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Zu Besuch bei Tobias Funke im Gasthaus zur Fernsicht.

Gasthaus zur Fernsicht 9410 Heiden fernsicht-heiden.ch

Mit den besten Zutaten auf Augenhöhe

Nicht direkt am Bodensee, aber in dessen Sichtweite steht das Gasthaus zur Fernsicht. Seit sieben Jahren führt Tobias Funke den Betrieb im 4000-Seelen-Dorf Heiden mit einer klaren Vision: Seine Qualitätsansprüche nehmen Rücksicht auf das lange Gedeihen der Lebensmittel. Und: Hier kommt nicht einfach Fisch auf den Teller, sondern der Fisch.

Text: Erich Büchler Bilder: Jürg Waldmeier

In der Küche des Gasthauses zur Fernsicht sind morgens der Rezepttüftler Patrik Fischer und Tobias Funke unter sich. Für das ganze Küchenteam, ein Küchenchef, drei Postenchefs, zwei Patissiers und ein Praktikant, beginnt der Arbeitstag erst gegen Mittag. «Das Gourmet-Restaurant ‹Incantare› öffnet erst am Abend. Es bietet je nach Tischanzahl und Reservation rund 30 Sitzplätze», hält Tobias Funke fest und bietet dem Fotografen und mir das Du an. Mit den blauen Augen, dem gepflegten Drei-Tage-Bart, den grauen Jeans und der schwarzen Kochjacke wirkt Tobias Funke nicht wie ein Zwei-SterneGuide-Michelin-Koch, sondern eher wie ein normaler Koch oder Freund. Letztes Jahr wählte Falstaff Tobias Funke zum Wirt des Jahres, und der Guide Michelin zeichnete den Betrieb mit dem Grünen Stern der Nachhaltigkeit aus. Jetzt öffnet sich die Küchentür und eine Styroporschachtel mit der Aufschrift «Dubno» schiebt sich hindurch. Träger ist Frank Bössneck, der Gourmet-Scout. «Guten Morgen, der Zander von Giovanni Palmieri ist da. Der Zander wiegt unausgenommen fast acht Kilogramm. Giovanni Palmieri höchstpersönlich hat gestern den Prachtsfisch mit dem Netz im Lago Maggiore gefangen», kommentiert Bössneck seine Lieferung. Tobias legt das Messer beiseite und begrüsst ihn wie einen alten Kumpel.

Beste Aussicht vom Gasthaus zur Fernsicht auf den Bodensee. Fachsimpeln unter Profis

Der Zander ist grosszügig mit Eis bedeckt. Tobias drückt mit dem Zeigfinger darauf. «Das Wichtigste bei der Fischqualität ist der flächendeckende Schleim und der Geruch», erklärt er. Frank ergänzt: «Bei vielen Fischen sind klare Augen ein Frischemerkmal. Weil der Zander aber im trüben Wasser lebt, sind trübe Augen typisch, aber auch straffe Pupillen.» Mit etwas Mühe öffnet er das grosse Maul des achtjährigen Zanders, auch «Hundegebiss» genannt, und weist auf die schöne Zahnreihe hin. «Der Zander ist ein guter Jäger und findet seine Beute in der Nacht», fügt Frank an. Abschliessend hält Tobias fest: «Aus Respekt vor der Natur verwenden wir nur Fische, die schon einmal gelaicht haben. Daher ist jeder Zander bei uns mindestens zwei Kilogramm schwer. Darum setzt Giovanni Palmieri gezielt grossmaschige Netze ein, sodass die zu kleinen durchschlüpfen können. Im April und Mai (die Reportage wurde im Februar gemacht,

Frank Bössneck von Dubno liefert den frischen Zander vom Lago Maggiore direkt in die Küche von Tobias Funke (l).

Gekonnt zerlegt Tobias Funke den Zander.

Nach dem Bad in der Salzlake ist er bereit fürs Pochieren. Kurz vor dem Anrichten bestreut Tobias Funke das Zanderfilet mit violettem Currypulver.

Anm. der Redaktion) ist Schonzeit, da gibt’s in der ‹Fernsicht› keinen Zander». Mit gezielten Schnitten zerlegt Tobias den Fisch in drei Teile: die Gräten mit Kopf und zwei Filets.

Von Kopf bis Schwanz

Gewöhnlich stellt ein Koch aus den Fischresten einen Fischfond her, und so landet auch der Zander im Kochtopf. «Beim Süsswasserfisch ist der Geschmack weniger intensiv als beim Salzwasserfisch», erklärt Tobias und fährt weiter, «entscheidend ist der spätere Verwendungszweck. Mit gerösteten Selleriescheiben verändern sich Farbe und Geschmack des Fonds. Durch das Einkochen wird er intensiver. Alle Gräten werden verwertet. Seit rund einem Jahr bieten wir die Fonds erfolgreich in unserem Internetshop an». Eine andere Möglichkeit ist Fischgarum. Patrik Fischer ist Spezialist für die Herstellung dieser aufwendigen Würzsauce. Dafür vermischt er die parierten Fischgräten mit Salz und Wasser. In einem Weckglas wird das Gemisch während einiger Wochen auf 60 Grad erwärmt und dann wieder abgekühlt. Durch die Fermentation entsteht eine Würzsauce, die vielfältige Verwendung findet.

Nun trennt Tobias mit einem scharfen Filetiermesser die Haut vom Filet, schneidet sie in Stücke und erklärt: «Wir trocknen die Haut in unseren Dörrgeräten, servieren sie als knusprige Garnitur oder verarbeiten sie im Thermomix zu Pulver.» Achtsam schneidet er gleichmässige Stücke aus dem Zanderfilet und legt sie für einige Minuten in eine Salzlake. Sachte wendet er die Filets und erklärt: «Mit dem Salz findet der erste Garprozess statt. Das Eiweiss verfestigt sich und der Fisch bleibt in Form. In Form bleiben auch die Fische, die mit der Ike-Jime-Technik getötet werden. Dabei tötet der Meister dieser besonderen Technik den Fisch mit einem kleinen Stich ins Gehirn. Ein Draht in die Wirbelsäule verhindert eine Übersäuerung der Muskeln. Anschliessend blutet der Fisch aus. In Europa gibt es nur wenige, die die Ike-Jime-Kunst beherrschen. Ein Leuchten geht über sein Gesicht. «Ike-Jime-Fischfleisch ist ein Traum; kräftiger im Aroma, und durch den kurzen Stich stirbt der Fisch schmerzfrei.» Der Zander wird auf ein Blech gelegt, zugedeckt und im Kombisteamer im Dampf gegart. Anschliessend bestäubt Tobias das Filet mit violettem Currypulver, dekoriert es mit dehydrierten Gemüsen und Früchten und legt seine Kreation auf einen grillierten Selleriering mit Zandertatar.

Ein Augenschmaus auf dem Teller. Mit viele Liebe zum Detail angerichtetes Zanderfilet.

«Fischgarum, die andere Würzsauce.»

Patrik Fischer, der Rezepttüftler Massvoll gegen Food Waste

Im Gourmet-Restaurant «Incantare» bietet Tobias ein Achtgangmenü mit optionaler Weinbegleitung an. Änderungen des Menüs sind nicht vorgesehen, mit Ausnahme von Alternativen bei Unverträglichkeiten oder Allergien. «Wir bereiten genauso viele Menüs zu, wie sich Gäste angemeldet haben, und kein einziges mehr. Beim Brot haben wir von drei auf eine Sorte reduziert. Mit diesen Massnahmen vermeiden wir Essensabfälle», erklärt Tobias. Die Menükarten zu den einzelnen Gängen sind wahre Kunstwerke und ergänzen die Tellerkreationen aufs Schönste. Der Illustrator Massimo Milano aus Rapperswil kreiert sie. Als Andenken kann der Gast sie mit nach Hause nehmen. «Das wird sehr geschätzt, denn oft erinnert er sich nicht mehr an die Details», hält Tobias fest. Einzelne Menügänge wechselt die Crew im Zweiwochenrhythmus nach folgenden Prioritäten: das Gericht, das am längsten auf der Karte ist, Mangel an Verfügbarkeit oder nachlassende Qualität der Lebensmittel.

Funke fischt fair

Mit jungen 24 Jahren übernahm Tobias Funke die Leitung als Küchenchef im Restaurant Falkenburg in Rapperswil. Bald darauf erhielt er für seine Küche 15 GaultMillau-Punkte. Ganzheitliches Produktdenken und das Tierwohl prägen seine Laufbahn. Mehr und mehr stellt er den Wert der Lebensmittel in den Mittelpunkt seines Schaffens. Stopfleber verarbeitet der Gourmetkoch bewusst keine. Die Tiere täten ihm leid. Früher arbeitete er mit verschiedenen Labels. Mittlerweile überzeugt sich Funke gerne persönlich vor Ort – auch im Ausland – bei Bauern und Fischern über die Haltung, Zucht und Schlachtung der Tiere. «Edelfische und Krustentiere verarbeiten wir gerne – immer mit dem Vorzug von Leinenfang oder Tauchgängen, die keinen Beifang generieren. Weniger ist mehr. Mit schonenden Garmethoden wie ‹sous vide› oder längerer Lagerzeit überrasche ich meine Gäste immer wieder», erklärt Tobias. Er ist überzeugt, dass die Gastronomie entscheidend Einfluss auf den wertschätzenden Einkauf von Lebensmitteln nehmen kann. «Gerne informiere ich meine Gäste über meine Erfahrung mit den Lebensmittelproduzenten. Das überrascht sie oft und kommt gut an. Dieses Wissen verwenden auch meine Köche für die Herstellung der Gerichte, denn nur mit einem klar definierten Qualitätsanspruch an die Lebensmittel können wir hochwertige Speisen herstellen. Der Name ‹Incantare› verpflichtet: Wir verzaubern und begeistern unsere Gäste. Bei Qualitätskompromissen müsste ich mein Restaurant Evocare (zaubern) nennen. Und zaubern können wir wirklich nicht. Das wäre mein Ende als Koch», hält Tobias mit einem Lächeln fest. ▪

Die Tische des Gourmet-Restaurants «Incantare» sind bereit für die Gäste.

VIDEO

Wer ist Tobias Funke?

Einblicke in seine Leidenschaft für das Kochen und die Beschaffung von Lebensmitteln.

pistor.ch/fernsicht

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