L. Fritz No. 9 - Festival Edition 2023 (Auszug)

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4 193164 006905 09 No. 9 DAS MAGAZIN DER INTERNATIONALEN PHOTOSZENE KÖLN 6,90 Euro Festival Edition 2023 Renate &
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L.FRITZ No.9

Interview

alten Schlag, aber nicht von gestern: Ein Nachruf auf Renate Gruber
school, but not stuck in the past: An obituary for Renate Gruber 8
2023: Empfehlungen/ Recommendations 64 Warum L. Fritz? / Why L. Fritz? 70 Impressum / Imprint 70
Vom
Old
Photoszene-Festival
unbekannten Blick wagen/ Daring the Unfamiliar Gaze 16
mit/with Pablo Lerma 28
Den
Interview
mit/with Naoya Hatakeyama 22
mit/with Lebohang Kganye 26
mit/with Lilly Lulay 30
In Progress: Fragile Infrastrukturen” 34
Loneliness One dare not sound“ 46
Waters“ 54
Interview
Interview
“Photography
„The
„Vibrant

Vom alten Schlag, aber nicht von gestern

Old school, but not stuck in the past

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Am 30. Oktober 2022 ist Renate Gruber im Alter von 86 Jahren

Ein Nachruf von Damian Zimmermann

Ich kann mich gut an mein erstes Gespräch mit Renate Gruber erinnern. Es war im Februar 2012 und sie rief mich vollkommen unerwartet an. Ganz klassisch von ihrem privaten Festnetzanschluss auf meinem. Ich war vor Ehrfurcht ein wenig erschrocken, vor allem aber verwundert. Sie griff extra zum Telefon, weil sie sich für den „klugen Kommentar im ‚Kölner Stadt-Anzeiger‘“ bei mir bedanken wollte: Ich hatte als einziger Journalist über das von der Koelnmesse in einem Pressemitteilungs-Nebensatz verkündete Ende der „Visual Gallery“ auf der Photokina kritisch berichtet und die Redaktion hatte das Thema schließlich sogar auf die Titelseite gehoben.

Dass sich deshalb Renate Gruber persönlich bei mir bedanken wollte, obwohl wir uns gar nicht kannten, kam mir damals etwas merkwürdig vor, aber es schmeichelte mir, dem kleinen Kulturjournalisten, sehr. Heute verstehe ich Renates Anruf aus gleich zwei Gründen besser: Zum einen starb mit der Abschaffung der „Visual Gallery“ auch ein wichtiges Erbe ihres Mannes L. Fritz Gruber. Der hatte die legendären Bilderschauen gleich mit der ersten Ausgabe der Photokina im Jahr 1950 ins Leben gerufen und damit maßgeblich für die Entwicklung Kölns zur Fotografiestadt beigetragen. Nach 62 Jahren sollten diese nun mit einer Randnotiz sang- und klanglos abgeschafft werden und aus Renates Sicht hatte ich an die Bedeutung der Bilderschauen für Köln und die gesamte Fotografieszene erinnert. Verhindern konnte ich das Ende freilich nicht mit meinem Kommentar.

Zum anderen war Renates Anruf bei mir genau das, was ich in den folgenden Jahren von unzähligen anderen Mitstreitern im Kultur- und Fotografiebereich über sie zu hören bekommen sollte. Sie alle schwärmten vom interessierten und offenen Umgang der Eheleute Gruber, die nie einen Unterschied machten, ob jemand berühmt war oder ganz am Anfang seiner Karriere stand. Alle

wurden mit der gleichen Wertschätzung und Freundlichkeit behandelt, bekamen handgeschriebene Postkarten mit Grüßen zugeschickt oder wurden in ihr Zuhause in Köln-Braunsfeld eingeladen. Oder sie wurden eben auch mal direkt angerufen, wenn es etwas mitzuteilen gab –selbst, wenn es so etwas Profanes wie ein Lob und ein Dankeschön an einen Unbekannten war. Die Grubers waren im besten Sinne „vom alten Schlag“ und mit ihrem klassisch-eleganten Auftreten auf eine sehr angenehme Art auch ein wenig aus der Zeit gefallen: Renate erschien meist im Kostüm, L. Fritz im Dreiteiler. Beide umgab eine besondere Aura, die aber nichts Trennendes, sondern, im Gegenteil, etwas Einladendes und Wohlwollendes hatte. Oder wie es ihre Tochter, die Fotografin und Künstlerin Bettina Gruber, einmal sinngemäß formuliert hat: Selbst die größten Widerlinge wurden in ihrer Gegenwart handzahm und freundlich.

Eineinhalb Jahre nach Renates Anruf durfte ich selbst Teil dieser Community werden: Renate lud uns –Heide Häusler, Nadine Preiß, Inga Schneider und ich hatten zwischenzeitlich die Internationale Photoszene Köln übernommen – zur legendären Geburtstagsfeier ins Haus Gruber in der Paulistraße ein. Dort feierte sie aber nicht etwa ihren eigenen Jahrestag oder den ihres 2005 verstorbenen Mannes, sondern nichts Geringeres als den Geburtstag der Fotografie selbst: Louis Daguerres Patent wurde offiziell am 19. August 1839 in Paris der Öffentlichkeit präsentiert und zur Verfügung gestellt. Damit begann der Siegeszug eines Mediums, das so viele Menschen bis heute begeistert und das die gesamte Welt verändern sollte. Und dem die Grubers ihr gesamtes Leben gewidmet haben. Was aber nicht bedeutet, dass die beiden dem ewig Gestrigen verschrieben gewesen wären. Immer waren sie auch an Veränderungen und Entwicklungen interessiert und unterstützten die nachkommenden Ge-

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gestorben. An der Seite ihres Mannes Leo Fritz war sie jahrzehntelang als wichtige und hervorragend vernetzte Expertin und Sammlerin international unterwegs. Ihr Tod ist ein herber Verlust nicht nur für Köln, sondern für die gesamte Fotografieszene, denn mit Renate geht eine Ära zu Ende.
Renate Gruber
Renate Gruber in ihrer Bibliothek im April 2021. Foto: Damian Zimmermann Renate Gruber in her library in April 2021. Photo: Damian Zimmermann
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Renate und L. Fritz Gruber 1990 im Kölner Museum Ludwig. Foto: Michael Dannenmann Renate and L. Fritz Gruber in 1990 at the Museum Ludwig in Cologne.
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Photo: Michael Dannenmann

nerationen, soweit es in ihrer Macht stand – so auch uns von der Photoszene, der Renate viel „fortune“ wünschte und so manche Tür öffnete. Denn bei aller Freundlichkeit und Höflichkeit: Renate war eben auch eine Autorität und wenn sie jemanden anrief, damit er oder sie sich mit einer jungen Fotografin oder eben mit jungen Festivalmachern trifft, dann wurde dem auch Folge geleistet.

Dabei wurde Renate die Fotografie nicht gerade in die Wiege gelegt. Bis sie den 28 Jahre älteren Leo Fritz Gruber kennenlernte und 1959 schließlich heiratete, kannte sie Fotos nur als „Familien-Snapshots mit geraffeltem Rand“. Sie sei auch noch nie zuvor in einer Fotografieausstellung gewesen, wie sie im Gespräch mit dem „Audioarchiv Kunst“ erzählte. Das sollte sich schnell ändern, denn L. Fritz Gruber war zu dem Zeitpunkt bereits ein international bestens vernetzter Fotografieexperte. Von da an reisten die beiden gemeinsam vornehmlich durch Europa und Nordamerika, trafen Fotografen, Kuratoren und Sammler und freundeten sich mit vielen an, die dann auch regelmäßig zu Besuch in ihrem Haus waren. Renate entwickelte sich schnell zu weit mehr als bloß der Frau an der Seite ihres bekannten

Mannes: Sie wurde selbst zur Expertin, Förderin, charmanten Gesprächspartnerin und umtriebigen Netzwerkerin und trug wesentlich dazu bei, dass die Fotografie in Deutschland als Kunstform angenommen wurde.

Nebenbei bauten die Grubers eine umfangreiche Fotografie-Sammlung mit rund 5.500 Abzügen von

Edward Steichen, August Sander, Man Ray, Cecil Beaton, Irving Penn, Richard Avedon, Albert Renger-Patzsch und vielen weiteren Größen der Szene auf. 1977 ging diese Sammlung an das neu gegründete Museum Ludwig, wo sie den Grundstock für eine der wichtigsten fotografischen Sammlungen überhaupt, mit heute mehr als 70.000 Werken, bildete.

Mindestens genauso wichtig war aber Renates unglaubliches Gedächtnis: Es gab kaum ein Treffen mit ihr, bei dem sie nicht eine kleine Anekdote oder eine Erinnerung teilte und sich oft nicht nur an das genaue Jahr, sondern auch an den Monat und viele Details erinnerte. Da war es nur konsequent, dass das Museum Ludwig 2016 mit ihr eine 21-teilige Interviewreihe unter dem Titel „Renate Gruber erinnert sich“ drehte, in der sie eloquent, charmant und bescheiden zugleich von ihren vielen persönlichen Begegnungen berichtet.

Selbst nach einem Schlaganfall 2017, von dem sie sich nicht mehr ganz erholen sollte, verließ sie weder der Mut noch die Lust an der Begegnung mit anderen Gleichgesinnten, und immer wieder kam sie zu Vernissagen oder Podiumsgesprächen. Am 19. August 2021 lud sie zum letzten Mal zum Geburtstag der Fotografie zu sich nach Hause ein und natürlich sind alle ihrem Aufruf gefolgt und haben mit ihr auf das Medium angestoßen, in dessen Dienste sie sich zeit ihres Lebens gestellt hat.

Renate Gruber Immer elegant und immer mit Humor: Renate Gruber auf der Baustelle des L.-Fritz-Gruber-Platzes in der Kölner Innenstadt. Foto: Klaus Czerwinski Always elegant and always with humour: Renate Gruber on the construction site of L.-Fritz-Gruber-Platz in Cologne’s city centre.
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Photo: Klaus Czerwinski

Auch die berühmte amerikanische Fotografin Annie Leibovitz hat das Ehepaar Gruber fotografiert – 1989 in ihrem Garten in Köln-Braunsfeld.

Repro: Rheinisches Bildarchiv

Reproduction:

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The famous American photographer Annie Leibovitz also photographed the Gruber couple - in 1989 in their garden in Cologne-Braunsfeld.
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Rheinisches Bildarchiv

and benevolent. Or, as their daughter, the photographer and artist Bettina Gruber, once appositely put it: Even the most unsympathetic people turned tame and friendly in their presence.

A year and a half after Renate’s call, I myself had the privilege of joining that community: Renate invited us –Heide Häusler, Nadine Preiß, Inga Schneider and I had taken on Internationale Photoszene Köln in the meantime – to the legendary birthday party at the Haus Gruber in Paulistraße. It was not her own anniversary she was celebrating, for instance, or that of her husband, who had passed away in 2005, but no less than the birthday of photography itself: Louis Daguerre’s patent was officially presented and made available to the public in Paris on 19 August 1839. Thus began the triumphal march of a medium that enthuses so many people to this day and that was set to change the whole world. And to which the Grubers devoted their whole lives. Which does not mean, though, that the two were stuck in the past. They were also always interested in changes and developments and supported the upcoming generations as far as it was in their power to do so – so it was, too, for us from the Photoszene, to which Renate wished plenty of “fortune” and opened many a door. Because, for all her amiability and courtesy: Renate was also an authority, of course, and when she phoned someone and asked them to meet a young photographer – or young festival-makers – then that is exactly what that someone did. That said, Renate was not exactly born into photography. Until she met Leo Fritz Gruber – 28 years her senior – and ultimately married him in 1959, she only knew photos as “family snapshots with crinkly edges”. She had never even been to a photography exhibition before, as she related in an interview with the “Audioarchiv Kunst”. That was very soon to change, since at that time L. Fritz Gruber was already a photography expert with excellent international connections. From then on, the two journeyed together chiefly through Europe and North America, meeting photographers, curators and collectors and making friends with many, who then went on to be regular visitors to their home. Renate rapidly evolved into far more than merely the wife at the side of her well-known husband: she herself became an expert, promoter, charming conversation partner and busy networker, and rendered a considerable contribution towards ensuring that photography gained acceptance as an art form in Germany.

Secondarily, the Grubers built up a comprehensive photography collection comprising around 5,500 prints by Edward Steichen, August Sander, Man Ray, Cecil Beaton, Irving Penn, Richard Avedon, Albert Renger-Patzsch and many other greats on the scene. In 1977, that collection went to the newly established Museum Ludwig, where it seeded one of the most important photographic collections of all, which today comprises more than 70,000 works.

At least precisely as important, though, was Renate’s phenomenal recall: hardly a meeting with her went by without her telling a little anecdote or sharing a memory, and not only remembering the exact year, but also the month and lots of details. Given that, it was only consistent that, in 2016, the Museum Ludwig filmed, with her, a 21-part interview series bearing the title, “Renate Gruber remembers”, in which she eloquently, charmingly, and modestly at once reports on her many first-hand encounters.

Even after a stroke in 2017, from which she was never fully to recover, she lost neither the courage nor the passion for meeting fellow like-minded people, and she attended a succession of openings or podium debates. On 19 August 2021, she sent out a final invitation to her home for photography’s birthday and, naturally, everyone followed her summons and joined her in a toast to a medium she spent a lifetime serving.

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Renate Gruber

Den unbekannten Blick wagen

Die Photoszene-Residency

„Artist Meets Archive” geht in die dritte Runde

Das Entstehen von Fotos und ihre Verbreitung nehmen im digitalen Zeitalter schwindelerregende Ausmaße an, doch was von all diesen Aufnahmen ist eigentlich von Relevanz? Für uns heute und für die Zukunft? Diese Fragen können wir (noch) nicht beantworten. Aber wir können sie rückwirkend stellen und auf die Fotos schauen, die vergangene Generationen für uns aufbewahrt haben. Köln bietet dafür schier unendliche Möglichkeiten, denn wir leben hier nicht nur in einer Stadt der Fotografie, sondern auch in einer Stadt mit einer enorm hohen Dichte an unterschiedlichsten Archiven und Sammlungen.

Doch welche Erkenntnisse bringen uns diese Bilderspeicher? Ist das Wissen, das sie vermitteln, für jeden Betrachter gleichermaßen abrufbar? Und wie statisch oder doch neu interpretierbar sind die Narrationen, die in den Archiven festgeschrieben wurden? Üblicherweise schauen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf diese Archive und Sammlungen und analysieren, beschreiben und kategorisieren sie. Wir wollten aber den anderen, den komplett fremden Blick wagen und fördern. Das war die Geburtsstunde unseres Programms „Artist Meets Archive“ vor sechs Jahren.

Mit Naoya Hatakeyama aus Japan, Lebohang Kganye aus Südafrika, Pablo Lerma aus Spanien und Lilly Lulay aus Deutschland/Belgien haben wir bereits zum dritten Mal internationale Künstlerinnen und Künstler eingeladen, damit sie sich mit diesen Bilder-Konvoluten auseinandersetzen, sie für sich entdecken und eigene künstlerische Positionen aus ihnen heraus entwickeln können. Die Archive und Sammlun-

gen, mit denen sie sich beschäftigen, könnten dabei kaum unterschiedlicher sein: das NS-Dokumentationszentrum, das Rautenstrauch-Joest-Museum, das Museum für Ostasiatische Kunst und das Rheinische Bildarchiv.

Gemein haben ihre Arbeiten jedoch, dass sie sich alle mit den verschiedenen Spielarten der Sichtbarkeit auseinandersetzen, die im Medium Fotografie zum Tragen kommen. Das Thema Sichtbarkeit reicht von einer weiblichen Perspektive (#femalegaze) auf koloniale Kontexte bis hin zum touristischen Blick (#touristgaze), der sich im kollektiven Bildgedächtnis einer Gesellschaft festschreibt. Sichtbarkeit schließt ein, in welchem Verhältnis das künstliche Sehen (#algorithmicgaze) eines Bilderkennungsprogramms zum menschlichen Sehen steht, und verweist schließlich auch darauf, wie der Blick der Macht (#gazeofpower) dafür sorgt, was in Fotografien und den sie beherbergenden Archiven im Verborgenen bleibt.

Auf den folgenden Seiten lesen Sie Auszüge aus Interviews, die Studentinnen und Studenten im Masterstudiengang „Photography Studies and Practice“ der Folkwang Universität der Künste in Essen mit Naoya Hatakeyama, Lebohang Kganye, Pablo Lerma und Lilly Lulay geführt haben und in denen diese ihre unterschiedlichen künstlerischen Ansätze und Perspektiven erläutern.

Die kompletten Interviews finden Sie auf www.photoszene.de

16 Damian Zimmermann
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Daring the Unfamiliar Gaze

The Photoszene Residency “Artist Meets Archive” Enters Its Third Round

In the digital age, the origination of photos and their dissemination are assuming dizzying forms – but what, of all these shots, is actually of relevance? To us today and for the future? We are (still) unable to answer these questions. But we can pose them retroactively and look at the photos that past generations have kept for us. Cologne offers almost infinite opportunities to this end, because here, we are not only living in a city of photography, but also in a city with an enormously high density of different archives and collections. But what knowledge can we glean from these image storehouses? Is the knowledge that they convey equally retrievable for every beholder? And how static, or nevertheless re-interpretable, are the narratives that are codified in the archives? Normally, scientists take a look at these archives and collections and analyse, describe and categorize them. We, however, wanted to dare and encourage the other, completely foreign gaze. That was the hour of birth of our program “Artist Meets Archive”, six years ago.

With Naoya Hatakeyama from Japan, Lebohang Kganye from South Africa, Pablo Lerma from Spain and Lilly Lulay from Germany/Belgium, for the very third time we have invited international artists to delve into these image bundles, explore them for themselves, and develop their own artistic positions out of them. At the same time, the archives and collections which they work with could hardly be more varied: the NS-Dokumentationszentrum, the Rautenstrauch-Joest-Museum, the Museum für Ostasiatische Kunst and the Rheinisches Bildarchiv.

The common feature of their works, though, is that they all deal with the different variants of visibility which come into play in photography. The topic of visibility ranges from a female perspective (#femalegaze) on colonial contexts through to the tourist gaze (#touristgaze), which is laid down in a society’s collective visual memory. Visibility includes the relationship in which the artificial seeing (#algorithmicgaze) of an image recognition program stands to human seeing, and ultimately refers, also, to how the gaze of power (#gazeofpower) ensures what remains hidden in photographs and the archives that house them.

On the following pages you will read extracts from interviews held by students on the “Photography Studies and Practice” Master’s course at the Folkwang University of the Arts in Essen with Naoya Hatakeyama, Lebohang Kganye, Pablo Lerma and Lilly Lulay, in which the latter explain their different artistic approaches and perspectives.

You will find the interviews in full at www.photoszene.de

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Pablo Lerma AMA Interviews

Pablo Lerma (Jahrgang 1986) befragt als Künstler, Theoretiker und Vermittler das Archiv des NS-Dokumentationszentrums mit seinen fotografischen Beständen aus der Zeit des Nationalsozialismus nach Aspekten von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit, Repräsentation und Trauma. Durch ein Reenactment werden die Bestände der Gedenkstätte aktiviert und das Ö nen, Sichten und Verwahren von Archivalien zum Gegenstand einer Performance.

Pablo Lerma (born 1986), as artist, theoretician and educator, queries the archive of the NS-Dokumentationszentrum, with its photographic holdings from the National Socialist period, for aspects of visibility and invisibility, representation and trauma. The memorial site’s holdings are activated by means of a re-enactment and the opening, viewing and keeping of archived items are made the object of a performance.

Foto: TRIPA 18

Wie gehst du mit der Logik eines Archivs um, dass Bestände auseinandergerissen sind und einzelne Stücke fehlen?

Wie viele andere Archive befindet sich auch dieses in einem Prozess. Es enthält eine Unmenge von Materialien. Die Arbeit des Archivs verschlingt viel Zeit, da Information digitalisiert und in die Datenbank eingespeist werden muss. Außerdem befinden sie sich gerade in einer heiklen Situation, weil viele Menschen bereits verstorben sind; es sind Menschen, die, soweit es die hier gesammelten besonderen Materialien betri t, etwas mit den Konzentrationslagern oder mit der Zeit des Nationalsozialismus zu tun haben. Es kostet viel Zeit und Sucherei, um die Verbindungen zwischen Dokumenten, Papieren, Bildern herzustellen. Wenn man bedenkt, wie lange es dauert, bis ein einziges Album digitalisiert ist, kann man sich ausrechnen, was es heißt, dass Hunderte von ihnen zu verarbeiten sind. Dokumente müssen mit diesen Alben in Beziehung gesetzt, es muss herausgefunden werden, wer die vorliegende Person war und welche korrekten Angaben in die Datenbank hochzuladen sind. Doch zugleich ist das NS-Dokumentationszentrum kein gewöhnliches Archiv. Es ist ein Ort, an dem sich Teile der Geschichte der Menschheit befinden. Es geht deshalb auch immer um Sichtbarkeit und Darstellung.

Aus ethischen Gründen ist der Archivbestand des NS-Dokumentationszentrums mit Respekt zu behandeln. Wer mit einem emotional so aufwühlenden Thema arbeitet, muss sich wohl persönlich Grenzen setzen. Ganz abgesehen von dem emotionalen Stress, lädt die Archivarbeit und die Präsentation einer

„künstlerischen Intervention“ eine enorme kulturelle Verantwortung auf deine Schultern. Wie gehst du als Künstler damit um und was hat das Projekt mit dir gemacht?

Ich bin kein Deutscher, ich habe keine unmittelbare Verbindung zur deutschen Geschichte. Es findet sich in meiner familiären Vorgeschichte nichts, das etwas mit diesem Land zu tun hätte. Aber den Umstand, dass ich Stellung beziehen muss, kann ich nicht leugnen. Das Entscheidende ist für mich dieses: Ich kann keine Arbeit machen, die lediglich von Ästhetik spräche, keine, ohne mich selbst und meine Erfahrung in eine Beziehung zu diesem Inhalt und zu der Institution zu setzen, die mich beauftragt hat. Ich habe viel Zeit im Magazin bloß damit verbracht, Kisten zu ö nen und eine Menge Fragen zu stellen. Da spürte ich gewisse Reibungen, die das Projekt mit sich bringt. Ich war jedes Mal emotional erschöpft, nachdem ich einen Tag im NS-Dokumentationszentrum verbracht habe. Ich schaute Hunderte von Fotos und Fotoalben von Nazi-Familien oder von Familien an, die dem Regime nahestanden. Nach ein paar Besuchen, bei denen ich etliche Archivkisten geö net und mir vor allem Nazi-Material angeschaut habe, was mich erschöpfte und auslaugte, ging ich zurück in mein Hotel und fragte mich: Warum mache ich das? Was bringt es mir, in dieser Stellung am NS-Dokumentationszentrum zu sein? Deshalb entschied ich vergangenen Sommer bei meinem letzten Besuch, dass ich mit diesen Inhalten nichts mehr anfangen will. Die Hauptsache war für mich der Behälter: die Institution selbst als Behälter, das Magazin als Behälter innerhalb der Institution sowie die Archivbox voller Materialien innerhalb des Magazins als weiterer Behälter.

Pablo Lerma
AMA Interviews Pablo Lerma im Archiv des NS-Dokumentationszentrums. Foto: buerofuerkommunikation Pablo Lerma in the archive of NS-DOK. Photo: buerofuerkunstkommunikation 19

Naoya Hatakeyama

Naoya Hatakeyama (Jahrgang 1958) hat sich mit der fotografischen Sammlung des Museums für Ostasiatische Kunst auseinandergesetzt und verwendet Fotografien von japanischen Sehenswürdigkeiten aus der Meiji-Ära Japans (1868–1912) als Inspiration für seine eigene fotografische Untersuchung dieser Orte. Dabei interessiert ihn der zeitliche Aspekt, der zwischen den damaligen touristischen Ansichten und der heutigen Landschaft liegt. Die spielerische Gegenüberstellung von Archivmaterial und seinen eigenen Aufnahmen ö net darüber hinaus das Spektrum zwischen der Fotografie als Dokument und der Fotografie als Kunstwerk.

Naoya Hatakeyama (born 1958) took on the examination of the photographic collection in the Museum für Ostasiatische Kunst and uses photographs of Japanese sights from Japan’s Meiji period (1868-1912) as inspiration for his own photographic investigation of those places. Along the way, he is interested in the temporal aspect that is located between the tourist vistas at that time and today’s landscape. Furthermore, the playful juxtaposition of archive material and his own shots opens the spectrum between the photograph as document and the photograph as artwork.

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AMA Interviews
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Foto: Marion Mennicken (RBA)

Du arbeitest zusammen mit dem Museum für Ostasiatische Kunst (MOK), welches über eine umfangreiche Sammlung an Fotografien verfügt. Wie war dein erster Eindruck beim Sichten des Bestandes, und hat sich dein Eindruck im Lauf der Zeit verändert?

Dank deren Sammlung habe ich enorm viel herausgefunden und die Museumsarbeiter begreifen sehr gut, wie dieser Lernprozess verläuft. Sie lächeln und haben stets ein Auge auf mich, während ich ihrer Sammlung neue Bedeutungen abgewinne. Es ist wichtig, zwischen „Sammlung“ und „Archiv“ zu unterscheiden. Einerseits liegen im Archiv Fotos, die für Kataloge oder als Kopien für den Druck abgezogen worden sind – es sind mit anderen Worten Reproduktionen der Originalwerke, die deshalb keine unmittelbare Wirkung auf unser Empfinden und Denken haben. Andererseits besitzt das MOK eine riesige, von seinem Gründer, Adolf Fischer, zusammengetragene Sammlung an Fotografien, die Ende des 19. Jahrhunderts in verschiedenen Teilen Asiens entstanden sind. Versteht sich, dass sich diese nicht im Archivkabinett befinden. Zweck der zahllosen Reisen Fischers nach Ostasien war es, in jedem Land nach Gemälden, Skulpturen und anderen Kunstwerken zu suchen. Gemälde und Skulpturen können erworben und zurück nach Europa gebracht werden. Doch gibt es Dinge in der Welt, die ebenso schön wie Gemälde und Skulpturen sind, aber nicht eingepackt werden können, dazu gehören Architektur und Landschaft. Was hat er stattdessen mitgebracht? Kopien dieser Dinge, genannt Fotografien.

Du begegnest den auf den Fotografien abgebildeten Orten wieder und unterziehst sie deinem fotografischen Blick von heute. Welche Orte interessieren dich im Rahmen dieses Projekts? Recherchierst du über die abgebildeten Orte schon im Vorfeld oder lässt du dich überraschen?

Nachdem mir aufgegangen ist, dass ich „Japaner“ bin, habe ich tiefe Einsichten in die reiche Geschichte des kulturellen Austauschs zwischen Japan und Europa gewonnen. Diese Erkenntnis war ein wahrer Glücksfall. Zwar kann man den Begri „Fotograf“ oder „Fotografin“ darauf herunterbrechen, dass das welche sind, die Fotos machen, doch steckt noch eine tiefere Absicht hinter ihrer Tätigkeit. Es beginnt mit dem Akt des „Betrachtens“. „Betrachten“ ist der Vorgang des Übersetzens von visuellen Informationen in bedeutungsvolle Einsichten. Diese Fähigkeit des Betrachtens verfeinern die Fotografen und Fotografinnen mittels der körperlichen Erfahrung, ihre eigenen Fotografien aufzunehmen und zu untersuchen, aber auch, indem sie die Werke anderer studieren. Dank dieses dialektischen Prozesses entwickelt sich eine einzigartige Kompetenz in der Kunst des Betrachtens.

In deinem Werk ist der Aspekt der Zeit von besonderer Bedeutung. Welche Rolle spielt Zeitlichkeit in deiner Auseinandersetzung mit dem Archiv des MOK?

Wenn ich Fotos anschaue, kann ich etwas über Zeitlichkeit herausfinden, auf eine Weise, die mir sonst im Alltag verschlossen bliebe. Dank der Fotografien vollendet sich meine Lebenszeit. Deren Bedeutung wächst dadurch für mich an und transzendiert sich zu einem reinen Begri , der noch immer ein tiefes Geheimnis in sich birgt.

You’ve been working together with the Museum of East Asian Art (MOK), which has an extensive collection of photographs. What was your first impression when viewing the collection and has your impression changed over time?

I have learned so many new things from their collection, and the people who work in the museum understand this learning process very well. They smile and watch me carefully as I am pulling out new meaning from their collection. To think about the difference of “collection” and “archive” is another important thing. The photographs in the MOK archive were taken for catalogue purposes or as copies for printing – in other words, they are reproductions of the original art works and do not directly affect our sensibility and thought.

On the other hand, the MOK has a large collection of photographs collected by its founder, Adolf Fischer, in various parts of Asia at the end of the 19th century. Needless to say, these are not in the archive cabinet. The purpose of Fischer’s numerous trips to East Asia was, of course, to research and collect paintings, sculptures and other works of art in each country. Paintings and sculptures can be acquired and brought back to Europe. However, there are some things in the world that are as beautiful as paintings and sculptures, but cannot be taken back home, such as architecture and landscapes. What did he bring back instead? It was copies of those, called photographs.

As we have already come to know, you re-encounter the places from the photographs and subject them to your photographic gaze from the now. What are the places that interest you in this project? Do you research the places depicted in the photographs beforehand or does a certain moment of surprise play a role when you go to them?

I came to recognize myself as “Japanese” and gained a concrete understanding of the rich history of cultural exchange between Japan and Europe. It was a stroke of good fortune that brought me this realization. While the term “photographer” may be simplified as one who takes photographs, there is a deeper purpose behind their work. It all begins with the act of “looking.” “Looking” is the process of translating visual information into meaningful insights. For photographers, this ability to “look” is honed through the physical experience of taking and examining their own photographs, as well as through studying the work of others. This dialectical process forms a unique expertise in the art of “looking.”

In your own work, the aspect of time is of particular importance. What role does temporality play in your engagement with the MOK archive?

By looking at photographs, I can learn about temporality in a way that I would not experience through my daily life. Thanks to photographs, the time of my own life is completed. Its meaning becomes greater for me and it has become a pure concept that still holds a deep mystery.

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AMA Interviews
Naoya Hatakeyama Das Interview führten
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Interview by Oliver Heise, Martin Ruckert, Jan Steuer und/and Tobias Nielsen.

Lebohang Kganye

Ausgangspunkt von Lebohang Kganyes (Jahrgang 1990) Arbeit ist ein Konvolut von Abbildungen der deutschen Malerin und Fotografin Marie Pauline Thorbecke aus dem Archiv des Rautenstrauch-Joest-Museums. Thorbecke unternahm von 1911 bis 1913 gemeinsam mit ihrem Mann Franz Thorbecke im Auftrag der Deutschen Kolonialgesellschaft eine Expedition nach Kamerun. Kganye reiste 110 Jahre später auf ihren Spuren erneut durch das Land und verwebt Erinnerungen, Eindrücke und Erzählungen aus weiblicher Perspektive in einer Videoarbeit und einer Rauminstallation.

The departure point of Lebohang Kganye’s (born 1990) work is a bundle of illustrations by German painter and photographer Marie Pauline Thorbecke from the archive of the Rautenstrauch-JoestMuseum. Between 1911 and 1913, together with her husband Franz Thorbecke, Thorbecke undertook an expedition to Cameroon on assignment from the German Colonial Society. 110 years later, Kganye once again followed her trail through the country and weaves together memories, impressions and stories from a female perspective in a video work and an installation.

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Foto: Lerato Ntombela
AMA Interviews

Du hattest noch nie zuvor mit Fotografien in einer ethnologischen Sammlung zu tun. War es eine Herausforderung für dich, im Rautenstrauch-Joest-Museum und in der Sammlung von Marie Pauline Thorbecke zu arbeiten? Kannst du uns etwas über die Erfahrung berichten, den Bildermassen in dieser Sammlung gegenüberzustehen? Waren, um sie zu bewältigen, neue Methoden und künstlerische Strategien erforderlich?

Es war deshalb herausfordernd, weil ich in den letzten zehn Jahren auf eine ganz bestimmte Weise gearbeitet habe. Meine Recherche war auf Fragen der Identität und der Vergangenheit von Südafrika konzentriert. Doch als ich die Sammlung des Museums durchgesehen habe, befand sich in ihr nichts, was „zu mir sprach“.

Über die Problematik der Fotografie in diesem Zusammenhang ist viel diskutiert worden. Mir fiel auf, dass die Landschaftsgrafiken von Thorbecke verführerisch auf mich wirkten, tatsächlich aber einem andern Zweck dienten. Sie waren oft ebenso zwingend wie ethnologische Fotografien, die für wissenschaftliche Experimenten angefertigt wurden. Es ging mir nun darum, diese so unterschiedlichen Werke gegeneinander abzuwägen. Und ich gewann den Eindruck, dass über diese besonderen Archivmaterialien auf neue Weise nachzudenken wäre: Man könnte sie als Werkzeuge des Kolonialismus sehen. Das schien mir in diesen Grafiken zu stecken. Es gehört zu meiner Methode, genau an die Orte zu reisen, an denen Archive aufgebaut worden sind. Es war also eine wichtige Etappe im Arbeitsprozess, nach Kamerun zu gehen. Ich beschäftigte mich mit Menschen, die dort lebten, weil in diesem Fall die Fotos und die Grafiken nicht außerhalb der Zeugnisse, der Oral History und der geteilten persönlichen Erinnerungen betrachtet werden können. In diesem Sinne setzte ich meine bisherige Praxis fort. Der Arbeitsprozess ähnelte demjenigen, der zu „Ke Lefa Laka: Her-Story“ geführt hat, einem Werk über meine Mutter, für das ich mich genau an die Orte begab, an denen sie fotografiert worden ist.

Großartig an meiner „Artist Meets Archive“Künstlerinnenresidenz war die Fülle von Material. Es gab ja nicht nur die Landschaftsillustrationen und die Fotos. Thorbecke hat auch ein Tagebuch verö entlicht,

in dem die genaue Lage der Orte dokumentiert ist, die sie gezeichnet hat, außerdem gibt es Beschreibungen dieser Orte aus den Jahren von 1911 bis 1913. Das war für mich der „Einstieg“. Ich suchte einige dieser Orte auf, um einen Kontrast zu dem zu scha en, was sie über sie im Tagebuch schrieb und was sie zeichnete. Dann beschäftigte ich mich mit den Leuten, die heute an diesen Orten leben. Es ist also doch ein ganz ähnlicher Arbeitsvorgang wie bislang, bloß geht es nicht um eine „persönliche“ Geschichte.

Könnte deine Arbeit als ein Gegen-Archiv angesehen werden? Stellt sie eine Reaktion auf die Darstellungslücken innerhalb o zieller oder staatlicher Archive dar? Kam es vor, dass du dich bewusst mit bestimmten Bildern befasst oder nicht befasst hast, weil sie im weiteren Sinn politisch waren?

Absolut! Die Herausforderung für mich als schwarze Frau aus Südafrika bestand ja gerade darin, dass ich in einem ethnologischen Museum auf für mich hochproblematisches Material stoßen kann. Auch wenn ich mich am Ende dafür entschied, zurückzukehren und damit zu arbeiten. Es wird einerseits einen Film geben, der um das Tagebuch von Thorbecke kreist. Sie spricht darin von ihrem Alltag in Kamerun, darüber, wen sie getro en haben, was sie über das Essen, das Wetter dachte. Sie geht sehr ins Detail. Andererseits gibt es eine Installation mit Dioramen. Sie basiert auf von Kamerunern geschriebenen Büchern, die ich mir besorgt habe, als ich vor Ort in Kamerun war. Darin geht es um die Erinnerungen und die ganz anderen Geschichten, die bislang bloß mündlich weitergegeben worden sind. Das war mir wichtig, denn sonst wäre – in der Frage, von wem diese Geschichte vor allem handelt – ein Ungleichgewicht entstanden. Ich bin nun sehr froh darüber, dass das alles so zusammengekommen ist.

Das Interview führten

Dortje Fink, Sarah Gramotke, Malte Radtki, Gloria Ruiz und Marie Stadelmann.

Rautenstrauch-Joest-Museum.

Photo: buerofuerkunstdokumentation

Lebohang Kganye and Lucia Halder in the Historical Photo Archive of the

Rautenstrauch-Joest-Museum.

Foto: buerofuerkunstdokumentation

Lebohang Kganye und Lucia Halder im Historischen Fotoarchiv des

AMA Interviews 27
Lebohang Kganye

Lilly Lulay

Lilly Lulay (Jahrgang 1985) geht im Rheinischen Bildarchiv der Frage nach, wie Künstliche Intelligenz Bilder betrachtet und was im Vergleich dazu ihre eigene künstlerische Aufmerksamkeit bei der Bildbetrachtung lenkt. Als Grundlage dient ihr das Archiv des Kölner Fotografen Karl-Heinz Hatlé, der fast 40 Jahre lang viele Teile der Welt bereiste und dabei auch die ersten Zeichen einer globalisierten Warenwelt mit seiner stereoskopischen Kamera abbildete. Gemeinsam mit Schülerinnen der Gesamtschule Holweide reflektiert Lulay dabei unsere heutige Bildkultur, die von Algorithmen und Bilderkennungsprogrammen geprägt ist.

Lilly Lulay (born 1985), in the Rheinisches Bildarchiv, pursues the question of how Artificial Intelligence looks at pictures and what, in comparison to that, steers her own photographic attention when she contemplates pictures. Her basis is the archive of the Cologne-based photographer Karl-Heinz Hatlé, who for almost 40 years travelled to many parts of the world, also illustrating the early signs of a globalized world of commodities with his stereoscopic camera. Together with pupils from the Gesamtschule Holweide, Lulay reflects, in the process, on our visual culture of today, which is characterized by algorithms and image recognition programs.

30 AMA Interviews 30
Foto: Enrique Ramirez

Wie ist es dir gelungen, die Fotografien von Karl-Heinz Hatlé als Rohmaterial zu betrachten und gleichzeitig sein Werk in der Gegenwart fortzusetzen?

Die Fotografien, mit denen ich arbeite, sind Reisefotografien, die zwischen 1950 und 2000 entstanden sind. Die Idee von Hatlé war, mit diesen Bildern fremder Orte und unbekannter Kulturen mehr Toleranz in der deutschen Gesellschaft zu stiften. Jetzt, fast 70 Jahre danach, war mein Eindruck, dass diese fremden Kulturen gar nicht mehr so fremd und weit weg sind. Zum einen, weil Deutschland ein Einwanderungsland ist, zum anderen, weil wir durch die Globalisierung digital, aber auch analog unglaublich stark mit anderen Orten der Welt vernetzt sind.

Wenn man sich im Alltag umguckt, gibt es eigentlich kaum Dinge, die ausschließlich in Deutschland hergestellt wurden. Mein Smartphone wurde zum Beispiel in Amerika konzipiert, die Rohsto e kommen aus Lateinamerika und Afrika, es wurde in Asien zusammengebaut und dann zurück nach Deutschland verschi t. Unglaublich viele Hände haben das Handy in unterschiedlichen Ländern der Erde angefasst, bis ich es schließlich in den Händen halte. Mit dieser Idee habe ich das Archiv angeschaut und dann vor allen Dingen Fotos herausgesucht, auf denen man Menschen sieht, die gerade etwas produzieren. Mein Eindruck ist, dass wir heute mit so vielen industriell gefertigten Produkten zu tun haben, dass wir vergessen, dass trotzdem Handarbeit und Menschen dahinterstecken. Deshalb versuche ich in meiner Arbeit, jene geisterhaften Personen, die sich hinter Produkten des alltäglichen Konsums verstecken, im Ausstellungsraum präsent zu machen.

Der Titel „Ghosts@Work“ verbindet mehrere Themen der Ausstellung. Zum einen verweist er auf jene unsichtbaren Menschen, die die Produkte unseres alltäglichen Konsums herstellen. Der Begri „Ghost Work“ kommt eigentlich aus dem digitalen Bereich. Er beschreibt die Arbeit von Menschen, die im Hintergrund KI trainieren, korrigieren oder unterstützen, aber deren Intervention mit Absicht unsichtbar bleibt, um den Zauber der Automatisierung nicht zu durchbrechen.

Gleichzeitig hat der Titel mit unserer aktuellen Bildkultur auf Instagram zu tun und mit der Debatte, ob wir als Prosumenten – also Konsumenten und Produzenten von Inhalten – entlohnt werden sollten. Denn wenn wir etwas auf Instagram anschauen oder posten, nehmen wir das zwar nicht als Arbeit wahr, aber was wir tun generiert Wert für Facebook. Während wir scrollen, liken und posten generieren wir Nutzerdaten, die digitale Unternehmen gewinnbringend weiterverkaufen, sodass das, was wir tun, eigentlich Arbeit ist. Wir investieren unsere Lebenszeit und erscha en damit Wert für andere. Auch daher der Titel „Ghosts@Work“, da überall Menschen an der Arbeit sind, ohne dass man es merkt.

Was ist dein Interesse daran, KI innerhalb deiner Werke zu nutzen?

Unser Blick auf die Welt ist heute zunehmend geprägt von KI, die zum Beispiel Suchergebnisse auf Google und Social Media Accounts kuratiert und zensiert. Mich interessiert daher, wie KI funktioniert – was sie kann und was nicht. Am Ende möchte ich den Mythos durchbrechen, dass Künstliche Intelligenz so intelligent wäre.

Bei der KI von Google, die ich verwendet habe, um Hatlés Bilder zu betrachten, wurde schnell deutlich,

dass es eine sehr kommerzielle KI ist, die trainiert wurde, um Produkte zu erkennen. Dementsprechend beschränkt ist ihr Wahrnehmungshorizont. Was diese KI „erkennt“, ist oftmals absurd, denn sie sieht vieles, was uns Menschen prägnant erscheint, nicht und reduziert Bilder auf eher nichtssagende Begri e wie Mensch, T-Shirt, Hut. Die Aufgabe, ein Bild adäquat per Text zu beschreiben, ist eine Herausforderung, die auch die Archivare des Rheinischen Bildarchivs kennen. Wie eine KI müssen auch sie Metadaten analysieren, Informationen extrahieren und Bilder auf Schlagworte reduzieren, um sie kategorisier- und vergleichbar zu machen. Google, Facebook und Co. haben heute mehr Bilder in ihren Datenbanken als jedes staatliche Archiv. Aber sind diese neoliberalen Unternehmen die richtige Adresse, um unser kollektives Gedächtnis zu verwalten? Anders als bei staatlichen Archiven können wir nicht erkennen, nach welchen Prinzipien, Schlagworten und Einund Ausschlusskriterien Bilder hier verwaltet werden. Ich finde, wir müssen uns bewusst werden, dass Bilder, die wir heute privat mit Freunden digital teilen, immer auch von KI analysiert und von digitalen Unternehmen weiterverwendet werden. Indem wir Bilder teilen, geben wie diesen Unternehmen Zugang zu unseren Interessen und damit auch Macht darüber, unseren Blick auf die Welt auszurichten. Wir wissen nicht, was mit diesen Bildern und den daraus errechneten Informationen in der Zukunft passiert.

31 AMA Interviews 31
Lilly Lulay Das Interview führten
Einblick in
Bestand
Hatlé
Rheinischen Bildarchiv. Foto: buerofuerkommunikation Insight into the Karl-Heinz Hatlé collection in the Rheinisches Bildarchiv. Photo: buerofuerkunstkommunikation
Ilkin Guliyev, Chennan Jin, Hossein Mousavifaraz, Joanna Nencek und Sora Park.
den
Karl-Heinz
im

Der Scanner scannt den

Fragile Infrastrukturen“ zeigt die überzeugendsten

Arbeiten des ersten Open Call der Internationalen Photoszene Köln

Mit dieser großen Resonanz haben wir nicht gerechnet: Beim ersten Open Call der Photoszene Köln erhielt die Jury stolze 572 Einreichungen von Fotografinnen, Fotografen, Künstlerinnen und Künstlern. Das hat uns auch deshalb überrascht, weil die Teilnahmevoraussetzungen relativ konkret und eng gefasst waren: Unter dem Titel „Photography In Progress“ suchten wir nach fotografischen und filmischen Arbeiten und Serien, die sich mit dem technischen Wandel, dem Fortschritt und den Auswirkungen des Mediums beschäftigen – neue Techniken und Gebrauchsweisen von Fotografie konnten dabei genauso gemeint sein wie neue Bildsprachen. Außerdem durften die Arbeiten nicht älter als drei Jahre und noch nicht in größeren Ausstellungszusammenhängen zu sehen gewesen sein.

Umso erfreuter waren wir über das riesige Interesse, die internationale Teilnahme und die hohe Qualität der Einreichungen. Die siebenköpfige Jury, bestehend aus Daria Bona, Linda Conze, Adelheid Komenda, Thomas Seelig, Alexander Hagmann, Dana Bergmann und mir, musste eine Auswahl der besten und interessantesten Arbeiten tre en. Diese wiederum diente im Anschluss den beiden Kuratoren Dana Bergmann und Alexander Hagmann als Grundlage für die gleichnamige Ausstellung, die während des Photoszene-Festivals in den Kunsträumen der Michael Horbach Stiftung zu sehen ist. Keine ganz einfache Aufgabe, schließlich wurden die Sieger des Wettbewerbs aufgrund ihrer Qualität ausgesucht, nicht im Hinblick darauf, ob sie gemeinsam eine stimmige, vielschichtige und im besten Fall inspirierende Ausstellung ergeben.

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The Scanner Scans the

Für Hagmann und Bergmann hat sich die Auswahl allerdings als äußerst stimmig und der Ausstellungsort mit seinen vier hintereinander angeordneten Ausstellungsräumen als sehr günstig herausgestellt, denn so konnten sie die insgesamt 18 Positionen in mehrere Themenfelder unterteilen. Den Beginn der Ausstellung machen Künstlerinnen und Künstler, die sich mit Themen wie Infrastruktur, Architektur, Urbanität und Städtebau auseinandersetzen. Ein Beispiel dafür ist die raumgreifende Installation von Johann Husser, der sich in „Proposal for a city“ mit Aspekten der Stadtentwicklung beschäftigt und uns (Un-)Orte und (Fake-)Realitäten zeigt, die meist alles andere als schön und fotografierenswert sind, gleichzeitig in einer fast sterilen Ästhetik skulpturale Qualitäten entwickeln. Fragen danach, wem die Stadt eigentlich gehört, wer in ihr sichtbar wird und wer sie mitgestalten darf, beschäftigen Husser, der vor seinem Studium an der Kunsthochschule für Medien Köln auch Raumplanung an der TU Dortmund studiert hat (siehe auch „L. Fritz“, Nr. 8).

Dazu harmoniert auf wunderbare Weise Maxim Zmeyevs Arbeit „Type 1.5.11.“, für die er unmögliche Architekturen aus dem postapokalyptischen Massively-Multiplayer-Online-Spiel (MMOG) „Fallout 76“ generiert und sie in nüchterne Architekturfotografie übertragen hat. Das Besondere ist, dass die Spieler selbst ihre „Camps“ mit Gebäuden bis in die kleinsten Details hinein gestalten können, was wiederum Einfluss auf die Charakterentwicklung der Spieler(-figuren) hat. Der in Leningrad geborene und in Paris lebende Zmeyev erkennt darin den negativen Einfluss des kapitalistischen Wettbewerbs auf die Spieleindustrie und lädt dazu ein, über

Photography In Progress
Fragile Infrastrukturen” presents the most compelling works from the first Open Call issued by Internationale Photoszene Köln
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die Beziehung zwischen Mensch, Lebensraum und Besitz nachzudenken, die auch vor der virtuellen Spielewelt keinen Halt macht.

Nicht mit dem virtuellen, aber mit dem imaginären und vor allem durch die Popkultur geprägten Bild, das er von der Stadt Los Angeles hat, beschäftigt sich der Österreicher Thomas Albdorf in „Body Double“. In einer Art Spaziergang, der so nie stattgefunden hat, zeigt er uns seine Eindrücke, die jedoch aus Composings und Montagen aus eigenen Fotografien sowie aus Bildern aus Filmen und Google Street View stammen. Surreale Skulpturen hinterfragen ihren eigenen Entstehungsprozess und wir wissen, dass mit den Bildern irgendetwas nicht stimmt –nur kommen wir einfach nicht darauf, was es genau ist.

Mit seiner Skulptur „Photographic Trash“ blickt Martin Ruckert hingegen ernsthaft und augenzwinkernd zugleich auf den Entstehungsprozess eines analogen fotografischen Abzuges – und zeigt uns die fast 100 Teststreifen, die er für den Ausstellungsabzug seines Bildes „No Worries“ in der Dunkelkammer genutzt und verbraucht hat. Konsequenterweise präsentiert Ruckert, der aktuell an der Folkwang Universität der Künste seinen Master macht, die Streifen nicht in einem hochwertigen Rahmen und erhebt sie allein dadurch zur Kunst, sondern in einem transparenten Mülleimer und stellt somit auch die Nachhaltigkeitsfrage in der Kunstproduktion.

In der Videoarbeit „Astrid (Doppel)“ zeigt uns die in Leipzig lebende Sophie Meuresch in zwei hochformatigen Videos ein filmisches Porträt einer jungen Frau. Irritiert wechselt unser Blick zwischen den beiden Filmen hin und her. Die Gemeinsamkeiten sind augenscheinlich, denn wir sehen in beiden Filmen dieselbe Person in derselben Situation und aus der nahezu selben Perspektive. Dennoch unterscheiden sich die Filme, denn mal schaut uns Astrid unvermittelt an, mal scheint sie unseren Blick vermeiden zu wollen. Laufen die Filme einfach asynchron ab? Sind es möglicherweise Zwillinge, die uns einen Streich spielen? Unweigerlich kommen einem Barbara Probsts Arbeiten in den Sinn, die eine Situation in exakt demselben Augenblick aus teilweise äußerst unterschiedlichen Blickwinkeln festgehalten hat und die die Wahrnehmung der Betrachtenden herausfordern. Meureschs Zwei-Kanal-Video funktioniert jedoch anders, denn es gibt keinen Moment der Erkenntnis und des Verstehens. Von Beginn an ist es eigentlich klar, dass es schlichtweg zwei Kameras sind, die Astrid aus leicht versetzter Perspektive filmen. Das Irritierende und Herausfordernde ist, dass die Protagonistin die Blickrichtung wechselt, ihn von uns abzuwenden versucht und es dennoch nicht kann. Oder umgekehrt: Wie sehr sie auch versucht, uns zu beobachten, es bleibt immer ein blinder Fleck, der uns nicht erfassen kann.

Eine ganz andere Art von blindem Fleck zeigt uns Kati Faber aus Köln in ihrer poetischen, cleveren und zugleich sehr einfachen Einzelarbeit „Eine Meditation über den Progress“. Wir sehen eine von einer dicken, grauen Staubschicht bedeckte Postkarte, die anscheinend an eine Wand geklebt wurde und die eine rot-orangene Sonne knapp über dem Meereshorizont zeigt. Ein perfektes Kitsch-Idyll aus Zeiten, in denen aus dem Urlaub noch Postkarten verschickt wurden. Jemand – mutmaßlich die Künstlerin selbst – hat den Bereich auf der Postkarte, auf dem die Sonne zu sehen ist, sauber gewischt. Es sind die Schläue eines Kindes und die Eleganz eines Haikus, die mit minimalem Aufwand den Blick durch den wortwörtlichen Schleier auf das Wesentliche, das Eigentliche, das Schöne lenken.

Mit einer Art Guerilla-Taktik eignet sich der in Oslo lebende Spanier Jon Gorospe Werbebilder von im Stadtgebiet immer häufiger anzutreffenden LED-Bildschirmen an, wandelt sie von innen heraus um und sabotiert die Botschaften somit. Die Betrachtenden bekommen bloß die einzelnen Lichtpunkte zu sehen – als Fotografien und als Videos mit all ihrer Schönheit, ihren Fehlern und ihren Nicht-Botschaften.

Der vierte und letzte Raum wiederum widmet sich dem Phänomen des Kopierens, des Adaptierens und des Umwandelns und somit zwangsläufig auch dem Original in einer digitalen Welt. So lassen Katja Stuke und Oliver Sieber aus Düsseldorf in ihrer Gemeinschaftsarbeit

„Scan Copy / Copy Scan“ ein Kopiergerät und einen Scanner aufeinander los, indem sie die Glasoberflächen aufeinandergelegt und die Maschinen gestartet haben: Der Scanner scannt den Kopierer, der Kopierer kopiert den Scanner. Die Ergebnisse werden als überwiegend schwarzflächige Diptychen präsentiert, die von kurzen weißen Lichtstreifen und dem aus der Dunkelheit nur schemenhaft hervortretenden Geräteinneren unterbrochen werden. Wer reproduziert und wer inspiriert wen? Gibt es noch ein Original in einer Welt voller Einflüsse? Gleichzeitig kann die Arbeit als Metapher auf die aktuellen Entwicklungen im Bereich der Künstlichen Intelligenz wie ChatGPT und DALL-E 2 gesehen werden und erinnern an den Vorfall bei Facebook im Jahr 2017, als zwei KIs miteinander einen Dialog begonnen und dabei eine Geheimsprache entwickelt haben, sodass sie vorsichtshalber abgeschaltet werden mussten.

Dem gegenübergestellt wird die seit dem 1. April 2015 laufende Arbeit „Post“ des Japaners Tanaka Soushi, der von der Übertragung und Umwandlung visueller Daten durch optische Geräte und Programmiersprachen fasziniert ist. In „Post“ führt er eine ritualisierte Aggregation und Komprimierung von Mikrodaten durch – zunächst durch Mehrfachbelichtungen der Seiten einer Tageszeitung, die er in ein einziges Bild umwandelt, dann durch weitere Mehrfachbelichtungen von Bilddaten eines Monats, die er in ein einziges Bild umwandelt, und schließlich durch Wiederholung desselben Prozesses für Bilddaten eines Jahres. In der Verdichtung beinhalten diese Zeitungsseiten alle Informationen des jeweiligen Zeitraums und wurden dieser Informationen zugleich beraubt.

„Photography In Progress:

Fragile Infrastrukturen“

zeigt Arbeiten von Thomas Albdorf, Leo Bleßmann, darktaxaproject, Kati Faber, Maximilian Glas, Jon Gorospe, Alex Grein, Johann Husser, Anna Jocham, Kristina Lenz & Alex Simon Klug, Sophie Meuresch, Daniel Poller, Martin Ruckert, Michael Schmid, Berit Schneidereit, Soushi Tanaka, Katja Stuke & Oliver Sieber und Maxim Zmeyev.

Kunsträume der Michael Horbach Stiftung, Wormser Straße 23, Köln, Di.–Fr. 16–20

Sa/So 12–18 Uhr 12. bis 21. Mai 2023

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Photography In Progress Thomas Albdorf: „1023 De Garmo Drive (Four Piece Sculpture)“ aus/from „Body Double“ S. 36/37: Aus der Arbeit „Scan Copy / Copy Scan“ von Katja Stuke und Oliver Sieber. From the work “Scan Copy / Copy Scan” by Katja Stuke and Oliver Sieber. 39

„Einsamkeit ist etwas Positives“

“Loneliness is a positive thing”

Mit der Ausstellung „The Loneliness One dare not sound“ ö net die Düsseldorfer Künstlerin und Kuratorin Donja Nasseri am Ebertplatz vier unterschiedliche Raumformate, die den „Körper als kollektives Sprachrohr des Widerstandes“ zeigen.

Über den politischen und anti-rassistischen Diskurs ihrer Arbeit sprach Nasseri mit der Fotografin und Künstlerin Btihal Remli

With the exhibition “The Loneliness One dare not sound”, Cologne-based artist and curator Donja Nasseri opens, on Ebertplatz, four different room formats which depict the “body as a collective mouthpiece of resistance”.

Nasseri spoke with the photographer and artist Btihal Remli about the political and anti-racist discourse of her work.

47 The Loneliness One dare not sound
Hilal: „Soft Touch No.1“, 2023
* Moshtari

Remli: Eines deiner Anliegen sind Schutzräume. Räume, die People of Color (PoC) wie uns Sicherheit gewähren, für deren Existenz wir aber immer wieder kämpfen müssen.

Nasseri: Das ist mein Anliegen und die Frage, wie wir Zugang bekommen: Indem wir uns versprachlichen und laut werden? Wir werden zu einem Sprachrohr und müssen uns ausdrücken. Anhand von Kunst und Musik beispielsweise. Wenn man diese Anliegen kommuniziert, wird oft nicht verstanden, dass es diskriminierte Gruppen gibt, die einen solchen Schutzraum benötigen, der einem aber nicht gegeben wird.

Ja, das führt oft zu White Fragility. Es passiert recht häufig, dass Rassismus angesprochen wird und sich weiße Menschen angegriffen fühlen. Weiße Frauen weinen dann häufig und nehmen sich wieder Raum, obwohl man selbst angegriffen wurde und Schutz benötigt.

Das ist heftig! Dann musst du wieder trösten und Care-Arbeit leisten – das passiert sehr, sehr oft. Häufig kommt sofort ein Verteidigungsmechanismus auf, sie denken: „Ich werde jetzt attackiert“ und drehen es einfach um.

Bei der Ausstellung geht es nun um das Sprachrohr als Widerstand. Glaubst du, dass dieser Widerstand immer wieder geleistet werden muss? Müssen wir immer wieder über diese Thematik sprechen und ist es unsere Pflicht, Aufklärung zu leisten?

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often due to our language skills? “Inclusion” is not the right word for it. Also: would you say your exhibition’s not only about the mouthpiece as resistance, but it’s also a criticism of the institutions that cause the mouthpiece to fall silent?

I think that’s rather the idea. I don’t think people will notice that as criticism, on the basis of the exhibition.

Your position as a PoC curator in a white world probably has something to do with that too. In these situations you do have to repeatedly try and make your standpoint clear and sometimes you feel like a token (BIPoC who are used by companies and institutions in advertisements and are ultimately misrepresented for the institutions’ own gains; editor’s note). I myself had an experience like that on a postgraduate research programme, where the organizers wanted to come across as being inclusive. Sadly, they turned out to be racist and sexist after all – white men got listened to straight away, white women had to repeat themselves and I, as the only PoC, kept on getting ignored.

That’s mental abuse. That’s just violence.

Whenever I spoke up, they just kept on trying to placate me.

Placating is a kind of silencing too, of course. That’s ver y obviously a structural problem that totally gets brushed aside.

It’s why it is also so important to keep talking about racism, communicating our issue in different ways, because it’s the only way things will get moving. A grim memory’s just come to my mind, when was doing my Abitur 15 years ago and some white fellow students described me using the N-word. Back then I was defenceless, the tools were lacking to enable me to show resistance. Maybe this message is not getting heard by the people who really should be hearing it, but personally I’m seeing and learning that there is a way to express myself and set boundaries and for me, personally, that’s a big step.

These tools are pretty much there for us to us now; although we need to do this unpleasant explanatory work, I’d rather do it than relinquish this space back to the white majority.

One always feels a bit alone with this, and that’s of course another theme of your curatorship. The exhibition’s title is “The Loneliness One dare not sound”, a poem by Emily Dickinson.

The sensation I get from that poem is one of freedom. To me, it’s about the sensation of loneliness as something universal, something you don’t have to fight. Loneliness as something positive. In a patriarchal country, it’s often claimed you need to start a family, a relationship. We’re force-fed the ideal image of normative marriage. I think it’s important to talk about the fact there are other lifestyles, other models and also people who enjoy being by themselves and who have no children. The poem’s also about not needing to be scared about giving into loneliness, while there is another form of it that one often feels in relation to racism. I’m talking about the total overload of experiences or observations and how you’re left alone with those and feel lonely because you’re having to fight

back against the dominant group on your own again. As a marginalized group, you’re always in the weaker position.

Interesting, so you’re talking about two kinds of loneliness. The loneliness that we feel as marginalized persons, and the loneliness Emily Dickinson has in mind, which also offers us the opportunity to be introspective and go deep.

Perhaps that is exactly what we’re demanding: for ignorant people to confront their loneliness and take a look inside themselves.

I appreciate there being an intuitive part, because it’s also about conveying feelings, and poems can do that incredibly well.

For the exhibition, I added lots of text-based pieces, because all this work of explaining isn’t always the solution. We are emotional beings. Photography itself is often categorized as something that’s been recorded by a camera. But what about the pictures in my head? The memories and feelings? For that reason, I wanted to add more media, in order to break through that categorization as well.

And can you say something about body politics, too?

That term is extremely complex and very approximate at the same time. I’m interested in the struggle we have to undertake in society. I’ve experienced many situations where I’ve been ostracized, I’ve spoken up against it and been silenced – I know so many people who are suffering because of this and have been traumatized.

That’s why there need to be more safe spaces. A good friend of mine held a workshop on that subject, it was about allies and accomplices. An ally means a white person who claims to understand racism and be supportive of you, but at the end of the day it’s only words because of societal standing. An accomplice, however, is a white person who fights the fight with you, who supports you and doesn’t take space away from you – quite the opposite.

That’s a very good summar y and it’s on point. And that’s how it is with artistic standing as well. There are accomplices who take a step back and leave the space to you – wonderful!

“The Loneliness One dare not sound” features works by Yaldah Afsah & Ginan Seidl, James Bantone, Poliana Baumgarten, Gago Gagoshidze, Jihye Rhii, Arisa Purkpong and Jana Buch, Thapong Srisai, Lisa Röing Baer, Moshtari Hilal, defrag zine and “check your Habitus”.

At Kunsträume Gemeinde Köln, Gold + Beton, Labor and Mouches Volantes, Ebertplatz, Cologne, daily 3 p.m.–8 p.m., 12 until 21 May 2023

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Foto: Lisa Röing Baer

One dare not sound

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The Loneliness
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Aus der Serie/From the series „Kogai Kigyoshu Jusatsu Kito Sodan“

Leonie Pfennig über die Ausstellung „Vibrant Waters“ in der Temporary Gallery

Unsere Körper bestehen zu 70 Prozent aus Wasser, die Erde ist zu 70 Prozent von Wasser bedeckt. Wasser ist weltweit der größte genutzte Rohstoff, gefolgt von Sand, der ohne Wasser nicht existieren würde. Die Bedeutung von Wasser für Mensch, Umwelt und Entwicklung ist unumstritten. In Anbetracht der Klimakrise können wir feststellen: Wasser spielt immer eine Rolle, entweder weil es fehlt oder weil es sich in viel zu großen Mengen sammelt.

All diese Gedanken schwingen mit im Konzept der Ausstellung „Vibrant Waters“, die Kuratorin Nada Rosa Schroer für die Temporary Gallery konzipiert hat. Wie wird Wasser in der Kunst repräsentiert? Welche Nutzung hat es in der fotografi-

schen Bildproduktion und welche verbindenden Qualitäten birgt Wasser als Ressource und Lebensraum? Gerade der letzte Gedanke verankert die Ausstellung in einem größeren theoretischen Diskurs, der von einem relationalen Weltbild ausgeht, also einer Welt, die aus Beziehungen anstatt Hierarchien aufgebaut ist und in der menschliche und nicht-menschliche Lebewesen – und dazu wird hier auch das Wasser mit all seinen tierischen, pflanzlichen und bakteriellen Bewohnern gezählt – sich gegenseitig bedingen. Nicht der Mensch steht hier im Mittelpunkt, vielmehr ist er Teil von einem Geflecht aus Materie und Material.

Alle paar Jahre wirbelt ein neuer „Turn“ die Geisteswissenschaften um und schlägt eine neue Richtung der Weltbe-

Ohne Wasser keine Fotografie 54
von/by Mitsutoshi Hanaga, Courtesy of Mitsutoshi Hanaga Project Committee

No Water, No Photography

Leonie Pfennig on the exhibition

“Vibrant Waters” at the Temporary Gallery

trachtung vor, und seit ein paar Jahren hat diesen Impuls der Hydrofeminismus übernommen; ein Begriff, den die Kulturhistorikerin Astrida Neimanis bereits 2012 eingeführt hat. Wie wir das vom Feminismus kennen, geht es auch hier um ein Überwinden von einengenden hierarchischen und binären Polen. Und auch hierbei stehen Körper im Mittelpunkt, aber nicht mehr die eines bestimmten Geschlechts, sondern „Bodies of Water“, aus Wasser bestehende Körper, aber auch Wasser als Körper. Wir trinken einen Schluck Wasser, der unseren Körper am Leben hält, den wir später wieder ausscheiden und dem Wasserkreislauf zurückführen, angereichert mit Informationen über das, was wir essen, trinken, die Medikamente und Substanzen, die wir einnehmen, die

Viren, die unsere Körper lahmlegen. Das Wasser trägt das Gedächtnis der gesamten Evolution in sich und gleichzeitig unsere anthropomorphen Eigenheiten – alles ist mit allem verbunden. Im Umkehrschluss bedeutet das: Wenn wir unsere Sicht auf Körper verändern, wirkt sich das auch auf unsere Wahrnehmung von Wasser aus? Aber was hat das mit Fotografie zu tun?

Nada Rosa Schroer bringt in der Ausstellung ausgehend vom Element Wasser verschiedene Themenkomplexe zusammen. Da ist zunächst das Wasser als Material in der Fotografie, sowohl historisch als auch gegenwärtig. Ohne Wasser keine Fotografie, so kann man es verkürzt sa-

Vibrant Waters
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gen, ohne Wasser keine Silberförderung, keine Entwicklerflüssigkeit, keine Produktion von Computerchips und Digitalkameras, aber dazu später mehr.

Die Allmacht des Wassers als bildgebendes Element zeigen eindrucksvoll die großformatigen Silbergelatinedrucke des in Los Angeles ansässigen Kollektivs „Metabolic Studio“, das sich künstlerisch mit selbsterhaltenden und selbstverändernden Systemen beschäftigt. Die mehr als drei Meter langen Prints entstanden mittels einer Lochkamera, dem simpelsten fotografischen Verfahren, allerdings war die Kamera der Innenraum eines Transporters, geparkt am Ufer des Owens Lake bei L.A. Der See trocknete ab 1913 rapide aus, da das Wasser in die Stadt gepumpt wurde, weil es dort, wie Präsident Theodore Roosevelt beschlossen hatte, den Menschen insgesamt mehr bringen würde als den Bewohnern des Owens Valley. Der See, an dessen Ufer bis Ende des 19. Jahrhunderts Silberminen betrieben wurden, ist heute nur noch eine hochgiftige mineralische Pfütze. Die „Optic Division of the Metabolic Studio“ führte 2013 ihr fotografisches Experiment an diesem Ort durch und nutzte die Mineralschicht als Entwickler für die im Transporter aufgenommenen Ansichten des Seeufers. Das Material wird selbst zum Motiv und vice versa.

Einen ähnlichen Ansatz verfolgt die libanesische Künstlerin Lara Tabet mit ihrem Chemogramm „The River“. Ihr Experimentierfeld ist der Beirut River, der die Stadt von den östlichen Vororten trennt und seit den 1970er-Jahren als begradigter und einbetonierter Kanal vor allem verdrecktes Abwasser aus der Stadt hinausbefördert und dabei immer wieder über die Ufer tritt. Lara Tabet zeigt ein auf Textil gedrucktes Porträt des Flusses anhand der in ihm lebenden Mikroorganismen. Auf einem 120 Zentimeter langen Farbfilmstreifen platzierte sie im Fluss gesammelte Proben und ließ die Bakterien mit der Fotochemie reagieren. Ein lebendiger Mikrokosmos in einem politisch wie wirtschaftlich aufgeladenen Ökosystem.

Auch bei Olga Holzschuh geht es um Wasser als Erinnerungsträger und als Mittel zur fotografischen Bilderzeugung. Immer ausgehend von Orten, die sie mittels Abdruckverfahren auf ihre Indexikalität hin untersucht, widmet sie sich in ihrer neuen Arbeit dem Rhein sowohl als Ort wie auch als Material. Zur Herstellung der lichtempfindlichen Emulsion diente ihr Wasser aus dem Rhein, das wiederum als abstrakte Spur auf der Trägerplatte direkt durch das im Ausstellungsraum vorhandene UV-Licht sichtbar wird und somit beide Orte – den Fluss und die Ausstellung – miteinander verbindet.

Wenn anfangs die Rede von Wasser als Speicher von evolutionärer Erinnerung war, so geht die Videoarbeit der taiwanesischen Künstlerin SU Yi Hsin in die entgegengesetzte Richtung und betrachtet Wasser, dem jede Spur organischer, geografischer oder historischer Bestandteile entzogen wurde: das hochreine, chemisch hergestellte H₂O, das in der Halbleiterproduktion gebraucht wird, um die Mikrochips zu reinigen. Als Taiwan 2021 von einer großen Dürre betroffen war, geriet die Halbleiterproduktion im größten Werk der Welt TSMC ins Stocken, und damit die Fabrikation von Computern, Autos, Fernsehern, kurz allem, was heutzutage mit digitaler Chiptechnik betrieben wird – auch Kameras. Halbleiter und ihr enorm hoher Wasserverbrauch sind Fluch und Segen unserer modernen Gesellschaft zugleich. Denn ohne sie sind die digitalisierte Welt, aber auch die Energiewende undenkbar. Diesem Dilemma geht SU Yi Hsin in ihrem fortlaufenden Projekt „Particular Waters“ nach. Wirtschaftliche Produktion ist nicht ohne Extraktion von Bodenschätzen und Rohstoffen möglich, und die wiederum kommt nicht ohne Wasser aus. In den Fotografi-

en auf Plakaten von Beate Gütschow wird diese Abhängigkeit sichtbar gemacht, wenn auch eher subtil. Die Künstlerin hat in den letzten Jahren ihre eigene Rolle als Fotografin der Klimakrise hinterfragt und ihr Schaffen einem Neustart unterzogen. Ganz bewusst stellt sie sich heute die Frage: Wie kann ich mit meiner Kunst die Klimabewegung unterstützen? Auf der Suche nach einer Antwort legt sie den Prozess offen und stellt auch immer wieder die eigene fotografische Produktion zur Disposition, indem sie den Ressourcenverbrauch durch Fotografie öffentlich thematisiert.

In „RWE: Zukunft, Sicher Machen“ von 2013 dokumentiert sie die aus der Erde ragenden Wasserrohre, die zu einem unterirdischen Pumpensystem des Energiekonzerns RWE gehören, um die Kohlegruben trocken zu halten. In der Arbeit „Lützerath, Samstag dem 30. Oktober 2021 um 9.22“ schwingt auch die Frage mit, wie weit Protest gehen darf – wo Kunst eine aufklärerische Rolle zuteil wird und künstlerische Arbeit in Aktivismus übergeht.

Der japanische Fotograf Mitsutoshi Hanaga hat schon in den 1970er-Jahren Formen des Klimaaktivismus dokumentiert. Seine Serie „Kogai Kigyoshu Jusatsu Kito Sodan“ von 1970 zeigt buddhistische Mönche, die sich nicht anders zu helfen wussten, als die CEOs von großen Energiekonzernen zu verfluchen, da sie diese als persönlich Verantwortliche für die Zerstörung von Lebensraum sehen. Mit weißen halbrunden Kopfbedeckungen und Bannern versammelten sich die Mönche und ihre Anhänger am

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Aus/From „Particular Waters“ von/by Su Yu Hsin

Ufer des Suzuka Rivers, um die Firmenbosse der gegenüberliegenden Fabrik durch das Singen von Mantren mit einem todbringenden Fluch zu belegen. Die Unzufriedenheit der Bevölkerung in den ländlichen Gebieten Yokkaichi und Kamioka gegen die von den USA auferlegten ökonomischen Reformen und die Luft- und Umweltverschmutzung, die diese verursachten, gärte bereits, aber es brauchte die Initiative der Mönche, um diese Wut gegen das Nicht-Eingreifen der Regierung im Aktivismus zu kanalisieren. Auch bei Hanaga kann man sich fragen, inwiefern er die journalistische Neutralität bewahrte oder sich durch seine Kamera mit den Protestierenden verband, indem er mit seiner Kameralinse ihrer Blickrichtung folgte.

Kann aktuelle Kunst und ihre Produktion, kann kuratorische Arbeit im Angesicht der Klimakrise überhaupt noch neutral sein? „Wir sind hineingezogen in komplexe Choreografien verschiedener Körper und Strömungen“, schreibt Astrida Neimanis 2012 in ihrem Aufsatz „Bodies of Water“. „Nicht nur von menschlichen Körpern, sondern auch von tierischen, pflanzlichen, geophysischen, meteorologischen und technischen; nicht nur von Wasserströmungen, sondern auch von solchen der Macht, Kultur, Politik und Ökonomie.“

„Vibrant Waters“ kann mit dem Fokus auf das Element Wasser einen Anstoß geben, unser Bewusstsein für die Verwobenheit von Extraktion, Klimakatastrophe und künstlerischer Produktion zu schärfen.

„Vibrant Waters“ Temporary Gallery Mauritiuswall 35, Köln bis 11. Juni 2023
Vibrant Waters 57

Photoszene-Festival 2023

Beim Photoszene-Festival vom 12. bis 21. Mai 2023 gibt es mehr als 80 Fotoausstellungen im gesamten Stadtgebiet zu sehen. Damian Zimmermann hat sich das Programm angeschaut und 21 Empfehlungen für (fast) jeden Geschmack herausgesucht. Einige dieser Ausstellungen sind auch über den Festivalzeitraum hinaus zu sehen.

At the Photoszene Festival from 12 to 21 May 2023, there are more than 80 photo exhibitions to see throughout the city. Damian Zimmermann took a look at the programme and picked out 21 recommendations for (almost) every taste. Some of these exhibitions can also be seen beyond the festival period.

NEXT! – Festival der JungenPhotoszene

Altes Pfandhaus

Kartäuserwall 20

50678 Köln

12.–21.5.2023

Hier gehört die Bühne allein dem Nachwuchs: Next präsentiert Workshopergebnisse unter anderem von Schülerinnen und Schülern der Gesamtschule Holweide, der Realschule Im Hasental, Deutz, der Katharina-Henoth-Gesamtschule, Kalk, und der Adolph-Kolping-Hauptschule, Kalk, zusammen mit dem Jugendhaus Tre er. Zudem lädt eine Open Photo Wall die jungen Besucher dazu ein, sich an der Ausstellung mit eigenen Bildern zu beteiligen.

Here, the stage belongs solely to the upcoming generation: Next presents workshop results by, among others, students from the schools Gesamtschule Holweide, the Realschule Im Hasental, Deutz, the Katharina-Henoth-Gesamtschule, Kalk, and the Adolph-Kolping-Hauptschule, Kalk, together with the Treffer youth centre. In addition, an Open Photo Wall invites young visitors to take part in the exhibition with their own pictures.

Uwe Steinberg Forum für Fotografie Schönhauser Straße 8 50968 Köln 13.5.–24.6.2023

Nur wenige Fotografinnen und Fotografen der DDR sind uns bis heute im Gedächtnis geblieben. Das Werk des bereits 1983 mit 40 Jahren bei einem Autounfall viel zu früh verstorbenen Uwe Steinberg gehört leider nicht dazu, dabei sind seine Fotografien wichtige Zeitzeugnisse nicht nur einer vergangenen Zeit, sondern auch eines Landes, das es so nicht mehr gibt. Das Forum für Fotografie zeigt eine umfassende Werkschau des Fotografen.

A handful of photographers from the GDR and their oeuvres are remembered by enthusiasts today. Sadly, Uwe Steinberg, who died far too soon in 1983, in a car crash at the age of 40, is not among them. His photographs, though, are important contemporary witnesses not only a past era, but also of a country which no longer exists in that form. The Forum für Fotografie exhibits a comprehensive monograph on the photographer.

Japanisches Kulturinstitut

Universitätsstraße 98

50674 Köln 21.4.–31.7.2023

In dieser deutsch-japanischen Dialogausstellung sind beide Fotografen fasziniert von der Nacht: Sowohl Bergner als auch Katsuhito flanieren durch Stadt und Landschaft, die zwar menschenleer, aber dafür voller Magie sind, und versuchen, die Stimmungen an deren Grenzlinien einzufangen.

In this German-Japanese tandem exhibition, the two photographers are fascinated by the night: both Bergner and Katsuhito stroll through towns and landscapes, which are devoid of people yet steeped in magic, and attempt to capture the moods at their boundaries.

Peter Downsbrough

Kunst-Station Sankt Peter Leonhard-Tietz-Straße 6

50674 Köln

23.4.–4.6.2023

Der Amerikaner Peter Downsbrough vermischt Zeichnung, Skulptur und Fotografie miteinander. Die Fotografien zeigen urbane Zwischenräume mit einer sehr strengen, grafischen Aufteilung und können als Spielart der New-Topographic-Fotografie betrachtet

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Thomas Bergner & Nakazato Katsuhito
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werden, verbergen aber nicht ihre Verwurzelung in der Zeichnung und dort insbesondere in der einfachen Linie.

The American Peter Downsbrough blends drawing, sculpture and photography with one another. Exhibiting highly stringent graphic fragmentation, his photographs depict urban interstices and may be considered a variant of New Topographic photography: however, they do not conceal their roots in drawing and, in par ticular, in the simple graphic line.

Christian Gieraths

Fuhrwerkswaage/Mountainview Gallery

Bergstraße 79

50999 Köln

12.–21.5.2023

Christian Gieraths ist bekannt für seine Aufnahmen von Innenarchitekturen öffentlicher oder halböffentlicher Gebäude aus vergangenen Zeiten und von Orten, die sich verändern, entwickeln und im permanenten Umbruch befinden. In der Ausstellung sehen wir die Ergebnisse von Gieraths Reise 2008 in die ukrainische Metropole Odessa am Schwarzen Meer, deren verloren gehender Glanz vor dem Hintergrund des russischen Angriffskrieges umso schwermütiger wirkt.

Christian Gieraths is well-known for his shots of interior architectures of public or semi-public buildings from past times and of places that change, evolve, and find themselves in permanent upheaval. In the exhibition we view the results of Gierath’s 2008 jour ney to the Ukrainian metropolis Odessa on the Black Sea, whose fading glory leaves us feeling all the more melancholy against the background of the Russian war of aggression.

Female Photoclub NRW

KunstWerk Köln e.V.

Deutz-Mülheimer-Straße 115

51063 Köln

5.–18.5.2023

In einer Gemeinschaftsausstellung von 14 Fotografinnen stellt der Female Photoclub NRW die Frage, was normal und was Normalität ist und wie sich Norm in unserem Alltag zeigt und auswirkt. Die Pandemie wird dabei genauso behandelt wie der Ukraine-Krieg, die Klima- und die Energiekrise.

In a group exhibition by 14 female photographers, the Female Photoclub NRW poses the question of what is normal and what is normality and how the norm reveals itself in, and impacts on, our everyday life. The pandemic is equally a theme alongside the war in Ukraine and the climate and energy crisis.

Photoclub NRW/

FirstPages

Rautenstrauch-Joest-Museum

Cäcilienstraße 29–33

50667 Köln

10.2.–11.6.2023

Die Ausstellung präsentiert mehr als 50 Dummys, also fertige, aber bislang unveröffentlichte Exemplare von Fotobüchern, die in den nationalen und internationalen Fotobuchklassen der Hochschulen Hannover und Dortmund zwischen 2018 und 2022 unter der Leitung von Frederic Lezmi, Paul Spehr und Thekla Ehling entstanden sind. The exhibition presents more than 50 dummies – that is, finished, but hitherto unpublished copies of photobooks – which were created in the national and international photobook classes held at the Hochschulen in Hanover and Dortmund between 2018 and 2022 under the direction of Frederic Lezmi, Paul Spehr and Thekla Ehling.

DummyAward

The PhotoBookMuseum im Atelier Colonia

Körnerstraße 37–39

50823 Köln

12.–28.5.2023

Das PhotoBookMuseum hat erstmalig den renommierten Dummy Award des Fotobook Festival Kassel ausgerichtet. Aus fast 400 internationalen Einreichungen hat die Jury 50 Favoriten ausgewählt, die nun der Öffentlichkeit präsentiert werden. Wie auch für „First Pages“ im Rautenstrauch-Joest-Museum gilt: unbedingt Zeit mitbringen!

For the first time, The PhotoBookMuseum organized the renowned Dummy Award of Fotobook Festival Kassel. Out of almost 400 inter national submissions, the jury picked 50 favourites, which are now presented to the public. As also applies for “First Pages” at the Rautenstrauch-Joest-Museum: be prepared to stay a while!

Photoszene Festival 2033
Foto: Astrid Piethan, in der Ausstellung des Female 65
from the exhibition of the Female Photoclub NRW

Kein anderer Name ist in Köln so eng mit der Fotografie verbunden wie der von Leo Fritz Gruber. Geboren wurde er am 7. Juni 1908 in der Domstadt. Er studierte Philosophie, Germanistik, Kunstgeschichte, Theaterwissenschaft, Zeitungswissenschaft, Völkerkunde und Sprachen. 1933 emigrierte Gruber nach London und arbeitete dort als Werbe- und Fotokopie-Fachmann sowie für die Jahrbücher „Modern Photography“ und die Zeitschrift „Gebrauchsgraphik“. Zurück in Köln, baute L. Fritz Gruber die von Bruno Uhl neu gegründete Fachmesse Photokina mit auf und erfand die bis heute legendären „Bilderschauen“, in denen bereits 1950 nationale wie internationale Fotografen (teilweise zum ersten Mal in Deutschland) gezeigt wurden – unter anderem hatte 1951 hier August Sander seine erste große Schau, durch die er weltweit bekannt wurde. Im selben Jahr initiierte Gruber die Gründung der Deutschen Gesellschaft für Photographie (DGPh), 1977 legte die Sammlung L. Fritz und Renate Gruber mit über 1000 Arbeiten den Grundstock für die Fotografische Sammlung des neu gegründeten Museum Ludwig. L. Fritz Gruber starb am 30. März 2005 im Alter von 96 Jahren. 2012 wurde ein Platz in der Kölner Innenstadt nach ihm benannt. Mit unserem Magazin „L. Fritz“ wollen wir die Verdienste und die jahrzehntelange Leidenschaft L. Fritz Grubers in Erinnerung halten.

Impressum / Imprint

Titel / Cover:

Moshtari Hilal: „Soft Touch, No. 3“, 2023“

Photoszene-Magazin

L. Fritz

Chefredaktion / Editor-in-Chief

Damian Zimmermann

Mitarbeiter dieser Ausgabe / Contributors of this issue

Leonie Pfennig, Btihal Remli sowie Studentinnen und Studenten im Masterstudiengang „Photography Studies and Practice“ der Folkwang Universität der Künste Essen/ as well as students in the master‘s programme „Photography Studies and Practice“ at the Folkwang University of the Arts Essen.

Lektorat / copy-editing

Stefan Ripplinger

Übersetzung dt-engl / Translation Ger-Engl

Alexandra Cox

Grafische Gestaltung / Graphic design

Studio Carmen

Strzelecki

Lithografie / Lithography

purpur GmbH

Konrad-AdenauerUfer 67

50668 Köln

Druck / Print

Druck und Verlag Kettler GmbH

Robert-Bosch-Straße 14 59199 Bönen/Westfalen

Papier / Paper

Maxio set 110 g/m2

Gendering Den Autorinnen und Autoren werden keine inhaltlichen, stilistischen oder ideologischen Vorgaben gemacht und es ist ihnen überlassen, in welcher Art und Weise sie ihre Artikel gendern.

Herausgeber / Publisher

Internationale

Photoszene Köln gUG

Im Mediapark 7

50670 Köln

+49-(0)221-966 72 377 info@photoszene.de www.photoszene.de

Artistic Board

Heide Häusler, Inga Schneider, Damian Zimmermann

Geschäftsführung / Managing director

Heide Häusler

© 2023

Internationale Photoszene Köln gUG (haftungsbeschränkt), die Fotografen und Autoren.

Bisherige Ausgaben / Ältere Ausgaben von „L. Fritz“ können Sie gerne bei uns bestellen. Schreiben Sie uns einfach eine E-Mail an info@photoszene.de Zudem können Sie alle Ausgaben von „L. Fritz“ auch online finden unter www.issuu.com/ photoszene

If you like to order previous issues of “L. Fritz”, just send an email to info@photoszene.de You can also find all issues of “L. Fritz” online at www.issuu.com/ photoszene

In Cologne, no other name is so closely associated with photography as that of Leo Fritz Gruber. He was born on 7 June 1908 in Cologne. He studied philosophy, German language and literature, art history, drama, journalism, geography and languages. In 1933 Gruber emigrated to London and was employed there as an advertising and photocopy specialist, as well as at the annuals “Modern Photography” and the magazine “Gebrauchsgraphik”. Back in Cologne, L. Fritz Gruber helped to build up the photokina trade show, newly founded by Bruno Uhl, and invented the still-legendary “Bilderschauen”, in which, as early as in 1950, both national and international photographers (sometimes for the first time in Germany) were exhibited – among others, August Sander had his fi rst big show here, which made him world-famous. In the same year Gruber initiated the founding of the German Photographic Association (DGPh); in 1977 the L. Fritz and Renate Gruber Collection, comprising more than 1000 works, laid the foundation for the Photographic Collection at the newly established Museum Ludwig. L. Fritz Gruber died on 30 March 2005 at the age of 96. A square in Cologne’s inner city was named after him in 2012. We wish to sustain the memory of L. Fritz Gruber’s contributions and decades-long passion with our magazine “L. Fritz”.

Warum L. Fritz? Why L. Fritz? © Nane Weber Förderer Kooperationspartner NEXT! Marketingpartner Medienpartner labor PROJEKTGALERIE KUNSTRÄUME MICHAEL HORBACH STIFTUNG www.michael-horbach-stiftung.de 70

THE FAMILY OF MAN

UNESCO Memory of the World CLERVAUX CASTLE, LUXEMB O URG
STEICHENCOLLECTIONS-CNA.LU
Detail, Sanford Roth

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