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GRID GROWTH
Von Chaos und Ordnung, Realität und Fiktion.
ADATO im Interview mit Esther Stocker
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In Konstrukten aus schwarzen und weißen Linien, Gittern und Netzen erforscht die Künstlerin Esther Stocker formale Grenzen und räumliche Strukturen. Durch die Wiederholung von geometrischen Elementen, die Verschiebung des Horizonts und das Spiel mit der Perspektive entwickeln die Räume, die Esthers Arbeiten bespielen, einen eigenen Rhythmus, der wiederum ihre Werke kommentiert und unterstreicht.
Eleni Palles traf sich mit Esther Stocker in ihrem Atelier in Wien auf ein Gespräch über ihre Arbeit, ihre Methoden, ihre Inspirationen und Faszinationen.
Ohne Titel, 2009
South London Gallery, London Ausstellungsansicht "Beyond these Walls"
Karton auf Wand und Boden
Esther Stocker (*1974, Silandro, Italien) studierte Malerei an der Akademie der Bildenden Künste in Wien, der Accademia di Belle Arti di Brera in Mailand und am Art Center College of Design in Pasadena Kalifornien. Sie ist Trägerin zahlreicher Auszeichnungen, wie des Preises der Stadt Wien (2009), dem Südtiroler Preis für Kunst am Bau (2007), oder dem Otto-Mauer-Preis (2004), um nur einige zu nennen. Ihre Arbeiten sind in vielen bedeutenden öffentlichen Sammlungen vertreten. Neben zahlreichen Einzelausstellungen in London, Paris, Rom, oder Shanghai, kann man ihre Werke auf Gebäuden von Wien bis Japan sehen.
› www.estherstocker.net
Geometrisch Betrachtet, 2008
Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig, Wien
Holz, Dispersion 4,5x9,4x34,1 m
Ohne Titel, 2005
Ausstellungsansicht "farb.räume"
Holzkonstruktion 3,5x6,7x11 m Esthers Installationen sind als direkte Fortsetzung ihrer abstrakten Malerei zu lesen, die sie in der dritten Dimension entwickelt und zerlegt. In den Fällen, wo ihre Arbeiten mit der gebauten Umwelt des öffentlichen Raums, der Architektur oder auch der Galerie verschmelzen, ist es der Passant, oder der Besucher, der die Tiefe der Installation durch seine Präsenz und Bewegung bestimmt. Der Mensch bleibt nicht außen vor, sondern wird Teil des dynamischen Raums.
Einerseits erinnert die starre Organisation der Fragmente an bestimmte, mathematische Schemata, andererseits veranlasst sie, als optische Täuschung, den Betrachter seine Wahrnehmung zu hinterfragen.
Als abstrakte visuelle Systeme fordern Esthers Arbeiten die Zusammenhänge von aktivem Sehen und Denken heraus und stellen immer wieder die Frage nach dem Verhältnis von Chaos und Ordnung, Realität und Fiktion.
Ohne Titel, 2008
Lift off, Onomatopee, Eindhoven Ausstellungsansicht "The truth of basics, resetting the history of living between four walls"
ADATO war auf Besuch in Esthers Atelier in Wien. Dort sind überall große Regale mit Modellen früherer Arbeiten und Materialproben zu sehen, die ein zusammenhängendes Archiv ihrer Arbeit und Ästhetik darstellen.
ADATO: Zu Beginn deiner Karriere hast du dich vor allem mit Malerei und zweidimensionalen Darstellungen auseinandergesetzt. Deine aktuellen Arbeiten beschäftigen sich intensiv mit Raum. Du entwirfst Objekte, die ihn bespielen, besetzten, in ihm inszeniert werden, wirken und ihn gleichsam bilden. Was hältst Du von Begriffen wie Intermedialität und wie würdest du deine Arbeit beschreiben? Bist du Bildhauerin, Malerin, Aktionistin?
ESTHER STOCKER: Ich sage immer, der Raum hat sich mit mir befasst und nicht umgekehrt. Tatsächlich habe ich die Auseinandersetzung mit dem Raum nicht gesucht; ich wollte einfach abstrakte Bilder malen. Irgendwann habe ich Räume als Untergrund benutzt. Meine erste Installation war sogar etwas ironisch gemeint.
Ich erinnere mich daran, dass während meiner Studienzeit die Architekturstudenten immer über die räumliche Wirkung meiner Bilder sprechen wollten und ich sehr enttäuscht darüber war. Ich wollte lieber über Identität, unauflösliche Widersprüche, Paradoxien oder so was reden.
Ich spreche nie freiwillig über Raum, aber zu den Paradoxien, die mir so gut gefallen, gehört wohl, dass ich über die Forschung und Beschäftigung mit dem Thema der Zweidimensionalität, beim und im Raum gelandet bin. Allerdings weiß ich schon, dass der Raum so eine Art Grundrauschen im Universum ist.
Ich selbst sehe mich immer als Malerin. Es kann sogar sein, dass mich niemand anderer mehr so sieht, aber das ist irgendwie auch egal. Der Raum der mich interessiert ist vor allem der Raum der Vorstellung, der Imagination, der Fiktion.
ADATO: In deinem Atelier stehen ganze Regale voller Modelle. Was sind sie und haben sie die Zeichnung als Ausgangspunkt deiner folgenden räumlichen Installation abgelöst? In welcher Relation steht dein Konzept zu deinem bildnerischen Ausdruck und gibt es Hierarchien zwischen den Medien?
ESTHER STOCKER: Nein es gibt keine Hierarchien zwischen den Medien. Ich experimentiere gerne in unterschiedlichen Kategorien und versuche, mich oft selbst dadurch auszutricksen, dass ich in einem Medium arbeite, von dem ich wenig weiß. Dabei verlasse ich die Malerei meistens nicht. Das Potenzial, das ich in der Durchmischung der Medien vermute, ist die Entstehung von etwas Neuem.
ADATO: Arbeitest du auch mit digitalen Mitteln? Welche Rolle spielt Materialität in deinem künstlerischen Prozess?
ESTHER STOCKER: Ich arbeite mit digitalen Medien meist nur in nachgeordneter Form. Also nie in der Ideenfindung, sondern eher als späteres Hilfsmittel.
Contours of Thinking – shiko no rinkaku, 2016
Project für Awashima, Inland Sea, Setouchi Triennale, Japan
La solitudine dell' Opera (Blanchot), 2012
Associazione KO.Ji.Ku. Galleria Studio 44, Genove
Bemaltes Holz 2,3x1,8x12,7 m
Was sind das für Dinge, die wir voraussetzen? (Quine), 2005
Gallerie Krobath Wimmer, Wien
Holzkonstruktion 3,2x8,5x4 m
von Esthers Inspirationen:
Lyrical Theatre in Cagliari
Maurizio Sacripanti, 1965 Modell für Wettbewerb
ADATO: Deine Arbeiten bespielen den öffentlichen Raum und Galerien. Inwiefern sind deine Werke ortsspezifisch? Interessiert dich das ageografische und kontextlose Wesen von Raum, wie man es z.B. dem White Cube zuschreiben könnte oder kommt es vor, dass dich die Einzigartigkeit als Qualität des Raumes inspiriert? Wie näherst du dich dem öffentlichen Raum?
ESTHER STOCKER: Meine Werke sind im paradoxen Sinne ortsspezifisch. Manchmal gehe ich auf Räume ein, indem ich sie ignoriere. Sie gehören auch manchmal ignoriert. Ich würde behaupten, man sollte Räume nicht überbewerten. Ich komme sehr aus einem bildhaften Denken und bestehe auch manchmal darauf alles als Bild zu betrachten.
Ich stülpe meine Fantasie über alles darüber. Auch schaue ich durch Räume hindurch anstatt mich darin zu befinden. Das hat auch ein paar existenzielle Gründe für mich, denn ich bin mir der Dominanz des Raumes bewusst. Mir geht es also um das Ignorieren einer Vorherrschaft des Raumes. Diese Revolte spielt als Gedankenexperiment, eine kleine Entmachtung des omnipräsenten Raums durch.
Grafisch gehe ich schon auf Elemente des Raumes ein. Mir ist die Vorstellungskraft allerdings immer wichtiger als der tatsächlich vorhandene Raum. Als geometrische Zeichen und Elemente inszenieren meine Arbeiten die Potenziale des Raums. Eine Zeit lang wollte ich sogar so etwas wie Denkstrukturen nachbilden.
ADATO: Das Raster ist natürlich architekturgeschichtlich stark konnotiert. Als Bild gewaltigstes und ironischstes Zitat ist sicher Superstudios Continuous Monument von 1969 zu nennen… eine Hinterfra-
gung des Dogmas der Moderne, die sich im unendlich wachsenden Grid manifestiert. In deinen Arbeiten sehen wir unzählige Netzvariationen - gestörte Sequenzen, die doch wieder eine gewisse Harmonie, ein Muster bilden. Wenn ich deine Arbeiten betrachte, sehe ich Anspielungen, vielleicht sogar Referenzen auf Architekturen und Spuren von städtebaulichen Strukturen...
ESTHER STOCKER: Das stimmt, aber der Anfang meiner Arbeit liegt in der Betrachtung des Bildes oder eher noch in der Betrachtung der Betrachtung. Das Raster als universales Zeichen diente mir zuerst als antihierarchisches Sehsystem und als Ausschnitt einer unendlich fortsetzbaren Struktur.
ADATO: Gibt es Positionen, Arbeiten, Künstler(gruppen) in der bildenden und/oder angewandten Kunst, Literatur, Theorie oder Wissenschaft, die dich prägen oder beeinflussen?
ESTHER STOCKER: Superstudio und Maurizio Sacripanti waren sicher bedeutende Inspirationsquellen. Weiter ist für mich die Arbeit von Dóra Maurer und auch die Texte von Béla Julesz und Donald Davidson wichtig.
ADATO: Bei der Kunst im öffentlichen Raum sind es Passanten, Vorbeigehende, die stehen bleiben, schauen und so am Geschehen teilhaben. Könntest du dir vorstellen, dass deine Arbeiten darüber hinaus, im Kontext eines Theaterstücks oder einer Performance im Guckkasten oder einer alternativen Bühne inszeniert und von Schauspielern bevölkert und bespielt werden?
Auf den Arbeitsflächen finden sich Esthers charakteristische schwarzweiß Skizzen, Klebebänder aller Arten und derzeit auch Spielzeug – Dinosaurier und Autos. Unten sieht man eine ihrer Skizzen und rechts Esther beim Arbeiten in ihrem Atelier in Wien.
Nothing could be done – men were only men and space was their eternal enemy. (Ellison), 2009
House of Art, Budweis
Klebeband und Karton auf Wand 3,55x6,2x7,85 m
ESTHER STOCKER: Ja das kann ich mir sehr gut vorstellen. Meine Installationen dienen ja sehr oft als Hintergründe für Menschen und ihre Leben.
ADATO: Viele deiner Projekte setzen sich mit der Konstruktion oder auch der Fragmentierung von Raum auseinander, dessen Wesen sie gleichsam hinterfragen. Dieses Thema erfährt eine Abwandlung, wenn Architekturen zur Leinwand werden. Was passiert im Sprung vom Papier zum Gebäude als Träger deiner Arbeiten?
ESTHER STOCKER: Mich interessiert die Transformation und wie einfache Zeichen Konfusion erzeugen. Mich faszinieren die Grenzen unseres Denkens und unserer Wahrnehmung.
Ich möchte wissen, ab wann Identität durch Zeichen entsteht. Ab wann überhaupt etwas entsteht. Vereinfacht könnte ich sagen: Ich wechsle einfach ab und zu den Untergrund für meine Bilder. Konkret finde ich es spannend was diese Formideen aus der abstrakten Malerei eigentlich an Umgebung, an "Wahrheit der Straße" aushalten können.
ADATO: Sind deine malerischen Interventionen (Wall Works) eine Camouflage oder eine Erweiterung der Architektur?
ESTHER STOCKER: Das würde ich auch gerne wissen. Ich hatte früher dieses Lieblingszitat von Béla Julesz – er ist auch eine große Inspiration für mich: “Die Tarnung von Tieren beruht auf der Wahrnehmungsbeschränkung ihrer Räuber”. Wir wissen selbst nicht immer ob wir der Gejagte oder der Räuber sind.
ADATO: Woran arbeitest du gerade? Möchtest du ein bisschen was von deinen neusten Arbeiten oder Experimenten erzählen?
ESTHER STOCKER : Als roter Faden durch meine Arbeit ziehen sich sicher die Fragen, ob Gefühle einen Raum besitzen und ob es Gefühle ohne Raum gibt.
Darüber hinaus beschäftige ich mich zurzeit konkret mit extremen Strukturen. Darunter sind auch solche, die etwas unangenehm sind und auf den Sehnerv drücken. Ein Freund nennt diese Bilder inzwischen "Migränebilder". Daran möchte ich unbedingt weiterarbeiten. •
Ich sehe mich selbst immer als Malerin. Es kann sogar sein, dass mich niemand anderer mehr so sieht, aber das ist irgendwie auch egal. Der Raum, der mich interessiert ist vor allem der Raum der Vorstellung, der Imagination, der Fiktion.Esther Stocker
Wandarbeit Nr. 10, 2006
TONSPURPASSAGE _ passage / quartier 21 Museumsquartier, Wien
Mineralfarbe auf Wand 4,5x20 m
Wandarbeit Nr. 26, 2009
Wohnhausanlafe ehemalige Bräuerei Liesing, Wien
Mineralfarbe auf Wand 17x158,4 m
Silo Barth, 2006
Brixen / Bressanone
Nitrolack auf Eisen 21,5x15,7 m