Monteverdi

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MONTEVERDI

CHRISTIAN SPUCK


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MONTEVERDI Musik von Claudio Monteverdi (1567-1643) Musiktheater von Christian Spuck Uraufführung

Partner Ballett Zürich

ab






DIE MUSIK IN «MONTEVERDI» 1 Reginella* Musik: Gaetano Lama /   Text: Libero Bovio Gesang: Roberto Murolo

2 Biagio Marini (1594-1663) Sonata sopra «Fuggi dolente core», op. 22 Nr. 21 3 Claudio Monteverdi (1567-1643) Hor che ’l ciel e la terra Text: Francesco Petrarca Achtes Madrigalbuch, Venedig 1638

4 Luna rossa * Musik: Vincenzo de Cresczenzo /   Text: Antonio Vian Gesang: Roberto Murolo

5 Benedetto Ferrari (ca. 1603-1681) Queste pungenti spine Text: Ottavio Orsucci

6 Come Prima * Musik: Vicenzo Di Paola & Sandra Taccani /   Text: Mario Panzeri Gesang: Domenico Modugno


7 Tarquinio Merula (1595-1665) Ciaccona 8 Claudio Monteverdi Interrotte speranze Text: Giovanni Battista Guarini Siebtes Madrigalbuch, Venedig 1619

9 Claudio Monteverdi Lamento della ninfa Text: Ottavio Rinuccini Achtes Madrigalbuch, Venedig 1638

10 Terra Straniera * Musik, Text und Gesang: Claudio Villa

11 Claudio Monteverdi Con che soavità Text: Giovanni Battista Guarini Siebtes Madrigalbuch, Venedig 1619

12 Francesco Rognoni (ca. 1570-1626) Vestiva i colli (nach Palestrina) 13 Claudio Monteverdi Tirsi e Clori Text: Alessandro Striggio Siebtes Madrigalbuch, Venedig 1619


14 Claudio Monteverdi Sinfonia a 5 Siebtes Madrigalbuch, 1619

15 Caprifischer * Musik: Gerhard Winkler /   Text: Ralph Maria Siegel Gesang: Rudi Schuricke

16 Claudio Monteverdi Si dolce il tormento Text: Carlo Milanuzzi Aus «Quarto scherzo delle ariose vaghezze», Venedig 1624

17 Claudio Monteverdi Il combattimento di Tancredi e Clorinda Text: Torquato Tasso Achtes Madrigalbuch, Venedig 1638

18 Azzurro * Musik: Paolo Conte, Michele Virano /   Text: Vito Pallavicini Gesang: Adriano Celentano

19 Giovanni Maria Trabaci (ca. 1575-1647) Gagliarda IV a quattro


20 Claudio Monteverdi Lamento d’Arianna Text: Ottavio Rinuccini Fragment aus der verschollenen Oper «Arianna», Mantua 1608

23 Luna Rossa * Musik: Vincenzo de Cresczenzo /   Text: Antonio Vian Gesang: Roberto Murolo

24 Claudio Monteverdi Sinfonia (Non avea febo ancora) Achtes Madrigalbuch, Venedig 1638

25 Claudio Monteverdi Volgendo il ciel Text: Ottavio Rinuccini Achtes Madrigalbuch, Venedig 1638

26 Claudio Monteverdi Non è di gentil core Text: Fabrizio degl’Atti Siebtes Madrigalbuch, Venedig 1619

27 Reginella * Musik: Gaetano Lama /   Text: Libero Bovio Gesang: Roberto Murolo

* Aufnahme


Nun, da Himmel, Erde und Wind verstummt sind und Tiere und Vögel der Schlaf übermannt, die Nacht ihren Sternenwagen im Kreise lenkt und das Meer in seinem Bett wellenlos ruht, wache ich, grüble, verzehre mich, weine, und die mein Verderben ist, ist stets mir in meiner süssen Qual gegenwärtig. Mein Herz ist im Krieg, voller Zorn und Schmerz, und nur im Gedanken an sie finde ich ein wenig Frieden. Madrigal «Hor che ’l ciel e la terra»



SO EINFACH UND SO VIEL GEFÜHL Ein Gespräch mit Christian Spuck über sein Musiktheaterprojekt «Monteverdi»

Christian, Claudio Monteverdi gehört zu den Komponisten, die dir viel bedeuten. Woher rührt diese persönliche Beziehung? Ich habe seine Musik zum allerersten Mal bei einer Tanz-Produktion von Anne Teresa De Keersmaeker gehört, als ich 17 Jahre alt war. Da hat sie mich allerdings noch eher gelangweilt. Einige Jahre später habe ich mir dann bei Zwei­tausend­eins, dem damals wichtigsten Schallplattenladen für junge Leute, die Gesamtaufnahme der drei Monteverdi-Opern von John Eliot Gardiner gekauft und fand darin vor allem den grossen Anfangsmonolog von Penelope in Il ritorno d’Ulisse in patria wunder­schön. Ich habe das auf meinem Walk­man immer gehört und fand die Schlichtheit der Musik in Kombination mit der Direktheit, mit der die Emo­tionen zum Ausdruck kommen, total berührend. Das war der Beginn meiner Liebe zu Monteverdi, die nach und nach gewachsen ist. Die extrem reduzierte Form mit nur einer Gesangs­ stimme plus Lauten- und Basso Continuo-Begleitung erzählt so viel. Monteverdi hat seit dem legendären Pionier-Zyklus mit Nikolaus Harnoncourt und Jean-Pierre Ponnelle am Opernhaus in Zürich eine grosse Renaissance auf den Opernbühnen erlebt. Seine Opern sind vielerorts fester Bestandteil des Repertoires geworden. Monteverdi hat aber auch Karriere im Privaten gemacht. Melancholische Menschen hören ihn wie Popsongs. Einige seiner populärsten Nummern sind regelrechte Hits bei Liebeskummer. Hörst du Monteverdi auch zu Hause nur für dich? Ja, klar. Für mich war Monteverdi unabhängig von seiner Bühnenpräsenz immer auch etwas Privates. Das spielt auch in unserer Produktion eine Rolle.

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Ich habe mir die Highlights aus seinem Schaffen herausgesucht, die ich emotional besonders stark finde und die als Nummern für sich stehen können. Die meisten Stücke sind aus dem Achten Madrigalbuch. Es ist, wie du sagst: Viele Sachen sprechen zu uns wie Songs von heute, obwohl sie vierhundert Jahre alt sind. Inwiefern eignet sich Monteverdis Musik für ein Ballett? Ballett finde ich nicht den richtigen Begriff für das, was wir machen. Es ist um­fassender. Ich sehe es als ein Musiktheater, in dem Gesang, Tanz und instrumentale Teile zusammenkommen. Ich habe sieben Sängerinnen und Sänger in dieser Pro­duk­tion, so viele wie noch nie, dazu das gesamte Ballett Zürich. Aber deine Frage zielt ja darauf ab, wie viel Nähe zum Tanz per se in Monteverdis Musik steckt. Tanz spielt in seinen Werken durchaus eine wichtige Rolle in Form von Ritornellen oder Zwischenspielen, in den Madrigalbüchern gibt es explizit als «Balli» ausge­­wiesene «Ballette». Aber ausgerechnet die finde ich nicht so spannend, sie sind in der Form eher schematisch und vorhersehbar. Dem Tanz kam zu Monteverdis Zeiten eben eine ganz andere Bedeutung zu als heute. Das war zeremonielle Unter­­ haltung am Hof und hatte nicht den subjektiven Ausdruckscharakter, der für Monte­verdis Musik so prägend ist. Mich interessiert die Vokalmusik und die emo­tio­nale Kraft, die ihr innewohnt. Sie inspiriert mich zu Tanz.

Das komplette Programmbuch können Sie auf www.opernhaus.ch/shop oder am Vorstellungsabend im Foyer des Opernhauses erwerben Du hast das Achte Madrigalbuch erwähnt. Was ist das Besondere an dieser Werksammlung? Es ist Monteverdis letztes Madrigalbuch, in dem er noch einmal eine Art Summe seines Schaffens zieht. Er hat es Canti guerrieri et amorosi genannt, Lieder von Krieg und Liebe, wobei mit «Krieg» ein Krieg der Liebenden gemeint ist. Im Achten Madrigalbuch finden sich berühmte Stücke wie das Lamento della ninfa, Hor che’l ciel e la terra oder das unglaubliche Com­ battimento di Tancredi e Clorinda. Sie sind in einer interessanten Zwischenform komponiert – noch nicht richtige Oper, aber auch nicht mehr kon­ zertanter Vortrag. Die Szenen werden durch erzählte Dramatik zum Ausdruck gebracht, die Figuren selbst treten nur sparsam in Er­schei­nung. Monteverdi

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hat dafür einen sehr expressiven Gesangsstil erfunden, er selbst nennt ihn «stile concitato», erregten Stil. Das macht die Werke für eine Umsetzung in abstrakten Tanz extrem spannend. Wovon handeln die Stücke, die du zusammengestellt hast? Von Verlassensein, von Vereinsamung und gebrochenen Herzen. Eigentlich wohnt nur den eingeschobenen Tänzen eine gewisse Fröhlichkeit inne, ansonsten sind die Stücke sehr auf der melancholischen Seite. Melancholie ist ein grosses Thema im Schaffen von Monteverdi. Er konnte wie kein anderer zuvor Liebesschmerz und Welttraurigkeit in Töne fassen. Er hat dadurch etwas für die damalige Zeit völlig Neues in die Musik gebracht – das tief empfindende Individuum, das seine innersten Gefühle nach aussen kehrt. Vor Monteverdi wurde Musik vor allem für die Kirche, zum Lob Gottes ge­schrieben, oder sie diente zur Unterhaltung an Fürstenhöfen. Damit gab sich Monteverdi aber nicht zufrieden. Er wollte mit seiner Musik nicht mehr nur gefallen, sondern die Zuhörer erschüttern und zu Tränen rühren – und es ist ihm gelungen. Seine Aufführungen müssen für die damalige Zeit eine un­glaub­liche emotionale Intensität gehabt haben. Es gibt Berichte, in denen be­schrie­ben wird, dass das Publikum beim Hören von Monteverdis Musik tatsächlich in Tränen ausgebrochen ist. Wie könnte man den Abend, den du kreierst, überschreiben? Es gibt ein berühmtes Buch aus dem 17. Jahrhundert, das zu Lebzeiten Monteverdis geschrieben wurde. Es heisst Die Anatomie der Melancholie von Robert Burton. Davon handelt auch unsere Arbeit: Unser neues Stück ist eine Art Untersuchung über das Wesen der Melancholie. Von welchen Gefühls­zuständen ist sie geprägt? Wie äussert sie sich? Wie viele Facetten wohnen ihr inne? Ein anderer Aspekt ist theatralischer Art: Mit Monteverdi beginnt die Geschichte der Oper. Seine Musik ist der faszinierende Anfang von Oper mit und durch Musik, und diese Anfangssituation werden wir zum Thema machen, im Bühnenraum und in den fragmentarischen Szenen und Episoden, die darin stattfinden. Es ist ein Moment von Theatralität, der vor dem eigentlichen Beginn von Theater mit konsistenten Figuren und einer ausführ-

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lichen Handlung liegt. Es geht mehr um die Emotionen, die die Szenen hervortreiben, und da kann ich mit Tanz und einer abstrakten Choreografie sehr gut ansetzen. Im Lamento della ninfa etwa klagt eine von ihrem Geliebten verlassene Nymphe. In Combattimento stehen sich Tancredi und Clorinda gegenüber, die aus feindlichen Lagern stammen, sich aber trotzdem lieben und einen Kampf auf Leben und Tod führen. Treten diese Figuren in deinem Musik­theater auf? Ja und Nein. Es treten Tänzerinnen und Tänzer auf, die diesen Figuren für Momen­te eine emotionale Beglaubigung geben, aber sie sind nicht diese Figuren. Sie treten nicht als Nymphen auf. Alle Darstellerinnen und Darsteller auf der Bühne sollen durch ihre Kunst, also Gesang und Tanz, das vermitteln, wovon die Musik in ihrem Inneren handelt. Wir streben eine Gleichzeitigkeit von angedeuteter Narra­tion und Abstrak­tion an. Wir versuchen den ersten Momenten von Musiktheater nachzu­spüren, und mich interessiert dabei auch die Fragilität, die in so einem Anfang immer liegt.

Das komplette Programmbuch können Sie auf www.opernhaus.ch/shop oder am Vorstellungsabend im Der Hauptakteur in Combattimento di Tancredi e Clorinda ist ein Er­Foyer zähler, der den Kampf zwischen dem Kreuzritter Tancredi und der sarazeni­ schenOpernhauses Heer­führerin Clorinda schildert.erwerben Was heisst das für die des Umsetzung auf der Bühne? Es ist für einen Regisseur oder Choreografen immer eine grosse Heraus­ forderung, wenn auf der Bühne erzählt wird, was geschieht. Dann macht es nämlich keinen Sinn mehr, es auch noch zu zeigen. Zeige ich es trotzdem, gibt es eine ungute Verdoppelung von Erzähltem und Gezeigtem. Das ist das Problem. Aber das Tolle an Monteverdis Musik ist ja, dass man bereits in den Beschreibungen des Erzählers den dramatischen Kampf hört, die wüten­den Schwertschläge, das Blut, das aus den Wunden rinnt, das Entsetzen, das Seufzen. Alles ist musikalisch vor allem durch Sprache umgesetzt. Alles ist auch ohne Bühne da. Unsere Aufgabe ist es, diese Dramatik nicht durch eine zusätzliche szenische Bebilderung zu schwächen, sondern ihre emotionale Kraft zu verstärken, und das geht meiner Meinung nach nur mit Abstraktion

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in der Choreografie. Das Publikum soll gewissermassen mit dem Auge zuhören. Das wäre mein Wunsch. Du sagst, du willst die Anfangssituation von Theater zum Thema machen. Kannst du etwas konkreter beschreiben, was das heisst? Wir arbeiten alle am Theater, es ist unser Leben. Und es ist für uns normal, dass wir auf der Bühne etwas erzählen. Ich finde es spannend, diese Selbst­ver­ ständlichkeit zu hinterfragen und mit Monteverdi zu reflektieren: Wann beginnt Theater? Aus welchen Energien speist es sich? Durch was wird es in Gang gesetzt? Mein Bühnenbildner Rufus Didwiszus hat einen Raum ge­schaf­ fen, der Vieles ist: Man kann in ihm eine Landschaft sehen, den Innen­raum eines geschlossenen Caféhauses, eine Wartehalle. Es liegen Requisiten herum. Der Ort verströmt eine melancholische Grundstimmung. In einer solchen Offenheit kann theatralische Kreativität entstehen. Besteht nicht die Gefahr, dass ein Abend mit Monteverdis Musik im Liebesschmerz absäuft? Ich hoffe nicht, dass das passiert. Ich habe in der Vorbereitung des Stücks nach einem musikalischen Kontrast zu Monteverdi gesucht. Ich wollte eine Leichtigkeit in die Produktion tragen und Humor, der den Schwermut der Lamenti bricht. Wir sind dann auf italienische Popsongs der sechziger und siebziger Jahre ge­kommen, die wir zwischen die Monteverdi-Stücke geschnitten haben. Monteverdis Texte handeln ganz oft von Liebeskummer und Verlassensein und haben darin viel Ähnlichkeit zu Schlagertexten, die wir heute hören. In die Stille zwischen den Madrigalen erklingen bei uns Schlager vom Band. Die vierhundert Jahre alte Musik schlägt in die Gegenwart von heute um, und aus dieser Stimmung entwickelt sich die nächste MonteverdiSzene. Ich habe es mir humorvoll vorgestellt, wenn nach Monteverdi plötzlich Adriano Celentano kommt. Aber in den Proben haben wir dann festgestellt, dass die Stimmungslage sich gar nicht so sehr ändert. Die Melancholie bleibt. Sie liegt über der Musik aus beiden Genres, obwohl die so unterschiedlich sind. Trotzdem ist der Kontrast wichtig, denn das Combattimento di Tancredi e Clorinda beispielsweise ist so aufwühlend, dass man sich unweigerlich fragt,

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wie ein Abend nach diesem Stück überhaupt noch weitergehen kann. Das geht nur über einen scharfen Kontrast, durch Humor. Schade, dass das nur auf der Theaterbühne möglich ist und nicht im wirklichen Leben. Da würde man ja manche katastrophische Entwicklung auch gerne mit einem Witz relativieren, aber das hilft leider nicht. Du sprichst wahrscheinlich die Corona-Situation an. Ich habe manchmal das Gefühl, dass die Art, wie in diesem Stück das Theater aus dem Nichts und dem Stillstand wieder Raum zu greifen versucht, auch mit der Erfahrung des Lockdowns zu tun haben könnte. Reagiert das Projekt auf die Zeit, in der an den Theatern Spielverbot herrschte und phasenweise nicht einmal geprobt werden konnte? Die Idee zu Monteverdi ist eigentlich schon älter. Die hat uns schon be­schäf­ tigt, als es Corona noch nicht gab. Ich hab mich gefragt, wie es künstlerisch mit dem Ballett Zürich weitergehen könnte, als wir so erfolgreich waren, etwa nach Nussknacker und Mausekönig. Sollen wir die Handlungs­ballette und die konventionellen Formen weiter bedienen, oder sollen wir weitergehen und Grenzen aus­loten? Bei Helmut Lachenmanns Mädchen mit den Schwefel­ hölzern haben wir das getan, das Werk war noch nie als Ballett zu sehen, und fünfzig Tänzerinnen und Tänzer haben sich über einen sehr langen Zeitraum mit komplexer zeitgenössischer Musik auseinandergesetzt. In unserem Monteverdi-Projekt sehe ich auch einen Versuch, aus den konventionellen Bahnen des Balletts auszubrechen und künstlerisches Neuland zu betreten. Leicht fällt das nicht. Es tauchen in der Entstehung des Abends jeden Tag mehr Zweifel und Fragen in meinem Kopf auf. Ich glaube, es gibt keine Produktion, mit der ich mehr kämpfen musste. Vielleicht hat das auch damit zu tun, dass die Genialität von Monteverdis Musik in ihrer Einfachheit liegt. Da trifft alles ins Schwarze. Anders als eine Oper von Verdi, die ohne Szene gar nicht denkbar ist, brauchen die Sachen eigentlich kein Theater und erst recht kein Ballett. Aber sie lassen einen auch nicht los, weil sie so wundervoll sind.

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Das Gespräch führte Claus Spahn

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VERLUST DES WELTVERTRAUENS Christian Spuck will der Melancholie in Monteverdis Musik nachspüren. Aber was ist eigentlich Melancholie? Ein Gespräch mit dem ungarischen Kunsttheoretiker László Földényi

Herr Földényi, wir wollen mit Ihnen über Melancholie reden. Sie haben zwei vielbeachtete Bücher darüber geschrieben, zuletzt das Lob der Melancholie. Ist die Melancholie Ihr grosses Lebensthema? Das scheint so zu sein, ja. Ich komme von dem Thema nur schwer los. Auch andere meiner Bücher, etwa über Caspar David Friedrich oder Heinrich von Kleist, hatten mit Melancholie zu tun. Diese beiden Künstler sind in meinen Augen auch grosse Melancholiker. In meinem ersten Buch aus den achtziger Jahren habe ich die Geschichte der Melancholie erforscht und war fasziniert davon, wie unter­schied­lich sie in den verschiedenen Epochen bewertet wurde. Für die Griechen waren viele herausragende Persönlichkeiten Melancholiker, von den Heroen bis zu Philosophen wie Empedokeles oder Platon. Im Mittelalter galten die Geisteskranken und Gottesleugner als Melancholiker. In der Renaissance waren es hauptsächlich die grossen Künstler, im 17. und 18. Jahrhundert die Faulen, die vom Leben Gelangweilten und die Aussenseiter der bürgerlichen Gesellschaft. Im 19. Jahrhundert verdrängt der Begriff der Depression die Melancholie, und im 20. Jahrhundert wird sie zum kitschigen Gemeinplatz: Melancholisch war ein schöner Spaziergang im Sonnenuntergang am Meer und ähnliches. Aber der depressive Mensch im Verständnis unserer Zeit ist nicht gleichzu­setzen mit dem Melancholiker, über den Sie reflektieren. Wie lässt sich das Phänomen der Melancholie denn für uns heute fassen?

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Nach der Beendigung meines Buches über die Geschichte der Melancholie hat mich der Gedanke nicht mehr losgelassen. Wenn man trotz unterschied­ lichster Deu­tun­gen immer am Begriff «Melancholie» festgehalten hat, muss es über die Jahr­hun­derte hinweg einen gemeinsamen Nenner geben, und dem bin ich in meinem zweiten Buch nachgegangen. Ich wollte herausfinden, was die griechischen Philosophen, die Herätiker, die Gelangweilten und die Genies gemeinsam haben. Man kann die Melancholie nicht auf einen klaren Begriff reduzieren, aber ich habe festgestellt, dass sie schon immer mit einem Verlust des Weltvertrauens einherging. Melancholiker haben die schwarzen Schatten über der jeweiligen Zivilisation wahrgenommen, und sie waren überzeugt, dass es noch etwas hinter der Hülle der realen Welt geben muss. Das klingt nach einem religiösen Gedanken, aber die Melancholiker sind nicht religiös. Der Gläubige hat ein festes Vertrauen ins Jenseits, der Melancholiker nicht. Trotzdem kann der Melancholiker nicht akzeptieren, dass die reale Welt die endgültige Verfasstheit unseres Daseins ist, es muss noch etwas anderes geben. Der Dichter Charles Baudelaire hat in einem Aufsatz über die «irritierende Melancholie» geschrieben, die der Musik und der Poesie entspringt. Sie brächte uns eine Welt, die jenseits des Grabes liegt, zum Vorschein. Das fand ich einen schönen Gedanken. Baudelaire sieht das Jenseits hier bei uns, nur wir bemerken es nicht. Im Bekannten das Unbekannte zu erkennen, sei Melancholie. Ich stimme Baudelaire zu. Melancholie hat mit Offenheit für Metaphysik zu tun. Das Melancholische bringen wir immer mit einer gewissen Gestimmtheit des Menschen in Verbindung. Wenn der Begriff aber so gross und so weit gedacht ist, in welche Stimmung gerät dann der melancholische Mensch? Mich stört es, wenn man Melancholie auf Schwermut, Traurigkeit, Nieder­ geschlagen­heit oder Weltschmerz reduziert. Man kann als Melancholiker auch heiter und glücklich sein. Novalis war oft heiter, aber ein grosser Melancholiker. Für den englischen Romantiker John Keats war die Melancholie «the very temple of delight». Melancholie ist mehr als ein Gefühl, sie ist eine Art von Weltsicht. Der Melancholiker will unsere Welt in Richtung des Unbekannten erweitern. Das Unbekannte kennt er nicht, aber es zieht ihn an.

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Ist die Melancholie ein erstrebenswerter Zustand für den Menschen? Ich würde sagen, man strebt nicht nach Melancholie, sondern man wird melancholisch, ohne es zu merken. Wenn man sich in Musik vertieft, hört man am Ende etwas, das über die Musik hinaus geht. Der Schriftsteller Louis-Ferdinand Céline sagte, in jeder Musik stecke ein einziges Lied, und das sei das Lied vom Tod. Der Gedanke, dass aus jeder Musik die unge­ schriebene Weise vom Tod herauszuhören ist, gefällt mir. Diese Erfahrung kann man nicht nur bei Monteverdi oder Gustav Mahler machen, sondern selbst bei Haydn, der helle Musik komponiert hat. Welches Verständnis von Melancholie hatte man zu Lebzeiten von Monte­ verdi im 17. Jahrhundert? Ein typischer Melancholiker in der Spätrenaissance war der italienische Neuplatoniker Marsilio Ficino. Er hatte ein zwiespältiges Verhältnis zu seiner eigenen Melancholie. Einerseits litt er daran und beklagte sich ständig: «Warum bin ich im Zeichen des Saturn geboren? Warum bin ich so unglücklich?» Anderswo schreibt er dann, dass gerade Saturn für die geistige Ausserordentlichkeit verantwortlich sei. Der Zwiespalt, einerseits verdammt und andererseits ein Auserwählter zu sein, war typisch für die Renaissance. Zu Monteverdis Zeiten war man stolz auf diesen Zwiespalt.

Das komplette Programmbuch können Sie auf www.opernhaus.ch/shop oder am Vorstellungsabend im Foyer des Opernhauses erwerben Die Renaissance steht für das grosse Erwachen des Menschen in der Kunst, wie es ja auch bei Monteverdi zu erleben ist. Öffnet dieses aufblühende Ich-­Bewusstsein auch der Melancholie die Pforten? Das kann man so sagen. Die Melancholie hat in dieser Zeit eine grosse Epoche. Das Ich im neuzeitlichen Sinne wird hier geboren, immer mehr Schichten des Indi­vi­duums kommen zum Vorschein, voll mit Widersprüchen natürlich. Wenn man Vasaris Lebensgeschichten der grossen Maler liest, stellt man fest, wie viele von ihnen Melancholiker waren. Das macht sie unglücklich und befähigt sie gleichzeitig dazu, geniale Werke zu schaffen. Es gibt ein berühmtes Buch, das im 17. Jahrhundert entstanden ist, Die Anatomie der Melancholie von Robert Burton. Sie kennen es natürlich.

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Kann man aus der Existenz dieser grossen Abhandlung schliessen, dass die Epoche Monteverdis nicht nur eine melancholische war, sondern auch eine, in der besonders intensiv über das Wesen der Melancholie nachgedacht wurde? Das würde ich so nicht sagen. Die Melancholie ist von jeher ein Gegenstand der Reflexion, schon bei Aristoteles. Die Melancholie ist geradezu eine Condition humaine. Sie gehört zum Menschsein. In den Madrigalen und Lamenti von Monteverdi geht es ganz oft um Liebesschmerz. Die Einsamen und Verlassenen klagen ihr Leid. Ist denn Liebes­kummer überhaupt ein Ausdruck von Melancholie, so wie Sie sie verstehen? Natürlich. Liebe ist immer eine Form von Selbstverlust. Man verliert sich, wenn man verliebt ist, egal ob die Liebesgefühle einseitig oder gegenseitig sind, und gerade in den Situationen, in denen man kopflos ist, ist man am nächsten bei sich selbst. Das ist eine sehr melancholische und vielversprechende Gefühlslage. Bei Monteverdi ist dem Schmerz der Liebeskranken immer auch eine Süs­se beigemischt, ein Genuss. Ist der Teil der Melancholie? Unbedingt. Das Schwelgen gehört dazu. Mir fällt da sofort das berühmte Schluss-­Duett «Pur ti miro, pur ti godo» aus Monteverdis Oper L’incoro­na­zio­ ne di Poppea ein, das finde ich einfach wunderbar. Poppea und Nerone sind am Ende und überschreiten in dem Duett eine Grenze, nicht ins Jenseits, sondern in eine Sphäre, in der alles, was bisher geschah, nebensächlich wird. Das ist unendlich traurig und zugleich voller Glück. Auf diese Art eine Oper zu beenden, ist einmalig. In dem Madrigal Interrotte speranze, zu deutsch «Erstickte Hoffnungen», will das lyrische Ich die «wilde Liebesglut nur noch mit Seufzern nähren und den Kummer vor spähenden Augen verstecken». Ziehen sich Melancholiker immer in die Einsamkeit zurück, oder ist auch eine kollektive Melancholie denkbar?

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Das bezweifle ich. Ich glaube, die Melancholie ist ein sehr privater Zustand. Oft bemerkt man die Melancholie erst, nachdem der Zustand schon vorbei ist. Und oft merkt man überhaupt nicht, dass man gerade melancholisch ist. Lord Byron beschreibt in seinem Tagebuch, wie er an einer Festtafel seine Gäste unterhielt. Er war lustig, glänzte, alle lachten, und zu seiner Frau rief er: «Siehst du, Bell, und mich nennt man einen Melancholiker!» Sie er­widerte: «Ja! Du bist der melancholischste Mensch der Welt, und gerade, wenn du am fröhlichsten bist.» Der Choreograf unserer Monteverdi-Produktion, Christian Spuck, hat den Abend in Fragmentform angelegt als ein Puzzle mit vielen offenen Enden, und schon in den Proben ist zu spüren, dass sich durch diese Form in Ver­­bin­dung mit Monteverdis Musik Räume für eine ganz eigene weltverlorene Stimmung auftun. Gibt es Verbindungen zwischen dem Fragmentarischen und dem Melancholischen? Fragmente sind immer wichtige Herausforderungen. Besonders in der Romantik spielen sie eine grosse Rolle. Wenn das Fragment nicht als abge­ brochener Teil eines einheitlichen Ganzen erscheint, sondern nur als Fragment existiert, ist es ein typisches Symbol der Melancholie.

Das komplette Programmbuch können Sie auf www.opernhaus.ch/shop oder am Vorstellungsabend im Foyer Sie des schreiben Opernhauses in Ihrem Buch, der Melancholiker nehme Welt in Stücken erwerben wahr, und zitieren John Dunne, der schreibt: «Alles in Scherben ohne Bezug, hier ist zu wenig und dort nie genug.» Wir leben eigentlich in Fragmenten. Der Weg von der Geburt bis zum Tod ist ein Fragment, nichts anderes. Natürlich streben alle Religionen danach, dieses Fragment des Lebens in ein grosses Ganzes einzubetten. Der Melan­ cho­liker zweifelt daran und geniesst das Leben als Fragment. In der Moderne ist das eine sehr unzeitgemässe Lebenseinstellung. Wir wollen die Welt immer zu einem kompletten Ganzen zusammensetzen. Ja, das machen diejenigen, die alles erklären wollen, die Technokraten, die Gläubigen. Der Melancholiker geht einen anderen Weg. Er kann die Unlösbarkeit von Dingen akzeptieren.

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Ist die Melancholie also auch ein Affront gegen die Moderne? Schon. Sie ist eine anachronistische Anlage. Sie ist jetzt kein aggressiver Akt gegen die moderne Welt, aber wenn man melancholisch wird – und das erlebt jeder Mensch –, erkennt man, wie ungenügend all das ist, was uns horizontal umgibt. Die Moderne möchte für alles Lösungen finden, aber das geht natürlich nicht. Wird die Melancholie in unserer Zeit als Depression pathologisiert? Die Depression ist eine Krankheit, die man behandeln muss mit Medikamenten und Therapie, sie ist eine Last. Aber Melancholie ist keine Last für den Menschen. Sie macht einen offen für Fragen, die wir sonst nur selten stellen. Diese vermeint­liche Gewissheit, dass wir alles im Griff haben, wird von den Melancholikern in Frage gestellt, etwa in Situationen übergrosser Trauer, überfliessender Liebe, kathar­­tischen Kunstgenusses oder einem Zustand der Extase. Dann hat man das Gefühl, dass es wichtigere Horizonte gibt als die, die wir jeden Tag um uns herum sehen. Ich glaube, Melancholie ist eine sehr gesunde Einstellung zur Welt.

Das komplette Programmbuch können Sie auf www.opernhaus.ch/shop oder am Vorstellungsabend im Foyer des Opernhauses erwerben Das Gespräch führten Michael Küster und Claus Spahn

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EXPERIMENTELLES MUSIKTHEATER Über die kühne Form von Claudio Monteverdis «Combattimento di Tancredi e Clorinda» Claus Spahn

Das Achte Madrigalbuch von Claudio Monteverdi, dem Christian Spuck eine ganze Reihe von Musiken für sein Monteverdi-Musiktheater entnommen hat, ist eine ganz besondere Werk-Sammlung. Monteverdi hat sie 1638 veröffentlicht und darin Stücke aus verschiedenen Phasen seines Schaffens zusammengefasst. Es ist eine Art künstlerisches Vermächtnis, in dem der angesehene Komponist im hohen Alter von 71 Jahren noch einmal die Summe seiner künstlerischen Arbeit zieht. Die Werke darin offenbaren den revolutionären Umschwung von der Herrschaft der mehrstimmigen Vokalpolyphonie zum einstimmigen, expressiven Sologesang, der auch die Geburtsstunde der Oper ist. Ein Herzstück – auch in Christian Spucks Produktion – ist Il combattimen­ to di Tancredi e Clorinda, eine musiktheatralische Szene, die zu den komposito­ risch kühnsten und ausdrucksstärksten Werken Monteverdis gehört. Der Com­ battimento war atemberaubend experimentelles Musiktheater für das 17. Jahr­hundert – und ist es im Grunde bis heute. Als das Werk 1624 in einer vene­zia­ nischen Adelsrunde zum ersten Mal aufgeführt wurde, hatte Monte­verdi seine erste Oper L’Orfeo längst geschrieben. Aber die Idee, Musik und Theater in Form von emotionsstark auskomponiertem einstimmigen Gesang mit Instru­ mentalbegleitung zusammenzubringen war noch jung. Es gab noch viel auszuprobieren, weiterzudenken und konsequenter zu fassen in Anbetracht des Ziels, das Monteverdi vor Augen hatte: Den einzelnen Menschen mit seinen Leidenschaften und Gefühlen wollte er ins Zentrum seiner Kunst rücken und dessen Innerstes nach aussen kehren.

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Das war für die Musikpraxis der damaligen Zeit alles andere als eine Selbstverständlichkeit. In der Vergangenheit war die Musik Abbild einer höheren harmonischen Weltordnung gewesen, sie hatte dem Lob Gottes und der repräsentativen Unterhaltung an den Fürstenhöfen gedient. Monteverdi jedoch wollte mehr. Er wollte mit seiner Musik bewegen, zu Tränen rühren und sie aus sich selbst heraus Bild, Szene, Aktion werden lassen. Im Vorwort zu seinem Achten Madrigalbuch schreibt er, dass ihm die Spannbreite der Gemütsbewegungen in der Musik seiner Zeit noch zu gering sei. Er vermisse den Zorn, den «stile concitato», einen «erregten Stil». Er wollte die Emotionen noch extremer, zuge­ spitzter und kontraststärker, und den literarischen Treibsatz, den er brauchte, um seinen «erregten Stil» entwickeln zu können, fand er beim Dichter Tor­quato Tasso und dessen Episode von Tancredi und Clorinda aus dem Epos La Geru­ salemme Liberata. Die Geschichte von der Liebe des Kreuzritters Tancredi zur Sarazenin Clorinda kulminiert in einem Kampf des Paares, das verfeindeten Lagern angehört und sich dennoch liebt. In schweren Ritterrüstungen stehen sie sich mit geschlossenem Visier gegenüber, sodass Tancredi Clorinda nicht als seine Geliebte erkennt. Tasso schildert den Kampf drastisch, hasserfüllt und blutig. Er endet damit, dass Tancredi Clorindas Herz mit seinem Schwert durchbohrt und erst beim Abnehmen des Helmes erkennt, wen er tödlich verwundet hat. Die Sarazenin bittet um die Taufe und stirbt als Christin. Claudio Monteverdis Interesse galt allerdings weniger dem finalen Heil durch christliche Erlösung, als er die Geschichte vertonte. Ihn inspirierte der Ausnahmezustand der Gefühle, der ihr innewohnt, der Zusammenprall von Wut und Liebe. Das Geschehen ist nicht nur ein Duell von Feinden, sondern auch ein Geschlechterkampf, ein Liebeskrieg wider besseres Wissen und eine erotische Grenzüberschreitung. Mehr «concitato», mehr hochkochende Erregung ist kaum denkbar – und so komponiert Monteverdi den Combattimento denn auch mit der entsprechenden Gefühlsradikalität. Von zentraler Bedeutung ist für ihn dabei, dass alle Dramatik unmittelbar aus der Sprache hervorgeht. Das war sein Credo: Dass die Leidenschaften eines Menschen nur durch einen Gesang lebendig werden können, der auf dem dekla­ mierten Wort aufbaut. So bringt Monteverdi das Waffenklirren der Kämpfenden,

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das Hin und Her ihrer Schwertschläge und ihre Atemlosigkeit mit sich schier überschlagenden Wortsalven und repetierten Silben auf einem einzigen Ton zum Ausdruck, mit Schrecksekunden des Schweigens und lyrisch zurückgenommenen Momenten der Erschöpfung. Das begleitende Instrumentalensemble, das nur aus wenigen Streichern und einer Continuogruppe besteht, wird – und das war ebenfalls neu – unmittelbar in die Dramatisierung einbezogen durch harsche Akkorde, alarmierende Tonrepetitionen oder Schläge und Pferdegalopp imitierende Streichereffekte. Monteverdi offenbart sich als wirkungssicherer Musiktheatraliker durch und durch, obwohl durch seine kompositorische Arbeit doch gerade erst der Anfang gemacht ist, die Möglichkeiten musikalischer Dramatik auszuloten. Das besondere Raffinement von Monteverdis dramatischer Strategie besteht im Combattimento darin, dass das Geschehen nicht gezeigt, sondern erzählt wird. Clorinda und Tancredi sind zwar als Sopran- und Tenorstimme anwesend, aber sie verkörpern die Geschichte nur in wenigen Momenten. Ein Erzähler trägt sie vor. Er ist der Hauptdarsteller der Szene. Aus seinem zwischen Sprechen und Gesang changierenden Vortrag erwächst das Theater, und als ein Imaginäres lässt er es im Kopf der Hörenden entstehen. Allerdings nicht nur: Mitunter tritt er hinter sich zurück, reflektiert seine Rolle als Chronist einer schrecklichen Geschichte, kommentiert die beschriebenen Vorgänge und äussert durch Aufschreie seine innere Beteiligung. Nur in kurzen Passagen kommen die Protagonisten in Augenblicken des Handlungsstillstands mit ihrem Gesang selbst zu Wort. Dann übernimmt wieder der Erzähler und treibt das Geschehen voran. Auf dem Höhepunkt der dramatischen Entwicklung, wenn nämlich Tancredi Clorindas Helm abnimmt und erkennt, dass er seine Geliebte getötet hat, kommt der Entsetzensschrei nicht von Tancredi, sondern vom Erzähler. Was Monteverdi mit seinem Combattimento di Tancredi e Clorinda geschaffen hat, ist keine rudimentäre Vorstufe von Musiktheater, sondern eine eigene, vollgültige Form epischer Dramatik, an die in der Theatergeschichte erst viele Jahrhunderte später wieder angeknüpft wird. Sie ist vexierbildhafter, reicher und kaleidoskopischer als der aufwändige Illusionismus der Barockoper, in den die Entwicklung des Musiktheaters nach Monteverdi mündet.

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Lasst mich sterben, und wer, meint ihr, könnte mich trösten in meinem harten Los, in meiner grossen Pein? Lasst mich sterben. Aus dem «Lamento d’Arianna»


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DIESE MUSIK BRAUCHT KEINE EXTRAS Wie soll Monteverdi klingen? Ein Interview mit Riccardo Minasi, dem künstlerischen Leiter des Orchestra La Scintilla

Riccardo, wie findest du die Idee, die Musik von Claudio Monteverdi mit Ballett zu kombinieren? Faszinierend. Als Christian Spuck mich fragte, ob ich Lust hätte, mit ihm ein solches Projekt zu realisieren, war ich sofort begeistert. Ich bin ein grosser Fan von Christians Arbeit. Wir hatten bereits das Ballett Der Sandmann zusammen gemacht mit der Musik von Alfred Schnittke und Robert Schumann. Für mich war das eine der schönsten Sachen, die ich bis dahin gesehen hatte. Deshalb habe ich mich wie ein Kind auf den gemeinsamen Monteverdi gefreut. Bei Monteverdi besteht der Notentext nur aus den Vokalstimmen und dem Basso continuo. Die Instrumentierung richtet der musikalische Leiter ein. Wie sieht dein Konzept für die Besetzung des Orchestra La Scintilla bei dieser Produktion aus? Wir folgen den Angaben des Komponisten. Im Siebten und im Achten Madrigalbuch, aus denen die meisten Musiken stammen, ist Monteverdi geradezu überpräzise, was die Angaben zur Instrumentation angeht. Wir spielen nur mit Streichern und einer Continuogruppe und fügen auf keinen Fall Flöten oder Hörner hinzu. Wenn Monteverdi die will, schreibt er das. Es gibt Musiker, die der Kraft von Monteverdis Musik nicht wirklich vertrauen. Sie meinen, sie müssten sie anreichern und Instrumente hinzufügen, um sie noch aufregender zu machen. Dabei ist die Musik extrem kraftvoll, wenn man sie genauso spielt, wie sie ist. Die braucht keine Extras. Das heisst andererseits aber nicht, dass alles festgelegt ist. Selbstverständlich gibt es bei

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Monteverdi viele Freiheiten etwa im Hinblick auf Phrasierungen und Ornamentierungen. Gibt es bei Monteverdi heute noch viele neue musikwissenschaftliche Erkenntnisse, oder sind die Quellen bekannt und erforscht? Es gibt nicht mehr so viel Neues. Aber mich überrascht, dass viele Infor­ma­ tio­nen und Erkenntnisse in der täglichen Praxis noch nicht angekommen sind. Wir wissen so viel über das Denken und die künstlerischen Absichten dieses Künstlers, aber das wird oft genug ausser acht gelassen. Wenn ich selbst an einer Aufführung beteiligt bin, steht am Anfang immer eine Vorbereitung, die einen möglichst genauen, sorgfältigen Zugang zum Text und den Quellen miteinschliesst. Ich habe als Geiger über Jahrzehnte hinweg in verschiedensten Ensembles gespielt und festgestellt, dass es bei vielen einen Mangel an Quellenforschung gibt. Pioniere wie Nikolaus Harnoncourt, Sigiswald Kuijken oder Gustav Leonhardt haben die Forschung vorangetrieben. Aber dieser Elan droht zu erlahmen. Es gibt da inzwischen viel Fake.

Das komplette Programmbuch können Sie auf www.opernhaus.ch/shop Nach welcher Gesangsstilistik habt ihr für diese Produktion gesucht? oder amganzVorstellungsabend Foyer Wir haben bewusst nach wirklichen Opernstimmen gesucht,im denn die zarten Stimmen, die wir heute als besonders original und historisch informiert empfinden, zu Monteverdis Zeiten gar nichterwerben üblich. Sie sind eine deswaren Opernhauses Erfindung des 20. Jahrhunderts. Damals hatten die Sängerinnen und Sänger voluminöse Stimmen durch alle Register. Einen Countertenor gab es in Monteverdi-Aufführungen des 17. Jahrhunderts nicht, allenfalls in der Kir­chenmusik. Aber es gab die Kastraten. Ja, klar. Aber das ist von der Stimme her etwas ganz anderes als ein Countertenor. Die Kastraten haben mit ihrer natürlichen Stimmlage gesungen und nicht im Falsett. Die Gesangstechnik, die die Countertenöre in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts entwickelt und immer weiter perfektioniert haben, hat natürlich phänomenale Stimmen hervorgebracht wie Franco Fagioli, Max Emanuel Cenčić oder Philippe Jaroussky. Ich habe mit vielen von

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ihnen gearbeitet. Sie sind grossartige Künstler, aber ihre Gesangstechnik ist eine Erfindung von heute und nicht historisch belegt. Sind letztlich nicht alle Rekonstruktionsversuche Erfindungen unserer Zeit? Rekonstruktionen sind immer utopisch. Eine historisch korrekte Rekonstruktion würde wahrscheinlich noch nicht einmal bei einer Aufführung funk­ tionieren, die nur fünfzig Jahre zurückliegt, und von der wir eine Aufnahme besitzen. Dementsprechend hypothetisch ist es, eine Aufführung zu re­ konstruieren, die dreihundert Jahre zurückliegt. Je länger ich mich mit diesen Themen befasse, desto mehr wird mir klar, dass man die Erkenntnisse immer in Beziehung zu unserer heutigen Rezeptionshaltung setzen muss. Es geht immer auch darum, wie weit man gehen kann. Es kann passieren, dass man unter Berücksichtigung aller Quellen und Erkenntnisse bei einer Art zu spielen landet, die heute nicht akzeptiert würde. Man muss sich im Klaren darüber sein, dass wir über Moden reden, wenn wir über Stil reden. Und unser Blick auf Moden ändert sich ständig. Wir kennen das doch, wenn wir alte Fotos anschauen und uns kaputtlachen, in welchen Klamotten wir damals herumgelaufen sind. Moden ändern sich andauernd. Das gilt auch für unser Hören. Hat musikwissenschaftliche Forschung nicht die Wahrheit zum Ziel? Es gibt nicht die eine Wahrheit, und es gibt nicht nur eine Richtung in der Forschung. Das ist ja gerade das Faszinierende auf dem Gebiet des Er­ klingenden – der Gegenstand ist immateriell und deshalb so flüchtig, und alle Erkenntnisse sind angreifbar. Wir erleben in Zürich also ein klein besetztes Instrumentalensemble kombiniert mit grossen Opernstimmen. Passt das zusammen? Natürlich. Die Violine war zu Monteverdis Zeiten ein ganz junges Instrument. Sie war noch nicht einmal ein Jahrhundert alt und damals der modernste Standard instrumentaler Innovation. Man konnte mit dem Klang dieses revolutionären Instruments plötzlich den Kirchenraum füllen, unabhängig von

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den Orgeln. Die Geigen hatten eine doppelt so hohe Zugspannung auf den Saiten wie unsere heutigen Instrumente. Deshalb stimmt es nicht, wenn behauptet wird, die Barockgeigen seien schwache Instrumente mit wenig Klang gewesen. Das ist ein Missverständnis. Das gilt auch für die Stimmung der Instrumente. Es ist nicht so, dass die Stimmung zu Monteverdis Zeit tiefer war, sie war womöglich sogar höher als heute. Die sogenannte alte Stimmung, also 415 Hertz, ist eine Erfindung des 20. Jahrhunderts. Christian Spuck verwendet nicht nur Musik von Monteverdi und seinen Zeitgenossen für seine Produktion, sondern auch alte italienische Schlager. Wie findest du das als musikalischer Leiter des Abends? Irgendwann bekam ich eine Mail von Christian, in der er mir schrieb, das er italienische Schlager wie Come prima, Luna rossa oder Azzurro einbauen wolle. Ich habe wirklich laut lachen müssen und dachte, das wird bestimmt lustig, vielleicht auch ein bisschen albern, auf jeden Fall werden sie diesen traurigen Lamenti eine Leichtigkeit hinzufügen. Aber als ich sie auf der Probe zum ersten Mal gehört habe, war es überhaupt nicht lustig. Im Gegenteil, mir stand das Wasser in den Augen, weil die Schlager in diesem Kontext so rührend und poetisch wirken. Es war das genaue Gegenteil, von dem, was ich erwartet hatte. Das finde ich das Geniale an Christian Spuck, dass er solche Sachen zusammendenkt und ein unglaubliches Feingespür dafür, was passt. Was für eine Kreativität kommt da zum Ausdruck!

Das komplette Programmbuch können Sie auf www.opernhaus.ch/shop oder am Vorstellungsabend im Foyer des Opernhauses erwerben Das Interview führte Claus Spahn

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Es hat kein sanftes Herz, wer nicht vor Liebe brennt. Aus dem Madrigal «Non è di gentil core»


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CLAUDIO MONTEVERDI Zeittafel

1567

1589

15. Mai: Claudio Zuan Antonio Monteverdi wird in der Kirche SS. Nazzaro e Celso in Cremona getauft. Seine Eltern sind der Wundarzt Baldassare Monteverdi und Maddalena Zignani.

Monteverdi reist nach Mailand, in der Hoffnung, dort als Domkapellmeister eine Anstellung zu bekommen, jedoch ohne Erfolg.

1573

Monteverdi erhält eine Anstellung als «Suonatore di viuola» (Violaspieler) am Hofe des Herzogs von Mantua. Er veröffentlicht das Zweite Madrigalbuch, dem zwei Jahre später das Dritte Madrigalbuch folgt, diesmal seinem neuen Dienstherrn gewidmet.

1590

Geburt von Monteverdis Bruder Giulio Cesare, der ebenfalls Musiker wird.

1582 Der fünfzehnjährige Monteverdi veröffentlicht die dreistimmigen Sacrae Cantiunculae.

1594

1583 Monteverdi veröffentlicht die vierstimmigen Madrigali spirituali.

Mit dem Tod von Pierluigi da Palestrina und Orlando di Lasso ist die Blütezeit des niederländischen Stils in der Musik zu Ende.

1587

1595

Das erste Buch fünfstimmiger Madrigale erscheint. Vincenzo Gonzaga wird Herzog von Mantua. Monteverdis Primo Libro de Madrigali a cinque voci erscheint im Druck.

Monteverdi begleitet seinen Herrn Vincenzo als vorübergehend ernannter «Maestro di capella» auf einen Feldzug gegen die Türken nach Ungarn.

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1596

1603

Nach dem Tod des Mantuaner Hofkapellmeister Giaches de Wert wird Benedetto Pallavicino neuer Hofkapellmeister. Monteverdi fühlt sich übergangen.

Das Vierte Madrigalbuch erscheint und wird der Accademia degli Intrepidi in Ferrara gewidmet.

1597

Monteverdi veröffentlicht das Fünfte Madrigal­buch und verteidigt sich im Vorwort gegen die Kritik Artusis.

1605

In Florenz wird Ottavio Rinuccinis Favola pastorale La Dafne mit der Musik von Jacopo Peri und Jacopo Corsi aufgeführt, eine der ersten Opern der Musikgeschichte.

1607 24. Februar: L’Orfeo. Favola in musica wird von den Mitgliedern der Accademia degli Invaghiti am Hof von Mantua ur­aufgeführt. 10. September: Monteverdis Frau stirbt in Cremona. Die Scherzi musicali erscheinen im Druck; im Vorwort untermauert Monteverdis Bruder Giulio Cesare in einer be­­kannt­ge­ wordenen «Dichiarazione» die Unter­schiede zwischen «prima prattica» und «seconda prattica». Monteverdi beginnt mit der Komposition der Arianna.

1599 Monteverdi heiratet die Hofsängerin Claudia Cattaneo. Kurz darauf begleitet er – wieder als provisorischer «Maestro di capella» – seinen Herrn auf eine Reise in die Schweiz und nach Belgien.

1600 In Bologna erscheint Giovanni Artusis Delle Imperfettione della musica moderna, in der Monteverdis Musik angegriffen wird.

1608

1601

28. Mai: Aus Anlass der Hochzeit Francesco Gonzagas, des Sohns von Herzog Vincenzo, mit Margarita von Savoyen wird am Hof von Mantua Monteverdis zweite Oper L’Arianna uraufgeführt, von der nur das berühmte Lamento erhalten ist.

26. November: Benedetto Pallavicino stirbt. Monteverdi wird Hofkapellmeister in Mantua.

1602 Giacomo Badoaro, der Librettist von Il ritorno d’Ulisse in patria und weiterer Werke Monteverdis, wird geboren.

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1609

1624

Die Favola d’Orfeo erscheint im Druck.

Monteverdis Schlachtszene Il combattimento di Tancredi e Clorinda wird in Venedig im Palazzo eines Patriziers uraufgeführt.

1610 Monteverdi komponiert die fünfstimmige Madrigalversion des Lamento d’Arian­na. Er reist nach Rom und überreicht dem Papst den Druck seiner Messe In illo tempore sowie der Marienvesper (Vespro della Beatae Vergine)

1630 Im Zuge der mantuanischen Erbfolgekriege belagern kaiserliche Truppen die Stadt, nehmen sie ein und plündern sie. Bei der Zerstörung gehen alle nicht ge­druckten Werke, die Monteverdi für Mantua komponiert hat, verloren. In Venedig wird die Pest eingeschleppt und fordert in den nächsten eineinhalb Jahren knapp 50’000 Opfer.

1612 Nach dem Tod von Herzog Vincenzo entlässt dessen Thronfolger, der älteste Sohn Francesco, Monteverdi aus dem Dienst als Mantuaner Hofkapellmeister.

1632 Monteverdi tritt in den geistlichen Stand, schreibt jedoch auch weiterhin weltliche Werke.

1613 Als am Markusdom in Venedig die Dom­ kapell­meisterstelle frei wird, wird Monte­verdi zum neuen «Maestro di Capella della Chiesa di S. Marco» ernannt. Damit ist er zum ersten Mal in seinem Leben finanziell abgesichert.

1637 In Venedig wird mit dem Teatro S. Cassiano das erste öffentliche Opernhaus der Geschichte eröffnet.

1614

1638

Das Sechste Madrigalbuch erscheint.

Das Achte Madrigalbuch erscheint unter dem Titel Madrigali guerrieri, et amorosi.

1619

1640

Das Siebte Madrigalbuch erscheint und ist der Herzogin Caterina Medici Gonzaga von Mantua gewidmet.

Im Frühjahr oder Herbst des Jahres wird Il ritorno d’Ulisse in patria, vermutlich im Teatro SS. Giovanni e Paolo uraufgeführt.

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1642 Monteverdis letzte Oper, L’incoronazione di Poppea, in der erstmals eine historische Gestalt (Kaiser Nero) im Zentrum steht, wird in Venedig uraufgeführt.

1643 29. November: Monteverdi stirbt nach einer Reise nach Cremona und Mantua im Alter von 76 Jahren in Venedig. Er wird in der Kirche S. Maria Gloriosa dei Frari beigesetzt.

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CLAUDIO MONTEVERDI: Hor che ’l ciel e la terra

CLAUDIO MONTEVERDI: Ho r che ’l ciel e la terra

Hor che ’l ciel e la terra e ’l vento tace e le fere e gli augelli il sonno affrena, notte il carro stellato in giro mena e nel suo letto il mar senz’ onda giace,

Nun, da Himmel, Erde und Wind verstummt sind

veglio, penso, ardo, piango; e chi mi sface sempre m’è innanzi per mia dolce pena. Guerra è’l mio stato, d’ira e di duol piena, e sol di lei pensando ho qualche pace.

wache ich, grüble, verzehre mich, weine, und die mein Verderben ist, ist stets mir in meiner süssen Qual gegenwärtig: mein Herz ist im Krieg, voller Zorn und voll Schmerz, und nur im Gedanken an sie finde ich ein wenig Frieden.

BENEDETTO FERRARI: Queste pungenti spine

BENEDETTO FERRARI: Queste pungenti spine

Queste pungenti spine Che ne’boschi d’abisso Nodrite ed allevate Affliggono, trafiggono O crudeltade Il mio Signor e Dio

Diese spitzen Dornen, die, tief in den Wäldern gehegt und gepflegt, quälen und durchbohren, o welche Grausamkeit, meinen Herrn und Gott.

Son saete divine Che col foco del cielo Addolcite e temprate Allettano, dilettano O, gran pietade Il cor divoto, divoto e pio

Sie sind göttliche Pfeile, die, vom Feuer des Himmels, weich und hart gemacht, das göttliche und fromme Herz, o grosses Erbarmen, entzücken und erfreuen.

E tu, anima mia Non sai che sia dolore Ancor non senti amore?

Verstehe ich richtig, meine Seele, dass du nicht weisst, was Schmerz bedeutet? Dass du Liebe nicht fühlst?

Così dunque vivrai Senz’amor, senza duolo? No, rivolgi il core Pieghevole, piacevole O, buon fervore, A si gravi martiri, E riverente omai Pentita e lagrimosa Manda dal petto fuore Caldissimi, dolcissimi D’amor seni e sospiri.

So wirst du also leben ohne Liebe, ohne Kummer? Nein, wende das Herz bereit und freudig voll Inbrunst den schlimmen Qualen zu, und bekenne schliesslich dankbar den wärmsten und innigsten Ausdruck der Liebe und des Leidens.

und Tiere und Vögel der Schlaf übermannt, da die Nacht ihren Sternenwagen im Kreise lenkt und das Meer in seinem Bett wellenlos ruht,


Così, anima mia, Saprai che sia dolore Intenderai amore.

So, meine Seele, wirst du wissen, was Schmerz bedeutet und verstehen, was Liebe ist.

CLAUDIO MONTEVERDI: Interrotte speranze

CLAUDIO MONTEVERDI: Interrotte speranze

Interrotte speranze, eterna fede, fiamme e strali possenti in debil core; nutrir sol di sospiri un fero ardore e celare il suo mal quand’altri il vede:

Erstickte Hoffnungen, ewige Treue, mächtige Flamme und Pfeile in einem schwachen Herzen, eine wilde Glut nur mit Seufzern nähren und den Kummer vor spähenden Augen verstecken;

seguir di vago e fuggitivo piede l’orme rivolte a volontario errore; perder del seme sparso e’l frutto e’l fiore e la sperata al gran languir mercede;

auf schwachem, unsicheren Fuss Spuren folgen, die in absichtlichen Irrtum führen, Frucht und Blüte des ausgestreuten Samens verlieren und die lange seufzend ersehnte Belohnung;

Das komplette Programmbuch können Sie auf www.opernhaus.ch/shop oder Vorstellungsabend im Foyer CLAUDIOam MONTEVERDI: CLAUDIO MONTEVERDI: Lamento della ninfa Lamento della ninfa des Opernhauses erwerben far d’uno sguardo sol legge ai pensieri e d’un casto voler freno al desìo, e spender lacrimando i lustri interi:

einen einzigen Blick die Gedanken beherrschen lassen, mit keuschem Wunsch der Sehnsucht Zügel anlegen und weinend Jahre um Jahre verbringen:

questi ch’a voi, quasi gran fasci, invio, donna crudel, d’aspri tormenti e fieri, saranno i trofei vostri e’l rogo mio.

Diese Dinge, die ich Euch, Grausame, als grossen Strauss meines bitteren und qualvollen Lebens übersende, werden Euer Triumph und mein Scheiterhaufen sein.

Non avea Febo ancora recato al mondo il dí, ch’una donzella fuora del proprio albergo uscí.

Phöbus hatte der Welt den Tag noch nicht wiedergebracht, als eine Maid aus der Türe ihres Hauses trat;

Sul pallidetto volto scorgeasi il suo dolor, spesso gli venia sciolto un gran sospir dal cor.

Die Blässe ihres Gesichts verriet ihren Schmerz, immer wieder entrang sich ein tiefer Seufzer der Brust;

Sí calpestando fiori errava hor qua, hor là, i suoi perduti amori cosí piangendo va:

Achtlos die Blumen zertretend, irrte sie ziellos umher und beklagt solchermassen ihre verlorene Liebe.

«Amor», dicea, il ciel mirando, il piè fermo,

«Amor», sprach sie, hielt inne und blickte zum Himmel.


BALLETT ZÜRICH


Christian Spuck Ballettdirektor

Christian Spuck stammt aus Marburg und wurde an der John Cranko Schule in Stuttgart ausgebildet. Seine tänzerische Laufbahn begann er in Jan Lauwers’ Need­ company und Anne Teresa de Keersmaekers Ensemble «Rosas». 1995 wurde er Mitglied des Stuttgarter Balletts und war von 2001 bis 2012 Hauschoreograf der Com­pagnie. In Stutt­gart kreierte er fünfzehn Urauf­ füh­r ungen, darunter die Handlungsballette Lulu. Eine Monstre­tragödie nach Frank Wedekind, Der Sandmann und Das Fräulein von S. nach E.T.A. Hoffmann. Da­ rüber hinaus hat Christian Spuck mit nam­haften Ballett­ compagnien in Europa und den USA ge­arbeitet. Für das Königliche Ballett Flandern entstand The Return of Ulysses, beim Norwegischen Nationalballett Oslo wurde Woyzeck nach Georg Büchner uraufgeführt. Das Ballett Die Kinder beim Aalto Ballett Theater Essen wurde für den «Prix Benois de la Danse» nominiert, das ebenfalls in Essen uraufgeführte Ballett Leonce und Lena nach Georg Büchner wurde von den Grands Ballets Cana­diens de Montreal und vom Stuttgarter Ballett über­nommen. Die Uraufführung von Poppea//Poppea für Gauthier Dance am Theaterhaus Stuttgart wurde 2010 von der Zeitschrift Dance Europe zu den zehn erfolgreichsten Tanzproduktionen weltweit gewählt so­wie mit dem deutschen Theaterpreis Der Faust 2011 und dem italienischen Danza/Danza-Award ausge­zeich­­net. Christian Spuck ist auch im Bereich Oper tätig. Auf Glucks Orphée et Euridice an der Staatsoper Stuttgart folgten Verdis Falstaff am Staats­the­ater Wiesbaden sowie Berlioz’ La Damnation de Faust und Wagners Flie­ gender Holländer an der Deutschen Oper Berlin. Seit der Saison 2012/13 ist Christian Spuck Di­rek­tor des Balletts Zürich. Hier waren sei­ne Cho­reo­gra­fien Romeo und Julia, Leonce und Lena, Woyzeck, Der Sandmann, Messa da Requiem, Nussknacker und Mausekönig und Dornröschen zu sehen. Das 2014 in Zürich uraufgeführ­ te Ballett Anna Karenina wurde in Oslo, am Moskauer Stanislawski-The­ater sowie vom Koreanischen Nationalballett und vom Bayerischen Staats­­ballett ins Repertoire übernommen. Für das 2018 in Zürich uraufgeführte Ballett Winter­reise wurde er mit dem «Prix Benois de la Danse» ausgezeichnet. 2019 folgte beim Ballett Zürich Helmut Lachenmanns Das Mädchen mit den Schwefel­ hölzern (Auszeichnung als «Produktion des Jahres» durch die Zeitschrift tanz). Für das Ballett des Moskauer Bolschoitheaters entstand 2021 das Ballett Or­ lando. Mit Beginn der Saison 2023/24 wird Christian Spuck Intendant des Staatsballetts Berlin.


Giulia Tonelli Erste Solistin

Elena Vostrotina Erste Solistin

Giulia Tonelli stammt aus Italien. Ihre Ausbildung absol­vierte sie beim Balletto di Toscana und an der Bal­lett­ ­schule der Wiener Staatsoper. Nach einem ersten En­ga­ gement an der Wiener Staatsoper tanzte sie von 2002 bis 2010 beim Royal Ballet of Flanders in Antwer­pen, ab 2004 als Halbsolistin. Dort tanzte sie u. a. Giselle (Petipa) sowie Solopartien in Choreografien von Forsythe, Balanchine, Kylián, Haydée und Spuck. Seit 2010/11 ist sie Mitglied des Balletts Zürich, wo sie in Balletten von Spoerli, Goecke, McGregor, Lee, For­ sythe, Kylián und Balanchine auftrat. Sie tanzte Julia in Christian Spucks Romeo und Julia, Lena in Spucks Leon­ce und Lena und Betsy in Anna Karenina. In Alexei Ratmanskys Schwanensee-Rekonstruktion tanzte sie im Pas de trois, ausserdem war sie in Forsythes Quin­ tett und Spucks Messa da Requiem zu erleben. Weitere Höhepunkte waren Emergence von Crystal Pite und Gretchen in Edward Clugs Faust – Das Ballett. Bei den «Jungen Choreografen» präsentierte sie gemeinsam mit Mélissa Ligurgo die Arbeiten Mind Games und Klastos. 2013 wurde sie mit dem Giuliana-Penzi-Preis ausgezeichnet. 2017 erhielt sie den «Tanzpreis der Freunde des Balletts Zürich». Elena Vostrotina stammt aus St. Petersburg. Ihre Bal­ lett­­ausbildung erhielt sie an der Vaganova Ballet Acade­ my. 2003 wurde sie Mitglied des Mariinsky-Balletts. Dort tanzte sie u. a. Odette/Odile in Schwanensee (Peti­pa/Iwanow), Myrtha in Giselle (Coralli/Perrot), Königin der Dryaden in Don Quixote (Gorsky) und Ap­pro­­ximate Sonata (Forsythe). 2006 wurde sie von Aaron S. Watkin ans Semperoper Ballett Dresden engagiert. Hier wurde sie zur Solistin ernannt und tanzte in Choreografien von Forsythe, Ek, Neumeier, Dawson, Naharin, Ekman und Celis. Sie gastierte am Stanislaw­ ski-Nemirowitsch-Dantschenko-Theater in Moskau, am Staatstheater Nowosibirsk, bei der Gala «Roberto Bolle and Friends» sowie bei den Ballets Bubeníček. Sie wurde mit dem Preis «Hope of Russia» des Vaganova-Wett­ ­bewerbs sowie mit dem Mary-Wigman-Preis 2014 ausgezeichnet. Seit der Saison 2017/18 ist Elena Vo­strotina Erste Solistin des Balletts Zürich. Hier tanzte sie u.a. Odette/Odile in Ratmanskys Schwanensee-Rekonstruktion, die Amme in Christian Spucks Romeo und Julia, Myrtha in Patrice Barts Giselle sowie in Christian Spucks Nussknacker und Mausekönig, Winterreise und Nocturne.


Katja Wünsche Erste Solistin

Katja Wünsche stammt aus Dresden und wurde an der Staatlichen Ballettschule Berlin ausgebildet. Sie war Preisträgerin zahlreicher Ballettwettbewerbe. Von 1999 bis 2012 tanzte sie im Stuttgarter Ballett, seit 2006 als Erste Solistin. Sie tanzte Hauptrollen in Choreografien von John Cranko (Romeo und Julia, Der Widerspensti­ gen Zähmung, Onegin), John Neumeier (Endstation Sehn­sucht, Die Kameliendame), Marcia Haydée (Dorn­ rös­chen, La Sylphide, La Fille mal gardée) und Christian Spuck (Lulu, Der Sandmann, Leonce und Lena, Das Fräu­lein von S.) sowie in Balletten von Forsythe, Kylián, León/Lightfoot und Goecke. 2007 wurden ihr der Deutsche Tanzpreis Zukunft und der Deutsche Theater­ preis Der Faust verliehen. Seit 2012/13 ist Katja Wünsche Solistin beim Ballett Zürich. Hier tanzte sie u.a. die Julia in Spucks Romeo und Julia, Lena in Leonce und Lena, Marie in Woyzeck, Anna Karenina und Kitty in Anna Karenina sowie Clara in Der Sandmann. Ausser­ dem trat sie in Zürich in Choreografien von Sol León/ Paul Lightfoot, Douglas Lee, Martin Schläpfer, Wayne McGregor und Marco Goecke auf. 2014 wurde sie mit dem «Tanzpreis der Freunde des Balletts Zürich» ausgezeichnet.

Das komplette Programmbuch können Sie auf www.opernhaus.ch/shop oder am Vorstellungsabend im Foyer des Opernhauses erwerben Jan Casier Erster Solist

Jan Casier wurde in Belgien geboren. Er studierte an der Königlichen Ballettschule in Antwerpen. Nach einem ersten Engagement beim Royal Ballet of Flanders (2008-2012) wurde er Mitglied des Balletts Zürich. Hier war er bis 2014 in Balletten von Christian Spuck zu sehen: als Leonce in Leonce und Lena, als Paris in Romeo und Julia und in der Titelrolle von Woyzeck. Ausserdem tanzte er in Choreografien von Edward Clug, Sol León/ Paul Lightfoot, Marco Goecke und Wayne McGregor. Von 2014 bis 2016 war er Mitglied im Semper­ oper Ballett Dresden. Dort trat er in Choreo­grafien von Aaron Watkins (Prinz in Der Nuss­ knacker), William Forsythe, Alexei Ratmansky, David Dawson und Ale­xander Ekman auf. 2016 kehrte Jan Casier zurück zum Ballett Zürich. Er tanzte u.a. in Forsythes Quin­tett, Go­danis rituals from another when und war in den Titel­rollen von Edward Clugs Faust und Marco Goeckes Nijinski sowie als Drosselmeier in Spucks Nussknacker und Mausekönig und als Fliederfee in Dornröschen zu sehen. 2019 wurde er von der Zeitschrift tanz zum «Tänzer des Jahres» gekürt, ausserdem wurde er mit dem «Tanzpreis der Freunde des Balletts Zürich» ausgezeichnet.


Programmheft MONTEVERDI

Das komplette Programmbuch können Sie auf www.opernhaus.ch/shop oder am Vorstellungsabend im Foyer des Opernhauses erwerben Musiktheater von Christian Spuck

Uraufführung: 15. Januar 2022, Spielzeit 2021/22

Herausgeber

Intendant

Opernhaus Zürich

Andreas Homoki

Zusammenstellung, Redaktion Michael Küster, Claus Spahn Layout, Grafische Gestaltung Carole Bolli

Titelseite Visual François Berthoud

Anzeigenverkauf Opernhaus Zürich, Marketing

Schriftkonzept und Logo

Druck

Textnachweise: Musikliste «Monteverdi»: Michael Küster. – Die Gespräche mit Christian Spuck und Riccardo Minasi führte Claus Spahn für dieses Programmheft. – Das Interview mit László Földényi führten Michael Küster und Claus Spahn für dieses Programmheft. – Claus Spahn: Experimentelles Musik­ theater. Originalbeitrag für dieses Programmheft. – Zeit­ tafel Monteverdi (gekürzt). Nach Wolf Kunold: Claudio Monte­verdi, Reinbek bei Hamburg 1996. Bildnachweise: Gregory Batardon fotografierte das Ballett Zürich bei der Klavierhauptprobe am 5. Januar 2022 – Die Compagnie wurde porträtiert von Jos Schmid. Urheber, die nicht erreicht werden konnten, werden zwecks nach­träglicher Rechtsabgeltung um Nachricht gebeten.

Telefon 044 268 66 33, inserate@opernhaus.ch

Studio Geissbühler

Fineprint AG


Unsere Vorstellungen werden ermöglicht dank der Subvention des Kantons Zürich sowie den Beiträgen der Kantone Luzern, Uri, Schwyz, Zug und Aargau im Rahmen der interkantonalen Kulturlastenvereinbarung und den Kantonen Nidwalden und Obwalden. PARTNER

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Freunde der Oper Zürich Zürich Versicherungs-Gesellschaft AG

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Landis & Gyr Stiftung FÖRDERINNEN UND FÖRDERER CORAL STUDIO SA Theodor und Constantin Davidoff Stiftung Frankfurter Bankgesellschaft (Schweiz) AG Garmin Switzerland

Horego AG Richards Foundation Luzius R. Sprüngli Madlen und Thomas von Stockar



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