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[ lat.: das Fahren]
#15 | Sommer 2015
RENAULT ESPACE
NEUER SPIRIT // TRIUMPH BONNEVILLE PRODUKTION // DIE ROBOTER KOMMEN SPEZIAL // GELÄNDEWAGEN UND SUV MOTORMENSCHEN // BRACQ / GALES
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EDITORIAL
Matthias Pfannmüller, Chefredaktor
VECTURA #15
FRANKREICH
EDITION
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ann man sich einem Trend verschliessen, der gestandene Fahrzeugsegmente mit teils zweistelligen Zuwachsraten überrollt? Seit über zehn Jahren fahren SUV alles in Grund und Boden, haben grosse Minivans fast komplett verdrängt und auch dem Kombi, dem Kompaktwagen und selbst Luxuslimousinen messbare Anteile abspenstig gemacht. Dass moderne Allradler nur noch wenig mit klassischen Offroadern zu tun haben, macht dieses Segment so spannend – es ist differenzierter als jedes andere, wie unser Spezial unterhaltsam unterstreicht. Und die Metamorphose wird weitergehen. Obwohl sich die Franzosen dem SUV-Boom lange hartnäckig verweigerten (Ausnahme: der Talbot-Matra Rancho von 1977), sind sie inzwischen auf den Softroad-Zug aufgesprungen und machen anderen vor, wie es geht – mit selbst entwickelten, unkonventionellen Crossover-Modellen. Überhaupt haben unsere westlichen Nachbarn in den letzten drei Jahren aus dem automobilen Jammertal gefunden: Spass ist wieder in, und das hat positive Folgen an der Verkaufsfront. Denn wo Citroën, Peugeot und Renault lange lustlos hinterherfuhren, knüpfen sie endlich wieder an glorreiche Zeiten an, sind heute wieder frisch-freche, überlegenswerte Alternativen zu Golf & Co.
Auch antriebstechnisch lässt sich Frankreich viel einfallen und punktet hier mit mancher Innovation. Der Umstand, lange auf kleinvolumige Motoren und den Diesel gesetzt zu haben, zahlt sich nun doppelt aus – mit Know-how und passenden Antworten auf immer strenger werdende Emissionsgesetze. Selbst die französische Grossraum-Ikone, unser Titel-Auto Espace, hat sich dem eingangs erwähnten Umstand angepasst – mit einem neuen Format, das Unverwechselbarkeit sicherstellen soll. Und bei Citroën, wo man sich von der ebenso überirdischen wie genialen «La Déesse» nie richtig erholt hat, wird das legendäre Kürzel zum eigenständigen Markenzeichen: Wenn so etwas je funktionieren kann, dann hier. Wir erleben derzeit, wie man sich auch im Ausland für die neuen französischen Modelle erwärmt – vergleichbar mit einer sommerlichen Fahrt auf der Route du Soleil Richtung Süden, bei der das Thermometer stündlich steigt. In Asien starten die Franzosen bereits durch; selbst die Rückkehr in die Vereinigten Staaten erscheint plötzlich nicht mehr unmöglich. Vive la France? Auf jeden Fall bon voyage!
SOMMER 2015 003
INHALT #15
EDITORIAL
003
DREI-STERNE-MENU Ganz ehrlich? Französische Kompaktwagen schmeckten lange wie Junk-Food. Der Peugeot 308 GT ist da ganz anders
008
GEÖLTER BLITZ Unter Renault-Regie könnte der gute alte Zweitaktmotor eine Renaissance erleben
016
DER GEIST DES SALZSEES Ausritt auf einer Triumph Bonneville Spirit
020
MEHR CHANCEN DENN JE Baguette, Cigarette, Jeanette: F-Autos machen wieder Spass, findet Mark Stehrenberger
026
GALLISCHE MOMENTE Französische Fahrzeuggeschichte ist alles andere als langweilig. Wir zeigen legendäre Marken und Modelle; Teil 1 behandelt nur die letzten 70 Jahre
028
WAS FÜR EIN RÜCKEN… Die grosse Liebe des David Chevalier
040
ES WERDE LUXUS Die Neumarke DS Automobiles soll unabhängig und oberhalb von Citroën funktionieren
042
EIN KESSEL BUNTES Wir zeigen exemplarisch, wie vielseitig das Modellangebot aus dem Westen heute wieder ist
047
HÄRTER ALS STAHL Eine IWC-Kleinstserie verwendet eine Keramik, die bisher noch nie bei Uhren zum Einsatz kam
052
PLEASE STOP YOUR ENGINES Wenn in Goodwood geparkt wird, dann bitte nicht mit einem 08-15-Auto
060
ES IST SO WEIT Nach knapp sieben Jahrzehnten tritt der Land Rover Defender Ende 2015 ab
FRANKREICH EDITION
006 VECTURA #15
SUSHI MIT KOFFEIN Der nächste Suzuki Vitara kann alles besser als der letzte – und sogar Cappucciono brühen
082
KLEINE FLUCHTEN Sieht aus wie ein Spielzeug, beeindruckt im Gelände: Wir fahren Jeep Renegade Trailhawk
090
SPURTEN UND SPASS HABEN Kommende 4x4-Modelle machen klar: Es geht vor allem um mehr Komfort und Leistung
098
VIEL SUV GEHABT Kein anderer Hersteller bietet mehr Off- und Softroader an als Mercedes-Benz
106
LIGHTWEIGHT ODER ALLRAD Lotus Cars steht wieder einmal vor einem Comeback. CEO Jean-Marc Gales erklärt uns, wie es funktionieren soll
116
ALTER SCHWEDE! Der neue Volvo XC90 überzeugt mit Qualitäten, die man einem Oberklasse-SUV dieses Formats kaum zugetraut hätte
120
GRAND MALHEUR Altmeister Paul Bracq teilt mit, was er vom aktuellen französischen Automobildesign hält. Besonders happy ist er nicht dabei
132
TITELSTORY Für die einen ist es der neue Renault Espace. Für die anderen die längste Praline der Welt
134
DAS REVOLUTIÖNCHEN PSA hat seine Dieselmotoren mit Blue HDi auf die kommende Euro6-Norm vorbereitet
144
PIEP-PIEP Robotik ist komplex und kontrovers, bringt grosse Veränderungen. Wir nähern uns 070 der Zukunft – am Boden und im Weltraum
146
IMPRESSUM
162
028
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132
146
SOMMER 2015 007
FAHRTERMIN
TROIS COULEURS
008 VECTURA #15
FAHRTERMIN
MIT DEM 308 HAT PEUGEOT EIN EBENSO VIELSEITIGES WIE ATTRAKTIVES AUTO IM PROGRAMM. BESONDERS DIE GT-VERSION IST EIN REIZVOLLES ANGEBOT – SIE HAT ESPRIT, VERMEIDET ABER DIE SPORTIVE PLATTITÜDE Text Simon Baumann Fotos Ian G.C. White
SOMMER 2015 009
FAHRTERMIN
010 VECTURA #15
FAHRTERMIN
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iese Nummer … 308, so hiess 2007 schon der Vorgänger des aktuellen französischen Kompaktwagens, und es gab den alten noch als Dreitürer. Der 2013 eingeführte, ausschliesslich fünftürige 308 – man spricht auch von Phase II – behielt die Ziffernfolge, weil Peugeot zuvor eine neue Nomenklatur eingeführt hatte: Grossserien-Baureihen enden seither entweder auf 1 (Basismodelle für Schwellenländer) oder eben 8 (gehobene Ausstattung, z. B. für Westeuropa). Nach dem 2012 vorgestellten Stufenheck 301 ist der 308 II damit der zweite Peugeot, bei dem eine Modellbezeichnung wiederholt wird – und der erste, der sich so nennt wie der letzte. C’est la vie. Man kennt den neuen Drei-Null-Acht; auch in der Schweiz gehört er inzwischen zum Strassenbild. Und bei den inflationär stattfindenden Preisverleihungen von Industrie oder Fachpresse steht der Kompaktwagen regelmässig auf dem Treppchen. Für uns ist das Grund genug, dem jungen Löwen etwas kritischer auf den Zahn zu fühlen – nicht zuletzt deshalb, weil es ihn jetzt auch in einer GT-Version mit 205 Benzin- oder 180 Diesel-PS gibt. Aber braucht es das? Wer je 307 oder 308 Phase I fuhr, hat zunächst keine übertriebenen Erwartungen. Anständig, ja. Alltagstauglich, klar. Aber aufregend? Qualitativ bemerkenswert? Vorfreude gar auf die nächste Fahrt? Comme ci, comme ça. Der GT dagegen stimmt neugierig: Ist es Peugeot gelungen, eine Modellvariante auf die Räder zu stellen, die Lust auf mehr macht?
Das Zusatzkürzel impliziert schon mal Sportlichkeit, die äusserlich mit der Sonderfarbe «Bleu Magnetic» (es gibt aber auch andere Lackierungen), dem Sportfahrwerk (Höhe minus einen Zentimeter), den geänderten Front- und Heckschürzen oder speziellen 18-Zoll-Felgen zum Ausdruck kommt. Innen werden Alupedale oder ein dunkler Dachhimmel geboten, erfreuen rote Ziernähte das Auge und die Denon-Soundanlage das Ohr. Uns spricht vor allem die SW genannte Kombivariante an, weil sie gestreckter ist, in der zweiten Reihe spürbar mehr Platz bietet, dazu einen doppelten Kofferraumboden plus Verzurr-Ösen und optional ein wirklich riesiges Panorama-Glasdach. Die Tochter im Kindersitz ist begeistert, also sind wir es auch! Und haben natürlich auch die liebevoll gestalteten 3D-Armaturen wahrgenommen, das zentrale Display mit Verkehrszeichenerkennung oder den zusätzlichen Digitaltacho. Doch entfalten diese Details ihre Schönheit erst auf den zweiten Blick; dann erst die Lüftungsdüsen und vernähten Kanten – all das strahlt eine Wertigkeit aus, die wir von Peugeot bisher nicht gewohnt waren, schon gar nicht in dieser Klasse, mon Dieu! Der zentrale Touchscreen ist mattiert und spiegelt deshalb kaum. Diskret hat die Bluetooth-Funktion Verbindung mit unserem Smartphone aufgenommen; der Datentransfer ist ebenso unproblematisch wie die Sprachsteuerung – alles funktioniert intuitiv und ganz ohne Handbuch. Allerdings – wo Licht ist, fällt auch Schatten. Die Anordnung des Tempomaten ist sehr unglücklich gewählt, weil man das Teil einfach nicht sieht und es uns nicht einmal gelang, den CruiseSOMMER 2015 011
012 VECTURA #15
FAHRTERMIN
TECHNISCHE DATEN PEUGEOT 308 GT Konzept Betont sportliche Modellvariante des ab 2013 eingeführten französischen Kompaktwagens. Selbsttragende Karosserie mit Hilfsrahmen vorne, 4 / 5 Türen, 5 Sitzplätze. Zahnstangenlenkung mit elektrohydr. Servo, vorne Einzelradaufhängung mit Dreieckquerlenkern, hinten Verbundlenkerachse, Scheibenbremsen rundum (v. belüftet). Frontantrieb Motor Vierzylinder-Benzindirekteinspritzer (Code EP6 DT) mit 4 Ventilen / Zyl., 5fach gelagerte Kurbelwelle (Kette), Turbolader und Intercooler. Vierzylinder-Turbodiesel (Code DW10FD) mit Common-Rail-Einspritzung, ebenfalls 4 Ventilen / Zyl., Turbolader (VNG) sowie Intercooler 308 Berline GT e-THP
308 SW GT Blue HDi EAT6
1598
1997
Bohrung x Hub in mm
77 x 85,5
85 x 88 16:1
Hubraum in cm
3
Verdichtung
10,5:1
Leistung in PS (kW) @ U / min
205 (151) @ 6000
180 (133) @ 3750
Max. Drehmoment in Nm @ U / min
285 @ 1750
400 @ 2000
Kraftübertragung
M6
A6
Abmessungen (L / B / H) in cm
425 / 180 / 145,5
458 / 180 / 147
Radstand in cm
262
273
Spur vorne / hinten in cm
155 / 154
Reifen und Räder
225 / 40 R18 auf 7,5J 60
Tankinhalt in L Kofferraumvolumen in L
420 – 1300
Leergewicht (ohne Fahrer) in kg
1265
675 – 2145 1445
Zulässiges Gesamtgewicht in kg
1790
1975
Leistungsgewicht in kg / PS
6,2
8,0
0 – 100 km / h in Sek.
7,5
8,6
Höchstgeschwindigkeit in km / h
235
218 4,1
Durchschnittsverbrauch* in L/100 km
5,6
CO2-Emission in g / km
130
107
Energieeffizienzkategorie
C
B
Preis ab CHF
37 700.–
42 700.–
* gemessen nach NEFZ: Neuer Europäischer Fahrzyklus
SOMMER 2015 013
FAHRTERMIN
Der 308 GT strahlt eine Wertigkeit aus, die wir von Peugeot nicht gewohnt waren – schon gar nicht in dieser Klasse
Mode zu aktivieren. Schade auch, dass die Freisprecheinrichtung oder das Radio runterfahren, sobald man den Motor abschaltet. Öffnet man dagegen die Tür, ohne vorher die Feststellbremse betätigt zu haben, geht ein Alarm los, wie man ihn nur selten hört. Und muss die Heizungsbedienung wirklich ein Untermenu sein, das man aufrufen muss, wenn es zu kalt oder heiss wird? Offenbar, und es steht zu befürchten, dass dem bald überall so sein wird – einfach weil Hersteller für diese Funktion nur noch Software brauchen und auf eine haptische (teurere) Klimaregulierung zunehmend verzichten können. Doch diese letzte Kritik gilt einer ganzen Branche, nicht nur unserem Testkandidaten. Zumal er sich beim auffälligsten Anderssein besser benimmt als sein kleiner Bruder 208. Der war nämlich der erste Peugeot mit einem kleinen, asymmetrischen, extrem tief stehenden Lenkrad, um einen freien Blick auf die Instrumente zu ermöglichen. Und das klappte nur bedingt; wer als Fahrer die falsche Statur hat, sitzt eventuell nicht optimal. Anders der 308 – er passt sich jeder Physiognomie an, offeriert unterschiedlichen Körpergrössen und Sitzgewohnheiten stets eine wunderbare Ergonomie – wir haben es mit mehreren Probanden geprüft. Und an das niedrig stehende, kleine Volant gewöhnt man sich schnell, zumal es auch auf längeren Strecken ermüdungsfrei gehalten werden kann. Optional-elektrische Vordersitze wissen den Komfort dank Massagefunktion weiter zu steigern, doch bereits das mechanisch-manuelle Gestühl ist überdurchschnittlich gut. Die Kabinenisolierung unterdrückt Abrollgeräusche wirkungsvoll, selbst der akustische Unterschied zwischen Benziner und Diesel ist kaum vernehmbar. Letzterer bietet eine fein abgestimmte Sechsstufenautomatik, die eine weitere Überraschung bereithält – in der manuellen Schaltgasse am Wahlhebel will zum Runterschalten nach vorne gedrückt und zum Hochschalten nach 014 VECTURA #15
hinten gezogen werden. Dass ausgerechnet Peugeot es richtig macht, erstaunt nicht nur Porsche-Fahrer. Per Sporttaste des Dynamic-Pakets lässt sich das Auto schärfer stellen, legen Servolenkung und Gaspedal die Ohren an, schaltet die Instrumentenbeleuchtung auf Rot, wird sogar der Motorsound innen digital verstärkt. Im Zentraldisplay erscheinen dazu Power-, Boost- oder Torque-Daten; angezeigt wird auch, wie hoch die Querbeschleunigung aktuell ist. Selbstredend kann der 308 GT auch sparen und kommt mit Stopp-Start-Funktion. Die Benzin-Ausführung läuft subjektiv etwas seidiger, zieht aber nicht ganz so kraftvoll davon, obwohl wir die bald 200 kg leichtere Berline-Version mit Schrägheck ausprobierten. Auch ist sie nur mit manuellem Getriebe und recht langen Schaltwegen zu haben – das beste Auto Frankreichs stellt man sich anders vor. Fazit: Beide GT-Modelle erweitern den Grundcharakter des braven 308-Basismodells um zwei reizvolle, wenn auch nicht ganz billige Alternativen. Während die Limousine äusserlich immer noch unterschätzt werden dürfte, macht der SW optisch mehr her. Fahrspass bieten beide, ohne sich in steinharten Fahrwerken zu versteigen. Was zum Glück noch fehlt, ist ein Allradantrieb, aber der wird nicht kommen. Schliesslich möchte Peugeot potentiellen 4x4-Kunden den aufgeplusterten Crossover 3008 Hybrid4 verkaufen. Doch auch ohne AWD zählen wir den 308 GT zu den besten Peugeot, die je aus Sochaux kamen. Und das derzeit beste Auto Frankreichs? Ist in unseren Augen auch ein 308 GT – die Kombiversion SW mit Automatik, dem sauberen Blue-HDi-Diesel (siehe auch S. 144), der raffinierten Linienführung und dem zusätzlichen Platzangebot. Für sie würden wir sogar den Klassenprimus VW Golf Variant stehen lassen. Und das ist jetzt wirklich das grösste Kompliment, das es in der Kompaktklasse aktuell zu vergeben gibt.
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RUBRIKEN
GÖTTERDÄMMERUNG ODER FLOP? RENAULT BAUT EINEN ZWEITAKTMOTOR Text Christian Bartsch · Foto Archiv Bartsch, Werk
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urch den Zusammenbruch der DDR verschwanden mit Trabant und Wartburg die letzten beiden Zweitaktmotoren aus dem Automobilbau. Als Produkt eines durch Planwirtschaft erzwungenen Mangels hatten sie keine Existenzberechtigung mehr: Über vier Jahrzehnte lang hatte es keinen Spielraum für Weiterentwicklungen gegeben, die auch für den Zweitaktmotor zur Verfügung gestanden hätten – sogar in überraschend grosser Zahl. Kürzlich gab nun Renault die Entwicklung eines neuen Zweizylinder-Zweitakters bekannt, der kleine Nutzfahrzeuge antreiben soll. Parallel erreicht uns eine Nachricht aus Indien, derzufolge dort ein Einzylinder-Zweitaktdiesel entsteht, zunächst für die dort beliebten Lastendreiräder.
Potential ohne Anwendung Das sind aktuell nicht die einzigen Aktivitäten rund um den Zweitakter, doch hat bisher keine zur Serienfertigung geführt. Dabei arbeiten die kleinsten wie die grössten verfügbaren Verbrennungsmotoren nach dem Zweitaktverfahren, nämlich jene für handgehaltene Geräte, zum Beispiel Kettensägen, oder mächtige Schiffsdiesel mit bis zu 2000 Liter Hubraum – pro Zylinder, wohlgemerkt. Das weite Feld dazwischen wird vom Viertaktmotor beherrscht. Dass der Zweitaktmotor in Rennausführung extreme Leistungen erreichte, die jenseits dessen lagen, was dem Viertakter möglich ist, soll hier nur am Rand erwähnt werden. Vor rund 40 Jahren machte der Wahl-Australier Ralph Sarich mit seiner Gemischeinspritzung für Zweitaktmotoren (Orbital) von sich reden. Damals haben alle Automobilhersteller über einige Jahre wieder Zweitaktentwicklungen betrieben, von denen nicht eine überlebt hat. Aus dieser Zeit gibt es eine Vielzahl von Untersuchungen. Dabei fällt auf, dass alle untersuchten Systeme mit starren Steuerzeiten betrieben wurden und die Frischluftverluste vor allem bei niedriger Last und Drehzahl das Ergebnis nach wie vor stark beeinträchtigten. Auf dem Prüfstand der Ficht GmbH wurden im Mittel Verluste von 35 Prozent gemessen. 016 VECTURA #15
Das Unternehmen in Kirchseeon entwickelte darum eine BenzinDirekteinspritzung, die sich für kleinere Zweitaktmotoren eignete – und an den US-Bootsmotorenhersteller OMC (heute Bombardier) verkauft wurde. Die Aggregate glänzen seither mit einer Treibstoffeinsparung von 35 (!) Prozent; wegen ihrer guten Abgaswerte erhielten sie sogar die extrem harte Bodenseezulassung. Drei Zweitaktsysteme gibt es. Das erste und einfachste arbeitet mit Umkehrspülung und Schlitzen für den Gaswechsel im Zylinder. Es besitzt nur «drei bewegte Teile», nämlich Kurbelwelle, Pleuel und Kolben. Weil dieses System einfach und billig ist, wurde es bis heute in riesigen Stückzahlen hergestellt. Auch die Antriebe für Kettensägen, Laubbläser usw. folgen diesem Prinzip, ebenso die eingangs erwähnten Motoren für Trabant und Wartburg – oder vor dem Zweiten Weltkrieg die von DKW. Letztere waren mit ihren Zweizylinder-Zweitaktern übrigens keine Spritsäufer, sondern brauchten nicht mehr als die Viertakt-Konkurrenz. Dennoch waren die Spülverluste riesig und es hätte nahe gelegen, etwas dagegen zu tun. Aber nein, es passierte nichts, auch nicht vor rund 25 Jahren, als Sarich sein Orbital feilbot wie sauer Bier (Anm. der Red.: Der Autor dieses Textes widmete sich bereits in den 1950erJahren intensiv dem Zweitakter und hielt eigene Patente, die von der Industrie jedoch nie aufgegriffen wurden. Erst viele Jahre später gestanden ihm die Entwicklungsleiter von zwei Automobilherstellern, sie hätten doch besser auf ihn hören sollen). Eine Verlustquelle wenigstens wurde inzwischen beseitigt. Die Steuerung durch die Kolbenkante der ins Kurbelgehäuse angesaugten Luft wurde durch Membran- (Zungen-)Ventile ersetzt, so dass die angesaugte Luft nicht zum Teil wieder ins Freie geblasen werden kann. Solche Membranventile sind durch den Maschinenbauer Hans Grade etwa seit 1904 bekannt und spätestens seit 1915 auch als Zungenventile. Es hat dennoch viele Jahrzehnte gedauert, bis die japanischen Motorradhersteller sie aufgegriffen und auch verwendet haben. Jener Einlassdrehschieber dagegen, den auch die Trabant-Motoren aufwiesen, war keine dauerhafte Lösung. Damit konnte das Ansaugen ins Kurbelgehäuse lediglich unsymmetrisch gesteuert werden, aber nicht (automatisch) vollvariabel wie mit den Membranen. Auf die verschiedenen Klappen, Schieber und Walzen vor den Auspuffschlitzen, die ebenfalls von den japanischen Motorradher stellern eingeführt wurden, wollen wir hier nicht näher eingehen. Wer ein älteres Zweitaktmotorrad besitzt (und pflegt), wird sich damit auskennen. Auch der für Indien entwickelte kleine Dieselmotor arbeitet mit Umkehrspülung. Hinter dem Triebwerk steht der ehemalige AVL-Ingenieur und Zweitakt-Spezialist Reinhard Knoll, der in den vergangenen Jahren unablässig für den Zweitakter warb – ebenso wie Reinhold Ficht, der gegenwärtig einen längsgespülten Zweitakter mit Auslassdrehschieber entwickelt. Der längsgespülte Zweitakter ist denn auch das zweite System. Er besitzt Spülschlitze rund um den Zylinder im unteren Totpunkt und Auslasseinrichtungen am anderen Zylinderende. Alle
TECHNIK
grossen Zweitakt-Schiffsdiesel arbeiten nach diesem System. Sie sind die Verbrennungsmotoren mit dem absolut höchsten Wirkungsgrad bis annähernd 55 Prozent und arbeiten zumeist mit nur einem Auslassventil, das zwischen 70 und 80 Kilogramm (!) wiegt. Aber auch Ingenieur Hugo Junkers benutzte mit seinen Gegenkolben-Zweitaktmotoren die Längsspülung. Seine Flugzeug-Aggregate arbeiteten als Diesel und erreichten sagenhaft niedrige Verbrauchswerte. Na ja, damals musste man noch nicht auf Abgasschadstoffe achten. In jüngster Zeit hat Peter Hofbauer das System aufgegriffen und einen extrem kompakten Diesel entwickelt, der sich als Lw-Motor anbietet. Zweitakt, der Dritte Umkehr- und Längsspülung haben sich bewährt und besitzen noch erhebliches Entwicklungspotential. Das dritte System arbeitet dagegen mit Kopfumkehrspülung: Solche Motoren haben keine Schlitze im Zylinder, sondern vier Ventile im Zylinderkopf. Zwei davon dienen dem Frischlufteinlass, die beiden anderen dem Auslass. Nach diesem System hat auch Renault seinen Zweitakt-Diesel entwickelt; bei dieser Bauart können das Kurbelgehäuse eines Viertaktmotors sowie dessen Pleuel und Kolben verwendet werden. Das reizte vor Jahrzehnten schon japanische Automobilhersteller, später auch Mercedes. Die Stuttgarter verwendeten den Unterbau des damaligen Fünfzylinders mit 2,5 Liter Hubraum, der als Vorkammerdiesel bei nur 3000 Umdrehungen 120 PS (88 kW) leistete und ein maximales Drehmoment von 310 Newtonmeter entwickelte. Die Leerlaufdrehzahl betrug 400 Umdrehungen pro Minute und der Motor zeichnete sich durch extreme Laufruhe aus. Die Mercedes-Ingenieure beklagten, dass die Zweitaktentwicklung eingestellt wurde, bevor weitere Versuche durchgeführt werden konnten. Keiner der Motoren mit Kopfumkehrspülung überlebte, weil der Zeitquerschnitt für den Gaswechsel für höhere Leistungen nicht ausreichte und die untersuchten Zweitakter keine besseren Ergebnisse brachten als die Viertaktmotoren.
Beim Renault-Zweitaktdiesel wird der Kompressor über einen Riemen von der Kurbelwelle angetrieben Renault versucht es darum mit Hochaufladung, und das sowohl mit einem mechanischen Kompressor wie mit einem zusätzlichen Abgasturbolader – nach dem Motto: Lässt sich der Zeitquerschnitt nicht vergrössern, muss die Verbrennungsluft mit hohem Druck in die Zylinder geblasen werden, um genügend Luft hineinzubringen. Das Problem besteht darin, dass innerhalb kürzester Zeit das Abgas ausströmen und die Frischluft einströmen muss, bevor mit der Einspritzung die Verbrennung eingeleitet wird. Einen Verdichtungshub wie beim Viertakter gibt es nicht. Der Zweizylinder hat einen Hubraum von 0,73 Liter und soll Leistungen von 48 PS (35 kW) und 68 PS (50 kW) erreichen; die Drehmomente variieren von 112 bis 145 Nm bei 1500/min. Der Motor dreht maximal 4000 Umdrehungen, das entspricht 8000/min eines Viertaktmotors. Mehr verträgt der Ventiltrieb nicht. Die Zylinderbohrung beträgt 76 Millimeter, der Hub 80,5. Renault wird hier Stahlkolben von Mahle verwenden, die für kleine Vierzylinder-Diesel entwickelt wurden. Im Prinzip müsste solch ein Motor so lange leben wie ein Viertaktmotor, doch darüber können wir im Augenblick nur spekulieren, weil es noch keine Erfahrungen aus der Serienfertigung gibt. Bei anderen Zweitaktsystemen sorgen Schlitze im Zylinder für erhöhten Verschleiss und für eine reduzierte Lebensdauer.
Oben: Prinzip der Kopfumkehrspülung, wie sie von Renault verwendet wird. Die zugehörigen Nockenwellen sind nicht eingezeichnet. Unten: Zweitakter im DDR-Volkswagen Trabant
Durch die nur zwei Zylinder baut der Motor extrem kurz und soll 40 Kilogramm leichter sein als ein konventioneller Diesel gleicher Leistung. Renault spricht von exzellentem Wirkungsgrad, doch melden wir hier Zweifel an. Denn allein der mit etwa vierfacher Kurbelwellendrehzahl angetriebene mechanische Kompressor frisst enorm viel Leistung, die am Wirkungsgrad zehrt. Durch die nur zwei Zylinder will Renault einen Preis ähnlich einem vergleichbaren Benzinmotor erreichen und den Motor (zunächst) in kleinen Nutzfahrzeugen verwenden. Die Behandlung der Abgase zur Schadstoffreduzierung scheint keine Probleme zu machen, wenn sich Renault der für den Viertakter entwickelten Komponenten bedient. Das Zweitaktverfahren bietet die einzige Möglichkeit, einen Hubraum unterhalb von einem Liter zu verwenden – bei einem Rundlauf des Zweizylinders, der dem eines Vierzylinder-Viertakters entspricht. Der Motor arbeitet mit Common-Rail-Dieseleinspritzung und wir vermuten, dass diese von Bosch stammt. Der Antrieb der einen Nockenwelle erfolgt durch Zahnriemen, während die zweite durch Zahnräder von der ersten Nockenwelle mobilisiert wird. Die Verstellung der Nockenwellen für variable Steuerzeiten ist bei diesem System sehr stark eingeschränkt, sonst schlagen die Ventile auf den Kolben. Doch trotz aller Einwände finden wir es sehr erfreulich, dass Renault diesen Motor entwickelt hat. Sollte er serienmässig gebaut werden, könnten sich vielleicht auch andere Automobilhersteller an das Zweitaktverfahren erinnern – und möglicherweise eigene Entwicklungen beginnen.
Christian Bartsch (85) ist Diplom-Ingenieur, Fachjournalist und Buchautor, der sich seit den 1960er-Jahren eingehend mit der Motorenentwicklung mit den Schwerpunkten Diesel- und Einspritztechnik beschäftigt
SOMMER 2015 017
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FAHRTERMIN
L’HOMME À LA MOTO
ZEITLOSE SCHÖNHEIT: DIE TRIUMPH BONNEVILLE VEREINT VERGANGENHEIT UND GEGENWART AUF EINMALIGE WEISE Text Daniel Huber · Fotos Ian G.C. White, map
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ezüglich Motorrad-Styling hat meine Frau eine ganz klare Haltung. Mit dem futuristischen Design-Wildwuchs aus bunten Kunststoffteilen und LED-Lichtschlangen neuzeitlicher Maschinen kann sie wenig anfangen und sagt das gelegentlich auch. Eigentlich liebt sie Motorräder, die heute allerdings vorwiegend für «Lonesome Bikers» gebaut werden, also selten für romantische Blust-Fahrten zu zweit. Bequeme Sozia-Sitze, die diesen Namen verdienen, sind bestenfalls auf modernen Reisesänften anzutreffen. Aber wo, fragt sie zu Recht, ist die geradlinige Umsetzung individueller Fortbewegung für zwei Personen auf zwei Rädern hingekommen? Und dann steht diese Triumph Bonneville Spirit in leuchtendem BlauWeiss vor der Tür. «Das ist doch mal eine schöne Maschine!», kommt es meiner besseren Hälfte spontan über die Lippen. Wow! Ritterschlag für die Designer im englischen Hinckley! Andere denken offenbar genauso: Mit keinem anderen Testmotorrad – und es sind über die Jahre doch einige gewesen – ernte ich so viele wohlwollende und interessierte Blicke wie mit der Bonneville. Gleich zwei Passanten fragen mich nach dem Jahrgang der schönen Britin und können es dann kaum glauben, dass so etwas tatsächlich noch neu gebaut wird.
020 VECTURA #15
FAHRTERMIN
SOMMER 2015 021
FAHRTERMIN
Rein äusserlich gibt es tatsächlich wenige Indizien, welche die Errungenschaften des Motorradbaus im 21. Jahrhundert verraten würden. Ein simpler Stahlrohrrahmen vereint den Motor mit seinen zwei aufrecht stehenden, gerippten Zylindern, den Tank und Ledersattel, zwei Räder, den Lenker und Scheinwerfer. So hat mein Sohn im Kindergarten Motorräder gezeichnet. Was früher ganz normal war, wird seit ein paar Jahren trendig als «Naked Bike» verkauft – ohne den unsinnigen Plastik-Firlefanz der letzten Dekaden.
weichen. Weil das Design bei einer Bonneville aber wichtiger ist als bei anderen Zweirädern, klafft seither hinter den Zylindern, wo einst der Vergaser sass, nicht etwa ein schnödes Loch – sondern eine Einspritzpumpe, die man elegant in eine VergaserAttrappe integriert hat. Sogar ein ausziehbarer Choke-Hebel ist dort noch zu finden, mit dem bei kaltem Wetter tatsächlich ein wenig Standgas von Hand hochgezogen werden kann. Auch das freilich aus Nostalgiegründen, denn die Elektronik hätte es auch automatisch geschafft.
Solche Auswüchse blieben der Bonneville gezwungenermassen erspart – 1983 war der englische Traditionshersteller zahlungsunfähig und musste seine Werktore schliessen. Noch im gleichen Jahr kaufte der Bauunternehmer John Bloor für 150 000 Pfund die Markenrechte sowie das alte Werkgelände. Bloor nahm sich Zeit – und präsentierte sieben Jahre später voller Stolz die neuen Modelle Trident 900 und Trophy 900. Beide fanden sofort positive Resonanz und wurden dann in einem komplett neuen, auf der grünen Wiese errichteten Werk gefertigt.
Es ist das einzige Fake an einer ansonsten durch und durch authentischen Maschine – genau diese Liebe zum Detail macht die Faszination der Bonneville aus. Technisch gesehen ist sie im Lauf der letzten 15 Jahre in zwei, drei Etappen auf einen guten, soliden Stand gebracht worden. Da wackelt und ruckelt nichts mehr wie bei den Modellen der frühen Generationen. Auch Ölflecke im Garagenplatz fehlen. Die Kupplung kommt sauber, die Gänge fallen exakt mit einem kurzen «Klong» rein, Kurvenradien können sauber durchgezogen werden. Nur bei den Bremsen wurde nicht auf stur geschaltet: Vorne wie hinten gibt es Scheibenbremsen, die den 68-PS-Klassiker sicher entschleunigen. Wir hoffen sogar, dass es früher oder später auch einmal ein ABS geben wird.
Mit den verbauten Dreizylindern knüpften die Triumph-Ingenieure marketingtechnisch gekonnt an die grossen Rennsporterfolge der frühen 1960er-Jahre an – und schlossen die Lücke zwischen den traditionsreichen V2-Motoren von Harley Davidson oder Ducati und hochtourigen japanischen Vierzylindern. Überhaupt hatten sie ein glückliches Händchen bei der Entwicklung neuer Modelle: So sorgte insbesondere die 2004 vorgestellte Triumph Rocket III mit dem grössten bislang in Serie gebauten 2,3-L-Motorradmotor (und wieder drei Zylindern) für viel Aufsehen. Bereits 1994 war das der eigenwillig gestylten Speed Triple auf Daytona-900-Basis gelungen, die sogar gegen eine Ducati Monster bestehen konnte. Kurz: Triumph hat in den letzten 25 Jahren bewiesen, wieder echte Alternativen anbieten zu können, ohne andere dabei zu kopieren. Mit einem Dutzend Baureihen sowie rund 53 000 produzierten Maschinen pro Jahr ist man gut im Geschäft – und längst der grösste britische Zweiradproduzent.
Interessierte Passanten können kaum glauben, dass so etwas tatsächlich noch neu gebaut wird Der heutige Erfolg hängt auch mit jener Baureihe zusammen, an die sich Bloor Ende der 1990er erinnert hatte – mit klassischen Proportionen und benannt nach einem Salzsee in Utah: Dort hatte Triumph-Testfahrer Johnny Allen 1956 auf einer 650er-TwinZylinder den neuen Geschwindigkeitsrekord für Motorräder aufgestellt – 214,5 Meilen pro Stunde (ca. 345 km / h)! Bei besagter Maschine handelte es sich um einen der ersten Prototypen der späteren Serien-Bonneville, die 1959 Premiere feierte – und über die Jahre stetig weiterentwickelt werden sollte, bis dann 1983 eben Schluss war. 17 Jahre später wurde die Erfolgsgeschichte im alten Design als T100 Bonneville wieder aufgegriffen – zuerst mit 790 Kubikzentimeter und dann ab 2005 mit dem jetzigen 865 cm3-Parallel-Twin. Zwei Jahre später folgte ein weiterer technischer Meilenstein: Um den stetig verschärften Abgasnormen zu entsprechen, musste der Vergaser einer elektronisch gesteuerten Benzineinspritzung 022 VECTURA #15
Wobei. Dieses Bike wird trotz passabler Fahrleistungen per Definition nicht am Limit bewegt. Vielleicht ist es wegen der aufrechten Haltung mit nostalgischem Blick über die zwei klassischen Rundinstrumente, vielleicht auch wegen des vor allem im unteren Drehzahlbereich so angenehmen Blubbern des Twin-Motors. Doch auf diesem Motorrad rücken Dinge wie Beschleunigung und Spitzengeschwindigkeit in weite Ferne. Was aber nicht heissen will, dass man auf einer Bonneville links und rechts überholt wird: Durchzugskraft aus dem Drehzahlkeller ist ausreichend vorhanden, und doch mag man sich auf der Landstrasse auch mal Zeit für einen Blick auf Berge oder Wiesen gönnen. Diese Triumph regt ein anderes Mindset an. Weil die Ingenieure dieses Retro-Bike bewusst nicht dem technischen Wettrüsten ausgesetzt haben, kommt dem Auftritt umso mehr Bedeutung zu. Ergo gibt es die Bonneville in mehreren Ausführungen und die Spirit, deren blau-weisser Tank sich keck vom durchwegs schwarzen Unterbau abhebt, gehört zu den gelungensten. Irgendwie erinnert der farbliche Kontrast an die bunten Petticoat-Röcke der Fünfziger oder die schwarzen Lederjacken der Bad Boys. So sind auch viele Anbauteile bewusst matt dunkel gehalten; passend dazu gibt’s Speichenräder statt Gussfelgen. Der kleine Rundscheinwerfer stammt vom Scrambler-Schwester modell und das gekürzte Heck von der Thruxton, dem sportlichen Ableger der Bonneville-Familie. Doch für die meisten Käufer einer Spirit wird das erst der Anfang sein. Triumph fordert bei der Bonneville geradezu zum Custom-Nachrüsten auf – es ist ein Bike von Individualisten für Individualisten. Fazit: Eine Bonneville ist mehr als ein schönes Motorrad, das die guten alten Sixties aufleben lassen will. Sie verkörpert die Fortsetzung einer mittlerweile 55-jährigen Erfolgsgeschichte dieser grossen europäischen Traditionsmarke, ist mehr dem Genuss denn dem PS-Wettrüsten verpflichtet. Das hebt sie deutlich vom Gros des Zweirad-Allerleis ab und sichert ihr auch bleibende Wertschätzung. Für mich ist das Erlebnis eine Bürde. Denn es dürfte schwierig sein, eine Maschine zu finden, mit der meine Frau auch nur annähernd so einverstanden sein wird.
TECHNISCHE DATEN TRIUMPH BONNEVILLE SPIRIT Konzept Naked-Bike im Retro-Look mit aktueller Technik, zwei Sitzplätze. Stahlrohr-Schleifenrahmen. Vorne Telegabel, hinten Zweiarm-Stahlschwinge mit zwei Federbeinen, Scheibenbremsen vorne/hinten. Gespann-tauglich Motor Aufrecht stehender, luftgekühlter Parallel-Zweizylinder-Viertakter. Vier Ventile / Zyl., 2 oben liegende Nockenwellen (Kette), zwei Ausgleichswellen im Kurbelgehäuse, elektronisch sequentielle Multipoint-Saugrohreinspritzung und Sekundärluftsystem, mechanisch betätigte Mehrscheiben-Ölbadkupplung. Kettenantrieb Hubraum in cm3
865
Bohrung x Hub in mm
90 x 68
Verdichtung
9,2:1
Leistung in PS (kW) @ U / min
68 (50,3) @ 7500
Max. Drehmoment in Nm @ U / min
68 @ 5800
Getriebe
M5
Abmessungen (L / B / H) in cm
2230 / 840 / 1100
Radstand in cm
149 74
Sitzhöhe in cm vorne
100 / 90 R19
hinten
130 / 80 R17
Tankinhalt in L
16
Sitzhöhe in mm
740
Leergewicht* in kg
225
0 – 100 km / h in Sek.
5,5
Höchstgeschwindigkeit in km / h
185
Reifen und Räder
Durchschnittsverbrauch* in L / 100 km
5,0
CO2-Emission in g / km
109
Preis ab CHF
12 690.–
* vollgetankt
SOMMER 2015 023
FAHRTERMIN
NEW DAVIDOFF NICARAGUA OUR TOBACCO MASTERS TRAVELLED UNFAMILIAR PATHS IN THEIR SEARCH FOR A MORE COMPLEX CIGAR BLEND WHICH COULD STIMULATE BOTH THE SWEET AND BITTER TASTE BUDS
·
THEY
FOUND IT IN THE FIERY EARTH OF NICARAGUA’S FORTY VOLCANOES
·
F R O M T H E R E R O S E T H E L E AV E S W H I C H DAV I D O F F ’ S U N I Q U E E X P E R T I S E WO U L D T U R N I N TO N E W DAV I D O F F N I C A R AG U A
·
TO DISCOVER THEM YOURSELF WILL NOT TAKE YOU ON SUCH AN EXOTIC JOURNEY
·
BUT THE TASTE UNDOUBTEDLY WILL
·
D I S COV E R E D BY A N D A P P R EC I AT ED BY T H OS E IN T H E M O O D TO E X PLO R E
davidoff.com
STILBLÜTEN
FRENCH CONNECTION
WIESO FRANZÖSISCHE AUTOS HEUTE WIEDER CHIC UND SEXY SIND Text und Illustration Mark Stehrenberger
L
Bis Ende der 1930er-Jahre war die französische Eleganz auf vier Rädern gar unübertroffen – Avions Voisin, Bucciali, Bugatti, Delage, Delahaye oder Talbot Lago, um nur einige zu nennen, gelten längst als Ikonen. Aber bereits mit der Weltwirtschaftskrise von 1929 hatten sich die Vorzeichen geändert: Französische Autos wurden schlichter und nüchterner. Der Schwerpunkt verlagerte sich weg vom extravaganten Styling in Richtung technischer Innovation; kleinere Motoren waren plötzlich en vogue. Mir fallen da die Citroën-Kreationen Traction Avant (1934) und 2CV (1948) ein, denen konzeptionell viele Modelle anderer Marken folgen sollten.
Rewind auf 1958: Als ich ein kleiner Junge war und zum ersten Mal in der neuen Citroën DS meines Schwagers sass, fielen mir die Augen fast aus dem Kopf. Dieser Schlitten war einfach der absolute Hammer! Kein anderes Auto vor der DS ist stilistisch und technisch so gewagt gewesen: Das Äussere erinnerte mich an die Architektur von Le Corbusiers moderner Kirche Notre Dame du Haut in Ronchamp, das Interior – und speziell das Armaturenbrett und Lenkrad – kultivierte die Kunst des Weglassens. Der weiche Ride auf diesem Bett von Hydraulikflüssigkeit, mit Niveauregulierung und einem halbautomatischen Getriebe, fühlte sich an wie Alibabas magische Teppichfahrt. Die DS liess die anderen Autos auf der Strasse auf einen Schlag überholt und knarrend alt wie eine arthritische Hüfte erscheinen. Und sie sorgt bis heute dafür, dass die Marke Citroën als Innovator wahrgenommen wird – welches andere Auto, bitte, hat das je geschafft, bald 40 Jahre nach Produktionseinstellung? Die Einzigartigkeit der DS war gleichzeitig auch Citroëns Dilemma, denn die Bosse fürchteten zu Recht, dass künftige Modelle nicht vom gleichen kühnen Kaliber sein könnten. In der Tat wurden bis in die 1980er-Jahre keine nennenswerten Baureihen mehr eingeführt. XM, Xsara, LN und wie sie alle hiessen waren so belanglos wie Gartenzwerge und hatten meist ein kurzes Verfalldatum. Mon Dieu.
Es gab aber auch Probleme. Denn so sehr mir die Interpretationen unserer Nachbarn vom Design her auch gefielen, so grob und minderwertig waren sie oft zusammengesetzt. Einst galt die französische Automobilindustrie als die modernste und mit Abstand grösste der Alten Welt. Doch vor 25 und mehr Jahren begann in den Pariser Styling-Studios eine gähnende Sendepause und folglich – in Kombination mit einer erstarkten Konkurrenz aus Westeuropa und Asien – stagnierte auch der Absatz.
Als junger Mec las ich «Bonjour Tristesse» von Françoise Sagan, schwofte zu Musik von Johnny Hallyday, sah mir im Kino Schies sereien mit Jean-Paul Belmondo an, liebte eine Mademoiselle aus der Romandie und rauchte gelbe, ungefilterte Gauloises. Das war eine herrliche «Hauteur de la France»-Lebensweise damals, die sich auch in ihren Autos erleben liess. Doch zwischenzeitlich hatte die französische Kultur insgesamt ihre Autorität verloren, wurden ihre Autos zuerst furchtbar lustlos und dann banal.
a France ist berühmt für seine Kunst und Kultur, Brigitte Bardot, Foie gras, Roquefort und Bordeaux – aber auch für seinen weltweiten Ruf, oft eigenartige, witzig gestylte Autos hervorzubringen. Innovative Design-Ideen, die Einführung neuer Elemente und Materialien sowie die Fähigkeit, Trends und Moden frühzeitig zu erkennen (oder sogar zu kreieren) waren nur einige der Attribute, die in der Vergangenheit zum Erfolg der legendären «voitures françaises» beitrugen. Vom ersten Dampfauto Jahrgang 1873 über den ersten Benziner von 1883 bis hin zum ersten Elektroauto 1891 engagierten sich Pioniere der Grande Nation intensiv, um die Grundlagen der später weltweiten Automobilindustrie zu erarbeiten.
#15 026 VECTURA #14
Vielleicht war es wirklich der Schatten der DS, der sich auf alles Neue legte und es auf Anhieb als armselig abstempelte? Zur Jahrtausendwende sahen alle Peugeot-, Citroën- und Renault-Modelle am Genfersee jedenfalls aus wie Frankreichs Antwort auf den Toyota Camry. Chérie, wo waren nur die originellen Autos unseres westlichen Nachbarn geblieben? Stattdessen hatten wir es plötzlich mit automobiler Anonymität zu tun, denn Autos wie ein Renault 25 (1984–92) oder Peugeot 306 (1993–2002) waren an Einfallslosigkeit kaum noch zu unterbieten. Unter den Aspiranten für den Titel «glorreichste Missgeburt» liegen auch die Renault-Auswüchse Avantime (2001–03) und Vel Satis (2002–09) ganz weit vorne: Kreativität ist ja okay, aber Nützlichkeit und Rentabilität sollten dabei nicht gänzlich auf der Strecke bleiben. Konsequenterweise waren beide Autos komplette Fehlanzeigen und das Erstaunlichste daran ist, dass sich der Twingo I aus der gleichen Feder (nämlich der des langjährigen RenaultDesignchefs Patrick le Quément) in 14 Jahren nicht weniger als 2,5 Millionen Mal verkaufte. Merke: Mit einem ungewöhnlich simplen Design, faltenfrei und frisch, immer lächelnd bis ans Ende, sowie dem passenden Innenraumkonzept kann man Trendsetter und Frauenheld werden. Oder eben nicht, denn der 2007 lancierte Twingo II war wieder von einer erschreckenden Bedeutungslosigkeit. Vielleicht hatte es auch damit zu tun, dass die kreativsten und besten französischen Nachwuchsdesigner – manche von ihnen waren meine Studenten am (wieder geschlossenen) Art Center College (Europe) in Vevey – über den Rhein oder in den Orient abwanderten und dort jetzt gross rauskommen. Der verkorkste Twingo II ist nicht mit jener Simplizität zu verwechseln, die einst die Ente auszeichnete – und seitdem auf einen würdigen Nachfolger wartet, der nur aus Frankreich kommen kann. Mit einer Prise unverkennbarer Nostalgie, aber gleichzeitig modern und den Ansprüchen der heutigen Jugend entsprechend sollte meiner Meinung nach eine neue Ente aussehen. Und natürlich einen Plug-in-Hybrid-Antrieb haben. Es sind die einfachen französischen Autos gewesen, die mich am meisten mit ihrem «Vive la différence» und Komfort zu beeindrucken verstanden – mochten andere auch viel grösser, stärker und schneller sein. Es waren Autos mit einer gewissen Lässigkeit, wie sie eben nur die Franzosen konzipieren konnten – keine Deutschen, keine Engländer und auch keine Amerikaner. Merke: Auch die neue Französische Revolution findet fast ausschliesslich in der unteren Mittelklasse statt – man betrachte nur die Erfolgsmodelle Peugeot 205 (1983–98) und 206 (1998–2012). In höheren Sphären haben dagegen andere Länder das Sagen. Ausnahmen bestätigen die Regel – siehe Citroën DS und SM, wobei Letzterer eine krude Sonderstellung geniesst. In den ihm folgenden dunklen Jahren der Baisse gab es nur ein paar (wenige) Lichtblicke. Kein Peugeot imponiert mir mehr als das 406 Coupé von 1997: Mit seinem katzenhaft grazilen Profil ist es ein Meisterstück von Pininfarina – ein letztes, schönstes Beispiel dieser langjährigen italo-französischen Kollaboration, das auch in diesem Millennium noch funktioniert – und von dem manch heutiger Autodesigner lernen könnte! Und es ist genau dieser Esprit von zurückhaltender Eleganz und Nonchalance, der nun ausgerechnet von einer Generation wieder belebt wird, die mit Autos angeblich wenig bis gar nichts am
Hut hat. Mein diesjähriger Rundgang am Lac Léman war aus dieser Perspektive sogar ganz erstaunlich: Schöne, freche, spezielle Modelle hatten sie mitgebracht, die Franzen, und sich nach langer Abwesenheit endlich wieder zurückgemeldet. Très cool, mes amis, welcome back! Die neuen Helden heissen DS5 (beachtlicherweise ohne den Markennamen Citroën) oder C4 Cactus: Letzterer ist momentan Frankreichs Bestseller und auch – da bin ich gerne Mainstream – mein Favorit. Die heisseste Peugeot-Ware neben dem RCZ-R sind der 2008 und 308 II, während Renault mit Captur, Twingo III (er kann es wieder!) und Zoe punktet. Interessant auch die Neuausrichtung des Monospace Espace. Allesamt sind es selbst bewusste Fahrzeuge, die nicht kopieren, sondern eigene, frische Akzente zu setzen verstehen. Captur und 2008 bestätigen auch den Weg der Zukunft: In ihnen sehe ich eine neue Zuversicht und die Wiedergeburt des französischen Autos. In Märkten wie Deutschland, Spanien, Italien oder den Niederlanden verkaufen sich Captur und 2008 besser als ihre Nicht-Crossover-Pendants Clio IV und 208. Was vor einem Jahr noch als undenkbar galt, ist jetzt plötzlich wahr geworden. Die französische Autokrise darf als überwunden bezeichnet werden. Renault hatte sich noch am besten vom Abyss ferngehalten, was zu grossen Teilen seinem ebenso fähigen wie weitsichtigen CEO Carlos Ghosn zu verdanken ist. Inzwischen wissen auch seine Kollegen vom PSA-Konzern (Peugeot und Citroën), wie man der jungen Generation wieder pfiffige Autos schmackhaft macht. Das belegen auch die Verkaufszahlen der letzten zwei, drei Jahre. Sportlichkeit und Chic, Leidenschaft und Emotionen sind wieder in, nicht zuletzt weil die Marken neuen Design-Mut geschöpft haben und ihre vergleichsweise kleinen Motoren besser mit der knallharten CO2-Gesetzgebung klarkommen. Zudem ermöglichen Gleichteile- und PlattformStrategien sowie Kooperationen (Renault-Nissan-Daimler oder Peugeot-Dongfeng) mehr Styling-Spielarten, weil Diversifizierung vom Kunden inzwischen erwartet wird. Heute kann sich schlichtweg kein Hersteller mehr erlauben, schlechte Autos zu bauen. Kurzum: Die wesentlichsten Diversifizierungen äussern sich heute in Design und Ausstattung. Noch was Interessantes beim diesjährigen Genfer Salon: Obwohl weder Apple noch Google eigene Stände unterhielten, waren sie ob der Dominanz ihrer Smartphone-Betriebssysteme in aller Munde. Längst haben sie begonnen, die proprietären Infotainmentsysteme der Automobilhersteller zu ersetzen, und ich kann mir gut vorstellen, dass sie schon bald eigene, komplett vernetzte, vielleicht auch autonome Fahrzeuge bauen und verkaufen – und sie unter dem Namen eines kooperierenden Herstellers, zum Beispiel Peugeot oder Renault, anbieten. Derartige Fahrzeuge, nennen wir sie mal Pods oder Reisekapseln, werden das neue «Chic» und «It-Toy» der Generation Z. Allein Apple leistet sich im Silicon Valley ein Team von etwa 200 Leuten (die meisten sind unter 25 Jahre alt), um Technologien für ein Elektroauto zu entwickeln. Wollen die Franzosen also nicht nur coole Fahrzeuge bauen, sondern auch solche, die die Geschichte des Automobils grundlegend verändern können wie die eingangs erwähnten, führt kein Weg an diesem Trend vorbei. Ein Blick auf das aktuelle Portfolio stimmt mich sehr zuversichtlich, dass es so kommen wird. Bonne Chance! FRÜHLING SOMMER 2015 027
RÜCKSPIEGEL
TOUR DE FRANCE MANCHE AUTOS STEHEN SYNONYM FÜR DAS LAND, AUS DEM SIE STAMMEN. BEI FRANZÖSISCHEN MODELLEN GILT DAS VIELLEICHT GANZ BESONDERS; IHRE GESCHICHTEN FÜLLEN GANZE BIBLIOTHEKEN. WIR KONZENTRIEREN UNS AUF DIE LETZTEN 70 JAHRE – MIT EINIGEN HERAUSRAGENDEN BEISPIELEN Text Dieter Günther, map · Fotos zwischengas.com, Werk
028 VECTURA #15
Als Infotainment noch ein Fremdwort war: Traction-Avant-Cockpit mit reduzierter Bedienung und – plus cool – kippbarer Frontscheibe
W
o soll man anfangen, wenn von französischen Automobilen die Rede ist? Am besten ganz von vorne, aber dafür reicht selbst in VECTURA der Platz nicht aus! Zu bemerken ist, dass Häuser wie De Dion-Bouton oder Panhard-Levassor im 19. Jahrhundert zu den wichtigsten Impulsgebern des damals noch jungen Automobils gerechnet werden müssen. Und dann die Belle Époque mit Hispano-Suiza, Voisin, Bucciali, Delahaye und Delage, Salmson, Amilcar – und natürlich dem High-End-Label Bugatti, dessen Eigentümer zwar gebürtiger Italiener gewesen ist, aber in Molsheim beheimatet und damit französisch war. Für nicht wenige Experten brachte jene Phase (man denke nur an die Ateliers Henri Chapron) besonders elegante Fahrzeuge hervor. In den 1930ern folgte eine barocke Phase: Carrossiers wie Saoutchik, Figoni & Falaschi, Franay – allesamt grosse Namen mit ebenso reichhaltiger Kreativität – fügten zahlreiche Meisterwerke hinzu. Selbst vergleichsweise kleine Klitschen wie Pichon et Parat, Piollet, Fauvel, Autobleu oder Prab brachten später Erstaunliches hervor. Denn auch die Nachkriegszeit hielt Prachtvolles bereit – siehe Simca oder Talbot-Lago. Aber auch viel Grauenhaftes, siehe Chrysler-Simca, Matra-Simca / Talbot-Matra oder Talbot. Na ja. Kaum eine der genannten Firmen hat überlebt; selbst von Häusern wie Heuliez, Hommel oder Venturi blieb wenig übrig. Vielleicht ist der Salon Rétromobile – eine der wichtigsten Oldtimermessen der Welt, die jedes Frühjahr in Paris stattfindet – auch deshalb so populär … Naturellement, es gibt Ausnahmen wie das Reifenmaskottchen Bibendum. Oder Michel Vaillant, der als (halb belgischer) ComicRennfahrer seit 1957 durch unzählige Kinderzimmer rast. Überhaupt der Rennsport: Abgesehen vom Autodrome de LinasMontlhéry, das 2005 endgültig geschlossen wurde, lieben unsere überwiegend Kleinwagen fahrenden Nachbarn die rasante Fortbewegung: Le Mans, Paul Ricard, Le Castellet oder die Rallye Monte Carlo sind da nur die prominentesten Beispiele. Frankreich ist trotz diverser Krisen Automobil-Land, inzwischen auch
wieder eines der führenden Europas. Dass man daran nie zweifeln sollte, belegen unter anderem auch die folgenden Beispiele.
Von Autos und Reifen – Michelin X und Traction Avant Tragisch: 1934 lancierte André Citroën seinen genialen Traction Avant, ein für damalige Verhältnisse technisch wie formal sensa tionelles Auto, dessen Entwicklung freilich viel Geld verschlungen hatte. Zu viel, wie sich herausstellte: Citroën war pleite und wurde vom Reifenhersteller Michelin geschluckt. Kurze Zeit später starb André Citroën, ohne den Siegeszug des Traction Avant – immerhin die Schöpfung, die die Firma letztendlich in den Konkurs getrieben hatte – zu erleben. Doch durch die Verbindung MichelinCitroën avancierten die Fahrzeuge mit dem Doppelwinkel im Firmenzeichen auch zu rollenden Versuchslabors, wenn ein neu entwickelter Reifen getestet wurde. So auch in den 1940ern, als Michelin-Ingenieur Marius Mignol auf die Idee gekommen war, die Gewebefäden der Karkasse (sozusagen die Grundlage jeden Reifens) nicht mehr diagonal von einer Wulst zur anderen zu führen, sondern radial, also quer zur Fahrtrichtung. Um den Reifen haltbarer zu machen und vor allem, um für zusätzliche Stabilität zu sorgen, betteten die Michelin-Ingenieure zwischen Lauffläche und Karkasse einen Gürtel aus Stahlgewebe – und liessen sich dieses Verfahren sicherheitshalber patentieren. Eine kluge Entscheidung, denn dieser erste Stahlgürtelreifen, der als Michelin X ab 1949 in Produktion gehen sollte, verbesserte seiner grösseren Stabilität wegen die Fahreigenschaften eines Autos erheblich, war obendrein haltbarer und langlebiger. Und er zwang die Konkurrenz zu reagieren – wie Pirelli, die mit ihrem Cinturato einen Gürtelreifen mit Textileinlage lancierten. Und jetzt raten Sie mal, welches Auto zuerst serienmässig mit Michelin-X-Stahlgürtelreifen ausgestattet wurde – genau: der Citroën Traction Avant! SOMMER 2015 029
Traumwagen: FV S, Jahrgang 1957
Heller Stern, längst verglüht – Facel Véga In den frühen Morgenstunden des 4. Januar 1960 befindet sich ein Bauer mit seinem Fahrrad auf der Route Nationale 6. Nahe Villeblevin (Yonne) wird er in rasender Fahrt von einem dunklen, starken Wagen überholt. Der ist kaum vorbeigeschossen, da ertönt ein scharfer Knall, das Auto schleudert, streift eine Platane, prallt gegen eine zweite, wird auseinandergerissen, kommt endlich zum Stehen. Stille. Polizeiliche Ermittlungen ergeben, dass es sich bei dem dunklen, starken Wagen um einen Facel Véga vom Typ FV3B handelte, der mit rund 180 km / h seinem Ziel Paris entgegenjagte – als der linke Hinterreifen platzt und zur Kata strophe führt. In den Trümmern des Wracks stirbt Albert Camus, Literatur-Nobelpreisträger von 1957; sein Verleger Michel Gallimard, der Fahrer und Besitzer des Facel, überlebt unverletzt. Bittere Ironie: Der Mann, der die Hoffnungslosigkeit menschlicher Existenz in den Mittelpunkt seines Werks rückte, hatte auf einer Veranstaltung seinen Verleger getroffen – der ihn zur gemein samen Rückfahrt nach Paris im Auto überredete. In der Brieftasche des Toten steckt noch die unbenützte Zugkarte… Wie reagiert Jean Daninos, Schöpfer, Patron und «Seele» von Facel Véga, auf das Unglück? Wir wissen es nicht; in seinem Rückblick (Jean Daninos, «Facel Véga», Paris o. J.) werden die geschilderten Ereignisse nicht erwähnt. Dafür erscheint der Name Gallimard ganz unschuldig in der langen Liste berühmter Kunden – neben Rennfahrer Stirling Moss, Schauspielerin Ava Gardner, Beatles-Drummer Ringo Starr, Modeschöpfer Guy Laroche oder den «Nouvelle Vague»-Regisseuren Louis Malle und François Truffaut. Auch der Schah von Persien schmückt diese Aufzählung – aber was heisst das schon? Der Herrscher auf dem Pfauenthron hortete fast alle Autos, die edel, stark und teuer waren. 030 VECTURA #15
Edel, stark und teuer ist schon der erste Facel Véga, der im Juli 1954 aus der Taufe gehoben wird. Pierre Daninos, Schriftsteller und Bruder von Jean, hat für die klangvolle Ergänzung im Markennamen gesorgt: Véga, einer der hellsten Sterne der nördlichen Himmelshälfte, soll der neuen Nobelschmiede Glanz verleihen. Das Luxuscoupé mit der Bezeichnung FV tut dies allein schon mit seiner knapp viersitzigen Karosserie, die mit stattlichem Unterbau und dem zierlichen Pavillon das Kunststück fertigbringt, massig-elegant und doch sportlich zu wirken; sie ruht auf einem Rohrrahmen. Unter der Motorhaube brodelt ein Chrysler-4,5-LV8 mit 180 SAE-PS, das manuelle Vierganggetriebe stammt von Pont-à-Mousson und im noblen Innenraum verwöhnen Lederpolster und elektrische Fensterheber. Damit «steht» das Grundmuster aller künftigen V8-Modelle, mit Spielraum nach oben. So wird der FV nach und nach immer leistungsfähiger, er erhält eine Panoramascheibe, auf Wunsch ein Automatikgetriebe von Chrysler sowie ein pompöses Armaturenbrett aus Edelholz. Aus Edelholz? Nicht ganz. Bei näherem Hinsehen gibt sich die glänzende Pracht mit den vielen Uhren und Schaltern als lackiertes Blech zu erkennen: Aus Sicherheits gründen duldet Daninos kein Holz in seinen Autos, basta. Zum Pariser Salon von 1955 ergänzt ein Cabriolet das Programm. Nach dem FV betritt im Mai 1958 der HK500 die Bühne der feinen Autowelt; schon bald gehen drei Viertel der Produktion ins Ausland, überwiegend in die USA. Teurer als ein Mercedes 300 SL, aber etwas günstiger als Ferrari oder Aston Martin (nach Jean Daninos sind dies die «natürlichen» Spielgefährten des Facel – an Selbstbewusstsein mangelt es Monsieur wahrlich nicht). 330 (mit Automatik) bzw. 360 Pferdestärken (mit manuellem
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Vierganggetriebe) stellt der 5,9-L-V8 des HK500 bereit, dessen Bezeichnung auf das Leistungsgewicht von 5 PS / K ilo (Horses per Kilo) hinweist. Die «Automobil Revue» aus der Schweiz treibt einen HK500 mit Handschaltung und «langer», 2,93:1 übersetzter Hinterachse auf Tempo 237 km / h. Allerdings handelt es sich dabei um eine speziell präparierte Version und nicht um ein Serienmodell. Wie auch immer: Mit 489 gebauten Exemplaren avanciert der «schnellste Viersitzer der Welt» (Jean Daninos) zum Bestseller der V8-Modelle. Der ebenfalls 1958 lancierte Excellence – ein gewaltiger Viertürer mit hinten angeschlagenen Fondtüren ohne Mittelsteg – kann da nicht mithalten. Der Patron ist am Ziel seiner Wünsche – fast. Er hat Frankreich und der Welt einen formidablen «Grand Routier» beschert, einen schnellen Tourenwagen in Stil und Tradition eines Bugatti, Delage oder Delahaye. Jetzt folgt der nächste Coup des am 2. Dezember 1906 geborenen Mannes, der in den späten 1920ern Sonderkarosserien für Citroën entwarf und 1939 mit einem Blechpresswerk erfolgreich in die Industrie einsteigt. Er ergänzt das Facel-Programm im September 1959 um die Facellia, einen erle senen Vierzylinder-Sportwagen im Alfa-Giulietta- und PorscheSuper-90-Format. Besonders stolz ist der patriotische Monsieur Daninos auf den Motor des adretten, zunächst nur als Cabriolet lieferbaren Neulings (zwei Coupé-Ausführungen folgen): Der delikate Vierzylinder mit den beiden obenliegenden Nockenwellen, den halbkugelförmigen Brennräumen, dem Querstromkopf und den hartverchromten Zylinderlaufbüchsen ist hausgemacht, seine Einzelteile werden bei Pont-à-Mousson gefertigt und bei Facel zu kompletten Einheiten montiert. Auch seine Leistungsangaben – 115 SAE-PS aus 1646 cm³ Hubraum sowie die Vmax von gut 182 km / h – wissen zu imponieren. Doch das gefeierte Aggregat wird schnell zum Problemfall: Motorschäden häufen sich, ruinieren erst das Budget und dann
Flossentier: viertüriger Excellence von 1959
den Ruf. Das Werk steuert gegen, überarbeitet den Vierzylinder, ersetzt ihn schliesslich. Auf die glücklose Facellia folgt im April 1963 der Facel III mit robustem 1,8-L-Volvo-Aggregat und 108 SAE-PS – um schon gut ein Jahr später dem Facel VI Platz zu machen, dessen Austin-Healey-Sechszylinder 150 SAE-PS mobilisiert (um in Frankreich als 15 CV eingestuft zu werden, wird sein Hubraum auf 2852 cm³ reduziert). Bei den V8-Modellen hat Ende 1961 der straffer geformte und abermals stärkere Facel II mit 390 SAE-PS und 6,3-L-Motor (Werkangaben) den HK500 ersetzt. Aber es hilft alles nichts: Frankreichs einst so heller Autostern erlöscht vor über fünf Dekaden im Oktober 1964. 37 Jahre später, am 13. Oktober 2001, stirbt Jean Daninos. Der 94-jährige Porsche-911-Fahrer hinterlässt eine Witwe von 35, er war Ehrenvorsitzender des französischen Facel-Clubs und hat bis kurz vor seinem Tod die Wiedergeburt seiner Marke energisch betrieben. Vergebens: Das geplante Luxuscoupé mit BMW-Technik blieb ein Traum.
Filigraner, schneller: Facel II, Baujahr 1964
SOMMER 2015 031
Wirbelte ab Mitte der 1960er-Jahre mächtig Staub auf: Alpine A110 im Rallye-Trimm, hier eine späte Version nach 1971
Bodenturnen: Alpine A110 Es gab und gibt immer junge, ehrgeizige Männer, die der Automobilgeschichte ihren Stempel aufdrücken wollten. Wirklich geschafft haben das aber nur einige wenige wie Carlo Abarth (Abarth) und Colin Chapman (Lotus). Oder wie Jean Rédélé: Dieser Gallier mit dem goldenen Händchen kam 1922 im französischen Dieppe mit Benzin im Blut auf die Welt: Die väterliche Renault-Vertretung übernahm er im zarten Alter von 24 Jahren, daneben engagierte er sich im Motorsport und präparierte in seiner Freizeit bevorzugt kleine 4-CV-Modelle (was sonst?), die er bei Rallyes und Strassenrennen fliegen liess. Mit beachtlichem Erfolg: 1952 etwa passierte er als Klassensieger die Ziellinie bei der Mille Miglia, ein Ergebnis, das er in den folgenden beiden Jahren wiederholen konnte. Zu diesem Zeitpunkt hatte Rédélé bereits ein erstes RennsportCoupé entwickelt, das 1952 seinen Einstand feierte. Ob er ahnte, was er damit anrichtete? Sicher nicht. Obwohl sich schon dieser erste Prototyp der späteren Alpine A106 sehen lassen konnte, technisch wie optisch. Seine wunderhübsche Aussenhaut war von Giovanni Michelotti modelliert und von Allemano gefertigt worden und umhüllte – was sonst? – die hochfrisierte Mechanik des Crèmeschnittchens: Rédélé kannte die kleine Renault-Heckschleuder in- und auswendig und war von ihrer Zuverlässigkeit ebenso überzeugt wie von ihrem Leistungspotential. Zu Recht: Die Rallye de Dieppe beendete dieser 4 CV Spéciale genannte Prototyp als Gesamtsieger. Dann ging alles sehr schnell. Wann sich der Wunsch konkretisierte, diese kleine Krawallschachtel zum Ausgangspunkt einer Kleinserie zu machen, lässt sich aus heutiger Sicht kaum exakt datieren. Fest steht, dass ein zweiter Prototyp entstand, der auf dem Autosalon von New York Anfang 1954 als «The Marquis» debütierte. Sogar ein amerikanischer Lizenznehmer fand sich, doch der Plan führte ins Leere. Die inzwischen beschlossene 032 VECTURA #15
Serienfertigung liess sich durch derartige Rückschläge nicht stoppen, das «Abenteuer Alpine» nicht aufhalten. Im Januar 1955 fiel schliesslich der Startschuss, lief die Fertigung der Alpine A106 an. Was die Herren Deutsch und Bonnet – sie fertigten den schnittigen DB auf Panhard-Basis (siehe S. 035) – dazu sagten, ist nicht überliefert. Nachahmer tauchten aber auf: Angetan vom Alpine-Konzept, beglückten Brissoneau & Lotz die Welt mit einer Konstruktion, die technisch wie optisch stark der kleinen Alpine ähnelte. Und schon bald wieder vom Markt verschwand … Anders Alpine. Die kleinen Canaillen von der Kanalküste erwiesen sich auf allen Gebieten als aussichtsreiche Kandidaten und reüssierten nicht nur im Kampf um Marktanteile oder im Motorsport, sondern selbst bei Schönheits-Konkurrenzen, diesem in den 1950er-Jahren beliebten Gesellschaftsspiel. Zumal Rédélé geschickt die Modellpalette erweiterte – nicht nur um Motor-, sondern auch um Karosserievarianten. Aus heutiger Sicht bedeutsam ist freilich etwas anderes: Mit dem Chassis seiner Schöpfungen nicht mehr zufrieden, konzipierte Jean Rédélé einen nagelneuen Zentralrohrrahmen mit angeschweissten Achsträgern samt hinterem «Käfig» für das Triebwerk. In der Praxis sollte diese gerade mal 30 Kilo schwere Konstruktion durch ihre hohe Stabilität überzeugen; erstmals zum Einsatz kam sie Ende 1959 – zunächst in den A108-Modellen. Damit war ein weiterer wichtiger Schritt getan, dem bald ein dritter folgte. Wieder auf dem Salon von Paris zeigte Alpine im Oktober 1960 als neue A108-Version die Berlinette «Tour de France», ein kleines Coupé, das sich bei näherem Hinsehen als geschickte Adaption des von Michelotti gezeichneten A108 Cabriolet zu erkennen gab: Die Scheinwerfer hatten Rédélé und Co. verkleidet und für eine sanft im Heck auslaufende Dachpartie gesorgt, bei der höchstens ein paar Details – wie die mit ihren aufgesetzten Luftschächten provisorisch wirkende Motorhaube – störten. Aber das waren Äusserlichkeiten, die bereits im Herbst 1962
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buchstäblich glattgebügelt wurden: Die Alpine A110 Berlinette debütierte – und damit eines der erfolgreichsten Wettbewerbsfahrzeuge aller Zeiten, ein ultraflaches Sportgerät, das für viele zu einem Mythos, zu einer Art französischem Nationalheiligtum werden sollte. Dessen typische Merkmale – der im Heck installierte Renault-Vierzylinder (naturbelassen oder in des Meisters Hexenküche zum Brodeln gebracht), der klassische Rohrrahmen sowie die damit verklebte Kunststoffhaut – ihm für die nächsten 15 Jahre erhalten bleiben sollten. Den fünffach gelagerten 956-cm³-Motor gab es in zwei Leistungsstufen: Als Serientriebwerk mit 42,2 DIN- oder 48 SAE-PS (lacht da jemand?) sowie in einer Ausführung, die Marc Mignotet, Rédélés Motoren-Mann, auf 66 SAE-PS bei 6500 Touren getrimmt hatte. Damit ging die Plastik-Flunder rund 170 km / h – ein fabelhafter Wert für ein Einliter-Auto! Sehr sportlich war auch das Cockpit, sowohl was die Instrumentierung wie die drangvolle Enge betraf. Doch die Alpine passt wie ein Massschuh, und dass die Karosserie kaum Platz für Gepäck bot, war vorauszusehen. Schliesslich wohnten unter der vorderen Haube das Ersatzrad und der Tank (unter Umständen sogar noch der Wasserkühler), während hinten der (schwer zugängliche) Motor kauerte. Vor lauter Berlinette-Begeisterung sollte nicht vergessen werden, dass es noch andere A110-Modelle gab – einen GT4 mit mehr Platz beispielsweise oder ein Cabriolet. Die A110 war freilich der Star des Ensembles und es sollte sie nie mit weniger als 1000 Kubikzentimeter Hubraum und 42,2 PS geben. Aber mit mehr – mit viel mehr sogar. Was nach den bescheidenen Anfängen im Lauf der Jahre über die Bühne ging, war schwer vorstellbar. Und gleichermassen verwirrend, denn die Welt der «Alpinisten» ist voll von geheimnisvollen Zahlen und Kürzeln, die einzelne Modelle («70», «80», «85», «100») bezeichnen, bestimmte Renault-Motoren (807, 810, 812 …) und -Getriebe (353, 364, 365 …) – oder einfach nur Tuning-Sätze. «GTH» etwa steht für eine von Marc Mignotet entwickelte Anlage, die den Hubraum des 1108-cm³-Triebwerks auf 1149 cm³ brachte. Übrigens kümmerte sich bei Alpine nicht nur Marc Mignotet um das leibliche Wohl der kleinen Renault-Vierzylinder, sondern, seit dem Zusammenbruch seiner eigenen Firma, auch Amédée Gordini, ein anderer grosser Name der französischen Rennszene. Seinem Wirken verdanken wir etwa den 1966 eingeführten 1300 S mit satten 115 DIN-PS – nicht übel für einen biederen Stossstangen-Motor! Den Gipfel markierte derweil der 1600 S Gruppe 4 mit seinen 172 SAE-PS aus 1,6 L Hubraum. Dass sich bei einer derart immensen Bandbreite an Leistung, Ausstattung und Achsübersetzungen generelle Aussagen zu Fahreigenschaften und -leistungen kaum machen lassen, liegt auf der Hand. Ganz allgemein bleibt festzustellen, dass die Alpine wegen ihrer unglücklichen Kombination von weit hinten sitzendem Heckmotor und Pendelachse ein Auto für Könner war und ist. Die, soll sie schnell bewegt werden, viel Fingerspitzengefühl erfordert. Wer allerdings mit ihr umzugehen wusste, den belohnte sie mit enormen Kurvengeschwindigkeiten und perfektem Go-Kart-Feeling – eben Fahrspass pur. Bei einem Minimum an Komfort. Alles in allem ein sehr spezielles Angebot also, gemacht für sehr spezielle Zeitgenossen. Gab es überhaupt echte Konkurrenten für die Alpine? In Frankreich schon, auf anderen Märkten – wegen ihrer Aussenseiterrolle – eigentlich nicht. In
heimatlichen Gefilden dürfte sie der technisch interessante Matra Djet mehr und der kleine CG (trotz bewusst gewählter optischer Ähnlichkeiten) weniger geschmerzt haben. Doch auf Dauer war niemand der Alpine gewachsen – weil keiner so gnadenlos im Motorsport abräumte! Tief, breit, flach und meist metallic-blau lackiert, brüllten die rasenden Kisten aus Dieppe besonders über die Rallyepisten dieser Welt und gewannen so ziemlich alles, was es zu gewinnen gab – wobei sich die grössten Triumphe eher spät einstellten: Bei der Rallye Monte Carlo 1971 gingen Andersson / Stone auf A110 als Sieger durchs Ziel; zwei Jahre später belegte das Geschoss die ersten drei Plätze und schloss die Saison sogar mit dem Gewinn der Rallye-Weltmeisterschaft ab. Nebenbei bemerkt wurden nicht nur Strassensportwagen eingesetzt, sondern auch Prototypen und FormelRenner. Deren Erfolge brachten nicht nur Prestige, sondern auch das Wohlwollen von Renault (was sich hin und wieder in klingender Münze auszahlte). Profit dürften auch verschiedene Lizenzen gebracht haben, denn die A110 entstand in Brasilien bei WillysInterlagos, in Mexiko, Bulgarien oder bei Renault-FASA in Spanien. So stürmisch die Entwicklung auf dem Motor- oder Getriebe sektor verlief, so wenig tat sich in Sachen Optik und übriger Technik. 1977 endete nach knapp 7500 Exemplaren schliesslich eine Ära, verliessen die letzten A110 vom Typ 1600 SX die Werkhallen – der verschworene Kreis der «Alpinisten» trug Trauer. Zumal die jüngere A310 (obwohl sie den wesentlichen Marken-Prinzipien treu blieb) mit Misstrauen beäugt wurde: Nicht mehr das Durchfahren einer Haarnadelkurve mit möglichst hohem Tempo stand im Vordergrund, sondern die zwar sportliche, aber durchaus komfortable Beförderung der Passagiere. Einfach dégoutant! Aber mal ehrlich: Hätte es nicht jeder Nachfolger der Alpine A110 schwer gehabt? 1985 erschien die Alpine GTA, 1991 die A610 Turbo – schnelle Autos, aber nicht halb so faszinierend wie eine A110. 1995 war es dann vorbei, denn der neue Sport Spider wurde zwar bei Alpine gebaut, war aber ein ganz anderes Fahrzeug – und trug das Renault-Logo. Die Marke Alpine war vorerst Geschichte; Renault nutzte das Werk in Dieppe anschliessend als RennsportWerkstatt. 2012 gab es Überlegungen, den berühmten Namen durch neue, gemeinsam mit Caterham entwickelte Modelle zu reaktivieren, doch daraus wurde nichts. Jetzt entwickelt Renault die Neuauflage selbst; ihren ersten Auftritt hatte sie Anfang Jahr im Videospiel Gran Turismo 6. Jean Rédélé hat das nicht mehr erlebt: Er starb am 10. August 2007 in Paris.
Moderne Zeiten: Alpine-Nachfolger A310 (1971–76)
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Das Herz schlägt in der Mitte – René Bonnet Djet und Matra Jet Wenn langjährige Partnerschaften auseinanderbrechen – egal, ob in der Liebe oder im Geschäft –, ist das immer traurig. Auch die französischen Konstrukteure Charles Deutsch und René Bonnet, die seit den 1930er-Jahren zusammengearbeitet und in den 1950ern durchaus erfolgreich die kleinen DB-Sportwagen gefertigt hatten, gingen ab 1961 getrennte Wege: Charles Deutsch heuerte bei Panhard an (rechte Seite), sein einstiger Partner gründete die Automobiles René Bonnet et Cie. Was die kleine Firma draufhatte, zeigte der im Oktober 1962 auf dem Pariser Salon vorgestellte Djet: ein kleines Kunststoff-Coupé mit aufregender Linienführung und hochkarätiger Technik, das mit Einzelrad-Aufhängung rundum (hinten mit jeweils doppelten Schraubenfedern und doppelten Stossdämpfern), vier Scheibenbremsen sowie einem Zentralrohrrahmen mit zusätzlichem Gitterrohrchassis operierte. Sein Motor stammte vom Renault Gordini und werkelte –
damals absolut sensationell! – hinter dem Rücken des Fahrers, aber vor der Hinterachse! Obwohl dieses erste Serienauto mit Mittelmotor auf der Rennstrecke eine gute Figur machte und sogar von den französischen Flics – der Gendarmerie – eingesetzt wurde, verkaufte es sich nur mässig. Übrigens liess Monsieur Bonnet die Kunststoffhäute seines Djet bei Mécanique Aviation Traction (kurz Matra) fertigen, einem auf dem Gebiet der militärischen Luftfahrt tätigen Unternehmen. Als nun Bonnet wegen schleppenden Absatzes mehr und mehr in die Bredouille geriet, übernahm Matra das kleine Werk, formierte die Société MatraSport und stieg so in die Autoindustrie ein. Zu diesem Zeitpunkt waren gerade mal 190 Djet entstanden. Matra, später sogar in der Formel 1 erfolgreich, straffte das Programm (indem man die anderen Bonnet-Modelle ausrangierte) und führte den kleinen Mittelstürmer – später als Jet verkauft – tatsächlich zu neuer Blüte.
Unter Bonnet nur mässig erfolgreich, entwickelte sich der Djet ab 1964 bei Matra zum beliebten Westentaschensportler 034 VECTURA #15
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Adoptierter Einzelgänger – Panhard CD Sie ist eine der ältesten Automarken der Welt und schuf stets extravagante Fahrzeuge für einen feinen kleinen Käuferkreis. Der hier vorgestellte CD freilich gilt selbst unter Panhard-Insidern als seltener Vogel! «Ist das ein Jaguar?», werden Besitzer des Coupés erstaunlich oft gefragt, während der Interessent irritiert den grossen Schriftzug auf der Motorhaube beäugt. In der Tat präsen tiert sich das Auto auch bei näherem Hinsehen nicht unbedingt als typischer Vertreter seines Herstellers: Der CD geriet eher zufällig unter die Fittiche der Société Anonyme des Anciens Établissements Panhard et Levassor, worauf schon seine Modell bezeichnung erste Hinweise gibt: Die Abkürzung steht für Charles Deutsch, einen am 6. September 1911 in Champigny-sur-Marne geborenen Rennfahrer und Konstrukteur mit besonderem Faible für die Aerodynamik. Offenbar als Teil einer Abfindung erhielt Charles Deutsch die Rechte an jenem Coupé, das im Herbst 1961 und vor der Trennung von René Bonnet noch ein Prototyp der Marke DB gewesen war. Und da Deutsch nahtlos zu Panhard wechselte, nahm er das Coupé einfach mit, entwickelte es weiter und brachte es im Sommer 1962 in Le Mans an den Start – um dort, pilotiert von Guilhaudin / Bertaut, den Verbrauchs-Index zu gewinnen! Im folgenden Herbst wurde dann die Strassenversion präsentiert, die allerdings vergleichsweise hochpreisig ausfiel. Allein daran kann es freilich nicht gelegen haben, dass sich das Coupé – oder die Berlinette, wie Panhard-Freunde sagen – so zögerlich verkaufte. Schon eher an seinem Zweizylinder-ViertaktBoxermotor, der irgendwie kleinwagenmässig wirkte und nicht in ein so teures Auto passen wollte. Dabei hatte es gerade dieses kurzhubige, von Louis Delagarde entwickelte ohv-Triebwerk in sich! Es ruhte, verblockt mit Getriebe und Differential,
in bester Panhard-Manier vor der Vorderachse, verfügte über hemisphärische Brennräume, eine rollengelagerte Kurbelwelle und war natürlich gebläsegekühlt. Die Zylinderköpfe liessen sich nicht abnehmen und statt herkömmlicher Ventilfedern gab es Torsionsstäbe – bei Panhard war eben alles etwas anders als bei den anderen! Im frontgetriebenen CD kam eine leistungsgesteigerte Version zum Einsatz, die auf die Bezeichnung «Tigre» hörte und bei einem Hubraum von 848 cm³ ganze 50 PS bei 5750 U / min mobilisierte. In Kombination mit nur 680 Kilogramm lagen ehrliche 160 km / h drin, bei längerer Übersetzung gar 180. Aber auch für lange Landstrassenetappen eignete sich der Wagen, und das – typisch Panhard – bei moderaten Verbräuchen. Was natürlich auch für die strömungsgünstige Karosserie spricht. Das letzte Wort in Sachen Design hatte Louis Bonnier, ein altgedienter Panhard-Mann, der zu Studienzwecken Fische und Vögel in freier Wildbahn filmte. Offenbar mit Erfolg, denn das CD-Kleid erwies sich nicht nur als effizient, sondern sah auch noch toll aus. Gefertigt zunächst beim Spezialbetrieb Chappe und dann im ehemaligen Velam-Werk (wo die französische Isetta entstanden war), bot diese markante Kunststoffhülle zwei Personen bequem Unterkunft. Bis 1965 entstanden 159 Exemplare. Zu diesem Zeitpunkt standen die Zeichen bei Panhard in der Avenue d’Ivry zu Paris bereits auf Sturm. Die Firma, die durch unorthodoxe, oft geniale Konstruktionen (auch auf dem NutzfahrzeugSektor!) ebenso berühmt geworden war wie durch zahlreiche Renn- und Rallye-Erfolge, geriet mehr und mehr unter CitroënKontrolle und verlor im Frühjahr 1965 auch noch die letzten Reste ihrer Eigenständigkeit. Nur zwei Jahre später, am 19. September 1967, verliess der letzte Panhard die Montagebänder. SOMMER 2015 035
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Dr. Jekyll und Mr. Hyde – die Simca Bertone Coupés 1000 und 1200 S No Sports! Dieses Lebensmotto galt auch für die Société Indus trielle de Mécanique et Carrosserie Automobile, besser bekannt als Simca. Dieses 1934 von Henri «Enrico» Pigozzi gegründete Unternehmen hatte zunächst Fiat-Modelle für den französischen Markt in Lizenz hergestellt, sich aber nach und nach vom italienischen «Mutterhaus» abgenabelt und 1951 mit der Aronde die erste Eigenkonstruktion lanciert. Seitdem gehörten sportliche Schöpfungen zum festen Bestandteil des Firmenprogramms – wie das 1962 vorgestellte, wunderhübsche Simca 1000 Coupé: «Simca beauftragte uns, innerhalb von 48 Stunden die Karosserielinien des Coupé zu präsentieren», kokettierte Nuccio Bertone Jahre später augenzwinkernd. Ganz so dramatisch wird es nicht gewesen sein, zumal die Turiner Blechschmiede auch für die Fertigung der Roh-Karossen verantwortlich war. Auf jeden Fall hatte sie sich gegen starke Konkurrenz durchgesetzt: Auch der französische Luxuswagen-Hersteller Facel steuerte einen (eher sachlich-kühlen) Prototyp bei, der übrigens von einem jungen Mann stammte, der Ende 1959 als 21-Jähriger die Nachfolge des schwierigen Franco Scaglione als Bertone-Chefdesigner angetreten hatte. Er hiess Giorgetto Giugiaro und sollte Karriere machen, nicht nur bei Bertone …
zeigte plötzlich auch von vorn Profil. Vor allem aber hatte der Neuling eine wahre Leistungsexplosion erlebt und leistete bei einem Hubraum von 1,2 Liter nun 80 PS bei 6000 Touren (ab Modelljahr 1970 waren es 85 PS bei 6200 U / min). Besondere Merkmale des unverändert mit einer untenliegenden Nockenwelle operierenden Kurzhubers waren zwei Solex-Doppelvergaser oder eine fünffach gelagerte Kurbelwelle. Im Grenzbereich verlangte der 1200 S freilich eine kundige Hand.
Technisch kam der Zweitürer mit einem Vierzylinder-Heckmotor von 944 cm³ Hubraum und 40 PS aus dem 1000 GL / GLS daher. Gedacht als Konkurrenz zu VW Karmann Ghia oder Renault Caravelle, erfreute sich der fesche Neuling mit dem sanften Wesen vor allem auf dem französischen Markt grosser Beliebtheit und blieb bis 1967 im Programm; Hoffnungen und Spekulationen auf eine leistungsgesteigerte Version hatten sich leider nicht erfüllt.
Der Simca 1200 S stiess als Newcomer in ein enges, aber anspruchsvoll besetztes Marktsegment. Seine Mitbewerber hiessen jetzt Alfa Romeo, Lancia oder Fiat, klangvolle Namen! Trotzdem zog sich der Simca 1200 S gut aus der Affäre, kostete er doch deutlich weniger als ein Alfa 1300 GTJ mit 88 PS oder als ein Lancia Fulvia Coupé mit 87 PS und lag preislich auf dem Niveau des eher bieder wirkenden Fiat 124 Coupé (90 PS). So dürfte man bei Simca alles in allem mit dem Abschneiden der stilvollen Bertone-Schöpfungen zufrieden gewesen sein: Insgesamt 24 752 Exemplare stellte das mittlerweile mehrheitlich zu Chrysler gehörende Unternehmen auf die Räder, wobei es das Simca 1000 Coupé auf 10 011 und der bis 1971 gefertigte 1200 S auf 14 741 Einheiten brachte. Nicht schlecht für einen 2+2-Sitzer in Designer-Klamotten!
Aber dann! Im Herbst des gleichen Jahres überraschten die Franzosen um Monsieur Pigozzi mit dem Simca 1200 S Coupé! Schon auf den ersten Blick war zu erkennen, dass man es hier mit einem aufgewerteten Simca 1000 Coupé zu tun hatte – und gleichzeitig doch mit etwas völlig anderem. Der aus technischen Gründen auch optisch modifizierte 1200 S wirkte sportlich-aggressiv und
Simca hatte ein Händchen für schöne Coupês; hier die 1956er Aronde Plein Ciel
Hormonbehandlung: Aus dem Eisdielen-Shuttle wurde ab Ende 1967 ein ernsthafter Sportwagen
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Der feine Unterschied – Matra Bagheera Drei Plätze, Mittelmotor und Kunststoffhaut: Das klingt noch heute ungewöhnlich, in den frühen 1970er-Jahren war es das allemal. Vor allem die nebeneinander angeordneten Sitze sorgten für Aufmerksamkeit, denn sie boten drei Erwachsenen bequem Platz und waren dazu noch gut für die Optik: Dank seiner Breite von 1,75 Meter stellte das französische MittelmotorCoupé durchaus etwas dar. Zumal ihm die Klappscheinwerfer und die serienmässigen Alufelgen einen Hauch von feiner Welt
Begabte Kinder aus schwierigen Ehen: Auf den Bagheera folgte der Murena (1980–84, rechte Seite)
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verliehen. Zwischen 1973 und 80 gebaut, war der mit aufwendiger Einzelrad-Aufhängung rundum versehene Bagheera mit einem Simca-Vierzylinder zu haben, der zunächst aus 1,3 L Hubraum 84 PS holte – bis im Sommer 1975 der Bagheera S mit 1,5-L-90-PS-Motor erschien. Insgesamt 47 802 Exemplare sollten entstehen. Besonders gesucht sind heute die mattweis sen, von Modeschöpfer Courrèges aufgewerteten Sonder modelle.
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AUTO-BIOGRAFIE
I
st die Liebe zu einer bestimmten Automarke konditioniert? David Chevalier jedenfalls fuhr schon als Kind auf Citroën ab. Sein Vater besass mehrere Modelle der Marke – «unter anderen eine DS 21 Halbautomat, die ich 1993 übernahm, nachdem er auf CX umgestiegen war». Da war Chevalier Junior bereits als Mech in der Citroën-Garage Bevaix beschäftigt, die auch von einem XM-Besitzer angesteuert wurde, der in Domdidier bei Fribourg ein ganzes DS-Arsenal zusammengehortet hatte. «Weil ich frische Türen brauchte, suchte ich ihn auf. Wir verstanden uns und 2002 bot er mir dann seinen Pallas aus zweiter Hand an, nachdem der lange teilzerlegt in einer Ecke gestanden hatte.» Chevalier griff zu – da es sich um das ehemalige DS-Topmodell mit unter 100 000 Kilometer Laufleistung handelte und der Preis mehr als fair gewesen ist. Einen kompletten Ersatzmotor samt Getriebe gab es als freundliche Dreingaben dazu.
Fahrer
David Chevalier, Jahrgang 1976, Mechatroniker, Automobildiagnostiker und Technischer Trainer aus Brügg
Ex-Autos Citroën GSA, CX GTi, BX GTi, XM V6, ZX VTS,
Renault Laguna, Clio Sport, Nissan Terrano II, Citroën Xsara, Berlingo, C4 Picasso, Opel Agila, Jaguar XJ6
Aktuell Citroën DS 23 Pallas I.E. Automatique, Baujahr 1973,
2347 cm3, Leistung 130 PS bei 5250 / min, 195 Nm bei 2500 / min, Leergewicht 1350 kg, Vmax 180 km / h, Neupreis 1973: CHF 24 215.–
ausserdem: Chevrolet Corvette C3, Camaro V8 Convertible, Opel Ampera, Citroën C8
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Die Substanz des Traumautos war insgesamt gut; der Zusammenbau mit Sortieren und Aufbereiten nahm überschaubare sechs Monate in Anspruch. Allein die Bremsen und der Auspuff wollten komplett revidiert werden, während sich die Hydropneumatik bester Gesundheit erfreute: Die Bremsschläuche und hinteren Federkugeln sind immer noch die ersten, so auch die Lederpolster im Farbton Havane. Viel Zeit investierte der dritte Eigner in die Karosserie, bis er mit den Chrom-, Tür- und Haubenpassungen zufrieden war: Ein Geduldspiel, das sich gelohnt hat, denn die im seltenen «Vert Charmille» lackierte DS 23 weist nur geringe Gebrauchspuren auf und ist total original; einziges Zugeständnis an die Neuzeit ist ein modernes Radio. Die Französin läuft auch zuverlässig; ausser der Zylinderkopfdichtung und Lichtmaschine musste bisher nichts ersetzt werden. Zudem glänzt die Limousine mit feinen Zutaten wie einer Klimaanlage plus dazugehöriger, geschlitzter Frontstossstange. Der seltene Dreistufen-Vollautomat (die meisten DS wurden mit Handschaltung oder Halbautomat geordert) genehmigt sich das eine oder andere Schlückchen extra; je nach Fahrweise sind es 10 bis 15 Liter. Der Lohn ist sehr entspanntes Fahren, mit besonders sanften Gangwechseln und geringer Geräuschentwicklung. «Erst ab Tempo 140 wird es etwas lauter», schmunzelt der stolze Besitzer; knapp 20 000 Kilometer hat er bisher zurück gelegt, im Sommer fährt er mit seinem Klassiker oft zur Arbeit, die bisher weiteste Reise führte nach Belgien. Längst ist die DS-Baureihe dem Status eines Gebraucht wagens entwachsen und die Zeiten, in denen sie günstig zu haben war, sind vorbei: «Brauchbare Exemplare gibt es ab 15 000 Franken», weiss Chevalier, «perfekte Autos kosten 50 000 und mehr – verrückt!» Dabei verschweigt er, dass die seltenen Chapron-Cabriolets längst sechsstellig gehandelt werden; auch Werk-Cabrios sind inzwischen sehr gesucht und teuer. Chevalier lockt das nicht: Die dunkelgrüne Schönheit ist die Favoritin seiner Autosammlung und unverkäuflich. Von der väterlichen DS 21 hat er sich dafür getrennt – eine GaragenGöttin muss genügen. map
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042 VECTURA #15
Wer erinnert sich noch an 1955? Es ist das Jahr, in dem Winston Churchill aus gesundheitlichen Gründen als Premierminister von Grossbritannien zurücktritt. In dem die Ost-Staaten den Warschauer Pakt gründen, in dem die Afro-Amerikanerin Rosa Parks im Bus nicht für einen weissen Mann aufstehen will, in dem Bill Gates und Steve Jobs geboren werden, aber auch Nicolas Sarkozy, Alain Prost und die französische Schauspielerin Isabelle Yasmine Adjani. Mitte Juni kommt ihr Landsmann, der MercedesPilot Pierre Levegh, in Le Mans bei einem schweren Unfall ums Leben, der 83 weitere Menschen in den Tod reisst. Die Franzosen sind auf einem High-Tech-Trip: Die Dassault Super Mystère ist das erste einsatzfähige europäische Überschallflugzeug, während der Alouette-II-Hubschrauber mit einer erreichten Höhe von über 8200 Meter einen neuen Weltrekord aufstellt. Und dann steht Anfang Oktober dieser Wagen auf dem Pariser Automobil salon, mit Science-Fiction-artiger Karosserie und hydropneumatischer Federung. Chapeau!
Mit der Modellpflege des DS5 entsteht eine neue Automobilmarke
60 Jahre Citroën DS – wenn man das Auto betrachtet, mag man es kaum glauben. Die Typenbezeichnung ist natürlich ein phonetisches Wortspiel – «La Déesse» steht im Französischen für «die Göttin» und passt ganz ausgezeichnet: Nur wenige andere Autos haben eine so erhabene Ausstrahlung, sind derart epochal wie das von Flaminio Bertoni (Achtung, hat mit Bertone nichts zu tun) gezeichnete Fliessheckmodell. Noch heute sieht die stromlinienförmige Limousine moderner aus als viele aktuelle Autos, obwohl: Ihre unnachahmlich cool verglasten Scheinwerfer erhielt sie erst 1968; zuvor ragten die Lichter aufrecht aus den Kotflügeln hervor wie auch beim Porsche 911 – dort allerdings erst ab 1963, also acht Jahre später. Bis 1975 entstanden 1,4 Millionen DS-Limousinen sowie über 54 000 fünftürige Break, mehr als 1300 Cabriolets plus einige andere Sonderserien, zum Beispiel Coupés, Repräsentationsfahrzeuge oder Grossraumschnelltransporter mit doppelter
Hinterachse (!). Doch so wegweisend, eigenständig und populär der grosse Citroën auch war – er hinterliess ein riesiges Problem: Was kann nach einer Göttin schon noch kommen? Abgesehen vielleicht vom CX (1974–91; knapp 1,2 Mio. Exemplare) konnten die Nachfahren XM (1989–2000; 300 000 Ex.) und C6 (2005–12; rund 23 000 Ex.) jene DS-Absatzzahlen nicht ansatzweise wiederholen und Citroën, Ex-Maserati-Besitzer mit Innovationsanspruch, rutschte zunehmend in die Durchschnittlichkeit ab. Gegen Mittelklasse ist eigentlich nichts zu sagen. Hier wird richtig Volumen gemacht und auch viel Geld umgesetzt. Die besten Profite erwirtschaften Autohersteller allerdings in den höher angesiedelten Segmenten, und genau da wollen auch die Franzosen unter ihrem neuen Markenchef Yves Bonnefont gerne wieder hin. Still und leise wurde mit den DS-Modellen DS3, DS4 oder DS5 seit 2010 eine schicke Nische aufgebaut für Kunden, denen ein gemeiner Citroën nicht extraordinaire genug ist. Kleine
SOMMER 2015 043
Der Citroën DS3 ist seit 2010 ein Liebling der Frauen
Sonderserien steigern das Interesse; die Absatzzahlen sind hocherfreulich: Bisher wurden weltweit eine halbe Million Einheiten mit DS-Zusatzlogo verkauft. Zum runden Geburtstag der Déesse wird jetzt ein «Spirit of Avant-Garde» beschworen – und «DS Automobiles» ab sofort zur eigenen Marke erhoben, die innerhalb des PSA-Konzerns die elitäre Spitze markieren soll. Der überarbeitete DS5 (siehe VECTURA #2) wurde zum ersten Fahrzeug des neuen Luxuslabels auserkoren, was uns etwas verwirrt: Besitzer des bisherigen DS5 haben einen Citroën, alle anderen jetzt nicht mehr. Aber gut, irgendwo muss man anfangen; das Auto kostet ab 37 050 Franken. Als Erkennungsmerkmal der neuen Marke fungiert unter anderem ein «DS Wings» genannter Kühlergrill mit zwei verchromten Flügeln, die eine Brücke zu den Scheinwerfern bilden. Natürlich gehört auch ein neuer Auftritt mit speziell gestalteten Verkaufsflächen beim Garagisten dazu (Citroën spricht von «Salon»), ausserdem wird es DS-eigene Dependancen im Modeboutique-
Gibt's derzeit nur in China: das Stufenheckmodell DS 5LS…
044 VECTURA #15
Stil geben, die in edlem Schwarz gehalten sind. «Wir beschreiten einen neuen Weg», sagt Sébastien Vandelle, Direktor von Citroën Suisse und DS Automobiles, und freut sich über das Kundenprofil: «Die Eroberungsrate liegt bei 60 Prozent, was uns positiv überrascht hat. Viele fuhren vorher deutsche Premium marken.» Der erste DS-Store der Schweiz öffnete im Juni in Genf, ein zweiter in Zürich folgt demnächst. In ganz Europa ent stehen derzeit DS-Läden, in China sind es bereits 80: Dort ver kauft DS Automobiles seit Ende 2013 das viertürige, 4,7 Meter lange Stufenheckmodell DS 5LS; 2014 kam ein aus der Studie Wild Rubis hervorgegangener, 4,55 Meter langer SUV namens DS 6WR dazu. Expansion nach oben ist also angesagt und Rennsport zur Imagesteigerung gar nicht so abwegig: Schon die Déesse war erfolgreich bei Rallyes unterwegs; die Urenkel sind ihr bereits dicht auf den Fersen. In der WRC sind DS-Modelle aktuell ganz vorne mit dabei. Man darf gespannt sein.
… und die Crossover-Baureihe DS 6WR
KAMPAGNE
Die neue Studie «Divine DS» soll die Essenz der Marke DS verkörpern – und zeigen, wo es künftig langgeht
SOMMER 2015 045
FOR INDIVIDUALISTS.
Timemaster Chronograph Skeleton (CH-9043SB-BK): Der erste skelettierte Chronograph unserer sportlichen Kollektion repr채sentiert die perfekte Art, die Zeit zu meistern. Wasserdicht bis 100 m und ausger체stet mit Stoppfunktion und Super-LumiNova-Nachtleuchtpigmenten ist dieser Zeitmesser bereit f체r jede Sekunde eines aktiven Lebensstils. www.chronoswiss.com
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VIVE LA DIFFÉRENCE! FRANZÖSISCHE AUTOS HEUTE – DAS IST MEHR ALS 208, CLIO ODER SCÉNIC. NEUN BEISPIELE FÜR DIE ETWAS ANDERE ART DER FORTBEWEGUNG Text Stefan Lüscher, map, hh · Fotos Werk
BASIS-MOBILITÄT: AIXAM COUPÉ GTI Ultraleichte, kleine Stadtautos mit alternativen Antrieben haben in Frankreich eine lange Tradition. Aixam ist bereits 32 Jahre alt und zählt (neben Ligier oder Matra) zu den führenden Anbietern: 1988 entstanden die ersten (freiwillig crashgetesteten) Elektromodelle, die beispielsweise von Senioren mit Fahrausweis F oder B1 bewegt werden durften; 1991 folgten selbst entwickelte Zweizylinder-Varianten. 2003 kamen dann modulare Nutzfahrzeuge unter dem Markennamen Mega hinzu, bevor man beide Sparten zusammenzog. Die Einführung der Londoner City-Maut bescherte dem 65 km / h schnellen Modell Mega e-City eine wachsende Nachfrage; ab 2010 war er mit einem leistungsstärkeren wie effizienteren Lithium-Ionen-Akku unterwegs. Die Nachfolgerbaureihe e-Aixam gibt es seit 2013; sie kommt mit Alu-Chassis, Kunststoffkarosserie sowie 6,1 kWh rund 75 Kilometer weit. Parallel werden zweisitzige Versionen wie ein SUVartiger Crossover GT oder der hier gezeigte, 3,04 Meter kurze Coupé GTI mit 5,5 PS starkem 0,4-L-Zweizylinder-Diesel angeboten, der 45 km / h schnell ist. In der Schweiz sind Aixam-Modelle über die Steck Automobile AG in Bigenthal zu beziehen (www.steck-automobile.ch); der 2,83 Meter kurze GTO ist für 18 750.– Franken zu haben.
STADTWÜRFEL: CITROËN C3 PICASSO Nicht mehr neu, aber immer noch sehr frisch präsentiert sich der 2008 eingeführte und 2013 umfassend modernisierte, 4,10 Meter kurze sowie 1,67 m hohe Microvan. Sein Layout ist ursprünglich eine japanische Erfindung: Sogenannte Kei-Cars gehören in Tokio oder Osaka zum Strassenbild, sind mit höchstens 3,39 Meter Länge allerdings richtig Bonsai. In Europa zählt der grosszügig verglaste C3 Picasso zu den kürzesten Monospace-Autos, die man kaufen kann. Das Interieur ist eine kleine Sensation: Vier Erwachsene sitzen gut, und wird die verschiebbare Rückbank umgeklappt, bietet der Kofferraum über 1500 L Volumen. Fazit: Wer sich in urbanem Gebiet bewegt, ist mit dem auch sicherheitstechnisch überzeugenden Zwerg bestens bedient. Antriebstechnisch stehen ein genügsamer 1,2-L-Dreizylinder-Benziner mit 110 PS sowie der durchzugsstärkere, noch sparsamere 1,6-L-Vierzylinder-Turbodiesel mit 98 PS zur Wahl; beide sind über 180 km / h schnell. Die Preise starten bei CHF 14 250.–.
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ASPHALT-SUKKULENTE EIN CACTUS EROBERT DIE STRASSEN: DER NACH EINEM KAKTEENGEWÄCHS BENANNTE KOMPAKTWAGEN VON CITROËN IST DAS VIELLEICHT AUFREGENDSTE AUTO DER LETZTEN JAHRE Text Jo Clahsen · Foto Werk
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bwohl die saftreichen Gebilde in lebensbedrohlichen Szenarien zu Hause sind, bringen einige von ihnen wunderschöne Blüten hervor. Eine weitere Eigenart sind spitze Stacheln, mit der sie ihre ledrige Haut und das darunter verborgene Wasser vor durstigen Feinden schützen. Der Cactus von Citroën, offiziell C4 Cactus genannt, schützt sich mit sogenannten «Airbumps» vor Remplern im Parkhaus. Das ist allerdings die einzige Gemeinsamkeit mit den Namensgebern. Bis heute spaltet das 4,16 Meter kompakte Auto, welches 2013 zunächst als Studie vorgestellt und Mitte 2014 eingeführt wurde, seine Betrachter in zwei Gruppen. Entsetzlich, sagen die einen. Und alle anderen freuen sich, dass es die Franzosen endlich wieder mal gewagt haben, alles anders zu machen als erwartet. Die Frage, welches der beiden Lager dem Leben gegenüber positiver eingestellt ist, erübrigt sich da automatisch. Und auch wir sind geneigt, diesem demonstrativ zur Schau gestellten Optimismus zu frönen – ganz besonders, wenn er durchdacht und dabei noch erschwinglich ist.
Aber wie unkonventionell ist der Cactus wirklich? Die in vier verschiedenen Farben erhältlichen Airbumps aus luftgefülltem Polyurethan sind eine witzige Idee, bewahren allerdings nur einen Teil der Türen vor Remplern. Die Felgenform stellt Lifestyle 3.0 dar und innen geht es geradeso weiter. Das Lenkrad ist eine Mischung aus Quadrat und Kreis, die Fahrzeugbedienung erfolgt weitgehend über einen Touchscreen, Türgriffe sind wie Lederkofferriemen ausgelegt und das Handschuhfach wie ein Brotkasten. Mithin ist alles seltsam aufgeräumt und glattflächig bis auf die beiden Monitore für Bedienung und Fahranzeigen. Knöpfe gibt es auch keine, kurz: Die Andersartigkeit dieses Autos wird demonstrativ zur Schau gestellt – und gefällt uns immer noch! 048 VECTURA #15
Basics wie die Vordersitze sind gut, weil straff-bequem und vorne in Verbindung mit automatisiertem Schaltgetriebe durchgehend (!). Auch die Übersichtlichkeit ist gut gelungen, die Materialanmutung trendy, nur die Isolierung geriet so lala. Die Basis-Motorisierung, ein Dreizylinder-Benziner, gibt sich beim Gasgeben recht vorlaut, aber für 18 400 Franken kann man schliesslich nicht alles haben. Immerhin ist der Cactus im Vergleich zum normalen C4 ein Leichtgewicht von 1040 Kilo, wiegt also 200 Kilo weniger als sein konservativer Bruder. Entsprechend munter gehen der 82-PSTreibsatz und das Fünfganggetriebe mit dem Cactus um, aber es will auch fröhlich geschaltet werden. Und das kostet; über sieben Liter auf 100 Kilometer dürfen es gerne mal sein. Allerdings ist diese Motorisierung bei uns recht unpopulär; viel besser fühlt sich zum Beispiel der neue 1,6-L-Vierzylinder-Diesel Blue HDi mit Stopp-Start sowie 100 PS und 254 Nm an, weil er nachdrücklich beschleunigt, bis zu 184 km / h schnell ist und sich durchschnittlich keine vier Liter Sprit gönnt. Ab 23 150 Franken geht es los. Überhaupt steht der Verzicht des gemeinen Kaktus auch beim Cactus recht weit oben auf der Agenda. Die Lehne der Rücksitzbank lässt sich nicht teilen, sondern will, um auf mehr als 1100 Liter Stauvolumen zu kommen, am Stück gefaltet werden. Auch dann ergibt sich keine ebene Ladefläche, sondern eine Stufe, genau in der Mitte. Auch ist die Kofferraumkante vergleichsweise hoch, was wir als grössten Malus des «Très Plus Cool» ansehen – manche Frauen auf Einkaufstour werden fluchen. Was man ebenso wissen sollte: Die Scheiben für die Hinterbänkler lassen sich nicht nach unten kurbeln, sondern können nur ausgestellt werden. Oder, um es mit heiterem Pragmatismus auszudrücken: Was nicht an Bord ist, kann auch nicht kaputtgehen. Dafür ist Platz in der Hütte, rechts wie links, vorne wie hinten. Und was nicht reinpasst, soll offenbar einfach an den Kleiderbügel-artigen Dachträgern vertäut werden. Der Cactus erinnert wieder an jene alten Zeiten, in denen Citroën den glattflächig-geriffelten 2CV auf dünne Rädchen stellte. Der Wagen ist bis heute die Blaupause binär-automobiler Fortbe wegung. Und wurde als Ente trotzdem geliebt, verehrt und nicht selten bemalt, weil er eben eine Karre ohne Konvention und Status-Geprotze war, dazu preisgünstig, anspruchslos und absolut unkompliziert – Charaktereigenschaften, die auch der Cactus für sich in Anspruch nehmen will. Und die Chancen stehen gut, dass man es ihm nicht nur glaubt: Mehr Charme für weniger Geld ist heute schwer zu finden. Wer also ein Fortbewegungsmittel sucht, das ebenso lässig ist, wie die Ente einst war, mit sympathischem, wenn auch männlicherem Augenaufschlag, kommt unweigerlich in Versuchung. Das erste Rendezvous könnte zwar etwas spröde ausfallen, doch der charismatische Cactus dürfte schnell überzeugen. Ob er damit als Sukkulente in die Kakteenfamilie aufgenommen wird, kann dagegen nur ein Botaniker beantworten.
Der Cactus gehรถrt zu den originellsten Autos der Neuzeit. Weitere Modelle sollen bald folgen
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PRÊT-À-PORTER: PEUGEOT 108 Ein seriöses Exterieur mit LED-Tagfahrlicht, agile wie sparsame Dreizylinder-Benziner mit 68 oder 82 PS, dazu reduzierte Bedienelemente und Touchscreen innen – der kleinste Löwe ist auch einer der modernsten. Zu den Besonderheiten des 3,48 Meter kurzen, sauber verarbeiteten und bis zu 171 km / h schnellen Drei- oder Fünftürers gehört ein grosses Stoffdach, das sich elektrisch über die gesamte Dachbreite von der Windschutzscheibe bis zur Heckklappe öffnen lässt und so luftige Aussichten ermöglicht. Der 108 wird gemeinsam mit Citroën C1 und Toyota Aygo im tschechischen Kolin produziert, und obwohl sich die Drillinge genetisch sehr ähnlich sind, sieht doch keiner aus wie der andere. Wir halten den Peugeot für den elegantesten von allen; selbst Anzugträger wirken in diesem Kleinwagen nie deplatziert. Styling ist ein wesentliches 108-Element; sieben markante Design-Kits ermöglichen Individualität. Sehr volkstümlich dagegen sind die Preise: ab 12 900 Franken.
RASEN WIE GOTT IN FRANKREICH: PEUGEOT RCZ Mit der scheinbar weit vorne positionierten Kabine und seiner charakteristischen Doppelwölbung des Daches ist das 2+2-Coupé ein echter Exot. Entstanden ist das aktuell sportlichste französische Serienauto auf Basis einer Studie, die dann 2010 nahezu unverändert in Serie ging. Hergestellt wird der RCZ teilweise in Handarbeit und seit 2010 bei Magna Steyr in Österreich. Als technische Basis dient dem 1,36 m hohen Zweitürer der kompakte 308; zu den Konkurrenten zählen der Audi TT, der Renault Mégane Coupé oder der VW Scirocco. Die Stärken des RCZ sind sein agiles Handling und – trotz Vorderradantrieb – eine gute Traktion. Als Motoren stehen drei Vierzylinder mit Direkteinspritzung, Turboaufladung und 1,6 Liter Hubraum zur Wahl; die Leistung beträgt 155, 200 und 270 PS. Die rund 1,3 Tonnen schwere Basisversion sprintet in acht Sekunden von null auf 100 km / h und kostet ab CHF 39 900.–. Das Topmodell RCZR schafft 0 auf 100 km / h in 5,9 Sekunden und startet bei CHF 51 900.–.
MÖCHTEGERN-SUV: RENAULT CAPTUR Nach dem Erfolg der jüngsten Softroader-Modelle von Nissan war es nur eine Frage der Zeit, bis Allianz-Partner Renault etwas Vergleichbares anbieten würde. Mit dem Clio-basierten, komfortorientierten Captur war es 2013 so weit und die 4,12 Meter lange, vergleichsweise geräumige Baureihe traf den Nerv potentieller Kompaktwagenkunden. Auch in der Schweiz kommt der kompakte Fünftürer gut an, obwohl seine SUV-artige Erscheinung mehr verspricht, als sie halten kann: Den Captur gibt es nur mit Frontantrieb, dafür sieht er mit ab Ausstattung «Privilège» enthaltener Zweifarben-Lackierung erfrischend anders aus als das Gros aktueller Kleinwagen – auch innen, wo es zum Beispiel Sitzbezüge mit Reissverschluss zum Wechseln oder Waschen gibt – grossartig! Solche Features oder ein Doppelkupplungsgetriebe kosten natürlich und wirklich günstig ist das Vergnügen nicht; die weit weniger spektakuläre Basis ist ab 22 600 Franken zu haben. KLEINWAGEN-IKONE: RENAULT TWINGO Erinnert sich noch jemand an die 2007 vorgestellte zweite Twingo-Generation? Schwamm drüber. Die 2014 lancierte dritte Auflage will mit einem technisch komplett neuen Konzept an den durchschlagenden Erfolg des 1993 eingeführten Erstlings anknüpfen. Weil Renault und Daimler inzwischen gemeinsam entwickeln, teilt sich der Twingo III die Plattform mit dem ebenfalls dritten Smart. Das bedeutet Heckmotor und -antrieb sowie daraus resultierend andere Proportionen mit längerem Radstand, kurzen Überhängen, mehr Höhe und eine im Vergleich zum letzten Twingo um zehn Zentimeter geschrumpfte Gesamtlänge von 3,59 Meter. Positive Nebeneffekte: ein gestreckter, variabler Innenraum und der beste Wendekreis des Segments. Als Antrieb stehen zwei Dreizylinder zur Verfügung (1,0 L / 70 PS oder 0,9 L-Turbo / 9 0 PS); die stärkere Version wird es im Herbst auch mit Doppelkupplungsgetriebe geben. Verbrauch ab 4,3 L / 100 km, Preise ab CHF 13 400.–.
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LAUTLOS LUSTIG: RENAULT TWIZY Streng genommen ist der Schmalspur-Zweisitzer gar kein richtiges Auto. Da ist man näher beim Roller und noch näher beim Quad. Und eigentlich ist der 2,34 Meter kurze und nur 1,45 Meter breite Elektroflitzer auch nur ein Einplätzer, weil sich die zweite Person mühsam hinter dem Fahrer einfädeln und dort auch sehr beengt sitzen muss. Trotzdem ist der Twizy seit seinem Erscheinen 2012 das mit Abstand meistverkaufte Elektrofahrzeug der Schweiz. Zwar fehlen ihm eine Lüftung, Bodenteppiche und vieles mehr; selbst die nach oben schwenkenden Halbtüren kosten Aufpreis. Spass macht das 562 kg schwere Stadtmobil mit seinen 17 PS und der auf 80 km / h limitierten Höchstgeschwindigkeit dennoch; auch die werkseitig angegebene Reichweite von 100 km kann sich sehen lassen. In rund drei Stunden ist die Batterie an der Steckdose wieder geladen. Auch der Preis für ein solches Spielzeug ist akzeptabel: CHF 9700.– plus Akkumiete ab CHF 59.– / Monat. RAUMSCHIFF AHOI: RENAULT TRAFIC Wenn Platz und Stauvolumen oberste Priorität haben, gibt es bei Renault nur eine Wahl – den Trafic. Seit 1980 angeboten, wurde 2014 die dritte Generation eingeführt. Die ist schicker, deutlich gewachsen (L / B / H: 5,00 / 2,28 / 1,97 Meter) und einmal mehr baugleich mit dem ab Basis gleich teuren Opel Vivaro. Es gibt zwei Radstände (mit dem langen misst der Trafic 5,4 Meter); die Pw-Variante «Passenger» lässt sich mit bis zu drei Sitzreihen und insgesamt neun Plätzen ausrüsten und auch recht dynamisch bewegen. Grossfamilien und alle, die sperrige Dinge zu transportieren haben, werden sich über den bis zu sechs Kubikmeter (!) fassenden Kofferraum freuen; wahlweise gibt es links eine weitere Schiebetür. Die Verarbeitung ist nochmal besser als beim Vorgänger; antriebstechnisch stehen Dieselmotoren mit 90 bis 140 PS zur Wahl, läuft der grossflächig verglaste Kastenwagen zwischen 153 und 181 km / h schnell. Der frontgetriebene französische Riese kostet ab 32 100 Franken, gibt’s sonst noch was zu sagen? Ja: Einparken will geübt sein – und wie klein die anderen doch plötzlich alle sind!
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AUS BESTEM HAUSE
Text Matthias Pfannmüller Fotos Werk, map
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IWC SCHAFFHAUSEN ARBEITET GERNE MAL MIT KERAMIK ODER TITAN UND KANN AUCH HIER AUF EINE LANGE TRADITION VERWEISEN. DIE JÜNGSTE INGENIEUR-SONDERSERIE BESTEHT NUN AUS EINEM NEUEN MATERIAL, DAS BISHER NOCH NIE IM UHRENHANDWERK ZUM EINSATZ KAM
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enn Auto- und Uhrenhersteller gemeinsame Sache machen, müssen viele Faktoren zusammenpassen. Im Falle von IWC und Mercedes AMG scheint das zuzutreffen: Seit Beginn der Kooperation im Jahr 2005 pflegen die Partner ein ebenso enges wie vertrauensvolles Verhältnis, sind bemerkenswerte Produkte entstanden. Angefangen hat es zur Zeit der ersten CLS-Generation (C219, 2004–10), von der es eine Sonderserie gab, die bezüglich Farb- und Materialcodes in Abstimmung mit IWC gestaltet wurde. Und natürlich gab es auch eine modifizierte Cockpituhr mit IWC-Zifferblatt. Neu ist das zwar nicht – Bulgari arbeitet mit Cadillac, Breitling mit Bentley oder Parmigiani mit Bugatti. Doch wurde die Typo der Schaffhauser Manufaktur im Sonder-CLS auch für das Drehzahl- und Tacho-Layout übernommen und hat später auch Instrumente anderer AMG-Baureihen inspiriert; 2008 trug der Mercedes SL 6.3 AMG (R230) einen von IWC gestylten Cockpit-Chronometer. Im Gegenzug brachte IWC ein paar hochinteressante Chrono meter heraus, die sich thematisch auf die schwäbischen Sportwagen bezogen (siehe VECTURA #9). Das zweite Modell dieser Art nennt sich Ingenieur Automatic Edition AMG GT und wurde dieses Frühjahr im Rahmen des 73. Members’ Meeting in Goodwood vorgestellt. Neben der formalen Klarheit und speziellen Farbgestaltung, die sich direkt auf den neuen Mercedes AMG GT bezieht, besticht diese in einer Kleinstserie von nur 25 nummerierten Exemplaren aufgelegte Herrenarmbanduhr (Ref. IW324602) mit ihrer Leichtigkeit von gerade mal 100 Gramm. Für diese Eigenschaft ist ein ganz besonderes, extrem kratzfestes
Material verantwortlich, das dank spezieller Fertigungsverfahren erstmals im Uhrenhandwerk zum Einsatz kommt – Borcarbid. Der Stoff (Summenformel B4C) ist mit 3200 Vickers zwölfmal härter als Stahl, allerdings nicht-metallisch und wird ob seiner Widerstandsfähigkeit bevorzugt für Panzerungen, Schneidewerkzeuge oder Düsen für Sandstrahlmaschinen eingesetzt. «Bei der Materialwahl standen für uns drei Aspekte im Vorder grund», erläutert IWC-Chefdesigner Christian Knoop: «Zum einen technische Eigenschaften, die für die Kunden vorteilhaft sind, dann die überzeugenden ästhetischen Charakteristika – das Gehäuse durfte ja nicht nach Kunststoff aussehen. Und nicht zuletzt die Glaubwürdigkeit und Logik innerhalb der IWC-Modell chronologie.» Innovative Gehäuse sind derweil kein Neuland für IWC Schaffhausen; seit den 1980er-Jahren ist man Pionier im Bereich Keramik und Titan. Nach Zirconiumoxid (Da Vinci Perpetual Calender Ceramic, 1986), Zirconium (Pilot’s Watch, seit 1994) und Siliziumnitrid (2014) passt Borcarbid als Keramik der dritten Generation also ganz hervorragend, um die Vorreiter-Position zu verteidigen: «Eine Uhr aus Kometen-Material, den Überresten der ‹Titanic› oder eines Raumschiffs ist unsere Sache nicht», lächelt Knoop. Eine Verbindung zum Motorsport war dagegen legitim, weil es auch dort um Leistungsgewicht geht. Das zehnjährige Jubiläum der Kooperation mit Mercedes AMG bot denn auch inhaltlich den passenden Rahmen für die Gestaltung des neuartigen Zeitmessers, der stilvoll zum Oldtimer-Saisonauftakt im Rahmen
Exklusiver geht es kaum: Die Ingenieur Edition AMG GT ist die leichteste IWC seit Jahrzehnten. Ein Saphirglasboden erlaubt den Blick auf das Kaliber 80110
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SWISS MADE
1986: Mit der Da Vinci Perpetual Calender Ceramic lanciert IWC eine erste Uhr mit Keramikgehäuse
1994 folgt dann die erste Pilot´s Watch Chronograph Ceramic, die fast komplett in edlem Schwarz gehalten ist
des diesjährigen 73. Members’ Meeting präsentiert wurde – zumal IWC Schaffhausen dort erstmals als offizieller Zeitnehmer auftrat. Die Ziffer 73 zum Meeting 2015 folgt britischer Logik und soll hier kurz erklärt werden. Der Vater des Earl of March and Kinara war Sportwagen-Fanatiker Charles Henry Gordon-Lennox, der zehnte Duke of Richmond, zehnte Duke of Lennox, zehnte Duke of Aubigny sowie fünfte Duke of Gordon, und er baute 1948 auf seinem Privatbesitz, der fast ganz Südengland umfasst, einen Rundkurs um den ehemaligen Militär-Flugplatz, um dort Clubrennen für sich und seine Freunde zu veranstalten, die im GRRC (Goodwood Road Racing Club) organisiert waren. Das erste Treffen hiess entsprechend 1st Members’ Meeting; bis 1966 wurden es derer 71, dann war aus Sicherheitsgründen Schluss – modernere Autos waren schlicht zu schnell für die Strecke geworden (1970 kam McLaren-Gründer Bruce McLaren hier bei Testfahrten ums Leben). Im Frühjahr 2014 griff Lord March die vergessene Tradition wieder auf und veranstaltete das 72. Meeting – wohl auch, weil Festival und Revival inzwischen aus allen Nähten platzten. Dagegen ist das Meeting noch fast ein intimes, sehr Fahrer-orientiertes Event, bei dem sich die Piloten ungerne etwas schenken. Besonderheit: Heute dürfen auch Autos nach Baujahr 1966 an den Start gehen, was einer natürlichen Fortsetzung gleichkommt, während die Teilnahme am Revival genau dort endet. Entsprechend flott ist das Members’ Meeting heute unterwegs; die Hahnenkämpfe auf der
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2006 erscheint mit der Ingenieur Automatic Ceramic eine betont technische Armbanduhr
Strecke werden von einem ebenso fachkundigen wie adrett gekleideten Publikum (Jeans und Turnschuhe sind verpönt) verfolgt. Die Vorliebe für rassige Armbanduhren ist bei Goodwood-Anlässen allgegenwärtig. Auch IWC-Träger Lord March zeigte sich persönlich an der neuen Kleinstserie interessiert und liess sich deren Besonderheiten von IWC-CEO Georges Kern erklären. Die Entscheidung zum Bau der Ingenieur Automatic Edition AMG GT fiel vor rund zwei Jahren, wie uns Knoop im Gespräch verrät. Und das erst, nachdem die Machbarkeit erwiesen und auch eine Materialeignung vorgenommen worden war. Bio-Kompatibilität – die Hauteignung wird von Allergologen und Dermatologen untersucht –, aber auch Verfärbungsverhalten, Abrieb und UV-Tauglichkeit wollen vorab sichergestellt sein, und das in einem Temperaturbereich zwischen minus 20 und plus 80 Grad. Erst dann galt es, die nächste Hürde zu nehmen. Borcarbid ist nämlich äusserst schwer zu verarbeiten – ganz besonders, wenn es ein so filigranes Teil wie ein Uhrengehäuse werden soll. «Die Toleranzen bei uns liegen im Mü-Bereich», erklärt Knoop: «Bei dieser Herstellung handelt sich um einen Laborprozess, der nicht industrialisiert ist. Wir mussten mit Fehlern kämpfen und lernen, um das perfekte Produkt zu erhalten.» Bei diesem aufwendigen Verfahren hat IWC mit einem externen Spezialisten gearbeitet: Aus grauem Borcabid-Pulver entsteht zuerst ein «Grünling»;
2007 gibt es ein Revival für die beliebte Pilot´s Watch – diesmal als Double Chronograph Ceramic
Zeitgeist: die kantige Da Vinci Chronograph Circonium Oxide Titanium Grade 5 Jahrgang 2010
dieser Roh-Korpus wird in einem Sinter-Prozess gefräst und anschliessend bei 2500 Grad Celsius gebacken. Dabei färbt sich das Material schwarz, gleichzeitig schrumpft es und erreicht seine endgültige Härte. Die grösste Herausforderung liegt derweil in der präzisen Weiterverarbeitung: Für die finale Geometrie wird das Werkstück in einer programmiert-automatisierten CNC-Maschine mit Diamanten so lange geschliffen, bis es perfekt ist. Erst dann folgt die Oberflächenbehandlung, um den gewünscht mattierten Effekt zu erhalten. Das geschieht nicht etwa durch Sandstrahlen, was dem Gehäuse gar nichts ausmachen würde. Stattdessen kommen synthetische Diamanten zum Einsatz – der betriebene Aufwand ist also enorm. «Und der Ausleseprozess ist sehr streng; jedes Gehäuse erfordert zigfach viele Rohlinge.» Was auch den Preis von 24 990 Franken pro Uhr erklärt. Die Kleinstserie mit den «Solarbeam»-gelben Ziernähten am Kautschukarmband passt nicht nur perfekt zum AMG GT – auch der Haben-wollen-Effekt stellt sich augenblicklich ein. Letzteres liegt nicht nur am Borcarbid, sondern an der IngenieurSerie selbst. Längst gilt die anti-magnetische Uhrenserie als Klassiker für Kenner und Sammler (VECTURA #13), deren optischgrafisches Grundlayout bis heute beibehalten, aber nie langweilig geworden ist. Dafür sorgten (und sorgen) die immer wieder variierte, differenzierte Erscheinung der 1976 von Gérald Genta
Titan-Pulver verleiht ihrem Gehäuse die braune Farbe: 2014er Pilot´s Watch Chronograph Silicon Nitride
Innovative Gehäuse sind für IWC kein Neuland: Seit 30 Jahren ist man Pionier im Bereich Keramik und Titan
komplett neu konzipierten Baureihe. Der Designer gilt in der Szene als Uhren-Gott; die Royal Oak von Audemars-Piguet geht ebenso auf sein Konto wie die Nautilus von Patek Philippe. Gentas Ingenieur ist die SL mit Automatikwerk und Stahlarmband; später folgt ein etwas kleineres Damenmodell mit Satinband. Die erste Karbon-Ingenieur kommt 2013 und wiegt 120 Gramm; mit der Ingenieur Automatic Edition AMG GT haben die Experten aus Schaffhausen jetzt das nächste Highlight gesetzt. Wie könnte man die jetzt noch leichter machen, Herr Knoop? «Das ginge nur über andere Komponenten – das Werk, das Glas – oder einen kleineren Durchmesser. Denn die Schliesse besteht bereits aus Titan.» Dann kommt Karl Wendlinger vorbei und bittet zum Tanz – eine Runde Goodwood im Mercedes AMG GT. Ich verabschiede mich, ziehe den Helm auf und bitte um zügiges Tempo. Wenn Auto- und Uhrenhersteller gemeinsame Sache machen, müssen eben viele Faktoren zusammenpassen.
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Uhren- und Autoliebhaber unter sich (v.l.n.r.): Pink-Floyd-Drummer Nick Mason, Charles Henry Gordon-Lennox, der Earl of March and Kinara, daneben IWC-Chef Georges A. Kern und «Mr. Bean» Rowan Atkinson
«POSITIV AUFGEFALLEN» RENNPROFI KARL WENDLINGER SPRICHT ÜBER DEN JOB – UND SEINE LIEBE ZU IWC Fragen map
Herr Wendlinger, Sie haben seit Frühjahr 2012 einen AMGVertrag … Ich bin Markenbotschafter, Instruktor beim FahrsicherheitsTraining und automatisch durch meine Tätigkeit im Unternehmen für Mercedes auch bei der einen oder anderen KlassikVeranstaltung dabei. Ein Traumjob … Ja, Traumjob. Denn nebenbei kann ich auch ein paar Autorennen fahren mit dem SLS GT3. AMG hat selbst kein Werkteam, aber es gibt genug Kundenautos, die eingesetzt werden, also gibt es hin und wieder was zum Fahren. So kann ich meine langjährige Motorsport-Erfahrung bei AMG weiter einsetzen. Klingt nach einem bewegten Leben, mit vielen Reisen fern der Heimat. Das schon. Aber wenn ich wieder zuhause bin, habe ich auch Zeit für die Familie. Wie oft stehen Sie noch am Start? Unterschiedlich. Letztes Jahr habe ich an drei Läufen teilgenommen. Das sind dann Demonstrations-Einsätze, oder? Um an einer Meisterschaft teilzunehmen, müssten Sie ja mindestens sechs, acht Rennen bestreiten … Genau, eine ganze Meisterschaft ist es eben nicht, das liegt zeitlich nicht drin. 2014 war es ein Team aus Tirol mit einem gebrauchten Auto und man hat mich gefragt, ob ich ein paar Mal 056 VECTURA #15
dabei bin. Eigentlich wollten wir öfter fahren, aber wie es halt immer so ist, war es auch eine Budget-Frage. Mit welchem Wagen? Aus Exklusivitätsgründen ist der AMG GT3 das einzige Auto, das ich als Botschafter fahren kann. Aber das passt (grinst). Und wann fahren Sie mit dem Mercedes AMG GT3? Der wird derzeit noch entwickelt und 2016 zum Einsatz kommen. Sind Sie bei den Abstimmungsfahrten dabei? Mal schauen, wie ich da dabei bin, ob ich überhaupt dabei bin. Wie viele AMG-Botschafter gibt es? Einmal den Bernd Schneider und dann Mika Häkkinen, der allerdings nicht mehr viele Rennen bestreitet. Als Botschafter kommt man eh nur noch selten dazu; Mika fährt das eine oder andere Rennen in Asien. Dann gibt’s den David Coulthard, den Ex-DTMPiloten Maro Engel und mich, also fünf insgesamt. Jetzt also die Kooperation mit IWC – was sagt Ihnen das? Ich habe mich immer schon für Uhren interessiert und sie mir gerne angeschaut – auch wenn ich sie mir zum Teil nicht leisten konnte. Und IWC ist eine Marke, die mir immer wieder positiv aufgefallen ist. Dann stimmt das also für Sie. Ich glaube schon, dass die Kombination sehr gut funktioniert. IWC ist ja allein schon beim Uhrendesign sehr kreativ, AMG beim Auto-Styling. AMG ist auch technisch sehr hochwertig und ich denke, bei IWC ist es ebenso. Das sind zwei Partner, die gut zueinander passen. IWC-Uhren sind langlebige Produkte, die gleichzeitig auf neue Technologien setzen – so wie jetzt mit einer besonders harten
Neben dem Festival of Speed und dem Revival hat sich das Members Meeting in kürzester Zeit als dritte hochoktanige Goodwood-Veranstaltung etablieren können
Karl Wendlinger (46) wuchs im österreichischen Kufstein auf und begann seine Rennsportkarriere 1983 im Kart. Schon 1984 wurde er deutscher und dann 1986 österreichischer Meister; 1987 dominierte er in seinem Heimatland auch die Formel Ford und 1988 schon die Formel 3. Spätestens als deutscher F3-Champion 1989 war klar, dass Wendlinger zu den Allerschnellsten gehörte: Er startete erstmals in der DTM, gehörte fortan (gemeinsam mit Jochen Mass, Fritz Kreutzpointner, Michael Schumacher und Heinz-Harald Frentzen) zum Sportwagen-Kader von Mercedes-Benz und lenkte seinen Sauber-Mercedes C11 im Rahmen der FIA WSPC in Spa auf Platz 1. Der erste Le-Mans-Einsatz (Platz 5) folgte 1991; im selben Jahr stieg Wendlinger mit Leyton House / Ilmor in die Formel 1 ein. Nach vielversprechenden Platzierungen wechselte er 1992 zu March-Ilmor und 1993 zu Sauber-Mercedes, doch ein schwerer Unfall in Monaco machte alle Ambi tionen zunichte. Aber auch ohne die F1 war Wendlinger weiterhin schnell unterwegs – 1996 mit Audi im STW-Cup und 1997 in der italienischen Tourenwagenmeisterschaft. Anschliessend fuhr er in der FIA-GT die Chrysler Viper GTS-R für das französische Oreca-Team, holte dort 1999 den Titel und stieg im Folgejahr auf die amerikanische Rennserie ALMS um. Gemeinsam mit Olivier Baretta
Keramik. Was tut AMG, um vorne zu bleiben? Porsche und Ferrari rüsten ja derzeit ihre Saugmotoren mit Turbos aus und reduzieren den Hubraum … Das tut AMG auch; der GT hat einen Vierliter-Turbo gegenüber dem alten 6,2-L-Sauger des SLS. Klar, das Thema Hybrid ist in der Formel 1 bereits allgegenwärtig; bei AMG gab es bereits den in Kleinserie gebauten SLS Electric Drive. Allgemein geht es ja darum, bei sinkendem Verbrauch mindestens die gleiche Leistung zu generieren – und Turbomotoren sind sicher effizienter als Sauger.
siegte Wendlinger in der GTS-Kategorie und gewann die 24 Stunden von Daytona. Die V8 Star (Zakspeed) sowie Langstreckeneinsätze auf Ferrari, Maserati oder Aston Martin waren weitere Stationen einer bemerkenswerten Laufbahn. Nach einem zweiten Platz in der FIA-GT-Fahrer-Meisterschaft 2007 unterschrieb der Tiroler für die FIA-GT1-Weltmeisterschaft 2010 beim Swiss Racing Team, doch diese Allianz war wegen Unfällen und technischen Problemen des Nissan GT-R GT1 nicht von Erfolg gekrönt. Auch der Umstieg auf einen Lamborghini Murciélago LP670 R-SV unter Teamchef Othmar Welti brachte 2011 keine Besserung. Dafür startete Wendlinger mit dem Mercedes-Benz SLS AMG GT3 ab 2012 noch einmal durch; das beste Ergebnis war ein dritter Platz in der GTS-Kategorie beim Saisonfinale der International GT Open in Barcelona. 2013 standen vorwie-
Erleben Sie bei Ihren Einsätzen, ob sich das AMG-Kundenprofil geändert hat – sind es heute mehr Käufer aus arabischen oder asiatischen Ländern? Ich glaube, es gibt noch genauso viele europäische Fans wie früher, aber klar: Das Interesse in Asien und anderen Ländern wächst. AMG verkauft ja auch weltweit.
gend Teilnahmen bei historischen Veranstaltungen auf dem Terminkalender; allein die 24 Stunden von Spa bestritt Wendlinger in der Profi-Klasse für das britische Fortec-Team. Nachdem technische Defekte den Mercedes SLS GT3 weit zurückgeworfen hatten, brachten er und seine Kollegen Alex Brundle und Oli Webb den Wagen noch auf einen 13. Klassenrang (Gesamtplatz 31). Wendlinger ist verheiratet und hat zwei Kinder.
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DER NEUE JAGUAR XE AB CHF 40’800.— ENTDECKEN SIE DIE KRAFT DER INNOVATION. Noch nie war ein JAGUAR so kompakt und gleichzeitig so aufregend. Der XE setzt neue Standards in der Premium-Mittelklasse und definiert diese gleich neu: Dank zukunftsweisender Aluminium-Architektur und innovativen Ingenium-Motoren glänzt der neue JAGUAR XE mit Verbrauchswerten ab 3.8 l/100 km und 99 g CO2/km und begeistert gleichzeitig mit der Dynamik einer echten Sportlimousine. Entdecken Sie den revolutionären JAGUAR XE auf einer Testfahrt bei Ihrem JAGUAR-Fachmann. JAGUAR.CH
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V.I.P. PARKING Fotos map
Wenn es dieses Jahr wieder Zehntausende auf die südenglischen Ländereien des Earl of March and Kinrara zieht, um das Festival of Speed oder das Goodwood Revival zu besuchen, reisen die meisten mit modernem Gerät an. Der harte Kern jedoch pflegt in historischen Fahrzeugen zu erscheinen, die natürlich auf einem separaten Feld nahe dem Eingang abgestellt werden dürfen. Diesen Acker zu
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besichtigen, ist genauso amüsant wie der jeweilige Event selbst, denn das voll funktionstüchtige Freilichtmuseum eint Automobile aller Epochen. Neben den «usual suspects» vom Schlage eines Jaguar E-Type, MG B oder Mini faszinieren die weniger bekannten, skurrilen, besonders seltenen oder modifizierten Modelle. Begleiten Sie uns auf einen Rundgang, der zur Nachahmung empfohlen wird
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MIT ALLEN WASSERN GEWASCHEN ENDE 2015 GEHT EIN ÜBER 67-JÄHRIGES STÜCK AUTOMOBILGESCHICHTE IN DEN VERDIENTEN RUHESTAND. ES IST ALSO AN DER ZEIT, DEM BRITISCHEN GELÄNDEWAGEN – SEIT 1990 HÖRT ER AUF DIE BEZEICHNUNG DEFENDER – ENDGÜLTIG ADIEU ZU SAGEN, GETREU DEM MOTTO: «IT’S NEVER OVER IN A LAND ROVER» Text Matthias Pfannmüller · Fotos Ian G.C. White, map, Werk
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ie hier erzählte automobile Ausnahme-Erfolgsstory beginnt mit Reifenspuren im Sand – links von Colwyn, oberhalb der Lleyn Peninsula und im äussersten Nordwesten von Wales. Dort liegt Anglesey, die grösste Insel vor Englands Küsten. Die Bewohner des kargen und schroffen Eilandes in der Irischen See hören es nicht gern, wenn man sie Briten nennt. Sie sind Waliser. Davon zeugt nicht zuletzt ihre eigentümliche Sprache, in der sich schon die Kelten unterhielten und die so fremd und unaussprechlich erscheint, dass kaum jemand freiwillig den Versuch unternehmen wird, sie sich anzueignen, wenn er sie nicht schon mit der Muttermilch in sich aufgenommen hat. Wer sonst könnte den Namen des grössten Bahnhofes Llanfáirpwllgwyngyllgogerychwyrndrobwllllantysiliogogogoch verstehen, der in röchelndfauchender Betonung und atemberaubender Geschwindigkeit wie Llan-vire-pooll-guin-gill-go-ger-u-queerndrob-ooll-llandus-ilio070 VECTURA #15
gogo-goch ausgesprochen wird? Der Zungenbrecher erzählt übrigens die mystische Geschichte einer Kirche, die sich im Tal nahe einer roten Höhle befindet. Diesem eher abschreckenden Beispiel folgend, geben nur wenige Orts- und Strassenschilder auch in englischer Sprache Auskunft. Fast scheint es, als wollten die Leute von Anglesey unter sich bleiben, von Fremden nichts wissen. Tatsächlich hat sich schon mancher Besucher auf dem Weg zum Fährhafen Holyhead hoffnungslos verfahren. Doch der erste Eindruck täuscht: Gastfreundlich, aufgeschlossen und hilfsbereit sind sie, die Insulaner. Und sie sprechen Englisch, zumindest eine Art Englisch. Richtig flüssig wird die Konversation in einem der gemütlichen Pubs, wenn zu kühlem Lager und frischem Fisch traditionelle Musik gespielt wird.
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Doch Anglesey hat mehr zu bieten. Hünengräber aus der Steinzeit zeugen von der langen Zivilisationsgeschichte der «Mutter Wales», wie die Insel auch genannt wird. Im Mittelalter war sie die Kornkammer des Landes. Jahrhunderte später entdeckte man hier Edelmetall, und während der Industriellen Revolution entwickelten sich die im Norden gelegenen Parys-Berge zur grössten Kupfermine der Welt. Neben den historischen Sehenswürdigkeiten existiert auf Anglesey auch eine reichhaltige Pflanzen- und Tierwelt, manche Arten gedeihen nirgendwo sonst. Hier ist die Welt noch in Ordnung, die Luft rein und sie riecht nach Salz. Entsprechend stolz sind die Insulaner auf ihre intakte Natur. Saubere Buchten mit kilometerlangen Stränden laden zum Baden ein und machen Anglesey zu einem Urlaubsparadies für englische Familien.
Es geschieht an einem sonnigen Herbsttag 1947, in der Red Wharf Bay bei Benllech im Nordosten der Insel. Am Ende des schmalen Feldwegs, der von der Hauptstrasse zu dem breiten Sandstrand hinunterführt, parken mehrere Austin, Vauxhall und Riley. Auch einige Rover stehen dabei. Es sind Autos aus den 1930er-Jahren, mit langen Motorhauben, geschwungenen Kotflügeln und freistehenden Scheinwerfern. Über zwei Jahre ist es her, dass die Alliierten den Zweiten Weltkrieg gewonnen haben. Doch die britische Wirtschaft ist schwer getroffen und erholt sich nur mühsam. Auch Englands Automobilindustrie ist kaum in der Lage, neue Modelle zu präsentieren. Fehlende Kapazitäten und Rohstoffmangel zwingen die Hersteller, auf Vorkriegskonstruktionen zurückzugreifen.
Vom allgegenwärtigen Mangel und den Sorgen des Alltags ist an diesem Nachmittag jedoch nicht viel zu spüren. Die friedliche Ruhe wird nur vom Johlen der Kinder unterbrochen: Sie toben vergnügt durch das Wasser, auf dem Sonnenstrahlen tanzen. Ein wenig abseits entspannen sich die Erwachsenen, essen Sandwiches mit Hühnchen oder Mayonnaise, lesen die «Times» und schauen ab und zu aufs Meer hinaus. Keiner ahnt, was nur wenige hundert Meter entfernt passiert, als sich unter das Tuckern des Fischerbootes, das langsam den Horizont entlang gleitet, ein weiteres Motorengeräusch mischt. Es stammt von einem Auto, das den Feldweg herunter an den Strand gefahren kommt und auf dem Parkplatz ausrollt. Nach kurzem Stopp setzt es sich wieder in Bewegung und fährt ohne Umwege durch den weichen Sand direkt aufs Meer zu. Der offene Wagen ohne Türen ist ein Geländewagen, kein Zweifel. Und beinahe sieht er aus wie einer dieser amerikanischen Jeeps. Mit hoher Drehzahl wühlt sich das ulkige Fahrzeug durch den losen Boden, macht kehrt und beginnt das Spiel von vorn. Wieder und wieder zieht das Auto seine Bahnen, hinterlässt Kreise und Furchen im nassen Sand. Nach einer Weile dreht es ab und verschwindet über die Felsen, über den Feldweg, fährt zurück auf die Strasse. Jahrzehnte später wird man auf Anglesey behaupten, die Spuren des ersten Land Rover am Strand der Red Wharf Bay seien noch immer zu sehen. Man müsse sie nur gut suchen …
Jetzt wird’s schmutzig: In knietiefem Morast erweisen wir dem Methusalem die letzte Ehre
Familienbande: links der erste Land Rover Serie I (80 Inch, 1948), rechts daneben der letzte klassische Defender (93 Inch, Jahrgang 2015)
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Es war die 1896 gegründete britische Automarke Rover, die den Land-Rover erfand und Ende April 1948 auf der Amsterdam Motor Show präsentierte: Der Geländewagen – als Vorbild diente der US-amerikanische Jeep – war in aller Eile entwickelt worden und für Genf hatte die Zeit nicht mehr gereicht. Die Ursache des forcierten Handelns war in leeren Montagehallen und der Rohstoffknappheit nach dem Zweiten Weltkrieg zu suchen: Rover brauchte dringend ein Übergangsmodell, das einfach konstruiert und ebenso leicht herzustellen war. Dank Aluminium-Karosserie konnte sogar auf teuren Stahl verzichtet werden. Mit einigem Bangen erwarteten die Rover-Verantwortlichen, unter ihnen auch der technische Direktor und Initiator Maurice Wilks, die Reaktionen des Publikums. Doch die Sorgen waren völlig unbegründet: Der Land-Rover – diese Projektbezeichnung hatte man beibehalten – war genau jene Art Fahrzeug, die nach dem Weltkrieg in der Landwirtschaft benötigt wurde. Und bei einem fairen Basispreis von 450 Pfund griffen Kunden gerne zu. 1948 noch in homöopathischen Dosen von knapp 1800 Einheiten herstellt, waren es 1950 bereits 16 795 und sollten 1955
Knapp 70 Jahre nach seinem ersten Ausflug kehrte der Land Rover 2015 zur Red Wharf Bay auf Anglesey zurück fast doppelt so viele sein – Tendenz steigend. Da hatten japanische Anbieter bereits ihre Konkurrenten in Stellung gebracht – den Nissan Patrol gibt es seit 1951 und Toyota zog kurz darauf mit einem Offroader nach, der ab 1954 Land Cruiser genannt wurde. Den Land Rover (seit 1980 schreibt man ihn ohne Bindestrich) störte das wenig: 1976 wurde er zum Millionär; inzwischen sind über zwei Millionen Exemplare verkauft worden – 25 000 von ihnen in der Schweiz. Es gibt heute kein Automobil, das auf eine so lange Bauzeit und Modellpflege zurückblicken kann wie der klassische Land Rover. Wurde die erste Serie anfänglich noch von einem 1,6-L-Vierzylinder mit 50 PS angetrieben, brachte ein Zweiliter ab 1952 mehr Drehmoment. Bereits zwei Jahre zuvor bot man ein Hardtop an, war der permanente Allradantrieb (mit Freilaufnaben vorne) einem System mit zuschaltbaren Vorderrädern gewichen. 1954 wuchs der Radstand von 80 auf 86 Inch und es gab eine zweite Version, den 107, als Pick-up oder fünftürigen Station Wagon. 1957 brachte den ersten Diesel und die nächste Verlängerung auf 88 bzw. 109 Inch. Die vier Zentimeter breitere Serie II mit neuem Cockpit erschien 1958; seither trägt die Baureihe ihre charakteristische Sicke unterhalb der Seitenfenster. Rover exportierte zu diesem Zeitpunkt bereits 70 Prozent der Produktion in 150 Länder – aus dem Lückenbüsser war inzwischen das profitabelste Modell des Unternehmens geworden – und ein willkommener Devisenbringer für das angeschlagene Königreich. Ursprünglich für zivile Einsatzzwecke konzipiert, kam der Landy ab 1949 dann auch beim Militär zum Einsatz. 1956 wurde er gar zum Standardfahrzeug der britischen Armee befördert, 1960 geschah das Gleiche in der Schweiz. Viele Organisationen wie die UN oder das IRC setzten ebenfalls auf den robusten
Allradler, dessen Ruf, überall hinzukommen, schon früh von den Oxford-Cambridge-Expeditionen (siehe VECTURA #1) gefestigt wurde. Unzählige Sonderversionen wie Panzer-, Schwimmund Krankenwagen entstanden, 1962 ergänzte der Frontlenker FC (Forward Control) das Angebot, 1965 folgte ein auf 1200 Kilo Leergewicht abgespeckter Lightweight. Die Serie IIA brachte 1961 weiteren Schub und die jährlichen Absatzzahlen stiegen auf über 50 000 Fahrzeuge; ab 1967 gab es zudem einen Sechszylinder-Benziner und ein Jahr später in den Kotflügeln montierte Frontscheinwerfer. Mit der Serie III (1971–85) hielten weitere Verbesserungen Einzug – neue Armaturen etwa, stärkere Türbänder oder ein vollsynchronisiertes Getriebe. 1979 war sogar der 3,5-L-V8 des Range Rover verfügbar, wenn auch nur im längeren 109er und mit vergleichsweise bescheidenen 91 PS. Allein der neue Kunststoffgrill – zuvor hatte es noch ein BBQ-fähiges Metallgitter gegeben – gefiel damals nicht jedem; vor allem australische Käufer beklagten sich. Ab 1983 erfolgte die Umstellung auf die einmal mehr gestreckten Modelle 90 (tatsächlich sind es 93 Inch) und 110, die zum permanenten Allradantrieb zurückkehrten – jetzt allerdings mit einem sperrbaren Mittendifferential. 1986 gesellte sich erstmals der überlange 127 mit Doppelkabine und Pritsche dazu; seit 1990 heisst er 130. Im gleichen Jahr kamen wieder einmal andere Armaturen sowie Schrauben- statt Blattfedern – und bald auch aussen liegende Türgriffe oder als Einheitsmotorisierung ein neuer 2,5-LTurbodiesel (einzig in den USA wurde später noch ein V8-Benziner angeboten). Servolenkung, Fünfganggetriebe oder Klimaanlage waren erstmals erhältlich. Gleichzeitig avancierte «Land Rover» zum Markennamen, weil 1989 der Discovery erschienen war; der kantige Landy heisst seither Defender und die Bezeichnung passt bestens. Schliesslich überlebte er (gemeinsam mit nur wenigen anderen Produkten) auch die Wirren der britischen Automobilindustrie, die in den 1970ern von unfähigen Managern systematisch vor die Wand gefahren worden war: Ab 1966 gehörte Land Rover zu British Leyland, 1978 zum Rover-Group-Konglomerat innerhalb einer Jaguar Rover Triumph Ltd., ab 1994 schliesslich zu BMW und ab 2000 zu Ford (Premier Automotive Group). Die Pw-Marke Rover selbst ging 2005 unter; seit 2008 gehört Land Rover gemeinsam mit Jaguar zur indischen Tata-Gruppe. Natürlich stellt sich Land Rover inklusive dem Luxuslabel Range Rover nach inzwischen sechs Millionen hergestellten Einheiten aus insgesamt sechs Baureihen ganz anders dar als 1948, doch den Defender gibt es immer noch. Um den Bedarf zu decken, ist er zeitweilig auch in Deutschland, Belgien, Spanien, Brasilien oder Südafrika oder dem Iran (in order of appearance) hunderttausendfach in Lizenz produziert worden. Doch worin liegt das Erfolgsgeheimnis eines frugalen Fahrzeugs, das zwar im Gelände grossartig, aber auf der Strasse höchstens mittelmässig ist? Was macht die Faszination eines Offroaders aus, dessen Design, nun ja, sehr funktional ausgefallen ist? (Andere sagen ja, es wäre gar kein Design vorhanden …) Und wie ist die Liebe von LandyBesitzern zu erklären, die ihrem Geländewagen trotz bescheidener Fahrleistungen und allseits bekannter Schwächen bedingungslos die Treue halten? Die Antwort findet sich in den Fragen. Denn anders als alles andere, was heute vier Räder hat, war der Ur-Land-Rover niemals versucht, sich neu zu erfinden oder gar modischen Strömungen SOMMER 2015 073
Modell-Episode: Der von 1949–51 gebaute Station Wagon mit Tickford-Aufbau entstand nur wenige hundert Mal
Es gibt heute kaum ein Land, in dem dieser Geländewagen noch keine Reifenspuren hinterlassen hat
Ob als Busch-Patrouille oder mit Bernhard Grzimek: Auch in Afrika machte der Land Rover schnell Karriere
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Mehr als 1,95 Millionen sollten folgen: 1951 rollte das 50 000ste Exemplar aus der Fertigung im Werk Solihull
Defender-Lifestyle: Die Studie DC100 fiel als Nachfolger durch, das bunte 90er-Sondermodell von Mode-Zar Paul Smith bleibt ein EinzelstĂźck
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Dieser Gel채ndewagen ist kein Pw, sondern ein Truck. Und genau so will er auch angefasst und gefahren werden
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zu unterwerfen. Er ist ein klassenloses Fahrzeug, das von der Queen ebenso benutzt wird wie von Bauarbeitern, Entwick lungshelfern, New Yorker Börsianern oder Schauspielern. Unschlagbar sind auch sieben Karosserievarianten ab Werk, von denen der 110 Station Wagon die beliebteste ist. Sicher, man hat die Baureihe wie erwähnt immer weiterentwickelt – 1998 mit dem Td5-Motor und dann noch einmal umfassend 2007, um sie zu lassungsfähig zu halten. Im TDCi gibt es seither sauberere Dieselmotoren aus dem Ford Transit plus neuer Motorhaube, Sechsganggetriebe, Stahltüren, Fondsitzen mit Kopfstützen (alle in Fahrtrichtung, also sind maximal sieben Personen an Bord und nicht mehr neun) sowie eine nennenswerte Heizung und hoch aufragende Cockpitlandschaft. Die Frischluftklappen unterhalb der Windschutzscheibe sind seitdem Geschichte; Airbags und ESP glänzen ohnehin durch Abwesenheit.
Längst ist das konstruktive Grundkonzept auf Kollisionskurs gegangen mit kommenden Abgas- und Crashnormen. Kosme tische Massnahmen helfen nicht mehr weiter, und deswegen muss der Defender, der Verteidiger der digitalfreien Mobilität, Ende Jahr sterben. Er tut das mit aufrechtem Kühlergrill, und wer jetzt interessiert ist an einem der drei offiziellen AbschiedsSondermodelle Heritage, Adventure und Autobiography, dem sei gesagt: so gut wie vergriffen, trotz traditionell fehlender Rostvorsorge. Echte Fans gönnen ihrem Landy ohnehin eine Hohlraum- und Unterbodenversiegelung; nicht wenige investieren hohe Summen in Zubehör und in der Szene empfohlene Verbesserungen, die von einer bestens organisierten Aftersales-Industrie seit Jahrzehn ten angeboten werden. Allein in England gibt es jeden Monat SOMMER 2015 077
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Taschen aus robustem Leder oder eine griffgünstig platzierte Lampe: Der «Legend» ist bereits heute ein Sammlerstück
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TECHNISCHE DATEN LAND ROVER DEFENDER 110 Konzept Waschechter Geländewagen mit Stahlkastenrahmen und Starrachsen / Längslenkern, Aluminiumkarosserie, 5 Türen, 5 / 7 Sitzplätze. Kugelumlauflenkung mit Servo, Scheibenbremsen rundum (v. belüftet), permanenter Allradantrieb, Untersetzung, sperrbares Mittendifferential Motor Turbodiesel-CR-Direkteinspritzer (2.2 Td4) v. längs verbaut, 4 Ventile / Zyl., 2 oben lieg. Nockenwellen (Kette), Turbolader (VNG); Intercooler Hubraum in cm3
2198
Bohrung x Hub in mm
86 x 94,6
Verdichtung
15,5:1
Leistung in PS (kW) @ U / min
122 (90) @ 3500
Max. Drehmoment in Nm @ U / min
360 @ 2000
Kraftübertragung
M6
Abmessungen (L / B / H) in cm
478,5 / 179 / 218
Radstand in cm
279,5
Spur vorne / hinten in cm
148,5
Reifen und Räder
235 / 85 R16 auf 5,5J
Tankinhalt in L
75
Kofferraum (L / B / H) in cm
190 / 92,5 / 105
Leergewicht (ohne Fahrer) in kg
1970
Zulässiges Gesamtgewicht in kg
3050
Leistungsgewicht in kg / PS
16,1
0 – 100 km / h in Sek.
17,0
Höchstgeschwindigkeit in km / h
145
Durchschnittsverbrauch* in L / 100 km
9,7
CO2-Emission in g / km
295
Energieeffizienzkategorie
– (Nutzfahrzeug)
Preis ab CHF
45 900.–
* gemessen nach NEFZ: Neuer Europäischer Fahrzyklus
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Der 110 SW (Station Wagon) ist die bis heute beliebteste von neun verschiedenen Karosserievarianten mehrere Magazine zum Thema, treffen sich Landyianer regelmässig zu volksfestartigen Geländefahrten oder Teilebörsen. Auch als Trailsportwagen macht der Defender eine gute Figur; er unterhält sogar eine eigene Rennserie (www.bowlermotorsport.com). Was die Landy-Welt etwas tröstet, ist die Tatsache, dass das im Herbst 2011 als Nachfolger präsentierte Defender Concept 100 nicht in Serie gehen wird: Es war vielen doch zu weichgespült geraten, und deshalb arbeitet man aktuell an einer kernigeren Variante, die 2019 kommen soll. Es gibt also eine zeitliche Lücke zwischen dem noch aktuellen und nächsten Defender, und vielleicht ist das ganz gut so. Um den lange hinausgezögerten, unvermeidbar gewordenen Abschied gebührend zu würdigen, ist man kürzlich an den Ort der Entstehung zurückgekehrt: Am Strand der Red Wharf Bay
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furchten fünf Landy-Generationen eindrucksvoll ihre eigene Silhouette ins Watt, welche vom Helikopter aus fotografiert wurde, bevor die Flut sie wieder wegspülte. Die logistisch anspruchsvolle, spektakuläre Aktion war gleichzeitig ein Sinnbild für die Vergänglichkeit alles Materiellen und barg die passende Portion Wehmut, um schnell nochmal ein Tränchen zu vergiessen. Wir haben uns kürzlich einen gebrauchten 110er Jahrgang 2006 gekauft, bevor die Occasionspreise unverschämt werden. Und für die ganz persönliche Memorial-Fahrt zur Schneegrenze eine Schweiz-exklusive, auf 100 Exemplare limitierte Sonderserie «Legend» ausgeliehen, die mit speziellen Ausstattungsdetails aufwartet und – Sie ahnen es schon – bereits ausverkauft ist. Normale, immer noch weitgehend in Handarbeit produzierte Neu-Defender fahren sich aber ebenso legendär, und allen Landy-Novizen sei gesagt: Dieser Geländewagen ist kein Pw! Sondern ein Truck, und genau so will er auch angefasst werden. Wer das verinnerlicht, hat alle Hände voll zu tun, erfährt aber auch unverfälschte, unmittelbare Fortbewegung, die sich nicht über Geschwindigkeit definiert. Und er verspürt das gute Gefühl, überall ankommen zu können. Leb wohl alter Freund, wir sehen uns wieder! Irgendwo.
Porsche Porsche empfiehlt empfiehlt
und und
Wenn Wenn die die Welt Welt eine eine Bühne Bühne ist, ist, ist ist das das hier hier Stage Stage Diving. Diving. Der Der neue neue Boxster Boxster Spyder. Spyder. Leichter. Stärker. Stärker. Radikaler. Radikaler. Der Der neue neue Boxster Boxster Spyder Spyder treibt treibt die die Idee Idee des des Roadsters Roadsters Leichter. auf auf den den Gipfel. Gipfel. Mit Mit der der geballten geballten Mittelmotorperformance Mittelmotorperformance aus aus 3,8 3,8 Litern Litern Hubraum: Hubraum: 276 276 kW kW (375 (375 PS). PS). Und Und mit mit einem einem puristischen puristischen Verdeck, Verdeck, das das trotz trotz seiner seiner AlltagstaugAlltagstauglichkeit lichkeit vor vor allem allem auf auf ein ein niedriges niedriges Leistungsgewicht Leistungsgewicht einzahlt. einzahlt. Die Die Kurvenjagd Kurvenjagd kann kann beginnen. Mehr Mehr unter unter www.porsche.de/BoxsterSpyder www.porsche.de/BoxsterSpyder beginnen.
Kraftstoffverbrauch Kraftstoffverbrauch (in (in l/100 l/100 km) km) innerorts innerorts 14,2 14,2 ·· außerorts außerorts 7,5 7,5 ·· kombiniert kombiniert 9,9; 9,9; CO CO22-Emissionen -Emissionen 230 230 g/km g/km CO CO22-Mittelwert -Mittelwert aller aller in in der der Schweiz Schweiz angebotenen angebotenen Fahrzeugmodelle: Fahrzeugmodelle: 144 144 g/km g/km ·· Energieeffizienz-Kategorie: Energieeffizienz-Kategorie: G G