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ICH ZEICHNE. – I DRAW
ADATO im Gespräch mit Robert Gabris – ADATO meets Robert Gabris in Vienna
Robert Garbis' Arbeiten sind Kommentare zu Fragen der Wahrnehmung, Erkenntnis und Erinnerung, zu persönlichen und nationalen Erzählungen. In seinem künstlerischen Ausdruck kombiniert er häufig Zeichnungen mit Text, gefundenen Objekten und seinem eigenen Körper.
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Dabei sind die menschliche Natur, die Unterdrückung der Ästhetisierung und in seinen neuesten Werken auch immer wieder Liebe und Partnerschaft essenzielle Themen seines Schaffens. Roberts Zeichnungen sind realistisch und sehr detailliert. Seine Kompositionen entfalten für den Betrachter einen fragilen und poetischen Kosmos, in dem natürliche und künstliche Elemente ein Gleichgewicht herstellen. Robert kam vom inszenierten Raum zur Zeichnung und nannte in den letzten Jahren den Kupferstich immer wieder die Kunstart seines Herzens. Diese Technik und das Experimentieren mit verschiedenen Materialitäten geben ihm die Möglichkeit des dreidimensionalen Ausdrucks.
Dabei sind Roberts, in Feinstarbeit ausgeführte, Anatomiestudien von Menschen und Tieren immer in ihrem soziokulturellen Kontext zu betrachten. Diese Kontexte sind auf Orte angewiesen: Atmosphären, Gerüche, Geräusche und Farben komponieren die Räume zu denen Roberts Arbeit ihre Betrachter, Zuschauer und für diese Ausgabe auch die Leser der ADATO führt.
ROMADORF • Roma Village
Nachgebautes Haus meines Vaters, Modell 1:20, Wien 2012 - My father's house, model 1:20, Vienna 2012
Mein Modell, gebaut in einer Schuhschachtel, ist ein Vorschlag, wie man mit einem einfachen architektonischen Eingriff ein Fenster zum isolierten Raum meines Vaters bauen könnte. Diese Idee ist eine metaphorische Anleitung für Menschen, die neue Strategien entwickeln, aus der Not zu flüchten.
My model, built in a shoebox, is a suggestion on how to built a window in my father's isolated room through a simple architectural intervention. This idea is a metaphorical guide for people who are developing new strategies to escape from hardship.
RG
Romavillage, 80X40 cm, Zeichnung mit Bleistift und Acetondruck auf Papier, Wien 2012.
EIN FENSTER IM HAUS MEINES VATERS, Wien 2012 A WINDOW IN THE HOUSE OF MY FATHER, VIENNA 2012
Im Februar 2012 habe ich zum ersten Mal meine biologische Familie besucht um meine Geschichte zu verstehen und zu verarbeiten. Diese Zeichnung ist Teil einer Serie und illustriert meine Erfahrungen.
Ich habe schon immer gewusst, dass meine Familienangehörigen in einem Roma Ghetto, in absoluter Armut, ohne Elektrizität und Wasser leben. Fragen - warum müssen Menschen in diesen prekären Verhältnissen leben? Warum entstehen dadurch massive gesellschaftliche Differenzen in einem Land in Zentraleuropa? Welche Konsequenzen hat das für unsere Gesellschaft? Dies brachte mich zu meiner
Herangehensweise meines künstlerischen Schaffens. Ich beschäftige mich mit sozial-kritischen, politischen Auseinandersetzungen, mit Identitätsproblemen und neuen Perspektiven von unterschiedlichen Minderheiten im europäischen Kontext.
Ausgangspunkt meiner Arbeit sind neue experimentelle Formen der Zeichnung als Widerstand gegen Ausgrenzung und Rassismus. RG
I have always known that my family members live in a Roma Gheto, in an absolute poverty without electricity and water. Questions like: Why do people have to live in these precarious conditions? Why does this cause massive social differences in a country in central Europe? What are the consequences for our society? brought me to my approach to my artistic implemetation. At the same time, this experience became the focus of my work: questions of identity and dealing with xenophobia, racism, exclusion and the systematic marginalization of various minorities – especially of the Roma minority. RG
„ Vierka Vastu Merav“ (Vierka Ich Sterbe Für Dich) 70X50 cm, Kupferstich auf Druckpapier, Print 1/7, Wien / Udine 2014 DAS BLAUE HERZ, Wien/Udine, 2014 THE BLUE HEART, Vienna/Udine, 2014
Die Serie aus fünf Kupferstichen erzählt die Geschichte eines Roma-Dorfes in der Slowakei. Viele dieser Menschen haben Jahre ihres Lebens im Gefängnis verbracht und sich die eigene Lebensgeschichte auf den Körper tätowiert. Sie ließen mich das gezeichnete Archiv, ihrer, mit blauer Tinte geritzten Vergangenheit aufnehmen. Genauso wie allen anderen, ist es auch den Roma wichtig eine Familie, Zukunft und vor allem Geschichte zu haben. Diese Geschichte ist das Einzige, das von diesen Menschen bleibt. Sie ist ein ständig arbeitendes Archiv des eigenen Lebens. So habe ich diese Geschichte auf das Blech geritzt, dokumentiert und somit verewigt.
Auch mein Vater hat viele Jahre im Gefängnis verbracht. Er erzählte mir, dass er dort eine wichtige Rolle hatte: Er war der Tätowierer. Meine Kupferstiche thematisieren den Moment, in dem sich mein Vater schmerzhaft Erinnerungen an seine Familienangehörigen in die Haut ritzt. Er trägt auf seiner Brust und an den Ohren wichtige Daten, wie den Tod der ersten Tochter oder Ausschnitte aus den geschriebenen Briefen seiner Geliebten.
Als ich ihn nach der Bedeutung seiner Aufzeichnungen fragte, hat er mir seine Brust gezeigt und sagte:
„Der Ort meines Lebens ist mein Körper. Da befinden sich alle Wunden und Zeichnungen meiner Vergangenheit. Ich ritze sie mit Nadel und blauer Tinte tief in meine Haut. Meine Familie ist auf meiner Brust verewigt. So werde ich, obwohl ich den Heimatort verlassen habe, mit meinen geliebten im Gefängnis zusammen sein. Wenn ich eines Tages hier rauskomme, werde ich zu einer Lebensgeschichte. Die nehme ich dann mit ins Grab.“ RG
Die Drucke wurden in der Grafik Werkstatt Stamperia d’Arte Albicocco in Udine (it) angefertigt. RG
KÖRPER• Body
The series of five copper engravings tell the story of a roma village in Slovakia. Many inhabitants have spent years in prison and their tattoos tell the story of their lives. They allowed me to collect this blue-inked archive of their past.
Just like for everyone else, it is important for Roma to have a family, a future and – most of all a history. Their history is the only thing that remains of their lives. It is a constantly developing archive. So i scratched the story into the plate, thereby documenting and eternalizing it. The roma minority is often viewed negatively due to poverty, unemployment and awkwardness. These people are constantly facing existential problems and injustice. Because of such social conditions, many become delinquent and spend several years in prison.
Also my father spent many years in prison. He told me that he had an important role there: he was a tattoo artist. My engravings deal with the moment, in which my father painfully scratches the memories of his family members into his skin. He records important data to his chest and his ears: the death of his first daughter or various excerpts from letters of his mistress. When I asked him about the meaning of these drawings, he showed me his chest and said:
“My body is the place of my life. All my wounds and drawings of my past are there. I scratched them with a needle and blue ink deep into my skin. My family is eternalized on my chest. Even though I left my home, I will be together with my beloved ones in the prison. Once I get out, I will become a life story. I will take this with me to the grave.” RG
The prints were realised in the graphic factory Stamperia d ́Arte Albicocco in Udine (IT). RG
Briefe von Roberts Vater an Robert
Robert Gabris
Robert Garbis wurde 1986 in der Slowakei in einer Roma Familie geboren. Er lebt und arbeitet seit 2005 in Wien. Nach der Schule besuchte Gabris die Hochschule für darstellende Künste in Bratislava bei Prof. Hana Ciganova. Nach seinem Bachelor Abschluss studierte er Szenografie an der Akademie der bildenden Künste Wien bei Prof. Erich Wonder und Anna Viebrock. Seine Kunst ist von New York bis Shanghai gereist und steht für Inklusion und gegen Stereotypen. Seine sozialpolitischen Botschaften beziehen sich auf die Roma Thematik und richten ihr sensibles Augenmerk auf den gesellschaftlichen Umgang mit Vorurteilen. • I was born in Hnusta Likier, Slovakia (1986*). I live in Vienna. I love Lukas. I draw. In my artistic work I mainly deal with the medium of drawing and experimental forms of printmaking, especially sketching and engraving. My works are mostly autobiographical, as a constant search for the exact proportion and symmetry. Metaphorically, my works are quotes of my existence, an autopsy of various identities, and a study of my affiliation. I describe the content of my work as a social - critical, political and activist confrontation with identity issues and new perspectives of different minorities in a European context. Starting point of my work are new experimental forms of drawing as a resistance to exclusion and racism. RG
› http://www.robertgabris.com
„I“ ist sowohl Subjekt, Objekt als auch Bewusstsein des Künstlers. „I“ kann aber auch als Initial für Identität und Frage nach Zugehörigkeit gelesen werden. Ich bearbeite mein Leben und meine Herkunft, die Widersprüche meines Lebens.
RG
ADATO: Robert Du bist in Hnusta in der Slowakei geboren, hast in Bratislava und später in Wien Szenografie studiert und arbeitest heute als freiberuflicher Zeichner eben dort. Wie bist du vom Theater, vom inszinierten Raum, von einer Illustrationsarchitektur zur Malerei gekommen?
ROBERT GABRIS: Ich habe schon immer gezeichnet. Die Zeichnung war ein wichtiges Fundament in meiner Kindheit. So wie ich sprechen gelernt habe, habe ich auch gelernt, mich durch die Zeichnung auszudrücken, das passierte parallel nebeneinander. Später, als ich Bühnenbild und Kostüm an der Universität für darstellende Künste Bratislava und später an der Akademie der bildenden Künste in Wien studierte, habe ich die Semesterarbeiten mehr gezeichnet, als geplant und gebaut. Ich kann nicht bauen, messen, kleben und vor allem nicht im Team arbeiten. Ich bin ein Einzelgänger und ich will niemandem untergeordnet sein. Institutionelle Hierarchien sind nicht meine Welt. Da ich in einem Kinderheim mit bis zu sechzig Kindern zusammen aufgewachsen bin, habe ich für mein restliches Leben genug davon.
ADATO: Gibt es Orte, die dir wichtig sind und die du gerne zu diesem Lebensweg hinzufügen wolltest? Was bedeuten diese Orte für Dich?
ROBERT GABRIS: Es gibt physische Orte, die ich in meinem Leben betreten habe und somit wurden sie für mich wichtig, weil Vergangenheit eine sehr große Rolle in meinem Leben spielt. Ich seziere sie in meiner Kunst, ich hinterfrage sie gern und nehme sie überall mit. Sie begleiten mich in die Zukunft, damit ich aus vielen Erinnerungen schöpfen kann, wenn ich einmal alt und einsam werde. Ich betrete aber auch andere Orte, ich nenne sie die mentalen Orte. Das sind Beziehungen zu Menschen, die zu meiner Familie geworden sind. Es gibt nicht viele davon, aber die, die es gibt, schätze ich sehr. Ich pflege sie und ich bewahre sie in einem besonderen Raum in meinem Herzen auf.
DAS NÄHZIMMER, Örnsköldsvik, 2017 THE CRAFT ROOM, Örnsköldsvik, 2017
Mein Nähzimmer ist ein abstrakter Ort und niemand außer mir darf hinein. Er existiert nur in meinen Sinnen. Die abgebildeten Fotos zeigen verschiedene Fragmente und Abbilder dieses Zimmers in der Ausstellung. Was hier im Zimmer aber wirklich geschieht, wird nur durch eine zeichnerische Erzählung und Metapher gedeutet.
Also, kommt herein und willkommen in meinem Zimmer.
Dieses Zimmer ist ein Rückzugsort, an den ich flüchte, wenn es mir nicht gut geht, ich allein sein will und die Zeit nur mit meinen Gedanken verbringen möchte. Dieser Aufenthalt bietet die totale Einsamkeit und Leere, die für mich lebensnotwendig ist. Hier reflektiere ich das Vergangene und konstruiere das Zukünftige.
Hier befinden sich wichtige Geschehnisse, die mich auf der Reise begleitet haben, wie etwa die furchtbare Angst um meinen Vater, bei dem die Ärzte im Krankenhaus Wasser rund ums Herz entdeckt haben. Hier habe ich, während ich auf seine Befunde gewartet habe, in Gedanken mein Nähzimmer geplant, gebaut und danach auf Papier übertragen.
Ich habe mich selbst im Zentrum der großformatigen Zeichnungen geschlechtslos porträtiert. Mein Gesicht übertrug ich noch einmal in einen Spiegel, oberhalb des Waschbeckens, aus dem klares Wasser fließt. In diesem Abbild bin ich geschminkt und wirke feminin.
Ich habe mich ohne Genitalien gezeichnet, um zu sehen, wie es wäre ohne Gender, Normen und Rollen zu existieren. Wie würde mich diese Gesellschaft ansehen und wie weit würde es mein Leben beeinflussen, anders angesehen zu werden?
Ich nutze in meinem Zimmer Zeit und Raum, allein zu sein um mich mit dieser Welt zu vertragen. RG
ZIMMER • Retreat
My sewing room is an abstract place and no one else can enter it, because it exists only in my mind. Anyone who wants to learn more, can see different fragments and images of this room in the depicted photographs showing the exhibition. What really happens inside is only explained by the graphic narrative and metaphor.
So, come in and welcome to my room.
This room is a retreat, where I escape if I'm not well, if I want to be alone and spend time with my thoughts. This stay offers the total solitude and emptiness that is necessary for me. Here I reflect the past and construct the future.
Here are important events that have accompanied me on my journey, such as the horrible fear for my father, when the doctors in the hospital have discovered a water around his heart. In hospital, while I was waiting for his medical results, I thought of planning and building my sewing room and then transferring it to the paper.
I portrayed myself sexlessly in the center of large-scale drawings. I've drawn my face a second time into a mirror, above the sink, of which clear water is coming. In this image I wear a make up and have a female touch.
I have drawn myself without genitals to see how it would be without gender norms and roles. How would this society look at me and how far would it affect my life to be viewed differently?
I use time and space in my room to be alone, in order to be compatible with this world. RG
Das Nähzimmer, Installation bestehend aus 11 Zeichnun gen je 80x180 cm, Örnsköldsvik, 2017.
Alle Bilder auf dieser Seite sind, den Zeichnungen entnommene Details
HIMMEL _ HÖLLE ERDE _ WASSER FEUER _ LUFT , Wien, 2016
Bühnen-Installation zur Ausstellung "Spettacolo Barocco!" im Theatermuseum Wien, 2017 Konzept und Planung: Kaj Delugan und Robert Gabris Zeichnungen: Robert Gabris / Bild © Courtesy of KHM / Stefan Zeisler
Roberts Zeichnungen schaffen einen performativen, dreidimensionalen Raum in dieser Installation die ihre Inspiration im wandlungsfähigen Kulissensystem und in der variantenreichen Typendekoration des Barock findet. Der Architekt Kaj Delugan hat 2016 zusammen mit Robert Gabris diese begeh- und bespielbare Installation im Rahmen der Ausstellung Spettacollo Barocco! im Theatermuseum in Wien entwickelt. Die Installation war im Innenhof des historischen Gebäudes als moderne Interpretation einer Barockbühne und als Gegenstück zu den historischen Exponaten der Ausstellung aufgebaut. Die Elemente Feuer, Erde, Wasser und Luft werden hier durch abstrahierte Tierformationen (Salamander, Ameisen, Fische und Fliegen) symbolisiert, während die Hölle als teuflischer Cupido in Erscheinung tritt und der Himmel als anmutender Putto. Der Besucher ist eingeladen durch das Verschieben der Kulissen subjektive Kombinationen entstehen zu lassen.