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GREYSCAPES

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Geschäumtes Erdöl in drei Momenten

Anna Valentiny

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Anna Valentiny (*1991) received a Masters degree in Architecture from the Academy of Fine Arts Vienna in 2018. Her thesis project Hortus Alienum – Scenographies of Nobody's Voyage can be read as the culmination of her interests comprising the arts of writing, design and curation of thoughts and narrations. Always understanding the practice of building in the context of its neighboring disciplines, Anna studied scenography under Prof. Anna Viebrock in Vienna (2013) and participated in Prof. Peter Niedertscheider's sculpture class in the Kieffer quarry, Fürstenbrunn, Salzburg (2014). Before taking over the editorial board of ADATO in 2017, she worked for the Zürich based architecture magazine archithese. Anna is passionate about Sci-Fi, movies and dinosaurs. She lives and works in Luxembourg, Brussels and Vienna.

Anna Valentiny

Sassi by Piero Gilardi for GUFRAM, 1968

Poltrona by Alessandro Mendini for GUFRAM

Capitello by Studio 65 for GUFRAM In einer lauen Sommernacht, fünf Minuten vor Sonntag, hockt eine gekrümmte Gestalt über einem Laptop mit angeschlossenem Standbildschirm. Dieser war Monate zuvor zu Weihnachten gewünscht und geschenkt worden. Wie die Gaming Maus, eine gute Entscheidung - angenehm für die Augen, schließlich ginge die Gesundheit vor. Die letzten Strichstärken würden geprüft und als zu massiv befunden, es würde gedruckt, Rihanna gehört, gehängt und beim Chinesen bestellt. Jeder im Studio spülte das Ende Wort um Wort mit Gösser herunter – es waren euphorische Stunden, in denen alles möglich war – ein identitätsstiftendes Ritual, der Abend vor den Finals.

Jemand bittet darum das Fenster zu öffnen und eine Brise Freiheit hineinzulassen – aber nach dem Umzug des Schillerplatzes auf den Campus der Alten WU waren die Fenster vollmanuell verschlossen und was drin war, blieb drin. So auch die feinen Dämpfe, die vom Nachbartisch über die Kanten des Standbildschirms hinweg geradewegs in die Augen des Zeichnenden waberten. Ein Pedal wurde zu Boden gedrückt, der Kreislauf geschlossen und der Draht glitt durch den rosafarbenen Block – Mickey hat noch kein Modell.

In verschiedenen Herstellverfahren entstehen zwei unterschiedliche Polystyrol-Hartschaumstoffe: Extrudierter Polystyrol-Hartschaumstoff (XPS) und expandierter Polystyrol- Hartschaumstoff (EPS). Styropor ® und Styrodur ® unterscheiden sich in Optik, Dichte und Festigkeit und werden als Blöcke oder Platten zur Wärme- oder Trittschalldämmung in der Bauindustrie eingesetzt. Zugute kommen dem Erdölprodukt dabei vor allem der Preisvergleich mit Alternativen. Der Schaum ist billig, leicht, wasserabweisend, dehnbar, schwer zu recyceln, von Natur aus nicht UV beständig oder biologisch abbaubar und leicht entflammbar. Polystyrol wird der Brandschutzklasse B3 zugeordnet. Daneben stehen vergleichsweise nicht brennbare Baustoffe der Klasse A wie Ziegel oder Glas. Um der gesundheitsgefährdenden Rauchentwicklung im Brandfall vorzubeugen, wurden die Dämmplatten bis 2015 mit einem «Flammhemmer», der toxischen Substanz Hexabromcyclododecan (kurz HBCD) bearbeitet.

Den Kunststoff Polystyrol finden wir in vielen Bereichen des täglichen Lebens wieder: Ob als Teller beim Imbiss um die Ecke, als Schutzverpackung um die, von Amazon gelieferten, Lieblingssneakers, als Auftriebsmittel bei der Hebung von Schiffswracks oder Verdichtung bei Fusionsbomben. Haupteinsatzgebiet von Polystyrol aber bleibt die Kreation der dritten Haut des Menschen und so fielen 2012 mehr als 60 Prozent seines weltweiten Umsatzes auf den Bausektor. Vergleichsweise wurden in der Schweiz im Jahre 2014 eine halbe Million Tonnen EPS und 200 000 Tonnen XPS als Dämmstoff verbaut. Die jährliche Produktion von Polystyrol erreicht allein in den USA um die drei Millionen Tonnen.

Eng mit Polystyrol verwandt ist Polyurethan, das ebenso breite Verwendungsmöglichkeiten bietet.

Vor zwei Jahren feierte die Mailänder Galerie Carla Sozzani in der Ausstellung Gufram on the Rocks den fünfzigsten Geburtstag des gleichnamigen italienischen Sitzmöbelherstellers. In einem Meer aus hellblauem Hartschaum (XPS) schwammen Polyurethan-Skulpturen, die zu Ikonen des Design against the tide wurden. 1966 in Turin geboren, zeigt Gufram was entsteht, wenn handwerkliches Wissen auf konzeptuelles Können trifft: Radical Design. Auf Möbelpolsterung spezialisierte Handwerker wagten das Experiment die Stabilität und die Formbarkeit des Hartschaums auf die Spitze zu treiben und gesamte Stühle, Chaises Longues und Couches aus dem ursprünglich zur Polsterung vorgesehenen Polyurethan zu modellieren.

Die Jahre des Miracolo economico italiano, des Wirtschaftsbooms der Nachkriegsjahre, haben farbige, üppige, industriell gefertigte Gegenstände hervorgebracht. Doch die Ikonen Guframs, versuchen gar nicht erst den Hartschaum zu camouflieren - ganz im Gegenteil: Ob in Stahloptik mit orangen Rostschlieren überzogen, in der grauen Maserung des Carrara Marmors oder in allen beliebigen Farben des Regenbogens, erinnern sie immer an Kulissenmalerei oder die Materialimitationen des Neoklassizismus und offenbaren, dass sie bemalte Häute sind.

Guframs Produkte waren in den 60ern POP und sind heute POMO. Sie sind Design und Anti-Design zugleich, subversiv und verspielt, in der Herstellung vergleichsweise kostengünstig, werden von Vitra. vertrieben und stehen in den größten Häusern der Welt.

Gufram on the rocks, Ausstellung und Installation © Delfino Sisto Legnani

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