Timekeepers

Page 1

TIMEKEEPERS

MERYL TANK AR D MTHUTHUZELI NOVEMBER BRONISLAWA NIJINSK A


Charged for new adventures. Mit vielfältigen Ladeoptionen wie Home Charging. Der rein elektrische Audi SQ8 Sportback e-tron. Vorsprung fühlen. Future is an attitude

Mehr unter audi.ch Audi SQ8 Sportback e-tron, 503 PS, 25,5 kWh/100 km, 0 g CO₂/km, Kat. C.


FOR HEDY Meryl Tankard Seite 3

RHAPSODIES Mthuthuzeli November Seite 29

LES NOCES Bronislawa Nijinska Seite 53

Ballett Zürich Biografien Seite 89

Partner Ballett Zürich

ab



For Hedy Meryl Tankard

5




ZWISCHEN SCHÖNHEIT UND GEFAHR Die australische Choreografin Meryl Tankard über ihr Stück «For Hedy» Meryl, für das Ballett Zürich choreografierst du George Antheils Ballet mécanique, eine der ungewöhnlichsten Kompositionen des 20. Jahr­ hunderts. Wie ist deine Begegnung mit diesem Stück verlaufen? Als ich gefragt wurde, ob ich das Ballet mécanique choreografieren wolle, war meine erste Reaktion: Das ist viel zu schwer! Aber je länger ich mich damit beschäftigt habe, und je tiefer ich in die Musik eingetaucht bin, desto mehr schien mir das Stück wie ein perfekter Ausdruck für die verrückte Welt, in der wir gerade leben. Da ist alles drin. Das Chaos, die Wut, aber auch die Anstrengung, das Bemühen, eine Harmonie oder ein normales Leben zu erreichen. Ein Leben, das nach einer kreativen Anfangsphase einen Höhepunkt erreicht und dann unaufhaltsam seinem Ende entgegengeht. Der Zufall wollte es, dass ich auf einem Flug von London nach Australien auf eine Filmdokumentation über die Hollywood-­Diva Hedy Lamarr gestossen bin. Ich dachte: Das ist die Frau, die mit Antheil das Frequenzsprungverfahren erfunden hat, das nicht nur im 2. Weltkrieg, sondern auch in der modernen Datenvermittlungstechnik eine so wichtige Rolle spielen sollte. Mir war klar: Wenn ich das Stück mache, dann muss Hedy Lamarr irgendwie darin vorkommen. Mit Antheil teilte sie die Neugier, den Drang zum Experiment und zum Erfinden. Sie wollte Ordnung in die chaotische Welt bringen, und so ähnlich ging es mir bei der Auseinander­setzung mit Antheils Stück. Beim ersten Hören scheint man von den dissonanten Staccato-Klängen dieser Musik geradezu überrollt zu werden, sie schwappt wie eine grosse Welle über einen hinweg. Wie findest du dich in diesem Chaos zurecht, und wo dockt man da choreografisch an?

8


Ich musste diese Musik ganz bewusst in mein Leben hineinlassen. Das hat Zeit gebraucht, aber irgendwann gehörte das Ballet mécanique wirklich dazu wie das Wetter, wie die Flut oder wie ein Sturm. Tatsächlich hat mir Hedy dabei geholfen. Als «schönste Frau der Welt» musste sie dem Glamour-­ An­spruch und dem strengen Verhaltenscodex Hollywoods gerecht werden. Gleichzeitig hat sie ständig versucht, eine intellektuelle Befriedigung in ihrem Tun zu finden. In diesem Konflikt war sie gefangen. Privates Glück hat sie in ihren sechs Ehen nicht gefunden. Mir war schnell klar, dass ich Antheils Musik nicht in Schritte auflösen können würde und habe sie deshalb wie den Soundtrack zu einem Film behandelt, der kleine Szenarien und Fragmente aus Hedys Leben beinhaltet. Die Musik nahm für mich eine andere Form an und liess sich perfekt auf emotionale Zustände und den Umgang mit ihnen anwenden. Wahrscheinlich ist das gar nicht so weit weg von Antheils Inten­tio­nen, denn seine Musik war ja ursprünglich ebenfalls für einen Stummfilm von Fernand Léger und Dudley Murphey bestimmt. Guy Livingston, unser Pianist und ein international anerkannter Spezialist für das Werk von George Antheil, ist mit seinem Flügel in die Choreografie integriert und bildet das energetische Antriebszentrum für das Stück.

Das komplette Programmbuch können Sie auf www.opernhaus.ch/shop oder am Vorstellungsabend im Foyer Der Titel For Hedy ist eine Widmung und spricht von der Bewunderung, die des du für Hedy Lamarr empfindest. Gleichwohl ist dein Stück kein Bio­ Opernhauses erwerben pic, in dem du eine biografische Station nach der anderen abarbeitest… Hedy Lamarr ist eine aussergewöhnliche Frau. Für ihre Verdienste ist sie nicht so gewürdigt worden, wie sie es verdient hätte. Die schönste Frau der Welt zu sein, hätte ihr genug sein können. Ihr Gesicht diente Walt Disney als Vorlage für sein Schneewittchen. Nach der Erfahrung von Pearl Harbor stand für sie fest: Ich muss etwas tun! Und das musste mehr sein, als die Soldaten an der Front zu unterhalten oder Kriegsanleihen zu verkaufen. Choreografisch hat sich vieles einfach in den Proben ergeben. Im Mittelpunkt meines Stückes steht eine an Hedy Lamarr erinnernde Figur, die sich allein mit der Stärke ihrer Persönlichkeit einen Weg durch das sie umgebende Chaos bahnt. Sie ist auf der Suche nach einem Partner. Sie versucht Widerstände zu überwinden und persönliches Glück zu finden, aber das sind eher zufällige

9


Splitter einer Biografie als ganz konkrete biografische Ausmalungen. Das Ge­schehen spielt sich in ihrem Kopf ab, wobei sie versucht, eine Ordnung in dieses Gemisch aus Frustration, Sehnsucht, Wut und Gewalt hineinzubringen. Mit welchem choreografischen Material arbeitest du in diesem Stück? Als eine Referenz an die 1920er-Jahre schwebten mir Anklänge an jene kantigen, eckigen Bewegungen und die Marionettenhaftigkeit vor, die wir heute vor allem mit Vaslaw Nijinski und den Ballets russes verbinden. Wenn ich Antheils Musik höre, muss ich immer auch an Strawinsky denken. Man hört Petruschka, Les Noces und Le Sacre du printemps. Für die Hedy-­ Figur haben wir uns von vielen Videos und Fotos von Hedy Lamarr in­spi­rie­ ren lassen. Viele ihrer Posen sind in das choreografische Material für Shelby Williams eingeflossen. Gemeinsam mit den anderen Tänzerinnen und Tänzern haben wir Material erarbeitet, das von verschiedenen Tänzen aus ihren Herkunftsländern inspiriert ist. Es gibt aber auch Marschsequenzen. Nationalismus und Militarismus sind wichtige Erfahrungen in Hedys Leben. Sie war mit einem steinreichen Waffenfabrikanten verheiratet, und der Zweite Weltkrieg wird zu einem der prägendsten Ereignisse ihrer Biografie.

Das komplette Programmbuch können Sie auf www.opernhaus.ch/shop oder am Vorstellungsabend im Foyer Du hast von der Energie des Klaviers gesprochen, aber einen weiteren energetischen Impuls liefern auch die Videoprojektionen von Régis des Opernhauses erwerben Lansac. Schon seit 1988 habe ich viel mit Régis zusammengearbeitet. In einem alten Buch fand er Darstellungen von Nerven mit ihren weit verzweigten und komplizierten Verästelungen. Er hat sie für das Video bearbeitet. Manchmal erinnern die feinen Nervenbahnen an filigrane folkloristische Stickereien, aber im Kontext des Stückes wirken sie als Transportwege für die Energie des Klaviers, die wie Stromstösse in die Körper der Tänzerinnen und Tänzer hineinfährt. Im Zusammenhang mit seinem Ballet mécanique hat George Antheil immer wieder die Begriffe «Beauty» und «Danger» verwendet. Auf diesem schmalen Grat bewegt sich mein Stück. Das Gespräch führte Michael Küster

10


11


ERFINDERISCHE FEMME FATALE Hedy Lamarr war eine der schillerndsten Frauen des 20. Jahrhunderts – skandalumwitterter Superstar und Autorin eines visionären Patents Jan Björn Potthast

Hedwig Eva Maria Kiesler wurde am 9. November 1914 als Tochter eines Bank­direktors und einer Konzertpianistin in Wien geboren. Schon mit fünf Jahren soll sie eine Spieluhr auseinandergenommen haben, um zu verstehen, wie sie funk­tioniert. Das wilde Kind wurde Schauspielerin und drehte schon bald mit Stars wie Heinz Rühmann. Dann wurde sie mit einem Film schlagartig berühmt – und berüchtigt: Im tschechischen Film Ekstase von 1933 war Hedwig Kiesler hüllenlos zu sehen – die erste Nacktszene in einem Spielfilm! Für noch mehr Er­­regung sorgte aber eine andere Szene in diesem Film mit einer Close-­ Up-Auf­nahme ihres Gesichts, in der sie einen Orgasmus zu erleben scheint. Der Skandal war perfekt, die Kirche schäumte, und der Film wurde zumeist nur ge­­kürzt oder gar nicht in den Kinos gezeigt (Ekstase von Gustav Machatý ist übrigens – trotz des reisserischen Titels und der pikanten Szenen – eine sensible Beziehungstragödie.)

Flucht nach Hollywood Im gleichen Jahr heiratete Kiesler den Rüstungsfabrikanten Fritz Mandl, der mit den faschistischen Grössen seiner Zeit verkehrte und sie bei sich zuhause empfing. In diesen Salons wurde oft über Waffentechnik gesprochen (Lamarr-­ Skeptiker meinen, dabei habe sie wohl den einen oder anderen Brocken Fachwissen «aufgeschnappt»). Mandl versuchte stets, Geschäfte mit Hitler-Deutsch-

12


land zu machen, obwohl er (ebenso wie Kiesler) jüdische Wurzeln hatte. Ausserdem war er sehr eifersüchtig, hielt seine schöne junge Frau wie eine Gefangene, verbot ihr die Schauspielerei und bemühte sich, alle Kopien von Ekstase verschwinden zu lassen. 1937 brach Hedwig Kiesler aus, verliess ihren Ehemann (fünf weitere sollten noch folgen) und machte sich auf den Weg, um Hollywood zu erobern. Mit dem Rückenwind des Ekstase-Skandals gelang es ihr. Das Studio MGM nahm sie unter Vertrag, verpasste ihr den Künstlernamen Hedy Lamarr und vermarktete sie als «schönste Frau der Welt». Sie spielte an der Seite von James Stewart und Clark Gable, verdiente viel Geld und wurde zur Stil-Ikone. Disney soll sein Schneewittchen nach ihrem Vorbild gestaltet haben, auch die Comicfigur Catwoman wurde durch sie inspiriert. Kurz: Sie war der Glamour in Person. Aber das schien ihr nicht viel zu bedeuten: «Jedes Mädchen kann glamourös sein», sagte sie. «Du musst nur still stehen und dumm dreinschauen».

Das komplette Programmbuch können Sie auf www.opernhaus.ch/shop Die Diva und der Komponist oder am Vorstellungsabend im Foyer Während des Zweiten Weltkriegs war Lamarrs Hollywood-Karriere auf ihrem Höhepunkt, aber sie «wollte nicht einfach nur dasitzen und viel Geld verdienen, wenn die WeltOpernhauses in so einem Zustand ist», erinnerteerwerben sich George Antheil später. des Der exzentrische Komponist Antheil, das «enfant terrible» der amerikanischen Musikszene, war mit der ebenso umjubelten wie umstrittenen Uraufführung seines Ballet mécanique in Paris 1926 über Nacht zu einem der bekanntesten Komponisten seiner Zeit geworden. In diesem Schlüsselwerk der Moderne sollten (neben viel Schlagwerk, Propellern und Sirenen!) eigentlich 16 mechanische Klaviere synchronisiert mit einem Film eingesetzt werden, was aber technisch nicht funktionieren wollte. Genau dieses Problem der Synchronisierung, das Antheil und Lamarr ausführlich diskutierten, führte zu ihrer Erfindung (es kursieren noch andere Versionen der Vorgeschichte des Patents; diese dürfte aber die plausibelste sein). Die Diva und der Filmkomponist meldeten am 10. Juni 1941 ein «Secret Communication System» in den USA zum Patent US 2292387A an. «Ziel der

13


Erfindung ist es, eine Methode der geheimen Kommunikation bereitzustellen, die relativ einfach und zuverlässig im Betrieb ist, aber gleichzeitig schwer zu entdecken oder zu entschlüsseln ist», schreiben die Erfinder. Es handelte sich um eine Funksteuerung für Torpedos.

Vom mechanischen Klavier zur Torpedo-Steuerung Dieses Funksteuerungssystem «verwendet ein Paar synchroner Datensätze, einen an der Sendestation und einen an der Empfangsstation, die von Zeit zu Zeit die Abstimmung der Sende- und Empfangsvorrichtung ändern, so dass ein Feind ohne Kenntnis der Datensätze nicht in der Lage wäre, festzustellen, mit welcher Frequenz ein Steuerimpuls gesendet wird. Darüber hinaus erwägen wir, Datensätze des seit vielen Jahren in mechanischen Klavieren verwendeten Typs zu verwenden, der aus langen Papierrollen mit Perforationen besteht, die in einer Vielzahl von Längsreihen entlang der Lochkarten unterschiedlich positio­ niert sind.» Lamarr und Antheil hatten also die Problematik der zu synchronisierenden Pianolas mit ihren Lochkartenstreifen so konsequent weitergedacht, dass sie das Frequenzsprungverfahren erfanden: Sie beschrieben eine Lösung, wie der Funkleitsender und der Empfänger im Torpedo gleichzeitig von Frequenz zu Frequenz springen konnten, was es einem Feind unmöglich machte, die Funkverbindung zu lokalisieren und zu stören – «frequency hopping».

«Lady Bluetooth» Als Autoren von US 2292387 werden «Hedy Kiesler Markey et al.» benannt (La­marrs Mädchen- sowie der Name ihres damaligen Ehemannes Gene Markey). Mit dem Frequenzsprungverfahren wiesen die beiden ungewöhnlichen Erfinder der Telekommunikation den Weg in die Zukunft: GPS, WLAN, Bluetooth und Smartphones wären ohne dieses Prinzip praktisch undenkbar. Frequenzsprünge

14


ermöglichen es in drahtlosen Kommunikationssystemen, dass viele Benutzer gleichzeitig mit weniger Signalstörungen kommunizieren. Mehrere Signale können die gleiche Frequenz verwenden; falls eines ausfällt oder blockiert wird, springt es zu einer anderen. Bluetooth-Sender nutzen das Verfahren heute über mehrere Funkkanäle hinweg (Frequenzsprung-Spreizbandtechnik bzw. «Frequency Hopping Spread Spectrum», FHSS). «Lady Bluetooth» nannte das Jüdische Museum Wien daher eine Ausstellung über Hedy Lamarr. Die US-Marine, der Lamarr und Antheil damit helfen wollten, die Nazis zu bekämpfen, nutzte das ihr überlassene Patent jedoch nicht. Angeblich fiel dabei der Spruch, man würde «leider kein Klavier in die Torpedos bekommen». Lamarr wurde angeraten, lieber bei ihren Leisten zu bleiben und ihre Populari­ tät als Leinwandgrösse in den Dienst der Sache zu stellen und für Kriegsanleihen zu werben (was sie dann sehr erfolgreich tat).

Das komplette Programmbuch können Sie auf Späte Ehre www.opernhaus.ch/shop Lamarr soll noch etliche weitere Erfindungen ausgetüftelt haben, aber Patent­ oder am sind Vorstellungsabend anmeldungen keine weiteren von ihr bekannt. Zehn Jahre im nach derFoyer Anmeldung von US 2292387A kam die US-Marine dann doch darauf zurück, als sie eine «Sono-Boje» zur Entdeckung von U-Booten entwickelte. Lamarrs Idee des Opernhauses erwerben wurde aufgegriffen und weiterentwickelt. In der Kubakrise von 1962 waren alle US-Schiffe mit Torpedos bewaffnet, die mit einem «frequency-hopping»-System gesteuert wurden. Der Rest ist Technikgeschichte. Lamarr und Antheil, der 1959, im Auslaufjahr ihres Patents, starb, verdienten keinen Cent mit ihrer Erfindung. Auch die Ehre stellte sich erst sehr spät ein. Jahrzehnte nach dem Ende ihrer Leinwandkarierre, als sie einsam und zu­ rückgezogen in Florida lebte, erhielt Hedy Lamarr 1997 den Electronic Frontier Foundation Pioneer Award. Lange nach ihrem Tod am 19. Januar 2000 wurde sie 2014 posthum in die National Inventors Hall of Fame aufgenommen. Ihr Geburtstag, der 9. November, wird in den deutschsprachigen Ländern vereinzelt als «Tag der Erfinder» begangen – zu Ehren einer der ungewöhnlichsten Erfinderinnen aller Zeiten.

15




WIE EIN ELEKTRISCHER GLÜHOFEN Der Komponist Georg Antheil über sein «Ballet mécanique»

Falls das Publikum überhaupt noch an mich denkt, wird es wahrscheinlich an den Komponisten dieses verdammten Ballet mécanique denken. Für mich ist es eine seltsame Erinnerung, mir vorzustellen, dass ich es schon 1925 – vor beinahe zwanzig Jahren – beendet habe; und immer noch werde ich zu den »jungen amerikanischen Komponisten« gezählt! Deshalb ist dieses Ballet mécanique für mich das geworden, was das cis-Moll-Präludium für Rachmani­ now gewesen sein muss: es ist geradezu mein »Nachtmahr«, obwohl ich seit 1925 nie wieder an so etwas wie »Mechanismus« in der Musik gedacht habe – weder in ästhetischer noch in praktischer Hinsicht, nicht einmal bei der allgemein zu dieser Gattung gezählten La femme 100 têtes, die im Jahre 1933 entstand. Auch tüchtigere Leute als ich hat man lange wegen ihrer jugendlichen Eskapaden oder irgendeiner flammenden Tat in der Erinnerung behalten und verdammt, statt an ihre reifen Leistungen zu denken. Aber glauben Sie ja nicht, dass ich mein Ballet mécanique, weil ich hier brumme und nörgle, für einen dummen Jugendstreich hielte! Es ist ein völlig aufrichtiges, wenn vielleicht auch jugendliches Werk, und ausserdem typisch für eine sehr interessante Periode der Weltgeschichte. Es hat in Paris wirklich ungemeinen Erfolg gehabt und die Begeisterung einer ganzen Künstlergeneration erregt – darunter Jean Cocteau, Virgil Thomson, Erik Satie, sogar James Joyce … Und es hat in Amerika nur deshalb einen schlechten Ruf, weil es einmal falsch angekündigt und schandbar in der Carnegie Hall aufgeführt worden ist. Kurz, es wurde etwas anderes, als es in Wirklichkeit ist: ein Mythos. Ich glaube, dass mein Ballet mécanique in Amerika nicht der Musik wegen, die nur wenige Leute je gehört haben – ich will nicht einmal alle dreitausend Be­sucher zählen, die in die Carnegie Hall kamen, weil sie sehen und nicht hören

18


wollten –, sondern wegen seines Titels und seiner noch unglücklicheren Re­ klame missverstanden worden ist. Der Titel lässt beispielsweise vermuten, dass es sich um einen »mechanischen Tanz«, um ein Ballett von Apparaten oder Maschinen handelt, der möglicherweise das Innere einer Fabrik darstellen soll. Doch man darf nicht vergessen, dass 1924 die Zeit der Titel ohne Verbindung mit dem Werk begann. Schrieb man damals beispielsweise ein Buch, so gab man ihm gewöhnlich einen Namen, der so weit wie möglich von dem Inhalt entfernt war; so hatten etwa die Titel der Romane von Hemingway oder Ford Maddox Ford kaum irgendeine Beziehung zum Inhalt. Das blieb sogar noch längere Zeit Mode! Ich nannte mein Musikstück Ballet mécanique, aber ich erinnere mich des Grundes wirklich nicht mehr. Tatsächlich hatte mir Sylvia Beach sogar davon abgeraten, weil sie überzeugt war, die Franzosen würden den Titel missverstehen und an einen »mechanischen Besen« denken, da die französischen Wörter für Ballett und Besen fast gleich klingen. Auf dem in Deutschland begonnenen Manuskript steht noch der ursprüngliche Titel Botschaft zum Mars. Will man nur nach dem Wohlklang urteilen, dann ist dieses Message to Mars natürlich noch viel schlimmer als Ballet mécanique; überdies verbinden sich mit diesem Titel moralisierende und mystische Dinge aller Art, die den Eisblöcken dieser Musik bestimmt ganz und gar nicht entsprachen. Die Wörter Ballet mécanique waren brutal, modern, nüchtern und symbolisch für die seelische Erschöpfung, für die hyperathletische, unsentimentale Periode, die «den langen Waffenstillstand» einleitete. Als ich das Werk begann, war es meine Absicht gewesen, die Klaviersonaten in einen breiteren Zusammenhang zu stellen und zu erweitern. Ausserdem wollte ich jeden Einfluss abschütteln, den Les Noces vielleicht auf mich ausgeübt hatten und von dem im Anfangssatz der Ersten Violinsonate etwas spürbar war – und das alles in einem Werk, dass gross genug war, damit das Publikum es so­zu­sagen richtig erkennen konnte. Das Ballet mécanique folgte genau jenem «Traum»; es hatte nicht das Geringste mit der Darstellung von Fabriken und Maschinenanlagen zu tun – und wenn andere, einschliesslich Honegger und Mossolow, das missverstanden haben, so ist es nicht meine Schuld. Hätten sie das Werk ausschliesslich als Musik betrachtet, wie man es von ihnen als Musiker hätte erwarten dürfen, dann hätten sie es vielleicht für einen ziemlich

Das komplette Programmbuch können Sie auf www.opernhaus.ch/shop oder am Vorstellungsabend im Foyer des Opernhauses erwerben

19


«mechanischen» Lebenstanz oder gar für ein Signal dieser unruhigen und kriegsbedroh­ten Zeit von 1924 gehalten, das in eine Rakete verpackt und zum Mars hinaufgeschossen wurde. Aber bestimmt nicht für ein irdisches Maschinenstück! Allerdings fand ich zu jener Zeit Maschinen sehr schön und riet den Ästhe­ ten sogar, sie sich genau anzusehen; und dennoch – ich wiederhole es immer wieder und werde sogar wütend dabei – hatte ich keinesfalls die Absicht, eine Maschine sozusagen direkt mit der Musik zu kopieren, wie es Honegger und Mossolow beispielsweise taten. Meine Absicht war es vielmehr, dem Zeitalter, in dem ich lebte, sowohl die Schönheit wie auch die Gefahr seiner unbewussten mechanistischen Philosophie und Ästhetik klarzumachen. Wie ich es betrachtete, war mein Ballet mécanique (richtig gespielt!) stromlinienförmig, glitzernd, kalt und häufig ebenso von «musikalischem Schweigen» erfüllt wie der interplanetare Raum und ebenso häufig heiss wie ein elektrischer Glühofen. Doch stets habe ich mindestens versucht, nach neuen Bauprinzipien über die seit Beethovens Neunter und seit Bruckner normalen und festgelegten Grenzen hinaus zu operieren. Ganz ist es mir nicht gelungen. Aber ein «Streben» zu einer neuen Form hin war es wirklich, und diese neue musikalische Konzeption wirkte, wie ich glaube, in die Zukunft.

Das komplette Programmbuch können Sie auf www.opernhaus.ch/shop oder am Vorstellungsabend im Foyer des Opernhauses erwerben

20



EIN ORCHESTER AUS LAUTSPRECHERN Über die Fassungen von Antheils «Ballet mécanique» Paul D. Lehrman

Berühmt als Vertreter der musikalischen Avantgarde und gefeiert als Pianist, lebte der Amerikaner George Antheil in den 1920er-Jahren in Paris. James Joyce, Ernest Hemingway, Ezra Pound, Pablo Picasso und Igor Strawinsky gehörten dort zu seinem Freundeskreis. Antheil verstand sich als Futurist und feierte in Komposi­tionen wie Airplane Sonata und Death of the Machines das Maschinenzeitalter. Seine Konzerte hatten Event-Charakter: Oft arteten sie in Handgreiflichkeiten zwischen seinen Anhängern und seinen Gegnern aus, was mit dem Blick auf den seinerzeitigen Skandal um Strawinskys Sacre du printemps durchaus als Zeichen künstlerischer Grösse verstanden wurde. Gern bezeichnete sich Antheil als «Bad Boy of Music». 1924 begann Antheil mit der Komposition eines Ballet pour instruments mécanique et Percussion (Ballett für mechanische Instrumente und Schlagzeug). Die Partitur sah zwei Klaviere, drei Xylophone, vier Trommeln, Tamtam, elektrische Glocken, eine Sirene, drei Flugzeugpropeller und 16 Pianolas (automatische Klaviere) vor. Geplant war das Stück als Filmmusik für einen gleichnamigen Film von Man Ray, Dudley Murphy und Fernand Léger – eine abstrakte Collage aus schnell aneinander geschnittenen, unzusammenhängenden Bildern. Doch Antheil und die Filmemacher kommunizierten nur wenig miteinander, so dass die Musik am Ende fast doppelt so lang war wie der Film, und beide Werke schliesslich getrennt voneinander uraufgeführt wurden. Für Antheil ergab sich ein weiteres Problem: Trotz Zusicherung der Klavierfirma Pleyel erwies es sich als unmöglich, auch nur zwei, geschweige denn 16 Pianolas so miteinander zu synchronisieren, dass sie über einen längeren Zeitraum im Takt spielten. Als Antheil das Stück im Juni 1926 im Théâtre des

22


Champs-Élysées uraufführte, stand nur ein einziges Pianola auf der Bühne. Dennoch löste die Aufführung vor der kulturellen Elite von Paris den gewünschten Aufruhr aus. Ein Kritiker schrieb: «Es war der reinste Tumult», und ein anderer: «Jeder wusste, dass er bei etwas dabeigewesen war». Antheil wurde ein­geladen, das Stück nach Amerika zu bringen. Doch die beiden für April 1927 geplanten Aufführungen in der New Yorker Carnegie Hall endeten im Fiasko. Das New Yorker Publikum war wenig empfänglich für das Stück. Zusätzliche technische Probleme provozierten Buhrufe und Gelächter, so dass ein Grossteil der Anwesenden vorzeitig den Saal verliess. Nach vernichtenden Kritiken wurde die zweite Aufführung abgesagt. Antheil kehrte mit lädiertem Ruf nach Paris zurück, von dem er sich nie wieder ganz erholte. Das Stück sollte über sechzig Jahre lang nicht mehr zu hören sein. 1953 – Antheil lebte inzwischen in Hollywood – schuf er ein neues Werk mit dem Titel Ballet mécanique, diesmal ohne Pianolas, und obwohl es einige thematische Gemeinsamkeiten mit der Komposition von 1924 aufweist, ist es ein völlig anderes Stück, das Eingang ins Repertoire von Percussion-Ensembles gefunden hat. 1998 wandte sich der Verlag G. Schirmer, der inzwischen die Rechte an Antheils Werken besass, an Paul Lehrman, einen Experten für Computermusik, mit der Anfrage, ob er Antheils Originalpartitur mit Hilfe computergesteuerter Player Pianos aufführbar machen könne. Mit Hilfe von MIDI-Soft- und Hardware (Musical Instrument Digital Interface) und der Unterstützung des Klavier­ herstellers Yamaha realisierte Lehrman im November 1999 an der University of Massachusetts Lowell die erste Aufführung des Ballet mécanique in Original­ besetzung. Es folgten Aufführungen in der Carnegie Hall, der Davies Hall in San Francisco, der Symphony Hall in Boston und an über 20 weiteren Orten in Nord- und Südamerika, Europa und Neuseeland. 2013 entwickelte Lehrman gemeinsam mit dem Pianisten und Antheil-Spezialisten Guy Livingston eine «konzertante» Version des Ballet mécanique für einen Solopianisten und ein Acousmonium, ein Orchester aus Lautsprechern. Dabei wurde die Soloklavierstimme von Livingston aus der Pianola- und der Klavierstimme abgeleitet, die übrigen Stimmen wurden von Lehrman voraufgezeichnet. Diese Fassung wurde zusammen mit dem Film von Léger/Murphy/

Das komplette Programmbuch können Sie auf www.opernhaus.ch/shop oder am Vorstellungsabend im Foyer des Opernhauses erwerben

23


Ray beim SinusTon-Festival in Magdeburg uraufgeführt und seitdem in Montreal, Québec, Boston und Providence gespielt. Erstmals kommt es jetzt im Rahmen von Meryl Tankards Stück For Hedy zu Aufführungen im Rahmen eines Ballettabends, wiederum mit dem Pianisten Guy Livingston. Teile der Partitur wurden mit der digitalen Audio-Work Station «Digital Performer» vorproduziert. Sie werden über das aus 64 Lautsprechern bestehende Soundsystem des Opernhauses Zürich wiedergegeben. Die Pianolas, Klaviere und Xylophone wurden mit «virtuellen Instrumenten» von Synthogy, Native Instruments und Sonic Cat gespielt. Alle anderen Klänge sind digitale Samples von Paul Lehrman.

Das komplette Programmbuch können Sie auf www.opernhaus.ch/shop oder am Vorstellungsabend im Foyer des Opernhauses erwerben

24


MERYL TANKARD Choreografin

Die Choreografin Meryl Tankard geniesst als eine der führenden zeitgenössischen Künstlerinnen Australiens internationales Renommée. Als Regisseurin, Choreografin und Autorin wurden ihre Arbeiten in Europa, den USA, Asien und Australien inszeniert und umfassen Produktionen mit dem Sydney Opera House, dem Australian Ballet (Wild Swans), dem Ballett der Oper Lyon (Bolero), dem Nederlands Dans Theater (Petrushka) und dem Göteborg Ballet (Bolero, Aurora) sowie Musicals am Broadway und im West End. Im Jahr 2000 gestaltete Meryl Tankard die Eröffnungszeremonie für die Olympischen Spiele in Sydney. Sie begann ihre Karriere als Tänzerin beim Australian Ballet und wurde dann eine der Hauptsolistinnen in Pina Bauschs legendärem Tanztheater Wuppertal, wo sie u. a. in den Stücken Café Müller, Kontakthof, Arien, Keuschheitslegende, Bandoneon und Walzer zu erleben war. Zurück in Australien, gründete sie ihre eigene Tanzcompagnie in Canberra (1989-1992). Als künstlerische Leiterin des in Adelaide ansässigen Australian Dance Theatre (1993-1999) verwandelte Meryl Tankard das Ensemble in eine führende internationale Compagnie. Wichtige Stücke waren Furioso, Possessed, Rasa, Inuk, Aurora, Nuti, Kikimora und Songs with Mara. Seit 2000 ist Meryl Tankard als freischaffende Künstlerin tätig und begann, sich auf die Filmregie zu konzentrieren. The Oracle ist eine Auseinandersetzung mit Strawinskys Le Sacre du printemps. Ihr Dokumentarfilm Michelle’s Story , der von ABC TV und dem Adelaide Film Festival in Auftrag gegeben wurde, hat mehrere Preise gewonnen. Zu ihren jüngsten Arbeiten gehören Two Feet für die russische Ballerina Natalia Osipova, Zizanie für das Restless Dance Theatre und Skin Deep für die LGBTI + Community. 2017 wurde Meryl Tankard mit dem Bettison Helen James Award ausgezeichnet und 2019 zum «Officer of Australia» ernannt. 2023 wurde ihr Stück Kairos beim Sydney Festival uraufgeführt. For Hedy ist ihre erste Zusammenarbeit mit dem Ballett Zürich.

25







Rhapsodies Mthuthuzeli November

31


«Rhapsody» ist ein wunderbarer Begriff. Nur lose miteinander verbunden, werden in einer Rhapsodie die verschiedensten Einflüsse und Ideen in einen gemeinsamen Rahmen gestellt. Meine Choreografie funktioniert ähnlich wie die «Rhapsody in Blue», in der George Gershwin Jazz und Sinfonik miteinander vereint hat. Als Choreograf komme ich mit Tänzerinnen und Tänzern unterschiedlichster Herkunft und kultureller Prägung zusammen. Wir erleben und kreieren Momente der Gemeinsamkeit. Ein rhapsodisches Moment trägt dabei jeder von uns in sich. Mthuthuzeli November






LIEBE UND OFFENHEIT TEILEN Der Choreograf Mthuthuzeli November im Gespräch mit Michael Küster Mthuthu, kurz bevor du erstmals mit dem Ballett Zürich arbeiten wirst, treffen wir uns zu diesem Gespräch in London. Hier choreografierst du gerade ein neues Stück für das Royal Ballet, und gleichzeitig gastierst du mit dem Ballet Black auch im Linbury Theater am Royal Opera House. Was muss man über das Ballet Black wissen? Das Ballet Black ist eine in London beheimatete Tanzcompagnie. 2001 wurde sie von Cassa Pancho gegründet, die das Ensemble bis heute leitet. Ihre Idee war es, schwarzen und asiatischen Tänzerinnen und Tänzern ein Zuhause zu geben. Unser Repertoire bewegt sich zwischen klassischem Ballett und zeitgenössischem Tanz. Und so vielseitig wie das Repertoire ist auch das Pub­likum. Es geht quer durch alle Altersgruppen und Schichten und widerlegt die Behauptung, dass Ballett nur ein weisses Publikum mittleren Alters aus der Mittelklasse anspricht. Was bedeutet es für dich, für diese Compagnie zu tanzen und zu choreo­ grafieren? Es ist ein grossartiges Gefühl, Tänzer im Ballet Black zu sein. Hier bin ich unter Gleichgesinnten, fühle mich zu Hause und integriert. Ich tanze mit meinen Freunden. Dass ich für diese Compagnie auch choreografieren darf, ist ein grosses Geschenk. Dein aktuelles Stück für das Ballet Black heisst Nina: By whatever means. Angekündigt wird es als Brief an die grosse US-amerikanische Soul-­ Sängerin und Bürgerrechtsaktivistin Nina Simone. Was steht da drin? Um es ganz kurz zu machen: «Ich liebe dich!» und: «Ich bewundere den

37


Weg, den du gegangen bist!» Am Anfang habe ich mich gefragt, was ich zu Nina Simone gesagt hätte, wenn ich die Chance bekommen hätte, sie zu treffen. Ihr Leben hat viel gemeinsam mit dem Leben schwarzer Balletttänzerinnen und -tänzer. Viele haben die Hoffnung, eine Karriere als klassische Tänzer zu machen, und erleben dann, dass sie in Schubladen gesteckt werden, auf denen «Afrikanischer Tanz» oder «Modern Dance» steht. Dass ein schwarzer Körper klassisches Ballett tanzen kann, liegt oft immer noch aus­serhalb des Vorstellungsvermögens. Das hat einige Ver­bindungen zur Ge­schich­ te von Nina Simone. Sie wollte klassische Pianistin werden, und dann wurde sie dazu gedrängt, Jazz zu spielen, was sie zunächst gar nicht wollte. Zum ersten Mal wirst du nun beim Ballett Zürich choreografieren in einem dreiteiligen Ballettabend, der den Titel Timekeepers trägt. Was hast du für ein Verhältnis zur Zeit, welche Rolle spielt sie in deinem Leben? Kurz vor unserem Gespräch habe ich mich mit einem guten Freund über die Zeit unterhalten, in der wir als schwarze kreative Künstler leben. Dass wir auch im Jahr 2023 immer noch zu den ersten gehören, die eine Art von «Creative Spaces» betreten, die uns lange verschlossen waren. Das bringt eine grosse Verantwortung mit sich, damit sich diese Räume in Zukunft für noch mehr Menschen öffnen, die so aussehen wie ich. Ich möchte so viel von mir mit anderen Menschen teilen und sie inspirieren. Deshalb bin ich glücklich über die Chance, bei Timekeepers dabei zu sein. Soviel ich weiss, bin ich der erste schwarze Choreograf aus Südafrika, der mit dem Ballett Zürich arbeitet. Welche Dinge möchtest du teilen und weitergeben? Vor allem Liebe und Offenheit. Und die Bereitschaft, sich über Schubladen hinwegzusetzen. Ich bin jemand, der seine Herkunft nicht verleugnet und seine Kultur überallhin mitnimmt. Es beschäftigt mich unentwegt, wie ich meine Kultur weitergeben und mit anderen Menschen teilen kann. Ich habe das Glück, dass ich mich durch den Tanz ausdrücken kann. Ich möchte verstehen, wer die Tänzerinnen und Tänzer sind, mit denen ich arbeite. Woher kommen sie, welches Umfeld hat sie geprägt? Dieser Austausch lässt ein Vertrauensverhältnis entstehen und ist eine wichtige Grundlage meiner Arbeit.

38


Dein Leben hat sich in kürzester Zeit radikal verändert. Du stammst aus einem Township in der Nähe von Kapstadt. Unter welchen Bedingungen bist du dort aufgewachsen? Vor allem habe ich Fussball gespielt in einer staubigen Umgebung und meis­tens auf einem Spielfeld ohne Rasen. Aber das war völlig egal! Beim Fussballspielen – und später auch beim Tanzen – konnte ich alles um mich herum vergessen. Konnte vergessen, dass ich aus einer armen Familie stamme, die oft nicht wusste, wie sie über die Runden kommen soll und ob abends etwas zu essen auf dem Tisch steht. Mit drei Brüdern und einer Schwester bin ich bei meiner Mutter in sehr beengten Verhältnissen aufgewachsen, und das war schwierig. Allerdings habe ich mir nie gewünscht, ich käme aus einer reichen Umgebung. Denn das, was ich bin, hat mich im Leben angetrieben und mir die Leidenschaft und die Entschlossenheit gegeben, die ich heute habe. Beim Choreografieren denke ich oft daran, wie sich das damals angefühlt hat. Dann weiss ich mein neues Leben umso mehr zu schätzen.

Das komplette Programmbuch können Sie auf www.opernhaus.ch/shop Stimmt es, dass die Familie November als eine Art Tanz-Clan berühmt war? oder am Vorstellungsabend im Foyer Solange ich denken kann, haben wir in meiner Familie getanzt. Das war vor allem traditioneller afrikanischer Tanz oder Street Dance. Ich war fünfzehn, als ich erstmals mit dem Ballett in Berührung gekommen war. Das war des Opernhauses erwerben 2008, damals bot eine Organisation namens «Dance For All» kostenlose Tanz­stunden und Out­reach-Programme an. Ich habe sehr schnell erkannt, dass Ballett vielleicht ein Weg sein könnte, der mich aus der Armut herausführt und mir ein anderes Leben ermöglicht. Ich weiss noch, wie ich das erste Mal vom Ballettunterricht kam und eine Strumpfhose trug, und alle fragten: «Was hast du denn da an?». Für meine Umgebung war das erst einmal ein Schock. Keiner hatte ja eine Ahnung davon, was Ballett ist und welches Potential es in sich trägt. Nach Meinung meiner Freunde war Ballett nur etwas für Weisse. Für mich war es einfach nur Tanz, und auch jetzt gerade, wo ich für das Ballett Zürich choreografiere, verstehe ich mich als Dance-Maker.

39


Wie reagieren denn die Leute aus der klassischen Welt des Balletts auf dich? Ich versuche, ihnen als Mensch zu begegnen, mit dem Background all der Er­fahrungen, die ich in meinem Leben gemacht habe. Bevor ich mich darum kümmere, ob mein Gegenüber nun ein klassischer Tänzer oder ein contemporary dancer ist, versuche ich, ihn als Menschen zu sehen. Erst dann ent­scheidet sich, in welche Richtung unsere gemeinsame Reise gehen kann. Wenn ich ins Studio gehe, ver­suche ich, die Tänzerinnen und Tänzer, die mit mir arbeiten, daran zu erinnern, warum sie das tun, was sie tun. Ich frage jeden Einzelnen im Raum, wie es ihm geht, und versuche, mir noch vor Beginn der eigentlichen Proben Zeit für jede und jeden zu nehmen. Das beginnt meist sehr spielerisch. Oft spielen wir eine ganze Weile, ehe wir mit der Arbeit an der eigentlichen Choreografie beginnen. Ja, wir sind tatsächlich alle Spielkameraden. In diesen Spielen entsteht ein gegenseitiges Vertrauen, das für mich als spätere Arbeitsgrundlage unverzichtbar ist. Die Zeit vergeht schneller, wenn man gemeinsam Spass an der Arbeit hat. Nach Abschluss deiner Tanzausbildung an der Cape Dance Academy bist du 2015 nach England gegangen. Wie hat sich das angefühlt? Vom Naturell her bin ich jemand, der die Dinge nicht zu sehr analysiert oder in Frage stellt. Ich versuche einfach, mein Ding zu machen. Aber dieser Ortswechsel war natürlich ein Rieseneinschnitt. England ist sehr effizient! Ich musste mich daran gewöhnen, dass hier ein anderes Tempo vorgelegt wird und alles viel, viel schneller geht. Begeistert hat mich, dass man hier so viele unterschiedliche Arten von Tanz erleben und die verrücktesten Leute treffen kann. Englisch ist nicht meine Muttersprache, und so musste ich erst einmal lernen, mich richtig auszudrücken. Aber dabei bin auch viel selbst­ bewusster geworden. Wie bist du zum Choreografieren gekommen? Ehrlich gesagt, glaube ich, dass ich schon immer ein Choreograf war. Street Dance erfordert ein hohes Mass an geistiger Flexibilität. Ich musste mir ständig neue Schritte und Bewegungen ausdenken. Stundenlang habe ich das

40


gemacht, und wenn es gut war, haben mir die Leute ein bisschen Geld in den Hut geworfen. Natürlich habe ich das nicht als eine berufliche Perspektive gesehen. Das kam erst viel später. Meine Art zu choreografieren ist wesentlich von den Menschen geprägt worden, denen ich auf meinem Weg begegnet bin. Gerade hat das Royal Ballet hier in London noch einmal Cathy Marstons The Cellist getanzt. Über die Art und Weise des Geschichtenerzählens habe ich viel von ihr gelernt. Aber auch andere Choreografinnen und Choreografen haben mich beeinflusst in ihrer Art, wie sie kommunizieren, wie sie über Bewegung denken oder einen Raum nutzen. Die afrikanische Stimme in deinen Arbeiten ist unüberhörbar. Doch wäh­rend der afrikanische Tanz sehr geerdet und mit einer gewissen Schwere verbunden ist, macht das Ballett das genaue Gegenteil: Es strebt die Leichtigkeit an, ist «nach oben» gerichtet. Wie bringst du beides zu­sammen? Ich glaube, selbst als Vogel muss man irgendwann landen und auf den Boden zurückkehren. Das ist genau der Moment, der mich interessiert. Wenn du aus der Feenwelt des Balletts wieder in der Realität ankommst. Wichtig ist mir besonders das spirituelle Element, das der afrikanische Tanz beinhaltet. In der Gegend, aus der ich komme, ist der Tanz sehr stark vom Rhythmus geprägt und sehr per­kus­siv. Dieses perkussive Element versuche ich, für den Körperausdruck nutzbar zu machen. Meine Zusammenarbeit mit dem Ballett Zürich ist aufregend, denn nor­maler­weise komponiere und arrangiere ich die Musik selbst, zu der ich choreo­gra­fiere. Da kann ich selbst entscheiden, in welche Richtung sich das Ganze ent­wickelt. Jetzt treffe ich mit George Gershwins Rhapsody in Blue auf eine existierende Komposition, deren Ablauf ich nicht beeinflussen kann und der ich komplett ausgeliefert bin.

Das komplette Programmbuch können Sie auf www.opernhaus.ch/shop oder am Vorstellungsabend im Foyer des Opernhauses erwerben

Welche Assoziationen löst Gershwins Musik in dir aus? Dass die Uraufführung 1924, also vor gut einhundert Jahren, stattgefunden hat, wollte ich beim ersten Hören kaum glauben. Das Stück wirkt auf mich sehr modern und ist bei einer Dauer von gerade mal fünfzehn Minuten äusserst komplex. Ich bin immer wieder fasziniert von den unerwarteten

41


Wendungen, die die Kom­position an vielen Stellen nimmt, aber auch die sanften Passagen mag ich sehr. In einer Viertelstunde kann man da sicher eine ganze Menge herausholen. Die He­rausforderung besteht darin, mich selbst in der Komposition wiederzufinden und Inspiration aus ihr zu gewinnen. Ich bin wirklich gespannt darauf, ins Studio zu gehen und zu sehen, wie die Tänzerinnen und Tänzer mich und die Musik aufnehmen werden. Eine zusätzliche Herausforderung ist, dass wir Gershwins sehr fokussierte Version für zwei Klaviere verwenden. Mal sehen, welche Möglichkeiten sich daraus ergeben. Heute wird Rhapsody in Blue als grosse musikalische Hommage an den brodelnden Kosmos New Yorks in den 1920er-Jahren interpretiert. Gibt dir der Tanz die Möglichkeit, diese Musik anderswo zu verorten? Dass ICH zu dieser Musik choreografiere, gibt dir wahrscheinlich schon die Antwort auf deine Frage (lacht). Ich hätte es nie für möglich gehalten, dass ich als junger schwarzer Mann aus Südafrika einmal Rhapsody in Blue choreografieren würde. Da werden sich also zwei Welten begegnen, und wer weiss: Vielleicht wird es eine Cape Town Rhapsody? Auf jeden Fall eine mit einem grossen Schuss Südafrika.

Das komplette Programmbuch können Sie auf www.opernhaus.ch/shop oder am Vorstellungsabend im Foyer Inzwischen immer mehr renommierte Compagnien bei dir an, des klopfen Opernhauses erwerben um neue Choreografien zu bestellen. Hast du nicht Angst, dass das gerade alles ein bisschen zu schnell geht? Ich hoffe, dass ich bei all den Möglichkeiten, die sich gerade bieten, immer Menschen in meiner Nähe habe, die mir Halt geben und mich daran erinnern, wer ich bin und was ich tun musste, um dort zu sein, wo ich bin. Ich will auf dem Boden bleiben und weiss doch, dass ich all diese neuen Räume, die sich gerade auftun, betreten muss. Nicht für mich, sondern für all die Talente, die es in Süd­afrika und an vielen anderen Orten auf der Welt gibt. Damit sie wissen, dass sie eines Tages an eben diesen Plätzen sein werden und dass das absolut in Ordnung ist. London, Herbst 2023

42





EIN KALEIDOSKOP AMERIKAS Zu George Gershwins «Rhapsody in Blue»

George Gershwin gehört wie Leonard Bernstein zu jenen typisch amerikanischen Komponisten, die sich als beständige Grenzgänger zwischen E- und U-Musik, von der strengen Musikwissenschaft kaum ernst genommen, unge­ bro­chener Beliebtheit bei Publikum und Musikern erfreuen. Ebenso selbstverständlich, wie die Schlager seiner «Musical Comedies» mit all ihren rhythmischen und melodischen Raffinessen entstanden, schuf Gershwin mit Porgy and Bess die vielleicht einzige amerikanische Oper von weltweiter Wirkungskraft und gehörte mit seinen grossen Orchester- und Instrumentalwerken zu den Begründern des «Symphonic Jazz». Im Jahr 1924 brachte die Rhapsody in Blue George Gershwin den internationalen Durchbruch. «In der Rhapsody habe ich versucht, unsere Lebensart auszudrücken, das Tempo unseres modernen Lebens mit seiner Hast, seinem Chaos, seiner Vitalität. Ich habe nicht versucht, definitiv beschreibende Tonbilder zu malen. Ich betrachte die Rhapsody eher als Verkörperung von Gefühlen, als dass sie ganz bestimmte Szenen des amerikanischen Lebens in musikalischer Form präsentiert.» (George Gershwin) Der im New York der frühen 1920er Jahre als «King of Jazz» gefeierte Komponist Paul Whiteman gab Gershwin den Anstoss zur Komposition der Rhapsody in Blue: Sein Orchester fühlte sich nicht nur dem traditionellen ursprünglichen Jazz verpflichtet, vielmehr hatte man sich mit populären Songs und Tanzmusik einen grossen Namen geschaffen und suchte nun zunehmend auch in den sogenannten seriösen Musikkreisen New Yorks nach Anerkennung. Im Herbst 1923 entwickelte Whiteman ein Konzept für eine experimentelle Konzertveranstaltung, die dem verwöhnten Publikum der anerkannten Aeolian Hall einen Abend lang ausschliesslich populäre amerikanische Musik präsentieren sollte. Auf der Suche nach Neukompositionen sprach er u. a. seinen jungen

46


Kollegen George Gershwin an und bat ihn um die Komposition eines «Jazzkonzerts» für Klavier und Orchester. Gershwin zögerte, dem Auftrag zuzustimmen. Zum einen schien ihm keinerlei Eile geboten, zum anderen unterschied sich seine Auffassung vom Jazz deutlich von der Paul Whitemans. Jazz, das be­deutete für Gershwin keine äussere Zutat, keinen oberflächlichen Stimmungseffekt. Jazz verlangte nach Vitalität und Improvisation, nicht nach festgefügten Kompositionsformen. Am späten Abend des 3. Januar 1924 las George Gersh­win in der Morgenausgabe der Tribune: «Was ist amerikanische Musik? Mitglieder eines Komitees, das diese Frage für das Paul-Whiteman-Konzert am 12. Februar in der Aeolian Hall entscheiden wird, sind u. a. Sergej Rachmaninow, Jascha Heifetz, Efrem Zimbalist und Alma Gluck. Den Vorsitz hat Leonard Liebling, Herausgeber des Musical Courier. George Gershwin arbeitet bereits an einem Jazzkonzert, Irving Berlin schreibt ein synkopenreiches Tonpoem, und Victor Herbert arbeitet an einer amerikanischen Suite.» Gershwins Verärgerung über diese Meldung war nur all­zu verständlich. In weniger als sechs Wochen sollte eine Komposition entstehen, die er bisher nicht einmal zugesagt hatte. Dennoch verzichtete er auf die zunächst beabsichtigte Absage an Whiteman – um einer Musik willen, die «Ausdruck des amerikanischen Volkes» sein sollte. Gershwin berichtet über seine Arbeit: «Die Rhapsody begann mit einer Absicht, nicht mit einem Plan. Ich arbeitete einige Themen aus, doch genau in diesen kritischen Tagen musste ich nach Boston fahren (...). Es war im Zug, mit seinem stählernen Rhythmus, mit seinem Geratter, das so oft stimulierend auf einen Komponisten wirkt (ich höre ständig im Zentrum des Lärms Musik), dass ich plötzlich die komplette Konstruktion der Rhapsody hörte – sie sogar auf Notenpapier vor mir sah – vom Beginn bis zum Ende. Es kamen mir keine neuen Themen in den Sinn, doch ich arbeitete in Gedanken bereits an meinem thematischen Material und versuchte, die Komposition als Ganzes zu denken. Ich hörte sie als eine Art musikalisches Kaleidoskop von Amerika – unseres riesigen Schmelztiegels, unseres unvergleichlichen nationalen Schwungs, unseres Blues, unserer aufregenden Metropolen. Zu der Zeit, da ich in Boston ankam, verfügte ich über einen definitiven Ablauf des Stückes, bestimmt durch seine aktuellen Inhalte. Das Mittelthema fiel mir dann plötzlich ein, wie das bei meiner Musik oft der Fall ist. Das war in der Wohnung eines Freundes, gerade

Das komplette Programmbuch können Sie auf www.opernhaus.ch/shop oder am Vorstellungsabend im Foyer des Opernhauses erwerben

47


als ich aus Boston zurückgekommen war. Ich muss wohl ziemlich viel unterbewusst komponieren, wie man dies nennen könnte, und dies ist ein Beispiel dafür. Eine meiner notorischen Schwächen ist das Klavierspiel auf Partys. Und als ich nun bei diesem Freund spielte, ohne einen Gedanken an die Rhapsody, hörte ich mich urplötzlich ein Thema spielen, das wohl schon in meinem Inneren herumgegeistert war und nun nach draussen wollte. Sofort, als es meinen Fingern entfloss, spürte ich: Das war es. Innerhalb einer Woche nach der Rückkehr aus Boston hatte ich dann die Rohstruktur der Rhapsody in Blue zusammen.» Gershwin schrieb seine Komposition in jener Fassung für zwei Klaviere, die auch im Rahmen unseres Ballettabends Timekeepers erklingt. Die Orchesterfassung wurde seinerzeit von Whitemans Arrangeur Ferde Grofé (18921972) angefertigt. Das Konzert am 12. Februar in der Aeolian Hall war dank Whitemans glänzender Öffentlichkeitsarbeit restlos ausverkauft. Schon die elektrisierende Wirkung des charakteristischen Erkennungsmotivs der Rhapsody, des aufsteigenden Klarinettenglissandos am Beginn des Stückes, garantierte den legendären Uraufführungserfolg. Paul Whiteman stand am Pult seines Orchesters und bekannte später: «Irgendwo in der Mitte der Partitur begann ich zu heulen. Als ich dann wieder zu mir kam, war ich elf Seiten weiter, und bis zum heutigen Tag kann ich nicht sagen, wie ich dazwischen dirigiert habe.»

Das komplette Programmbuch können Sie auf www.opernhaus.ch/shop oder am Vorstellungsabend im Foyer des Opernhauses erwerben

48


MTHUTHUZELI NOVEMBER Choreograf

Mthuthuzeli November stammt aus Kapstadt (Südafrika). Mit 15 begann er zu tanzen und schloss 2014 seine Tanzausbildung ab. Bei der South African Inter­ national Ballet Competition 2012 und 2014 wurde er als «Bester zeitgenössischer Tänzer» ausgezeichnet. 2014 entstand seine erste Choreografie für die Cape Dance Company. Er tanzte in dieser Compagnie sowie in einer südafrikanischen Produktion der West Side Story, bevor er im September 2015 an das in London beheimatete Ballet Black wechselte. Für dieses Ensemble entstanden mehrere preisgekrönte Stücke. 2016 wurde Ingoma mit dem Laurence Olivier Award ausgezeichnet. Das Stück Solo erhielt den Nachwuchspreis bei den Klein Karoo Nasionale Kunstefees. Für die Cape Dance Company entstanden die Stücke Visceral und The Rite of Passage. Ausserdem schuf er Kurzstücke für den Wettbewerb «Emerging Dancer» beim English National Ballet. Beim Glastonbury Festival arbeitete Mthuthuzeli November mit dem britischen Künstler Stormzy zusammen. Für die Cape Town Opera und das Cape Town City Ballet entstand ein Filmprojekt zu Pergolesis Stabat Mater. Weitere Arbeiten waren Precipice von Sinéad O’Neill beim Grange Festival (2020) und – in Zusammenarbeit mit seinem Bruder Siphe – das Stück My Mother’s Son beim Festival «Fall for Dance North» in Toronto (2023). Mthuthuzeli November kreierte ausserdem für das Washington Ballet, das Northern Ballet, für Tanz Luzerner Theater, das Cape Town City Ballet und das Charlotte Ballet. Für The Waiting Game wurde er 2022 als «Bester Solist» bei den Black British Theatre Awards und für die «Beste Choreografie» bei den Critics’ Circle National Dance Awards nominiert. Bei den Black British Theatre Awards 2023 wurde sein Stück Nina: By Whatever Means als «Beste Choreografie» ausgezeichnet. Für Rhapsodies arbeitet Mthuthuzeli November erstmals mit dem Ballett Zürich zusammen.

49







Les Noces Bronislawa Nijinska

55





DIE FREIBEUTERIN Bronislawa Nijinska und «Les Noces» Dorion Weickmann

Heiraten aller Art spielten in ihrem Leben eine Schlüsselrolle – seien es die Anlässe selbst, seien es die Folgen, sprich: spätere Trennungen von Tisch und Bett. Den Auf­takt machten ihre Eltern – ein Tänzerpaar, das gemeinsam drei Kinder in die Welt setzte: Stanislav, Vaslav und eben Bronislawa, geboren 1886, 1889 und 1891. Der Vater geht schon bald auf und davon. Sein Verschwinden kann die Tochter kaum ver­schmerzen. Als sie selbst an der Reihe ist, einem Mann das Jawort zu geben, ist ersatzweise ein überaus illustrer Brautvater zur Stelle: Sergei Diaghilew, Impresario der Ballets Russes, übergibt seine Tänzerin Bronislawa Nijinska an Aleksandr Kochtovsky, den er ebenfalls unter Vertrag hat. Das geschieht 1912, und dann noch einmal 1924 in anderer Besetzung: Der Bräutigam, der die Nijinska wiederum aus der Hand Diaghilews entgegennimmt, heisst nun Nicholas Singaevsky. Sein Vorgänger ist aufgrund notorischer Treulosigkeit längst abserviert. Nach zwei gemeinsamen Kindern hat Bronislawa Fominichna Nijinska, von Vertrauten nur «Bronia» genannt, sozusagen die Notbremse gezogen. Das Drama des Verlassenwerdens will sie nicht noch einmal erleben. Zwischen den beiden Hochzeiten Nijinskas hat noch eine Vermählung stattgefunden, die weltweit Schlagzeilen produzierte und ihr Dasein unmittelbar beeinflusst: Bruder Vaslav Nijinski, schon fast auf dem Olymp der unsterblichen Tanz-Götter ansässig, schliesst 1914 in Buenos Aires die Ehe mit einer gewissen Romula de Pulszky und katapultiert sich damit endgültig aus dem Diaghilew-Kosmos hinaus. Der Impresario, zugleich Nijinskis Mentor und Liebhaber, schickt ihm die Kündigung (gleichsam wie Scheidungspapiere) hinterher. Aber wo Vaslav nicht ist, kann auch Bronia nicht bleiben: Die Tänzerin steigt vorerst aus bei den Ballets Russes – ein weiterer Akt der Loyalität, die sie dem

59


Bruder von Kindesbeinen an entgegenbringt. Das geht so, seit sie mit ihm die Ballettschule des Zaren in Sankt Petersburg besucht hat, 1909 mit ihm ans Mariinsky wechselte, dann zu Diaghilew. Und es hört auch nicht auf, als er ihr 1913 einen Tiefschlag versetzt: Nijinski verbannt seine schwangere Schwester aus der Rolle der Auserwählten im «Frühlingsopfer». Nicht ohne sie zu verpflichten, das gemeinsam erarbeitete Bewegungsmaterial an die Kollegin Maria Piltz weiterzugeben. Es ist das Fundament jenes Traditionsbruchs, der sich schon bald nach dem Premierenskandal in einen historischen Triumph verwandelt. Man stelle sich rein spekulativ die seitenverkehrte Konstellation vor: Bronislawa als Jahrhundertballerina und revolutionäre Choreografin, die in Vaslav einen frühen Mitstreiter, Co-Entwickler und Interpreten findet. Mag ihm später auch Fantastisches gelingen, so muss er sich doch stets und ständig gegen den Schatten schwesterlicher Geniestreiche behaupten. Das Schicksal hat anders­ herum disponiert, und die polare Geschlechterordnung war behilflich dabei. Also gilt der seit 1917 im Kerker der Geisteskrankheit gefangene Nijinski, der mit nur drei Werken – L’Après-midi d’un faune, Jeux und Le Sacre du printemps – ins Pantheon des Tanzes einging, als Pionier der Moderne. Während sein jünge­ res Geschwister über sechzig Werke geschaffen hat, darunter frühe Exemplare der Neoklassik. Deren Erfindung, wie könnte es anders sein, die Geschichte natürlich einem Mann ans Revers heften wird. Einem Herrn namens George Balanchine. Egal, aus welcher Perspektive man sich annähert, Madame Nijinska erweist sich als eminent spannende und bisweilen spannungsreiche Person, als sprühende Denke­rin und ingeniöse Künstlerin, die sich nie um Konventionen scherte. Dass sie trotzdem aus den Annalen des Tanzes irgendwie herausfiel und ihr Name sich mit keiner Handvoll Kreationen verbindet, darf getrost dem Pa­triar­ chat angelastet werden, das auch gay people wie Maestro Diaghilew nicht auszuhebeln gedachten. Jetzt aber, über ein halbes Jahrhundert nach ihrem Tod, steht diese Frau im Scheinwerferlicht: dank einer voluminösen Biografie, die Lynn Garafola ihr gewidmet hat, Hand in Hand mit der Wiederentdeckung ihrer Werke, die von London über New York bis Zürich eine Renaissance erleben. Das gilt zumindest für Les Noces, genau wie Les Biches und Le Train bleu, einst von Diaghilew produziert. Wobei das streng formali­sierte, ursprünglich

60


Svadebka betitelte Hochzeitsritual, das Zürichs neue Ballett­chefin Cathy Marston aufs Programm gesetzt hat, mit dem Leben der Choreografin gleich mehrfach eng verflochten scheint: Der Schauplatz ist Russland, der Inhalt eine Heiratszeremonie samt Vor- und Nachlauf, der Komponist heisst Igor Strawinsky, und die Idee zu Les Noces wurde schon 1913 geboren – im selben Jahr, in dem Bronislawa mit Tochter Irina schwanger ist und deshalb auf Le Sacre du printemps verzichten muss. Was sie viele Tränen kostet. Alles andere als heiter kommt auch Les Noces daher: ein schwermütiges und schwerblütiges Stück, dessen Choreografie Diaghilew der Nijinska im März 1922 anbietet. Es steht seit Jahren auf seiner To-do-Liste, jetzt soll es zudem das Finanzloch stopfen, das ein sündteures Dornröschen-Revival gerade erst ins Budget gerissen hat. Übrigens war bei diesem Fiasko auch die gerade zurückgekehrte Nijinska mit von der Partie, in doppelter Mission: Einerseits als Tänzerin, andererseits als choreografische Debütantin bei den Ballets Russes, hatte sie doch die Matrix des Petipa-Originals einstudiert und ergänzt. Was eigentlich nicht mehr ihre Kragenweite ist. Während der Welt- und Nachkriegsjahre in Russland und Kiew hat Nijinska nicht nur eine Schule gegründet und erste Choreografien entwickelt, sondern sich auch auf Distanz zur Danse d’école gebracht. Neuerdings als «Amazone der Avantgarde» unterwegs, wie ihre Biografin Lynn Garafola festhält, rechnet sie 1918 mit dem Status quo auch am Mariinsky ab: «Die Tanzkunst ist keine Kunst mehr, sondern Akrobatik … aller Ausdruck dahin.» Von den Barfuss-Exerzitien einer Isadora Duncan will die knapp Dreissigjährige aller­dings auch nichts wissen, ihr grosses Ideal ist: die Malerei. Was ihr vorschwebt, ist eine Art Polyphonie zu erzeugen. Dafür müsse man, wie sie schreibt, «die Bewegung wie die Zeichnung, wie die Farben verwenden». Gerade so verhält es sich mit Les Noces. In Strawinskys Studio lässt sich Nijinska die Komposition auf dem Flügel vorspielen und erkennt sofort «meine choreografische Linie für das Ballett». Das Dekor, das Natalia Goncharova bereits entworfen hat, findet sie «prächtig, theatralisch und sehr russisch» – aber untauglich. Ein Jahr lang streitet sie mit Diaghilew um die Ausstattung, weil «der heitere Geist konventioneller Bauernfolklore» überhaupt nicht zu Strawinskys Partitur passt. Denn worum geht es? Les Noces verhandelt eine arran-

Das komplette Programmbuch können Sie auf www.opernhaus.ch/shop oder am Vorstellungsabend im Foyer des Opernhauses erwerben

61


gierte Heirat und das ganze gesellschaftliche Drumherum. Es hat, sagt Nijinska später, «den Charakter einer Tragödie. Würde man das Libretto als fröhliches Treiben russischer Bauern vor malerischem Hintergrund interpretieren, würde die Tragödie zunichte gemacht.» In den Online-Kollektionen der Library of Congress wie der französischen Nationalbibliothek gibt es Fotos der Proben, aufgenommen auf dem Dach der Oper von Monte-Carlo. Schon diese Bilder lassen den Zuschnitt der Choreografie erkennen: Geometrisch gefasste Kollektive, die im nächsten Moment von einer Bewegungswoge erfasst zu werden scheinen, zu Kreisen, Dreiecken und Vektoren sortierte Arme, Menschenknäuel und Körperpyramiden, die sich wie organische Plastiken türmen – eine kristalline und zugleich jugendstilhafte Ornamentik, deren Silhouette die braun-weissen Kostüme noch unterstreichen. Das chorische Element spiegelt die vierteilige Handlung, die Strawinsky als Hybrid aus Gesang und Orchesterklang an­gelegt hat. Auf die Hochzeitsvorbereitungen der Braut folgen diejenigen des Bräuti­gams, sodann der Abschied des Mädchens von seinen Eltern und das Zeremoniell der Verehelichung, das mit dem Gang der frisch Vermählten ins Schlafzimmer endet. Während die getanzten Solopassagen sich deutlich vom Corps de ballet abheben, bleiben die Gesangspartien ohne eindeutige Zuweisung. Die Texte aus der Feder Strawinskys zitieren russisches Brauchtum und eine Sammlung einschlägiger Gedichte. Bis zur Uraufführung dieser «Ballett-Kantate» muss die Choreografin etliche Krisen überstehen, ein Streik des Ensembles wegen schlechter Bezahlung kann gerade noch abgewendet werden. Als sich am 13. Juni 1923 endlich der Vorhang im Pariser Théâtre de la Gaîté-Lyrique für Les Noces hebt, fühlen sich nicht wenige Kritiker an den Abend der Sacre-Premiere erinnert: Sind sie nicht heimliche Zwillinge, die Auserwählte des Frühlingsopfers und diese Braut, die sich in ein vereinbartes Bündnis fügen und dem Ehemann samt seiner Familie unterwerfen muss? Und ist die Choreo­grafie nicht ein weiterer Schritt Richtung Moderne? Zwar tauchen durchaus traditio­nelle Ingredienzen auf, etwa Spitzenschuh, Sprungarbeit, das eine oder andere Port de bras. Aber wagemutig sprengt Nijinska das Korsett des Akademischen. Wo Strawinskys Komposition einem Kritikervotum nach als «unerbittliche, turbulente und präzise Klangfabrik» imponiert, wird die Choreografie als «pure Emotion, die uns überwältigt» und

62


«raffinierte Kunst» gefeiert. «Diese Hochzeit ist das Trauerlied der traurigsten Menschheit», resümiert der Rezensent Louis Schneider, sein Kollege Emile Vuillermoz meint: «Vor uns demontiert die Choreografie Stück für Stück die Maschinerie von Familie und Zivilisation. Es ist ein schreckliches und unvergessliches Schauspiel.» Das zeitgenössische Echo fällt fast durchweg positiv aus. Ein Omen, denn bald gilt Les Noces als Diaghilews grösster künstlerischer Erfolg in den Zwanzigerjahren – und als Nijinskas Signaturstück. Doch wer weiss, was daraus geworden wäre, hätte nicht Frederick Ashton 1966 eine Wiederauflage mit dem Royal Ballet angesetzt. Nijinska kam, sah und siegte nun auch in London. Sechs Jahre später starb sie in Kalifornien. Da waren Diaghilew und Vaslav, waren ihr Söhnchen, ihre Mutter und ihre beiden Ehemänner schon lange tot. La Nijin­ ska aber blieb bis zuletzt eine Freibeuterin, eine hochbegabte Frau, wegweisende Choreografin, die kein Abenteuer scheute und in Europa wie in den USA Spuren hinterliess – und Grenzen überschritt. 1922 war sie in die Rolle geschlüpft, die ihr Bruder sich selbst auf den Leib geschrieben hatte: den Faun – transident und transgressiv. Getreu der Maxime, die sie 1918 zu Papier gebracht hatte: «Wenn Kreativität mir ein Bedürfnis ist, dann ist sie auch mein Glück.»

Das komplette Programmbuch können Sie auf www.opernhaus.ch/shop oder am Vorstellungsabend im Foyer des Opernhauses erwerben

63






EINE NEUE ART VON FREIHEIT Der Nijinska-Spezialist Christopher Saunders im Gespräch über die Choreografie «Les Noces» Chris, mit dem Ballett Zürich studierst du das Ballett Les Noces von Bronislawa Nijinska ein. Was verbindet dich mit diesem Stück? Les Noces begleiten mich inzwischen mehr als mein halbes Leben. 1983 kam ich als Tänzer zum Royal Ballett nach London, und ziemlich am Beginn meines Engagements tanzten wir Les Noces. Die spätere Ballettdirektorin, Dame Monica Mason, gehörte damals zum Stab des Balletts, und mein Ballettmeister war Christopher Newton. Beide waren bereits in der Compagnie, als Bronislawa Nijinska 1966 für die Einstudierung ihrer Choreografie nach London kam – in Begleitung ihres Ehemanns und mit ihrem berühmten schwarzen Büchlein, in dem sie sich Notizen über die Tänzerinnen und Tänzer machte. Christopher Newton hat damals angefangen, das komplette Ballett in Benesh-Notation festzuhalten. Von ihm habe ich später diese Notation gelernt, und er hat mir auch beigebracht, worauf es bei der Einstudierung des Stückes ankommt. Natürlich hat Bronislawa Nijinska wie jede Choreografin, jeder Choreograf seit der Uraufführung 1924 weiter an ihrem Stück gearbeitet. Aber Ballett ist immer nur eine Momentaufnahme. Die Fassung, die wir in Zürich sehen, kommt ihrer Londoner Fassung aus den sechziger Jahren so nahe wie möglich. Wie präsent war Nijinskas Ballett im Repertoire des Royal Ballet? In meiner Zeit beim Royal Ballet stand es etwa alle fünf bis sechs Jahre auf dem Programm. Ich finde es wichtig, so ein Kleinod im Repertoire zu halten. Wenn man längere Pausen macht, fängt man mit der Einstudierung wieder komplett bei null an. Ich habe Les Noces immer wieder mit der Londoner Compagnie getanzt und zuletzt auch einstudiert.

68


Wir haben uns daran gewöhnt, Bronislawa Nijinska als «die Schwester VON» wahrzunehmen. Viel zu lange stand sie im Schatten ihres Bruders Vaslaw Nijinski… Bronislawa Nijinska hätte mindestens so berühmt wie ihr Bruder sein müssen. Aber Ballettgeschichte wurde in ihrer Zeit vor allem von Männern gemacht. Gleichwohl war sie eine starke Frau, die es zu Lebzeiten zu einem hohen Grad an Bekanntheit gebracht hat. Gerade wird sie in der Ballettwelt wieder­ entdeckt. 1923 fand die Uraufführung von Les Noces in Paris statt. Abgesehen vom balletthistorischen Interesse, warum lohnt sich die Begegnung mit diesem Stück auch 100 Jahre später? Ich bin immer wieder überrascht, wie neu und modern dieses Stück in guten Aufführungen wirkt. Vor 100 Jahren muss das Publikum überwältigt gewesen sein. Wenn ich heute in die Gesichter der Tänzerinnen und Tänzer schaue, merke ich, dass sie in ihrer Laufbahn meist noch nichts Vergleichbares erlebt haben. Das Stück hat absolut nichts Altmodisches. Die Art und Weise, wie es konstruiert ist, der gesamte Look! Selbst wenn man Kostüme, Licht und Bühnenbild weglassen würde, die Bewegungen sind immer noch sehr modern.

Das komplette Programmbuch können Sie auf www.opernhaus.ch/shop oder am Vorstellungsabend im Foyer Bei des einer russischen Bauernhochzeit könnte man ganz schnell an ein Opernhauses erwerben Folklorefestival denken. Bronislawa Nijinska geht da einen ganz anderen Weg … Mit ihrer Interpretation der bäuerlichen Hochzeitsrituale argumentiert Bronislawa Nijinska gegen eine traditionelle Lesart im Sinne eines fröhlichen Spektakels. Ihr ging es um das soziale Drama, das sich unabhängig von den Personen und ihren Gefühlen vollzieht: die Bestimmung der Paare durch die Eltern, die Trennung der Mädchen von ihren Familien, die Unterwerfung der Braut unter die Herrschaft des Bräutigams und seiner Familie. Das Zwanghafte und Bedrängende des Geschehens verdeutlicht Nijinska dadurch, dass die Körper der Tänzerinnen und Tänzer ständig eng an eng gedrängt in pyramidenartige Tanzarchitekturen gefügt sind. Über der ganzen Choreo­ grafie liegt ein Hauch von Traurigkeit und Melan­cho­lie. Am Anfang könnte

69


man meinen: Oh, das wird bestimmt eine de­primie­rende halbe Stunde! Aber Nijinska nimmt uns mit auf eine Reise. Sie kreiert in ihren vier Hochzeits­ bildern ein Fest der Bewegung, das einen in den Bann zieht. Am Ende wird man als Zuschauer innerlich zum Teil der Festlichkeiten auf der Bühne. Auffällig ist das Fehlen expressiver Gesichtsausdrücke, wie wir sie sonst von der Bühne gewohnt sind. Die Gesichter in Les Noces bleiben ziemlich un­beweglich. Aber es gibt eine Menge inneren Ausdruck, der in der Be­ wegung zum Vorschein kommt. In jede Einstudierung versuche ich hi­­n­ein­ zubringen, dass wir eben nicht mit dem Gesicht, sondern mit unserem gesamten Körper tanzen. Man muss sich vor Augen führen, dass wir keiner Liebesheirat, sondern einer arrangierten Hochzeit beiwohnen. Man spürt die Nervosität und Beklemmung, die über allem liegt. Was wird morgen sein, wie sieht die Zukunft aus? Da wird das Stück plötzlich ganz aktuell. Trotzdem hat man am Ende nicht das Gefühl, etwas sehr Schweres oder Deprimierendes gesehen zu haben. Du hast schon die reduzierte Mimik erwähnt. Wie viel tänzerische Indivi­ dualität verträgt dieses Stück? Es ist wichtig, dass jede Person auf der Bühne sie selbst ist. Wir sind nicht in Schwanensee, wo alle 36 Schwäne gleich aussehen. Wir wollen individuelle Gäste einer Party sehen, aber das Ganze funktioniert auf eine besondere Weise. Bronislawa Nijinska liefert uns so etwas wie Schnappschüsse von einer Hochzeit. Wir sehen die Bilder wie in einem Rahmen. Wir sehen die Familie, wir sehen die Gäste. Als Tänzerin oder Tänzer in diesem Stück wird man zum Teil dieser Momentaufnahmen. Um sich in diesen Rahmen stellen zu lassen, braucht man Vertrauen in die Musik und in die Choreografie. Auffällig sind die Erdverbundenheit und eine gewisse Schwere und Ge­ wichtigkeit in der Choreografie, aber auch die schon erwähnten pyrami­ dalen Tänzergruppierungen lenken die Aufmerksamkeit auf sich … Es ist ein ganz anderer Stil. Ich sage den Tänzern immer: Es muss von unten kommen, du musst mit der Erde verbunden sein. Stell dir vor, dass du mit einer Schaufel in der Erde arbeitest! Tatsächlich wird ein Element der

70


Choreografie «Schaufel» genannt. Das kommt aus dem Rücken und aus den Hüften, und man muss dafür sehr geerdet sein. Nicht hochziehen, sondern die Schaufel in den Boden gleiten lassen. Es ist genau das Gegenteil vom klassischen Ballett, das in in die Luft und nach oben strebt. In Les Noces muss man mit dem Boden eins werden, man muss ihn als Freund und nicht als Feind betrachten. Nur so erreicht man den Stil, der Bronislawa Nijinska vorschwebt. Am Ende des ersten Bildes ist die Braut die Spitze einer aus den Körpern ihrer Freundinnen gebildeten Pyramide. Sie würde zusammenstürzen, wenn sie nicht auf sicherem Grund stehen würde. In welchem Verhältnis stehen die Solisten, also Brautpaar und Braut­ eltern, zum Rest der Compagnie? Sie sind gar nicht so weit von einander entfernt, die Hierarchie des klassischen Balletts gibt es in Les Noces nicht. Hochzeiten gehören zum gesellschaftlichen Alltag. Nijinska betont deshalb die Nähe ihrer Protagonisten zuneinander. Aber natürlich besetzt man die Eltern meist mit gestandenen Solisten und Solistinnen, weil sie die nötige Reife für diese Figuren mitbringen.

Das komplette Programmbuch können Sie auf www.opernhaus.ch/shop oder amGoncharova Vorstellungsabend im Foyer Mit Natalia hat Nijinska lange um Bühne und Kostüme gerungen. Sie wollte alles viel reduzierter, abstrakter und weniger folkloristisch, als es Goncharovas erste Entwürfe vorgesehen hatten. des Opernhauses erwerben Wie wichtig sind die Bühne und die Kostüme für diese Choreografie? Die Kostüme sind einfach brillant. Am Anfang ist man vielleicht ein bisschen schockiert, weil sie so nüchtern und minimalistisch sind. Die Brauntöne verbinden sich mit der Choreografie und unterstreichen die Erdhaftigkeit der choreografierten Bewegungen. Natalia Goncharova genügt ein Fensterviereck auf einer Leinwand, um eine ganze Szene zu beglaubigen. Sie ist eine Meisterin der Abstraktion. Was ist die grösste Herausforderung in diesem Stück für die Tänzerinnen und Tänzer? Am herausforderndsten ist wohl die Dominanz des Rhythmus in Strawinskys Partitur. Nicht nur in Les Noces ist das so. Auch ein Stück wie Le Sacre

71


du printemps lebt davon. Darauf muss man sich einlassen. Auch die Tatsache, dass in Les Noces gesungen wird, macht es nicht einfacher. Eine Gesangs­stim­me wird nie das automatische Tempo eines Metronoms halten. Das bedeutet für die Tänzerinnen und Tänzer, dass sie auf die Sänger hören und gemeinsam mit ihnen durch das Stück gehen. Überhaupt müssen sie sich voll und ganz in den Dienst dieser Choreografie stellen. Das kann sich zunächst ungewohnt anfühlen und wie eine Einschränkung der tänzerischen Freiheit wirken. Doch wenn man dieses Vertrauen aufbringt, wird die eigene Individualität auf eine ganz neue Weise zum Vorschein kommen. Es ist eine andere Art von Freiheit. Was können Tänzerinnen und Tänzer aus der Erfahrung mit Les Noces mitnehmen? Die Erfahrung von Les Noces wird man wahrscheinlich nur einmal in seinem Tänzerleben machen. Wer sich wirklich darauf einlässt, wird merken, dass es absolut kein Museumsstück ist. Es lebt! Tänzerinnen und Tänzer wachsen daran. Ich sage ihnen immer: Probiert es aus! Es können Fehler passieren, aber haltet euch nicht zurück! Schont euch nicht! Glaubt an euch selbst, denn wenn ihr das tut, werdet ihr das Publikum mitreissen.

Das komplette Programmbuch können Sie auf www.opernhaus.ch/shop oder am Vorstellungsabend im Foyer des Opernhauses erwerben Das Gespräch führte Michael Küster

72



DER LANGE WEG ZU «LES NOCES» Aus den Erinnerungen von Igor Strawinsky

Meine damalige Vorliebe für die Probleme des instrumentalen Klangs kam auch bei der Instrumentierung meiner Noces zutage, die Diaghilew nun endlich nach so langem Auf­schub herausbringen wollte. Ich hatte bereits in Morges verschiedene Versuche für die Instrumentierung gemacht. Ich begann mit einer Besetzung für grosses Orchester, aber die liess ich bald wieder fallen, denn sie hätte im Hinblick auf die Komplexität des Werkes einen ungewöhnlich grossen Apparat erfordert. Ich versuchte dann eine andere Lösung mit einem mehr summarisch zusammengesetzten Orchester und schrieb eine Partitur, die für polyphone Einheiten ge­dacht war: für mechanisches Klavier, elektrisches Harmonium, ein Bläserensemble und zwei ungarische Zimbals. Aber dabei stiess ich auf ein neues Hindernis: ich wurde mir allmählich darüber klar, wie unerhört schwierig es für den Dirigenten sein müsse, den Part der Musiker und Sänger mit dem der mechanischen Instrumente in Übereinstimmung zu bringen. So verzichtete ich auf diese Idee, obgleich die ersten beiden Bilder bereits in dieser Form in­strumentiert waren. Die Arbeit hatte mich viel Kraft und viel Geduld gekostet und war also ganz umsonst gewesen. Nahezu vier Jahre lang hatte ich die Noces unberührt liegen lassen. Andere dringende­re Aufträge nahmen mich in Anspruch, und Diaghilew verschob zudem die Aufführung von Jahr zu Jahr. Endlich wurde beschlossen, das Werk im Juni 1923 herauszubringen, und Diaghilew bat mich, den Proben für die Choreografie beizuwohnen. Bronislawa Nijinska hielt sie im März und April in Monte Carlo ab. Vor allem kam es jetzt darauf an, eine Lösung für die instrumentale Besetzung zu finden. Ich schob das immer wieder hinaus, in der Er­war­tung, dass sie mir zwangsweise einfallen werde, sobald erst das Datum der Premiere endgültig feststand. Und genau so

74


geschah es auch. Ich erkannte, dass das vokale Element meines Werks, das heisst also das Element, das auf dem Atem beruht, am besten durch ein Or­che­ster zu unterstützen sei, das nur Instrumente aufweist, deren Ton durch den Schlag entsteht. So fand ich meine Lösung; das Ensemble, das ich wählte, bestand aus Klavieren, Pauken, Glocken, Xylophon – Instrumenten, deren Töne genau abgestimmt sind – und ferner aus Trommeln verschiedenen Klangs und verschiedener Höhe – Instrumenten also, die keine genaue Note wiedergeben. Diese klangliche Zusammenstellung ergab sich, wie man sieht, notwendig und allein aus meiner Musik zu Les Noces, und sie entstammte durchaus nicht dem Wunsch, den Klang solcher Volksfeste nachzuahmen. Im Übrigen habe ich Feste dieser Art in meinem Leben weder gesehen noch gehört. Aus der gleichen geistigen Einstellung heraus war auch die Musik selbst entstanden. Ich habe keine Anleihen bei den russischen Volksweisen ge­macht, mit Ausnahme eines Themas, das im letzten Bild mehrmals zu verschiedenem Text wie­der­holt wird («bis zum Gürtel bin ich mit Gold behängt» – «das schöne Bett ist gut bereitet, das schöne viereckige Bett»), ein Thema, das ich einem russischen Arbeiterlied ent­nom­men habe. Alle anderen Themen, Motive und Melodien habe ich selber erfunden. Ich begann die Instrumentierung noch in Biarritz gegen Ende des Winters, ich beendete sie in Monaco am 6. April. Die Inszenierung der Noces war mit offenbarem Talent entworfen, aber – ich muss das hier sagen – sie entsprach nicht meinem ursprünglichen Plan. Ich hatte sie mir ganz anders vorgestellt. Die Aufführung sollte nach meiner Idee den Charakter eines «Divertissements» haben, und so wollte ich das Werk auch nennen. Es kam mir nicht darauf an, die Gebräuche einer ländlichen Hochzeit genau nachzuzeichnen; ich hatte keinerlei Vorliebe für ethnografische Fragen. Ich wollte vielmehr selber eine Art szenischer Zeremonie erfinden, und ich be­dien­te mich dabei ritueller Elemente aus jenen Bräuchen, die in Russland seit Jahr­hun­derten bei ländlichen Hochzeiten üblich sind. Diese Elemente jedoch dienten mir nur als An­regung, ich bewahrte mir durchaus die Freiheit, sie so zu verwenden, wie es mir passte. Wie seiner­zeit bei der Geschichte vom Soldaten, und auch aus den gleichen Gründen, wollte ich den instrumentalen Apparat wieder neben den Schauspielern (Tänzern) sichtbar aufbauen und ihn so gewissermassen am Ensemble der sze-

Das komplette Programmbuch können Sie auf www.opernhaus.ch/shop oder am Vorstellungsabend im Foyer des Opernhauses erwerben

75


nischen Aktion teilnehmen lassen. Des­halb sollte das Orchester auf der Bühne spielen, und nur der restliche Raum sollte den Schau­spielern vorbehalten bleiben. Dass die Bühnenkünstler russische Kostüme getragen hätten, während die Musiker im Frack erschienen wären, hätte mich nicht im Geringsten gestört, im Gegenteil, das hätte genau meinem Plan des «Divertissements» entsprochen: es hätte wie eine Art Maskerade gewirkt. Diaghilew konnte sich mit meinen Vorschlägen nicht befreunden. Um ihn zu überzeugen, erinnerte ich ihn an den Erfolg, den die Inszenierung der «Geschichte vom Soldaten» ge­habt hatte. Aber dadurch reizte ich ihn erst recht zu wütendem Widerstand. Diese «Ge­schichte» konnte er nicht verwinden. All meine Mühe war also umsonst. Ich fand mich schliesslich schweren Herzens mit seiner In­szenierung ab, denn ich glaubte nicht das Recht zu haben, die Aufführung in Frage zu stellen. Ausserdem sagte ich mir, dass, alles in allem genommen, mein Werk durch die ge­plante szenische Wiedergabe nicht kompromittiert werde. Am 13. Juni 1923 fand in Paris im Théâtre de la Gaîtié-Lyrique die erste Vorstellung der Noces statt. Ansermet dirigierte das Werk meisterlich, und es blieb auch später eine der bemerkenswertesten Spezialitäten seiner Dirigentenkunst. Die Ausstattung war, was Farbe und Beleuchtung betrifft, sehr gut gelungen. Den Hinter­grund bildeten in allen Szenen Vorhänge, auf denen mit sparsamen Mitteln eine russische Bauernstube angedeutet war. Der dekorative Rahmen ebenso wie die geschickt vereinfach­ten und auf einen Nenner gebrachten Kostüme stammten von Natalia Goncharova. Der öffentlichen Premiere war eine private Aufführung des Werks vorangegangen, und zwar in einem Konzert bei der Prinzessin Edmond de Polignac, die keine Gelegenheit vorübergehen liess, bei der sie mir ihre freundschaftliche Zuneigung beweisen konnte. Um­fas­send gebildet, ausgezeichnet als Musikerin, Malerin von unbezweifelbarem Talent, förderte und ermutigte sie immer wieder Kunst und Künstler. Ich werde stets mit Dank­bar­keit an ihre Soiréen zurückdenken, bei denen ich eine Reihe meiner Werke bald nach ihrer Vollendung vorführen durfte, so ausser den Noces auch die Geschichte vom Sol­daten, das Concerto, die Klaviersonate, die ihr gewidmet ist, Oedipus Rex und anderes mehr.

Das komplette Programmbuch können Sie auf www.opernhaus.ch/shop oder am Vorstellungsabend im Foyer des Opernhauses erwerben

76



WIE EIN EINZIGER AKKORD Bronislawa Nijinska über «Les Noces»

Die Handlung von Les Noces spielt im Milieu einer BauernfamiIie. Solche Hochzeiten im alten Russland hatten für mich immer eine gewisse Dramatik, eine Dramatik insofern, dass der Zufall das Schicksal der Verlobten entschied: Sie waren von ihren Eltern, denen sie zu Gehorsam verpflichtet waren, füreinander ausgewählt worden. Die Liebe spielte dabei überhaupt keine Rolle. Die Braut wusste vielleicht gar nichts über die Familie, in die sie einheiraten sollte, nichts von der Zukunft, die sie erwartete. Würde sie von ihrem Gatten geliebt werden? Würde sie als Mitglied dieser unbekannten Familie willkommen geheissen werden? Sie würde sich nicht nur ihrem zukünftigen Gatten, sondern auch seinen Eltern unterwerfen müssen. Bis­her geliebt und verzärtelt von ihrer eigenen Familie, würde sie von einer anderen, unge­ho­belten, vielleicht nur als Magd, als zusätzliche Arbeitskraft betrachtet werden. Das un­schuldige Mädchen ist tief beunruhigt, denn auf immer wird es das sorglose Leben der ge­liebten Tochter einer zärtlichen Mutter hinter sich lassen. Auch der junge Mann hat keine Ahnung, wie sein zukünftiges Leben sein wird, an der Seite eines Mädchens, das er, wenn überhaupt, nur flüchtig kennt. Wie können diese zwei Ge­schöpfe während der Hochzeitsfeierlichkeiten unbeschwert fröhlich sein? Beide sind mit ihren Gedanken ganz woanders. Nur die Eltern und die Freunde sind glücklich, denn für sie bedeutet eine Hochzeit ein Fest, ist Grund für ein Festmahl, für Gesang und Tanz. Die Ge­fühle der Neuvermählten sind weit entfernt von all dem, wenn sie nun versuchen, in ihren Herzen Verständnis füreinander zu erwecken, während sie in den Ehestand treten. Von diesem Konzept einer Bauernhochzeit, von diesen Gefühlen ausgehend, entstand die Idee zur Choreografie. Mit dieser Vision einer Hochzeit

78


ging ich daran, das Werk zu in­szenieren. In einem Ballett die Rituale und Reali­ tät einer solchen Zeremonie lebendig zu machen, schien mir eine andere Methode zu erfordern, als in meiner Kunstform üblich ist: durch Bewegung allein Form und Ausdruck zu gestalten. Mimik war mir fremd, Requisiten nutzlos. Strawinskys eigenes Libretto war alles, was ich brauchte, und ich bekam alle Inspiration durch die Musik, die sich in mir in Bewegung umsetzte, in die gesamte Handlung des Bal­letts. Ihr eigener Rhythmus, ihre tiefe, schwere Atmosphäre mit den seltenen Blitzen der Fröhlichkeit, liessen die choreografische Form entstehen. Und ich fand darin die Mög­lich­keit, einen neuen Weg zu gehen: das sogenannte Corps de Ballet auf eine höhere künst­le­­­rische Ebene zu heben, auf der die gesamte Handlung abläuft. Kein einziger Tänzer ragt aus der Gruppe heraus, es gibt keine Solisten. Auf diese Weise würden alle während der Bewegung zu einer Einheit verschmolzen werden. In meiner Version würde die ganze Gruppe der Tänzer so wie ein Orchester, als Einheit sprechen, um die Schattierungen der Choreografie zu deuten. Die Handlungen der einzelnen Personen würden nicht von ihnen als Individuen gezeigt werden, sondern von der ganzen Gruppe. Die Verlobte und ihre Freundinnen sind durch die gemeinsame Dar­stel­lung der gesamten Handlung verbunden, während die jungen Freunde des Bräutigams, Burschen, die sich vor der Hochzeit vergnügen, mit ihm eine Einheit bilden. Die Eltern sind nur von zweit­rangiger Bedeutung, praktisch ausdruckslos. In der vierten Szene würde die Handlung ruhen und nur der Tanz die «Autorität» des En­sembles demonstrieren. Die Frauenseite sollte von Ljubow Tschernitschewa angeführt werden, die mit ihrer Technik alles verkörpern und umfassen würde, nur manchmal einige wenige Soloschritte ausführend, wie sie die Partitur vorschrieb. Auf ähnliche Weise würde der Männerblock von einem der führenden Tänzer der Kompanie angeführt werden, von dem ausgezeichneten Leon Woizikowski. Das Problem, die Musik verständlich zu machen, habe ich nicht dadurch gelöst, die kom­pli­zierten und asymmetrischen Rhythmen Strawinskys durch exakt auf die internen Zeichen angepasste Schrittfolgen zu imitieren, das schien mir vom tänzerischen Standpunkt her nicht nur fast undurchführbar, sondern sogar absurd. Indem ich einige musikalische Takte zu einem einzigen verband,

Das komplette Programmbuch können Sie auf www.opernhaus.ch/shop oder am Vorstellungsabend im Foyer des Opernhauses erwerben

79


schuf ich einen choreografischen «Takt», der, wenn er auch dem ursprüngliche musikalischen nicht vollständig entsprach, sich der Klangfülle der Musik immer unterordnete. Die Choreografie schien mir grossteils unabhängig von der künst­ li­chen Gliederung der Partitur. Die Tänzer mussten wie ein einziger Akkord klingen, wie Musikinstrumente, und sich mit diesen vollständig verbünden. In meiner eigenen schöpferischen Phantasie musste die Choreografie von Noces das musikalische Bild als Ganzes widerspiegeln. Sobald ich dieses vollständig begriffen hatte, schuf sich das choreografische Bild von selbst, in enger Verbindung zur Musik und in voll­­ständiger Harmonie mit ihr. Diaghilew zeigte grosses Interesse während der Arbeit an diesem Ballett, und Les Noces waren das einzige Werk, bei dem er dem Choreografen gestattete, Einfluss auf die Aus­stat­­­tung und die Gesamtproduktion zu nehmen.

Das komplette Programmbuch können Sie auf www.opernhaus.ch/shop oder am Vorstellungsabend im Foyer des Opernhauses erwerben

80




LES NOCES Libretto 1. Bild: Der Zopf Braut, Hochzeitsgäste, Mutter

Flechte, flechte meine Zöpfe. Vorhang

Sorgfältig hat dich gestern die Mutter geflochten, mein Zopf, mit einem Silberkamm deine Knoten gelöst. Ach ich Arme, tausendfach Arme! Nastasias Zopf werden sie flechten, der Timofejewna werden sie den Zopf flechten, dann werden sie ihn kämmen und schliesslich mit einem roten Band schmücken. Und eines Tages, wer kam? Die Kupplerin ohne Herz, diese böse, neidische und mitleidlose Person. Sie begann das Mädchen zu kneifen und am Zopf zu ziehen, sie kniff das Mädchen und band ihr den Zopf los. Beruhige dich, mein liebes Vögelchen, weine nicht, meine geliebte Nastasia, trauere nicht und weine nicht, Timofejewna, mein Herz, auch wenn du in die Ferne ziehst, wird dort doch die Nachtigall für dich singen. Der Schwiegervater öffnet die Arme, wenn du kommst, die Schwiegermutter nimmt dich freundlich und geneigt auf und wird dich lieben. Fetis Pamfiljewitsch, ein schöner Baum wächst in deinem Garten und darauf singt die Nachtigall. Sie singt sicherlich, damit sie zufrieden ist; Tag und Nacht bekennt sie ihr aus der Baumkrone ihre Liebe. Nur für dich, Nastasia Timofejewna, nur wegen dir singt sie und wird singen, sie singt dir ihr schönstes Lied, sie lässt dich schlafen, weckt dich erst zur Messe. Sing nur, Vögelchen, auf deinem Ast.

Sing nur, sing immerzu, Nastasia wird zufrieden sein. Sing nur, damit ihr jeder Tag zum Sonntag wird. Das Bächlein flieht mit schäumendem Wasser, bis hier sind wir gekommen, sitzen auf der Erde. Wir lachen und trinken, die Trommel klingt und die Flöte singt, alles dreht sich im Kreis und drängt sich. Unsere liebe Nastasia haben sie zur Hochzeit gebracht. Flechtet mir den Zopf, wie es sich gehört – oben stramm, in der Mitte locker und mit einem schönen blauen Band am Ende. Kommt näher, liebe Mutter, tretet nur in unser Häuschen ein, helft der Kupplerin den Zopf zu lösen, bei der blonden Nastasia, die heiraten wird. Sie werden Nastasia den Zopf flechten, sie werden der Timofejewna den Zopf flechten, sie werden ihn wieder und neu flechten. Schönes blaues Band, schönes rotes Band, rot wie meine Wangen, blau wie meine Augen.

Das komplette Programmbuch können Sie auf www.opernhaus.ch/shop 2. Bild: Beim Bräutigam oder am Vorstellungsabend im Foyer des Opernhauses erwerben Bräutigam, Eltern, Hochzeitsgäste

Tretet ein in unser Haus, teure Mutter, helft uns, die Locken des Bräutigams zu entwirren, kämmt sie eine nach der anderen. Womit kämmen wir die Locken von Fetis? Womit glätten wir die Locken von Pamfiljewitsch? Tretet nur ein in das Haus, teure Mutter, helft der Kupplerin, die Locken zu entwirren. Schnell, Freunde, wir gehen in der Stadt über die drei Märkte; dort kaufen wir eine Flasche mit Öl, damit die Locken des Bräutigams glänzen! Gestern noch war Fetis in seinem Haus, kämmte sich seine blonden Locken und sorgte für sich. Wem gehört ihr jetzt, schöne blonde Locken? Wem gehört ihr jetzt, schöne gedrehte Locken? Einem Mädchen mit roten Wangen und einem schönen Namen. Nastasia, jetzt wirst du dich um des Mannes Locken kümmern.


Oh, ihr Locken, das muss man sehen, wir ihr euch wellt, wie ihr euch dreht, Löckchen des Bräutigams! Seine arme Mutter, als sie ihm die Haare kämmte, beschwerte sie sich: «Mein Söhnchen, neun Monate habe ich dich unter dem Herzen getragen, und jetzt, mein teures Kind, wird eine andere dich haben, eine andere wird dich lieben, eine andere dich kämmen!» Wem werden die sorgfältig gekämmten Locken gehören, blond und schön gewellt, wunderbar gekämmte und gut gepflegte Locken, so hübsch gedreht und mit Liebe gekämmt! Ehre und Ruhm den Eltern, Vater und Mutter haben ihr Kind gut erzogen, sie hatten einen sanften, lieben, vorsichtigen, stolzen und gehorsamen Sohn. Legt euch, blonde Locken, nett um den ganzen Kopf. Und du, liebe Nastasia, gewöhne dich an einen übermütigen Mann, auch wenn es dir nicht gefällt. Überall, auch in Moskau, springen ihm die Mädchen an den Hals. Heilige gnadenreiche Mutter, heilige Mutter, komm mit uns. Heiligste Gottesmutter, komm mit uns. Und Apostel und Engel, kommt mit uns. Gott segne uns und Du, sein Sohn, komm mit uns. Vater und Mutter, gebt eurem Kind den Segen, so stolz kommt der Zerstörer aller Mauern dorthin, wo Herr Fetis sich aufhält, um sich der ihm Versprochenen zu bemächtigen. Auch hier flackern die Kerzen. Er soll in die Kirche treten und das silberne Kreuz küssen, denn dort wartet die heilige Jungfrau auf ihn. Kommt her, ihr Kameraden, die ihr mit euren Schritten den Strassenstaub aufwirbelt und euch durch die Welt schleppt. Segnet alle den jungen Prinzen, der heiraten wird, damit er glücklich seinen Weg antritt und das nimmt, was ihm bestimmt ist, und unter die goldene Krone kommt. Holla!

So wie ein Federchen zur Erde fällt und eine Blüte knickt, so fiel das Federchen dem Vater zu Füssen, so fiel er in Demut vor der Mutter auf die Knie. Und sagte: Segnet euer Kind, damit es vor dem Auge Gottes unter dessen Schutz, unter dem Schutz aller Heiligen sich auf den Weg macht. O Herr, segne uns alle, und der heilige Damian soll uns ebenfalls segnen! Segne uns alle, Herr, die wir auf der Hochzeit sind, so wie du unsere Eltern gesegnet hast. Holla! Gott segne uns und die ganze Familie, Gott segne uns und Sohn und Tochter, Vater und Mutter, Mutter und Vater, Gott segne uns und Schwester und Bruder, Gott segne uns und alle, die ihn fürchten und ihm treu sind. Gott sieht uns und hilft uns, Gott segne uns. Und komm mit uns! Komm mit uns, heiliger Lukas, wache über uns, die wir in die Ehe eintreten und die er selbst aussuchte, deren Ehe soll er leiten. Richte für sie alles zum Besten ein, heiliger Lukas, für die beiden Auserwählten. Stehe heute an ihrer Seite, einer ist dem anderen versprochen; wache auf immer über sie und ihre Kinder.

3. Bild: Die Begleitung der Braut Braut, Hochzeitsgäste, Mutter

So wie wir am Himmel den blassen Mond und die Sonne sehen, so lebte in einem Palast an der Seite des alten Vaters eine Prinzessin und war glücklich mit ihrem Vater und ihrer Mutter. Segnet mich, Vater, ich gehe und kehre nie mehr zurück. So wie vor der heiligen Ikone die goldene Kerze kleiner wird und das Wachs am Leuchter nach unten rinnt, so sind die Füsse schnell an die Erde gekettet. Bevor sie in die Ferne geht, weg von denen, die sie liebt, bevor die Prinzessin ihren Vater verlässt,


so segnet sie. Mit Brot, Salz und dem dreifach heiligen Bild, kommt mit uns, heiliger Kosmas und Damian, kommt mit uns! In der unteren schönen Kammer liessen sich zwei Täubchen nieder. Heiliger Kosmas, heiliger Schmied, wähle deine besten Nägel und schmiede unser Eheband, schmiede es, Kosmas, schmiede es wesenhaft und fest, damit es bis zum Ende unserer Tage hält, bis zur Zeit unserer Enkel. Der heilige Kosmas und der heilige Damian erhörten uns, traten hinunter auf den Hof, kehrten mit Nägeln zurück. Und schon singt man, tanzt und trinkt, mit aller Kraft wird die Trommel geschlagen. Schmiede unser Eheband, wie nur du es schmieden kannst, versorge die Eheleute, so dass sie bis ins Alter zueinander stehen, bis zur Zeit ihrer Enkel. Und du, der du deinen Sohn geopfert hast, du, der du durch Jesus Christus auf die Welt gekommen bist, komm zur Hochzeit und segne sie, halte die Eheleute beieinander, und auch alle Apostel und alle Heiligen im Paradies, so wie ein Hopfenstock den Stamm bis zum Gipfel umschlingt, so sollen sich beide Eheleute umeinander drehen, hei, hei, hei...

mit dem silbernen Band hängen lassen. Kind, das ich auf die Welt gebracht habe... Die Mütter gehen ab. Die Bühne bleibt leer.

4. Bild: Das Hochzeitsmahl Neuvermählte, Eltern, Brautwerber, Hochzeitsgäste

... hei, hei, hei...

Zwei Blüten wachsen an einem Zweig, die eine rot, die andere weiss. Ei! Und jetzt hat die rote die weisse angesprochen, die weisse befand sich auf dem Zweig gleich daneben. Wer kommt? Theodor? Der gelockte Jüngling? Und Fetis ist die Blüte an dem Zweig, und Fetis ist die rote, Nastasia die weisse Blüte. Theodor fand einen goldenen Ring, mit einem grossen Rubin geschmückt. Wer kommt so fröhlich? Ist das etwa Herr Palagaj? Was geschah Herrn Palagaj? Er verlor den goldenen Ring, mit einem grossen Rubin geschmückt. Er ist nicht mehr fröhlich, der arme Palagaj. Die rote Blüte am Zweig neigt sich zu der weissen, die weisse neigt sich zu der roten Blüte am Zweig. Hu, hu. Die Gans kam, direkt durch die Tür. Ei! Sie schlug so mit den Flügeln, das sie brachen, die Wände bebten, sie weckte uns alle. Ei! Hier ist die Frau, die Gott dir gegeben hat. Säe Leinen, Frau. Was haben sie dir nur gesagt, Braut? Du musst deine Wäsche sauber halten, Hemden und Unterzeug!

Von links und rechts kommen die Mütter des Bräutigams

Die Mutter der Braut führt ihre Tochter zum Schwiegersohn.

und der Braut auf die Bühne.

Mein lieber Schwiegersohn, deiner Sorge vertraue ich mein geliebtes Kind an. Liebe sie wie dich selbst, schüttele sie wie eine Pflaume. Säe du das Leinen und fordere von ihr deine Hemden, hüte im Keller oder auf dem Speicher die Handwerker, sei vom Morgengrauen bis zur Abenddämmerung

Das komplette Programmbuch können Sie auf www.opernhaus.ch/shop oder am Vorstellungsabend im Foyer des Opernhauses erwerben Die Braut geht ab – alle verlassen die Bühne und begleiten sie. Die Bühne bleibt leer.

Mein teures Kind, das ich auf die Welt gebracht und gestillt habe, mein teures, von mir geborenes Kind, kehr zu mir zurück; teures Kind, lass mich nicht warten, kehr zu mir zurück, Kind meines Schosses, du bist weggegangen und hast am Nagel den Schlüssel


auf den Beinen. Unsere Herren kamen, lachten und tranken, unsere Herren kamen, tranken Maria zu: «Trinke, schöne Maria, iss, iss dich satt.» «Ich esse und trinke nicht, schenke euch kein Gehör.» «Und wenn es dein guter Freund wäre?» «Er würde essen und trinken und auch lachen.» «Hei, grauer, streunender Rock, woher kommst du, Gänschen, woher kommst du, Graue, woher kommst du, Schöne, und was hast du dort gesehen?» «Ich war weit auf dem unendlichen Meer. Das weisse Fräulein hat dort gebadet, seine weissen, sonntäglichen Kleider im Meer nass gemacht.» «Hat er das Fräulein gesehen? Hat der weisse Schwanenmann sein Weibchen gesehen?» «Wie hätte ich es sehen sollen, wenn ich nicht dort gewesen wäre?» «Wie hätte man sie nicht sehen sollen, wenn sie dort war?» «Wo ein Schwanenmann ist, da ist auch sein Weibchen, wo er sich aufhält, ist sie unter seinem Flügel, wo Fetis ist, ist auch die, die er liebt, wo sie schläft, da schläft er zusammengerollt bei ihr.» Dort schwimmen zwei weisse Schwäne, ei, holla he, zwei Schwäne weit von hier. Und ihr, böse Zungen und kleinlichen Häupter, ihr Grünschnäbel und Milchbärte, ihr nackten Hintern und nackten Füsse, kommt alle her! Ein Hochzeitsgast wählt unter den Gästen einen Mann und dessen Frau und schickt sie aus, den Neuvermählten das Bett anzuwärmen.

Er sagte: «Ich gehe es an.» Und sie sagte: «Heirate mich.» Er sagte: «Das Bett ist schmal.» Und sie sagte: «Wir machen das irgendwie.» Er sagte: «Weisst du, das Bett ist kalt.» Und sie sagte: «Dann wärmen wir das Bett an.» So klingt für dich, Fetis, das Lied von zwei Menschen.

Für die rote und die weisse Blüte, die am Zweig zusammen sind. Hörst du, Fetis, hörst du, Pamfiljewitsch? Vom Mädchen und dem Jungen singen sie euch ein Lied. Wo man sich unterhält, dort trinkt man, und wo man trinkt, dort ist es gut. Unsere Herren kamen, ganz klar, und sagten: Wir kennen das, bei uns sind die Hochzeiten immer phantastisch, bei uns trinkt man neun Arten Wein, und jenen zehnten, der unvergleichlich ist. Unsere Nastasia geht, um in der Fremde zu leben. Wenn sie sich nur zu helfen weiss und alles gut geht! Sie soll sich demütigen und sich unterordnen. Ein ergebener Kopf braucht kein Kopfkissen. Lächle dem Armen und dem Reichen lieb zu, aber am meisten deinem Mann. Und der Jüngling entfernt sich durch die lange Strasse, er geht in den grünen Garten, schaut Nastasia an und denkt: Er hat schöne Hosen und einen schönen Hut, Nastasia hat einen leichten Schritt, ihren Mantel aus Goldstoff schmückt ein Biberfellkragen. Gut, Bruder, leere deinen Becher jetzt bis zum Grund! Und dann vergiss die Geschenke nicht! Die Neuvermählten brauchen eine Menge Dinge. Zunächst wünschen sie sich ein schönes, anständiges Haus, dann werden sie es vergrössern wollen. Schliesslich schmücken sie es und werden prahlen: Wie, Freunde, leben wir nicht gut? Der Wein hat einen wunderbaren Geschmack und bleibt in der Kehle! Das kostet kaum einen Sechser, das ist nicht viel, wenn er ihr ein Kind macht, wird es zwei Mal mehr kosten. Ich beachte das nicht, es ist mir egal. Im Haus singt man und vor der Tür erklingen Beschwerden: «Wo bist du, du Scheusal, wo bist du, böses Weib?»


Habt ihr nicht gesehen, dass das Mädchen nicht mehr interessiert ist? Sie trotzt und stösst ihn mit dem Ellbogen an, sie dreht sich zu ihm, damit sie besser trotzt, muss man sie ins Bett stecken. Wenn der Herr das Geld herausholt, wird es ihn hundert Rubel kosten. Frau und Mann, die das Bett vorgewärmt haben, treten auf. Sie führen Fetis und Nastasia bis zum Bett und helfen ihnen hinein. Dann lassen sie die beiden allein und schlies­sen die Tür. Die beiden Väter und die beiden Mütter setzen sich vor der Tür auf eine Bank, die übrigen Gäste stehen ihnen gegenüber.

Das schöne Bett ist gemacht, das schöne quadratische Bett! Auf dem Bett liegt eine Decke und neben ihr ein Kopfkissen, unter dem Kopfkissen ein gut gespanntes Betttuch und unter dem Federbett versteckt sich wer. Es ist der lockenköpfige Fetis, denn der Spatz hat sein Nest gefunden. Fetis Pamfiljewitsch drückt sein Weibchen an sich, legt sie in sein Bett, nimmt seine Nastasia in die Arme, legt sie auf sein Herz: «Jetzt also, meine Liebe und meine Süsse, bist du die Blüte meiner Tage und der Honig meiner Nächte, ich werde mit dir leben, wie man leben soll, damit alle uns beneiden, damit wir Neid erwecken.»

Das komplette Programmbuch können Sie auf www.opernhaus.ch/shop oder am Vorstellungsabend im Foyer des Opernhauses erwerben Der Vorhang fallt langsam zu den Klängen der Musik.





BALLETT ZÜRICH


Cathy Marston Ballettdirektorin

Die international renommierte Choreografin Cathy Marston besitzt sowohl die britische als auch die schweizerische Staatsbürgerschaft. Seit August 2023 ist sie Direktorin des Balletts Zürich. Ihre Tanzausbildung erhielt sie in Cambridge und an der Royal Ballet School London. Zwischen 1994 und 1999 tanzte sie im Ballett Zürich, im Ballett des Luzerner Theaters und beim Konzert Theater Bern. Von 2002 bis 2006 war sie As­ so­ciate Artist des Royal Opera House London und von 2007 bis 2013 Ballettdirektorin am Konzert Theater Bern. Seit Jahren höchst erfolgreich als freischaffende Choreografin tätig, wurde Cathy Marston von einer Vielzahl namhafter internationaler Compagnien und Institutionen eingeladen. Kreationen entstanden unter anderem für das Royal Ballet, das Königlich Dänische Ballett, das English National Ballet, das Nor­thern Ballet, das Finnische Nationalballett, das Ballet Black, das National Ballet of Cuba sowie für die Opera Australia und die Hong Kong Academy of Performing Arts. In den letzten Jahren arbeitete sie vermehrt in den USA, so für das San Francisco Ballet, das American Ballet Theatre, das Houston Ballet und das Joffrey Ballet Chicago. In ihren choreografischen Arbeiten lässt sie grosse literarische Vorlagen im Tanz lebendig werden, ausserdem nähert sie sich bedeutenden historischen Persönlichkeiten auf ungewohnte und originelle Weise. Grosse Erfolge feierte sie mit ihren Ballettadaptionen Mrs. Robinson (nach Charles Webbs Roman The Graduate), Snowblind (nach Edith Whartons Roman Ethan Frome), Charlotte Brontés Jane Eyre und John Steinbecks Von Mäusen und Menschen. Ungewöhnliche Sichtweisen prägen auch ihre biografisch inspirierten Werke The Cellist, Victoria und Hexenhatz. Für ihr choreografisches Schaffen wurde Cathy Marston mehrfach ausgezeichnet, darunter mit einem South Bank Sky Arts Award und dem britischen National Dance Award. 2020 verlieh ihr das Internatio­nal Institute for Dance and Theatre einen Preis für Exzellenz im internationalen Tanz.


Dores André Erste Solistin

Dores André stammt aus Spanien. Ihre Tanzausbildung erhielt sie am Estudio de Danza María de Ávila. Ausserdem hat sie einen Master in Design der Universität Barcelona. Sie war Mitglied des San Francisco Ballet, seit 2016 Principal Dancer. Sie tanzte Hauptrollen in Giselle, La Sylphide, Der Nussknacker, Julia in Romeo und Julia, Kitri in Tomasson/Possakhovs Don Qui­xote, Swanilda in Balanchines Coppélia, Olga in John Crankos Onegin, Elizabeth Lavenza in Liam Scarletts Frankenstein, Cinderella in Christopher Wheeldons Cinderella und John Neumeiers The Little Mermaid. Ausserdem kreierte sie Soloparts in Pas/Parts 2016 von William Forsythe, Thread von Kevin Jenkins, Guernica von Annabelle Lopez Ochoa, Hurry Up, We’re Dreaming und In the Countenance of Kings von Justin Peck, Björk Ballet von Artur Pita, Fearful Symmetries von Liam Scarlett, Manifesto von Myles Thatcher und Bound to von Christopher Wheeldon. Ausserdem tanz­ te sie in Choreografien von Jiří Bubeníček, Val Cani­pa­ ro­ li, Serge Lifar, Yuri Possokhov, Alexei Ratmansky, und Jerome Robbins. Seit der Saison 2023/24 ist Dores André Erste Solistin des Balletts Zürich.

Das komplette Programmbuch können Sie auf www.opernhaus.ch/shop oder am Vorstellungsabend im Foyer des Opernhauses erwerben Esteban Berlanga Erster Solist

Esteban Berlanga stammt aus Spanien. Nach seiner Ausbildung am Royal Conservatory of Albacete und am Professional Dance Conservatory of Madrid tanzte er von 2006 bis 2013 im English National Ballet. Dort wurde er 2012 zum Ersten Solisten ernannt. U. a. tanzte er Prinz Siegfried in Schwanensee von Derek Dean, den Prinzen in Kenneth MacMillans Dornröschen, Albrecht in Giselle von Mary Skeaping, den Nussknacker in der Choreografie von Wayne Eagling und Frédéric in L’Arlésienne von Roland Petit. Ausserdem war er in Choreo­ grafien von Jiří Kylián und Maurice Béjart zu sehen. Für Faun(e) von David Dawson wurde er für den «Benois de la Danse» nominiert. Von 2013 bis 2018 war er Prin­cipal Dancer in der Compañia Nacional de Danza de España. Dort war er solistisch u. a. in Choreografien von William Forsythe, Itzik Galili und Roland Petit zu er­leben. Seit der Saison 2018/19 ist er Mitglied des Balletts Zürich und tanzte hier u. a. Hauptrollen in Christian Spucks Winterreise, Dornröschen, Messa da Requiem und Anna Karenina, in Marco Goeckes Nijinski und Almost Blue, Crystal Pites Angels’ Atlas und Emergence sowie den Dirigenten in Cathy Marstons The Cellist.


Programmheft TIMEKEEPERS Choreografien von Meryl Tankard, Mthuthuzeli November und Bronislawa Nijinska

Das komplette Programmbuch können Sie auf www.opernhaus.ch/shop oder am Vorstellungsabend im Foyer des Opernhauses erwerben Premiere am 20. Januar 2024, Spielzeit 2023/24 Herausgeber

Opernhaus Zürich

Intendant

Andreas Homoki

Zusammenstellung, Redaktion

Michael Küster

Layout, Grafische Gestaltung

Carole Bolli

Titelseite Visual

François Berthoud

Anzeigenverkauf

Opernhaus Zürich, Marketing

Telefon 044 268 66 33, inserate@opernhaus.ch

Schriftkonzept und Logo Druck

Textnachweise: Die Gespräche mit Meryl Tankard, Mthuthuzeli November und Christopher Saunders führte Michael Küster für dieses Programmheft. – Jan Björn Potthast: Erfinderische Femme fatale. https://www.dpma.de/dpma/veroeffentlichungen/ patentefrauen/hedylamarr/index.html – George Antheil: Bad Boy of Music. Autobiographie. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Jutta und Theodor Knust. Hamburg, 2000. – Paul Lehrman: Ein Orchester aus Lautsprechern. Mit freundlicher Genehmigung des Autors. – Mthuthuzeli November schrieb seinen Text für dieses Programmheft. – Ein Kaleidoskop Amerikas. Zu George Gershwins «Rhap­so­ dy in Blue». Nach: Programmheft Philharmonisches Konzert der Philharmonia Zürich, 31.10.2014. – Dorion Weick-

Studio Geissbühler

Fineprint AG

­­ mann schrieb ihren Essay «Die Freibeuterin» über Bronislawa Nijinska für dieses Programmheft. – Igor Strawinsky: Leben und Werk – Von ihm selbst. Zürich und Mainz, 1957. – Bronislawa Nijinska über «Les Noces». In: Programmheft «Les Noces». Wiener Staatsoper 1987/88. Bildnachweise: Gregory Batardon fotografierte das Ballett Zürich bei der Klavier­hauptprobe am 12. Januar 2024. – Die Com­pagnie wurde porträtiert von Karine Grace. Urheber, die nicht erreicht werden konnten, werden zwecks nachträglicher Rechtsabgeltung um Nachricht gebeten.


Unsere Vorstellungen werden ermöglicht dank der Subvention des Kantons Zürich sowie den Beiträgen der Kantone Luzern, Uri, Zug und Aargau im Rahmen der interkantonalen Kulturlastenvereinbarung und den Kantonen Nidwalden, Obwalden und Schwyz. PARTNER

PRODUKTIONSSPONSOREN AMAG Atto primo

Freunde der Oper Zürich Zürich Versicherungs-Gesellschaft AG

Clariant Foundation PROJEKTSPONSOREN René und Susanne Braginsky-Stiftung Freunde des Balletts Zürich

Georg und Bertha Schwyzer-Winiker Stiftung Hans und Edith Sulzer-Oravecz-Stiftung

Ernst Göhner Stiftung

Swiss Life

Hans Imholz-Stiftung

Swiss Re

Max Kohler Stiftung

Zürcher Kantonalbank

Kühne-Stiftung GÖNNERINNEN UND GÖNNER Josef und Pirkko Ackermann Alfons’ Blumenmarkt

KPMG AG Landis & Gyr Stiftung

Familie Thomas Bär

Die Mobiliar

Bergos Privatbank

Fondation Les Mûrons

Margot Bodmer Elektro Compagnoni AG Stiftung Melinda Esterházy de Galantha Fitnessparks Migros Zürich Egon-und-Ingrid-Hug-Stiftung

Pro Helvetia, Schweizer Kulturstiftung StockArt – Stiftung für Musik Else von Sick Stiftung Ernst von Siemens Musikstiftung Elisabeth Weber-Stiftung

Walter B. Kielholz Stiftung FÖRDERINNEN UND FÖRDERER Art Mentor Foundation Lucerne CORAL STUDIO SA Theodor und Constantin Davidoff Stiftung Dr. Samuel Ehrhardt Frankfurter Bankgesellschaft (Schweiz) AG Garmin Switzerland

Elisabeth K. Gates Foundation Stiftung LYRA zur Förderung hochbegabter, junger Musiker und Musikerinnen Irith Rappaport Luzius R. Sprüngli Madlen und Thomas von Stockar



Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.