben Zeit, unser Inneres auszubauen. Das sind wohltätige Epochen für die Musik.» Franz Lehár musste es wissen. Nach der Uraufführung seines Land des Lächelns am 10. Oktober 1929 befand er sich auf dem Gipfel des Erfolgs. Zu verdanken hatte er dies dem «neuen Weg der Operette», den er selbst vor wenigen Jahren eingeschlagen hatte. Dass er das nicht ohne Grund getan hatte, zeigen seine oben zitierten Äusserungen im Neuen Wiener Journal. Nach langen Jahren der Unsicherheit, nach Weltkrieg, Bürgerkrieg, nach Revolution und Inflation hatte er eine neue Sehnsucht nach Beständigkeit ausgemacht. Schliesslich waren in ganz Europa nicht nur kulturelle Werte und Traditionen erschüttert worden, sondern auch gesellschaftliche und moralische Gewissheiten. In Deutschland hatte der Bruch politischer Kontinuitäten in einer Hyperinflation kulminiert, welche die Umwertung aller Werte endgültig besiegelte und die auch Lehár als Zäsur empfand, waren nicht zuletzt auch Musik und Theater davon betroffen. Jazz, Atonalität und Revue hatten die überlieferten Formen auf- und abgelöst oder zumindest so weit verändert, dass selbst die Operette nach neuen Wegen zwischen Charleston und Csárdás suchte. Erst als sich Mitte der 1920er-Jahre die Wirtschaft erholt hatte, gab es Theodor W. Adorno zufolge «wieder eine Ordnung, frisch genug, dass man in ihr in die Höhe möchte, und schlecht genug, dass einem der Kitsch Chancen dazu gewährt.» Beste Voraussetzungen also für die rührenden Aufstiegsmärchen der Unterhaltungsindustrie, für Kino, Schlager, Operette. Doch statt ins rosarote Happy-End wie viele andere zeitgenössische Werke des Genres führt Lehárs

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«neuer Weg der Operette» in die Katastrophe. Auf Happiness wird ausdrücklich verzichtet. Kompensiert wird dieses Scheitern an der Aussenwelt durch die Verklärung dieses Verzichts als Triumph der Innerlichkeit und grosse Oper, nicht umsonst firmiert Das Land des Lächelns als «romantische Operette». Lehár hatte die Zeichen der Zeit erkannt: «Konzentrierte seelische Kraft sucht ihren Ausdruck im Lied». Gerade dass der Komponist nicht mit der Zeit gegangen war, sicherte ihm, paradox genug, den grossen Erfolg.

Zeichen der Verrücktheit «Während die Opera seria im süssen Kitsch heimisch wird, fühlt der süsse Kitsch sich unwohl bei sich selber und möchte grosse Oper tragieren» – schrieb Adorno 1924 anlässlich einer Aufführung von Franz Lehárs Frasquita. Als «Zeichen der Verrücktheit aller Haftpunkte musikalischen Formens» schien Lehárs Werk prototypisch für die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg, in der auch gesellschaftliche und kulturelle Werte «verrückt» waren. Die Notwendigkeit, mit ihnen im Einklang zu sein – und damit für ein Happy End – bestand also nicht mehr. Die vielfältigen Krisen der Moderne waren mit einem Walzer nicht mehr wegzu­ tanzen wie einst noch in der Lustigen Witwe – doch ebenso wenig mit einem Charleston. Die Frage «Walzer oder Charleston?» war 1927 nur noch für die Odol-Werbung «von welterschütternder Bedeutung». Als sie Emmerich Kálmán ein Jahr später in seiner Jazz-Operette Die Her­ zogin von Chicago aufgriff, stiess er auf weniger Interesse als der lächelnde Chinese Lehárs kurze Zeit später. Dessen einfache Erklärung: «Man würde heute keine Operette in dem Stile wie vor zwanzig Jahren textieren. Die Menschen lassen sich keine Oberflächen mehr gefallen. Aber das grosse Thema gewinnt sie.» Schliesslich boten Lehár-Operetten mehr als Modetänze, nämlich, wie Komponist Ernst Krenek konstatierte, «alle Emotionen, die die Oper tatsächlich oder eingebildet geboten haben mochte». Und so ging gerade in dieser Zeit Lehárs alte Rechnung auf, die Lücke zwischen Operette und Oper zu schliessen. Nicht ohne spekulativen Instinkt war er den Bedürfnissen eines durch die Neue Musik verprellten Opernpublikums entgegengekommen: mit Orchesterglanz, veristischer Dramatik und vor allem sangbaren Melodien. Dass ein Opernsänger

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von Gnaden wie Richard Tauber damals zur Operette wechselte, war symptoma­ tisch: «Zeigen Sie mir doch die Oper, in der man noch wirklich gut und schön singen kann. Ich sage nichts gegen Puccini und diejenigen, die echte Kunst­ musik schreiben, aber von den ‹Modernen› mit ihrer phantastischen atonalen Musik will ich nichts wissen.» Dass der Name Puccinis in diesem Kontext fällt, ist kein Zufall, hatte doch schon Adorno der Musik von Lehárs Land des Lächelns unterstellt, sie borge «das Pathos von Puccinis Turandot, die selber schon zur Operette gehört, und hat auch ihren Elan mit rhapsodisch melodisierenden Bögen aus Italien bezogen». Tatsächlich verband beide Komponisten mehr nur als stilistische Ähnlichkeit oder der gleiche Schauplatz ihrer Werke. Sie verband eine echte Künstlerfreundschaft, die bis zu Puccinis Tod 1924 immer inniger wurde. Noch im Jahr zuvor hatte der Maestro die Komposition der Turandot unterbrochen und war mit seinem neuen Lancia Trikappa höchstpersönlich zu den Endproben der Manon Lescaut nach Wien gefahren. Am Abend erholte er sich, wie er dem Neuen Wiener Journal gestand, in der Operette: «Diesmal werde ich von Franz Lehár, der übrigens meinem engsten Freundeskreise angehört, Die gelbe Jacke und den Libellentanz ansehen. Er interessiert mich besonders, weil er die richtige Operettenmusik schreibt, geschmackvoll und mit Einfällen.»

«Die gelbe Jacke» Die von Puccini besuchte Gelbe Jacke war nichts anderes als die Urfassung des Land des Lächelns – freilich mit einem wesentlichen Unterschied: Es gab ein Happy End. Der Titel ging auf The Yellow Jacket zurück, ein «chinesisches Schauspiel» aus den USA, das kurz vor dem Ersten Weltkrieg in der westlichen Welt eine regelrechte China-Euphorie ausgelöst und spätestens seit Max Reinhardts Inszenierung von 1914 auch in Deutschland und Österreich Furore gemacht hatte. Ob Lehár das Stück kannte, ist fraglich, hat es doch – ausser der Verleihung der gelben Jacke – mit der Handlung seiner Operette nur wenig gemein. Die war nämlich aus dem Leben gegriffen und zwar dem von Ottilie Léon, der Frau Victor Léons, des Librettisten der Lustigen Witwe. Ihr hatte nämlich im Frühjahr 1914 ein geheimnisvoller chinesischer Prinz den Hof ge-

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macht, seines Zeichens «Leutnant der Republik China» und als Liaison-Austauschoffizier dem «K.u.K. Infanterie-Regiment Nr. 84 Freiherr von Bulfras» zugeteilt. Sein Name: Sukong. So nah Operette und Wahrheit hier beieinander liegen, so eindeutig zeigen Lehárs Skizzenbücher, dass viele Nummern der Gelben Jacke noch während des Ersten Weltkriegs entstanden sind: Immer nur lächeln und Von Apfelblüten einen Kranz etwa, oder besagte Verleihung der gelben Jacke und das Heimatlied. Sie finden sich schliesslich auch im Land des Lächelns wie überhaupt der Grossteil der Musik der Gelben Jacke. Nur ein Walzerlied und drei Buffo-Nummern wurden nicht übernommen. Für das Land des Lächelns wiederum hat Lehár gar nur zwei Nummern neu komponiert: das grosse Liebesduett Wer hat die Liebe uns ins Herz gesenkt und den zarten Frauenchor zu Beginn des dritten Akts. Entscheidender waren die Veränderungen, die sich durch den Wegfall des Happy-Ends ergaben. Das zweite Finale, bisher stets musikalischer Höhepunkt des Genres, verlor an Bedeutung, ist doch die sonst hier stattfindende obligatorische Trennung der Liebenden jetzt auf den dritten Akt verschoben. Folgerichtig entspricht das dritte Finale des Land des Lächelns grossteils dem zweiten der Gelben Jacke. Im zweiten Finale des Land des Lächelns hingegen gibt es zwei signifikante Veränderungen: Lisas Weigerung, Sou-Chongs Vielweiberei zu akzeptieren, äussert sich in einem hochdramatischen, wenn auch kurzen WalkürenAusbruch: «Alles ist vorbei!». Und das anschliessende Lamento des «armen Sou-Chong» endet mit Dein war mein ganzes Herz, der ins Präteritum versetzten Reminiszenz seines grossen Lieds aus dem zweiten Akt. Und es ist dieses Lied, das den grössten Unterschied zwischen dem Land des Lächelns und der Gelben Jacke ausmacht. Zwar war die Melodie schon in der Gelben Jacke zu hören, allerdings nicht als eigenständige Nummer, sondern versteckt im 3. Finale, kurz vor dem Fallen des finalen Vorhangs und mit dem fast schon Beckmesser’schen Text: «Duft lag in deinem Wort wie Blütenhauch vom Rosenstrauch». Die Melodie fiel daher bei der Uraufführung am 9. Februar 1923 gar nicht weiter auf. Wie überhaupt bis auf Immer nur lächeln nur wenige Nummern grössere Resonanz fanden. Und so wäre Die gelbe Jacke nach 98 Vorstellungen wohl für immer in der Versenkung verschwunden, hätte sich nicht einer der Zuschauer für Lehárs musi-

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kalische Chinoiserien besonders begeistert: der Tenor Richard Tauber. Ihm hatte es vor allem die Des-Dur-Phrase aus dem dritten Finale angetan. Sofort erkannte er deren Potenzial zum künftigen Operettenschlager und bewies es sechs Jahre später mit dem neuen Text: Dein ist mein ganzes Herz.

«Monsieur Butterfly»: Richard Tauber Obwohl Die gelbe Jacke von der Wiener Presse als Lehárs «Monsieur Butterfly» bespöttelt wurde, war sich Tauber sicher, in der Rolle des chinesischen Prinzen glänzen zu können. Doch bis es dazu kam, bedurfte es eines Umwegs über Italien, Russland und das Elsass. Denn dort spielten die ersten drei Operetten, die Franz Lehár eigens auf den Tenor zugeschnitten hatte: Paganini, Der Zare­ witsch und die Goethe-Operette Friederike. Es war der Beginn einer der fruchtbarsten Künstlerfreundschaften des 20. Jahrhunderts und die Geburt eines neuen Operettenstils. Seine wohl markantesten Merkmale waren der Verzicht auf das Happy End und die opernhafte Konzentration auf den Gesang. Als der Komponist selbst um eine genretypische Einordnung gebeten wurde, kam er in Verlegenheit: «Ach, sagen wir: die Spieloperette, das Liederspiel oder die Liebesspieloperette, wie Sie wollen.» Besser traf es sein Interviewer: «Mit einem Wort: das Lehár-Genre!» Am besten lässt sich dies «Liederspiel» als Lyrische Operette beschreiben: die sentimentalen Momente der Handlung rücken ins Zentrum einer Musikdramaturgie, die weniger durch äussere als durch innere Konflikte geprägt ist. Das ermöglichte Lehár, «einen angeschlagenen Konflikt in seiner Wahrhaftigkeit ausklingen zu lassen. Bei der Gelben Jacke musste ich Konzessionen machen. Heute kann ich so schaffen, wie ich es für richtig halte, Konzessionen sind nunmehr überflüssig.» Wie eng dieser neue Stil mit Richard Tauber verknüpft war, zeigt gerade die Entstehung des Land des Lächelns. Anfang 1929 nach einer FriederikeVorstellung zusammengebrochen, konnte sich der Tenor kaum bewegen – die Diagnose: Schwerer Gelenkrheumatismus. Nach der anschliessenden Kur in Bad Pistyan war zwar Taubers Stimme wieder hergestellt, seine Beweglichkeit jedoch erheblich eingeschränkt. Was also tun? Und nun kam endlich «Monsieur Butter­ fly» alias Sou-Chong ins Spiel. In seiner buddhistischen Gelassenheit verlangte

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der chinesische Prinz aus der Gelben Jacke geradezu nach einer reduzierten Körpersprache, und die wiederum erzwang Taubers Rheumatismus. Die zeremonielle Steifheit seines Sou-Chong, bis hin zur unfreiwillig verdrehten Hand, wurde zur Chiffre der Fremdartigkeit und ging als typisch chinesisch in die Auf­führungstradition des Land des Lächelns ein. So entscheidend der Einfluss Taubers auf die Umarbeitung der Gelben Jacke war, so entscheidend waren die neuen Texte für die Musikdramaturgie des Land des Lächelns. Sie stammten von den seit Friederike bewährten Librettisten Ludwig Herzer und Fritz Löhner-Beda. Sie wendeten Die gelbe Jacke nach allen Regeln der Lyrischen Operette und strafften sie nach der neuen Logik des Verzichts, wozu der ursprüngliche Autor Victor Léon nicht mehr bereit gewesen war. Indem sie das Libretto vom Ende her neu aufrollten, befreiten sie die Handlung sowohl von überflüssigen Episoden als auch von allzu hanebüchenen Dialogen. Indem sie die Reihenfolge der Musiknummern umstellten, erhöhten sie deren Wirkung – wie bei Lisas grossem Heimweh-Walzer durch Umstellung vom Anfang ans Ende des zweiten Akts und durch Textänderung: Statt den «Prater» samt sich darauf reimenden «Burgtheater» möchte sie jetzt nur noch «die Heimat seh’n». Wie Herzer und Löhner der Presse kundtaten, waren auch sie «der Ansicht, dass Lehár in seinem Schaffen über die Happy End-Periode hinaus sei. Aus diesem Grunde wird die junge Wienerin ihren Chinesen wieder verlassen und an den Strand der Donau zurückkehren.» – «Das Vernünftigste, was sie tun kann», kommentierte Wiens bissiger Satiriker Karl Kraus. «Lehár selbst ist mit dieser Änderung des Schicksals seines Liebespaares vollständig einverstanden und soll bereits neue Melodien der Entsagung gefunden haben.»

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Melodien der Entsagung «Mein lieber Richard! Hier hast Du Dein Tauber-Lied!!» Lehárs Widmung im Klavierauszug des Land des Lächeln unterstreicht noch einmal die Bedeutung von Dein ist mein ganzes Herz. Wie alle «Tauberlieder» steht auch dieses im Zentrum des Werks und ist in Rondoform komponiert, das heisst: die Hauptmelodie wird nach einem kurzen Mittelteil wiederholt. Dieses mitkomponierte

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Da-capo antizipierte bereits weitere, improvisierte Wiederholungen während der Aufführung. Seit er Gern hab ich die Frau’n geküsst in Paganini fünfmal wiederholen musste, hatte Tauber aus diesen Da-capos ein regelrechtes Ritual gemacht, das der Sänger mit seinem Publikum genüsslich zelebrierte – zum einen: indem er jede Wiederholung variierte, zum anderen: indem er sein Lied direkt an jeden Zuschauer adressierte: «Wo du nicht bist, kann ich nicht sein». Vielmehr noch als von der Bühne herab bewahrheitete sich die zweite Zeile aus Dein ist mein ganzes Herz in der Einsamkeit vor Grammophon oder Radio. Schliesslich war die Stimme des Tenors «in ihrer Durchbildung, Beherrschtheit und Modulationsfähigkeit geradezu für die technische Fixierung prädestiniert», wie Paul Dessau, 1930 musikalischer Leiter der «Richard TauberTonfilm-Gesellschaft», die Stimme seines Herrn treffend beschrieb. Denn erst ihre technische Reproduzierbarkeit verschaffte ihr auch bei jenen Gehör, die keine Gelegenheit einer leibhaftigen Epiphanie hatten. Und das waren viele. So verkaufte sich die Schelllackplatte von Dein ist mein ganzes Herz, von Tauber auf Deutsch, Englisch, Französisch und Italienisch gesungen, in jeder Sprache über eine Million mal. Nicht nur auf Schallplatte war der Sou-Chong Taubers erfolgreichste Rolle. Als er 1932 von einem Londoner Gastspiel zurückkam, verkündete Tauber, er habe «die Rolle des Prinzen Sou-Chong über fünfhundertmal gespielt und die Hauptnummer der Operette, Dein ist mein ganzes Herz, ungefähr zwei­ tausendfünfhundertmal gesungen» – das hiess: fünfmal pro Vorstellung. Im Film spielte er ihn gleich zweimal: 1936 in einer englischen, 1930 in einer deutschen Version, die er auch selbst produzierte. Damit war Tauber ein Pionier des modernen Starkults. Nicht nur seine Stimme, sondern auch sein Bild war omnipräsent. Das Monokel, das er privat zu tragen pflegte, machte er zu seinem Marken­ zeichen, so dass der Kritiker Hans F. Redlich 1929 der «zum Mythos ge­wordenen Figur des ‹Mannes mit dem Einglas›» kultische Wirkung zuschrieb: «Wenn er als verzuckerter Paganini die Frauen gerne küsst oder als Goethe, Schubert oder Bruckner sein Herz in Sesenheim verliert oder in Rinden einschneidet – dann geht ein religiöser Schauer durch die entgötterte Theatergemeinde, die feierliche Handlung wird zum häuslich imitierbaren Kult, Radio und Grammophon erleichtern den feierlichen Dienst.»

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Diese medial hergestellte Nähe kann die Distanz zwischen Sender und Empfänger nur noch momentan überbrücken. Sie ist ebenso ein Symptom der Entfremdung wie der «Widerspruch zwischen gelb und weiss», den Lehár im Land des Lächeln verhandelt. Galt für seinen Zeitgenossen Karl Valentin: «Fremd ist der Fremde nur in der Fremde», so bleiben der chinesische Prinz und die Wiener Hofratstochter auch einander fremd. «Wie’s da drin aussieht, geht niemand was an.» Dies fast schon sprichwörtliche Memento der Entfremdung prägt ein Werk, das wie wenige sonst die atmosphärischen Verwerfungen seiner Zeit samt ihrer tragischen Grundierung einfängt. Lehárs Musik weiss von Katastrophen, die weit über den harmlos-exotischen Anlass des Stücks hinausgehen. Unter der glatten Oberfläche rumort es merklich: Geschlossene Liedformen zerfallen in motivische Fragmente, Mittelstimmen führen ein expressives Eigenleben und verdichten sich unvermittelt zu Momenten grosser Emotionalität. Diese Brüche im schönen Operettenschein verleihen Lehárs Operette ihre Doppelbödigkeit, changierend zwischen bunter Revue und grosser Oper. Der ästhetische Bruch der Epoche durchzieht das ganze Werk und zeigt, wie fragil die von Lehár beschworene «Stabilisierung der Gemüter» in Wirklichkeit war. Hinter der neuen Innerlichkeit der Epoche verbarg sich deren Gegenteil. Schon bei der Berliner Uraufführung schwante dem Grosskritiker Herbert Jhering, dass hier «jenseits des offiziellen, kritisierten Theaters das inoffizielle, aber umso wich­ tigere, das wahre Zeittheater» stattfand. Zwei Wochen später brach in New York die Börse zusammen. Was danach folgte, klingt im Land des Lächeln be­reits an.

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LEHÁRS CHINA Die Werke der Silbernen Operettenära sind stilistisch enorm vielgestaltig. In ihnen widerspiegeln sich sämtliche kulturellen und soziologischen Einflüsse der Epoche, die ganze Musikgeschichte der Zeit. In Mode war damals auch die Beschäftigung mit dem Fernöstlichen. Lehár hat sich ein musikalisches China imaginiert, ohne je dort gewesen zu sein. Durch die Verwendung der Pentatonik etwa klingt es tatsächlich leicht chinesisch, aber dahinter spürt man immer Lehár. Fabio Luisi

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Das komplette Programmbuch können Sie auf www.opernhaus.ch/shop oder am Vorstellungsabend im Foyer des Opernhauses erwerben Ehe: ein hoffnungsvolles, grosszügiges, unendlich liebevolles Glücksspiel, das zwei Menschen wagen, die noch nicht wissen, wer sie sind oder wer der andere wohl sein mag, die sich an eine Zukunft binden, die sie nicht begreifen und die sie wohlbedacht nicht genauer erforscht haben. Alain de Botton



KONFUZIANISCHES CHINA Andrea Schlor

Konfuzius (551 – 479 v. Chr.) gilt als der Vater einer Gedankenschule, die dem­ entsprechend Konfuzianismus heisst. Ein «-ismus», an dem nicht vorbeikommt, wer sich chinesischen Traditionen, chinesischer Kultur und Geschichte, chinesi­ scher Mentalität annähern möchte. Der Konfuzianismus ist ein komplexes Gebilde von Ideen, Leitbildern, gesellschaftlicher Moral und politischer Ideologie, dessen Inhalte sich im Lauf der Zeiten konkretisierten, veränderten, andere Geis­tes­strömungen in sich aufnahmen. Ein Gebilde, das anwendbar gemacht wurde, um politische Macht zu legitimieren und auszuüben, und das später Orientierungsmass für die Gesellschaft schlechthin werden sollte. Was Konfuzius selbst betrifft, so ist im Umgang mit den spärlichen biografischen Daten über ihn Vorsicht geboten: Sie wurden Jahrhunderte später aufgezeichnet; Konfuzius hat aus eigener Hand nichts hinterlassen. Die sogenannten «Gespräche» (lunyu), die sein philosophisches Konzept enthalten, stammen aus der Feder seiner Schüler. Die Gedanken des Konfuzius sind von seiner persönlichen Lebensgeschichte und den allgemeinen Ereignissen und Bedingungen seiner Zeit wohl nicht zu trennen. Es war eine Epoche des politischen Zerfalls, in der das damalige Herrscherhaus Zhou seine Macht mehr und mehr an einzelne aufstrebende Fürsten­tümer abgeben musste. Gleichzeitig vollzog sich ein tiefgreifender Wandel auch der wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und moralischen Ordnung. Von all diesen Veränderungen betroffen war unter anderem genau die gesellschaftli­ che Ebene, der Konfuzius angehörte: der niedere Adel. Ihm drohte der soziale Abstieg ins Ungewisse. So ist es nicht weiter verwunderlich, dass Konfuzius zur Heilung der verfallenen Ordnung eine Tinktur aus den alten traditionellen Werten mischte, Werten, die sich früher einmal als sinngebend und effektiv erwiesen haben mochten. Er konstruierte seine Utopie einer idealen Gesellschaft und besseren Welt aus der Vergangenheit.

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In der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts wurde das konfuzianische China vor eine seiner grössten Herausforderungen gestellt: Die westlichen Nationen drangen gewaltsam ins Reich der Mitte ein, begannen es unter sich aufzuteilen und brachten neben ihren Wirtschaftsinteressen westliches Gedankengut und westliche Lebensweise mit. Die meisten der tonangebenden Konfuzianer waren im Dogma erstarrt und konnten sich nicht so recht einig werden, wie darauf zu reagieren sei. Zunächst wollte man die Situation nicht wahrhaben. China war eben das Reich der Mitte. Was an «Barbarenkultur» drumherum bestand, war ihm ideell untergeordnet – nach konfuzianischer Manier in Verwandtschafts­be­ griffe gefasst: China als der «grosse Onkel» und «Vater», die Nachbarvölker als Neffen und Adoptivkinder zum Kniefall verpflichtet. Eine Gegenüberstellung, wie sie die aufstrebenden westlichen Nationen provoziert hatten, war man schlicht nicht gewohnt. Das Weltbild der Konfuzia­ ner wurde tief erschüttert. Für eine Zeit versuchte man, westliche Technologie und westliches Know-how zu importieren, die chinesische Denk-und Lebensweise aber beizubehalten. Ein schwieriges Unterfangen, wie sich gerade auch heute wieder zeigt. Die Veränderungen, die durch die Anwesenheit der «Westler» in der Gesellschaft ein­gesetzt hatten, waren im Grunde nicht mehr aufzuhalten. Der Zusammenprall der zwei so unterschiedlichen Kulturen trug wesentlich zum Untergang des chinesischen Kaiserreiches bei.

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FRAUENERZIEHUNG IM ALTEN CHINA Martin-Liao Tienchi

Die Chinesin Ban Zhao (als verheiratete Frau: Cao Taigu; lebte von ca. 45-120 v. Chr.) hat ca. 100 v. Chr. die Schrift Gebote für Frauen (Nüjie) verfasst. Die insgesamt sieben Gebote galten als Modell und Vorbild für alle späteren Frauen­ bücher, die in China weiteste Verbreitung gefunden haben. Im vierten Kapitel der Gebote, das den Titel Die weiblichen Qualitäten trägt, heisst es: «Eine Frau soll vier Qualitäten aufweisen. Dies sind erstens Frauentugenden, zweitens Frauensprache, drittens Frauenanmut und viertens Frauenarbeit. Um Tugend zu erlangen, braucht eine Frau nicht ausserordentliches Talent zu besitzen. Um der Frauensprache mächtig zu sein, braucht sie nicht gut debattieren und scharf mit Worten umgehen zu können. Um anmutiges Aussehen zu haben, muss eine Frau keine Schönheit sein und um Arbeit zu tun, muss sie nicht bei allen Fertig­ keiten anderen überlegen sein. Ruhig, gelassen, rein und still sein und sich den Regeln entsprechend verhalten, ordentlich sein und sich anständig benehmen, in den Bewegungen den Regeln zu folgen, dies alles bedeutet Frauentugend. Erst überlegen und dann sprechen, nicht über andere üble Nachrede führen, zur richtigen Zeit den Mund aufmachen, so dass andere dies nicht als lästig empfinden, dies alles bedeutet Frauensprache.»

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TRAGISCHE SCHICKSALE Die jüdischen Textdichter von «Land des Lächelns», Fritz Löhner-Beda und Ludwig Herzer, und ihre Geschichte Markus Wyler

Im Herbst 1928 landete Franz Lehár mit der Operette Friederike in Berlin end­ lich wieder einen Sensationserfolg. Trotz seiner Berühmtheit hatte man ihm in jener Zeit immer wieder fehlende Inspiration und falsche Stoffwahl vorgeworfen. Mit einer Episode aus der Jugendzeit des «deutschen Nationalheiligtums» Johann Wolfgang von Goethe und dessen Romanze mit Friederike Brion erfand sich Lehár quasi neu. Es waren zwei Textdichter, die Lehár von diesem Stoff überzeugt hatten: Fritz Löhner-Beda (1883-1942) und Ludwig Herzer (1872-1939). Beide Autoren waren jüdischer Abstammung, und beide ereilte nach dem Einmarsch der Nazis in Österreich am 11. März 1938 ein tragisches Schicksal. Mit dem als Feuilletonist, Kabarettist und Schlagertextdichter äusserst populären Löhner-Beda hatte Lehár 1916 bereits einmal gearbeitet. Doch war jenem Werk, Der Sterngucker, kein Glück beschieden, was der Komponist seinem Librettisten offenbar ein Jahrzehnt lang nachtrug, da er ihn danach nicht mehr engagierte. Mit Friederike änderte sich dies, und Löhner-Beda sollte mit seinen Liedtexten auch bei den nächsten drei lyrischen Operetten, Lehárs letzten Bühnenwerken, den Erfolg massgeblich verantworten: die geniale Umarbeitung der Gelben Jacke zum Welterfolg Das Land des Lächelns (Berlin 1929), Schön ist die Welt (Berlin 1930), beide mit Koautor Herzer sowie mit Paul Knepler Giuditta, welche 1934 sogar an der Wiener Staatsoper uraufgeführt wurde. Geboren war der promovierte Jurist Dr. Fritz Löhner-Beda in Böhmen. Als Kind kam er nach Wien, wo seine Eltern den ursprünglichen Familiennamen Löwy in Löhner änderten. Als Künstlernamen für seine Schriftstellerei benutzte er die Kurzform seines tschechischen Vornamens Bedřich (Friedrich), «Beda», später auch in der Kombination «Löhner-Beda». Bereits vor seiner erneuten

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Zu­sammenarbeit mit Lehár gehörte Löhner-Beda zu den einflussreichsten und angesehensten Autoren Wiens. Hatte er sich während des Ersten Weltkriegs wie viele seiner Kollegen der österreichischen Propaganda zur Verfügung gestellt, so wurde er später zum Antimilitaristen. Dezidiert setzte er sich für das moderne Judentum ein: als Mitglied der jüdisch-nationalen Studentenbewegung Kadi­ mah, als Autor verschiedener, immer wieder neu aufgelegter satirischer Gedichtbände, in denen er assimilierte bzw. zum Katholizismus übergetretene Glau­­bens­ genossen anprangerte sowie als Gründungsmitglied und lebenslanger Förderer des erfolgreichen zionistischen Wiener Fussballvereins Hakoah. Zwischen 1914 und 1928 verfasste Löhner-Beda über 300 satirische Beiträge für die linksliberale und antiklerikale Wiener Sonn- und Montagszeitung, um 1920 schrieb er zu­dem 18 Drehbücher für den Film. Berühmt wurde er aufgrund hunderter schmissiger Schlagertexte, die wir noch heute im Ohr haben: darunter Ich hab mein Herz in Heidelberg verloren mit Musik von Fred Raymond, Oh, Donna Clara mit Musik von Jerzy Petersbur­ ski, Was machst du mit dem Knie, lieber Hans? mit Musik von Richard Fall oder In der Bar zum Krokodil mit Musik von Willy Engel-Berger. Seinen Durchbruch in diesem Genre erlebte Löhner-Beda 1923 mit Ausgerechnet Bananen, seiner Version von Frank Silver und Irving Cohn’s Yes! We have no bananas, welches auf dem Höhepunkt der Shimmy-Welle in Deutschland und Österreich angekommen war. Weitere Verbreitung fand dieses Lied, dessen Titel später zur ste­ henden Redewendung geworden ist, in den 1960er-Jahren durch Billy Wilders Film One, Two, Three. Löhner-Bedas Kabarettnummern schliesslich fanden sich in zahlreichen Revuen, so in Schwarz und Weiss von 1928, welche aufgrund des skandalumwitterten und von rassistischem Aufruhr begleiteten Wiener Gastspiels der schwarzen Sängerin Josephine Baker von sich reden machte. Europaweite Bekanntheit brachten ihm neben den erwähnten Werken für Franz Lehár und dem für Das Land des Lächelns neugetexteten Hit Dein ist mein ganzes Herz eine Zusammenarbeit mit Alfred Grünbaum und dem Komponisten Paul Abraham für drei Sensationserfolge: Viktoria und ihr Husar, Die Blume von Hawaii sowie Ball im Savoy. Fritz Löhner-Bedas Kollege Ludwig Herzer (ein Pseudonym für seinen Nach­namen Herzl) wurde in Wien geboren, studierte Medizin und war eigent-

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lich als Gynäkologe tätig. Daneben schrieb er Libretti für zahlreiche Operetten, zum Beispiel von Robert Stolz (Venus in Seide) oder Edmund Eysler. Bemerkenswert sind seine Bearbeitungen von Cagliostro in Wien (1927) sowie Das Lied der Liebe (1931), beide mit Musik von Johann Strauss in einer Bearbeitung von Erich Wolfgang Korngold. In den Zwanziger- und Dreissigerjahren war aus der Operette eine regelrechte Industrie geworden. Ganze Produktionsteams waren üblich; die Autoren arbeiteten meist zu zweit, wobei sich die Zusammensetzung von Fall zu Fall ändern konnte. Die Struktur des Stücks wurde gemeinsam besprochen, dann schrieb man unabhängig voneinander das Handlungsgerüst und die Dialoge (in unserem Fall Herzer) bzw. die Liedtexte (Löhner-Beda). Die Lieder wurden zu regelrechten Schlagern: eingängige Melodien, die neben dem Walzer immer öfter auf modernen Tanzrhythmen wie dem Foxtrott oder auf Jazz basierten, während die Texte leicht verständlich, witzig, anzüglich oder gar verrucht waren. Die Handlung wurde im Lauf der Zeit immer weniger stringent, bot vielmehr in einer vom Variété beeinflussten Weise Raum für kontrastierende, zunehmend effektvolle Nummern mit exotischer Atmosphäre. Die Liedtexte selber machten sich noch weiter von konkreten szenischen bzw. inhaltlichen Bezügen frei. Dies prädestinierte sie für eine erfolgreiche Ausbeutung durch Radio, Film und die aufkommende Schallplattenindustrie. Für die Stars des Genres war die Operettenindustrie äusserst lukrativ. Nicht nur Musiker wie Lehár oder Tauber, auch Löhner-Beda und Herzer wurden märchenhaft reich. Und doch stellten sich diese goldenen Jahre als Tanz auf dem Vulkan heraus: mit der Machtübernahme der Nazis 1933 wurde ein Grossteil der jüdischen Komponisten, Textdichter, Theaterdirektoren und Bühnenkünstler in Berlin und Wien, aber auch in Budapest oder Leipzig systematisch unterdrückt. Die Operetten jüdischer Komponisten wurden verboten, die Namen jüdischer Librettisten von den Plakaten getilgt. Zwar gehörten Operetten von Lehár und sogar Schlager von jüdischen Autoren zu Hitlers Lieblingsmusik; doch während sich Lehár persönlich mit dem Regime arrangierte, endete das Leben der Textdichter von Das Land des Lächelns tragisch.

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Ludwig Herzer und seine Frau Ella gelangten auf der Flucht vor der Gestapo dank Schweizer Schleppern 1938 nach St. Gallen. Dort verstarb der herzkranke Herzer am 17. April 1939 im Alter von 67 Jahren. Seine Frau kehrte im Juni 1939 nach Wien zurück. Von da an verliert sich ihre Spur. Fritz Löhner-Beda wurde am 1. April 1938 mit dem ersten «ProminentenTransport» ins Konzentrationslager Dachau gebracht, im Herbst darauf nach Buchenwald. Am 17. Oktober 1942 kam er nach Auschwitz, wo er im Nebenlager Buna in einer Chemiefabrik der IG Farben schwere körperliche Arbeit leisten musste. Bei einem Besuch von höhergestellten Personen im Lager äus­ serte sich einer der Direktoren der IG Farben abfällig über das Arbeitstempo des kranken und knapp 60-jährigen Schriftstellers. Löhner-Beda wurde zu Tode geprügelt. Löhner-Bedas Frau Helene sowie die beiden Töchter Eva und Liese­ lotte waren bereits im August 1942 in ein Vernichtungslager in der Nähe von Minsk gebracht und wahrscheinlich gleich darauf getötet worden. Victor Léon, der Textdichter der Gelben Jacke, starb 1940, zwei Jahre nach dem «Anschluss» Österreichs an Nazideutschland, in einem Wiener Versteck. Franz Lehár hatte Richard Taubers Versuche, ihn zur Emigration zu überreden, mit dem Hinweis auf sein Alter abgelehnt. Lehárs jüdische Frau Sophie wurde 1938 zur «Ehrenarianerin» erhoben, ihr Mann arbeitete weiter, unter anderem in Wien, Berlin, Paris sowie Budapest und oft im Auftrag des Regimes.

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MAN MUSS SIE SPIELEN, WIE SIE IST Wie macht man heute Operette? Betrachtungen zu einer scheinbar unzeitgemässen Gattung Claus Spahn

Am 10. Oktober 1929 wurde Franz Lehárs Operette Das Land des Lächelns am Berliner Metropol-­Theater uraufgeführt. Zwei Wochen später brachen an der New Yorker Wertpapierbörse die Kurse ein und lösten die berüchtigte Weltwirtschaftskrise von 1929 aus mit ihren verheerenden Folgen. Es gibt keinen Text über Das Land des Lächelns, in dem dieser zeitliche Zusammenhang nicht erwähnt wird. Richard Taubers Welt­erfolg mit der berühmtesten, für ihn komponierten Arie der Operette Dein ist mein ganzes Herz und die grosse wirtschaftliche Depression, die instabilen politischen Verhältnisse im Deutschland der Weimarer Republik sowie der heraufziehende Faschismus scheinen untrennbar zusammen zu gehören. Der Glanz der Gattung ist mit dem Wetterleuchten von Katastrophen immer wieder eine auffällige Verbindung eingegangen: Keine Operette ohne Krise. So war es, als die Uraufführung der Fledermaus von Johann Strauss 1873 verschoben werden musste, weil die Börse in Wien crashte. So war es, als die Uraufführung von Emmerich Kálmáns Csárdásfürstin mit der Bombenstimmung des Ersten Weltkriegs zusammenfiel. Die Operette ist der Tanz auf dem Vulkan. So ging die Erzählung der modernen, aufgeklärten Operettenliebhaber in den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts, als man sich im Musiktheater wieder für die altmodische Gattung zu interessieren begann und sie von der Verharmlosung und Vereinnahmung in der Zeit des Nationalsozialismus und dem biederen Erscheinungsbild, das sie in den fünfziger und sechziger Jahren abgegeben hatte, zu befreien versuchte. Die Operette als Walzerschwung über dem Abgrund – in ausgelassener Sektlaune tänzelt sie mit einem Achselzucken

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über alles Schlimme hinweg: «Glücklich ist, wer vergisst, was nicht mehr zu ändern ist…» Wobei die ausgelassene Laune in Lehárs Land des Lächelns eher kein Thema ist: Dort herrscht der elegische Tonfall der späten lyrischen Operette, in der Witz und Hochstimmung der Melancholie gewichen sind. Für viele Exegeten und Interpreten war der Zusammenhang zwischen Krise und Operette der entscheidende Aspekt, der die Gattung erst wieder interessant werden liess: Jenseits ihrer Oberflächlichkeit weiss sie offenbar mehr, als sie zu erkennen gibt. Oft «am Vorabend von Kata­strophen» aus der Taufe gehoben, wurde ihr Prophetisches zugesprochen: Sie lässt Schlimmes ahnen, das sie allerdings absichtsvoll verschweigt. Vor diesem Hintergrund konnte man den Text von Prinz Sou-Chongs Auftrittsarie in Land des Lächelns wie ein Programm für die ge­samte Gattung lesen: «Immer nur lächeln, immer vergnügt, immer zufrieden, wie’s immer sich fügt, lächeln trotz Weh und tausend Schmerzen, doch wie’s da drin aussieht geht niemand etwas an.» Dementsprechend machten sich die Regisseure daran, der Operette die Maske des ewigen Lächelns herunterzureissen und offenzulegen, was sich in Wahrheit dahinter verbirgt: Sie entlarvten die Depression hinter dem Übermut, den Geist der Intoleranz hinter der Leichtlebigkeit, kapitalistische Gier hinter dem Schön­tue­rischen, Xenophobie hinter der Feier des Exotischen und Präfaschismus hinter der galanten Obrigkeitsgläubigkeit. Das war lange Zeit eine gängige Umgangsform mit der Operette: Die Gattung ernstzunehmen, hiess, sie ihrer Verlogenheit zu überführen. Wer sie weiterhin nur naiv und affirmativ ans Herz zu drücken wagte, sah sich mit dem Vorwurf des Provinziellen und Reaktionären konfrontiert. In den Operettenproduktionen wieder genau den Stachel des subversiv Politischen und Zeitkritischen spüren zu lassen, den ihnen die Nationalsozialisten gezogen hatten, war gewiss ein wichtiger Impuls. Dass allerdings auch das Abräumen der Illusionen zum Klischee gerinnen kann und notorische Geschichtsreflexe pappkulissenhafte Züge annehmen können, wurde erst nach und nach als Problem wahrgenommen. Im Verlaufe der neunziger Jahre verschob sich dann das Interesse von den ernsten Abgründen hinter der Oberfläche auf das Leichte an sich. In gewiss nicht zufälliger Parallelität zur plötzlichen postmodern-ironischen Hippness des

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deutschen Schlagers begann man das Triviale und Künstliche an der Operette zu feiern. Sie wurde zur Spielweise für Travestie und Trash, knallbunt und über­ dreht. So machten etwa die schweizerisch-deutschen Unterhaltungskünstler Geschwister Pfister Ralph Benatzkys Im weissen Rössl in der Berliner Bar jeder Vernunft zu einem Kultstück des Underground. Der Musikwissenschaftler und Operettenkenner Clemens Risi konstatiert für die vergangenen zwanzig Jahre eine auf dieser Revitalisierung aufbauende Renaissance der Operette und beschreibt sie als eine Entwicklung, bei der die schillernde Oberfläche als das Wesentliche der Gattung in den Blick gerät, anstatt einer sich dahinter auftuenden Tiefendimension. Die Auffassung, dass das Wesentliche immer in der Tiefe zu suchen und das Oberflächliche zu vernachläs­ sigen sei, gehöre zum überholten Denken der Moderne, so seine postmoderne Theorie. Risi sieht im aktuellen Umgang mit der Operette ein Konzept, das die Oberfläche, die alles erfasse, «programmatisch zum Eigentlichen und Einzigen erhebt». Es gebe nichts daneben, dahinter oder darunter. Wer als Interpret die Oberflächlichkeit und Leichtigkeit der Operette als das Eigentliche in den Blick nehmen will, muss sie freilich auch beherrschen. Die hybride, offene Form changiert zwischen Oper, Schauspiel, Tanz und Revue, und jede Darstellungsart will mit entsprechender Metierkenntnis szenisch auf die Bühne gebracht werden. Der einfachen musikalischen Nummernfolge, die Lehárs Partitur aneinanderreiht, steht ein grosses Raffinement in der Orchester­ behandlung gegenüber, das in all seinen Feinheiten vom Dirigenten erfasst und ausbalanciert werden will. So geistesschlicht die Texte auch daherzukommen scheinen («Ich liebe dich, und du liebst mich, und da liegt alles drin», singen Gustl und Mi), sie bedürfen einer glaubhaften Emotionalität, um nicht ins Lä­ cherliche abzugleiten. Und vor dem Verharmlosungston, den die Figuren selbst gerne anschlagen, muss man die Operette sowieso schützen: Auf der Bühne geht es musiktheatralisch immer ums Ganze, auch wenn Lisa – nachdem sie ihrem Ver­ehrer Gustl den Laufpass gegeben hat – singt: «Freunderl mach dir nix draus, ’s war ja nicht so bös gemeint. Es ist nicht so arg, wie es scheint.» Die Gefahr falschen Sentiments hat Lehár selbst gesehen und ihr in einem Text von 1926 («Die Operette, wie ich sie mir vorstelle») mit viel Herzblut ent­ gegengehalten, die Figuren würden in ihm, dem Komponisten, lebendig: «Ihre

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Gefühle werden meine Gefühle, ihr ganzes Wesen löst sich, wie die Landschaft, in der sie stehen, und die Luft, die sie atmen, in Musik auf.» Lehár bringt dieses Bekenntnis gegen die Vorurteile in Anschlag, die den Operettenproduktionen der 1920er-Jahre (und insbesondere seinen eigenen Werken) anhafteten – «flüchtige Abendunterhaltung» seien sie, «der einmalige grosse Serienerfolg» das Ziel, «das ge­schäft­liche Interesse» dominiere. Da ist allerdings etwas dran: Im Spannungsfeld zwischen kaltem Erfolgskalkül und her­zens­warmer Empfindung hat sich die Operette immer bewegt. Auch das macht den Umgang mit ihr nicht leichter. Sie zielt auf robuste Massenwirksamkeit und erweist sich zugleich als ein höchst fragiles Kon­strukt, das, von ungeschickten Fingern an­ gefasst, sofort zu Bruch geht. Der Operette gerecht zu werden, heisst eben, sich auf ein komplexes Metier einzulassen. Wer mit brachialen Mitteln gegen ihre Zerbrechlichkeit anin­ szeniert, hält am Ende nur Scherben in den Händen. «Die Operette will heute nicht mehr entzaubert werden», schrieb die Kritikerin Christine Lemke-Matwey vor einigen Jahren in einer Grundsatz-Betrachtung zur Operette in der Wochen­ zeitung DIE ZEIT: «Anarchie ist, sie so zu spielen, wie sie ist, wenn man es denn kann und beherrscht, vom Theaterhandwerk her, als Defilée der Fadenscheinigkeiten, als ‹verkleidete Musik und Musik der Verkleidungen› (René Leibowitz). Anarchie ist, an die Heilkräfte des guten alten bürgerlichen Lachtheaters neu zu glauben.» Die Operetten von Offenbach bis Lehár «zu spielen, wie sie sind» kann frei­lich keine Verengung der Perspektive auf einen gusseisernen Unterhaltungsbegriff von anno dazumal meinen. Dafür ist das Genre viel zu offen, wandelbar und von subversiven Facetten durchsetzt. Reich sind die Möglichkeiten, sich der Operette in inniger Zuneigung zu nähern. Christoph Marthaler etwa, der viele Operetten inszeniert hat, spielt gern auf surreale Weise mit der Vergangenheits­seligkeit und dem Nostalgischen, das der Gattung innewohnt. Wie aus der Zeit gefallene und vom Fortschritt verges­ sene, skurrile Einsamkeitshelden stehen seine Operettenfiguren auf der Bühne. Ein Regisseur wie Herbert Fritsch setzt in seinen Produktionen, die er in Bremen und Berlin realisiert hat, auf die Schlagfertigkeit und Unverschämtheit der Boulevard-­Komödie. Mit der Exaltiertheit seines stotternden, grimassierenden

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und virtuos sich verknotenden Körpertheaters nimmt er das Triviale der Gattung beim Wort. Barrie Kosky, der Regisseur und Intendant der Komischen Oper in Berlin, wiederum frönt dem glamourösen, talmihaften Rausch, den die leichte Muse zu entfachen versteht. Die Grenzziehung zwischen hoher E- und niederer UMusik, die dem Australier mit ungarisch-russisch-­jüdischen Wurzeln am deutschen Kulturbetrieb auf die Nerven geht, ignoriert er frohgemut und macht die Operette mit viel Könnerschaft, schriller Farbigkeit, Divenkult und queerem Witz zu einem programmatischen Eckpfeiler seines Hauses. Ein Konzept, das an die Vitalität des wilden Berlin der Zwanzigerjahre anknüpft und dementspre­ chend stark an die aktuelle Metropolenstimmung der deutschen Hauptstadt gebunden ist. Es gibt viele Wege, einen neuen, fri­schen Umgang mit der Operette zu pflegen. Entscheidend dabei ist, dass sich die Macher der Theaterhaftigkeit der Gattung bewusst sind. Die Operette behauptet eine Welt, aber diese bleibt als Behauptung immer erkennbar. Die Operette darf oberflächlich sein, aber sie weiss um ihre Oberflächlichkeit. Sie ist immer selbst im Bilde darüber, dass sie «gemacht» ist. Diese Selbst­distanz erlaubt es den Protagonisten, mit dem Hergestellten des Theater zu spielen, unvermittelt aus der Welt des schönen Scheins auszusteigen, die berühm­te vierte Theaterwand zum Publikum zu durchbrechen, und sei es nur mit einem beiläufigen Augenzwinkern. So ist es im Falle des Land des Lächelns schon bei Richard Tauber gewesen. Sein berühmtes «Dein ist mein ganzes Herz» war ein Hit in den frühen Zeiten von Radio und Schallplatte. Er hat es nicht nur an seine geliebte Lisa gerichtet, sondern an jeden Einzelnen seines weltumspannenden Publikums. Der Adressat der Emotio­nen kann sich in der Operette von der Figur auf der Bühne auf die versammelte Liebhabergemeinde verschieben. Alle dürfen sich mit dem «Du» und «Dein» gemeint fühlen – als Verabredung, als wissendes Spiel!

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DAS GENAUE MASS Operette zu dirigieren ist etwas vom Schwierigsten, vielleicht schwieriger noch als Wagner und Strauss. Man muss bei dieser Musik technisch und stilistisch sehr sattelfest sein und sollte kein Wagnis eingehen. Man muss dieses Genre sehr ernst nehmen und das genaue Mass finden für all diese kleinen Sentimentalitäten. Das ist ein Balanceakt für jeden Musiker. Mir hat es geholfen, dass ich so lange in Österreich gelebt habe und mich oft mit dieser Musik beschäftigt habe. Als junger Korrepetitor habe ich unter Walter Goldschmidt, einem sehr guten Operettenkapellmeister in Graz, gelernt. Davon zehre ich noch heute. Fabio Luisi

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Das komplette Programmbuch können Sie auf www.opernhaus.ch/shop oder am Vorstellungsabend im Foyer des Opernhauses erwerben Unser Verständnis von Liebe wird durch die ersten verführerischen und ergreifenden Augenblicke irregeleitet und getäuscht. Wir lassen unsere Liebesgeschichten viel zu früh enden. Wir wissen definitiv zu viel darüber, wie die Liebe beginnt, und be­denklich wenig darüber, wie es mit ihr weitergeht. Alain de Botton



Der seidene Faden Grün sind die Berge von Yüe, grün die Berge von Wu. Grün laufen sie die Ufer entlang und aufeinander zu – einander zu und wieder fort. Sie treffen sich und trennen sich, und keiner sagt ein Wort. Verweint ist sein Gesicht, verweint ist ihr Gesicht, Der seidene Faden, der sie umschlang, hielt sie zusammen nicht. Schon schwillt die Flut am Uferrand – sie trafen sich, sie trennten sich – Steig ein! Der Schiffer mahnt. Lin Fu


DAS LAND DES LÄCHELNS FRANZ LEHÁR (1870-1948) Romantische Operette Text von Ludwig Herzer und Fritz Löhner-Beda nach dem Libretto der «Gelben Jacke» von Victor Léon Uraufführung: 10. Oktober 1929, Metropol-Theater Berlin Fassung Andreas Homoki, Opernhaus Zürich 2016/17

Personen

Lisa

Sopran

Graf Gustav von Pottenstein Prinz Sou-Chong

Tenor

Mi, seine Schwester

Sopran

Tschang, sein Oheim Obereunuch

Tenor

Bariton

Tenor

Herren und Damen der Gesellschaft Ort

in Wien und bei Sou-Chong in Peking


Programmheft DAS LAND DES LÄCHELNS Romantische Operette von Franz Lehár (1870-1948) Text von Ludwig Herzer und Fritz Löhner-Beda Premiere am 18. Juni 2017, Spielzeit 2016/17

Herausgeber

Intendant

Zusammenstellung, Redaktion

Layout, Grafische Gestaltung

Titelseite Visual

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François Berthoud

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Telefon 044 268 64 14, inserate@opernhaus.ch

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Textnachweise: Die Handlung schrieb Kathrin Brunner. – Das Interview mit Andreas Homoki, die Zitate von Fabio Luisi, der Essay von Stefan Frey «Das Innere ausbauen», der Essay von Markus Wyler «Tragische Schicksale» sowie der Essay von Claus Spahn «Man muss sie spie­len, wie sie ist», sind Originalbeiträge für dieses Programmheft. – Thomas Bleitner: «Frauen der 1920er-Jahre, München 2014. – Alain de Botton: «Der Lauf der Liebe», Frankfurt a.M. 2016. – Andrea Schlor: «Konfuzianismus», in: Anna Gerstlacher/ Margit Miosga (Hrsg.): China der Frauen, München 1990. – Martin-Liao Tienchi: «Frauenerziehung im alten China. Eine Analyse der Frauenbücher.» O.O. 1984. – «Der seidene Faden», in: Die chinesische Flöte, Nachdichtungen chinesischer Lyrik von Hans Bethge, Leipzig 1935. Bildnachweise: T + T Fotografie / Toni Suter fotografierte die Klavier­hauptprobe am 9. Juni 2017. Urheber, die nicht erreicht werden konnten, werden zwecks nachträglicher Rechtsabgeltung um Nachricht gebeten.

Studio Geissbühler Fineprint AG


Unsere Vorstellungen werden ermöglicht dank der Subvention des Kantons Zürich sowie den Beiträgen der Kantone Luzern, Uri, Schwyz, Zug und Aargau im Rahmen der interkantonalen Kulturlastenvereinbarung und den Kantonen Nidwalden und Obwalden. PARTNER

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