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KEINE ANGST VOR DER ANGST S
Stimmgewaltig: EVOU alias Doro Idahor
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Jung und trotzdem schon einen Schritt weiter: EVOU hat ihre erste Single „Anxious Bitch” veröffentlicht.
Wiesbaden ist wahrlich nicht dafür bekannt, große Musiker hervorgebracht zu haben. Geladen ja, häufig und gerne sogar, von Brahms bin Wanda sozusagen. Aber geboren oder ansässig in der Landeshauptstadt, die so viel Wert auf ihre Kultur liegt? Paul Kuhn fällt einem
da ein, Jahrgang 1928 und mittlerweile verstorben, der die Welt mit unverzichtbaren Hits wie „Der Mann am Klavier" und „Es gibt kein Bier auf Hawaii" bereichert hat. Die Ska-Punk-Band Frau Doktor, die um die Jahrtausendwende unter Genrefans relativ bekannt war. Und natürlich Epidermis und ihr Sophisticated Rock, einer Form des Progressiv Rock, über die im WIESBADENER schon ausführlich berichtet wurde. Danach wird die Liste aber schon merklich dünner. Eine junge Musikerin ist womöglich gerade dabei, das zu ändern. EVOU nennt sich die 22jährige Singer-Songwriterin, die bürgerlich Doro Idahor heißt und aus Marburg stammt.
In ihre Wahlheimat Wiesbaden hat sie das Studium gezogen. Musik begleitet die stimmgewaltige Sängerin ihr gesamtes Leben, schon mit 13 sammelt sie ihre ersten Bühnenerfahrungen. 2016 gewinnt sie schließlich den Titel „Stimme der Region", ein erstes Ausrufezeichen und womöglich auch eine Initialzündung. In den Jahren danach mach sich Idahor als Frontfrau der Band Phimus einen Namen. Die Gruppe, die eine Mischung aus Rock, Pop und, nicht zuletzt dank ihrer Sängerin, Soul präsentiert, veröffentlicht zwei Alben samt einiger kleinen Hits wie „Old Tree" und „Tumbler". Gesungen wird bereits auf Englisch. Mit in der Band: Gitarrist David Crist, mit dem sie später EVOU gründet. Der Name des Duos, den Idahor allerdings auch alleine benutzt, stammt aus dem Nigerianischen und bedeutet „Morgentau". Die Poplegende Cassandra Steen hat EVOU für das HR-Format „Bühnefrei" aus weit über tausend Kandidaten ausgewählt, das Konzert ist nach wie vor in der ARD-Mediathek zu finden. Kurz danach erscheint ein Video zu dem Song „Lass ma", in dem Idahor eindrucksvoll beweist, dass sie auch auf Deutsch singen kann. David Christ ist da noch am Bass zu sehen – in Zukunft überlässt er wohl die Bühne häufiger seiner Sängerin und arbeitet als Produzent an EVOU. Schneller Rock ist hier schon kaum mehr raus
Keine Angst vor der Angst
zuhören, der Stil wird langsamer mit noch mehr Soul-Einlagen. Der Sängerin scheint das nur entgegen zu kommen. Wer EVOU vorher noch nie gehört hat, wird von der Stärke und klaren Intensität ihrer Stimme regelrecht umgehauen. Wie schon bei Phimus verarbeitet sie in ihren Texten, die sie für eine Songwriterin standesgemäß selbst schreibt, sowohl Persönliches als auch aktuelle Gesellschaftsthemen wie etwa Rassismus.
Phimus hat die Pandemie leider nicht überstanden. Umso umtriebiger sind Idahor und Christ dafür nun mit ihrem neuen Projekt beschäftigt, mit dem vielleicht sogar der endgültige Durchbruch gelingen könnte. 2022 soll das Debütalbum von EVOU erscheinen. Angekündigt wird ein Sound, der „eingängig, groß und persönlich" sein soll, in dem „aus der Sicht einer schwarzen, deutschen Frau" über Diskriminierung, vergangenen Beziehungen und schwierigen Familienverhältnissen gesungen wird, kurzum: „Es geht um das echte Leben, darum was nach der Coming-of-Age Phase kommt." Zu den Soul- begeben sich nun auch Blues-Elemente über schweren 808-Bässen – alles ganz schön erwachsen. EVOU hat ihre Kinderstube und denn darin in Dauerschleife gespielten, unbeschwerten PopRock abgelegt, Musik, Text und Stimme sind gleichermaßen gereift. Am 29.10. gab es nun endlich die erste Kostprobe. „Anxious Bitch" (auf Deutsch etwas salopp als „Ängstliches Miststück" übersetzbar) heißt die erste Singleauskopplung und dürfte ihr bisher stärkstes Stück sein. Der Song startet mit einem treibenden Blues-Rock-Riff der alten Schule, so dass man meinen könnte, Peter Green würde gleich anfangen zu singen. Das übernimmt dann aber EVOU – und wie. „Anxious Bitch" ist perfekt abgestimmt, mit einem explosiven Chorus als Höhepunkt und einer Stimme, die einen wie schon zuvor sofort in den Bann zieht. Auch thematisch ist der Song stark: EVOU singt offen über ihre psychischen Probleme und möchte zeigen, dass man sich für das vermeintliche Tabu-Thema nicht schämen muss. Das wirkt sowohl musikalisch als auch inhaltlich tatsächlich wie jemand, der die Coming-of-Age-Phase überwunden hat und sich als erwachsener Mensch seinen Dämonen stellt. Auf die für sie wohl best mögliche Art und Weise.
Die Vorfreude auf das kommende Album wächst damit weiter, auch wenn sonst noch ziemlich viel im Dunkeln liegt und man höchstens erahnen kann, was da auf einen zukommt.
Wer auf dem Laufenden bleiben will, schaut am besten auf den bekannten Sozialen Netzwerken, vornehmlich Instagram (www.instagram.com/ evou.evou) oder facebook (www.facebook.com/ evou.evou.evou), vorbei oder schaut sich auf der Homepage (www.evou.evou.de) oder Youtube das durchaus gelungene Video zu „Anxious Bitch" an. Denn diese Stimme, diese Power sollte man möglichst nicht verpassen. Wiesbadens Musikszene ist dank EVOU auf jeden Fall jetzt schon interessanter geworden.
Konstantin Mahlow