Sind Frauen die besseren Sommeliers?
Frauen bleiben in der Spitzengastronomie häufig unsichtbar. Doch es gibt Lichtblicke: Ein Treffen mit Sonya Egger, der besten Sommelière Italiens.
Text: Julia HackoberAUSGEZEICHNET. Die Südtirolerin Sonya Egger erhielt den Sommelier Award 2022 Italy.
VON BIS. Im Keller hält Egger eine Sammlung großer Namen und unbekannter Weine.
KUNST. Im Restaurant Kuppelrain paart sie Weine und Gerichte mit viel Feingefühl.
Wer Sonya Eggers Weinkeller betritt, bemerkt zuerst die vielen Pokale, die kreuz und quer auf einem Schrank stehen. „Ach, das sind nur meine Autorennen-Preise“, erklärt Egger. Als junge Frau war die Sommelière im Südtiroler Motorsport aktiv, ist damals den Männern davongefahren. Dann lernte sie ihren Mann kennen, den Koch Jörg Trafoier, gestaltete mit ihm das ehemalige Bahnhofsrestaurant in Kastelbell zum Gourmetziel Kuppelrain inklusive Michelin-Stern um. Für schnelle Autos war keine Zeit mehr. Als Metapher für ihr weiteres Leben taugt ihr die Liebe zum Rennsport aber noch. „Man muss als Frau bei sich bleiben, auf dem eigenen Weg“, sinniert Sonya Egger und reicht an diesem Abend als Aperitivo zwischen ihren Weinregalen einen Sekt vom Weingut Mauslocher aus der Nähe von Meran. „Es macht nichts, wenn andere dich zwischendurch auch mal überholen,
du kannst sie locker wieder einholen“, fährt sie fort und lächelt dabei zufrieden in sich hinein. In der italienischen Gastroszene liegt Egger momentan jedenfalls auf der Pole-Position: Sie wurde im vergangenen Herbst als beste Sommelière Italiens mit dem Michelin Award Sommelier 2022 Italy ausgezeichnet –als erste Frau überhaupt: „Manchmal stehe ich im Weinkeller und kann es immer noch kaum glauben.“ Egger versteht den Preis aber auch als Signal an ihre Kolleginnen. „Es gibt so viele Frauen in diesem Beruf. Ausgezeichnet wurden bislang aber nur Männer. Umso wichtiger, dass Frauen in den Blick der Öffentlichkeit gerückt werden.“
Neues wagen. Warum ausgerechnet sie den besten Weingeschmack Italiens haben soll, vermag sie nicht zu sagen – sie übe den Beruf nun einmal seit 34 Jahren aus, bilde sich stetig weiter, reise zu Verkostungen überall in Europa: „Man lernt eben immer dazu.“ Egger legt viel Wert auf Bescheidenheit, scheint sich über die Aufmerksamkeit, die ihr nach der Michelin-Auszeichnung zuteilwird, zu freuen, aber sich nicht darin zu sonnen. „Ich bin nicht der Star im Restaurant, sondern will einfach einen tollen Service bieten“, sagt die zierliche Frau. „Es ist wichtig, auf dem Boden der Tatsachen zu bleiben.“ Eine gute Sommelière machen andere Qualitäten aus, findet sie: „Man muss sehr viel Feingefühl beweisen, sich auf die Gäste einstellen.“
Und dieses Feingefühl, das gibt Egger implizit zu verstehen, traut sie Frauen tendenziell eher zu als Männern. Kolleginnen, die sie schätzt, sind etwa Gisela Schneider aus dem Zwei-Sterne-Restaurant Terra im Sarntal oder die Berliner Gastronomin Marie-Anne Wild. Vielleicht ist es die Flexibilität von Frauen, sich allen Lebensumständen anzupassen, die sie für den Beruf der Sommelière prädestinieren; sie selbst habe etwa nie davon geträumt, den Beruf zu ergreifen, sagt Sonya Egger, es habe sich eben so ergeben. Die Offenheit, die Dinge so zu nehmen, wie sie kommen, und das Beste daraus zu machen, das ist für Egger eine weibliche Eigenschaft – und eine, die für eine Sommelière unabdingbar ist. Schließlich verändert sich der Geschmack eines Weines fortwährend. Was bei der Verkostung beim Winzer stimmig wirkte, kann an einem heißen Tag zu einem bestimmten Menü einen ganz anderen Charakter annehmen. Dann heißt es umdisponieren, Neues wagen.
Überhaupt spricht Sonya Egger über ihren Job, als ob es eben nicht nur darum ginge, perfektionistisch nach der besten Weinbegleitung zum jeweiligen Menü zu suchen. Vielleicht ist das ihr Geheimnis – sie geht unverkrampft an ihren Job heran. Jedenfalls ist es eine auf den ersten Blick wilde Weinmischung, die Sonya Egger in ihrem Restaurant Glas für Glas aus extra für sie angefertigten Magnum-Flaschen aviniert (daraus schmeckt der Wein am besten, sagt sie – ihre beliefernden Winzer hätten sich an diese kleine Extravaganz ihrerseits längst gewöhnt). „Ich mische immer gern große Namen mit kleinen, ganz unbekannten“, so erklärt sie die Auswahl ihrer Weine. Zum Sechs-Gänge-Menü an diesem Abend im Kuppelrain gibt es etwa zum Tatar vom Vinschgauer
Saibling einen „Eschkolot“ vom Gut Castelatsch, eine frische weiße Cuvée, hergestellt auf einem kleinen alternativen Bauernhof. Den Gegenentwurf der Südtiroler Weinkultur gibt es dann zum Schnalser Jungrind mit wildem Brokkoli zu trinken: einen sehr vollmundigen St. Magdalener „Heilmann klassisch“, eine Mischung aus Vernatsch und Lagrein vom Erbhof Unterganzner, seit 1629 im Besitz der gleichen Familie.
Parfumverbot. Aber nach welchen Kriterien wählt sie denn Weine nun aus? Wie muss ein Wein sein, damit er es ins Kuppelrain schafft? Egger gibt hier eine ungewöhnliche Antwort: „Mir ist die Geschichte eines Weines wichtig – aus welcher Lage kommt er, wer macht den Wein? Ich entscheide mit Herz und Bauch gefühl und unterstütze gern kleine Winzer, die auch aus schwierigen Lagen einen besonderen Wein herausholen.“ Geschichten sind Sonya Egger wichtig, das ist beim Besuch im „Kuppelrain“ zu spüren. Sie ist eine zurückhaltende Frau, sie erzählt am Tisch zu ihren Weinen nur das, was die Gäste bereit sind zu hören. Aber sie verleiht dem Ort die Seele, hält den Familienbetrieb zusammen: Mann und Sohn haben die Küche zu verantworten, Tochter Natalie pflegt den Garten, aus dem Obst, Gemüse und Kräuter für das Kuppelrain stammen, außerdem zaubert sie feine Patisserie-Kunstwerke. Die jüngste Tochter hilft in den Schulferien im Service. Aber Mutter Sonya sorgt eben dafür, dass alle Rädchen ineinandergreifen – und bringt abends, bevor die Gäste kommen, die Hühner lieber selbst in den Stall, bevor das noch vergessen wird (die eigenen Eier im Menü schmecken übrigens fantastisch).
In Anbetracht von so viel Frauenpower drängt sich natürlich eine Frage auf: Haben Frauen eigentlichen einen anderen, womöglich sogar besseren Weingeschmack als Männer? Wieder lächelt Egger auf ihre feine, leise, verschmitzte Art. Sie drückt sich diplomatisch aus: „Frauen schmecken Weine zumindest oft besser als Männer. Und können die Geschmacksnuancen auch blumiger, differenzierter beschreiben.“ Tatsächlich gibt es aktuelle Studien dazu, dass Frauen besser schmecken als Männer – weil sie im vorderen Gehirnteil mehr Neuronen aufweisen, die die Geruchssignale in den Teil weiterleiten, der für die Geruchswahrnehmung zuständig ist. Außerdem sind bei Frauen die Gehirnhälften besser miteinander vernetzt, was beim Bestimmen von Geschmacksnuancen hilft. Doch keine Sorge, es gibt Chancen für Männer, sagt Sonya Egger: „Man kann Riechen und Schmecken natürlich trainieren. Aber bitte auf gar keinen Fall Parfum benutzen, das zerstört den Geruchssinn!“ Am besten sei, sagt sie, so viele gute, frische Produkte zu verkosten wie möglich. Ihren Gästen gibt sie an diesem Abend frischen Birnensaft und selbst gekochte Marmelade mit nach Hause. „So etwas habt ihr wahrscheinlich noch nicht so oft probiert“, sagt Sonya Egger. Stimmt. s
Tipp
RESTAURANT KUPPELRAIN. Sommelière Sonya Egger betreibt das Lokal gemeinsam mit ihrem Mann Jörg Trafoier, Bahnhofstraße 16, 39020 Kastelbell, Italien.„Ich mische immer gern große Namen mit kleinen, unbekannten.“