IL TROVATORE
GIUSEPPE VERDI (1813-1901)
Räche
HANDLUNG
Erster Teil: Das Duell
Ferrando mahnt seine Soldaten zur Wachsamkeit: Ein Troubadour schleiche nachts umher, und Graf Luna sei schon ganz krank vor Eifersucht; Luna liebt Leonora, und der Troubadour ist sein Rivale. Um die Soldaten bei Laune zu halten, erzählt Ferrando von Ereignissen, die sich vor 20 Jahren zugetragen haben: Der jüngere Bruder des Grafen Luna sei von einer «Zigeunerin» entführt worden – aus Rache dafür, dass Lunas Vater deren Mutter auf dem Scheiter haufen verbrannt hatte. Später habe man die verkohlte Leiche eines Kindes gefunden.
Leonora gesteht ihrer Vertrauten Ines, dass sie Manrico liebt, den Trou badour. Sein Lied erklingt, und Leonora will sich dem Troubadour in die Arme werfen – doch in der Dunkelheit verwechselt sie den Grafen mit Manrico. Rasend vor Eifersucht muss Graf Luna erkennen, dass seine Liebe unerwidert bleibt – und dass Manrico der Partei angehört, die Luna im Bürgerkrieg be kämpft.
Zweiter Teil: Die «Zigeunerin»
Die «Zigeuner» feiern und tanzen. Nur Azucena wird von dem schrecklichen Bild einer Frau verfolgt, die in den Flammen verbrennt. Als Azucena mit Manrico – ihrem vermeintlichen Sohn – allein bleibt, bekennt sie diesem, damals aus Rache ein Kind in die Flammen geworfen zu haben – doch war es nicht das geraubte, sondern ihr eigener Sohn.
Manricos aufkommende Zweifel an seiner Herkunft weiss sie zu zerstreuen; sie fordert ihn auf, Rache zu nehmen. Manrico berichtet, wie eine innere Stimme ihn davon abgehalten habe, Luna zu töten, als er die Gelegenheit dazu gehabt hätte; er gelobt Azucena, Luna nicht noch einmal zu verschonen.
Ein Bote bringt Nachrichten: Manrico sei zum Kommandanten der Revolutionäre ernannt worden; Leonora, die glaubt, Manrico sei getötet worden, will ins Kloster gehen. Trotz der Warnungen Azucenas eilt Manrico davon, um Leonora für sich zu gewinnen.
Auch Luna hat erfahren, dass Leonora ins Kloster eintreten will, und plant ihre Entführung. Doch Manrico gelingt es, mit Leonora zu fliehen.
Dritter Teil: Der Sohn der «Zigeunerin»
Die Soldaten warten darauf, endlich loszuschlagen.
Azucena wird aufgegriffen; Ferrando erkennt in ihr die Mörderin von Lunas Bruder. Luna befiehlt, sie auf dem Scheiterhaufen zu verbrennen.
Manrico und Leonora wollen sich trauen lassen. Da erscheint Manricos Vertrauter Ruiz und berichtet, Azucena sei in der Gewalt des Grafen Luna. Manrico stürzt davon, um seine Mutter zu retten.
Vierter Teil: Die Hinrichtung
Auch Manrico ist inzwischen in die Hände Lunas gefallen und soll nun zusam men mit Azucena hingerichtet werden. Leonora fleht bei Luna um Gnade für Manrico; sie bietet sich selbst als Preis an für seine Freilassung. Der Graf glaubt sich am Ziel seiner Wünsche – doch Leonora hat heimlich Gift genommen.
Azucena wird von Schreckensvisionen gequält. Manrico beruhigt sie. Da erscheint Leonora und drängt Manrico zur Flucht. Dieser ahnt, zu welchem Preis Leonora seine Freiheit erkauft hat, und beschuldigt sie des Verrats. Doch bald wird ihm ihr Opfer klar. Leonora stirbt in Manricos Armen.
Der rasende Luna lässt Manrico hinrichten. Da schleudert ihm Azucena die Wahrheit ins Gesicht: Manrico war sein Bruder.
HIER SIND MAGISCHE KRÄFTE AM WERK
Die britische Regisseurin Adele Thomas über ihren Blick auf Verdis «Trovatore»
Adele, dies ist deine erste Operninszenierung hier am Opernhaus Zürich. Wie war dein Weg bisher, welche Erfahrungen haben dich geprägt?
Die ersten zehn Jahre meiner Karriere habe ich im Schauspiel gearbeitet, aber das war nicht unbedingt das, wovon ich geträumt hatte. Als ich mit Anfang 20 zum ersten Mal Alban Bergs Wozzeck auf der Bühne sah, hat das alle meine Sinne geöffnet. Ich verstand, dass Oper das war, was ich immer machen wollte. Im Grunde habe ich aus allen meinen Schauspielinszenierungen Opern gemacht. Ich hatte immer Live Musik dabei, manchmal DJs, oft auch einen Chor oder ein Alte MusikEnsemble.
Trotzdem hat es lange gedauert, bis man dir eine Oper angeboten hat. Warum?
In Grossbritannien gelte ich nicht als klassische Opernregisseurin. Vor allem, weil ich eine junge Frau bin. Dazu kommt, dass sich der Weg über Regieassistenzen für mich nicht richtig angefühlt hat. Ich bin eine schreckliche Assistentin! Und so dachte ich lange, dass ich niemals in der Oper arbeiten würde. Ich habe die Orestie von Aischylos am Globe Theatre inszeniert, als wäre es eine Oper, wenn ich schon nicht an einem Opernhaus arbeiten durfte… Daraufhin bekam ich dann die Chance, am Opernhaus in Belfast Così fan tutte zu inszenieren. Es folgte Georg Friedrich Händels Berenice am Royal Opera House; diese Inszenierung wurde für einen Laurence Olivier Award nominiert, und seitdem bekomme ich nur noch Angebote für Operninszenierungen.
Wie würdest du deine Theatersprache beschreiben?
Die Komödie ist für mich sehr wichtig. Ich bin überzeugt davon, dass die Natur des Menschen im Grunde komisch ist. Auch wenn Geschichten extrem tragisch sind…
… wie das im Trovatore zweifellos der Fall ist. Es gibt in jeder tragischen Geschichte immer auch komische Elemente. Meine Theatersprache ist ausserdem sehr physisch, oft auch stilisiert. Ich arbeite eng mit der Choreografin Emma Woods zusammen. Aber es muss immer alles in den Emotionen verankert sein. Das Schönste ist für mich, wenn die Zu schauer hinterher sagen: Das ging aber schnell vorbei! Dann habe ich meinen Job gut gemacht. Ich denke immer an die Zuschauer, wenn ich inszeniere. Das hat wahrscheinlich damit zu tun, dass ich nicht mit der Oper aufgewachsen bin, dass ich sie nicht einfach als selbstverständlich ansehe. Ich arbeite dafür, dass ich die Menschen erreiche und dass das, was sie sehen, in ihren Herzen ankommt.
Diese Inszenierung ist deine erste Begegnung mit Verdi. Was fasziniert dich an diesem Opernkomponisten? Verdi ist ein fantastischer Dramatiker. Alles, was er möchte, und wovon er auch in seinen Briefen immer wieder schreibt, ist wirkungsvolles Musiktheater. Die Art und Weise, wie er durch die Musik die Geschichte erzählt, ist absolut faszinierend. Wenn man sich mit dem Trovatore beschäftigt, erfährt man natürlich erstmal, dass die Geschichte absolut unverständlich und lächerlich ist…
Denkst du das auch? Nein, das denke ich nicht! Wir haben die Geschichte im 15. Jahrhundert an gesiedelt, in einer fantastisch grotesken Welt, wie sie uns in den Bildern von Hieronymus Bosch begegnet. Der Plot des Trovatore passt gut in diese Welt, in der die Imagination der Menschen zuweilen eine wichtigere Rolle spielt als die Realität. Die Beziehungen zwischen den Figuren, die Situationen, denen sie ausgesetzt sind, ihre Emotionen – all das ist grossartig. Indem wir
es nicht realistisch erzählen, wird es glaubwürdiger und – hoffentlich – auch verständlicher. Hier sind ganz eindeutig magische, übernatürliche Kräfte am Werk. Es gibt viel Aberglauben in diesem Stück und sehr tief sitzende Er innerungen. Für mich könnten diese Figuren keine heutigen Menschen sein, sie gehören eindeutig in die Zeit des 15. Jahrhunderts. Klar, Verdis Musik ist die Musik des 19. Jahrhunderts. Aber wenn man das Drama liest, das der Oper zugrunde liegt, dann spürt man darin die Welt eines Robin Hood oder eines Henry V.
Es sind vor allem die wirkungsvollen Situationen und die extremen emotionalen Zustände der Figuren, die für Verdi im Zentrum stehen und an der sich seine Musik entzündet. Absolut. Und meine Inszenierungsarbeit geht ganz stark von der Musik aus. Im Grunde ist Verdi sehr leicht zu inszenieren: Man weiss genau, in welchem Takt, in welcher Note jemandem das Herz bricht… Man kann sich vollkommen auf die Musik verlassen. In der britischen Theatertradition kommt die Interpretation immer aus dem Text – oder eben aus der Musik; es ist alles schon da, man muss nur tief genug graben. Diese archäologische Arbeit macht mir grossen Spass.
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Wenn du es auf einen Punkt bringen müsstest: Worum geht es für dich im Trovatore?
Das Thema, das den grossen Bogen über das Stück spannt, ist Azucenas «mi vendica», ihr Schrei nach Rache. Es ist, als ob ein Fluch entfesselt wurde von jemandem, der diese Worte murmelt. Im weiteren Verlauf geht es um eine geradezu ekstatische Verbindung der Figuren zur Welt und zum Universum. Ekstase und Obsession treiben den Plot voran.
Auch das Geschichten-Erzählen spielt in der Handlung eine wichtige Rolle, vieles hängt davon ab, auf welche Weise eine Geschichte erzählt wird.
Es ist grossartig, dass das Stück Der Troubadour heisst, denn damit ist ja ein Geschichtenerzähler gemeint. Im Grunde hat jede Figur ihren Troubadour
Moment – einen Moment also, in dem sie oder er eine Geschichte aus ihrer Perspektive erzählt. Zu Beginn erzählt Ferrando einer Gruppe von Männern seine Version der Geschichte aus der Vergangenheit, auf der die Oper beruht; später erzählt Azucena dieselbe Geschichte aus ihrer Perspektive – und ganz anders. Leonora wiederum erzählt, wie sie den Troubadour kennengelernt hat. Die Art und Weise, in der Geschichten weitergegeben werden, bestimmt das Handeln der Figuren.
Das Geschichten-Erzählen kann auch als Manipulation eingesetzt werden. Ja, und dabei werden bewusst Dinge angesprochen, die leider nach wie vor existieren, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus zum Beispiel. So setzt man – wie Ferrando in der ersten Szene des Stückes – obsessive, gefährliche Kräfte in Gemeinschaften frei, die nicht mehr aufzuhalten sind.
Diese Fremdenfeindlichkeit richtet sich gegen Azucena, die im Stück als «Zigeunerin» bezeichnet wird. Dass sie «Zigeunerin» genannt wird, weist darauf hin, dass es um eine Aussen seiterin, eine Randständige geht, deren Fremdheit Ängste auslöst. In der Zeit, in der das Stück spielt, gab es nachweislich in Spanien noch gar keine «Zigeuner». Ich erinnere mich an das Theaterstück Die Hexe von Edmonton aus dem frühen 17. Jahrhundert. Die Hauptfigur ist eine alte Frau, die von der Gemeinschaft als Hexe bezeichnet wird; und da nun einmal alle sie so sehen, beschliesst sie, auch eine Hexe zu werden, und geht einen Bund mit dem Teufel ein. Sie sagt den unglaublichen Satz: «Ich bin nur eine Grube, in die die Menschen ihren Dreck hineinwerfen.» Azucena ist ein bisschen wie diese Frau. Sie hat diesen Hintergrund der «Zigeuner», der NichtSesshaften, und wird als gefährliche Hexe wahrgenommen. Sie ist sogar innerhalb der Gemeinschaft, der sie angehört, eine Aussenseiterin. Ihr gilt Verdis volle Sympathie – es geht ihm ja gerade darum, das Leiden dieser Aussenseiterin sichtbar zu machen.
Azucena ist die eigentliche Hauptfigur der Oper. Eine Zeit lang wollte Verdi sogar die Oper nach ihr benennen.
Für mich ist sie eine der faszinierendsten Figuren der gesamten Opernliteratur. Sie trägt ständig eine Maske und wechselt diese Masken fast mit jedem Satz, den sie sagt. Sie verbirgt immer etwas vor uns. Sie ist nicht fassbar und gleich zeitig extrem verletzlich. Viel ist darüber geschrieben worden, wie wild sie sei und wie stark, ihre Musik ist extrem spannungsvoll und explosiv. Und doch ist sie eben auch verletzlich. Wir wissen nie, woran wir sind mit ihr. Und vielleicht weiss sie das selbst auch nicht so genau; man hat jedenfalls den Ein druck, dass sie schon zu Beginn des Stückes langsam den Bezug zur Realität verliert. Sie versucht verzweifelt, die Kontrolle über ihr Leben zu behalten.
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Und die Kontrolle über Manrico, der in dem Glauben aufgewachsen ist, ihr Sohn zu sein, der er aber in Wirklichkeit gar nicht ist. Die Beziehung der beiden ist sehr komplex; sie sind voneinander abhängig und zerstören sich gleichzeitig gegenseitig. Manrico ist zwar der Troubadour, der Geschichten erzählt und singt, aber er ist auch ein Krieger, der mit den «Zigeunern» aufgewachsen ist. Mit der Liebe zu Leonora erlebt er zum ersten Mal ein Gefühl, das sich nicht auf seine Mutter bezieht. Seine Musik verändert sich ständig. Je nachdem, mit wem er gerade auf der Bühne ist, kann sie einen vollkommen anderen Charakter haben. Manrico ist nicht der aktive, selbstbewusste Held, den man vielleicht erwarten würde, sondern er ist so etwas wie ein Spiegel für die anderen Figuren, die sich in ihm erkennen. Er hat etwas sehr Unschuldiges.
Als er erfährt, dass er nicht der leibliche Sohn Azucenas ist, verliert er komplett den Boden unter den Füssen.
Im Grunde ist er von Beginn an in einem Krisenzustand, in dem er nicht wirklich weiss, wer er ist und wohin er gehört. Das verstärkt sich in dem Moment, in dem ihm Azucena erzählt, wie sie damals ihr eigenes Kind ins Feuer geworfen hat. Diese tiefe Unsicherheit, die Verletzlichkeit, die übrigens auch Graf Luna – Manricos Gegenspieler – empfindet, entspricht nicht dem traditionellen Bild von Männlichkeit.
Und wie würdest du Leonora charakterisieren?
Sie erinnert mich an Frauen, die Heilige sehen können oder religiöse Erscheinungen haben. Und sie hat selbst die rebellische Seite einer weiblichen Heiligen. Sie verhält sich nicht, wie eine Hofdame sich verhalten sollte. Sie hat etwas Wildes und damit auch eine Verbindung zum Ekstatischen, das ich sehr wichtig finde. Im 20. Jahrhundert wäre sie vielleicht ein Hippie gewesen.
Am Schluss ist sie bereit, ihr Leben für Manrico zu opfern. Sie macht eine Entwicklung durch, wie man sie eigentlich vom Helden des Stückes erwarten würde. Wenn sie zum ersten Mal davon singt, dass sie bereit ist, für Manrico zu sterben, scheint sie wie ein Kind, das sich vorstellt, eine Heldin zu sein. Später dann wird das sehr real: Sie bringt dieses Opfer.
Ein Stück voll von Dunkelheit und Tod – wo findest du hier die komi schen Elemente, von denen du vorhin sprachst? Verdi war ein grosser Bewunderer von Shakespeare. Und diese komischen Elemente kommen ganz klar von Shakespeare, der gerade in den düstersten Momenten, den tragischen Höhepunkten den Clown auftreten lässt. Genauso wie das übrigens in vielen mittelalterlichen Stücken der Fall ist. So ist doch auch das Leben! Das Komische gehört ebenso dazu wie das Tragische.
Und es sind dann genau diese Kontraste, die scharfen Gegensätze, die die dramatische Wirkung ausmachen.
Als ich das erste Mal mit unserem Dirigenten Gianandrea Noseda gesprochen habe, sagte er zu mir: Was auch immer du vorhast mit deiner Inszenierung, akzentuiere die Kontraste in diesem Stück! Die Musik ändert sich von einem Moment zum anderen, sie kann vom schönsten Stillstand ins grösste Chaos umschlagen. Das ist in dieser Oper wirklich extrem.
Diese Premiere ist die erste Produktion, in der unser Chor endlich wieder in einer Neuinszenierung auf der Bühne steht. Wie ist die Arbeit mit dem Chor für dich?
Ich liebe es, mit dem Chor zu arbeiten! Die Kraft, die entsteht, wenn so viele Menschen auf der Bühne singen und spielen, ist einfach unglaublich. An
diesem Chor gefällt mir sehr, dass die Sängerinnen und Sänger bereit sind, wirkliche Charaktere auf die Bühne zu bringen, mit vielen wunderbaren Details. Man wird mindestens vier Augenpaare brauchen, um alles zu sehen!
Zum Chor kommen auch noch fünf Tänzer dazu… Unser Tanzensemble wird nicht nur tanzen, sondern unterschiedlichste Charaktere darstellen und eine Dynamik in die Inszenierung bringen, die der Musik entspricht. Sie sind dämonische, nicht menschliche Kreaturen und repräsentieren die dunkle, zerstörerische Kraft, die aus der Hölle kommt –inspiriert von Gemälden von Hieronymus Bosch. Ich freue mich sehr über die Arbeit mit diesem fantastischen Ensemble!
Wenn ich für ihn nicht leben kann, so werde ich für ihn sterben. LeonoraBożena Bujnicka, Marina Rebeka Spielzeit 2021 / 22 Agnieszka Rehlis, Chor der Oper Zürich Spielzeit 2021 /
JE KÜHNER, DESTO BESSER
Briefe von Giuseppe Verdi aus der Entstehungszeit des «Trovatore»
Ich bin schrecklich wütend auf Cammarano. Er berücksichtigt überhaupt nicht die Zeit, die für mich etwas äusserst Kostbares ist. Er hat mir kein Wort über den Trovatore geschrieben: Gefällt er ihm, oder gefällt er ihm nicht? Ich verste he nicht, was Ihr über die Schwierigkeiten, sowohl für den gesunden Menschen verstand, als auch für das Theater sagen wollt!! Im übrigen, je mehr Neuartig keit, Freiheit der Formen mir Cammarano anbietet, um so besser werde ich sein. Mache er getrost all das, was er will; je kühner er sein wird, um so zufrie dener werde ich sein. Er soll lediglich die Forderungen des Publikums im Auge behalten, das Kürze will. – Ihr, der Ihr sein Freund seid, drängt ihn also, keine Zeit zu verlieren.
Verdi an Cesare de Sanctis, den 29. März 1851
Ich habe Euren so ausserordentlich lieben Brief vom 27. März erhalten und habe begriffen, was Ihr zu tun beabsichtigt. Ein Wort zu Euren Einwänden. Die Szene der Einkleidung als Nonne muss erhalten bleiben (sie ist zu originell, als dass ich darauf verzichten könnte); man muss im Gegenteil allen Gewinn, alle nur möglichen Effekte aus ihr herausholen. Wenn Ihr nicht wollt, dass die Nonne freiwillig flieht, dann lasst doch den Troubadour (mit viel Ge folge) sie ohnmächtig entführen. Zwar gibt die Zigeunerin zu verstehen, dass Manrique nicht ihr Sohn ist, aber das sind Worte, die ihr während der Erzählung entschlüpft sind und die sie so rasch zurückzieht, dass der Troubadour, weit davon entfernt, so etwas zu denken, nicht daran glauben kann, dies sei die
Wahrheit. Die Zigeunerin rettet sich und Manrique nicht, weil ihre Mutter ihr auf dem Scheiterhaufen zugerufen hatte: «Vendicami!» Andernorts sagt sie: «Il feroce fantasma le braccia versa me lendendo urlò: Vendicami! E si lanciò fra Ie nubi nell’aria ripetendo: Vendicami!» (Der grimme Geist, die Arme gegen mich reckend, schrie: Räche mich! Und er schwang sich zwischen den Wolken in die Luft und wiederholte: Räche mich!) Die letzten Worte des Dramas sind: «Sei vendicata!» (Du bist gerächt!)
Ihr sagt mir kein Wort darüber, ob Euch das Drama gefällt. Ich habe es Euch vorgeschlagen, weil es mir schöne dramatische Momente, vor allem aber insgesamt etwas Einmaliges, Originelles als Ganzes aufzuweisen schien. Wenn Ihr nicht meiner Meinung wart, warum habt Ihr mir kein anderes Sujet unter breitet? Bei dieser Lage der Dinge ist es gut, wenn Dichter und Komponist dasselbe empfinden! Was die Aufteilung der Nummern betrifft, so möchte ich Euch dieses sagen: Wenn man mir Poesie anbietet, die man in Musik setzen kann, dann ist mir jede Form, jede Aufteilung recht; mehr noch, je neuartiger und ausgefallener diese sind, umso glücklicher bin ich darüber. Wenn es in den Opern keine Kavatinen, keine Duette, keine Terzette, keine Chöre, keine Finali etc. gäbe und wenn die ganze Oper nur (ich möchte fast sagen) eine einzige Nummer wäre, dann würde ich das vernünftiger und richtiger finden. Deshalb sage ich Euch: Wenn man zu Beginn dieser Oper den Chor (alle Opern fangen mit einem Chor an) und Leonoras Cavatina vermeiden und gleich mit dem Gesang des Troubadours anfangen könnte, das wäre gut, denn diese so isolier ten Nummern mit Szenenwechsel bei jeder Nummer haben mir mehr den An schein von Konzert als von Opernnummern. Wenn Ihr könnt, dann macht es. Mir gefällt auch nicht allzu sehr, dass Manrique im Duell verwundet wird. Im übrigen macht, was Ihr für richtig haltet. Wenn man einen Cammarano hat, dann muss man es ja gut machen.
Verdi an Salvatore Cammarano, 4. April 1851
Ich habe Euren Entwurf gelesen und Ihr, ein Mann von so viel überlegenem Talent und Charakter, werdet mir nicht übelnehmen, wenn ich, ein ganz Un würdiger, mir die Freiheit nehme, Euch zu sagen, dass es besser ist, auf dieses Sujet zu verzichten, wenn es sich für unsere Bühnen nicht mit aller Neuheit und Wunderlichkeit des spanischen Dramas behandeln lässt.
Es scheint mir, wenn ich mich nicht täusche, dass verschiedene Situationen nicht mehr die Kraft und Eigenart haben wie früher und dass vor allem Azucena ihren seltsamen, neuartigen Charakter nicht behält; es scheint mir, dass die beiden grossen Leidenschaften dieser Frau, Kindes und Mutterliebe, nicht mehr in aller ihrer Kraft vorhanden sind. (...)
Es würde mir nicht gefallen, dass Azucena ihre Erzählung an die Zigeuner richtet und dass sie im Ensemble des dritten Aktes sagt: Dein Sohn wurde lebend verbrannt usw. Und schliesslich möchte ich sie am Ende nicht irrsinnig haben!!
Erschöpft von der Müdigkeit, vom Schrecken, vom Wachen, kann sie keine geordnete Rede führen. Ihre Sinne sind gelähmt, aber sie ist nicht von Sinnen. Man muss die beiden grossen Leidenschaften dieser Frau bis zuletzt fortdauern lassen: die Liebe zu Manrique und den wilden Durst, die Mutter zu rächen. Wenn Manrique tot ist, wird ihr Rachegefühl gigantisch, und sie sagt in äusserster Erregung: «Si... egli era tuo fratello... Stolto! Sei vendicata, o madre!» (Ja... er war dein Bruder... Du Tor! O Mutter, du bist gerächt!)
Verdi an Salvatore Cammarano, 9. April 1851
Man sagt, diese Oper sei zu traurig, und es gebe darin zu viele Tote, aber ist nicht alles Tod im Leben? Was existiert denn?
Verdi an Clarina Maffei, 29. März 1853
Die Hölle liess, mir zum Unheil,
AM RANDE DER GESELLSCHAFT
Troubadoure und «Zigeuner»Die Vorgeschichte ist verwickelt. Das permanente Thema historischer Bürger kriege scheint auf: Streit um ein Thronerbe. Im Mai 1410 war König Martin I. von Aragon gestorben. Mehrere Bewerber machten Ansprüche auf den Thron geltend, unter ihnen Fernando, der Infant von Kastilien, und Graf Jaime von Urgel. Ein Rat aus Vertretern der hohen Geistlichkeit wie aus kirchlichen und weltlichen Rechtsgelehrten untersuchte in Aragon die Ansprüche der Kronprä tendenten. Sehr nachdrücklich plädierte der Erzbischof von Saragossa für den Kandidaten Fernando, was den Grafen von Urgel so heftig in Harnisch brachte, dass er im Juni 1411 den Erzbischof heimtückisch ermorden liess. Die Bluttat kostete ihn die Sympathien der Räte; im Juni 1412 wurde Fernando die Krone zugesprochen. Der Graf von Urgel protestierte, erhob sich mit einem Heer gegen den neuen König, führte einen langen und zähen Bürgerkrieg gegen den Riva len, unterlag in den entscheidenden Schlachten, geriet schliesslich in Gefangen schaft, wurde seiner sämtlichen Besitzungen und Ämter enthoben und sah sich zu lebenslanger Haft verurteilt. Fernando wurde 1424 gekrönt.
Die beiden Thronprätendenten treten im Drama des Gutiérrez wie in Verdis Oper nicht auf, spiegeln sich aber in den Charakteren der beiden Wider sacher Manrico und Luna, wobei die Feindschaft aus machtpolitischen Gründen angeheizt, ja schliesslich sogar überlagert wird durch die Rivalität um die Liebe Leonoras. Graf Luna, versehen mit dem Namen eines alten spanischen Adels geschlechts, ist Fernandos Statthalter und militärischer Befehlshaber, sozusagen die Exekutive im legalistischen Lager der Kriegführenden; bei Gutiérrez, wo er Don Nuño heisst, gibt er sich weit mehr als Caballero als in der Oper, wo er herrisch, rücksichtslos und brutal seine Privatfehde gegen Manrico unter dem
Karl SchumannMäntelchen der strategischen Raison betreibt, Azucena einem barschen Verhör unterwirft, in Wut und Eifersucht seine Vollmacht rüde überschreitet, kurz sich mit gedecktem Rücken im Recht fühlt und mit einigem Hochmut gegen jeden wütet, der ihm ausgeliefert ist.
Manrico spiegelt als treuer Gefolgsmann Züge des Grafen von Urgel: auf brausend, aufsässig, eine Rebellennatur. Die Troubadour Harfe, mit der er sich einführt – Effekt eines Nachtgesangs, einer Serenade hinter der Szene – und die ihn im «Miserere» begleitet, stellt ein romantisches Attribut dar, das ihn als Künstlernatur ausweisen soll, als einen Vaganten der Poesie und den Damen wohlgefälligen Minneritter, ist aber im übrigen ein Anachronismus: Zu Anfang des 15. Jahrhunderts gab es keine Troubadours mehr. Der provençalische Minne sang, der über das Gebirge hinweg weiter ins nördliche Spanien gelangt war, hatte längst ein Ende gefunden. Der Titel des Werkes – des Dramas von Gutiérrez wie der Oper von Verdi – steht auf schwachen Füssen: Es fanden sich um 1410 keine Troubadours mehr.
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Setzt man sich über die Jahreszahlen hinweg, wie sie der im Stil überspitz ter Handlungen von Gutiérrez erfundenen Liebes , Verwechslungs und Eifer suchtsgeschichte den Rahmen geben, kommt Manricos Troubadour Existenz einige Berechtigung zu: Wie er waren die Minnesänger nicht selten Ausgestossene und Einzelgänger – «deserto sulla terra» bezeichnet sich Manrico in seinen ersten Strophen –, Abkömmlinge niederer Stände, Glücksritter, Desperados, wanderndes Volk, das sich durch Kunstfertigkeit in Gunst zu bringen verstand. Ein Troubadour, der unter «Zigeunern» aufwuchs – eine extreme Möglichkeit, die Situation am Rande der Gesellschaft, das Aussenseitertum zu verschärfen.
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Die Bühnenhandlung des Gutiérrez Dramas wie der Verdi Oper begibt sich um 1410. Die lange und verwickelte Vorgeschichte muss sich um 1390 zugetragen haben, was besagt, dass Luna wie Manrico junge Männer sind, am Anfang ihrer zwanziger Jahre, hitzig, waghalsig und besinnungslos verliebt, wie es diesem Alter entspricht. Doch schon meldet sich eine neue Verbiegung der Geschichte, vergleichbar dem Griff, Manrico unter die längst ausgestorbenen Troubadours zu versetzen. Um 1400 kannte man in Spanien die «Zigeuner» noch nicht; erst 1425 liess König Alfonso von Aragonien den ersten Stamm über die Pyrenäen einreisen. Die «Zigeuner» wurden anfangs nicht als Deklassierte
oder potentielle Gauner empfunden, allenfalls als pittoreske und fremdartige Gestalten. Man gestand ihnen einige Privilegien zu: Sie mussten weder Zölle noch Steuern entrichten. Verfolgt wurden die nomadisierenden Fremdlinge erst am Ende des 15. Jahrhunderts; man zieh sie der Hexerei, des Aberglaubens, des Diebstahls und mancher undurchsichtiger Machenschaften, die ein rechter Christ von sich weist. Die «Zigeuner», deren Ursprung wohl in Indien zu suchen ist, gerieten in den Ruf von Leuten, denen alles zuzutrauen ist, vornehmlich Zauberei und Kindsraub. Im 16. Jahrhundert begann man in Spanien, Hexen zu verbrennen. Mit dem Recht eines Autors, der mit den Stilmitteln der Hoch romantik eine düster leidenschaftliche Romanze schreibt, übertrug Gutiérrez die später landläufig gewordenen Vorstellungen vom «Zigeuner» in das von ihm ohnedies grosszügig ausgemalte frühe 15. Jahrhundert. Azucena und ihre un glückliche Mutter sind negativ romantisierte «Zigeunerinnen».
DAS RACHETRAUMA
AZUCENAS
Uwe SchweikertMan hat in der starren Dramaturgie des Trovatore einen Rückfall in die längst überwunden geglaubte blockhafte Handlungsführung von Verdis ersten Opern, ja in die Affektdarstellung der Barockoper sehen wollen. Verdi selbst muss das anders empfunden haben. Was ihn an dem bunten, chaotischen Schauerstück des spanischen Dramatikers Antonio García Gutiérrez anzog, wird schon aus seinem ersten Brief an Cammarano deutlich. Wie Rigoletto, der verkrüppelte Hofnarr, wie Violetta, die Edelprostituierte der Pariser Halbwelt, ist auch die «Zigeunerin» Azucena eine Aussenseiterin und damit prädestiniert für Verdis Theater der Wahrheit, das auch und gerade den Opfern der Gesellschaft seeli sche Dimensionen zuerkennt.
Azucena, mit der er zum ersten Mal eine Mezzo Rolle ins Zentrum einer seiner Opern stellte, wird von ihren Emotionen beherrscht – dem Fluch «Mi vendica»/«Räche mich», mit dem ihre Mutter einst den Tod auf dem Scheiter haufen gestorben ist und der sie seither unablässig verfolgt und zur Rache an treibt. Damit entsprach sie Verdis Vorliebe für «starke, leidenschaftliche, vor allem aber ursprüngliche Charaktere», wie er sie in dem immer wieder zitierten Brief vom 16. Mai 1853 an Cesare DeSanctis gefordert hat. Jedenfalls konnte der Komponist die von DeSanctis vorgetragenen, anfänglich wohl auch von Cammarano geteilten Vorbehalte, der Stoff des Trovatore verstosse sowohl gegen den «gesunden Menschenverstand!» wie gegen das Theater, nicht teilen –seine heftige Kritik an dem von Cammarano vorgelegten Szenarium, auf das er mit einem ausführlichen Gegenentwurf antwortete, entzündete sich vielmehr gerade an der Befürchtung, dass der «fremde und neuartige Charakter der Azucena» abgeschwächt werden könnte: «Es scheint mir, dass die beiden grossen Leidenschaften dieser Frau, Kindes und Mutterliebe, nicht mehr in aller Kraft vorhanden sind.»
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Die meisten Änderungen, die Cammarano bei der Ausarbeitung seines Szena riums zum Libretto vornahm, betreffen darum – im Einklang mit Verdis Wün schen – die Rolle Azucenas. Während es wohl Cammaranos Absicht war, das Verhalten der «Zigeunerin» möglichst rational und realistisch zu motivieren, ging es Verdi primär um den tragischen Zwiespalt zwischen ihrer Liebe zu Manrico, den sie als ihren eigenen Sohn aufgezogen hat, und ihrem unstillbaren Bedürfnis nach Rache, das letzten Endes zum Tod Manricos führt. Darum richtet sie im endgültigen Textbuch ihre düstere, unheilschwere Canzone im dritten Bild («Stride la vampa!» / «Es lodern die Flammen!») nicht mehr, wie ursprünglich von Cammarano vorgesehen, allein an die Zigeuner, sondern singt sie in Anwesenheit Manricos. Auch die Vertauschung der beiden Kinder wird von ihr nicht mehr als unbezweifelbare Tatsache vorgebracht, sondern dergestalt in die halluzinierende Vergegenwärtigung des einstigen Geschehens («Condot ta ell’era in ceppi» / «In Ketten führte man sie ihrem furchtbaren Schicksal entgegen») integriert, als könne Azucena Wahn und Wirklichkeit nicht ausein anderhalten. Der psychischen Traumatisierung, die ihre Erzählung vorführt, entspricht dabei eine Dekomposition, in deren Verlauf die musikalische Form regelrecht zerbricht. Verdi bildet den psychischen Vorgang in der Musik mit geradezu analytischer Präzision ab: Azucenas Gesang geht ins Sprechen über, um schliesslich in Stammeln zu münden. Verdi gelingt es bei dieser Gratwanderung, einerseits die Sinnesverwirrung Azucenas bis hin zum physischen Zusam menbruch zu treiben, andererseits dem Zuschauer schlüssig zu vermitteln, dass Manrico – so Verdi selbst in seinem Brief vom 4. April 1851 an Cammarano –«nicht daran glauben kann, dies sei die Wahrheit». Vom Feuer verzehrt Beunruhigt war Verdi aber vor allem über Cammaranos ursprüngliche Absicht, Azucena im letzten Bild im Kerker völlig den Verstand verlieren zu lassen: «Die Azucena nicht irrsinnig werden lassen. Erschöpft von der Müdigkeit, vom Schmerz, vom Schrecken, vom Wachen, kann sie keine geordnete Rede mehr führen. Ihre Sinne sind gelähmt, aber sie ist nicht von Sinnen. Man muss die
beiden grossen Leidenschaften dieser Frau bis zuletzt fortdauern lassen: die Liebe zu Manrique und den wilden Durst, die Mutter zu rächen.» In tragischer Ironie schlägt am Ende Azucenas Hass auf sie selbst zurück. Wie sie wird aber auch Luna von der eigenen Rache verschlungen. Verdi hat den letzten, enthüllenden und zugleich vernichtenden Wortwechsel zwischen den beiden bei der Vertonung auf ganze fünf Rezitativverse zusammengestrichen, die in genau jene Worte münden, die er Cammarano selbst vorgab.
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Wie für den Fluch in Rigoletto und für die tödliche Krankheit in La traviata findet Verdi auch für das Rachetrauma Azucenas ebenso sprechende wie wirkungsvolle Klanggesten. Die Oper beginnt ohne Vorspiel. Ein dumpfes, unheilvolles Rollen von Pauke und Grosser Trommel – mehr Geräusch als Ton –, eine grell abfallende Unisono Fanfare des Orchesters, ein gedämpftes Hornsignal: Mehr bedarf es nicht zur Einstimmung. Damit ist zugleich auch die unheimliche nächtliche Atmosphäre beschworen, die Ferrandos Bericht der düsteren Geschehnisse grundiert, die vor mehr als fünfzehn Jahren die Familie des Grafen Luna heimgesucht haben. Leibhaftig steht mit dem balladesken Bericht des Hauptmanns der Palastwache zugleich die Hexe, die «Zigeunerin», vor unseren Augen – mit all jenen musikalischen Konnotationen, die dann das Auftreten Azucenas bis zum Schlussbild bezeichnen: dem später mit dem Feuer verbundenen Ton h (als wolle nicht nur Ferrando zur Wache, sondern auch Verdi zu seinen Zuhörern sagen: »All erta, all erta!«, »Achtung, aufgepasst!«), der traumatischen Tonart e moll, den scharfen und fremdartigen Vorschlägen, den wie Feuer züngelnden, stets auf den ersten Schlag gesetzten Sechzehnteln sowie dem starren Dreiertakt.
Die Obsession, von der Azucena beherrscht wird, spiegelt sich in der ob sessiven Wiederkehr dieses musikalischen Ideogramms im Sinne einer fatalisti schen Metapher wider. Anders als in Wagners Walküre aber ist das züngelnde Flackern der Flammen bei Verdi nicht die musikalische Phantasmagorie einer bildlichen Idee, sondern ganz konkret, ja geradezu materialistisch verdinglicht: Ferrando kündigt sie an, Azucena führt sie aus, die anderen nehmen sie auf, am sinnfälligsten Manrico in seiner Cabaletta («Di quella pira l’orrendo foco tutte le fibre m’arse, avvampò» / «Das schreckliche Feuer dieses Scheiterhaufens ent brennt auch in meinem Innern»), in der er vom Feuer förmlich verzehrt wird.
EIN KLANGBILD DER FINSTERNIS UND DES SCHRECKENS
Uwe SchweikertFormal entspricht auch Leonoras zweite Doppelarie zu Beginn des vorletzten Bildes durchaus den Konventionen. Zugleich ist sie ganz in die Klangdrama turgie der düsteren Handlung integriert. Manrico und seine Getreuen wurden bei ihrem Versuch, Azucena zu befreien, von den Truppen Lunas besiegt. Leonora verschafft sich Zugang zum Vorhof des turmartigen Kerkers, in dem die Gefangenen schmachten – in der Hoffnung, wenigstens mit ihrer Stimme zum Geliebten durchzudringen. Verdi, der die räumlichen Andeutungen in Gutiérrez’ Vorlage aufgreift, gestaltet die Szene zu einem Klangbild der Finsternis und des Schreckens, das die Anlage und Abfolge der Form – rezitativische Scena, Cantabile (langsamer Teil der Arie), tempo di mezzo (schnelle Übergangspassage) und Cabaletta (schneller Teil der Arie) – zwar bewahrt, sie aber im hier im Zentrum stehenden tempo di mezzo, dem «Miserere», zugleich musikdramatisch weitet. Wenn das synkopisch gegen den Versbau betonte, schwermütig sich aufschwin gende Adagio «D’amor sull’ali rosee»/«Auf den rosigen Flügeln der Liebe» zur Ruhe kommt, ertönt in der Dunkelheit der Nacht der erste, dumpfe Schlag der Totenglocke in Es. Aus dem Innern des Gefängnisses erklingen Stimmen: der – so Verdi in seinem Prosaentwurf – «Gesang der Sterbenden» (und nicht «für die Sterbenden», wie in allen Opernführern fälschlicherweise zu lesen steht). Der in archaisierender Falsobordone Technik geschriebene Satz dieses «Miserere» erinnert kaum zufällig an den 50. Psalm, der Bestandteil der römischkatholischen Totenliturgie ist. Der trauermarschartige Rhythmus wird anschliessend vom vollen Orchester – also einschliesslich vier Hörnern, zwei Trompeten, drei Posaunen, einem Cimbasso, der Pauke und der Grossen Trommel – aufgegriffen und begleitet den Gesang der gepeinigten Leonora, deren von beklemmenden
Pausen durchsetzte Melodik schliesslich im auskomponierten Schluchzen endet. Der unheimliche Eindruck dieser Passage entsteht nicht zuletzt durch einen beispiellosen instrumentatorischen Kunstgriff Verdis. «Dieser Abschnitt muss äusserst leise sein» – so die Anweisung in der Partitur –, «obwohl mit vollem Orchester». Aus dem Widerspruch von grösstmöglicher Besetzung und kleinst möglicher Lautstärke entsteht der Klang jenes «cupo terror», jenes «dumpfen Entsetzens», das Leonora befällt. Unmittelbar in ihr Schluchzen hinein – als bräche es aus ihrer gemarterten Seele hervor – erklingt aus dem Innern des Turms in strahlendem Dur zur Harfenbegleitung Manricos Abschied vom Le ben. Er erinnert an die gleichfalls von der Harfe begleitete Romanze, mit der Manrico im zweiten Bild – übrigens auch dort nur hör , nicht sichtbar – erstmals aufgetreten war. Wie sie ist auch sein Abschied eine Huldigung an die Macht des Gesangs, und wie diese zentriert sich auch hier die Harmonik um den Ton Es, das Es der Liebe wie des Todes, das Es der Totenglocke.
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IL TROVATORE
GIUSEPPE VERDI (1813-1901)
Dramma lirico in vier Teilen
Libretto von Salvatore Cammarano, fertiggestellt von Leone Emanuele Bardare, nach «El trovador» von Antonio García Gutiérrez Uraufführung: 19. Januar 1853, Teatro Apollo, Rom
Personen
Il Conte di Luna Bariton Leonora Sopran Azucena Mezzosopran Manrico Tenor Ferrando Bass Ines Sopran Ruiz Tenor
Un vecchio « zingaro » Bass Un messo Tenor Chor
(Vertraute Leonoras und Nonnen, Gefolgsleute des Grafen, Männer in Waffen, « Zigeunerinnen » und « Zigeuner »)
PARTE PRIMA: IL DUELLO
Atrio nel palazzo dell’Aliaferia: porta da un lato, che mette agli appartamenti del Conte di Luna.
N° 1 INTRODUZIONE
SCENA I
Ferrando e molti famigliari del Conte giacciono presso la porta; alcuni uomini d’armi passeggiano in fondo.
FERRANDO
ai famigliari vicini ad assopirsi All’erta! all’erta!
Il Conte n’è d’uopo attender vigilando, ed egli talor, presso i veroni della sua cara, intere passa le notti.
FAMIGLIARI
Gelosia le fiere serpi gli avventa in petto.
FERRANDO
Nel Trovator, che dai giardini move notturno il canto, d’un rivale a dritto ei teme.
FAMIGLIARI
Dalle gravi palpebre il sonno a discacciar, la vera storia ci narra di Garzia, germano al nostro Conte.
FERRANDO
La dirò: venite intorno a me. I famigliari eseguiscono.
ARMIGERI accostandosi Noi pure…
FAMIGLIARI Udite, udite. Tutti accerchiano Ferrando.
ERSTER TEIL: DAS DUELL
Vorhalle im Aliaferia-Palast; auf der einen Seite eine Tür, die zu den Gemächern des Grafen Luna führt.
NR. 1 EINLEITUNG
I. SZENE
Ferrando und eine grosse Zahl Diener des Grafen lagern bei der Tür auf dem Fussboden; einige Bewaffnete gehen im Hintergrund auf und ab.
FERRANDO
zu den Dienern, die kurz davor sind einzuschlafen Achtung! Achtung! Wir müssen wachen, bis der Graf zurückkommt; und dieser verbringt bisweilen ganze Nächte unter den Balkonen seiner Angebeteten.
DIENER
Die wilden Schlangen der Eifersucht nagen an seiner Brust.
FERRANDO
Im Troubadour, der nachts im Park sein Lied erklingen lässt, fürchtet er zu Recht einen Rivalen.
DIENER
Um den Schlaf von unsren müden Lidern zu vertreiben, erzähl uns, was damals wirklich mit Garzia war, dem Bruder unsres Grafen.
FERRANDO
Ich werd es euch erzählen. Kommt her zu mir. Die Diener tun wie geheissen. BEWAFFNETE kommen ihm näher Wir auch.
DIENER Hört, hört! Alle scharen sich um Ferrando.
FERRANDO
Di due figli vivea padre beato il buon Conte di Luna; fida nutrice del secondo nato dormia presso la cuna. Sul romper dell’aurora un bel mattino ella dischiude i rai; e chi trova d’accanto a quel bambino?
FAMIGLIARI ED ARMIGERI Chi? Favella … Chi mai?
FERRANDO
Abbietta zingara, fosca, vegliarda! Cingeva i simboli di maliarda; e sul fanciullo, con viso arcigno, l’occhio affiggeva torvo, sanguigno! D’orror compresa, compresa è la nutrice … Acuto un grido, un grido all’aura scioglie; ed ecco, in meno che labbro il dice, i servi accorrono in quelle soglie; e fra minacce, urli, percosse la rea discacciano ch’entrarvi osò.
FAMIGLIARI ED ARMIGERI Giusto quei petti sdegno commosse; l’insana vecchia lo provocò.
FERRANDO
Asserì che tirar del fanciullino l’oroscopo volea … Bugiarda! Lenta febbre del meschino la salute struggea! Coverto di pallor, languido, affranto ei tremava la sera, il dì traeva in lamentevol pianto Ammaliato egl’ era! Il Coro inorridisce.
La fattucchiera perseguitata fu presa, e al rogo fu condannata; ma rimanea la maledetta figlia, ministra di ria vendetta!
Compì quest’empia nefando eccesso! Sparve il fanciullo, e si rinvenne mal spenta brace, nel sito istesso ov’arsa un giorno la strega venne.
E d’un bambino … ahimè! l’ossame bruciato a mezzo, fumante ancor!
FERRANDO
Als glücklicher Vater zweier Söhne lebte der gute Graf von Luna. Die treue Amme des Jüngeren schlief an der Wiege. Doch eines schönen Morgens bei Tagesanbruch schlägt sie die Augen auf; und wen entdeckt sie neben dem Kind?
DIENER UND BEWAFFNETE Wen? Sag schon... Wen bloss?
FERRANDO
Eine schändliche Zigeunerin, ein finsteres altes Weib! Sie hatte Zauberdinge bei sich; mit finsterer Miene heftete sie auf den Knaben ihre schwarzen, blutunterlaufenen Augen!
Die Amme überkommt ein tiefer Schauer. Sie stösst einen gellenden Schrei aus; und ehe man sich versah, eilten die Diener herbei; und unter Drohungen, Schreien, Schlägen verjagten sie die Frevlerin, die es gewagt hatte, einzudringen.
DIENER UND BEWAFFNETE
Zu Recht waren sie ausser sich; die verrückte Alte hatte sie ja provoziert.
FERRANDO
Sie behauptete, dass sie dem Knaben die Zukunft lesen wollte…
Diese Lügnerin! Das arme Kind wurde von einem schleichenden Fieber befallen! Bleich, ermattet und erschöpft begann es am Abend zu zittern. Den ganzen Tag über schrie es heftig… Es war verhext!
Der Chor ist entsetzt.
Die Übeltäterin wurde gefasst und zum Tod auf dem Scheiterhaufen verurteilt; doch sie hinterliess diese verfluchte Tochter, Vollstreckerin ihrer bösen Rache!
Die Ruchlose ging bis zum Äussersten! Der Knabe verschwand, und man fand noch brennende Glut an derselben Stelle. an der die Hexe verbrannt wurde. Und, oh weh, die halbverbrannten, noch rauchenden Gebeine eines Kindes!
Programmheft
IL TROVATORE
Dramma lirico in vier Teilen von Giuseppe Verdi Libretto von Salvatore Cammarano, fertiggestellt von Leone Emanuele Bardare, nach «El trovador» von Antonio García Gutiérrez
Premiere am 24. Oktober 2021, Spielzeit 2021/22 Wiederaufnahme am 17. September 2022, Spielzeit 2022/23
Herausgeber Opernhaus Zürich
Andreas Homoki
Zusammenstellung, Redaktion Beate Breidenbach
Layout, Grafische Gestaltung Carole Bolli, Giorgia Tschanz Anzeigenverkauf Opernhaus Zürich, Marketing Telefon 044 268 66 33, inserate@opernhaus.ch Schriftkonzept und Logo Studio Geissbühler Druck Fineprint AG
Textnachweise: Handlung: Beate Breidenbach. Die Gespräche mit Adele Thomas und Gianandrea Noseda sind Originalbeiträge für dieses Heft. Briefe von Giuseppe Verdi aus der Entstehungszeit des «Trovatore» zitiert nach: Verdi. Brie fe, Berlin 1983. Karl Schumann, Am Rande der Gesell schaft, Auszug aus: ders., Bilder aus einem spanischen Bürgerkrieg, in: Giuseppe Verdi, Der Troubadour, Texte, Materialien, Kommentare, hg. von Attila Csampai und Dietmar Holland, Reinbek bei Hamburg, 1986; Uwe Schweikert, Das Rachetrauma Azucenas und Ein Klang bild des Schreckens, Auszüge aus: ders., Das Wahre erfin den. Verdis Musiktheater, Würzburg 2013.
Bildnachweise: Monika Rittershaus fotografierte das «Trovatore»-En semble während der Klavierhauptprobe am 14. Oktober 2021.
Urheber, die nicht erreicht werden konnten, werden zwecks nachträglicher Rechtsabgeltung um Nachricht gebeten.
Unsere Vorstellungen werden ermöglicht dank der Subvention des Kantons Zürich sowie den Beiträgen der Kantone Luzern, Uri, Zug und Aargau im Rahmen der interkantonalen Kulturlastenvereinbarung und den Kantonen Nidwalden, Obwalden und Schwyz.
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