Orlando paladino

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ORLANDO PALADINO

JOSEPH HAYDN


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ORLANDO PALADINO JOSEPH HAYDN (1732-1809) Dramma eroicomico in drei Akten, Libretto von Nunziato Porta, nach einem Libretto von Carlo Francesco Badini, basierend auf dem Epos «Orlando furioso» von Ludovico Ariost




Claire de SĂŠvignĂŠ, Spencer Lang Spielzeit 2O15/16



Es ist immer etwas Wahnsinn in der Liebe. Es ist aber immer auch etwas Vernunft im Wahnsinn. Friedrich Nietzsche


Iain Milne Spielzeit 2O15/16


DIE HANDLUNG Orlando ist noch immer in Angelica verliebt. Aber sie ist unterdessen in einer krisengeschüttelten Beziehung mit Medoro.

Erster Akt Licone und seine Tochter Eurilla arbeiten. Eurilla langweilt sich. Rodomonte, ein Rivale Orlandos, im Leben wie in der Liebe, ist grundlos wütend und fragt nach Orlando. Von Eurilla erfährt er stattdessen, dass Angelica und Medoro hier waren und verliebt sind. Angelica macht sich Sorgen um Medoro. Sie wendet sich mit ihren Beziehungsfragen an die Zauberin Alcina, die ihr zu helfen verspricht. Medoro ist hin- und hergerissen, ob er bei Angelica bleiben oder sie verlassen soll. Pasquale, Orlandos Gehilfe, hatte bisher kein Glück in der Liebe. Als er Eurilla sieht, versucht er, ihr zu imponieren und gibt sich als weltgewandter Kosmopolit. Medoro hat entschieden, Angelica zu verlassen. Sie versucht, ihn davon abzubringen. Orlando sehnt sich nach Angelica. Als er sichere Anzeichen dafür findet, dass sie mit Medoro zusammen ist, rast er vor Eifersucht. Er will Angelica unbedingt sehen und sprechen. Die Angst vor Orlandos Wut ist gross. Alle versuchen, sich vor ihm zu schützen, zu verstecken oder zu fliehen. Schliesslich droht Orlando, sich umzu­ bringen, wenn er Angelica nicht sehen kann. Im letzten Moment kommt er zu sich.

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Zweiter Akt Die Geschehnisse scheinen sich zu wiederholen. Rodomonte ist betrunken und streitsüchtig. Medoro hat Zukunftsängste. Pasquale und Eurilla fühlen sich gegenseitig angezogen und kommen sich näher. Angelica ist todunglücklich mit ihrer Situation und will nicht mehr leben. Erneut findet sie Trost bei Medoro. Orlando stösst unerwartet auf das Liebespaar. Seine Eifersucht kennt keine Grenzen mehr. Pasquale träumt davon, ein erfolgreicher Held zu sein. Orlando bedroht Pasquale und beschimpft Alcina, die ihn durch ihre Zaubermittel von seinem Liebeswahnsinn heilen will. Die Heilung misslingt. In seiner tiefen Verzweiflung bedroht Orlando alle mit seiner Waffe und will ein Blutbad anrichten. Wiederum besinnt er sich im letzten Augenblick.

Dritter Akt In einem einsamen Moment kommt Orlando zur Vernunft. Er begreift, dass sich seine Probleme nicht durch eifersüchtiges Wüten lösen lassen. Angelica glaubt alles verloren und will sich das Leben nehmen. Alcina kann sie davon abhalten. Das Leben geht weiter.

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ÄNDERN KANN MAN NUR SICH SELBST Die Regisseurin Jetske Mijnssen im Gespräch über ihr Inszenierungskonzept

Jetske Mijnssen, ein dramaturgisch gut strukturiertes Werk ist Joseph Haydns «heroisch-komisches» Drama Orlando paladino auf den ersten Blick nicht. Trotzdem gehörte es zu Lebzeiten des Komponisten zu seinen erfolgreichsten Opern. Wie hast Du Dich diesem Stück angenähert? Beim ersten Anhören der Oper war ich von der Energie der Musik so be­ geistert, dass ich sofort zugesagt habe, das Stück zu inszenieren. Erst danach habe ich das Libretto gelesen – und bin erst einmal in eine Krise geraten, weil ich nicht wusste, wie und warum ich diese Geschichte erzählen soll. Aber die Kraft der Musik hat mich nicht mehr losgelassen und war für mich der erste Schlüssel zu diesem Werk. Zum Glück habe ich eine fantastische holländische Übersetzung von Ludovico Ariosts Orlando furioso gefunden, auf dem Haydns Oper basiert. Dieses dicke Renaissance-Epos hat mich total gepackt und wurde zum zweiten Schlüssel für meine Inszenierung. Was hast Du aus der Ariost-Lektüre gelernt? Mir ist klar geworden, dass sich das ganze Buch um Liebesbeziehungen dreht, die nicht richtig funktionieren. Dieses Thema hat mich interessiert – und mit dieser Erkenntnis habe ich mich dann wieder der Oper zugewandt. Das Stück spielt zwar in einer mittelalterlichen Welt, aber für die Handlung spielt das keine Rolle: die Ritter kämpfen nicht, die Könige regieren nicht, und die Knappen schleppen keine Waffen. Was mich interessiert, sind deshalb die Charaktere, die das Thema der Liebe in ganz unterschiedlichen Varia­ tionen durchspielen. Für mich ist es wichtig, dass jede einzelne Figur auf der

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Bühne zum Leben erwacht und ihr eigenes Profil erhält. Ich frage mich immer, aus welcher Motivation heraus eine Figur eine bestimmte Arie singt? Was bewegt sie dazu? Was geschieht in ihrem Inneren? Die Entdeckung, dass alle Figuren in Ariosts Epos von der Sehnsucht nach Liebe getrieben werden, hat mich auch vom historischen Umfeld der Geschichte befreit. Was charakterisiert die Figuren und wie äussern sich ihre Liebeswirren? Angelica, in Ariosts Epos eine fernöstliche Prinzessin und das Objekt der Begierde, ist eine Männerfresserin; eine bildschöne, aber auch verletzliche Frau, die sich mit Beziehungen nicht leicht tut. Es gibt Hinweise, dass sie mit Rodomonte, dem «Barbarenkönig», ein Verhältnis hatte, man weiss, dass sie mit Orlando zusammen war, und in unserer Geschichte versucht sie es mit dem hin- und hergerissenen Medoro, mit dem es aber auch nicht richtig klappt. Ich glaube, Angelicas Problem liegt darin, dass sie – wie viele Frauen – die Schuld immer beim anderen sucht und ihn ändern will. Aber: das einzige, was man in einer Beziehung bestenfalls ändern kann, ist sich selbst! Man muss also an sich selbst arbeiten, damit das Leben – und im besten Fall die Liebe – funktionieren können? Das zeigt uns die Hauptfigur der Oper, Orlando. Erstaunlicherweise ist diese Figur in Ariosts Epos recht uninteressant. Die anderen Figuren haben die verrückteren Geschichten. Bezeichnenderweise heisst er in Haydns Oper aber nicht der «rasende» Orlando, wie bei Ariost, sondern eben Orlando «pala­­­ dino» – das Adlige, Edle der Figur wird also schon im Titel genannt. Haydn und sein Librettist zeichnen damit eine Figur ganz im Sinne der klas­sischen Ideale; einen Menschen, der im Lauf der Handlung eine unglaubliche Ent­­wicklung und Veredelung durchmacht. Er ist der einzige, der sich seinen Problemen wirklich stellt. Während er vor lauter Liebesschmerz zunächst sich selbst und die anderen bedroht, schafft er es am Ende der Oper, seine Waffe ab­zu­legen und versucht, die Lösung für seine Probleme bei sich selbst zu finden. Darin drückt sich für mich eine tiefe menschliche Wahrheit aus: Wenn wir völlig im Dreck stecken, müssen wir immer zu uns selbst kommen und an uns selbst arbeiten.

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Den «rasenden» Charakter übernimmt in Haydns Oper eher Rodomonte. Er brüllt ständig ins Leere und will sich mit jedem anlegen. Was steckt hinter diesem Benehmen? Ich glaube, dieser Charakter führt uns eine noch tiefere Form der Einsamkeit vor. Rodomonte denkt noch gar nicht einmal daran, geliebt zu werden: Er will einfach nur wahrgenommen werden. Ein sehr tragischer Charakter. Einen ganz anderen Bereich der Liebe thematisieren Eurilla und Pas­qua­ le. Sie sind in der Geschichte das einfache Dienerpaar, wie man es in vielen Opern findet. Interessanterweise scheint die Liebe zwischen diesen «niederen» Paaren immer besser zu funktionieren… Ich muss zugeben, dass ich einmal Hoffnung für die beiden hatte. Aber ich habe sie unterdessen auch aufgegeben. Sie sind beide gelangweilt von ihrem Job und sind die perfekte Ablenkung füreinander. Während die Beziehungskrise zwischen Angelica und Medoro tiefe Fragen aufwirft, funktioniert zwischen Eurilla und Pasquale alles über die sexuelle Anziehung. Sie haben sogar ein Duett, in dem – auf sehr humorvolle, haydnsche Weise – ein musikalischer Geschlechtsakt stattfindet. Aber Pasquale ist ein sehr eitler, narzisstischer Charakter, der ständig mit Bravourarien auftritt und nur oberflächlich an einer Beziehung interessiert zu sein scheint. Die Probleme sind also auch da vorgezeichnet… In welchem Umfeld erzählst Du diese emotionalen Schicksalsgeschichten? Einerseits glaube ich, dass die Angelegenheiten der Liebe – die Fragen, Sehnsüchte und Lüste etc. – besonders in der Nacht an Bedeutung gewinnen und dann manchmal beinahe groteske Züge annehmen. Andererseits hat es mich inspiriert, dass das ursprüngliche Libretto in einer «Osteria» beginnt – Licone und Eurilla sind in dieser Fassung die Inhaber dieser Kneipe. Zu­­sam­ men mit dem Bühnenbildner Ben Baur und den Kostümbildnerinnen Jana Findeklee und Joki Tewes haben wir uns deshalb für einen Bar-Raum entschieden, in dem sich unsere Figuren allnächtlich zu später Stunde aufhalten – und meistens schon mindestens ein Bier zu viel getrunken haben.

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Wie gehst Du in diesem Raum mit der Zauberin Alcina um, die bei Ariost und Haydn magische Kräfte besitzt und die Schicksalsfäden in der Hand hat? Ich bin überhaupt nicht daran interessiert, jemanden zu zeigen, der auf un­erklärbare Weise zaubern kann. Die Frage, die ich mir in Bezug auf die Zau­berin Alcina stelle, ist: Warum wollen wir überhaupt, dass jemand für uns zaubert? Was wollen wir beispielsweise aus Tarot-Karten erfahren? Ich glaube, dass eine grosse Faszination von solchen Menschen ausgeht, auch wenn man ihnen vielleicht nicht immer vertrauen sollte. Sie sprechen Themen an, die uns brennend interessieren, weil wir manchmal im Leben so hilflos sind. Und dann wünschen wir uns eben, in die Zukunft zu sehen oder wenigstens einen Hinweis zu kriegen, der uns vielleicht weiterhilft. Alcina löst bei den anderen Figuren dieses Verlangen aus, mehr über sich und ihr Schicksal zu erfahren. Der Ariost-Kenner Italo Calvino beschreibt den Orlando furioso als ein Werk, das «nicht beginnt und nicht aufhört». Wie gehst Du mit dieser Erzähl­struktur um, von der auch Haydns Oper geprägt ist? Ein wichtiges Thema des Stücks ist für mich, dass sich das Leben immer im Kreis zu drehen scheint. Der zweite Akt ist, was die Handlung angeht, eigentlich eine Wiederholung des ersten Akts! Das ist ein Thema, das stark mit der Liebe verknüpft ist: Wie oft glauben wir doch in einer Beziehung zu einem Menschen, ein Hindernis überwunden zu haben, und dann tappen wir wieder in die gleiche Falle. Diese Dramaturgie der Wiederholung ist in Haydns Oper eine Tatsache, und man muss das zwangsläufig thematisieren. Man kann das am Beispiel des Liebespaars Angelica und Medoro erkennen: Beide haben Angst vor der Wut Orlandos, der ebenfalls in Angelica verliebt ist. Aber dieses Thema kann man nicht zweieinhalb Stunden lang durchexerzieren. Des­halb habe ich die Beziehung zwischen den beiden unter die Lupe ge­­nommen und festgestellt, dass auch da ganz vieles im Argen liegt. Die Gefahr geht für die beiden eigentlich gar nicht von Orlando aus, sondern sie ge­fähr­ den sich gegenseitig. Sie sind in einer tiefen Beziehungskrise. Wenn man sich mit den einzelnen Schicksalen auseinandersetzt, beginnt die Handlung, die auf den ersten Blick langfädig erscheint, plötzlich hochinteressant zu werden!

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Im zweiten Akt der Oper wird also kein wesentliches neues Element eingeführt. Was bedeutet das für die Inszenierung? Nachdem wir die Figuren im ersten Akt kennengelernt haben, dringen wir im zweiten Akt in die seelischen Tiefen der Figuren vor. Das erreichen wir da­­durch, dass jede Figur einen Doppelgänger bekommt, so dass die psycho­lo­gi­ schen Vorgänge, die sich in der Musik und im Text abspielen, auf der Bühne in dialogischer Form gezeigt werden können: Das können Hoffnungen, Wünsche oder Fantasien sein, die eine Figur hat, es können aber auch albtraumhafte Zukunftsängste oder Visionen sein. Es ist diese Auseinandersetzung mit sich selbst, von der ich bereits gesprochen habe, die im zweiten Akt in verschiedenen Formen thematisiert wird. Laut Libretto soll der Fährmann Charon Orlando im dritten Akt durch den Fluss des Vergessens (Lethe) seine qualvollen Erinnerungen an Angelica vergessen lassen. Wie gehst Du mit diesem mythologischen Exkurs um? Wie bereits erwähnt, kommt Orlando in meiner Lesart durch die Arbeit an sich selbst zur Erkenntnis, dass er anders mit seiner Vergangenheit umgehen muss. Charon ist in unserer Geschichte jemand, der zu später nächtlicher Stunde in der Bar sauber macht. Den «Fluss des Vergessens» lese ich als Metapher für diesen Moment der absoluten Einsamkeit, in dem Orlando endlich zu sich selbst kommen kann. «Liebe den, der dich auch liebt, und dein Herz wird glücklich sein», mit diesem Refrain endet das Werk, das uns doch gerade die Abgründe der Liebe vorgeführt hat. Ein sehr ironischer Schluss… Das Liebes-Karussell dreht sich weiter, wie immer… Alle müssen ihren Weg weitergehen. Und erklärbar ist die Liebe eben nicht. Das Gespräch führte Fabio Dietsche

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Claire de Sévigné Spielzeit 2O15/16



Estelle Poscio, Pavel Petrov Spielzeit 2O15/16

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Carmen Seibel, Claire de SĂŠvignĂŠ Spielzeit 2O15/16

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ORLANDOS QUALEN Ludovico Ariost

Er blickt umher und sieht am Rand der Wellen Die Bäume rings bedeckt mit Schreiberei. Sobald er sie beschaut, muss ihm erhellen, Dass dies die Handschrift seiner Göttin sei. Denn dies war eine der erwähnten Stellen, Wohin die schöne Fürstin von Catai, Als sie des Hirten Haus zum Sitz erkoren, Gar oft zu kommen pflegte mit Medoren. Angelica, Medor, vielfach verschlungen, Erblickt er da und dort, rings um den Fluss. Von so viel Nägeln wird sein Herz durchdrungen, Wie er der Lettern wahrnimmt mit Verdruss. Vielfältig sucht er nach Entschuldigungen, Um nicht zu glauben, was er glauben muss. Er sagt sich vor, geschrieben sei der Name Von einer andern so geheissnen Dame. Dann sagt er sich: «Ich kenne diese Züge, So oft gelesen hab ich sie von ihr. Vielleicht ist der Medor nur eine Lüge, Vielleicht auch gibt sie diesen Namen mir.» So sucht der Graf, dass er sich selbst betrüge, Die Wahrheit zu entfernen mit Begier Und weiss, im Kummer noch, mit regem Walten Die selbstgeschaffne Hoffnung zu erhalten.


Drei-, vier-, sechsmal liest er die Schrift der Wände Und martert sich (obwohl's umsonst geschieht) Zu sehen, dass dort nicht geschrieben stände, Was er nur heller stets und klarer sieht; Wobei, wie eingeklemmt durch kalte Hände, Sich jedesmal sein Herz zusammenzieht. Er kann zuletzt vom Steine nicht mehr trennen Aug und Gemüt, er selbst ein Stein zu nennen. Nun lässt der Schmerz die Beute nicht mehr fahren; Fast dass er jetzt dem Wahnsinn schon erliegt. O glaubt es dem, der selber es erfahren, Dies ist der Schmerz, der alle weit besiegt! Das Kinn ist auf die Brust hinabgefahren, Gesenkt die Stirn, der aller Mut entfliegt. Er findet, so vertieft in seine Plagen, Kein Nass zu Tränen, keinen Laut zu Klagen.

Das komplette Programmbuch können Sie auf www.opernhaus.ch/shop Es hilft ihm nicht, sich selber zu betrügen; Man am spricht davon, auch ohne dass er fragt. oder Vorstellungsabend im Foyer Der Hirt gewahrt den Gram in seinen Zügen Und hätt ihn gern aus Mitleid ihm verjagt; des Opernhauses erwerben Drum trägt er jetzt, was manche mit Vergnügen Von ihm gehört und was er jedem sagt, Der's hören will, des Liebespaars Geschichte Dem Grafen vor, ausführlich im Berichte. Zum Beile wird das Ende der Erzählung Und nimmt vom Hals mit einem Schlag das Haupt, Da nach so langer, wiederholter Quälung Der Henker Amor sich gesättigt glaubt. Wohl strebt der Graf nach seiner Pein Verhehlung, Allein umsonst; ihm ist die Kraft geraubt. Dem Mund und Aug entquellen Seufzer, Zähren; Will oder will er nicht, er kann's nicht wehren.


Er hört nicht auf zu klagen und zu weinen, Gönnt Tag und Nacht sich keine Ruh noch Rast. Auf harter Erde liegt er in den Hainen, Denn Stadt und Dörfer sind ihm jetzt verhasst. Es muss zuletzt ihm selbst ein Wunder scheinen, Dass solchen Tränenquell sein Auge fasst, Dass immer noch die Seufzer sich vermehren; Und oftmals spricht er so bei seinen Zähren: «Das sind nicht Tränen mehr, muss ich vermuten, Was vollen Stromes meinem Aug entweicht. Nicht gnügten für den Schmerz der Tränen Fluten, Sie waren all, eh er die Hälft erreicht. Der Lebenssaft, gedrängt von innern Gluten, Flieht auf dem Weg, der zu den Augen reicht; Er ist's, was sie in solcher Fülle spenden, Und wird zugleich mir Schmerz und Leben enden. Ich bin nicht der, den mein Gesicht lässt schauen; Der Roland war, liegt tot in Grabesnacht. Durch Treuebruch hat die schnödeste der Frauen Grausamer Weis ums Leben ihn gebracht. Ich bin sein Geist, der, unter Qual und Grauen, Von ihm getrennt, in dieser Hölle wacht, Damit er noch mit diesem Schattenleibe Dem, der auf Liebe traut, ein Beispiel bleibe.»


Ildo Song, Iain Milne Spielzeit 2O15/16


EIN MEISTER DER MELODIE Ein Gespräch mit Gianluca Capuano über Joseph Haydn als Opernkomponist

Gianluca Capuano, Joseph Haydn gilt als «Vater der Instrumental­musik», seinen Opern hingegen wird weit weniger Beachtung geschenkt. Gibt es Gründe dafür? Zunächst ist es so, dass Haydn auf dem Gebiet der instrumentalen Musik tatsächlich Enormes geleistet hat. Das kann man nicht bestreiten. Erstaunlich ist die Konsequenz, mit der Haydn die Form seiner Sinfonien im Lauf seines Lebens immer weiter entwickelt und perfektioniert hat. Diese Konsequenz findet man im Bereich seines Opernschaffens nicht. Seine ersten dramatischen Werke entstanden für das Stegreiftheater – die meisten davon sind heute verschollen. Von 1775 bis 1790 war er dann am Hof des Fürsten Nikolaus in Esterháza als Opernimpresario angestellt. Er hatte dort viele Werke zu diri­­­gieren, aber auch zu bearbeiten. Seine eigenen Kompositionen dieser Zeit, es sind etwa 15 Opern, sind oft von den Werken anderer Komponisten inspiriert, die er aufzuführen hatte. Haydn hatte einen guten Theaterinstinkt. Um die­sem Ausdruck zu verleihen, kreierte er neue Formen und experi­ mentierte mit den Genres – davon zeugt auch die eher selten zu findende Bezeichnung des Orlando paladino: dramma eroicomico (heroisch-komisches Drama). Man hat also das Gefühl, dass sich Haydn auf dem Gebiet der Oper freier fühlte. Sich frei fühlen ist ja nicht unbedingt ein negatives Kriterium für die Ent­ stehung interessanter Musik. Ist das oft angeführte Verdikt, Haydn sei ein mittelmäs­siger Opernkomponist, Deiner Meinung nach berechtigt? Giuseppe Carpani, ein Zeitgenosse Haydns, dessen Haydn-Biografie ich sehr schätze, sagt, dass Haydn in der Theatermusik dazu gezwungen war, seine erfinderischen Fähigkeiten zugunsten des Dichters zu mässigen: «Er diente also

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dem Dichter wie dem Sänger – doch er war nicht mehr Haydn». Ich finde allerdings, dass Haydn eine ausserordentliche Sensibilität für das Verhältnis von Text und Musik entwickelte. Er war ein Meister der musikalischen Rhetorik. Ausserdem bin ich erstaunt, wie gut Haydn mit Gesangsstimmen umzugehen wusste. Seine Arien sind von ausserordentlicher Qualität, was ihm Carpani an anderer Stelle übrigens auch zugesteht. Mozart ist bereits in jungen Jahren nach Italien gereist und hat quasi «an der Quelle» gelernt, Opern zu komponieren. Diese Möglichkeit hatte Haydn nicht. Welchen Zugang hatte er zur Oper und zur Gesangsstimme? Haydn soll eine schöne Stimme gehabt und in seiner Jugend viel gesungen haben. Er diente ab 1740 für neun Jahre als Chorknabe im Wiener Stephansdom. Danach hat er ausserdem als Klavierbegleiter beim berühmten Ge­sangs­ lehrer und Opernkomponisten Nicola Porpora in Wien gearbeitet. Carpani schreibt, dass Haydn bei Porpora «die gute italienische Methode des Gesangs» lernte. Am meisten lernte Haydn aber wohl, wie schon gesagt, durch seine Dirigate und Einrichtungen fremder Opern in Esterháza. Er leitete dort eine unglaubliche Menge von Vorstellungen – innert 15 Jahren waren es ins­gesamt weit über tausend! – und lernte dadurch die wichtigsten Opern seiner Zeit kennen.

Das komplette Programmbuch können Sie auf www.opernhaus.ch/shop oder am Vorstellungsabend im Foyer des Opernhauses erwerben Du sagst, Haydn konnte gut mit Gesangsstimmen umgehen. Was heisst das konkret? Das hat vor allem mit ästhetischen Fragen zu tun. Carpani schreibt in seiner Biografie viel über den Zusammenhang zwischen Haydns Musik und der Musikästhetik Jean-Jacques Rousseaus. Während sich die französischen Kom­­ponisten des Barock stark mit harmonischen Aspekten und die deutschen Komponisten mit den Fragen des Kontrapunkts auseinandersetzen, ver­­tei­digte Rousseau den Standpunkt der Italiener, die stets die Melodie in den Vordergrund stellten. Haydn knüpfte insbesondere im Bereich der Oper bei diesem Standpunkt an. Stendhal schreibt in seinen Lettres sur le célèbre com­positeur Joseph Haydn – die weitgehend auf Carpanis Haydn-Biografie basieren –, dass Beethoven und Mozart mit ihren Sinfonien nur dann «die Herzen berührten»,

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wenn sie den Spuren Haydns folgten. Und damit meint er eben auch die ästhetischen Spuren Rousseaus, die die Melodie und den Gesang ins Zentrum stellen. Es ist schon seltsam, dass von einem Komponisten, der so sehr für seine Melodien bewundert wurde, ausgerechnet die Opern vergessen ge­gangen sind! Was die Handlung angeht, ist Haydns Orlando paladino keine Meisterleistung. Die musikalische Dramaturgie ist jedoch höchst interessant und abwechslungsreich... Haydn hat unter anderem die Werke von Carl Philipp Emanuel Bach sehr genau studiert, einem Komponisten von grosser Originalität und enormem Erfindungsreichtum. Ausserdem war seit den 1760er-Jahren die Opernreform durch Christoph Willibald Gluck ein bedeutender Einschnitt für alle Kom­ ponisten dieser Zeit. Die Suche nach neuen Formen und Ausdrucksmöglichkeiten, die durch dieses Ereignis ausgelöst wurde, ist in Haydns Opern besonders unmittelbar zu verfolgen. Im Orlando paladino gibt es viele Mischformen zwischen Arie, Arioso und Recitativo accompagnato, während die Secco-Rezitative (durch das Cembalo begleitet) weniger bedeutend sind. Eine der grossartigsten Stellen ist in dieser Hinsicht die letzte Szene Orlandos im dritten Akt, in der sich die Figur in einem schlafartigen Delirium befindet. Das ist musikalisch unglaublich experimentell und modern ausgearbeitet. Ausserdem möchte ich das Finale des ersten Akts erwähnen, für mich ein Wunder an Eleganz und Frische! Und dies vier Jahre vor Mozarts Figaro, mit seinen grossartigen Finali... Ich würde sehr gerne wissen, ob Mozart den Orlando paladino gekannt hat! Neben tief empfindsamen Passagen fehlt aber auch das komische Element im Orlando paladino nicht. Haydns Oper ist bereits nicht mehr ein­ deutig dem Typ der Opera seria oder der Opera buffa zuzuordnen... Man findet Charaktere und musikalische Stile beider Operntypen: Pasquale ist zum Beispiel ein typischer Buffo-Charakter. Seine Arie «Ecco spiano» im zweiten Akt, ein musikalisches Highlight der Oper, folgt einer Tradition, die man zum Beispiel in den Opern Domenico Cimarosas findet, oder auch

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im Schauspieldirektor von Mozart: Es geht um Theater im Theater. Pasquale singt eine Arie über Musik und stellt dabei auf virtuose Weise verschiedene musikalische Ausdrucksmittel vor: Triller, Synkopen, Staccato, Verzierungen usw. Am Beispiel dieser äusserst kunstvoll komponierten Arie ist etwas zu erkennen, dass für mich ganz wesentlich ist – insbesondere für die Arbeit mit dem Orchester: Für Haydn ist Musik immer eine Sprache. Es wimmelt in dieser Partitur von rhetorischen Figuren, einem Stilmittel, das Haydn von den Komponisten des Barock geerbt hat, und das es ihm erlaubt, Wort und Ton kongenial miteinander zu verbinden. Es gibt auch eine Rhetorik der Tonarten, die aber nicht leicht zu durchschauen ist. So tritt Orlando in einer sehr verzweifelten Arie zwar mit der Tonart Es-Dur auf, die oft mit dem Heldenhaften in Verbindung gebracht wurde, die Musik wirkt aber beinahe fröhlich! Das ist eine seltsame Tradition, die man im 18. Jahrhundert oft antrifft: Es gibt viele Komponisten, die dunkle Leidenschaften in hellen Tonarten zu beschreiben versuchen. Es handelt sich also um eine Form von Ironie. Interessant finde ich deshalb die Verbindung zum Orlando furioso von Ludovico Ariost. Auch Ariosts Texte werden oft als ironisch beschrieben – und Ironie findet sich überdies ja auch in der Gattungsbezeichnung von Haydns Oper: heroisch-komisch. Der italienische Philosoph Benedetto Croce schreibt, dass man Ariosts Ironie ganz im Sinn der romantischen Ironie verstehen muss. Sie darf niemals als Scherz oder Spott verstanden werden: «Alle Empfindungen», schreibt Croce, «sind gleicherweise von der Ironie erniedrigt und durch sie erhöht. Über das gleichmässige Herabgleiten aller erhebt sich das Wunder der Ariostschen Stanze, als etwas durch sich selbst Lebendes». Die Ironie ist bei Ariost also ein Mittel zur Herstellung der Harmonie. Ich denke, das lässt sich auf die Musik Haydns übertragen.

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Das Gespräch mit Gianluca Capuano, dem Dirigenten der Produktion in der Spielzeit 2015/16, führte Fabio Dietsche.

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Iain Milne, Claire de SĂŠvignĂŠ Spielzeit 2O15/16


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Tatsächlich liegt in der Liebe beständiges Leiden, das die Freude zwar neutralisiert, in bloss potentiellem Zustand erhält und aufschiebt, das aber jeden Augenblick werden kann, was es seit langem wäre, wenn man nicht das erlangt hätte, was man wollte: entsetzlich. Marcel Proust


David Margulis, Iain Milne Spielzeit 2O15/16



Ivan Thirion, Estelle Poscio Spielzeit 2O15/16

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ORLANDO PALADINO JOSEPH HAYDN (1732-1809) Dramma eroicomico in drei Akten Libretto von Nunziato Porta basierend auf dem Epos «Orlando furioso» von Ludovico Ariosto Uraufführung: 6. Dezember 1782, Schloss Eszterházy, Eisenstadt

Personen

Angelica, Königin von Kathai Sopran Rodomonte, König der Berberei Bass Orlando, Paladin Tenor Medoro, Angelicas Geliebter Tenor Licone, Schäfer Tenor Eurilla, Schäferin Sopran Pasquale, Orlandos Knappe Tenor Alcina, Zauberin Sopran Charon Bass


1. SINFONIA

ATTO PRIMO

1. SINFONIA

ERSTER AKT

SCENA I

SZENE I

Campagna montuosa. Eurilla seduta con diverse pastorelle che lavorano, poi Licone, indi Rodomonte con seguito di saraceni

Gebirgslandschaft. Eurilla mit Schäferinnen bei der Arbeit sitzend, dann Licone, schliesslich Rodomonte mit Sarazenen im Gefolge

2. INTRODUZIONE

2. INTRODUKTION

Il lavorar l’è pur la brutta cosa; e lavorar bisogna tutto il giorno. Questa vita mi sembra assai noiosa, vedermi sempre, a questi colli intorno. Pur chi sà, com’anderà.

Die Arbeit ist wirklich eine unangenehme Sache, doch muss man den ganzen Tag arbeiten. Dieses Leben scheint mir sehr langweilig zu sein – immer diese Hügel rund um mich herum... Wer weiss jedoch, wie es gehen wird...

In questo momento viene interrotta da Licone, che ansima.

in diesem Augenblick wird sie von Licone unterbrochen, der ausser Atem ist.

EURILLA

EURILLA

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LICONE

Figlia cara, ch’ho veduto!

Liebe Tochter, was habe ich gesehen!

EURILLA

EURILLA

Cosa mai?

Was denn?

LICONE

LICONE

Aiuto, aiuto! Scappa, fuggi!

Hilfe! Hilfe! Fliehe, flüchte!

EURILLA

EURILLA

Che sarà?

Was wird es wohl sein?

LICONE

LICONE

Mira là per la collina quel guerrier che s’avvicina.

Schau jenen Krieger dort, der vom Hügel herannaht.

EURILLA

EURILLA

Ah! fuggiam!

Fliehen wir!

LICONE

LICONE

Ma dove?

Wohin denn?

EURILLA

EURILLA

Oh dio...

Oh Gott...

EURILLA, LICONE

LICONE, EURILLA

Evitarlo non poss’io. Ah, di noi che mai sarà?

Ich kann ihm nicht aus dem Weg gehen. Ach, was soll aus uns werden?


Programmheft ORLANDO PALADINO Oper von Joseph Haydn Premiere am 7. Mai 2016, Spielzeit 2015/16 Theater Winterthur Wiederaufnahme am 16. Mai 2017, Spielzeit 2016/17 Opernhaus Zürich

Herausgeber

Intendant

Opernhaus Zürich Andreas Homoki

Zusammenstellung, Redaktion Fabio Dietsche Layout, Grafische Gestaltung Carole Bolli Anzeigenverkauf Opernhaus Zürich, Marketing

Telefon O44 268 64 14, inserate@opernhaus.ch

Schriftkonzept und Logo

Studio Geissbühler

Druck

Nachweise: Die Handlung und die Gespräche mit Jetske Mijnssen und Gianluca Capuano entstanden für dieses Heft. Weitere Quellen: Ariost, Der rasende Roland, Auszüge aus dem dreiundzwanzigsten Gesang, in der Übertragung von Johann Diedrich Gries, Winkler, München 1980; Friedrich Nietzsche, Also sprach Zarathustra, Reclam, Stuttgart 1994; Marcel Proust, Auf der Suche nach der verlorenen Zeit II, Im Schatten junger Mädchenblüte, Suhrkamp, Frankfurt 2004. Danielle Liniger fotografierte die Klavierhauptprobe am 29. April und die Orchesterhauptprobe am 3. Mai 2016.

Stäubli AG Zürich

Urheber, die nicht erreicht werden konnten, werden zwecks nach­­träglicher Rechtsabgeltung um Nach­richt gebeten. Wir bitten Sie, während der Vorstellung elektrische Ge­räte mit akustischen Signalen (Mobiltelefone, Uhren usw.) ausgeschaltet zu lassen. Zu spät kommende Besucher werden nur bei Unterbrechungen eingelassen. Das Fotografieren sowie Film- und Tonaufnahmen während der Vorstellung sind aus urheberrechtlichen Gründen nicht gestattet.


Unsere Vorstellungen werden ermöglicht dank der Subvention des Kantons Zürich sowie den Beiträgen der Kantone Luzern, Uri, Schwyz, Zug und Aargau im Rahmen der interkantonalen Kulturlastenvereinbarung und den Kantonen Nidwalden und Obwalden. PARTNER

ab PRODUKTIONSSPONSOREN Evelyn und Herbert Axelrod Freunde der Oper Zürich

Swiss Re Zürich Versicherungs-Gesellschaft AG

Walter Haefner Stiftung PROJEKTSPONSOREN AMAG Automobil- und Motoren AG Baugarten Stiftung Familie Christa und Rudi Bindella Clariant Foundation Freunde des Balletts Zürich

Max Kohler Stiftung Ringier AG Georg und Bertha Schwyzer-Winiker-Stiftung Swiss Life Zürcher Kantonalbank

Ernst Göhner Stiftung GÖNNER Abegg Holding AG Josef und Pirkko Ackermann Alfons’ Blumenmarkt Allreal

Kühne-Stiftung LANDIS & GYR STIFTUNG Juwelier Lesunja Lindt und Sprüngli (Schweiz) AG

Ars Rhenia Stiftung

Stiftung Lyra zur Förderung hochbegabter,

Familie Thomas Bär

junger Musiker und Musikerinnen

Berenberg Schweiz

Die Mobiliar

Beyer Chronometrie AG

Fondation Les Mûrons

Elektro Compagnoni AG

Neue Zürcher Zeitung AG

Stiftung Melinda Esterházy de Galantha Fitnessparks Migros Zürich Fritz Gerber Stiftung Gübelin Jewellery Egon-und-Ingrid-Hug-Stiftung Walter B. Kielholz Stiftung

Notenstein La Roche Privatbank AG Pro Helvetia, Schweizer Kulturstiftung StockArt – Stiftung für Musik Swiss Casinos Zürich AG Van Cleef & Arpels, Zürich Else von Sick Stiftung

KPMG AG FÖRDERER Frankfurter Bankgesellschaft (Schweiz) AG Garmin Switzerland Horego AG Sir Peter Jonas Luzius R. Sprüngli

Elisabeth Stüdli Stiftung Confiserie Teuscher Madlen und Thomas von Stockar Zürcher Theaterverein


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