Tannhäuser

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TANNHÄUSER

R ICHAR D WAGNER


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TANNHÄUSER UND DER SÄNGERKRIEG AUF WARTBURG RICHARD WAGNER (1813–1883)


So musste mir das Herz in das Hirn treten, und mein Leben nur noch ein künstliches werden: Nur noch als «Künstler» kann ich leben, in ihm ist mein ganzer «Mensch» aufgegangen … Ich  m u s s  hier wahnsinnig werden Richard Wagner an Franz Liszt, 9. November 1852


Michael Volle, Peter Seiffert Spielzeit 2010/11


HANDLUNG Erster Aufzug Im Venusberg wird ein grosses Bacchanale gefeiert. Der Sänger Tannhäuser, dorthin entflohen vor der Enge der Wartburg und ihrer in erstarrten Konventio­ nen gefangenen Gesellschaft um den Landgrafen Hermann, gibt sich ganz dem Rausch der sinnlichen Liebe hin. Doch bald schon sehnt er sich nach der realen Welt, nach den wechselhaften Gefühlen und dem Leben eines Sterblichen zu­ rück. Venus, die ihm Treulosigkeit vorwirft, versucht vergeblich, sein verwirrtes Gemüt zu beruhigen; Tannhäuser ruft die Jungfrau Maria an und bannt damit den Zauber der Venus. Ein Hirt besingt den Frühling; seine Weise wird vom Gesang vorüberziehen­ der Pilger auf ihrem Bussgang nach Rom übertönt. Tannhäuser ist ergriffen. Land­graf Hermann und sein Gefolge treffen auf ihn. Misstrauisch nähern sie sich ihm, schieden sie doch im Streit voneinander. Wolfram aber erkennt den desola­ ten Zustand des einstigen Freundes und fordert ihn auf, in den Kreis der Sänger zurückzukehren. Obwohl auch die anderen in die Bitte einstimmen, widersetzt sich Tannhäuser. Erst als Wolfram ihn an Elisabeth, die Nichte des Landgrafen, erinnert, und ihm – obwohl selbst Elisabeth in Liebe zugetan – frei­mütig schil­ dert, wie sehr diese unter seiner Abwesenheit leidet, besinnt sich Tann­häuser der Vergangenheit und drängt nun selbst auf Rückkehr in die Wartburg.

Zweiter Aufzug Elisabeth und Tannhäuser stehen sich nach langer Zeit erstmals wieder gegen­ über. Elisabeth offenbart Tannhäuser ihre tiefsten Gefühle: Seine Lieder haben in ihr eine nie gekannte Sehnsucht geweckt. Im gegenseitigen Eingeständnis ihrer Liebe vergessen Elisabeth und Tannhäuser die Welt um sich her. Wissend um die Gefühle seiner Nichte zu Tannhäuser, hat Landgraf Hermann zu einem besonderen Sängerwettstreit eingeladen, als dessen Preis er Elisabeths Hand in Aussicht stellt. Als Thema stellt er den Sängern die Aufgabe, das Wesen der

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Liebe zu ergründen. Wolfram eröffnet den Wettstreit mit einem Preislied, das die Liebe als rein geistigen Wert verherrlicht. Durch solche, jegli­che Sinnlichkeit verneinende Anschauung herausgefordert, setzt Tannhäuser unter Missachtung des zeremoniellen Ablaufs diesem lebensfernen Ideal sein provozierendes Lied einer die Sinnlichkeit mit einbeziehenden Liebe entgegen. Walther von der Vogel­ weide beruhigt die in Unruhe versetzten Zuhörer, doch erntet auch seine Ver­ teidigung der hohen Minne von Tannhäuser nur Spott. Als zuletzt Biterolf Tann­ häuser in die Schranken von Moral und Sitte zu weisen versucht, fühlt dieser sich provoziert und preist die sinnlichen Wonnen der Venus, mehr noch – er gesteht, in ihrem Reich verweilt zu haben. Die Männer stürzen sich auf Tann­ häuser, um ihn zu töten. Da stellt sich Elisabeth, obwohl durch Tannhäusers Ausbruch zutiefst verletzt, schützend vor ihn und bittet um Gnade: Nur Gott dürfe über ihn richten. Der Landgraf spricht das Urteil: Tannhäuser wird aus der Gesellschaft aus­gestossen. Es sei ihm jedoch gestattet, sich den eben nach Rom aufbrechenden Pilgern anzuschliessen, um vom Papst Verzeihung zu erbitten.

Dritter Aufzug Elisabeths Leben ist bestimmt vom Warten auf die Rückkehr Tannhäusers. Wolfram beobachtet sie sorgenvoll. Die Pilger, die vom Papst Verzeihung erlangt haben, kehren aus Rom zu­rück. Tannhäuser ist nicht unter ihnen. Elisabeth bittet die Jungfrau Maria, für ihn sühnen zu dürfen, und entsagt dem Leben. Ohnmächtig, sie von ihrem Vor­haben abbringen zu können, bleibt Wolfram zurück. Trost findet er einzig in seinem Gesang. Da naht ein weiterer Pilger: Es ist Tannhäuser. Auf Wolframs Bitten erzählt er von seinem harten Bussgang nach Rom und vom vernichtenden Urteil des Papstes, der erklärte, dass ihm nie Erlösung zuteil werden könne – ebenso wie der Stab in seiner Hand sich nie mehr mit frischem Grün schmücken würde. Nun will sich Tannhäuser erneut zu Venus flüchten. Vergeblich versichert Wolfram Tannhäuser, dass ein Engel für ihn gesühnt hätte. Erst als er den Na­ men nennt – Elisabeth –, löst Tannhäuser sich aus seinem Wahn und bricht tot zusammen. Über seiner Leiche feiert die Wartburggesellschaft das Wunder des grünenden Stabes.

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Vesselina Kasarova, Peter Seiffert Spielzeit 2010/11


EINE GANZ HEUTIGE FIGUR Regisseur Harry Kupfer im Gespräch

Herr Kupfer, dieser Zürcher Tannhäuser ist nicht Ihre erste Beschäftigung mit dem Werk... Es ist sogar schon die fünfte! Was fasziniert Sie so sehr am Tannhäuser, dass Sie sich mit diesem Stück nun zum fünften Mal auseinandersetzen? Zwischen den verschiedenen Inszenierungen lagen immer ungefähr zehn Jahre. Dann hat man wieder eine neue, tiefere Sicht auf das Stück. Das hängt auch mit der eigenen Entwicklung und mit der Entwicklung der Welt zusammen, so dass man Stücke immer wieder neu lesen kann. Zum anderen interessiert mich der Tannhäuser immer noch, weil er das Stück über eine Künstlerproblematik par excel­lence ist: der Künstler, der im Widerspruch lebt zwischen seiner Individualität, seiner Geniali­tät und der gesellschaftlichen Norm. Dieses Thema ist zeitlos, das stimmt bis heute. Sehen Sie in dieser Problematik auch ein Stück weit sich selbst? Sicher, jeder, der Kunst macht, kommt irgend­wann in die Situation, dass er sich entschei­den muss: Verwirkliche ich mich selbst, auch wenn ich Schaden nehme, oder gehe ich in den Protest? Tannhäusers Protest ist anarchisch. Das steht nicht im Widerspruch zu seiner Geniali­tät. Aber er schwankt hin und her, fällt von einem Kompromiss in den anderen, daran scheitert er. Diese Sichtweise entspricht nicht unbedingt derjenigen von Richard Wagner – der Komponist selbst hat seinen Tannhäu­ser als jemanden beschrieben, der gerade keine Kompromisse macht, der nie etwas «nur

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ein bisschen ist», sondern «immer alles voll und ganz»… Bei Wagner muss man das, was er verbal äusser­te, immer trennen von dem, was er in seinem Werk gestaltet hat. Da gibt es grosse Unterschiede. Es ist doch so: Tannhäuser hat mit seiner Kunst provoziert, er ist angeeckt und hat dann die gesellschaftliche Welt, zu der er eigentlich gehört und in der auch seine Liebe – Elisabeth – ist, verlassen; er hat sich geflüch­tet in eine extrem andere Welt, die sich hier Venusberg nennt, die aber ebenso eine Welt von Hippies, Drogenabhängigen, Ausgeflippten sein kann, eine Welt eben, in die der Künst­ler sich flüchtet, wenn er mit der Gesellschaft in Konflikt gerät. Im Venusberg entdeckt er, dass er auch dort nicht zuhause ist, dass das nicht genügt; dort wird er steril, sein Künstler­­tum erstickt... … was ja in der Wartburg-Welt in anderer Form auch der Fall war. Jetzt geht er aus dem Venusberg weg, die Erinnerung an Elisabeth bringt ihn dazu – obwohl er wissen muss, dass es keinen Sinn hat: Wenn er nicht klein beigibt und sich den Normen fügt, ist er in der Wartburg-Welt nicht will­­kom­ men. Dann bekommt er auch Elisabeth nicht. Er tut es trotzdem – aus Liebe. Vielleicht denkt er, dass er über die Liebe doch zu einer inneren Harmonie findet und sein Talent sich weiter entfalten kann – das geht schief. Schon beim ersten Sängerwettstreit, wo er diese Verlogenheit, diese Feindseligkeit um sich herum spürt, dreht er wieder durch und provoziert so, dass er nun alles zerstört, auch seine Liebe zu Elisabeth. Als er dann begreift, was er ange­ richtet hat, dass er eigentlich sich selbst damit zerstört hat, weil er nicht klug genug ist, seine Dichtung so zu verpacken, dass sie zwar provoziert, aber ihn nicht ausstösst aus der Gesell­schaft, geht er den nächsten Kompromiss ein: Er pilgert nach Rom. Obwohl er weiss: Auf dieser ideologischen Basis kann es für ihn keine Befreiung geben. Er tut es aber doch – um Elisabeths willen. Und natürlich geht das auch schief. Er kommt zurück und will wieder in den Venus­berg, den Bereich, aus dem er schon einmal geflohen war. Also dauernd Kom­promisse, ein ständiges Zerrissensein. Tannhäuser ist ein gesellschaftlicher Aussenseiter – wie würden Sie die Gesellschaft beschreiben, die diesem «Anarcho» gegen­übersteht?

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Eine solche Gesellschaft, wie sie im Tannhäu­ser beschrieben wird, kann es in jeder Epoche geben, und zwar in dem Moment, in dem eine Gesellschaft sich so etabliert hat, dass sie sogar Kunstrichter spielen und die Aus­sage der Kunst für sich benutzen will. Dann landen viele Künstler im Gefängnis. Das gibt es zu allen Zeiten. Warum werden denn die Künstler für diese Gesellschaften gefährlich? Weil sie deren festgefügte Riten und Normen in Frage stellen. Man kann natürlich Dinge in Frage stellen, ohne das Kind mit dem Bade aus­zuschütten, man kann es klug machen – aber wenn man den Charakter dazu nicht hat, wie Tannhäuser, dann zerstört man alles.

Das komplette Programmbuch Sie haben vorhin gesagt, dass sich Ihre Sicht auf den Tannhäuser im Laufe der Zeit verändert hat; welche Schwerpunkte setzen Sie heute? können Sie auf Ich denke zum Beispiel an Länder wie China, wo Künstler, die in die Opposi­ tion gehen, ob nun als Anarcho oder mit einem wirklichen politischen Bewww.opernhaus.ch/shop wusstsein, was der Tannhäu­ser ja nicht hat, im Gefängnis landen. Folglich ist das Stück heute genauso aktuell wie zu der Zeit, als es geschrieben wurde. oder am Vorstellungsabend im Foyer Tannhäuser ist also eine ganz heutige Figur. Ja. Ich habe jaOpernhauses die ganze DDR-Zeit hinter mir, woerwerben natürlich dieselben Dinge des passiert sind, wo eine bestimmte Kunstdoktrin vorherrschte; denken Sie an Wolf Biermann, der aus der DDR ausgebürgert wurde. Wir sind gar nicht so weit weg von dieser Situation, deshalb darf man das Stück auch nicht historisch oder als Märchen spielen, sondern man muss es zeitge­mäss spielen.

Haben Sie das in Ihren früheren Inszenierun­gen auch schon so gemacht? Das ging Schritt für Schritt, ich wurde mit der Zeit immer konsequenter. Ist Tannhäuser auch ein Spiegel von Ri­chard Wagner? Bestimmt. Wagner ist ja auch unglaublich viele Kompromisse eingegangen, um seine Ideen zu verwirklichen. Wenn man an sein Verhältnis zu Ludwig II. denkt, dann sind wir in einer ähnlichen Situation. Er wurde auch zeit seines

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Lebens angegriffen, angefeindet, verfolgt, auch politisch nach der Dresdener Revolution. Da ist viel Autobiografisches drin. Im Tannhäuser stehen sich zwei gegen­sätzliche Welten unvermittelt gegenüber – die Wartburg-Welt, zu der auch Elisabeth gehört, und der Venusberg, der durch Venus, die Göttin der Liebe, repräsentiert ist. Wie interpretieren Sie diesen Venusberg? Der Venusberg ist die Welt der Aussenseiter. Wagner fasst das in das poetische Bild der anti­ken Göttin, die sich in die Unterwelt zurückge­zogen hat. Genauso kann das aber ein Luxus­bordell sein oder eine grosse Wohngemein­schaft, die sich mit Hasch und anderen Rausch­mitteln über die Runden bringt. Wagner hat sehr detaillierte Regieanweisungen für das Bacchanale im Venusberg gegeben; wie ernst nehmen Sie diese Beschreibungen? Ich nehme sie sehr ernst; man darf es bloss nicht so machen, wie es da steht, dann wird es lächerlich, weil das zeitbedingt ist. Aber zum Beispiel die Tötung des Orpheus durch die Mänaden – das meint die Tötung des Künst­ lers. Das ist für mich das Thema des Baccha­nales: diese sich austobende, einseitige, sexbesessene Welt führt irgendwann zum künstlerischen Tod des Künstlers. Ist die Flucht Tannhäusers auch durch Über­sättigung motiviert? Wenn Sie das menschlich-künstlerische Leben aufspalten in eine nur geistige und nur sinnliche Ebene, dann geht der Künstler kaputt. Nicht nur der Künstler, sondern auch der Mensch ganz allgemein... Aber der Mensch hat immer noch die Möglich­keit sich zu arrangieren, wenn er nicht durch seine Inspiration getrieben ist. Der bedingungs­lose Künstler kann das schwer. Somit ist der Künstler schon der richtige Brennspiegel für dieses Schicksal. Wir sprachen vorhin über die Kompromis­se, die Tannhäuser eingeht; während des Sängerwettstreits in der Wartburg zeigt sich der Künstler

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Tannhäuser aber ganz im Gegenteil vollkommen kompromisslos, und die Rückkehr in die Gesellschaft miss­lingt. Da ist er nicht kompromissbereit, sondern dumm. Er reagiert kurzsichtig. Der Sängerkrieg ist so genial komponiert, dass nach zwei Liedern klar ist: Die einen vertreten die wohlgelit­tene Kunst-Richtung, und Tannhäuser vertritt eine andere. Aber anstatt klug zu reagieren, reagiert er nur aus dem Bauch, als stünde er unter Drogen. Deshalb ist er für mich überhaupt kein positiver Held, sondern ein negati­ver, mit dem man zwar Mitleid haben kann und den man achten kann wegen seines Künstlertums, aber menschlich versagt er total. Er versteht auch nicht, dass WolframProgrammbuch ihm ein Opfer bringt. Das komplette Nein, er begreift Wolframs erste Strophe nicht, die ja den Verzicht Wolframs andeutet – für ihn, Tannhäuser. Diese Egozentrik, die in seinem Charakter können Sie auf steckt, die ist Künstlern eigen. www.opernhaus.ch/shop Wolfram ist in seiner Opferbereitschaft und der Menschlichkeit, die er dem ausge­stos­senen Tannhäuser gegenüber zeigt, die positivste Figur oder am Vorstellungsabend im Foyer des Stücks. Zunächst einmal ist er Teil der Gesellschaft und bedient sie auch. Aber der grosse künstlerische Wurf gelingt ihm nicht – dazuerwerben kommt es erst, nachdem des Opernhauses er die tragische Geschich­te von Elisabeth miterlebt hat. Für mich wird er zum grossen Künstler, wenn er das «Lied an den Abendstern» dichtet. Das ist grosse Dichtung und grosse musikalische Poesie. Wenn er den nächsten Schritt geht, kommt er vielleicht in dieselbe Situation wie Tannhäuser. Wolfram ist – neben Elisabeth – die menschlichste Figur von allen. Elisabeth ist das Beispiel einer modernen Frau, die mutig genug ist, um in dieser absoluten Männergesell­­schaft aufzutreten und jemanden, der sie zu Tode verwundet hat, um seines Künstlertumes willen rettet. Am Schluss des Sängerkrieges tritt sie mit ihrem eigenen Leben für Tannhäuser ein, um ihm die Chance zu geben, sich doch noch selbst zu finden – wenn sie auch den Weg nicht weiss; sie muss den Weg akzeptieren, den der Landgraf vorschlägt und der natürlich eine Dummheit ist – die Pilgerfahrt nach Rom.

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Tannhäuser pilgert zum Papst, um Vergebung für seine Sünden zu erlangen; doch er findet keine Gnade. Erst ganz am Schluss, als Elisabeth bereits in den Tod ge­gangen ist und Tannhäuser über ihrer Leiche zusammenbricht, ist an einem Pilgerstab frisches Grün zu sehen. Wie deuten Sie dieses Ende? Das Ende ist bitter. In dem Moment, wo der Künstler tot ist, kann er kanonisiert werden. Dafür steht der verlogene grüne Pilgerstab. Wie viel christlicher Erlösungsgedanke steckt im Tannhäuser? Wagner trennt da wirklich das christliche Gedankengut von der Institution Kirche. Das steht bei mir alles unter dem Begriff der Wartburg-Welt: Hier nimmt die Kirche eine reaktionäre Hauptfunktion ein. Das Christentum hingegen hat Wagner niemals angezwei­felt; wie sich auch im Parsifal zeigt, ging es ihm eher um ein Zurück zu den Urgedanken des Christentums. Aber die Institution Kirche ist absolut vergesellschaftet und reaktionär. Und die wird von Wagner angegriffen.

Das komplette Programmbuch können Sie auf www.opernhaus.ch/shop Die beiden gegensätzlichen Welten Wartburg-Gesellschaft und Venus­ oder Vorstellungsabend im Foyer bergam bleiben bis zum Schluss unversöhnt. In idealistischem Sinn vereinigen sich die beiden Welten in Elisabeth. In Elisabeth der Liebe zu ihr wittert Tannhäuser einen Moment lang des undOpernhauses erwerben instinktiv die Chance, in die Gesellschaft zurückzukehren; deshalb ist er bereit, zu Kreu­ze zu kriechen, ihretwegen geht er nach Rom.

Tut er das aufrichtig? Ich würde sagen: ja. Bei ihm ist alles spontan und aufrichtig. Aufrichtig war sein Weggehen aus der Wartburg-Gesellschaft, aufrichtig war die Flucht aus dem Venusberg. Er wünscht sich etwas Extremes, und wenn er es erreicht hat, merkt er, dass es nicht genug ist. Dann flüchtet er in das andere Extrem, obwohl er weiss, dass es keinen Sinn hat. Die Rückkehr in die WartburgWelt geschieht nur wegen Elisabeth. Sie verkörpert ein Stück weit das, was ein Künstler braucht: die totale Einheit der Persönlichkeit.

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Nina Stemme Spielzeit 2010/11


Elisabeth hat den Zustand erreicht, den Tannhäuser nie erreichen wird. So ist es. Sie ist auch die einzige, die ihn versteht. Und Tannhäuser begreift im Moment des Wiedersehens im zweiten Akt, dass sie der Anker ist, an dem er sich festhalten kann. Doch wenig später hat er das schon vergessen und zerschlägt alles – die letzte, dumme Venusberg-Strophe müsste er im Sänger­ krieg nicht singen. Tannhäuser ist eine so zerrissene Figur – wäre er denn in dieser Zerrissen­ heit überhaupt lebensfähig, von der Gesellschaft mal ganz abgesehen? Er ist schon lebensfähig, aber nur für eine begrenzte Zeit – so lange nämlich, wie seine extremen Vorstellungen, seine Explosionen Kunst produzieren. Aber früher oder später wird er zugrunde gehen. Wagner hat seinen Tannhäuser nach der Dresdner Uraufführung 1845 für eine Aufführung in Paris 1861 stark überarbeitet; vor allem der erste Akt, der im Venus­berg spielt, wurde stark umgestaltet und er­wei­tert. Jeder Regisseur und jeder Dirigent sieht sich mit der Frage konfrontiert, welcher der beiden Fassungen er den Vorzug geben möchte. Wie haben Sie sich entschieden? Wagner selbst war zeitlebens unzufrieden mit den Fassungen des Tannhäuser. Er hat die Pariser Fassung ja auch nicht, wie oft behaup­tet wird, geschrieben, weil damals in Paris in der Oper ein Ballett erwartet wurde – dann hätte er es nämlich in den zweiten Akt legen müssen, weil die Herren, die vor allem das Ballett sehen wollten, immer erst nach dem Abend­essen in die Oper kamen. Wagner hat vielmehr immer gespürt, dass im Venus­berg etwas fehlt. In der Dresdener Fassung versteht man eigentlich nicht, warum Tannhäuser aus dem Venusberg flieht – es ist viel zu harmlos. Im zweiten Akt hat Wagner für Paris eine Strophe im Lied des Walter von der Vogelweide gestrichen – das war tatsächlich ein Kompromiss für den Pariser Darsteller der Rolle, den muss man nicht übernehmen. Wir haben uns für die Pariser Fassung im ersten Akt entschie­den, weil auch die Venus viel bedeutender und differen­ zier­ter ausgestaltet ist. Wagner hat hier ein Zerwürfnis zweier Menschen kom­poniert, die am Ende ihrer Ehe stehen – viel subtiler als in der Dresdener

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Fassung. Im zweiten und dritten Akt verwenden wir konsequent die Dresdener Fassung. Zwischen den beiden Fassungen liegen ja immerhin 16 Jahre, in denen der Komponist sich musikalisch stark weiterentwickelt hat; empfinden Sie da keine stilistischen Brüche? Die Partitur ist kompositorisch zerrissen. Da passt so ein Bacchanal gut rein. Die stilistischen Brüche sind ja inhaltlich begründet. Das Gespräch führte Beate Breidenbach.

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Meine eigene Rettung heischt Flucht, vollständige Flucht in das Reich der Phantasie. Richard Wagner an Ludwig II., 20. August 1865


Vesselina Kasarova Kasarova, Peter Seiffert Spielzeit Spielzeit 2010/11 2010/11


TANNHÄUSER – KÜNSTLER UND AUSSENSEITER Hans Mayer

Es ist also nicht die Unmöglichkeit einer Verbindung zwischen dem bürgerli­ chen Künstler Tannhäuser und der Prinzessin von Thüringen, die Tannhäusers Aussenseitertum allein begründen könnte. Trotzdem muss man Richard Wag­ ners nachdrücklichen Hinweis auf die Unmöglichkeit einer solchen Verbindung als Keimzelle des tragischen Konflikts verstehen. Der Widerspruch ist kaum zu lösen. Elisabeth ist nicht von Anbeginn als Heilige dargestellt. Erst im Leid, das sie zweimal erfährt durch den geliebten Mann: zuerst durch seinen brüsken Weggang, dessen Ziel sie nicht ahnen konnte, dann durch die Enthüllung der Todsünde, wird sie zur heiligen Fürbitterin. Das irdische Begehren Tannhäusers kann also nicht und gleichsam «an sich» als sündhaft gedeutet werden: entgegen den Behaup­tungen Richard Wagners selbst. Die tiefere Ursache des tragischen Konfliktes liegt in diesem gleichsam existentiellen Aussenseitertum des Künstlers Tannhäuser. Tannhäusers Abkehr von der Wartburg hat zuerst einen Konflikt begründet, der nur tödlich enden und nur durch göttliche Gnade harmonisch beigelegt werden kann. Eben diese Ursache aber des ersten und entscheidenden Übergangs von der Wartburggesellschaft zur Kumpanei der Frau Venus und ihrer Bacchantin­ nen ist bei Wagner dramaturgisch vorausgesetzt, doch nicht motiviert. Richard Wagner braucht nämlich für sein Konzept dieses allseitige Aussenseitertum des Tannhäuser. Er entzieht sich den gesellschaftlichen Verbindungen und ästheti­ schen Spielregeln der Sängergemeinschaft. Tannhäuser missachtet dann die Spielregeln der erotischen Hölle. Der Tannhäuser in dem grossen Gedicht Hein­ rich Heines war zurückgekehrt zur Frau Venus, um dort, nach einem erlebnis­ reichen Ausflug in die Oberwelt, beseligt zu bleiben. Tannhäuser jedoch hält es nicht im Venusberg. Vor den christlichen Staats- und Kunstprinzipien flüchtet

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er zur Göttin Venus. Von ihr trennt er sich im Anruf der Madonna. Mitten im Sängerkrieg, der entbrannt ist über einer Definition der hohen und der niederen Minne, bekennt sich Tannhäuser im Anruf zur Welt des heidnischen Geniessens. Damit wird die liebende Elisabeth tödlich getroffen. Tannhäuser wechselt jäh vom erotischen Preislied hinüber ins christliche Miserere. Er bleibt der allseiti­ ge Aussenseiter der Kunst, der Liebe und der Gesellschaft. Die Häufung solcher Spannungen und Widersprüche bleibt erstaunlich. Erstaunlich geblieben ist auch die Kühnheit Richard Wagners, zum ersten Mal im Tannhäuser, in der Nachfolge von Tasso und Homburg, jedoch in entschlos­ sener Hinwendung zur Tragödie, das Thema eines existentiellen Aussenseiter­ tums gegenüber allen etablierten Gesellschaftsordnungen gestaltet zu haben. Noch radikaler wird das Konzept gerade dadurch, dass Wagner offensichtlich dies existentielle Aussenseitertum gegründet sieht im Künstlertum des Tann­ häuser. Dass hier die eigene Erfahrung des Musikdramatikers verarbeitet wurde, bleibt unverkennbar. Das schroffe Jugendwerk mit seinen unharmonischen Widersprüchen zwischen Dramaturgie und Partitur ist schwierig geblieben und erregend. Soll man es bedauern, dass der Bayreuther Meister der Welt den Tannhäuser schuldig blieb?

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DAS LEBEN EIN TRAUM? Eckart Kröplin

Ruhe gab es im Leben dieses Mannes kaum – Richard Wagners Biografie ist die Geschich­te eines Umgetriebenen, eines Entwurzelten, eines Flüchtigen, eines Asylanten, eines Frem­den. Wenige Male nur ist er für längere Zeit sesshaft, kann er ein Heim sein eigen nennen: abgesehen von den Jugendjahren etwa in seiner Dresdner Kapellmeisterzeit oder gegen Lebensende in Tribschen und dann in Bayreuth. Aber auch diese auf den ersten Blick sicheren Phasen sind unter dem Deckmantel wohlgestalter Erscheinung von innerer Unruhe erfüllt, von Ver­ unsicherungen und zunehmender Destruktion. Der ersten Freude über den erreichten «sicheren Port» folgen bald Ernüchterung und immer offener zu­tage tretende Entfremdung in neu eingegangenen Beziehungen. Der Tod in Venedig ist keine zufällige Lokalisation; hier hat Wagner ihn – mehr oder weniger be­ wusst wohl – erwartet und gesucht, nicht in Deutschland, denn dieses war ihm nicht Heimat, konnte es nicht sein; er fand den Tod in der fremden Ferne, die ihm flüchtige, doch aber gezielt gewählte und letzte Heimstatt bedeutete. Der Ort des Todes – Venedig, vom Meer umgeben, vom Wasser durchzogen, eine fast irreale Welt zwischen irdischen Elementen – offenbart den Riss im Leben als unüberbrückbar: zwei Leben hatte Wagner zu leben, ein reales der unab­lässig aufeinander folgenden persönlichen und sozialen Katastrophen und ein zweites, geträumtes, musikalisches, das über das kunstvoll-phantastische Spiel des The­ aters mit seiner bewegenden Dramatik und seinen überraschenden Verwand­ lungen ein erlösend Anderes aufschimmern liess. Das von Grillparzer mit «Das Leben, ein Traum» (eine Calderón-Adaption) literarisch geformte Biedermeier-Motiv der geistigen Beschränkung im Alther­ gebrachten, des rückwärts träumenden Ausweichens vor der Gegenwart wird bei Wagner umgekehrt: gemütvolle Romantik bricht auf, sie zielt mit revolutio­ närem Ungestüm in eine erahnte, erträumte Zukunft – der Traum wird nun zum eigentlichen Leben. Das Pendeln zwischen Realität und erträumter Ideali­tät

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durchzieht wie ein Leitthema Wagners KünstlerBiografie. Kindheit und Jugend­ jahre einmal ausgenommen, prägt sich deutlich eine erste Phase des Bewusst­ seins über diese immer stärker klaffende Diskrepanz in den 30er Jahren aus und zieht sich bis in die Züricher Zeit hin. Es sind Jahre wachsenden Erschreckens über diese Kluft und der immer wiederholten Versuche, sie doch im Sinne eines Einswerdens mit der Realität (die allerdings auch durch revolutionären Umsturz zu verändern sei) zu überwinden. Schon in der Autobiografischen Skizze von 1843 charakterisiert sich der junge Komponist damit, dass er durch frühe Kunsterlebnisse der Romantik «zum tollsten Mystizismus aufgeregt» worden sei, «am Tage, im Halbschlaf hatte ich Visionen»; oder er schreibt be­reits am 16. Dezember 1832 an Theodor Apel, und das ist das früheste Zeugnis in dieser Hinsicht: «Ich war von Gott und der Welt verlassen! Da musste denn meine göttliche Musik her…» – er kompo­ nierte gerade seine Symphonie in C-Dur – «Sie war fertig, und jetzt sollte mir das Aussen-Leben aufgehen.» Von Kind auf erlebt Wagner diesen Wider­spruch als ein Grundthema von Leben und Schaffen.  Seit Anfang der 30er Jahre, mit dem Beginn seiner Künstlerlaufbahn, erlebt Wagner dieses Dazwischensein, diese gefahrvolle Wanderung zwischen Realität und künstlerischer Fiktion immer bewusster. Und die Balance zwischen beiden kann er immer weniger halten. Von dieser Position aus, dem Differenz- und Über­gangsbereich der «zwei Leben», erfahren dann auch Wagners gesamte ästhetische und künstlerische Konzeption, sein gesellschaftliches Verhalten und sein soziales Rollenspiel ihr Profil, ihre Struktur, ihre ausschlaggebende Moti­ vation. Von hier aus bestimmt sich sein besonderes Verhältnis zur Revolution und entwickeln sich sein Erlösungsgedanke, seine Idee vom Gesamtkunst­werk, seine Ästhetik der Irrealisierung musikalischer Vorgänge. Beide Schichten, das real gelebte und erlittene erste sowie das träumerisch gedachte und theatralisch musizierte zweite Leben, kollidieren stets und umso mehr, als Wagner immer wieder versucht, das erste im zweiten und, umgekehrt, das zweite im ersten sich aufheben oder gar miteinander vereinbaren zu lassen. Das Erlebnis Paris, der Ausgang der 48er-Revolution, das trugvolle Verhältnis zu Ludwig II., die deutsch-nationale Desillu­sion an Bismarck oder seine Be­ zie­hungen zu Jessie Laussot, Mathilde Wesendonck, Mathilde Maier, Judith

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Ist denn nicht vielleicht Alles nur ein böser Traum, – ist mein Leben ein böser Traum, oder sind meine Träume mein eigentliches Leben? Richard Wagner an Minna, 18. Juni 1836


Gautier oder die raumgreifenden Reformpläne für die Theater in Dresden, Wien, Zürich, München oder das Bayreuther Festspielunternehmen – ob nun also seine Biografie unter sozial-politischen, unter persönlichen oder unter künstleri­schen Aspek­ten gesehen wird –, immer wiederholt sich derselbe Vor­ gang: ange­spannteste, freudigste Hoffnung, geradezu bedingungsloses Hinein­ werfen in die neue Situation, begeisterter Rausch (dabei auch – das ist für Wagner von spezifischer Bedeutung – überlang andauern­de Beharrlichkeit) und dann, immer heftiger, die Erkenntnis trügerischer Selbsttäuschung und letztlich der Zusammenbruch, als theatralisch akzentuierter Eklat oder, am Lebensende, verbitterte Resignation. Die Magdeburger Dirigententätigkeit schliesst ab mit einem skandalösen Misserfolg seiner eigenen Opernuraufführung Das Liebesverbot und dem Bank­ rott des Theaters; aus der mühsam errungenen Königsberger Anstellung (wobei das Opernunternehmen ebenfalls allzu schnell Bankrott geht) entflieht die so­ eben geehelichte Frau Minna mit einem Liebhaber; in Riga wird ihm die Stellung gekündigt und der Ausweg heisst heimliche, abenteuerliche Flucht; in Paris, der europäischen Kunsthauptstadt jener Epoche (und ihr hatte Wagner jahrelang entgegengefiebert) droht das existentielle Ende allen künstlerischen Strebens; aus der hochangesehenen Dresdner Hofkapellmeisterstellung bleibt im Mai 1849 nur die Flucht vor der drohenden Todesstrafe; das Zürcher Asyl und sein mensch­licher Fixpunkt, Mathilde Wesendonck, zwingen wiederum zur Flucht; und nun folgen die Zufluchtstätten immer schneller aufeinander: Venedig, Lu­ zern, Paris, Bieberich, Wien, bis endlich der Fliehende in das vermeintliche «Wunder» taumelt – ein König hebt ihn auf und verspricht ihm das Himmel­reich auf Erden, Erlösung aus den irdi­schen Qualen, nur seiner Kunst noch solle er leben. Doch schon eineinhalb Jahre später muss Wagner auch aus München wieder flüchten, das «Wunder» erweist sich als von klaffenden Widersprüchen zersetzt, es ist unheil und bewirkt zunehmend unheilbare Entfremdung. Das ertrotzte Bayreuther Unternehmen schliesslich ist – Wagner muss es illusionslos gewahren – im Grunde ein Fiasco, vor dessen in künstlerischer und finanzieller Hinsicht defizitären Misere-Folgen er 1876 geradezu überstürzt, nur wenige Tage nach Beendigung der Festspiele und angesichts aller offenen Fragen, nach Italien entweicht. Auch dies war wohl eine Flucht. Und dieses Leben endet erst,

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ohne eigentlich je Ruhe gefunden zu haben, unerfüllt in seinem künstlerischen Streben, mehr Anlass zu Missdeutung gebend denn beruhigende Klarheit hin­ terlassend, mit einem Herzinfarkt am Nachmittag des 13. Februars 1883 in einem venezianischen Palazzo. Äusserlich betrachtet weist dabei die Biografie Wagners eine merkwürdig «geordne­te», ja arithmetische Symmetrie auf: Reichlich 20 Jahre Jugendzeit in Leipzig und Dresden; dann 15 Jahre bis 1849 Kapellmeistertätigkeit und ver­ suchte Karriere im öffent­li­chen Kunstleben; 1848/49, genau am Scheitelpunkt seiner Lebensbahn, die grosse politische Krise, die grosse Wende: Die Beteiligung an der Revolution und die Flucht; danach 15 Jahre unstetes Emigranten-Dasein; schliesslich wiederum knapp 20 Jahre die «Spätphase» seit 1864 in München, Tribschen und Bayreuth. Dies runde Zahlenspiel ist doch aber Schein, es trügt. Was rechnerisch so glatt aufgeht, ist in Wirklichkeit von ständiger Diskontinui­ tät und Unrast zerrissen, von Aufschwung und Niederlage, von momentaner Sicherheit und katastrophalem Umbruch. Wenige Zeitgenossen nur, wenige Künstler seiner Generation hatten solch einen unruhvollen, von heftigen Erschütterungen begleiteten Wandel der Le­bens­ ­orte und -situationen durchzustehen. Obwohl die bürgerliche Kapitalisierung im 19. Jahrhundert krasseste soziale Zuspitzungen und Umwälzungen für alle Klassen und Schichten, für jedes Individuum mit sich brachte, ist die Wagnersche Biografie dennoch Ausnahmefall, mit wenigen nur vergleichbar, am wenigsten aber wohl mit den zwar auch wechselreichen, in sich aber doch wohl gefestigte­ ren Lebensläufen von Musikerkollegen wie Meyerbeer, Mendelssohn, Schubert, Schumann, Berlioz, Liszt, Brahms, Bruckner, Offenbach oder Johann Strauss. Ein von der Romantik verinnerlichtes soziales Grundmotiv bestimmt auch im Äusserlichen das Wagnersche Leben: «Fremd bin ich eingezogen, fremd zieh ich wieder aus». Diese beiden ersten Verszeilen in Schuberts Vertonung der Müllerschen Winterreise können als übergreifendes, musikalisch gefasstes Mot­ to gelten. Mit dem Fliegenden Holländer, dem Beginn seiner bewusst eigen­ ständigen, sich von gängigen künstlerischen Zeittenden­zen krass absetzen­den Laufbahn als dramatischer Komponist, formuliert Wagner Ähnliches, und das bleibt auch bestimmendes Motiv bis an sein Lebensende: «Das Eine nur, nach dem ich brenne, ich find’ es nicht, mein Heimatland!»

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Da ist mehr als nur die Frage nach Weib und Haus erhoben, nach nationa­ler Identität und geografischer Heimstatt – da fragt ein Künstler nach dem Eigent­ lichen, nach der Möglichkeit des Menschseins in einer Welt der Entfremdung.

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DER HILFLOSE ANARCHIST Udo Bermbach

Wenn es in dem vielfältig verschlungenen, oft scheinbar auch widersprüchlichen Denken Richard Wagners zu Gesellschaft und Politik eine sich durchhaltende Kontinuität gibt, die unbeschadet aller Wandlungen der äusseren und inneren Lebensverhältnisse immer wieder spürbar ist, dann die einer entschieden anti-­ institutionellen Haltung. Gesellschaftliche wie politische Institutionen waren für Wagner stets der Inbegriff eines verachteten Status quo, waren ihm Ausdruck von Inflexibilität und Beharren auf dem Althergebrach­ten, dem Überholten und Rückständigen, das es bei Zeiten zu bekämpfen, wenn möglich zu beseitigen galt. Schon die Revolutionsbegeisterung des Siebzehnjährigen angesichts der Juli-­ Ereignisse 1830 in Frankreich hatte einen scharf anti-institutionellen Affekt. Und noch in seinen die radikalen Gesinnungen der Vormärz-Jahre entschärfenden Erinnerun­gen schrieb Wagner, mit dem Juli 1830 habe für ihn die «geschichtli­che Welt» überhaupt erst begonnen. Zeit seines Lebens fühlte er sich von revolu­tio­ nären Bewegungen, ja von der Revolution als «dem Menschen gewordenen Gott, als dem Evangelium des Glücks» in permanente Hochstimmung versetzt. Was Wagner während seiner Dresdner Jahre und insbesondere in der Zeit der Aufstands­vorbereitungen 1848/49 an der Vorstellung einer Revolution faszinierte, war der «Kampf zwischen dem Alten, Überlebten und dem Neuen, Hoffnungsvollen der Menschheit», mit dem naturgemäss die Hoffnung auf einen umfassenden Zusammenbruch der überkommenen gesellschaftlichen wie politischen Ordnung verbunden war. Dieser Totalbruch der gegebenen, sozia­ len, ökonomischen und vor allem auch kulturellen Strukturen schien ihm die notwendige Voraussetzung dafür zu sein, dass an die Stelle der bisherigen Ge­ sell­­schaft – worunter Wagner ein durch den modernen Kapitalismus deformier­ tes, sozial primär konfliktgeladenes Zusammenleben von sich selbst entfremde­ ten Menschen verstand – eine auf Altruismus beruhende Gemeinschaft treten

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könnte, eine, wie er formu­lierte, «wahre» menschliche Gemeinschaft, die in ihren zentralen Bedürfnissen nicht mehr durch Geld gesteuert, in ihrem kom­ munikativen Zusammenleben und in ihrer spontanen Entfaltung nicht länger durch regressive Organisation gehindert sein würde. Es war die Vision einer Gemeinschaft, in der jeder einzelne «durch die immer höhere Vervollkommnung seiner geistigen, sittlichen und körperlichen Fähigkeiten zu immer höhe­rem, reinerem Glück» gelangen sollte, begünstigt von fluiden Strukturen der Verge­ sellschaftung, in denen institutionelle Verfestigungen ebenso undenkbar sein sollten wie eine hierarchisch gestufte Ordnung. An die Stelle überkommener politischer Ordnungsmodelle wollte Wagner die Perspektive einer assoziativen Vernetzung von kleinen und überschaubaren Lebensbereichen setzen. Statt für zentralisierte Herrschaft votierte er für das Prinzip der Selbstverwaltung, das er in den jeweils projektgebundenen Theater­ produktionen mit ihren wechselnden Produktionsstäben vorweggenommen sah, hoffte auf Vereinigungen, die sich bilden und auflösen sollten, je nach ge­ sell­ schaft­­­ lichem Bedarf. In einer der erstaunlichsten Stellen seiner gesell­ schaftstheo­retischen Überlegungen hat er diese Vision wie folgt beschrieben: «Diese Vereinigungen werden gerade so wechseln, neu sich gestalten, sich lösen und wieder­um knüpfen, als die Bedürfnisse wechseln und wiederkehren… Der starren, nur durch äusseren Zwang erhaltenen, staatlichen Vereinigung unserer Zeit gegenüber, werden die freien Vereinigungen der Zukunft in ihrem flüssigen Wechsel bald in ungemeiner Ausdehnung, bald in feinster naher Gliederung das zukünftige menschliche Leben selbst darstellen.» Das sind soziale Konstruktionsprinzipien, die unzweifelhaft dem Umkreis des sozialistischen und anarchistischen Denkens der Zeit zugehören, Gedanken im übrigen, die nicht nur Erfahrungen moderner sozialer Bewegungen zu anti­ zipieren scheinen, sondern auch jene Vernetzungsstrukturen der Gegenwart vorausahnen, die sich in einer multimedial organisierten Gesellschaft allmählich herauszubilden beginnen. Kein Zweifel, dass Wagner hier gegen die existieren­ den Institutionen der bürgerlichen Gesellschaft denkt, dass er ihnen ein Modell entgegensetzt, in dem seine Aversion gegen fest etablierte Institutionen struk­ tur­bildende Kraft gewinnt – realitätsferne Utopie eines alle Gegensätze versöh­ nenden Miteinander der Menschen.

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Die massive Abneigung Wagners gegen Institutionen tritt freilich nicht erst in der Mitte seiner Jahre zutage; sie ist schon früh präsent und nicht erst Produkt von späteren Erfah­r ungen. Biografisch ist sicher von Bedeutung, dass Wagner in seinem Leben fast immer Schwierigkeiten mit Institutionen hatte, wie um­ gekehrt diese Schwierigkeiten naturgemäss auch das Resultat seiner tiefsitzenden anti-institutionellen Vorbehalte waren. Mag sein, dass solche Aversionen aus un­ruhigen Kinder- und Jugendtagen resultieren, aus frühen Erlebnissen, die durch Kriegsfolgen und Fluchten gekennzeichnet sind. Ein Grundton von aufbegehrendem und gleichzeitig resignativen Trotz beherrscht viele Äusserungen Wagners, die sich auf seine Lage als Künstler und auf die Hoffnung einer tief­greifenden Theaterreform ebenso beziehen wie auf die alles bestimmenden gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse. Dieses Gefühl von Vergeblichkeitsbemühungen klingt noch in jenem vielzitierten Satz nach, den er am Ende der ersten Bayreuther Festspiele 1876 sagte: «Nächstes Jahr machen wir alles anders.» Kritik der politischen wie geistlichen Herrschaft, Kritik der politisch-gesell­ schaftlichen wie kirchlichen Institutionen und der aussichtslose Kampf einzelner gegen institutionell verfasste Macht sind zentrale Themen Wagners, lange bevor der Text zu Tannhäuser 1843 niedergeschrieben, das Stück 1845 komposito­ risch beendet wird. Der Grundantagonismus zwischen Individuum und Gesell­ schaft, Ausgangskonfiguration aller kritischen Gesellschaftstheorie nach Hegel, beherrscht als bestimmendes dramatisches Strukturmoment auch Wagners Werk im Übergang, den Tannhäuser. Die Figur des Tannhäuser steht für den Typus eines die gegebenen insti­ tutionellen Bindungen ablehnenden Menschen, eines Individualanarchisten, fast so, wie ihn Max Stirner entworfen und gefordert hatte: ein radikaler Indi­ vidualist, der die vorhandene Gesellschaft nur als eine einengende, die eigene Autonomie suspendierende Erfahrung begreift. Tannhäuser – das ist der gesell­ schaftsoppositionelle Künstler, der im Leben auf unmittelbare Praxis, im Erleben auf sinnliche Erfahrung, in der Kunst auf eine sich darauf gründende spontane Intuition setzt. Im Venusberg ist Tannhäuser die zur Person gewordene Philoso­ phie Feuerbachs, wonach die menschlichen Beziehungen zunächst einmal und zuallererst Beziehungen der Liebe, und zwar der unmittelbaren, sinnlichen

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Liebe sein sollen – einer Liebe zwischen zwei Menschen, die dann vielleicht die Voraussetzung von gelingender sozialer Kommunikation und Interaktion schaf­ fen mag und in der die Entfremdung der Moderne aufgebrochen und zurückge­ nommen werden kann. Ganz im Sinne Feuerbachs fragt Wagner: «Was ist nun das eigentümliche Wesen dieser menschlichen Natur?», und gibt sogleich die Antwort: «Es ist die Notwendigkeit der Liebe, und das Verlangen dieser Liebe ist in seiner wahrsten Äusserung Verlangen nach voller sinnlicher Wirklichkeit, nach dem Genusse eines mit allen Sinnen zu fassenden, mit aller Kraft des wirk­ lichen Seins fest und innig zu umschliessenden Gegenstandes.» Im Venus­berg sucht Tannhäuser diese Erfahrung eines ganz unmittelbar sinnlichen Lebens. Hier scheint er zunächst einmal fernab von aller Gesellschaft, allen aufgezwun­ genen Rollen, von sozial verpflichtender Einbindung, alltäglichen Belastungen, von Konkurrenz und Eifersucht zu sein. Zugleich aber zeigt sich, dass solche Erfahrung nicht ungebrochen, etwa im Sinne eines ersten, ursprünglichen und un­verfälschten Wahrnehmens von Umwelt und zwischenmenschlicher Bezie­ hungen zu haben sind. Denn Tannhäuser kommt aus einer zivilisierten – für Wagner natürlich: zivilisatorisch verbogenen – Gesellschaft, deren Werten er sich selbst im Venusberg nicht zu entziehen vermag, weil sie ihm tief einsozialisiert, weil sie Teil seiner Persönlichkeit sind. So verspürt er sehr bald das Defizitäre und Unbefriedigende einer bloss vita­listischen Existenz, wie der erotisch-sexuelle Naturzustand des Venusbergs sie ihm einzig bietet. Gerade in der Ausschliesslichkeit einer auf Dauer gestellten Liebesbeziehung ohne Restriktionen, die nur die Göttin selbst durchzuhalten ver­mag, weil sie alles normale mensch­liche Mass übersteigt, liegt am Ende für Tann­häuser ein entschieden repressives Moment: die Möglichkeit einer ent­grenz­ ­ten Liebesbeziehung, wie sie hier zu Beginn der Oper vorgeführt wird, die Chan­ ce eines uneingeschränkten sexuellen Austauschs erweist sich schliesslich deshalb als unmenschliches Mass, weil sie den Menschen in seinen physischen wie psychi­ schen Möglichkeiten überfordert. Und deshalb ist der Wunsch von Tannhäuser, den Venusberg zu verlassen, zugleich der Wunsch eines Menschen nach Entlas­ tung von einem unerfüllbaren Erwartungsdruck, nach Sublimierung seiner Sinn­ lichkeit und Spontaneität in einer dann doch zivilisierten Welt, nach Ausbruch aus einer sozial isolierten Existenz und der Sehnsucht nach humaner Sozialität.

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Ich verlange mit Leidenschaft nach der Revolution, und nur die Hoffnung, sie noch zu erleben und sie mitmachen, gibt mir eigentlich Lebenslust … derweil macht man so, was am besten täuscht über unser eigentliches Nichtleben. Die Kunst hilft immer noch einzig zu dieser Täuschung. Richard Wagner an Ernst Benedikt Kietz, 2. Juli 1851


Doch mit dem Scheitern geht nicht alles verloren, denn die gemachten Erleb­ nisse bleiben präsent: Tannhäuser kann sie auch später nicht vergessen. Der Sinnen­taumel, in dem Momente einer Utopie der Freiheit nicht gänzlich elimi­ niert sind, bleibt als utopischer Stachel im Fleisch, wird später zum schmerzlichen Verlust, und es ist dieses Wissen einer die gegebenen Verhältnisse übersteigern­ den Erfahrung, die ihm die Hofgesellschaft des Landgrafen nicht verzeihen kann. Darin liegt am Ende auch der entscheidende Grund, ihn zu verfluchen, aus­zustossen und nach Rom zu schicken – das Lob der Venus, diese Lied-Provo­ kation, ist lediglich äusserer Anstoss eines sehr viel tiefer ansetzenden Exilierungs­ verlangens der Wartburg-Gesellschaft, vielleicht auch Kompensation dafür, dass ihr selbst vorenthalten wurde, was Tannhäuser erleben durfte. Was Feuerbach in seinem Wesen des Christentums (1841) als «Entzweiung» beschrieben hat: die Religion als jene Form menschlicher Selbstreflexion, in der das Hoffen und die Vorstellung auf eine bessere, die real gegebenen Verhältnis­ se transzendierende Welt sich ausdrückt, und was Karl Marx als «Entfremdung» bezeichnete: die duale Aufspaltung menschlicher Subjektivität in einen durch die Gesellschaft unterdrückten Teil und einen anderen, der seine freie Identität nur durch die revolutionäre Veränderung aller bestehenden Herrschaftsverhält­ nisse ausbilden zu können glaubt, hat Wagner seiner Figur des Tannhäuser als eine ambivalente Einfärbung existentieller menschlicher Grund­erfahrungen eingeschrieben. Es mag dies ein wohl entscheidender Grund dafür gewesen sein, dass er in seinen Aufführungshinweisen von 1852 schrieb: «Die schwierigste Rolle ist unstreitig die des Tannhäuser selbst, und ich muss eingestehen, dass sie überhaupt eine der schwierigsten Aufgaben für die dramatische Darstellung sein dürfte. Als das mir Wesentlichste von diesem Charakter bezeich­ne ich das stets unmittelbar tätige, bis zum stärksten Masse gesteigerte Erfüllt­sein von der Empfindung der gegenwärtigen Situation und den lebhaftesten Kon­trast, der durch den heftigen Wechsel der Situation sich in der Äusserung dieses Er­ fülltseins zu erkennen gibt. Tannhäuser ist nie und nirgends etwas nur ‹ein wenig›, sondern alles voll und ganz.» Wagner nimmt hier auf, was als Thema die Religions- und Gesellschafts­ kritik seiner Zeit beherrschte, und er illustriert diese Diskussion im antagonisti­ schen, also prinzipiell nicht auflösbaren Konflikt einer anarchischen Lebens- und

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Kunstbegabung mit den Konventionen und Traditionen des gesellschaftlichen Status quo. Die damit gezeichnete gesellschaftstheoretische Interpretation gewinnt auch der Frage der «Erlösung» einen neuen Aspekt ab. Dass die Erlösung des Tannhäuser nicht christlich gemeint sein kann, hat Wagner selbst eindeutig klar­ gestellt. «Wie albern müssen mir nun die in ihrer modernen Lüderlichkeit geist­ reich gewordenen Kritiker vorkommen, die meinem Tannhäuser eine spezifisch christliche, impotent verhimmelnde Tendenz andichten wollen», schreibt er 1851 drastisch und unmissverständlich. Also ist «Erlösung», einer der Schlüssel­be­ griffe vieler Wagnerscher Musikdramen, hier wohl eher in einem säkularisierten und mehrdeutigen Sinn zu verstehen, zum einen als der Versuch, die erleb­te subjektive Zerrissenheit in seiner den ganzen Menschen umfassenden Identität zu überwinden, zum anderen aber im Scheitern dieses Versuchs, der angesichts der vorgegebenen gesellschaftlichen Verhältnisse durch den Tod des Protago­ nisten – wie auch von Elisabeth – in radikaler Weise sinnfällig markiert wird. Die anarchistische Subjektivität des Tannhäuser steht gegen die festetab­ lierten Regeln der Gesellschaft, und sie ist den darauf gegründeten Institutionen von weltlicher und geistlicher Herrschaft von Anfang an hoffnungslos unterle­ gen. In dem Masse, wie dieses Unterlegensein im Verlaufe des Sängerwettstrei­ tes deutlich wird, schwindet auch die Hoffnung auf Erlösung des Protagonisten im Sinne eines nichtentfremdeten Über- und Weiterlebens innerhalb der gege­ benen Gesellschaft. Die Feststellung des Soziologen Arnold Gehlen, dass Institutionen, welt­ liche wie geistliche, die in ihnen lebenden und durch sie organisierten Menschen «konsumieren», sie ganz und gar aufzehren und ihrer Eigengesetzlichkeit un­ terwerfen, damit zugleich aber auch anarachische Individualität unmöglich machen, findet im Tannhäuser ihre theatrale Bestätigung. Gehlens Forderung, wonach in der Auseinandersetzung zwischen Institution und Person erstere in der Praxis stets dauerhaft überlegen und sieg­reich bleibt, wird durch Tannhäu­ sers Schicksal auf eine beklemmende Weise in Szene gesetzt. Sein Tod verdankt sich der Unnachsichtigkeit des Papstes, der ältesten Institution des christli­chen Europa, die zugleich auf ihrer Tradition am unnachgiebigsten beharrt. Sein Tod macht unzweideutig klar, dass der Versuch eines einzelnen, durch eine die ei­

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gene Biogra­fie korrigierende Anpassungsleistung – die Romfahrt – an die vor­ gegebenen Regeln nicht immer und schon gar nicht a priori honoriert wird, sondern im Gegenteil völlig vergeblich ist. «Der Gnade Wunder Heil», das Erblühen des «dürren Stabes in Priesters Hand» kommt zu spät, ändert nichts mehr an dem, was sich aus der Logik gesellschaftlich-institutionellen Handelns zuvor ergeben hat. Tannhäusers «Erlösung» erweist sich als die physische Vernichtung eines Menschen, der mit seinem Leben den Aufstand gegen die herrschenden Insti­ tutionen, gegen die repressiven Regeln einer in Konventionen erstarrten Ge­ sellschaft und Kirche bitter bezahlen muss. Und sein erbarmungsloses Scheitern bekräftigt die Erfahrung, dass keiner sich dem Zugriff der Institutionen auf immer zu entziehen vermag – eine Erfahrung, die zugleich Wagners eigener Überzeugung zutiefst entsprach, und dies nicht erst nach dem Scheitern als Revolutionär und seiner Flucht aus Dresden ins Schweizer Exil. So gelesen endet der Tannhäuser mit einem pessimistischen Schluss, ähn­ lich der Götterdämmerung, in der ebenfalls am Ende nichts bleibt ausser der Erinnerung, was vielleicht hätte sein können, wenn die Dinge anders verlaufen wären. Daran ändert auch nichts, dass Wagner selbst mit diesem Schluss – auch dies eine Parallele zu den verschiedenen Schlussfassungen der Götterdämmerung – seine Mühe gehabt und ihn deshalb mehrfach geändert hat, erstmals schon unmittelbar nach der Uraufführung in Dresden vom 19. Oktober. Die am Ende von allen in «höchster Ergriffenheit» – wie die Regieanweisung lautet – beschwo­ rene und besungene «Erlösung» des vermeintlichen «Sünders» ist vor dem Hin­ tergrund der von Wagner zur Gänze geteilten Religionskritik Feuerbachs mit christlichen Erlösungsvorstellungen nicht zu verwechseln. Wohl eher handelt es sich dabei um eine Form kollektiver Autosuggestion derer, die sich ob ihres vorangegangenen Vernichtungswerkes nunmehr ein gutes Gewissen zurecht­ legen und einreden müssen, die sich selbst bestätigen, dass sie richtig gehandelt haben. Denn diese «Erlösung» verfehlt den, dem sie gelten soll: Der Protagonist der Zukunft ist tot. Was bleibt, sind die Institutionen der Herrschaft, an denen Tannhäusers Individualanarchismus, seine Vision von einem regressionslosen neuen Leben und einer neuen Kunst, sich hilflos zugrunde gerichtet hat.

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Peter Seiffert, Vesselina Kasarova Spielzeit 2010/11


Peter Seiffert, Michael Volle Spielzeit 2010/11


… SICH ANPASSEN ODER UNTERGEHEN Tannhäuser-Symbole und -Thesen Helmut Kirchmeyer

Was wir über den Minnesänger Tannhäuser biografisch wissen, beschränkt sich auf Rückschlüsse aus seinen an persönlichen Anspielungen reichen Dichtungen. Es ist als Ganzes gesehen spärlich genug und zudem vielfach auch noch strittig. Demnach muss Tannhäuser, oder, wie er in der Sprache seiner mittelhochdeut­ schen Zeit heisst, der tanhûsaere, um 1200 geboren worden sein und einem adligen Geschlecht angehört haben, das zum Süden bis ins Salzburgische hinein anzusiedeln ist. Er beteiligte sich am fünften Kreuzzug von 1228, auf dem Kaiser Friedrich II. die Heiligen Stätten der Christenheit durch Vertrag zurück­ gewann, und er nahm am cyprischen Feldzug 1231 bis 1233 teil. Es folgten aus­gedehnte Reisen durch West- und Nordeuropa mit einem vermutlich länge­ ren Aufenthalt am dänischen Hofe. Bei Friedrich dem Streitbaren von Öster­ reich, dem letzten Babenberger Herzog, wurde Tannhäuser schliesslich Hof­ dichter. Es war seine Glanzzeit. Er erwarb Vermögen und erhielt sogar ein Gut zu Lehen. Die nächsten zwanzig Jahre nach dem Tode des Herzogs (†1246) müssen Wander-, vielleicht sogar Notjahre gewesen sein; jedenfalls hat Tann­ häuser im erhaltenen Spruchlied XII diese Zeit selber als Wander­notzeit be­ zeichnet. In jenen Jahren dürfen Hofaufenthalte bei Otto II. von Bayern, bei Konrad IV., beim Grafen von Brehna und bei anderen Fürsten angenommen werden, auch eine Verbindung Tannhäusers mit den hohenstaufischen Kreisen ist nicht auszuschliessen, so dass möglicherweise die Notzeiten nur kürzere Unterbrechungen der Hofzeiten gewesen sein könnten. Nach dem im Jahre 1266 oder 1267 verfassten IV. Leich verlor sich seine Spur. Eine erhaltene Miniatur zeigt Tannhäuser in der Tracht der Deutsch­herrenritter. Wieweit

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diese Zuordnung richtig ist, konnte man bislang nicht feststellen. Alles, was über diese dürren Grundtatsachen hinausgeht, insbesondere seine versuchte Identifi­zierung mit dem Minnesänger Heinrich von Ofterdingen oder gar mit dem Verfasser des Nibelungenliedes, ist unbewiesene, vielfach unbegründete Spekulation geblieben.* Sicherer als über seine Lebensschicksale kann über die literarische und geschichtliche Stellung Tannhäusers geurteilt werden. Unter seinem Namen sind sechzehn Lieder, Leiche und Spruchkunstwerke erhalten geblieben, in denen die Frührenaissance-Stimmung lebendig geworden ist, wie sie an den Höfen Friedrichs II., Friedrichs des Streitbaren und Konrads IV. herrschte. Tannhäuser war ein Sänger der reinen Sinnenfreude, realistisch, ironisch, derb. Die entsagungsfreudig keusche Frau schien ihm eine Überzüchtung, die Hohe Minne Gegenstand des Spottes zu sein. Von der ewigen Trauer, von der Liebe ohne sinnliche Erfüllung und von der geistigen Frauenverehrung des klassischen Minnedienstes hielt er nichts. Er drängte auf Erfüllung und spielte sich selber in die Rolle eines Verführers und erotischen Abenteurers hinein, dem eine hin­ gebungsvolle pralle Bauern­dirne mehr bedeutete als die platonische Anerken­ nung eines gebildeten Ritterfräuleins. In der plastisch überdeutlichen Erotik seiner Lieder wurde eine ungebärdige dämonische Kraft frei, die ausreichte, ihn seiner eigenen Zeit gegenüber in eine Sonderstellung zu drängen und den kommenden Jahrhunderten zu einer Symbolgestalt werden zu lassen, die man in ihren Grundzügen sehr wohl richtig verstand; Tannhäusers volkstümliche Weisen begleiteten den Untergang des staufischen Zeitalters, dem er selber zutiefst politisch und mit dem Herzen verbunden war, und er griff die hoch­ entwickelte formale Kunst der höfischen Zeit auf, um mit bösen Worten ausge­ artete Minneverkünstelungen zu verhöhnen. Er übertrieb Minnedienstleistungen ins Unsinnige, um sich über sie lustig zu machen, er stopfte ein Lied bis zur Unverständlichkeit mit Fremdwörtern voll, um deren Anwendung zu geisseln, und er wollte tanzen, geigen und singen, bis ihm der Fiedelbogen zerspringe. In der Beschwörung eines neuverstandenen Gefühls von Natürlichkeit, das sich über Herkömmliches mit ironischer Distan­ zierung hinwegsetzte, löste sich Tannhäuser mehr und mehr vom eigentlichen Lebensgefühl des Mittelalters und wies auf die blanke Daseinsfreude der Renais­

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sance voraus. Das von Tannhäuser zum Luxus gerechnete wöchentliche zwei­ malige Baden war weniger problematisch als die gleichzeitig mit der Tragödie des staufischen Unterganges verlaufende Umwendung von der Herzensliebe zur blossen unverantworteten Sexualliebe, für die Tannhäusers Name paradig­ matisch stand, oder, um in der Sprache des 13. bis 15. Jahrhunderts zu bleiben, von der Hohen Minne zur Liebe im Venusberg. Denn die Niederlage der Stau­ fer sah den neuen Aufschwung der Kirche von Rom. Er war massgeblich mit der Gründung der neuen Bettelorden in den Jahren 1209 bis 1223 verbunden. Für Tannhäuser wurden damit neue Beschwernisse geschaffen, denn je mehr die Erneuerung der christlichen Kirche noch einmal den mittelalterlichen Im­ perial- und Jenseitsgedanken aufblühen liess, um so weniger konnte man für die Liebeskunst eines Dichters wie Tannhäuser länger Verständnis aufbringen oder gar den Dichter persönlich schätzen, der als Verführer und offensichtlich leichtsinniger Frauenheld durch die Lande zog, von der Hand in den Mund lebte, nachdem ihm seine Güter verschuldet und verloren waren, und der aus seiner Abneigung gegen die staufenfeindliche päpstliche Politik kein Hehl mach­ te. Der Frührenaissance-Mensch Tannhäuser, dessen Individualismus um ein Jahrhundert vorauswies, liess seine Verehrer und Anhänger bald wissen, dass er die Auswirkungen einer im Moralischen wieder strenger denkenden Welt un­ angenehm zu spüren bekam. Er musste sich anpassen oder untergehen. Damit waren die Voraussetzungen für den Tannhäuser-Mythos geschaffen, wie er sich in der Ballade vom Tannhäuser über mehrere Jahrhunderte hin in unterschied­ lichen Fassungen und Lesarten niedergeschlagen hat.

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* Nichtsdestotrotz hat Richard Wagner in seinem Textbuch zu «Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wartburg» die historische Tannhäuser-Gestalt mit der mittelhochdeutschen Gedichtsammlung um Heinrich von Ofterdingen (entstanden ca. 1260) verschränkt; hier wird Heinrich im Verlaufe des Sängerkrieges am Hofe Hermanns I. als outcast bedrängt, besiegt und mit dem Tode bedroht.

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Peter Seiffert Spielzeit 2010/11


DER TANNHÄUSER – EINE LEGENDE Heinrich Heine

Ihr guten Christen, lasst euch nicht Von Satans List umgarnen! Ich sing euch das Tannhäuserlied, Um eure Seelen zu warnen.

Wir haben zuviel gescherzt und gelacht, Ich sehne mich nach Tränen. Und statt mit Rosen möcht ich mein Haupt Mit spitzigen Dornen krönen.»

Der edle Tannhäuser, ein Ritter gut, Wollt Lieb und Lust gewinnen, Da zog er in den Venusberg, Blieb sieben Jahre darinnen.

«Tannhäuser, edler Ritter mein, Du willst dich mit mir zanken; Du hast geschworen vieltausendmal, niemals von mir zu wanken.» (...)

«Frau Venus, meine schöne Frau, Leb wohl, mein holdes Leben! Ich wollt nicht länger bleiben bei dir, Du sollst mir Urlaub geben.»

«Frau Venus, meine schöne Frau, Dein Reiz wird ewig blühen; Wie viele einst für dich geglüht, So werden noch viele glühen. (...)

«Tannhäuser, edler Ritter mein, Hast heut mich nicht geküsset; Küss mich geschwind, und sage mir: Was du bei mir vermisset?

Dein schöner lilienweisser Leib Erfüllt mich fast mit Entsetzen, Bedenk ich, wie viele werden sich Noch späterhin dran ergetzen!»

Habe ich nicht den süssesten Wein Tagtäglich dir kredenzet! Und habe ich nicht mit Rosen dir Tagtäglich das Haupt bekränzet?»

«Tannhäuser, edler Ritter mein, Das sollst du mir nicht sagen, Ich wollte lieber, du schlügest mich, Wie du mich oft geschlagen.

«Frau Venus, meine schöne Frau, Von süssem Wein und Küssen Ist meine Seele geworden krank; Ich schmachte nach Bitternissen.

Weil ich dich geliebet gar zu sehr, Hör ich nun solche Worte – Leb wohl, ich gebe Urlaub dir, Ich öffne dir selber die Pforte.»

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Zu Rom, zu Rom, in der heiligen Stadt Da singt es und klingelt und läutet: Da zieht einher die Prozession, Der Papst in der Mitte schreitet.

Ihr edles Gesicht umringeln wild Die blühend schwarzen Locken; Schaun dich die grossen Augen an, Wird dir der Atem stocken. (...)

Das ist der fromme Papst Urban, Er trägt die dreifache Krone, Er trägt ein rotes Purpurgewand, Die Schleppe tragen Barone.

Ich hab mich gerettet aus dem Berg, Doch stets verfolgen die Blicke Der schönen Frau mich überall, Sie winken: komm zurücke!

«O heiliger Vater, Papst Urban, Ich lass dich nicht von der Stelle, Du hörest zuvor meine Beichte an, Du rettest mich von der Hölle!»

Ein armes Gespenst bin ich am Tag, Des Nachts mein Leben erwachet, Dann träum ich von meiner schönen Frau, Sie sitzt bei mir und lachet. (...)

Das Volk, es weicht im Kreis zurück, Es schweigen die geistlichen Lieder: – Wer ist der Pilger bleich und wüst, Vor dem Papste kniet er nieder?

Ich liebe sie mit Allgewalt, Nichts kann die Liebe hemmen! Das ist wie ein wilder Wasserfall, Du kannst seine Fluten nicht dämmen!

«O heiliger Vater, Papst Urban, Du kannst ja binden und lösen, Errette mich von der Höllenqual Und von der Macht des Bösen.

Er springt von Klippe zu Klippe herab, Mit lautem Tosen und Schäumen, Und bräch er tausendmal den Hals, Er wird im Laufe nicht säumen.

Ich bin der edle Tannhäuser genannt, Wollt Lieb und Lust gewinnen, Da zog ich in den Venusberg, Blieb sieben Jahre drinnen.

Wenn ich den ganzen Himmel besäss, Frau Venus schenkt ich ihn gerne; Ich gäb ihr die Sonne, ich gäb ihr den Mond, Ich gäbe ihr sämtliche Sterne.

Frau Venus ist eine schöne Frau, Liebreizend und anmutreiche; Wie Sonnenschein und Blumenduft Ist ihre Stimme, die weiche.

Ich liebe sie mit Allgewalt, Mit Flammen, die mich verzehren, Ist das der Hölle Feuer schon, Die Gluten, die ewig währen?

Wie der Schmetterling flattert um eine BIum, Am zarten Kelch zu nippen, So flattert meine Seele stets Um ihre Rosenlippen.

O heiliger Vater, Papst Urban, Du kannst ja binden und lösen! Errette mich von der Höllenqual Und von der Macht des Bösen!»

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Der Papst hub jammernd die Hände empor, Hub jammernd an zu sprechen: «Tannhäuser, unglücksel’ger Mann, Der Zauber ist nicht zu brechen.

«Tannhäuser, edler Ritter mein, Bist lange ausgeblieben, Sag an, in welchen Landen du dich So lange herumgetrieben?»

Der Teufel, den man Venus nennt, Er ist der schlimmste von allen; Erretten kann ich dich nimmermehr Aus seinen schönen Krallen.

«Frau Venus, meine schöne Frau, Ich hab in Welschland verweilet; Ich hatte Geschäfte in Rom und bin Schnell wieder hierhergeeilet.

Mit deiner Seele musst du jetzt Des Fleisches Lust bezahlen, Du bist verworfen, du bist verdammt Zu ewigen Höllenqualen.»

Auf sieben Hügeln ist Rom gebaut, Der Tiber tut dorten fliessen; Auch hab ich in Rom den Papst gesehen. Der Papst, er lässt dich grüssen.» (...)

Der Ritter Tannhäuser, er wandelt so rasch, Die Füsse, die wurden ihm wunde. Er kam zurück in den Venusberg Wohl um die Mitternachtsstunde. Frau Venus erwachte aus dem Schlaf, Ist schnell aus dem Bette gesprungen; Sie hat mit ihrem weissen Arm Den geliebten Mann umschlungen. Aus ihrer Nase rann das Blut, Den Augen die Tränen entflossen; Sie hat mit Tränen und Blut das Gesicht Des geliebten Mannes begossen. Der Ritter legte sich ins Bett, Er hat kein Wort gesprochen. Frau Venus in die Küche ging, Um ihm eine Suppe zu kochen. Sie gab ihm Suppe, sie gab ihm Brot, Sie wusch seine wunden Füsse, Sie kämmte ihm das struppige Haar, Und lachte dabei so süsse.

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JIMI HENDRIX UND DER GEIST VON TANNHÄUSER Hanspeter Künzler

Tannhäuser. Genialer Künstler, eingesperrt in den Konventionen seiner Zeit. Gefühlsmensch, der, dahin gerissen, dorthin, von seinen kriegenden Impulsen ins Verderben gerissen wird. Im Schoss der Venus am Venusberg lernt er, was es heisst, sich ganz den Freuden der Sinne hinzugeben. Erst als Mensch unter Göttern sieht er ein, was ihn von diesen unterscheidet, nämlich, dass seine Psyche nicht eingerichtet ist für die ewigen Freuden eines dranglosen Dahin­ surfen auf den Wellen der Unsterblichkeit. Darauf gefasst, früher oder später dem körperlichen Tod zu begegnen, braucht er die Auseinander­­setzung mit der Zeit und dem, was diese bringt. Am Venusberg ist kein Bedarf für seine Kunst. Ein paar Satyre und Faune sorgen zwar für Wirbel unter den trunkenen Bacchanten, doch braucht sich niemand über die Folgen des Tohuwabohu Ge­ danken zu machen, denn in einer ewigen Welt, die a priori durch nichts aus dem Lot zu bringen ist, dient solcher Radau einzig und allein der Unterhaltung. Tannhäusers menschlicher, sterblicher Geist aber gelangt am wenigsten zur Ruhe, wenn er zur absoluten Ruhe verdammt ist. Die totale Hingabe an Sex, Traum und betörende Düfte ist nichts ohne den Kontrast von Schweiss, Schwie­ len und Schmerz. Mit geradezu übermenschlichem Effort ringt sich Tannhäu­ ser dazu durch, Venus zu gestehen, dass er sich «aus diesen ros’gen Düften» hinaus und in «Waldes Lüften» zurück sehne. Es ist seine Auflehnung gegen die Bedeutungslosigkeit. Nur: weil er jetzt erst recht weiss, was sich der Mensch versagt, wenn er seine Sinne in eine Zwangsjacke steckt, findet er in seiner alten Stammwelt erst recht keinen Frieden mehr. Er taumelt von Kompromiss zu Kompromiss, deren Wirkung durch die nicht mehr zu zähmenden Ausbrüche

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seiner Gefühle sabotiert werden, bis er Elisabeth, den einzigen Menschen, der ihn nicht nur versteht, sondern auch liebt, und damit sich selber in den Tod stürzt. Jimi Hendrix. Genialer Künstler, eingesperrt in den Konventionen seiner Zeit. Gefühlsmensch, der, dahin gerissen, dorthin, von seinen kriegenden Im­ pulsen ins Verderben gerissen wird. «Ich möchte der erste Mensch sein, der über die Blues-Szene auf der Venus be­richtet.», sagte er. Das war im Januar 1967. Die englische Musikzeitschrift New Musical Express berichtete es, als Hendrix’s Debut-Single Hey Joe gerade ihren Weg in die britische Hitparade gefunden hatte, vier Monate vor dem Erscheinen des ersten Albums, Are You Experienced. Noch war Hendrix seiner Meinung nach also nicht bei Venus gelandet. Lange würde es aber nicht mehr gehen. Wenn Tannhäuser am gleichen Tag gebo­ren worden wäre wie Jimi Hendrix – also am 27. November 1942 –, so hätte ohne Zweifel auch er zur Gitarre gegriffen. Zur elektrischen Gitarre, versteht sich. Historisch gesehen hat kein anderes Instrument in der Musik das «Gestern» so radikal vom «Morgen» getrennt wie sie. In der Kombination von Elekrizität und Gitarrensaiten wurde ein klanglicher Venusberg jenseits der Horizonte mechanischer Tonerzeugung greifbar. Aber so richtig merkte das erst Jimi Hendrix. Richard Wagner verpasste das Auftreten der elektrischen Gitarre um fünf­ zig Jahre. Die ersten massenproduzierten Modelle kamen 1932 auf den Markt. Vorerst beschränkte man sich darauf, das Instrument lauter zu machen. Der Amerikaner Link Wray hatte 1958 mit Rumble als erster den Mut, auch den Verstärker in seinen «Sound» miteinzubezie­hen und damit die Verzerrung in den Mittelpunkt eines Pop-Stückes (und nicht eines Avant-Garde-Experimen­ tes) zu rücken. Erst mit dem Zornesausbruch eines Londoner Teenagers fand der Einfall wirklich Akzeptanz. Im Übermut der Adoleszenz rammte der damals 17-jährige Dave Davies Mitte 1964 dem impotenten Lautsprecher das Küchen­ messer in die Flanke und setzt damit in der Abfolge der Generationen, im Konflikt zwischen Konservativ und Progressiv, eine neue Zäsur. Seine Band, The Kinks, bestand dar­auf, das solchermassen verunstaltete Gitarrensolo in ihre Single You Really Got Me aufzunehmen, die sich prompt zum Riesenhit mau­ serte. Von jetzt an gehörte Verzerrung zum Vokabular jedes Gitarristen. Die

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Eltern sprachen vom Weltuntergang und versteckten sich hinter ihren Elvis-Plat­ ten. You Really Got Me war für Hendrix ein Wegweiser. In seiner Oper erzählt uns Richard Wagner nicht, wie Tannhäuser am Venusberg gelandet ist. Ähnlich wissen wir nicht, was Jimi Hendrix bewog, so weit weg von den ausgetretenen Pfaden sein Heil zu suchen. Die Geschichte des Neuerers, der wie Tannhäuser gleich in ungeahnte künstlerische und gesell­ schaftliche Höhen aufsteigt, aber mit den resultie­renden Reichtümern und Ver­ lockungen nicht umzugehen weiss, ist ein Archetypus. Buddy Bolden, den das eigene Kornett-Solo in den Wahnsinn trieb, Elvis Presley, John Coltrane, Brian Jones, Jim Morrison, Janis Joplin, Michael Jackson: lauter Tannhäuser, die im Erfolg nicht die Erlösung, sondern den Untergang fanden. Keiner ist auf seiner musikalischen Lebensreise so weit her gekommen wie Jimi Hendrix. Keiner war mehr Tannhäuser als er. Seine Jugend in Seattle un­ terscheidet sich insofern vom Los so vieler Kinder aus den schwarzen amerika­ nischen Ghettos, dass nicht seine Mutter, sondern der zur Gewalttätigkeit nei­ gende Vater als Alleinerzieher wirkt. Mit zehn Jahren übt Jimi mit dem Besen Gitarrenposen, mit dreizehn bekommt er die erste Gitarre. Muddy Waters, der Pionier des elektrifizierten Blues von Chicago, ist sein erstes Vorbild, Chuck Berry sein zweites. Die Schule bedeutet dem Teenager nichts. Bald lebt er nur noch für die Gitarre. 1961 wird er in einem gestohlenen Auto ertappt und hat die Wahl: Gefängnis oder Armee. Er wählt letztere und landet im Süden, wo die Rassentrennung noch strikt ist, und gibt sich in der Mussezeit ganz seiner Band hin, mit der er in Clarksville Cover-Versionen von Rhythm & Blues-Hits kredenzt. Bald hält er vor lauter Musik die Armee nicht mehr aus. Kein Risiko ist ihm zu gross, sich von ihren Fesseln zu befreien: Er gibt vor, homosexuell zu sein – in einer Zeit, wo sich die Homosexualität noch im Untergrund ver­ stecken muss und die Homophobie in der afro-amerikanischen Gesellschaft besonders stark ausgeprägt war, streift dieser Ausbruchsversuch den Abgrund. Aber Hendrix reüssiert. Bereits verfügt er über die technischen Fähigkeiten, sich problemlos in die Bands der Isley Brothers, Little Richard oder auch Ike & Tina Turner ein­zupassen. Nach anfänglicher Begeisterung von Seiten des Bandleaders passiert dann immer dasselbe: Hendrix wird gefeuert, weil er sich auf der Bühne nicht mehr länger auf die erwarteten, banalen Soli beschränken

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will, sondern plötzlich, so Solomon Burke, einer der unzufriedenen Arbeitgeber, «so wildes Zeug» spielt. Hendrix driftet nach New York, wo seine Hoffnungen auf besseres Verständnis allerdings enttäuscht werden. Auch hier wollen die jungen Schwarzen nur hören, was in die gängigen Trends passt. Endlich ent­ deckt er im Greenwich Village Bob Dylan. Dessen Beispiel gibt ihm Mut, für seine Muse erst recht einzustehen. Dem Vater schreibt er, er wolle den Blues spielen, so, wie ihn noch niemand gehört habe. Im Mai 1966 ersteht er seine erste Stratocaster-Gitarre. Im gleichen Monat lernt er Linda Keith kennen, die Freundin von Keith Richards. Das Instrument und die dazu gehörigen Effekt­ geräte (der «Krach») befreit seine musikalische Vision. Keith vermittelt ihn an den englischen Manager Chas Chandler – und dieser befreit ihn von der Zwangsjacke des streng in Schubladen aufgeteilten amerikanischen Musikge­ schäftes. Im England der Beatles und der Rolling Stones und allem, was sie ausgelöst haben, ist man begierig auf das Neue. Und das Neue, so wie es Jimi Hendrix bietet, hat wahrlich noch niemand erlebt. Die Magie von Hendrix besteht nicht nur aus seiner Gitarren- und Wah-Wah-Pedal-Technik und seiner Vision des Blues. Sie besteht aus seinen bunten Kleidern, aus seinem Können als Showman, aus seiner schamanenhaften Ausstrah­lung. Wenn er seine Gitarre auf der Bühne anzündet, ist es nicht Destruktion, sondern Verbildlichung von Ekstase. Wenn er in Woodstock die Nationalhymne verzerrt, dann ist es nicht Parodie oder gar Niedermachung: indem er das Lied in alle Windesrichtungen verzerrt, befreit er es und definiert es neu für die Woodstock-Generation. So, wie das LSD, das er selber und das halbe Publikum schlucken, die Wände in wogende Farbentep­piche verwandelt, zeichnet Hendrix mit seiner Gitarre eine neue Welt, die ein kleines Schrittchen näher am Utopia des Venusberges liegt. Wie weit «alt» und «neu» ausein­anderklaffen, zeigt die Tatsache, dass noch im Juni 1970 ein Polizist in den Südstaaten seine Pistole zückt, als er Hendrix in der Begleitung einer Blondine entdeckt, und sagt: «Der Nigger hat kein Recht, das Mädchen zu begrapschen.» Hendrix’s Erfolg ist gewaltig. Es scheint, die neue Welt würde mit ihm die Vision teilen. Er schwelgt in den Klängen, den Drogen und den Frauen. Wie für Tannhäuser wäre auch für ihn die wahre Liebe da: Kathy Etchingham verlässt ihn schliesslich nur, weil sie die endlosen Groupie-Geschichten nicht aushält

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und eine Familie gründen will. Hendrix gelingt es nicht, seinem Harem von Nymphen und schalen Vergnügen den Rücken zu kehren. Zwar hat ihn sein Blues inzwischen auch in den USA zum Superstar gemacht. Aber er muss erken­ nen, dass weniger der Freigeist seiner Musik geschätzt wird als die Sensation seiner brennenden Gitarren und die «simplen» Sachen wie Hey Joe. Er mag sich aus den Konventionen des Zeitgeistes befreit haben, aber sein Publikum und seine Plattenfirmen, die das Erfolgsmodell am liebsten ewig wiederholen wür­ den, legen ihm neue Fesseln um. Im Popgeschäft, so erkennt Hendrix, ist das Leben so statisch wie am Venusberg, aber nur leider allzu menschlich in seiner Vergänglichkeit. Vier Alben nur können erscheinen, ehe Jimi Tannhäuser am 18. September 1970, allein gelassen von einer zuge­dröhnten Freundin, in einem Londoner Hotel am eigenen Erbrochenen erstickt.

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Christoph Strehl, Peter Seiffert, Michael Volle, Valeriy Murga, Patrick Vogel Spielzeit 2010/11



MUSIK ALS RAUSCH Charles Baudelaire

Das, was mich sodann hauptsächlich betroffen hat, war die Grösse. Dies stellt das Grosse dar, und es zielt auf das Grosse hin. Überall in Ihren Werken habe ich die Feierlichkeit der grossen Klänge, der grossen Naturaspekte gefunden und die Feierlichkeit der grossen menschlichen Leidenschaften. Man fühlt sich so­ gleich fortgetragen und in Bann geschla­gen. Eine der sonderbarsten Erscheinun­ gen, die mir eine neue musikalische Sensation vermittelt hat, war die, eine reli­ giö­se Ekstase wiederzugeben. Die Wirkung, die durch den Einzug der Gäste und das Hochzeitsfest hervorgerufen wird, ist ungeheuer. Ich empfand dabei die Majestät eines viel weiter gespannten Lebens, als es das unsre ist. Dann noch etwas anderes: ich habe oft ein Gefühl ganz seltsamer Natur erlebt: den Stolz und die Freude, zu verstehen, mich durchdringen, forttragen zu lassen, eine wahr­haft sinnliche Wollust, die jener gleicht, in die Lüfte zu steigen oder auf dem Meere gewiegt zu werden. Und gleichzeitig atmete die Musik zuweilen Lebens­stolz. Ganz allgemein schienen mir diese tiefgründigen Harmonien jenen Reizmitteln zu ähneln, welche den Puls der Phantasien beschleunigen. Endlich habe ich auch – bitte, lachen Sie nicht darüber! – Erlebnisse empfunden, die wahr­scheinlich meiner Geisteshaltung und meinen häufigen Voreingenommen­ heiten entspringen. Überall ist etwas Entrücktes, Entrückendes, etwas, das höher hinausgeht, etwas Äusserstes, Superlatives. So zum Beispiel, um einen Vergleich mit der Malerei zu wagen, entsteht vor meinen Augen eine weite Ebene aus dunklem Rot. Wenn dieses Rot Leidenschaft darstellt, sehe ich es gradweise übergehen in alle Tönungen von Rot zu Rosa bis zur Weissglut im Schmelzofen. Es erschiene schwierig, ja unmöglich, zu etwas noch Lohenderem zu steigern; und doch: eine letzte Rakete wird einen noch weisseren Lichtstrahl über das Weiss werfen, das ihm als Untergrund dient. Das wäre, wie man sagen könnte, der äusserste Schrei der zu ihrem Paroxysmus gesteigerten Seele. Brief an Richard Wagner (17. Februar 1860) Der Brief bezieht sich auf drei von Richard Wagner dirigierte Konzerte im Pariser Théâtre Italien am 25. Januar, 1. und 8. Februar 1860, bei denen Ausschnitte aus «Tannhäuser» und «Lohengrin», das Vorspiel zu «Tristan und Isolde» sowie die Ouvertüre zum «Fliegenden Holländer» auf dem Programm standen.


DER PARISER VENUSBERG Richard Wagner

Ich erkenne nun aber auch, dass ich damals, als ich den Tannhäuser schrieb, so etwas, wie es hier nötig ist, noch nicht machen konnte; dazu gehörte eine bei weitem grössere Meisterschaft, die ich erst jetzt gewonnen habe: jetzt, wo ich Isoldes letzte Verklärung geschrieben, konnte ich sowohl erst den rechten Schluss zur Fliegenden Holländer-Ouvertüre, als auch – das Grauen dieses Venusberges finden. Man wird eben allmächtig, wenn man mit der Welt nur noch spielt. Na­ türlich muss ich hier alles selbst erfinden, um dem Ballettmeister die kleine Nüance vorschreiben zu können: gewiss ist aber, dass nur der Tanz hier wirken und ausführen kann: aber welcher Tanz! (...) Venus und Tannhäuser verweilen so, wie es ursprünglich angegeben ist: nur sind zu ihren Füssen die drei Grazien gelagert, anmutig verschlungen. Ein ganzer, engverwachsener Knäuel kindischer Glieder umgibt das Lager: das sind schlafende Amoretten, die, wie im kindischen Spiel, balgend übereinander ge­ stürzt und eingeschlummert sind. Ringsum auf den Vorsprüngen der Grotte sind liebende Paare ruhig gelagert. Nur in der Mitte tanzen Nymphen, von Faunen geneckt, denen sie sich zu entziehen suchen. Diese Gruppe steigert ihre Bewegung: die Faunen werden ungestümer, die neckende Flucht der Nymphen fordert die Männer der gelagerten Paare zur Verteidigung auf. Eifersucht der verlassenen Frauen: wachsende Frechheit der Faunen. Tumult. Die Grazien erheben sich und schreiten ein, zur Anmut und Gemessenheit auffordernd: auch sie werden geneckt, aber die Faunen werden von den Jünglingen verjagt: die Grazien versöhnen die Paare. – Sire­nen lassen sich hören. – Da hört man aus der Ferne Tumult. Die Faunen, auf Rache bedacht, haben die Bacchantinnen herbeigerufen. Brausend kommt die wilde Jagd daher, nachdem die Grazien

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sich wieder vor Venus gelagert. Der jauchzende Zug bringt aIlerhand tierische Ungetüme mit sich: unter andern suchen sie einen schwarzen Widder aus, der sorgfältig untersucht wird, ob er keinen weissen Fleck habe: unter Jubel wird er nach einem Wasserfall geschleppt; ein Priester stösst ihn nieder und opfert ihn unter grauen­vollen Gebärden. Plötzlich entsteigt unter wildem Jauchzen der Menge der (Ihnen bekann­te) nordische Strömkarl dem Wasserstrudel mit seiner wunderbaren grossen Geige. Der spielt nun zum Tanze auf, und Sie können sich denken, was ich alles zu erfinden habe, um diesem Tanze seinen ge­hörigen Charakter zu geben; immer mehr mythologisches Gesindel wird herbeigezogen. Alle den Göttern heilige Tiere. Endlich Kentauren, die sich unter den Wütenden herumtummeln. Die Grazien sind verzagt, dem Taumel wehren zu sollen. Sie werfen sich voll Verzweiflung unter die Wütenden; ver­ gebens! Sie blicken sich, auf Venus gerichtet, nach Hilfe um: mit einem Wink erweckt die da die Amoretten, welche nun einen ganzen Hagel von Pfeilen auf die Wütenden abschiessen, mehr und immer mehr; die Köcher füllen sich immer wieder. Nun paart sich alles deutlicher; die Verwundeten taumeln sich in die Arme: eine wütende Sehnsucht ergreift alles. Die wild herumschwirrenden Pfei­ le haben selbst die Grazien getroffen. Sie bleiben ihrer nicht mehr mächtig. Faunen und Bacchantinnen gepaart stürmen fort: die Grazien werden von den Kentauren auf ihren Rücken entführt; alles taumelt nach dem Hintergrunde zu fort: die Paare lagern sich: die Amoretten sind, immer schiessend, den Wilden nachgejagt. Eintretende Ermattung. Die Nebel senken sich. In immer weiterer Ferne hört man die Sirenen. Alles wird geborgen. Ruhe.

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TANNHÄUSER – EIN «WORK IN PROGRESS» Werner Breig

Wie kein anderes Werk Wagners war Tannhäuser für seinen Schöpfer das, was man heute ein «work in progress» nennt: ein Werk, dessen Gestalt sich im Laufe seiner Aufführungsgeschichte in fortwährendem Wandel befindet. Dabei war für Wagner die jeweils aktuellste Fassung die allein gültige, durch die alle vorangehenden überholt waren. Heute ist man eher geneigt, wenigstens die beiden Hauptstadien der Werkgeschichte als gleichberechtigt nebeneinander gelten zu lassen; in der Aufführungspraxis werden sie als «Dresdner Fassung» und «Pariser Fassung» unterschieden. Dass die Komposition sich über 1 ½ Jahre erstreckte, brachte Gefahren für die innere Ein­heitlichkeit und Konsequenz des Werkes mit sich. Wie er das Prob­ lem für Tannhäuser bewältigt sah, beschrieb er im Sommer 1845 dem Berliner Musikkritiker Karl Gailliard: «Bei den grossen Unterbrechungen, die mich von meiner Arbeit trennten, war ich stets mit einem Atemzuge so ganz wieder in dem eigentümlichen Dufte, der mich bei der aller­ersten Konzeption berauschte». Das Wort «Duft» steht hier für die dichterisch-musika­lische Grundfärbung, die ein Werk durchzieht, es charakterisiert und ihm Ge­schlossen­heit verleiht. Im Unterschied zum Fliegenden Holländer lässt sich freilich der Werkstil von Tannhäuser nicht von einem einheitlichen Zentrum aus erfassen. Der «Duft» des Werkes konkretisiert sich im musikalischen Material als eine Konstellation verschiedener Teilstile. Als besonders markant heben sich heraus: der chromati­ sche Stil der Venusberg-Partien, der Sakralton der Pilgerchöre und des Rom-The­ mas, der «höfische» Stil der Einzugs- und Huldigungsmusik auf der Wartburg und der Stil der harfenbegleiteten Lieder des «Sängerkrieges». Anders als im Fliegenden Holländer oder in Lohengrin hat auch der Titelheld keine einheitli­ che musikalische Signatur. Fragt man nach einer musikalischen Gestalt, mit der

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er speziell assoziiert ist, so wäre am ehesten auf das Lied zu verweisen, dessen erste drei Strophen Tannhäuser vor Venus singt und dessen vierte in der Sänger­ krieg-Szene die Peripetie des ganzen Werkes bildet. Erstmals hat Wagner hier keine aus der Operntypologie stammenden Satzüberschriften mehr verwendet, sondern die Akte – der Dramen-Terminologie folgend – in «Szenen» unterteilt. Freilich verbergen sich hinter dieser Bezeichnung teilweise noch Opernnum­ mern alten Zuschnitts (so im II. Akt die Elisabeth-Arie und das Duett Elisabeth/ Tannhäuser, im III. Akt die Abendstern-Romanze Wolframs); doch überwiegen die Werkpartien, deren musikalischer Stil die neue Bezeich­nung rechtfertigt. Als die in diesem Sinne avanciertesten Teile wären hervorzuheben: die einlei­ ten­de Venusberg-Szene; die Rom-Erzählung Tannhäusers, in der schon Guido Adler «den musikdramatischen Stil in fast voller Ausprägung» feststellte; schliess­ lich – vom Artistischen her zu den gelungensten Partien des ganzen Werkes ge­hörend – die 3. Szene des I. Aktes (Wartburg-Tal). Von Tannhäuser an zeigt sich mit wachsender Deutlichkeit, dass das Neue im musikdramatischen Œuvre Wagners nicht nur im Gefüge der Beziehun­ gen zwischen Drama und Musik zu sehen ist, sondern auch in den musikalischen Aus­drucksmitteln selbst. Die Fülle und Tragweite von Wagners Neuentdeckun­ gen im spezifisch kompositorischen Bereich machen ihn zu einem der grossen Inno­vatoren (wenn nicht dem grössten) der Musik­geschichte des 19. Jahr­ hunderts. Das Feld der Neuerungen ist in erster Linie die Harmonik. Die «avantgar­ distischste» Musik der Tannhäuser-Partitur ist die Venusberg-Szene zu Beginn des I. Aktes; hier ist das harmonische Geschehen – korrespondierend mit der szenischen Bewegtheit des Bacchantinnen-Tanzes in einem fortlaufenden mo­ dulatorischen Fluss. (Dass Wagner bei der Neubearbeitung dieser Szene im Tristan-Stil sich im wesentlichen auf den Motivbestand von 1843 stützte, wäre nicht möglich gewesen, wenn die Keime der Tristan-Harmonik nicht schon in der Erstfassung vorhanden gewesen wären.) Kaum zu verwundern ist, dass es den Zeitgenossen schwer fiel, Wagners Harmonik richtig zu bewerten. Denn gerade seine charakteristischsten harmo­ nischen Funde zeichnen sich dadurch aus, dass sie kraft ihrer Chromatik und Enharmonik sich einer eindeutigen Einordnung in das geltende harmonische

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System widersetzen. Die adäquate Analyse gewisser Wagnerscher Harmonie­ wendungen war nicht nur mit den musiktheoretischen Begriffen ihrer Entste­ hungszeit kaum zu leisten, sondern kann auch heute noch Gegenstand von Kontroversen sein. Wagners Revisionen begannen in der Nacht nach der Uraufführung; und dass der Komponist gegen Ende seines Lebens seine Bemühungen um eine schlüs­ sige Werkgestalt noch nicht am Ziele sah, belegt die von Cosima aufge­zeich­­nete vielzitierte Äusserung, «er sei der Welt noch den Tannhäuser schuldig». Die heute zumeist als «Dresdner Fassung» bezeichnete Werkgestalt ist nicht die der Uraufführung, sondern stellt das Resultat von Wagners Erfahrungen mit den Dresdner Aufführungen der Jahre 1845 bis 1848 dar. Die wichtigsten Änderungen gegenüber der Uraufführungsfassung betreffen Anfang und Ende des III. Aktes. Die Instrumentaleinlei­tung («Tannhäusers Pilgerfahrt») kürzte Wagner von ursprünglich 155 Takten auf 92 Takte. Der Aktschluss erhielt eine textlich-szenisch-musikalische Neufassung; Venus erscheint auf der Bühne und singt, und Tannhäuser sinkt am Grabe Elisabeths nieder. Die entsprechenden dramatischen Momente waren ursprünglich nur durch das Erglühen des Hör­ selberges bzw. durch Fackelschein von der Wartburg und Läuten der Toten­ glocke dargestellt worden, Wagner sah in der Neufassung «keine Umänderung, sondern eine Berichtigung», da «der frühere Schluss szenisch eben nur die Andeutung von dem enthielt, was in seiner Wirklichkeit an die Sinne mitgeteilt werden musste». Die Änderungen im Blick auf die Pariser Inszenierung von 1861 betrafen in erster Linie die Szenen 1 und 2 des ersten Aktes. Die bedeutende Erweiterung der Venusberg-Szene wurde offenbar durch die Forderung der Pariser Oper nach einem Ballett angeregt. Doch verband sich diese äussere Motivation mit dem Bewusstsein, dass erst durch eine Neube­arbeitung auf dem Stande der musikalischen Technik von Tristan und Isolde die Möglichkeiten voll auszu­ schöpfen waren, die der musikalischen Venusberg-Thematik inne- wohnten. Die chromatischen Akkordverbindungen, die modulatorische Freizügigkeit und die differenzierte Rhythmik des Tristan-Stils prägen die neue Venusberg-Musik, fast ohne dass der aus der Dresdner Fassung vorgegebene Vorrat an Grund­ themen erweitert würde.

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Eine tiefgreifende Neufassung erhielt auch die folgende Szene zwischen Venus und Tannhäuser, und zwar vor allem in den der Venus zugehörigen Teilen. «Von dem nur allzu skizzenhaften Ausfall dieser Partie (in Dresden)», schreibt Wag­ ner, «überzeugte ich mich später so bestimmt, dass ich, als durch die Pariser Aufführung die Bearbeitung meines Werkes mir nochmals nahegerückt wurde, in sehr ausführlicher Weise das Versäumte und von mir innig Vermisste durch eine vollständige Neugestaltung der Partie nachholte». Eine dritte grössere Änderung im ersten Akt, nämlich der direkte Übergang von der Ouvertüre in die Venusberg-Szene, gehört nur bedingt der «Pariser Fassung» zu; Wagner beabsichtigte diese Lösung für die Pariser Inszenierung, fügte sich aber dem Wunsche der Pariser Operndirektion nach der Trennung beider Teile. Erst in der Wiener Aufführung von 1875 wurde die Ouvertüre mit dem Bacchanale zusammengezogen.

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Ich sehe nur, dass der meiner Natur gemässe Zustand die Exaltation ist, während die gemeine Ruhe ihr anormaler Zustand ist. In der Tat fühle ich mich nur wohl, wenn ich ausser mir bin: dann bin ich ganz bei mir. Richard Wagner an August Röckel, 25./26. Januar 1854


Nina Stemme, Michael Volle Spielzeit 2010/11

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Der eigentlichen Welt kann ich nicht wieder angehören … Richard Wagner an Julie Ritter, 30. November 1856


TANNHÄUSER UND DER SÄNGERKRIEG AUF WARTBURG RICHARD WAGNER (1813 – 1883) Handlung in drei Aufzügen, Dichtung vom Komponisten Uraufführung: 19. Oktober 1845, Hoftheater Dresden Die Zürcher Aufführung folgt der Fassung der Wiener Aufführung vom 22. November 1875

Personen

Hermann, Landgraf von Thüringen Bass Tannhäuser Tenor Wolfram von Eschenbach Bariton Walther von der Vogelweide Tenor Biterolf Bass Heinrich der Schreiber Tenor Reinmar von Zweter Bass Elisabeth, Nichte des Landgrafen Sopran Venus Sopran Ein junger Hirt Sopran Vier Edelknaben Sopran und Alt Thüringische Grafen, Ritter und Edelleute, Edelfrauen, ältere und jüngere Pilger. Sirenen, Najaden, Nymphen, Bacchantinnen, drei Grazien, Amoretten, Jünglinge, Faune, Satyrn. Zeit

Im Anfang des 13. Jahrhunderts


ERSTER AUFZUG OUVERTÜRE Die Bühne stellt das Innere des Venusberges [Hörselberges bei Eisenach] dar. Weite Grotte, welche sich im Hinter­ grunde durch eine Biegung nach rechts wie unabsehbar dahin zieht. Aus einer zerklüfteten Öffnung, durch welche mattes Tageslicht hereinscheint, stürzt sich die Höhe der Grotte entlang ein grünlicher Wasserfall herab, wild über Gestein schäumend; aus dem Becken, welches das Wasser auffängt, fliesst nach dem ferneren Hintergrunde der Bach hin, welcher dort sich zu einem See sammelt, in welchem man die Gestalten badender Najaden, und an dessen Ufern gelagerte Sirenen gewahrt. Zu beiden Seiten der Grotte Felsenvorsprünge von unregelmässiger Form, mit wunder­baren, korallenartigen tropischen Gewächsen bewachsen. Vor einer nach links aufwärts sich dehnenden Grotten­ öffnung, aus welcher ein zarter, rosiger Dämmer herausscheint, liegt im Vordergrunde Venus auf einem reichen Lager, vor ihr das Haupt in ihrem Schosse, die Harfe zur Seite, Tannhäuser halb kniend. Das Lager umgeben, in reizender Verschlingung gelagert, die drei Grazien. Zur Seite und hinter dem Lager zahlreiche schlafende Amoretten, wild über und neben einander gelagert, einen verworrenen Knäuel bildend, wie Kinder, die, von einer Balgerei ermattet, einge­schlafen sind. Der ganze Vordergrund ist von einem zauberhaften, von unten her dringenden, rötlichen Lichte beleuchtet, durch welches das Smaragdgrün des Wasserfalles, mit dem Weiss seiner schäumenden Wellen, stark durchbricht; der ferne Hintergrund mit den Seeufern ist von einem verklärt blauen Dufte mondscheinartig erhellt. – Beim Aufzuge des Vorhanges sind, auf den erhöhten Vorsprüngen, bei Bechern noch die Jünglinge gelagert, welche jetzt sofort den verlockenden Winken der Nymphen folgen, und zu diesen hinabeilen; die Nymphen hatten um das schäumende Becken des Wasserfalles den auffordernden Reigen begonnen, welcher die Jünglinge zu ihnen führen sollte; die Paare finden und mischen sich; Suchen, Fliehen und reizendes Necken beleben den Tanz. Aus dem ferneren Hintergrunde naht ein Zug von Bacchantinnen, welcher durch die Reihen der liebenden Paare, zu wilder Lust auffordernd, daherbraust. Durch Gebärden begeisterter Trunkenheit reissen die Bacchantinnen die Liebenden zu wachsender Ausgelassenheit hin. Die Berauschten stürzen sich in brünstige Liebesumarmungen. Satyre und Faune sind aus den Klüften erschienen und drängen sich jetzt mit

ihrem Tanze zwischen die Bacchanten und liebenden Paare. Sie vermehren durch ihre Jagd auf die Nymphen die Verwirrung; der allgemeine Taumel steigert sich zur höchsten Wut. Hier, beim Ausbruche der höchsten Raserei, erheben sich entsetzt die drei Grazien. Sie suchen den Wütenden Einhalt zu tun und sie zu entfernen. Machtlos fürchten sie selbst mit fortgerissen zu werden: sie wenden sich zu den schlafenden Amoretten, rütteln sie auf, und jagen sie in die Höhe. Diese flattern wie eine Schar Vögel aufwärts auseinander, nehmen in der Höhe, wie in Schlachtordnung, den ganzen Raum der Höhle ein, und schiessen von da herab einen unaufhörlichen Hagel von Pfeilen auf das Getümmel in der Tiefe. Die Verwundeten, von mächtigem Liebes­sehnen ergriffen, lassen vom rasenden Tanze ab und sinken in Ermattung. Die Grazien bemächtigen sich der Ver­wundeten und suchen, indem sie die Trunkenen zu Paaren fügen, sie mit sanfter Gewalt nach dem Hintergrund zu zerstreuen. Dort nach den verschiedensten Richtungen hin entfernen sich [zum Teil auch von der Höhe herab durch die Amoret­ten verfolgt] die Bacchanten, Faunen, Satyren, Nymphen und Jünglinge. Ein immer dichterer rosiger Duft senkt sich herab; in ihm verschwinden zunächst die Amoretten; dann bedeckt er den ganzen Hintergrund, so dass endlich, ausser Venus und Tannhäuser, nur noch die drei Grazien sichtbar zurückbleiben. Diese wenden sich jetzt nach dem Vordergrunde zurück; in anmutigen Verschlingungen nahen sie sich Venus, ihr gleichsam von dem Siege berichtend, den sie über die wilden Leidenschaften der Untertanen ihres Reiches gewonnen.

SZENE 1 Der dichte Duft im Hintergrunde zerteilt sich: ein Nebelbild zeigt die Entführung der Europa, welche auf dem Rücken des mit Blumen geschmückten weissen Stieres von Tritonen und Nereïden geleitet, durch das blaue Meer hinfährt. CHOR DER SIRENEN

Naht euch dem Strande! Naht euch dem Lande! Wo in den Armen glühender Liebe selig Erbarmen still’ eure Triebe! Der rosige Duft schliesst sich wieder, das Bild verschwindet, und die Grazien deuten nun durch einen anmutigen Tanz den geheimnisvollen Inhalt des Bildes, als ein Werk der Liebe, an. Von neuem teilt sich der Duft. Man erblickt in sanfter Mondes­dämmerung Leda, am Waldteiche aus­gestreckt; der Schwan schwimmt auf sie zu und birgt schmeichelnd seinen Hals an ihrem Busen. Allmählich verbleicht auch dieses Bild. Der Duft verzieht sich endlich ganz, und zeigt die ganze


Grotte einsam und still. Die Grazien neigen sich lächelnd vor Venus, und entfernen sich langsam nach der Seiten-­ Grotte. Tiefste Ruhe. Unveränderte Gruppe der Venus und Tannhäusers.

SZENE 2 Tannhäuser zuckt mit dem Haupte empor, als fahre er aus einem Traume auf. Venus zieht ihn schmeichelnd zurück. Tannhäuser führt die Hand über die Augen, als ob er ein Traumbild festzuhalten suche. VENUS sehr ruhig

Geliebter, sag, wo weilt dein Sinn? TANNHÄUSER

Zu viel! Zu viel! O, dass ich nun erwachte! VENUS

Sag mir, was dich mühet!

Sie erhebt sich, nimmt die Harfe und hält sie ihm vor

Mein Sänger, auf! Auf und ergreife die Harfe! Die Liebe feire, die so herrlich du besingst, dass du der Liebe Göttin selber dir gewannst! Die Liebe feire, da ihr höchster Preis dir ward! TANNHÄUSER

Dir töne Lob! Die Wunder sei’n gepriesen, die deine Macht mir Glücklichem erschuf! Die Wonnen süss, die deiner Huld entspriessen, erheb’ mein Lied in lautem Jubelruf! Nach Freude, ach! nach herrlichem Geniessen verlangt’ mein Herz, es dürstete mein Sinn: Da, was nur Göttern einstens du erwiesen, gab deine Gunst mir Sterblichem dahin. Doch sterblich, ach! bin ich geblieben, und übergross ist mir dein Lieben. Wenn stets ein Gott geniessen kann, bin ich dem Wechsel untertan. Nicht Lust allein liegt mir am Herzen, aus Freuden sehn’ ich mich nach Schmerzen: Aus deinem Reiche muss ich fliehn, o Königin, Göttin! Lass mich ziehn!

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Im Traum war mir’s als hörte ich, was meinem Ohr so lange fremd! Als hörte ich der Glocken frohes Geläute! O, sag! Wie lange hört’ ich’s doch nicht mehr?

VENUS wie aus einem Traume erwachend

VENUS führt die Hand sanft über seine Stirne

Was fasst dich an? Wohin verlierst du dich? TANNHÄUSER

Die Zeit, die hier ich verweil’, ich kann sie nicht ermessen: Tage, Monde – gibt’s für mich nicht mehr. Denn nicht mehr sehe ich die Sonne, nicht mehr des Himmels freundliche Gestirne. Den Halm seh’ ich nicht mehr, der frisch ergrünend den neuen Sommer bringt. Die Nachtigall hör’ ich nicht mehr, die mir den Lenz verkünde. Hör’ ich sie nie, seh’ ich sie niemals mehr? VENUS mit ruhiger Verwunderung

Ha! Was vernehm’ ich? Welche tör’ge Klagen! Bist du so bald der holden Wunder müde, die meine Liebe dir bereitet? Oder wie? Könnt’ ein Gott zu sein so sehr dich reu’n? Hast du so bald vergessen, wie du einst gelitten, während jetzt du dich erfreust?

Was muss ich hören! Welch ein Sang! Welch trübem Ton verfällt dein Lied? Wohin floh die Begeistrung dir, die Wonnesang dir nur gebot? Was ist’s? Worin war meine Liebe lässig? Geliebter, wessen klagest du mich an? TANNHÄUSER

Dank deiner Huld! Gepriesen sei dein Lieben! Beglückt für immer, wer bei dir geweilt! Ewig beneidet, wer mit warmen Trieben in deinen Armen Götterglut geteilt! Entzückend sind die Wunder deines Reiches, den Zauber aller Wonnen atm’ ich hier. Kein Land der weiten Erde bietet Gleiches, was sie besitzt, scheint leicht entbehrlich dir. Doch ich aus diesen ros’gen Düften verlange nach des Waldes Lüften, nach unsres Himmels klarem Blau, nach unsrem frischen Grün der Au, nach unsrer Vöglein liebem Sange, nach unsrer Glocken trautem Klange: Aus deinem Reiche muss ich fliehn, O Königin, Göttin! Lass mich ziehn!


Programmheft TANNHÄUSER Handlung in drei Aufzügen von Richard Wagner (1813-1883)

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Premiere am 30. Januar 2011, Spielzeit 2010/11

Wiederaufnahme am 23. März 2019, Spielzeit 2018/19

Herausgeber

Intendant

Opernhaus Zürich

Andreas Homoki

Zusammenstellung, Redaktion Beate Breidenbach, Kathrin Brunner Layout, Grafische Gestaltung Carole Bolli

Anzeigenverkauf Opernhaus Zürich, Marketing

Telefon 044 268 64 14, inserate@opernhaus.ch

Schriftkonzept und Logo

Druck

Textnachweise: Die Handlung wurde für dieses Heft geschrieben. Englische Übersetzung: Toby Alleyne-Gee. – Beate Breidenbach, «Eine ganz heutige Figur: Regisseur Harry Kupfer im Gespräch.» Originalbei­ trag für dieses Programmheft. – Hans­ peter Künz­ler, «Jimi Hendrix und der Geist von Tannhäuser». Originalbeitrag für dieses Programmheft. – Charles Baudelaire, «Musik als Rausch», in: Attila Csampai/Dietmar Holland (Hg.), Tannhäuser: Texte, Materialien, Kommentare, Reinbek bei Hamburg, 1986. – Udo Bermbach, «Der hilflose Anarchist», in: ders., Wo Macht ganz auf Verbrechen ruht: Politik und Gesellschaft in der Oper, Hamburg 1997. – Werner Breig, «Tannhäuser: ein ‹work in progress›», in: Ulrich Müller/Peter Wapnewski (Hg.), Richard-Wagner-Hand­ buch, Stuttgart 1986. – Heinrich Heine, «Der Tannhäuser», in: Attila Csampai/Dietmar Holland (Hg.), Tannhäuser: Texte, Materialien, Kom­men­tare, Reinbek bei Ham­burg, 1986. – Helmut Kirchmeyer, «Sich anpassen oder unter­

Studio Geissbühler

Fineprint AG

gehen – Tannhäuser-Symbole und Tann­häuser-The­sen», in: Attila Csampai/Dietmar Holland (Hg.), Tannhäuser: Texte, Materialien, Kommentare, Reinbek bei Hamburg, 1986. – Eckart Kröplin, «Das Leben ein Traum?», in: ders., Richard Wagner. Theatralisches Leben und lebendiges Theater, Leipzig 1989.– Hans Mayer, «Tannhäuser: Künstler und Aussenseiter», in: ders., Richard Wagner, Frankfurt am Main, 1998. – Richard Wagner, «Zitate» sowie «Der Pariser Venusberg», in: ders., Sämtliche Schriften und Dichtungen, Leipzig o.J. Bildnachweise Suzanne Schwiertz fotografierte das «Tannhäuser»-Ensemble bei den Klavierhauptproben am 25. Januar 2011. Urheber, die nicht erreicht werden konnten, werden zwecks nachträglicher Rechtsabgeltung um Nach­richt gebeten.


Unsere Vorstellungen werden ermöglicht dank der Subvention des Kantons Zürich sowie den Beiträgen der Kantone Luzern, Uri, Schwyz, Zug und Aargau im Rahmen der interkantonalen Kulturlastenvereinbarung und den Kantonen Nidwalden und Obwalden. PARTNER

ab PRODUKTIONSSPONSOREN AMAG Freunde der Oper Zürich Evelyn und Herbert Axelrod Zürich Versicherungs-Gesellschaft AG PROJEKTSPONSOREN Baugarten Stiftung Ringier AG René und Susanne Braginsky-Stiftung Georg und Bertha Schwyzer-Winiker-Stiftung Clariant Foundation Hans und Edith Sulzer-Oravecz-Stiftung Freunde des Balletts Zürich Swiss Life Ernst Göhner Stiftung Swiss Re Max Kohler Stiftung Zürcher Kantonalbank Kühne-Stiftung GÖNNER Accenture AG Josef und Pirkko Ackermann Alfons’ Blumenmarkt Ars Rhenia Stiftung Familie Thomas Bär Berenberg Schweiz Beyer Chronometrie AG Margot Bodmer Elektro Compagnoni AG Stiftung Melinda Esterházy de Galantha Fitnessparks Migros Zürich Fritz Gerber Stiftung Gübelin Jewellery Egon-und-Ingrid-Hug-Stiftung Walter B. Kielholz Stiftung KPMG AG

LANDIS & GYR STIFTUNG Lindt und Sprüngli (Schweiz) AG Stiftung Lyra zur Förderung hochbegabter, junger Musiker und Musikerinnen Die Mobiliar Fondation Les Mûrons Neue Zürcher Zeitung AG Pro Helvetia, Schweizer Kulturstiftung StockArt – Stiftung für Musik Elisabeth Stüdli Stiftung Else von Sick Stiftung Ernst von Siemens Musikstiftung Elisabeth Weber-Stiftung Zuger Stiftung für Wirtschaft und Wissenschaft Hulda und Gustav Zumsteg-Stiftung

FÖRDERER Max Bircher Stiftung Sir Peter Jonas Stiftung Denk an mich Richards Foundation Frankfurter Bankgesellschaft (Schweiz) AG Luzius R. Sprüngli Garmin Switzerland Confiserie Teuscher Goekmen-Davidoff Stiftung Madlen und Thomas von Stockar Horego AG Zürcher Stiftung für das Hören


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