BE WELL
Foto: JC Carey
MIT DEM HERZEN BEI DER SACHE. Brian McTernan aus Baltimore ist wohl die Definition eines Tausendsassas. Mit 17 Jahren
als Frontmann von BATTERY gestartet, produzierte er die letzten zwanzig Jahre die namenhaftesten Hardcore- und Punkbands, um nun mit BE WELL noch mal durchzustarten. Im Interview mit uns spricht er über Depressionen und zweite Chancen.
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020 habt ihr euer Debütalbum „The Weight And The Cost“ veröffentlicht, das sowohl von Fans als auch in Kritiken gefeiert wurde. Wie fühlst du dich, wenn du jetzt darauf zurück blickst? Ich bin dankbar. Eine neue Band zu gründen ist immer hart, insbesondere je älter man wird. Noch dazu war unser Sound von Melodic Hardcore geprägt, ich hatte also nicht wirklich große Erwartungen. Dazu kamen sehr düstere und persönliche Texte, ich war mir nicht sicher, ob die Leute so was überhaupt hören wollen. Für mich war es jedenfalls befreiend, mir alles von der Seele zu schreiben, und nun inspiriert es mich, dass es Menschen gibt, die damit etwas anfangen können. Zwischen BE WELL und BATTERY liegen 22 Jahre. Hast du in der Zeit trotzdem Musik für dich selbst geschrieben? Nicht für mich selbst, aber gemeinsam mit Bands, die ich produziert habe. 2017 haben wir auch einen neuen BATTERY-Song geschrieben, „My last breath“ – das waren meine ersten Lyrics nach zwanzig Jahren. Dank der letzten BATTERY-Tour habe ich mich zumindest wieder daran gewöhnt, hinter dem Mikro zu stehen. Nun bist du ja mit BE WELL zu dem alten BATTERYLabel Revelation Records zurückgekehrt, wie kam es dazu? Equal Vision haben viel für uns getan, aber es hat sich nicht wie das richtige Label für eine Band wie BE WELL angefühlt. End Hits Records, die uns in Europa vertreten und wo lauter Hardcore-Kids von früher arbeiten, war der perfekte Fit. Also haben wir nach etwas Vergleichbarem in den USA gesucht und haben zurück zu Revelation gefunden. Nun erscheint mit „Hello Sun“ der Nachfolger. Würdest du es als Mini Album oder EP betiteln? Ich weiß gar nicht, ob es im Zeitalter von Streamingdiensten noch wichtig ist, so etwas einzuordnen. Für uns ist es eine Brücke zum nächsten Projekt. Ich frage mich, ob Alben mit zwölf Songs noch Sinn ergeben, wenn die besten Tracks kaum Gehör finden, weil sie nicht als Sin-
gles in irgendwelchen Playlisten auftauchen, während das restliche Material ignoriert wird. Bei „Hello Sun“ haben sich sechs Tracks einfach gut angefühlt. Als ihr das Debütalbum geschrieben habt, hast du hinsichtlich deiner seelischen Gesundheit eine schwere Zeit durchgemacht, du sagst sogar, dass du nicht mehr wusstest, was als Nächstes passiert. Wo siehst du dich jetzt, drei Jahre später? Um ehrlich zu sein, bin ich gerade so zufrieden wie noch nie in meinem Leben, was wirklich merkwürdig ist. Meine Depressionen waren sehr lange mein Geheimnis – ich wollte niemanden damit belasten. Meine Familie und Freunde haben es wohl gewusst, aber ich konnte mich erst nach dem Release von „The Weight And The Cost“ wirklich öffnen. Ich werde wohl den Rest meines Lebens mit diesen Problemen zu kämpfen haben, aber jetzt weiß ich besser damit umzugehen. Befand ich mich vor drei Jahren noch im Auge des Sturms, betrachte ich ihn nun aus der Distanz. Er wird niemals vorüberziehen, aber ich bin nicht mehr darin gefangen. Wahrscheinlich muntert es auch etwas auf, wenn die Texte und eigene Arbeit gelobt werden. Auf jeden Fall. Auch dass die Musik gut aufgenommen wurden. Es macht mich besonders glücklich, wenn Leute sagen, dass BE WELL sie an den Sound ihrer Jugend erinnert und dann Alben aufzählen, die ich produzieren durfte. Das soll nicht egozentrisch klingen, aber es macht mich verdammt stolz, wenn Menschen meinen Einfluss heraushören. Und die Zeit, die ich mit anderen Bands im Studio verbracht habe, hat mich auch vieles gelehrt und dazu geführt, wie ich nun selbst wieder Musik schreibe. Auf „Hello Sun“ ist ein Song, in dem du auf deine Karriere als Produzent zurückblickst, soll das eine Brücke zu BE WELL schlagen? Der Song handelt von meinen Gefühlszustand, als ich meinen Tiefpunkt erreicht hatte. Ich konnte nicht mehr wertschätzen, was für ein tolles Leben ich hatte und mit welch wunderbaren Menschen ich im Studio war. Depressionen nehmen dir diese Freude. BE WELL hat
mir zum Glück neue Perspektiven aufgezeigt und nun schließe ich Frieden mit vielem. Es ist ja so, dass nicht nur in der Subkultur die Stigmatisierung von Depressionen zurückgeht, sondern auch im Mainstream. War es auch ein Grund für dich, offener damit umzugehen? Es wird immer mehr akzeptiert, aber ich habe anfangs gar nicht verstanden, dass ich depressiv bin. Ich habe Texte geschrieben und wurde von den Gedanken auf dem Papier überrascht, die ich vor mir selbst versteckt hatte. Ich will ein guter Vater und Freund sein, also habe ich mich mit mir auseinandersetzt, und in der Punkund Hardcore-Community habe ich schon immer auf ein Forum gehabt, um mich zu verständigen. Als Kiddie haben Punksongs meinen Charakter geprägt. Nun kann ich es mit meinen eigenen Texten ausdrücken. Vielleicht kann ich mit BE WELL jetzt selbst Songs schaffen, in denen sich andere wiederfinden können. BE WELL soll keine Selbsthilfegruppe sein, aber für mich hat sich kein Projekt bislang so stark auf mein Seelenleben ausgewirkt wie dieses. Wenn es damit jetzt vorbei wäre, dann wäre es das Beste, was ich jemals erschaffen habe. Ich hoffe, es bleibt noch lange bestehen an, aber hat ist jetzt schon mehr gebracht, als ich mir jemals erträumt hätte. Vor fünf Jahren wollte ich nicht mal mehr über die Zukunft nachdenken. Hätte es meine Tochter nicht gegeben, ich ich nicht, was ich mir damals angetan hätte. Und jetzt freue ich mich auf jeden Tag. Ich sehe wieder nach vorne und dies voller Freude statt mit Angst. Also wird BE WELL getreu dem Motto gearbeitet: Sei nicht traurig, wenn es vorbei ist, sondern glücklich, dass es passiert ist? Wenn man jung ist, geht es immer um das nächste Album oder den nächsten Gig. Ich bin nun in einem Alter, wo ich nicht mehr weiß, ob es überhaupt ein nächstes Mal gibt. Das klingt vielleicht traurig, aber es ist das Gegenteil. Ich bin freier den je, denn alles, was jetzt noch kommt, ist nicht mehr selbstverständlich. Ich bin fast fünfzig und darf immer noch machen, was ich liebe. Christian Heinemann
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