Quart Heft für Kultur Tirol Nr. 3/ 04 E 12,–
Verzeichnis
4/5
Inhalt Martin Gostner „Monument für Nico und Wesi/ Monument for Nico and Wesi“ (2003), Watte/Cotton wool, Cafè Central, Innsbruck Fotografie: Fred Einkemmer 1/160
Julia Bornefeld: Originalbeilage Nr. 3 Anmerkungen zu einem Taschentuch mit Tentakeln von Marion Piffer Damiani Fotografie: Manuela Prossliner
92–95
Halotech Lichtfabrik
2/3
Ostinato 4 (17h30, 18h30)
96/97
Inhalt
4/5
Wie es war Peter Herbert trifft den Komponisten Peter Zwetkoff.
„Keine Angst, hier bewegt sich nichts!“ oder: freiwillig wohnen bei 130 km/h. Von Hans Danner
6 –17
Ostinato 1 Die Taube im 5/4 -Takt. Von Albert Hosp
18/19
20–29
„Bergsteigen sei gefährlich …“ Reinhold Messners voluminöser Monolog, aufgezeichnet von Gustav Kuhn
30–37
Ostinato 2 (6h30, 9h00) Bauplatz Vision Eine Reise durch die Gedankenwelt Bruno Tauts. Von Wolfgang Pöschl Dear John Einleitend zu Martin Gostners fiktiver Spurensuche nach John Steinbecks Roman „Tortilla Flat“ Die Fälschung der Fiktion – Christian Gögger über Martin Gostners Arbeit
116/117
Gefährdete, Gefährliche – Erika Wimmer über die Eifersuchtsambulanz 118–123 M. Andrea van der Straeten beweist: Das Medium Ölbild lügt!
124 –133
38/39
40– 49
Tränental Michael Mantl, Buchbinder zu Reutte, über seine Leidenstage vom 18. bis zum 14. Februar 1848. Klaus Händl schreibt die Geschichte weiter. 134 –145 Tirols Architekten und Ingenieurkonsulenten Zukunftszentrum Tirol
146 147
Raiffeisen Kunstbrücke M-Preis
148 149
Wespennest ff, Südtiroler Wochenmagazin
150 151
Josef Lackner-Buch, Swarovski Kristallwelten Athesia-Tyrolia Druck
152 153
ART Kunstmesse Innsbruck Greiter, Pegger, Kofler & Partner, Rechtsanwälte
154
50/51 52–59
Martin Gostner „Dear John“, Installation, Kalifornien (2003) Fotografie: Robert Holmes 60/61 Martin Gostner „Dear John“ (2003), Zyklus, 17-teilig
Landvermessung No. 1, Sequenz 3 inkl. Anleitung zur Blutnudelzubereitung von Stefanie Holzer und Walter Klier 104 –115 Empfehlungsschreiben (Ostinato 5) Abobestellkarte!
Il Ritorno in Patria Reiseliteratur von W. G. Sebald, Fotorecherche von Paul Albert Leitner
98–103
62–79
Das Gefundene liegt weit weit vorn. Ferdinand Schmatz geht von Martin Gostner aus zu sich über John Steinbeck. 80–83 Ostinato 3 (12h00, 12h35)
84/85
Kleines Lexikon geläufiger Wörter Schalko und Schreiber polemisieren.
86–91
155
Riedel Glas
156/157
Besetzung
158/159
Problemzone
Vor rund zwanzig Jahren – so stelle ich mir das vor – kommt ein Reporter einer englischen Tageszeitung nach Südtirol. Vielleicht macht er Urlaub hier, vielleicht ist er Bergsteiger aus Leidenschaft und will sich kletternd an den schroffen Dolomitengipfeln versuchen. Jedenfalls fährt er über die noch fast neue Autobahn und sieht ein Haus. Auf den ersten Blick handelt es sich um kein besonderes Haus: zwei Balkone mit Geranienbewuchs, von Obstbäumen flankiert, nicht besonders groß, aber stattlich. Der Dachboden außen mit bloßen Holzbrettern verschlagen, ein luftiger Durchzugsort zum Trocknen der Walnüsse. Solche Häuser findet man überall in Südtirol. Und doch ist das Besondere an dem Haus gerade seine Lage. Das Haus steht nämlich auf einem recht steilen, aber nicht sehr hohen Hügel. Und genau durch diesen Hügel führt die Autobahn. Der Reporter ist überwältigt von diesem Ensemble: der blaue Himmel, das Haus, der grüne Hügel, die Tunnelröhren der Autobahn. Er wittert eine Story und fotografiert das Haus. Und wirklich, kurze Zeit später erscheint das Foto, schwarzweiß, in der Herold Tribune. Dieses Foto gibt es wirklich. Auch wenn ich es nie zu Gesicht bekommen habe. Der Reporter, dessen Namen ich nicht kenne, ist wahrscheinlich genau da gestanden, wo ich jetzt stehe. Isarco Est. Eine Raststätte an der Autobahn Bozen-Brenner wenige Kilometer vor der Ausfahrt nach Klausen. 6/7
Zickzack-Methode, Gerhard Hörner, Professionelles Speed Reading, p. 64
Der Capuccino ist lausig hier, aber stark. Wenige Zapfsäulen, eine Cafeteria, ein Kiosk. Motore, amore. Ich stehe da und probiere den Blick des unbekannten Reporters. Der Autobahntunnel heißt „Kofler“ und sinnigerweise zeigt der Pfeil mit der Längenangabe geradewegs nach oben auf das Haus. „Kofler“, wie denn auch sonst werden die Menschen heißen, die dort leben auf einem Kofel, unter dem zufälligerweise täglich Tausende Touristen und Lastkraftwagenfahrer durchrauschen. Dieses Bild vom Koflerhaus, wie ich es in meinen Gedanken schon wie von selbst nenne, lässt mich nicht mehr los. Fasziniert stehe ich da und will sie plötzlich kennen die Geschichte, die Story hinter dem Haus über dem Tunnel. Der Mann im ölverschmierten Arbeitsanzug ist offensichtlich der Besitzer der gelb-schwarz-roten Tankstelle am Ortsausgang von Klausen direkt an der SS 12 nach Bozen. Sein Haar ist schon ein wenig schütter, seine Frau als helfende Hand im Hintergrund. Er mustert mich misstrauisch von oben bis unten. „Warum wollen Sie dorthin?“ Er hält immer noch das neu gemachte Foto vom Koflerhaus in den Händen und starrt angestrengt darauf, so als wolle er den Hochglanzausdruck durchschauen, ihm sein Geheimnis entlocken. „Des isch beim Köfele!“ meldet sich seine Frau im Vorbeihuschen zu Wort. „Sind
„Keine Angst, hier bewegt sich nichts!“
Das Haus auf dem Hügel auf dem Tunnel auf der Autobahn nahe Klausen, oder: freiwillig wohnen bei 130 km/h. Von Hans Danner Vor rund zwanzig Jahren – so stelle ich mir das vor – kommt ein Reporter einer englischen Tageszeitung nach Südtirol. Vielleicht macht er Urlaub hier, vielleicht ist er Bergsteiger aus Leidenschaft und will sich kletternd an den schroffen Dolomitengipfeln versuchen. Jedenfalls fährt er über die noch fast neue Autobahn und sieht ein Haus. Auf den ersten Blick handelt es sich um kein besonderes Haus: zwei Balkone mit Geranienbewuchs, von Obstbäumen flankiert, nicht besonders groß, aber stattlich. Der Dachboden außen mit bloßen Holzbrettern verschlagen, ein luftiger Durchzugsort zum Trocknen der Walnüsse. Solche Häuser findet man überall in Südtirol. Und doch ist das Besondere an dem Haus gerade seine Lage. Das Haus steht nämlich auf einem recht steilen, aber nicht sehr hohen Hügel. Und genau durch diesen Hügel führt die Autobahn. Der Reporter ist überwältigt von diesem Ensemble: der blaue Himmel, das Haus, der grüne Hügel, die Tunnelröhren der Autobahn. Er wittert eine Story und fotografiert das Haus. Und wirklich, kurze Zeit später erscheint das Foto, schwarzweiß, in der Herold Tribune. Dieses Foto gibt es wirklich. Auch wenn ich es nie zu Gesicht bekommen habe. Der Reporter, dessen Namen ich nicht kenne, ist wahrscheinlich genau da gestanden, wo ich jetzt stehe. Isarco Est. Eine Raststätte an der Autobahn Bozen-Brenner wenige Kilometer vor der Ausfahrt nach Klausen.
Der Cappuccino ist lausig hier, aber stark. Wenige Zapfsäulen, eine Cafeteria, ein Kiosk. Motore, amore. Ich stehe da und probiere den Blick des unbekannten Reporters. Der Autobahntunnel heißt „Kofler“ und sinnigerweise zeigt der Pfeil mit der Längenangabe geradewegs nach oben auf das Haus. „Kofler“, wie denn auch sonst werden die Menschen heißen, die dort leben auf einem Kofel, unter dem zufälligerweise täglich Tausende Touristen und Lastkraftwagenfahrer durchrauschen. Dieses Bild vom Koflerhaus, wie ich es in meinen Gedanken schon wie von selbst nenne, lässt mich nicht mehr los. Fasziniert stehe ich da und will sie plötzlich kennen die Geschichte, die Story hinter dem Haus über dem Tunnel. Der Mann im ölverschmierten Arbeitsanzug ist offensichtlich der Besitzer der gelb-schwarz-roten Tankstelle am Ortsausgang von Klausen direkt an der SS 12 nach Bozen. Sein Haar ist schon ein wenig schütter, seine Frau als helfende Hand im Hintergrund. Er mustert mich misstrauisch von oben bis unten. „Warum wollen Sie dorthin?“ Er hält immer noch das neu gemachte Foto vom Koflerhaus in den Händen und starrt angestrengt darauf, so als wolle er den Hochglanzausdruck durchschauen, ihm sein Geheimnis entlocken. „Des isch beim Köfele!“ meldet sich seine Frau im Vorbeihuschen zu Wort. „Sind Sie
Problemzone
Variabler Zeilenschwung, Gerhard Hörner, Professionelles Speed Reading, p. 62
ein Student?“ Ich erkläre meine Neugier. Etwas belustigt, aber durchaus freundlich weist er mir den Weg zum Haus über der Autobahn. Dass ich die Zufahrt zum Haus trotz seiner genauen Beschreibung nicht auf Anhieb finde, noch einmal umkehren muss und es schließlich über einen schmalen, wild romantischen (dieser Ausdruck drängt sich auf) Weg erreiche, kann er nicht wissen, als ich ihm beim Einsteigen ins Auto ein letztes „Dankeschön!“ zurufe. „Nein, das ist nicht unser Haus! Die Farbe da stimmt nicht.“ Die weißhaarige Frau, die mir das sagt, nachdem ich am laut bellenden Hofhund vorbeigeschlichen bin, immer bereit, im Notfall alles fallen zu lassen und die Flucht ins rettende Auto zu ergreifen, hat etwas an sich, was nicht in diese Gegend passt. Sie sieht viel eher aus wie eine dieser zumeist adeligen Unternehmersfrauen aus amerikanischen Fernsehserien, die nie Zeit haben, wenn fremde junge Männer etwas wissen wollen, sondern schnell in ihre Vans steigen und – nur mehr eine Staubwolke hinterlassend – auf ihren Gutswegen davonbrausen. Falcon Crest! Ja genau, das ist’s, daher kommt’s. „Wirklich nicht? Sehen Sie sich das Bild doch noch einmal an!“ Sie zieht eine Lesebrille aus ihrer schwarzen Weste hervor, ihre schlanken Hände zittern dabei kein bisschen. Durch das geschliffene Glas sieht die Welt anders aus. Sie erkennt das eigene Haus auf dem Foto („Ah, das ist nur ein Schatten!“) und verweist mich an ihre Schwiegertochter, sie selbst habe es eilig. Und dabei hat sie plötzlich – ich stutze – einen Schlüsselbund in der Hand und verschwindet in Richtung Großraumgarage mit vier Autos, ein Van ist auch darunter 8/9
So elegant und stilvoll die Schwiegermutter, so offenherzig und pragmatisch Verena Griesser. „Kommen Sie doch nach oben!“ Die steile Fliesentreppe sticht von rechts unten nach links oben ins Haus. „Wollen Sie einen Himbeersaft?“ Die Küche ist frisch umgebaut und karg. Alles sieht so aus, als wäre es leicht zu reinigen, abwischbar. Muss vielleicht sein. Die dreijährige Carmen bekommt auch einen Saft in ihrer Eisbärenkindergartentrinkflasche. Die jüngere Denise sieht mit großen Augen zu, die kleinste Tochter liegt mucksmäuschenstill in der Wiege vor mir. Vom Balkon aus habe ich endlich den Gegenblick nach unten, das Gegenbild. Ich sehe mich dort unten stehen an der Raststätte Isarco Est und heraufschauen. Ein paar Sekunden lang hänge ich der Vorstellung nach, wie es wäre, an einem unsichtbaren hinunterzugleiten. „Steil ist’s hier, nicht? Aber keine Angst: alles Lehmboden. Als es letzten Sommer so viel geregnet hat, hat sich hier nichts bewegt.“ Die Autobahn bewegt sich unter mir, in mich hinein, aus mir heraus. Als sich die doppeltverglaste Balkontüre hinter mir schließt, wird es dumpf. „Man gewöhnt sich daran. Laut ist es auch an einem Wildbach.“ Seit vier Jahren wohnt Verena mit ihrem Mann Christoph hier im Koflerhaus. Ursprünglich stammt sie aus dem wenige Kilometer entfernten Kastelruth. Auch von einem Hof. Ein Stickbild an der schmucklosen Wand hält den Hochzeitstermin fest. Gegenüber der Abreißkalender mit den Tagesweisheiten: „Das Schaufenster ist das Schlüsselloch in das Schlafzimmer der Begierde.“ Der Brotbackautomat auf der Anrichte schweigt dazu
ein Student?“ Ich erkläre meine Neugier. Etwas belustigt, aber durchaus freundlich weist er mir den Weg zum Haus über der Autobahn. Dass ich die Zufahrt zum Haus trotz seiner genauen Beschreibung nicht auf Anhieb finde, noch einmal umkehren muss und es schließlich über einen schmalen, wild romantischen (dieser Ausdruck drängt sich auf) Weg erreiche, kann er nicht wissen, als ich ihm beim Einsteigen ins Auto ein letztes „Dankeschön!“ zurufe. „Nein, das ist nicht unser Haus! Die Farbe da stimmt nicht.“ Die weißhaarige Frau, die mir das sagt, nachdem ich am laut bellenden Hofhund vorbeigeschlichen bin, immer bereit, im Notfall alles fallen zu lassen und die Flucht ins rettende Auto zu ergreifen, hat etwas an sich, was nicht in diese Gegend passt. Sie sieht viel eher aus wie eine dieser zumeist adeligen Unternehmersfrauen aus amerikanischen Fernsehserien, die nie Zeit haben, wenn fremde junge Männer etwas wissen wollen, sondern schnell in ihre Vans steigen und – nur mehr eine Staubwolke hinterlassend – auf ihren Gutswegen davonbrausen. Falcon Crest! Ja genau, das ist’s, daher kommt’s. „Wirklich nicht? Sehen Sie sich das Bild doch noch einmal an!“ Sie zieht eine Lesebrille aus ihrer schwarzen Weste hervor, ihre schlanken Hände zittern dabei kein bisschen. Durch das geschliffene Glas sieht die Welt anders aus. Sie erkennt das eigene Haus auf dem Foto („Ah, das ist nur ein Schatten!“) und verweist mich an ihre Schwiegertochter, sie selbst habe es eilig. Und dabei hat sie plötzlich – ich stutze – einen Schlüsselbund in der Hand und verschwindet in Richtung Großraumgarage mit vier Autos, ein Van ist auch darunter.
So elegant und stilvoll die Schwiegermutter, so offenherzig und pragmatisch Verena Griesser. „Kommen Sie doch nach oben!“ Die steile Fliesentreppe sticht von rechts unten nach links oben ins Haus. „Wollen Sie einen Himbeersaft?“ Die Küche ist frisch umgebaut und karg. Alles sieht so aus, als wäre es leicht zu reinigen, abwischbar. Muss vielleicht sein. Die dreijährige Carmen bekommt auch einen Saft in ihrer Eisbärenkindergartentrinkflasche. Die jüngere Denise sieht mit großen Augen zu, die kleinste Tochter liegt mucksmäuschenstill in der Wiege vor mir. Vom Balkon aus habe ich endlich den Gegenblick nach unten, das Gegenbild. Ich sehe mich dort unten stehen an der Raststätte Isarco Est und heraufschauen. Ein paar Sekunden lang hänge ich der Vorstellung nach, wie es wäre, an einem unsichtbaren Seil hinunterzugleiten. „Steil ist’s hier, nicht? Aber keine Angst: alles Lehmboden. Als es letzten Sommer so viel geregnet hat, hat sich hier nichts bewegt.“ Die Autobahn bewegt sich unter mir, in mich hinein, aus mir heraus. Als sich die doppeltverglaste Balkontüre hinter mir schließt, wird es dumpf. „Man gewöhnt sich daran. Laut ist es auch an einem Wildbach.“ Seit vier Jahren wohnt Verena mit ihrem Mann Christoph hier im Koflerhaus. Ursprünglich stammt sie aus dem wenige Kilometer entfernten Kastelruth. Auch von einem Hof. Ein Stickbild an der schmucklosen Wand hält den Hochzeitstermin fest. Gegenüber der Abreißkalender mit den Tagesweisheiten: „Das Schaufenster ist das Schlüsselloch in das Schlafzimmer der Begierde.“ Der Brotbackautomat auf der Anrichte schweigt dazu.
Problemzone
„Då is da Tate!“ Auf den Fotos im Album ist immer wieder Christoph Griesser zu sehen. „Då is a da Tate!“ Carmen und Denise überbieten sich im Kommentar. Familienbilder aus den 70er Jahren: braune Latzhosen vor braunvergilbtem Hintergrund, die erste E-Gitarre. Weihnachten. Sommerszenen. Ein Kleinkind kugelt in einer Strickjacke über die Blumenwiese. „Då is scho wieder da Tate!“ Schließlich Fotos von einer großen Baustelle. Damals hat Verena aber noch nicht hier gewohnt. Inzwischen hat Denise Carmens Trinkflasche an sich gerissen. Nicht für lange. Carmen brüllt, jetzt brüllt Denise. Das Kleinkind in der Wiege macht keinen Mucks. Die Alternativnuckelflasche zeigt nicht die erhoffte Wirkung. Denise will auch den Eisbären. Wer will es ihr verdenken. Doch da kommt schon der Schwiegervater, der hat es zwar immer „gneatig“, aber vielleicht will er trotzdem etwas erzählen. Er schnauft den von hier aus besehen gar nicht so sanften Hügel herauf in seiner blauen Südtiroler Schürze. Nachdem er seinen Hut abgenommen, die Stiefel ausgezogen hat, gehen wir in seine Küche im Erdgeschoss. Weitläufiges Braun, die Baustellenfotos im ersten Stock fallen mir wieder ein, und richtig: 1978 wurde das Haus abgerissen und wieder aufgebaut. Das Renovieren hätte sich nicht mehr rentiert, nachdem das Haus schon 1936 abgebrannt und nur notdürftig zusammengeflickt worden war. Toni Griesser ist ein Macher. Drahtig, energisch und dabei doch irgendwie zierlich, Profil und Frisur er10/11
Rückwärtsschwung, Gerhard Hörner, Professionelles Speed Reading, p. 63
innern stark an Luis Trenker. Wenn er lacht, wendet er sich vorher kurz ab, so als würde er sich schämen, und wenn dann nach ein paar Zehntelsekunden sein Gesicht wieder auftaucht, strahlt es über und über. Ein Liebling der Frauen, schießt es mir durch den Kopf. Jetzt gerade kommt er von der Arbeit an den Himbeersträuchern. Seiner hauptsächlichen Tätigkeit. Toni Griesser ist nämlich Himbeerbauer. Bei Robert Lemkes Beruferateshow hätte das wohl einige Fünfmarkstücke in das Porzellanschwein gebracht. 500 bis 600 Meter Stauden jedes Jahr, drei Kilo Himbeeren pro Meter, Verkauf in Italien und Österreich. Ob ich einen Saft möchte? Vor dem Fernseher mit Satellitenanschluss, wo ein spartanisch anmutender Schaukelstuhl steht, sind die kleinen braunen Quadrate des Linoleumfußbodens etwas abgewetzt. Ein vertrockneter Ölzweig am Kruzifix über dem Tisch, darunter die Dolomiten im Abonnement. Vier Wohnungen hat er gebaut, zwei Geschäfte. Von einer Trachtenhandlung in Kastelruth zeigt er mir den Hochglanzprospekt. Seit 1962 alleinige Hofbewirtschaftung, seit 1966 Besitz, in den 60er Jahren Obst- und Gemüsehandel auch jenseits der Grenzen, 1993 Umkultivierung auf Beerenobst. Sieben Kinder, sechs davon Söhne. Heute 70 Jahre alt. – Was sich wie eine Leistungschau anhört, klingt in den Worten des Toni Griesser durchaus charmant. „Wenn mein Vater den Hof heute sehen würde, würde er ihn nicht mehr kennen, soviel hat sich verändert.“ Zum Guten oder zum Schlechten? „Zum Guten, zum Guten!“
„Då is da Tate!“ Auf den Fotos im Album ist immer wieder Christoph Griesser zu sehen. „Då is a da Tate!“ Carmen und Denise überbieten sich im Kommentar. Familienbilder aus den 70er Jahren: braune Latzhosen vor braunvergilbtem Hintergrund, die erste E-Gitarre. Weihnachten. Sommerszenen. Ein Kleinkind kugelt in einer Strickjacke über die Blumenwiese. „Då is scho wieder da Tate!“ Schließlich Fotos von einer großen Baustelle. Damals hat Verena aber noch nicht hier gewohnt. Inzwischen hat Denise Carmens Trinkflasche an sich gerissen. Nicht für lange. Carmen brüllt, jetzt brüllt Denise. Das Kleinkind in der Wiege macht keinen Mucks. Die Alternativnuckelflasche zeigt nicht die erhoffte Wirkung. Denise will auch den Eisbären. Wer will es ihr verdenken. Doch da kommt schon der Schwiegervater, der hat es zwar immer „gneatig“, aber vielleicht will er trotzdem etwas erzählen. Er schnauft den von hier aus besehen gar nicht so sanften Hügel herauf in seiner blauen Südtiroler Schürze. Nachdem er seinen Hut abgenommen, die Stiefel ausgezogen hat, gehen wir in seine Küche im Erdgeschoß. Weitläufiges Braun, die Baustellenfotos im ersten Stock fallen mir wieder ein, und richtig: 1978 wurde das Haus abgerissen und wieder aufgebaut. Das Renovieren hätte sich nicht mehr rentiert, nachdem das Haus schon 1936 abgebrannt und nur notdürftig zusammengeflickt worden war. Toni Griesser ist ein Macher. Drahtig, energisch und dabei doch irgendwie zierlich, Profil und Frisur er-
innern stark an Luis Trenker. Wenn er lacht, wendet er sich vorher kurz ab, so als würde er sich schämen, und wenn dann nach ein paar Zehntelsekunden sein Gesicht wieder auftaucht, strahlt es über und über. Ein Liebling der Frauen, schießt es mir durch den Kopf. Jetzt gerade kommt er von der Arbeit an den Himbeersträuchern. Seiner hauptsächlichen Tätigkeit. Toni Griesser ist nämlich Himbeerbauer. Bei Robert Lemkes Beruferateshow hätte das wohl einige Fünfmarkstücke in das Porzellanschwein gebracht. 500 bis 600 Meter Stauden jedes Jahr, drei Kilo Himbeeren pro Meter, Verkauf in Italien und Österreich. Ob ich einen Saft möchte? Vor dem Fernseher mit Satellitenanschluss, wo ein spartanisch anmutender Schaukelstuhl steht, sind die kleinen braunen Quadrate des Linoleumfußbodens etwas abgewetzt. Ein vertrockneter Ölzweig am Kruzifix über dem Tisch, darunter die Dolomiten im Abonnement. Vier Wohnungen hat er gebaut, zwei Geschäfte. Von einer Trachtenhandlung in Kastelruth zeigt er mir den Hochglanzprospekt. Seit 1962 alleinige Hofbewirtschaftung, seit 1966 Besitz, in den 60er Jahren Obst- und Gemüsehandel auch jenseits der Grenzen, 1993 Umkultivierung auf Beerenobst. Sieben Kinder, sechs davon Söhne. Heute 70 Jahre alt. – Was sich wie eine Leistungschau anhört, klingt in den Worten des Toni Griesser durchaus charmant. „Wenn mein Vater den Hof heute sehen würde, würde er ihn nicht mehr kennen, soviel hat sich verändert.“ Zum Guten oder zum Schlechten? „Zum Guten, zum Guten!“
Problemzone
Und selbst der Autobahnbau, so sehr man ihn vielleicht heute verwünscht, hatte sein Gutes: Das schönste Feld des Koflerbauern war immerhin 50 Millionen Lire wert. Die wurden in neue Geschäfte investiert. Der Zukauf von Feldern in der Nähe von Mauls. Der Ausbau des Trachtenladens in Kastelruth. Nie habe er Geld von der Bank leihen müssen, erklärt Toni nicht ohne Stolz.
Vertikale Welle, Gerhard Hörner, Professionelles Speed Reading, p. 64
stellung der „Steigen“ für das Grünzeug. Drei Nagelmaschinen und eine Bandsäge standen im Keller. Die Bandsäge gibt es noch, die Nagelmaschinen wurden in den letzten Jahren verkauft. Aber auch heute gibt es immer etwas zu tun rund ums Haus. Wie einer, der untätig dasitzen kann, wirkt mein Gegenüber ganz und gar nicht. „Und wenn jemand jammert, dass er so viel arbeiten muss, das versteh ich nicht.“ Er selbst habe sein Leben lang gearbeitet und es habe ihm nicht geschadet. „Nur wenn Kinder arbeiten müssen, wird was aus ihnen.“ Der älteste Sohn bewirtschaftet mit einem seiner Brüder die Felder in Mauls. Erdbeeren werden dort angebaut. Im großen Stil. Zwei Fernlaster haben sie schon. Nicht nur für die Beeren, sie handeln auch mit zugekauften Waren, die sie international vertreiben. Wie Toni Griesser dereinst selbst.
Mit hundert Schuss Dynamit hat man damals zu Beginn der 70er Jahre den Koflertunnel in den Berg gesprengt. Hundert Mal wurde die ganze Gegend erschüttert, meistens in den frühen Morgenstunden zwischen drei und vier Uhr. „Es war schon wie ein Erdbeben, die Fensterscheiben haben gezittert. Aber wenn man es davor weiß, ist’s nicht so schlimm.“ Wenn man es nur davor wissen könnte. Heute gehört die Autobahn dazu. Wie der Bach, der Zug und die Bundesstraße. Die vier Verkehrswege füllen den ganzen schmalen Talboden aus. Freilich, richtige Nachbarn gibt es seit dem Autobahnbau nicht mehr hier in der Gegend. Ein Hof stand da, wo heute gezapft wird. „Die sind weggezogen. Haben sich woanders ein neues Haus gebaut.“ Wohin, weiß man nicht genau. Die anderen beiden Häuser, die man vom Küchenfenster aus sieht, haben ihre Besitzer gewechselt. „In einem wohnen überhaupt so Kroaten oder Jugoslawen.“ Die letzten Wörter spricht Toni fast tonlos, durch die Zähne. Er schaut stumm auf seine Hände, die ruhig auf der letzten Ausgabe der Dolomiten liegen.
Christoph Griesser, der „Tate“ vom ersten Stock unterstützt den Vater auf der heimatlichen Plantage. Wenn er nicht auf den Himbeerfeldern mithilft, fährt er über Land. „Happy Mode – Mode für Damen, Herren und Kinder“ steht auf seinen laminierten Visitenkarten. Darunter ist ein weißer Kleinbus aufgemalt, der so schnell von rechts nach links fährt, dass er nur noch farbige Streifen hinterlässt. Ein Sohn führt die Geschäfte in Kastelruth, einer ist Wirtschaftsberater, einer Mechaniker. Die Tochter ist verheiratet. Es ist aus allen etwas geworden.
Auch in der Arbeit hat sich einiges getan, seit den 60er Jahren. Früher, als Toni noch Obst- und Gemüsehändler war und nicht nur eigene Produkte vertrieb, verbrachte er die ruhigen Wintertage mit der Her-
Toni Griesser schaut aus dem Fenster. Dann wieder auf seine Hände. Ob er manchmal von hier weg wolle? „Nein, niemals!“ Die Antwort kommt, ohne zu überlegen, wie ein Reflex. Zweimal in siebzig Jah-
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Und selbst der Autobahnbau, so sehr man ihn vielleicht heute verwünscht, hatte sein Gutes: Das schönste Feld des Koflerbauern war immerhin 50 Millionen Lire wert. Die wurden in neue Geschäfte investiert. Der Zukauf von Feldern in der Nähe von Mauls. Der Ausbau des Trachtenladens in Kastelruth. Nie habe er Geld von der Bank leihen müssen, erklärt Toni nicht ohne Stolz. Mit hundert Schuss Dynamit hat man damals zu Beginn der 70er Jahre den Koflertunnel in den Berg gesprengt. Hundert Mal wurde die ganze Gegend erschüttert, meistens in den frühen Morgenstunden zwischen drei und vier Uhr. „Es war schon wie ein Erdbeben, die Fensterscheiben haben gezittert. Aber wenn man es davor weiß, ist’s nicht so schlimm.“ Wenn man es nur davor wissen könnte. Heute gehört die Autobahn dazu. Wie der Bach, der Zug und die Bundesstraße. Die vier Verkehrswege füllen den ganzen schmalen Talboden aus. Freilich, richtige Nachbarn gibt es seit dem Autobahnbau nicht mehr hier in der Gegend. Ein Hof stand da, wo heute gezapft wird. „Die sind weggezogen. Haben sich woanders ein neues Haus gebaut.“ Wohin, weiß man nicht genau. Die anderen beiden Häuser, die man vom Küchenfenster aus sieht, haben ihre Besitzer gewechselt. „In einem wohnen überhaupt so Kroaten oder Jugoslawen.“ Die letzten Wörter spricht Toni fast tonlos, durch die Zähne. Er schaut stumm auf seine Hände, die ruhig auf der letzten Ausgabe der Dolomiten liegen. Auch in der Arbeit hat sich einiges getan, seit den 60er Jahren. Früher, als Toni noch Obst- und Gemüsehändler war und nicht nur eigene Produkte vertrieb, verbrachte er die ruhigen Wintertage mit der Her-
stellung der „Steigen“ für das Grünzeug. Drei Nagelmaschinen und eine Bandsäge standen im Keller. Die Bandsäge gibt es noch, die Nagelmaschinen wurden in den letzten Jahren verkauft. Aber auch heute gibt es immer etwas zu tun rund ums Haus. Wie einer, der untätig dasitzen kann, wirkt mein Gegenüber ganz und gar nicht. „Und wenn jemand jammert, dass er so viel arbeiten muss, das versteh ich nicht.“ Er selbst habe sein Leben lang gearbeitet und es habe ihm nicht geschadet. „Nur wenn Kinder arbeiten müssen, wird was aus ihnen.“ Der älteste Sohn bewirtschaftet mit einem seiner Brüder die Felder in Mauls. Erdbeeren werden dort angebaut. Im großen Stil. Zwei Fernlaster haben sie schon. Nicht nur für die Beeren, sie handeln auch mit zugekauften Waren, die sie international vertreiben. Wie Toni Griesser dereinst selbst. Christoph Griesser, der „Tate“ vom ersten Stock, unterstützt den Vater auf der heimatlichen Plantage. Wenn er nicht auf den Himbeerfeldern mithilft, fährt er über Land. „Happy Mode – Mode für Damen, Herren und Kinder“ steht auf seinen laminierten Visitenkarten. Darunter ist ein weißer Kleinbus aufgemalt, der so schnell von rechts nach links fährt, dass er nur noch farbige Streifen hinterlässt. Ein Sohn führt die Geschäfte in Kastelruth, einer ist Wirtschaftsberater, einer Mechaniker. Die Tochter ist verheiratet. Es ist aus allen etwas geworden. Toni Griesser schaut aus dem Fenster. Dann wieder auf seine Hände. Ob er manchmal von hier weg wolle? „Nein, niemals!“ Die Antwort kommt, ohne zu überlegen, wie ein Reflex. Zweimal in siebzig Jah-
Problemzone
ren ist er auf Urlaub gewesen. Einmal eine Woche lang mit seinem Bruder in Hamburg. Der ist Pfarrer in der Nähe von Meran und begeisterter Bergsteiger und Fotograf. Mit Diavorträgen in Deutschland und Österreich hat er das Geld für einen neuen Glockenstuhl erwirtschaftet. „Die Leute geben gern etwas mehr, wenn sie wissen, es ist für einen guten Zweck.“ Und einmal eine Woche lang in Sizilien. Mit dem Bauernbund. Aber nirgends sei es so schön wie in Südtirol. Toni Griessers Frau ist da mobiler: „Die fährt immer wieder einmal irgendwohin.“ Im Augenblick sei sie beim Arzt, werde aber bald wieder heimkommen. Ach ja, das hätte er fast vergessen: Einmal ist er in Jugoslawien gewesen, wie das damals noch hieß. Mit dem 1. Südtiroler Harmonikaverein, wo er elf Jahre lang im Ausschuss gesessen ist. „Die håben gute Ziachorgelspieler dort!“ konstatiert er anerkennend, und ich habe sofort Slavko Avseniks Oberkrainermusik im Ohr. Ob er denn heute auch noch spiele, frage ich ihn. Und jetzt plötzlich passiert etwas mit dem Griesser Toni, der seinen Blick in den letzten Minuten immer nachdenklicher zwischen Tisch, Küchenfenster und Schürze hat schweifen lassen: Er wächst empor, ein Strahlen füllt ihn von innen ganz aus, und in einem breiten Lächeln zeigt er seine blendend weißen Zähne. Im darauf folgenden Moment nimmt er sich in jahrelang eingeübter Bescheidenheit wieder etwas zurück. „Ja, schon, ab und zu. Heute Abend zum Beispiel in Barbian drüben. Bei so einer Jausenstation.“ Seit zwanzig Jahren, erzählt er mir immer noch lächelnd, spielt er in einem Trio mit wechselnder Besetzung. Zu seiner steirischen Ziehharmonika kommt wahlweise eine Gitarre mit Posaune oder Geige. 14/15
S-Methode, Gerhard Hörner, Professionelles Speed Reading, p. 63
Meistens spielen sie in Jausenstationen für Bustouristen aus der ganzen Welt oder zu Silvester in Gröden. Früher habe er auch Es-Trompete gespielt. „Die gibt’s heute gar nicht mehr.“ Als ich ihn frage, ob er denn auch gut spiele, bricht er zum ersten Mal in ein lautes Lachen aus. „Spiel ma oan?“ fragt er mit schelmischem Ausdruck, bei dem nicht ganz klar wird, wie ernst die Frage gemeint ist. Ohnehin zu überrascht, um zu antworten, sehe ich ihn bloß an. Toni Griesser nimmt mir die Entscheidung ab. „Kemmen S’! Spiel ma oan!“ verkündet er mit Begeisterung, schon im Aufstehen. Ich folge dem beschwingen 70jährigen in die Stube, wo er mir eine Gitarre in die Hand drückt. „Stimmen muss man sie noch!“ Er schnallt sich seine Steirische um und stützt den linken Fuß auf die Ofenbank, auf der auch ich sitze. Die blank polierte Strasser-Harmonika wirft das einfallende Sonnenlicht in einem wilden Tanz an die Stubendecke. Und dann spielen wir einen. Und dann noch einen. Und dann gehen wir beide befriedigt zurück an den Küchentisch. Und hier erzählt Toni Griesser nun befreit auf. Fünf Ziehorgeln habe er im Haus, zwei seien seine eigenen, drei habe er für seine Söhne gekauft. Die seien alle durchwegs musikalisch. Das komme nicht nur aus seiner Familie, der Vater seiner Frau sei auch Musiker gewesen. (Die Frau, wo bleibt sie eigentlich?) Der jüngste Sohn sei der talentierteste, ihm mangle es nur am Willen. „Schon mit zehn Jahren hat der den Deutschmeistermarsch gespielt. Der ist nicht leicht. Kennen S’ den?“ Und wir reden weiter über Volksmusik, Geselligkeit und die Kastelruther Spatzen („Die Weiberleit fliagn sie hålt ån!“). Schließlich schaut der emsige Himbeerbauer auf die Uhr. Ich
ren ist er auf Urlaub gewesen. Einmal eine Woche lang mit seinem Bruder in Hamburg. Der ist Pfarrer in der Nähe von Meran und begeisterter Bergsteiger und Fotograf. Mit Diavorträgen in Deutschland und Österreich hat er das Geld für einen neuen Glockenstuhl erwirtschaftet. „Die Leute geben gern etwas mehr, wenn sie wissen, es ist für einen guten Zweck.“ Und einmal eine Woche lang in Sizilien. Mit dem Bauernbund. Aber nirgends sei es so schön wie in Südtirol. Toni Griessers Frau ist da mobiler: „Die fährt immer wieder einmal irgendwohin.“ Im Augenblick sei sie beim Arzt, werde aber bald wieder heimkommen. Ach ja, das hätte er fast vergessen: Einmal ist er in Jugoslawien gewesen, wie das damals noch hieß. Mit dem 1. Südtiroler Harmonikaverein, wo er elf Jahre lang im Ausschuss gesessen ist. „Die håben gute Ziachorgelspieler dort!“ konstatiert er anerkennend, und ich habe sofort Slavko Avseniks Oberkrainermusik im Ohr. Ob er denn heute auch noch spiele, frage ich ihn. Und jetzt plötzlich passiert etwas mit dem Griesser Toni, der seinen Blick in den letzten Minuten immer nachdenklicher zwischen Tisch, Küchenfenster und Schürze hat schweifen lassen: Er wächst empor, ein Strahlen füllt ihn von innen ganz aus, und in einem breiten Lächeln zeigt er seine blendend weißen Zähne. Im darauf folgenden Moment nimmt er sich in jahrelang eingeübter Bescheidenheit wieder etwas zurück. „Ja, schon, ab und zu. Heute Abend zum Beispiel in Barbian drüben. Bei so einer Jausenstation.“ Seit zwanzig Jahren, erzählt er mir immer noch lächelnd, spielt er in einem Trio mit wechselnder Besetzung. Zu seiner steirischen Ziehharmonika kommt wahlweise eine Gitarre mit Posaune oder Geige.
Meistens spielen sie in Jausenstationen für Bustouristen aus der ganzen Welt oder zu Silvester in Gröden. Früher habe er auch Es-Trompete gespielt. „Die gibt’s heute gar nicht mehr.“ Als ich ihn frage, ob er denn auch gut spiele, bricht er zum ersten Mal in ein lautes Lachen aus. „Spiel ma oan?“ fragt er mit schelmischem Ausdruck, bei dem nicht ganz klar wird, wie ernst die Frage gemeint ist. Ohnehin zu überrascht, um zu antworten, sehe ich ihn bloß an. Toni Griesser nimmt mir die Entscheidung ab. „Kemmen S’! Spiel ma oan!“ verkündet er mit Begeisterung, schon im Aufstehen. Ich folge dem beschwingen 70-jährigen in die Stube, wo er mir eine Gitarre in die Hand drückt. „Stimmen muss man sie noch!“ Er schnallt sich seine Steirische um und stützt den linken Fuß auf die Ofenbank, auf der auch ich sitze. Die blank polierte Strasser-Harmonika wirft das einfallende Sonnenlicht in einem wilden Tanz an die Stubendecke. Und dann spielen wir einen. Und dann noch einen. Und dann gehen wir beide befriedigt zurück an den Küchentisch. Und hier erzählt Toni Griesser nun befreit auf. Fünf Ziehorgeln habe er im Haus, zwei seien seine eigenen, drei habe er für seine Söhne gekauft. Die seien alle durchwegs musikalisch. Das komme nicht nur aus seiner Familie, der Vater seiner Frau sei auch Musiker gewesen. (Die Frau, wo bleibt sie eigentlich?) Der jüngste Sohn sei der talentierteste, ihm mangle es nur am Willen. „Schon mit zehn Jahren hat der den Deutschmeistermarsch gespielt. Der ist nicht leicht. Kennen S’ den?“ Und wir reden weiter über Volksmusik, Geselligkeit und die Kastelruther Spatzen („Die Weiberleit fliagn sie hålt ån!“). Schließlich schaut der emsige Himbeerbauer auf die Uhr. Ich
Problemzone
verstehe den Wink. Er hat ja Recht: Es ist Zeit, wieder etwas Nützliches zu tun. Toni Griesser begleitet mich noch zum Auto. Mit einem festen Händedruck verabschiedet er sich herzlich. Ich könne jederzeit wieder vorbei kommen, wenn ich in der Gegend sei. „Und das nächste Mal, bringen S’ noch jemanden mit, dann spieln wir im Trio!“ Die Vorstellung reizt mich, und ich muss lächeln. Während ich ins Auto steige, schaue ich mich noch einmal um. Ich bemerke, dass Tonis Frau inzwischen heimgekehrt ist, die vier Garagenplätze sind wieder besetzt. Vielleicht sitzt sie mit ihrer Schwiegertochter am Küchentisch bei einem Glas Himbeersaft und schaut auf das jüngste Enkelkind. Inzwischen ist die Sonne hinter den westlichen Bergkuppen verschwunden, der Abend wird langsam kühl, auch hier, südlich des Brenners. Der Autoinnenraum hat noch etwas Tageswärme gespeichert. Ich will noch nicht nach Hause. Der Weg nach Kastelruth führt steil bergauf. Überall ausgebaute Bauernhöfe mit Zimmervermietung. Oben, am Hochplateau, verweile ich kurz neben der Straße. Reger Pendelverkehr zwischen Grödental und Seiser Alm, das Gegenstück zur A22 im Tal. Die letzten Sonnenstrahlen enthüllen ein eindrucksvolles Panorama, die Natur trägt alles auf ihrem breiten Buckel. Neben der Straße grast eine Schar bunter Hühner. Spätnachts auf der Fahrt nach Innsbruck. Kaum Verkehr auf der Autobahn Bolzano-Brennero, wenige verirrte LKWs, das monotone Rauschen der Straße unter mir. Ich komme gerade aus Bozen, wohin ich 16/17
Beidseitige Lesehilfe, Gerhard Hörner, Professionelles Speed Reading, p. 65
abends von Kastelruth aus aufgebrochen war. Im Theater hat man mir dort die Geschichte vom alten König Lear wieder erzählt. Von dem, der alles an seine Kinder weggab, und dem am Ende nichts mehr blieb. Und während ich heute schon ein zweites Mal wie von selbst an der Raststätte Isarco von der Autobahn abfahre, denke ich an Toni Griesser in seinem grünen Hemd und seiner blauen Obstbauernschürze. Der Koflerhof ist in dieser nachtschwarzen Stunde von hier aus nur zu erahnen. Ein kleiner heller Schimmer, die Reflexion der Tankstellenbeleuchtung. Kopfschüttelnd steige ich wieder ins Auto, nebenan streiten sich zwei Angetrunkene und fluchen, einer stößt mit seinem Fuß gegen eine Mülltonne, dass es kracht. Und dann fahre ich die 158 Meter durch den Autobahntunnel Kofler. Oben schlafen sie wahrscheinlich. Toni Griesser und seine Frau. Verena Griesser mit ihrem Mann und den drei kleinen Mädchen. Je weiter ich mich von ihrem Haus entferne, desto unwirklicher werden für mich die Gespräche vom Nachmittag. Das Fenster in ein anderes Leben schließt sich wieder langsam. Doch als ich den Brenner überquere, höre ich es noch einmal ganz leise im Ohr: „Und das nächste Mal, bringen S’ noch jemanden mit, dann spieln wir im Trio!“ Der Narr? Der König
verstehe den Wink. Er hat ja Recht: Es ist Zeit, wieder etwas Nützliches zu tun. Toni Griesser begleitet mich noch zum Auto. Mit einem festen Händedruck verabschiedet er sich herzlich. Ich könne jederzeit wieder vorbei kommen, wenn ich in der Gegend sei. „Und das nächste Mal, bringen S’ noch jemanden mit, dann spieln wir im Trio!“ Die Vorstellung reizt mich, und ich muss lächeln. Während ich ins Auto steige, schaue ich mich noch einmal um. Ich bemerke, dass Tonis Frau inzwischen heimgekehrt ist, die vier Garagenplätze sind wieder besetzt. Vielleicht sitzt sie mit ihrer Schwiegertochter am Küchentisch bei einem Glas Himbeersaft und schaut auf das jüngste Enkelkind. Inzwischen ist die Sonne hinter den westlichen Bergkuppen verschwunden, der Abend wird langsam kühl, auch hier, südlich des Brenners. Der Autoinnenraum hat noch etwas Tageswärme gespeichert. Ich will noch nicht nach Hause. Der Weg nach Kastelruth führt steil bergauf. Überall ausgebaute Bauernhöfe mit Zimmervermietung. Oben, am Hochplateau, verweile ich kurz neben der Straße. Reger Pendelverkehr zwischen Grödental und Seiser Alm, das Gegenstück zur A22 im Tal. Die letzten Sonnenstrahlen enthüllen ein eindrucksvolles Panorama, die Natur trägt alles auf ihrem breiten Buckel. Neben der Straße grast eine Schar bunter Hühner. Spätnachts auf der Fahrt nach Innsbruck. Kaum Verkehr auf der Autobahn Bolzano-Brennero, wenige verirrte LKWs, das monotone Rauschen der Straße unter mir. Ich komme gerade aus Bozen, wohin ich
abends von Kastelruth aus aufgebrochen war. Im Theater hat man mir dort die Geschichte vom alten König Lear wieder erzählt. Von dem, der alles an seine Kinder weggab, und dem am Ende nichts mehr blieb. Und während ich heute schon ein zweites Mal wie von selbst an der Raststätte Isarco von der Autobahn abfahre, denke ich an Toni Griesser in seinem grünen Hemd und seiner blauen Obstbauernschürze. Der Koflerhof ist in dieser nachtschwarzen Stunde von hier aus nur zu erahnen. Ein kleiner heller Schimmer, die Reflexion der Tankstellenbeleuchtung. Kopfschüttelnd steige ich wieder ins Auto, nebenan streiten sich zwei Angetrunkene und fluchen, einer stößt mit seinem Fuß gegen eine Mülltonne, dass es kracht. Und dann fahre ich die 158 Meter durch den Autobahntunnel Kofler. Oben schlafen sie wahrscheinlich. Toni Griesser und seine Frau. Verena Griesser mit ihrem Mann und den drei kleinen Mädchen. Je weiter ich mich von ihrem Haus entferne, desto unwirklicher werden für mich die Gespräche vom Nachmittag. Das Fenster in ein anderes Leben schließt sich wieder langsam. Doch als ich den Brenner überquere, höre ich es noch einmal ganz leise im Ohr: „Und das nächste Mal, bringen S’ noch jemanden mit, dann spieln wir im Trio!“ Der Narr? Der König!
Rhythmusgruppen
(Fortsetzung auf Seite 38) 18/19
Ostinato
Die Taube im 5/4-Takt oder: Wie unser Alltag musikalisch wird. Von Albert Hosp Prolog Unter Ostinato versteht man eine kleine musikalische Formel, die beständig wiederholt wird. Es kommt freilich auf den Grad der „Hartnäckigkeit“ an, dass man sie als „ostinato“ empfindet. In der Musik liegt das Ostinato sehr oft in der Bassstimme. Die Alte Musik-Szene zeigt in den letzten Jahren eine bedeutende Neigung zu solchen „bassi ostinati“, über denen dann stets eifrig und manchmal wirklich gekonnt improvisiert wird. Manchmal formen sich Akkorde zum – harmonischen – Ostinato. Das ist in der Klassik manchmal, im Jazz viel häufiger und in der Popmusik schon quälend oft anzutreffen. Jeder, der versucht hat, Wolfgang Ambros’ „Schifoan“ auf der Gitarre zu begleiten, wird entdeckt haben, dass er mit denselben Akkorden auch „Where have all the flowers gone“ und überhaupt die
Hälfte aller Folksongs spielen kann … Mag es auch schon ein halbes Jahrhundert her sein, dass John Cage meinte: „Everything we do is music“ – die klingende Welt wird nach wie vor in Musik und Geräusche eingeteilt. Aber allen Anhängern dieser Gewaltentrennung sei jetzt trotzdem nicht erspart, dass es in ihrem Alltag musikalische Ostinati gibt, ja dass der Alltag von ihnen strukturiert oder gar geprägt wird. Ihre Beharrlichkeit und dass man sie als musikalisch empfinden kann, das entsteht zwar nur selten aus der ununterbrochenen Folge, denn zwischen einer Formel und ihrer Wiederholung liegt oft ein ganzer Tag. Doch wenn wir die Zeit einmal etwas aus der Vogelperspektive betrachten, entdecken wir: Unser Leben läuft innerhalb einer Fülle von sich wiederholenden Mustern ab. Hier einige Beispiele, anhand eines Tagesablaufs, wie ihn der Autor dieser Zeilen erfährt:
Il Ritorno in Patria 1 Friedhof, Bruneck, Pustertal, Südtirol 2 Friedhof, Bruneck, Pustertal, Südtirol 3 Bruneck, Pustertal, Südtirol 4 Bruneck, Pustertal, Südtirol
In den Achzigerjahren hat W. G. Sebald Tirol durchquert und im Band „Schwindel. Gefühle“ einen wegweisenden Text über die Strecke Bruneck-Fernpass veröffentlicht (rechte Seiten). Paul Albert Leitner ist Sebalds Weg fotografisch gefolgt (linke Seiten). Im November 1987, nachdem ich die ausgehenden Sommermonate mit meinen verschiedenen Arbeiten beschäftigt in Verona, die Oktoberwochen aber, weil ich den Winter nicht mehr erwarten konnte, in einem weit oberhalb von Bruneck, am Ende der Vegetation gelegenen Hotel verbracht hatte, faßte ich eines nachmittags, als der Großvenediger auf eine besonders geheimnisvolle Weise aus einer grauen Schneewolke auftauchte, den Entschluß, nach England zurückzukehren, zuvor aber noch auf eine gewisse Zeit nach W. zu fahren, wo ich seit meiner Kindheit nicht mehr gewesen war. Weil von Innsbruck aus nur ein einziger Bus, und zwar, soviel ich in Erfahrung bringen vermochte, um sieben Uhr morgens in Richtung Schattwald geht, hatte ich keine andere Wahl, als den für mich mit unguten Erinnerungen verbundenen Nachtexpreß über den Brenner zu nehmen, der so gegen halb fünf in Innsbruck eintrifft. In Innsbruck herrsch-
te wie jedesmal, wenn ich dort, gleich zu welcher Jahreszeit, anlange, das grauenvollste Wetter. Mehr als fünf oder sechs Grad hat es gewiß nicht gehabt, und die Wolken hingen so tief herunter, daß die Häuser in ihnen nicht verschwanden und die Morgendämmerung nicht aufkommen konnte. Zudem regnete es ohne Unterlaß. Es war also ausgeschlossen, in die Stadt hinein oder ein Stück den Inn entlang zu spazieren. Ich schaute auf den verlassen daliegenden Bahnhofsvorplatz hinaus. Ab und zu bewegte sich langsam irgendein Fahrzeug über die schwarz glänzenden Straßen. Letzte Exemplare einer im Aussterben begriffenen amphibischen Art, die nun zurückgezogen in die Tiefe des Wassers. Auch die Schalterhalle war leer bis auf einen kleinen kropfigen Menschen in einem Wetterfleck. Den zusammengeklappten, tropfnassen Regenschirm mit der Spitze nach oben wie einen Karabiner gegen die Schulter haltend, ging er gemessenen
5 Brenner Paß, Südtirol 6 Außerfern, Tirol 7 Busbahnhof, Innsbruck, Tirol 8 Busstop Fernstein See, Tirol 9 Busstop Zollamt Oberjochpaß, Tirol – Bayern
Schritts auf und ab und vollführte derart exakte Kehrtwendungen, als bewache er das Grab des Unbekannten Soldaten. Einer nach dem anderen kamen dann die Sandler zum Vorschein, kaum daß man hätte sagen können, von wo. Ein Dutzend Sandler waren es zuletzt insgesamt und eine Sandlerin. Sie bildeten eine bewegte Gruppe um einen Kasten Gösser-Bier, der wundersamerweise, gewissermaßen aus dem Nichts hervorgezaubert, auf einmal in ihrer Mitte stand. Verbunden untereinander durch die weit über die Landesgrenzen hinaus für ihren Extremismus bekannte Tiroler Trunksucht, verbreiteten sich diese teils kaum erst aus dem bürgerlichen Leben ausgeschiedenen, teils ganz und gar zerrütteten Innsbrucker Sandler, die durch die Bank einen Zug ins Philosophische, ja sogar ins Theologische hatten, über das Tagesgeschehen sowohl als über den Grund aller Dinge, wobei es regelmäßig gerade denjenigen die besonders lauthals das Wort ergriffen, mitten im Satz die Rede verschlug. Mit der größtmöglichen Theatralik und Endgültigkeit unterstrichen die Sandler ihre jeweiligen Ausführungen zu dem, was grad zur Debatte stand, und auch wenn einer von ihnen voller Verachtung abwinkte, weil er den Gedanken, den er eben noch im Kopf gehabt hatte, nicht mehr in
Worte fassen konnte, kam es mir vor, als entstammten diese Gesten dem Repertoire einer besonderen, auf unseren Bühnen völlig unbekannten Schauspielkunst. Möglicherweise lag das daran, daß die Sandler, die sämtliche in der Rechten ihre Bierflaschen hielten, gewissermaßen einarmig und linkshändig spielten. Und möglicherweise, so schloß ich aufgrund dieser Beobachtung, wäre es also sinnvoll, wenn man allen Schauspielschülern zu Beginn ihrer Ausbildung ein Jahr lang die rechte Hand auf den Rücken binden würde. Mit derlei Betrachtungen verging mir die Zeit, bis die Pendler in zunehmender Zahl durch die Vorhalle strebten und die Sandler sich verzogen. Um Punkt sechs Uhr sperrten die sogenannten Tiroler Stuben auf. Ich setzte mich hinein in diese alle anderen mir bekannten Bahnhofswirtschaften an Trostlosigkeit bei weitem übertreffende Restauration, bestellte mir einen Morgenkaffee und blätterte in den Tiroler Nachrichten. Beide, der Tiroler Morgenkaffee und die Tiroler Nachrichten wirkten sich auf meine Verfassung eher ungünstig aus. Es wunderte mich darum keineswegs, daß die Dinge noch eine schlimmere Wendung nahmen, als die Bedienerin, der gegenüber ich eine meines Erachtens gar nicht unfreundliche Bemerkung über den Tiroler Zichorienkaffee hatte fal-
13 Nassereith, Tirol 14 Nassereith, Tirol 15 Grän, Tirol 16 Grenzstein Land Tirol – Bayern
len lassen, mir auf die bösartigste Weise, die man sich denken kann, das Maul anhängte. Durchfroren und übernächtigt wie ich war, ging mir die Ausgeschämtheit dieser Innsbrucker Bedienerin wie ein Nervengift unter die Haut. Die Buchstaben zitterten und verschwammen vor meinen Augen, und mehrmals hatte ich ein Gefühl, als sei in mir alles am Verstocken. Erst als der Bus aus der Stadt hinausrollte, wurde mir allmählich ein wenig wohler. Nach wie vor kam in Strömen der Regen herunter, dermaßen, daß selbst die unweit der Straße gelegenen Häuser nur schemenhaft zu erkennen, die Berge nicht einmal zu erahnen waren. Bisweilen hielt der Bus und ließ eines der alten Weiber einsteigen, die in gewissen Abständen unter ihren schwarzen Regendächern an der Straße standen. Es kam auf diese Weise bald eine ganze Anzahl solcher Tiroler Weiber zusammen. Sie unterhielten sich in ihrem mir aus der Kindheit vertrauten, hinten im Hals wie eine Vogelsprache artikulierten Dialekt vornehmlich, ja ausschließlich von dem nicht mehr enden wollenden Regen, der an vielen Orten schon ganze Berghänge in Bewegung gebracht hatte. Von dem auf den Feldern verfaulenden Heu und den im Boden verfaulenden Kartoffeln war
die Rede, von den Johannisbeeren, aus denen nun bereits das dritte Jahr nichts geworden war, vom Holder, der heuer erst Anfang August geblüht habe und noch in der Blüte völlig verregnet worden sei, sowie davon, daß man weit und breit nicht einen einzigen eßbaren Apfel habe ernten können. Wie sie weiter die Folgen des offenbar immer minder werdenden Wetters, der mangelnden Wärme und des mangelnden Lichts erörterten, tat es draußen, zuerst nur ganz wenig und dann mehr und mehr, auf. Man konnte den Inn sehen, seine durch weite Steinfelder mäandernden Wasser, und bald schon sah man auch schöne grüne Wiesen. Die Sonne trat hervor, die ganze Landschaft erglänzte, die Tirolerinnen verstummten eine nach der anderen und schauten bloß noch hinaus auf das, was da draußen vorbeizog wie ein Wunder. Mir selber erging es ganz ähnlich. Die frisch gefirnißte Gegend – wir fuhren jetzt aus dem Inntal heraus in Richtung Fernpaß –, die dampfenden Wälder, das blaue Himmelsgewölbe, es war selbst für mich, der ich aus dem Süden heraufkam und die Tiroler Dunkelheit ein paar Stunden bloß hatte aushalten müssen, wie eine Offenbarung. Einmal fielen mir ein paar Hühner auf mitten in einem grünen Feld, die sich, obschon es doch noch gar nicht lang zu regnen aufgehört hatte, ein für
17 Tannheimer Tal, Tirol 18 Außerfern, Tirol 19 bei Nesselwängle, Außerfern, Tirol 20 bei Nesselwängle, Außerfern, Tirol
die winzigen weißen Tiere, wie es mir schien, endloses Stück von dem Haus entfernt hatten, zu dem sie gehörten. Aus einem mir nach wie vor nicht ganz erfindlichen Grund ist mir der Anblick dieser so weit ins offene Feld sich hinauswagenden kleinen Hühnerschar damals sehr ans Herz gegangen. Überhaupt weiß ich nicht, was es ist an bestimmten Dingen oder Wesen, das mich manchmal so rührt. Nach und nach kamen wir höher hinauf. Die brandroten Lärchenstände leuchteten an den Seiten der Berge, und es zeigte sich, daß es sehr weit heruntergeschneit hatte. Wir überquerten den Fernpaß. Ich verwunderte mich über die Geröllhalden, die von den Bergen herunter in die Wälder hineingriffen so wie Finger ins Haar, und es erstaunte mich wieder die schleierhafte Zeitlupenhaftigkeit der wenigstens solange ich denken konnte unverändert über die Felswände herabstürzenden Bäche. An einer Wegkehre sah ich aus dem sich drehenden Autobus in die Tiefe hinunter und erblickte die dunkeltürkisgrünen Flächen des Fernstein-Sees und des Samaranger Sees, die mir schon in der Kindheit, als wir mit dem 170er Diesel des Schofförs Göhl den ersten Ausflug ins Tirol machten, wie der Inbegriff aller nur erdenklichen Schönheit vorgekommen waren.
Gegen Mittag – die Tirolerinnen waren längst alle in Reutte, in Weißenbach, in Haller, Tannheim und Schattwald ausgestiegen – erreichte der Bus mit mir als dem letzten Fahrgast das Zollamt von Oberjoch. Das Wetter hatte inzwischen wieder umgeschlagen. Eine dunkle, ins Schwarzfarbene übergehende Wolkendecke lag über dem ganzen Tannheimer Tal, das einen niedergedrückten, lichtlosen und gottverlassenen Eindruck machte. Nirgends rührte sich das geringste. Nicht einmal ein einziges Automobil war zu sehen auf der weit hinten in der Tiefe des Tals sich verlierenden Strecke. Auf der einen Seite stiegen die Berge in den Nebel hinein, auf der anderen dehnte sich eine nasse Moorwiese, und dahinter erhob sich aus dem Vilsgrund herauf der kegelförmige, aus nichts als aus schwarzblauen Fichten bestehende Pfrontner Wald. Der diensthabende Zöllner, der, wie er mir sagte, in Maria Rain zu Hause war, versprach mir, meine Tasche nach Feierabend, wenn er auf der Heimfahrt durch W. komme, für mich im Engelwirt abzuladen. Ich konnte also, nachdem ich ein paar weitere Worte mit ihm über die elende Jahreszeit gewechselt hatte, bloß mit dem kleinen ledernen Rucksack über der Schulter durch die ans Niemandsland grenzenden Moorwiesen und den Alpsteigtobel hinab
21 Kapelle in Krummenbach, Bayern 22 Kapelle in Krummenbach, Bayern 23 Haus am Alpsteig, vis-à-vis Kapelle in Krummenbach, Bayern Text: © Eichborn AG, Frankfurt am Main, 1990
nach Krummenbach und von dort über das Unterjoch, die Pfeiffermühle und das Enge Plätt nach W. hinausgehen. Der Tobel war erfüllt von einer Dunkelheit, wie ich sie mitten am Tag nicht für möglich gehalten hätte. Nur zu meiner Linken, über dem vom Weg aus nicht sichtbaren Bachlauf schwebte ein wenig schütteres Licht. Astlose, gut siebzig- bis achtzigjährige Fichten standen die Abhänge hinauf. Selbst diejenigen, die zuunterst aus dem Tobelgrund emporwuchsen, hatten erst weit überhalb des Niveaus, auf welchem der Weg fortlief, schwarzgrüne Wipfel. Immer wieder, wenn die Luft dort droben etwas in Bewegung geriet, regnete das Tropfwasser in Güssen herunter. Stellenweise, wo es lichter war, wuchsen vereinzelte, längst blattlose Buchen, das Geäst und die Stämme von der fortwährenden Nässe geschwärzt. Keinen Laut gab es in dem Tobel als den des Wassers auf seinem Grund, keinen Vogelschrei, nichts. In zunehmendem Maße verspürte ich ein Gefühl der Beklemmung in meiner Brust, und es war mir auch, als ob es, je weiter ich hinunterkam, desto kälter und finsterer werde. An einem der wenigen halbwegs offenen Plätze, wo man von einer Art Kanzel sowohl auf den Wasserfall und Gumpen hinab- als auch hoch in den Himmel hinaufschauen konnte, ohne daß sich
hätte sagen lassen, welche Blickrichtung die unheimlichere war, sah ich durch die, wie es schien, endlos aufragenden Bäume, daß in der bleigrauen Höhe ein Schneegestöber ausgebrochen war, von dem jedoch nichts bis in den Tobel hereindrang. Als nach einer weiteren halben Wegstunde das Tobel zu Ende ging und der Wiesengrund von Krummenbach sich auftat, blieb ich lang unter den letzten Bäumen stehen und schaute mir, aus dem Dunkel heraus, das wunderbare weißgraue Schneien an, von dessen Lautlosigkeit die wenige fahle Farbe in den nassen, verlassenen Feldern vollends ausgelöscht wurde. Unweit des Waldrands steht die Krummenbacher Kapelle, die so klein ist, daß mehr als ein Dutzend auf einmal darin gewiß nicht ihren Gottesdienst verrichten oder ihre Andacht üben konnten. Ich setzte mich eine Zeitlang hinein in dieses gemauerte Gehäuse. Draußen vor dem winzigen Fenster trieben die Schneeflocken vorbei, und bald kam es mir vor, als befände ich mich in einem Kahn auf der Fahrt und überquerte ein großes Wasser. Der feuchte Kalkgeruch verwandelte sich in Seeluft; ich spürte den Zug des Fahrtwinds an der Stirn und das Schwanken des Bodens unter meinen Füßen und überließ mich der Vorstellung einer Schiffsreise aus dem überschwemmten Gebirge hinaus.
Basislager
Die Gletscherspalte ist eine Instinkt-Angelegenheit. Ich bin als Kind – mit sechs, mit sieben, mit zehn Jahren – einfach so als Halbwilder ins Gebirge gekommen und habe gerochen: Das kann man, das nicht, hier ist es gefährlich. Aber mit zehn oder zwölf, also ich zwar zwölf, mein Bruder war zehn, haben wir schon schwierige Wände geklettert. Wir hatten im Grunde keine Ahnung, wenn ich es von heutigen Blickwinkel aus sehe. Wir hatten einen gut ausgebildeten Instinkt. Mit 20 bin ich in die Welt gekommen und habe die Lehrmeister getroffen, die berühmten Leute, die mich mitgenommen haben, die mich unterstützt haben. Sie waren besser als ich. Nur instinktmäßig waren sie mir unterlegen. Die haben gemeint: Probieren wir es da. Ich habe aber gleich gesehen: Das geht nicht, weil der Fels nicht gut ist. Wie willst denn du das wissen? Weil ich das sehe. Ich hatte anderen nur instinktmäßig etwas voraus. Was Fels und Wetter und Eis angeht. Ich war wie ein Tier. Nur deswegen bin ich bis heute am Leben geblieben. Als Kind war ich nichts als ein naiver Kletterer. Da war noch niemand über diese Wand, jene Kante hinaufgeklettert. Also probieren wir es jetzt. Am Beginn mit wenig Know-how, dann mit dem Know-how der besten Leute alpenweit, am Ende alleine. Dann kam natürlich der Ehrgeiz, die Herausforderung, besser zu werden. Also gingen wir den nächsten Schritt. Es war immer der nächste Schritt, der mich forderte. Und am Schluss, nach den Alpen, kamen die Anden, kam der Himalaja. Und im Himalaja gab es viele Routen, die noch niemand geklettert hatte. Genau die wollte ich knacken. Da traten plötzlich Wissenschaftler und Mediziner auf den Plan und sagten: Der Everest
30/31
len Lehrbüchern. – Wer hat denn die Lehrbücher geschrieben? – Mediziner natürlich. – Darauf sage ich: Schauen wir mal. Ob es wirklich nicht möglich ist, wissen wir nur, wenn wir es versuchen. Und dann war es plötzlich möglich. In dieser Zeit habe ich ein Tabu nach dem anderen gebrochen. Everest ohne Maske, Everest im Alleingang, den ersten Alleingang auf einen Achttausender, Doppelüberschreitung von zwei Achttausendern. Vor zwanzig Jahren hat niemand gedacht, dass einer alle 14 Achttausender in einem einzigen Leben besteigen kann. Heute ist so was nicht an der Tagesordnung, aber gut machbar. Und dann kam die Antarktis. Niemand hatte je die Antarktis zu Fuß durchquert. Als ich die Achttausender alle bestiegen hatte und immer noch zu jung war, um vor dem Fernseher auf die Rente zu warten, habe ich mich gefragt: Die Pole sind doch größer, weiter, kälter. Wie funktioniert das? Es ist mir nicht alles gelungen, ich wollte auch zu Fuß von Sibirien über den Pol nach Kanada gehen, ohne Unterstützung aus der Luft. Dabei bin ich gescheitert. Aber ich habe als Erster Grönland der Länge nach durchquert, als Erster den Osten von Tibet zu Fuß, Wüsten, Urwälder. Nächstes Jahr, wenn ich nicht mehr im EU-Parlament sitze, versuche ich wieder, 3000 km durch die Wüste zu gehen. Nach der Politik bin ich sofort in einer Wüste. Zuletzt hab ich diese Idee entwickelt, mit eigenen Mitteln, Energien ein Museum zu entwickeln. Das ist mein 15. Achttausender. Von Null bis zum Gesamtkunstwerk. Am Beginn war da nur eine Idee: Ich wollte in Südtirol ein Bergmuseum aufbauen. Mit der Zeit – nach fünf, sechs Jahren – wurde die Idee zu einer Vision und mit Schloss Sigmundskron
„Bergsteigen sei gefährlich …“
Reinhold Messner über Hitze, Kälte, Sauerstoffmangel im Himalaja und warum die Errichtung des Museums Sigmundskron bei Bozen sein 15. Achttausender ist. Aufgezeichnet von Gustav Kuhn Die Gletscherspalte ist eine Instinkt-Angelegenheit. Ich bin als Kind – mit sechs, mit sieben, mit zehn Jahren – einfach so als Halbwilder ins Gebirge gekommen und habe gerochen: Das kann man, das nicht, hier ist es gefährlich. Aber mit zehn oder zwölf, also ich zwar zwölf, mein Bruder war zehn, haben wir schon schwierige Wände geklettert. Wir hatten im Grunde keine Ahnung, wenn ich es vom heutigen Blickwinkel aus sehe. Wir hatten einen gut ausgebildeten Instinkt. Mit 20 bin ich in die Welt gekommen und habe die Lehrmeister getroffen, die berühmten Leute, die mich mitgenommen haben, die mich unterstützt haben. Sie waren besser als ich. Nur instinktmäßig waren sie mir unterlegen. Die haben gemeint: Probieren wir es da. Ich habe aber gleich gesehen: Das geht nicht, weil der Fels nicht gut ist. Wie willst denn du das wissen? Weil ich das sehe. Ich hatte anderen nur instinktmäßig etwas voraus. Was Fels und Wetter und Eis angeht. Ich war wie ein Tier. Nur deswegen bin ich bis heute am Leben geblieben. Als Kind war ich nichts als ein naiver Kletterer. Da war noch niemand über diese Wand, jene Kante hinaufgeklettert. Also probieren wir es jetzt. Am Beginn mit wenig Know-how, dann mit dem Know-how der besten Leute alpenweit, am Ende alleine. Dann kam natürlich der Ehrgeiz, die Herausforderung, besser zu werden. Also gingen wir den nächsten Schritt. Es war immer der nächste Schritt, der mich forderte. Und am Schluss, nach den Alpen, kamen die Anden, kam der Himalaja. Und im Himalaja gab es viele Routen, die noch niemand geklettert hatte. Genau die wollte ich knacken. Da traten plötzlich Wissenschaftler und Mediziner auf den Plan und sagten: Der Everest, da kann der Messner nicht so einfach hingehen und hinaufsteigen, da wiegt allein die Sauerstoffausrüstung 50 Kilo. Wie will er denn 50 Kilo bis unter den Gipfel tragen? – Darauf hab’ ich gesagt: Dann gehe ich eben ohne hinauf. – Das ist nicht möglich, es ist rechnerisch bewiesen, hat es geheißen. – Meine Frage: Wer sagt, dass das nicht möglich ist? – Ja, das steht in al-
len Lehrbüchern. – Wer hat denn die Lehrbücher geschrieben? – Mediziner natürlich. – Darauf sage ich: Schauen wir mal. Ob es wirklich nicht möglich ist, wissen wir nur, wenn wir es versuchen. Und dann war es plötzlich möglich. In dieser Zeit habe ich ein Tabu nach dem anderen gebrochen. Everest ohne Maske, Everest im Alleingang, den ersten Alleingang auf einen Achttausender, Doppelüberschreitung von zwei Achttausendern. Vor zwanzig Jahren hat niemand gedacht, dass einer alle 14 Achttausender in einem einzigen Leben besteigen kann. Heute ist so was nicht an der Tagesordnung, aber gut machbar. Und dann kam die Antarktis. Niemand hatte je die Antarktis zu Fuß durchquert. Als ich die Achttausender alle bestiegen hatte und immer noch zu jung war, um vor dem Fernseher auf die Rente zu warten, habe ich mich gefragt: Die Pole sind doch größer, weiter, kälter. Wie funktioniert das? Es ist mir nicht alles gelungen, ich wollte auch zu Fuß von Sibirien über den Pol nach Kanada gehen, ohne Unterstützung aus der Luft. Dabei bin ich gescheitert. Aber ich habe als Erster Grönland der Länge nach durchquert, als Erster den Osten von Tibet zu Fuß, Wüsten, Urwälder. Nächstes Jahr, wenn ich nicht mehr im EU-Parlament sitze, versuche ich wieder, 3000 km durch die Wüste zu gehen. Nach der Politik bin ich sofort in einer Wüste. Zuletzt hab ich diese Idee entwickelt, mit eigenen Mitteln, Energien ein Museum zu entwickeln. Das ist mein 15. Achttausender. Von Null bis zum Gesamtkunstwerk. Am Beginn war da nur eine Idee: Ich wollte in Südtirol ein Bergmuseum aufbauen. Mit der Zeit – nach fünf, sechs Jahren – wurde die Idee zu einer Vision und mit Schloss Sigmundskron in Verbindung gebracht, was die Begeisterung einiger Politiker fand. Aber dann war „die Zeitung“ dagegen. Es wurde ein Spiel daraus, ein politisches Spiel mit den Medien. Es gab ein ewiges Hin und Her und ich habe gesagt: Gut, wenn ich in Südtirol nicht darf, gehe ich woan-
Basislager
ders hin. Jetzt habe ich den Monte Rite bei Cortina als Zwischenlager erfunden, als Ausweiche. Die Diskussion um Bozen und Sigmundskron ging fünf Jahre weiter: Möglich, nicht möglich. Ich hatte mich in der Zwischenzeit so in dieses Sigmundskron vertieft, ein Konzept entwickelt, dass es zur Voraussetzung für das Ganze wurde: Sigmundskron als Zentrum und vier Ableger dazu. Am Ende war klar: Das mache ich. In jedem Fall. Ich konnte nicht mehr anders. Ich habe viel Energie, Geld und viel zu viel Zeit investiert, um aufzugeben. Ich habe auch mit den Nordtirolern verhandelt, die geholfen hätten, wenn ich in Bozen nicht zurechtgekommen wäre. Dem Südtiroler Landeshauptmann hab’ ich gesagt: Ich kämpfe bis zuletzt, aber wenn’s nicht geht, bin ich weg. Meinen Werbewert nehme ich mit und mache für eine andere Region Werbung, wie ich es bisher für Südtirol umsonst getan habe. Es sind Hunderttausende von Touristen im Jahr, die allein ich bringe. Nein, ich habe nie einen Pfennig dafür gewollt, ich hielt Vorträge in Hamburg oder Berlin oder wo auch immer und Südtirol kam dabei immer vor. Die Trentiner haben angeboten: Wenn Bozen nicht klappt, bekommst du Beseno
Basis ist die kulturelle Arbeit, die ich seit 30 Jahren leiste. Und deshalb will ich dieses Museum gestalten. Ich werde es auch über die Runden bringen. Natürlich möchte ich das beste Bergmuseum machen, das es weltweit gibt. Kein anderes darf ihm nur nahe kommen. Wieder einmal ist es der letzte Moment. Wenn ich’s nicht schaffe, wird es Berg-Disney-Land geben. Die Franzosen haben ein Projekt Chamonix und 30 Millionen Euro, um ihr Bergmuseum zu machen. Noch haben sie nur ein Projekt und ein solches habe ich seit zehn Jahren. Sie haben nicht angefangen, ich schon. Wenn sie mir noch zwei Jahre Zeit geben, bis ich in Sigmundskron fertig bin, brauchen sie nicht mehr anzufangen. Dann haben sie wenig Chancen, die Nummer eins zu werden. Solange ich lebe und meinem Museum Arbeit und Leben gebe, haben sie keine Chance. Gilt es doch Inhalt zu finden, einen Menschen, der viel weiß. Es reicht nicht, die Mittel zu haben, die Kunstschätze zu finden, das wichtigste ist der geistige Inhalt. Dabei tun sich viele schwer. Nicht weil ich überall die Finger drin habe, weltweite Kontakte habe. Ohne Wissen ist meine Sache nicht zu machen. Ich ziehe die Fäden und habe im Moment eine Person im Hintergrund, die mir Arbeit für dieses Projekt abnimmt. Ich habe das ganze im Kopf. Nur, wenn ich umkomme, ist das Projekt nicht durchsetzbar. Fragt mich diese Person eines schönen Tages: Was ist denn, wenn du es nicht überlebst, ehe es fertig ist? Sage ich: Dann ist alles zu vergessen. Leider, im Moment kann es niemand sonst umsetzen. Aber ich komme schon nicht um. Bis 2006 komme ich nicht um. Dann aber – wenn das Museum fertig und gefüllt sein wird – läuft es ohne mich. Dann bin ich überflüssig und fange was Neues an. Was ich tue, ist wirtschaftlich nicht rechenbar. Im Großen und Ganzen aber waren auch alle meine Expeditionen nicht machbar. Meine Kritiker haben oft gesagt: Das kann er doch nicht selber finanzieren. Trotzdem, ich habe seit 1975 alle meine Reisen selbst finanziert. Indem ich minimalistisch gearbeitet habe. Ich habe als Erster gelernt, wie man anstatt 500.000 Euro für einen Everest
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ders hin. Jetzt habe ich den Monte Rite bei Cortina als Zwischenlager erfunden, als Ausweiche. Die Diskussion um Bozen und Sigmundskron ging fünf Jahre weiter: Möglich, nicht möglich. Ich hatte mich in der Zwischenzeit so in dieses Sigmundskron vertieft, ein Konzept entwickelt, dass es zur Voraussetzung für das Ganze wurde: Sigmundskron als Zentrum und vier Ableger dazu. Am Ende war klar: Das mache ich. In jedem Fall. Ich konnte nicht mehr anders. Ich habe viel Energie, Geld und viel zu viel Zeit investiert, um aufzugeben. Ich habe auch mit den Nordtirolern verhandelt, die geholfen hätten, wenn ich in Bozen nicht zurechtgekommen wäre. Dem Südtiroler Landeshauptmann hab’ ich gesagt: Ich kämpfe bis zuletzt, aber wenn’s nicht geht, bin ich weg. Meinen Werbewert nehme ich mit und mache für eine andere Region Werbung, wie ich es bisher für Südtirol umsonst getan habe. Es sind Hunderttausende von Touristen im Jahr, die allein ich bringe. Nein, ich habe nie einen Pfennig dafür gewollt, ich hielt Vorträge in Hamburg oder Berlin oder wo auch immer und Südtirol kam dabei immer vor. Die Trentiner haben angeboten: Wenn Bozen nicht klappt, bekommst du Beseno. Jedenfalls habe ich am Ende eine Ausschreibung zu Sigmundskron gewonnen. Damit wurde mein Konzept realisierbar. Jetzt ist mein Spiel gewonnen, ich habe ein Zentrum für mein Museumsprojekt, es gilt aber, das beste daraus zu machen. Ich habe viel gesehen und viel erlebt, bin mit vielen Menschen zusammen gekommen, die in den Gebirgen der Erde daheim sind. Und natürlich habe ich auch viel darüber gelesen. Heute habe ich Erfahrung, ein breites Wissen und kann mir vorstellen, wie man die Berge vor Jahrtausenden gesehen hat. Deshalb muss ich nichts dazu erfinden. Ich muss nicht fragen: Was wird der Berg in 2000 Jahren für die Tibeter bedeuten oder was sagte er vor 500 Jahren den Inkas? Ich habe es im Hinterkopf. Dazu kann ich jemanden ansetzen mit der Bitte: Studier’ mir das genau. Hol mir die Unterlagen, genau zu diesem Punkt, weil ich weiß, da liegt der Schlüssel. Im Großen und Ganzen. Ich habe mir eine Art Überblick erarbeitet. Durch das Gehen, das Studieren und vor allem durch das Schreiben. Ich habe an die 40 Bücher geschrieben. Meine Basis heute ist nicht das Klettern, meine
Basis ist die kulturelle Arbeit, die ich seit 30 Jahren leiste. Und deshalb will ich dieses Museum gestalten. Ich werde es auch über die Runden bringen. Natürlich möchte ich das beste Bergmuseum machen, das es weltweit gibt. Kein anderes darf ihm nur nahe kommen. Wieder einmal ist es der letzte Moment. Wenn ich’s nicht schaffe, wird es Berg-Disney-Land geben. Die Franzosen haben ein Projekt für Chamonix und 30 Millionen Euro, um ihr Bergmuseum zu machen. Noch haben sie nur ein Projekt und ein solches habe ich seit zehn Jahren. Sie haben nicht angefangen, ich schon. Wenn sie mir noch zwei Jahre Zeit geben, bis ich in Sigmundskron fertig bin, brauchen sie nicht mehr anzufangen. Dann haben sie wenig Chancen, die Nummer eins zu werden. Solange ich lebe und meinem Museum Arbeit und Leben gebe, haben sie keine Chance. Gilt es doch Inhalte zu finden, einen Menschen, der viel weiß. Es reicht nicht, die Mittel zu haben, die Kunstschätze zu finden, das wichtigste ist der geistige Inhalt. Dabei tun sich viele schwer. Nicht weil ich überall die Finger drin habe, weltweite Kontakte habe. Ohne Wissen ist meine Sache nicht zu machen. Ich ziehe die Fäden und habe im Moment eine Person im Hintergrund, die mir Arbeit für dieses Projekt abnimmt. Ich habe das ganze im Kopf. Nur, wenn ich umkomme, ist das Projekt nicht durchsetzbar. Fragt mich diese Person eines schönen Tages: Was ist denn, wenn du es nicht überlebst, ehe es fertig ist? Sage ich: Dann ist alles zu vergessen. Leider, im Moment kann es niemand sonst umsetzen. Aber ich komme schon nicht um. Bis 2006 komme ich nicht um. Dann aber – wenn das Museum fertig und gefüllt sein wird – läuft es ohne mich. Dann bin ich überflüssig und fange was Neues an. Was ich tue, ist wirtschaftlich nicht rechenbar. Im Großen und Ganzen aber waren auch alle meine Expeditionen nicht machbar. Meine Kritiker haben oft gesagt: Das kann er doch nicht selber finanzieren. Trotzdem, ich habe seit 1975 alle meine Reisen selbst finanziert. Indem ich minimalistisch gearbeitet habe. Ich habe als Erster gelernt, wie man anstatt 500.000 Euro für eine Everest-Besteigung 30.000 Euro ausgibt (im heutigen Geldwert). Am Hidden Peak haben Peter Habeler – ein exzellenter Bergsteiger aus
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aus Nordtirol – und ich ein 50stel des üblichen ausgegeben. Wie das gegangen ist? Indem wir nur zu zweit hinfuhren und nur 200 Kilo Gepäck hatten. Statt 10 Tonnen. Ganz simpel. Das heißt: Ich habe einen neuen, einen frechen Weg gesucht. Ich habe die erste leichte Expedition gemacht. 200 Kilogramm für einen Achttausender! Die kleinste vorher auf einem Achttausender hatte zwei Tonnen – zwei Tonnen! Und das war schon vorbildlichst! Wir hatten 200 Kilo und wir waren zu zweit. Wir hatten keine Hochträger, niemanden im Basislager und haben es trotzdem geschafft. Am Ende habe ich frech gesagt: Wir hatten mehr Erfolg als die anderen. Die haben von 20 Leuten oft nur zwei hinaufgebracht, wir waren alle, zu 100 Prozent oben. Ich spiele heute mehr als früher. Was ich heute tue, hätte ich früher nie getan, alles auf eine Karte setzen, alles riskieren. Wenn mein Sigmundskron nicht funktioniert, gehe ich pleite. Dann ist das Land Südtirol der Gewinner, denn das Land übernimmt das Ganze. Aber Sigmundskron wird funktionieren. Ich habe da keine Bedenken. Vor 25 Jahren, beim Alleingang am Nanga Parbat, hatte ich mehr Bedenken.
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Antarktis war es am schlimmsten. Du weißt genau, es ist die Hölle, dauert monatelang, du warst nie dort, es ist immer 40 Grad kalt und es gibt keine Möglichkeit, sich zurückzuziehen. Wenn ich mir das alles vorstelle, sagt mir der Hausverstand: nicht überlebbar. Also darf ich es nicht machen. Und gehe doch! Hitze ist nicht so schwierig zu meistern wie Kälte. Also mehr Angst habe ich vor der Kälte. Kälte auf Dauer, über Monate – kann sich niemand vorstellen. Ich bin überzeugt davon, dass die allermeisten von uns, ob in Innsbruck, Bozen oder München, in einem minus 40 Grad kalten Kühlhaus nach zwei Stunden nicht mehr wissen, was zu tun ist. Unterkühlung macht wahnsinnig. In der Antarktis aber ist es drei Monate lang Tag und Nacht 40 Grad kalt. In ein Kühlhaus rein- und wieder rausgehen, ist kein Problem. Aber nach zehn Minuten wird’s kalt und nach zwei Stunden bist du so unterkühlt, dass du nicht mehr weißt, was du tun könntest, um zu überleben. In der Antarktis kann ich gehen, in Bewegung bleiben. Du musst etwas tun, sonst ist es nicht zu überleben. In der Hitze, in der Sahara im letzten Sommer zum
Nordtirol – und ich ein 50stel des Üblichen ausgegeben. Wie das gegangen ist? Indem wir nur zu zweit hinfuhren und nur 200 Kilo Gepäck hatten. Statt 10 Tonnen. Ganz simpel. Das heißt: Ich habe einen neuen, einen frechen Weg gesucht. Ich habe die erste leichte Expedition gemacht. 200 Kilogramm für einen Achttausender! Die kleinste vorher auf einen Achttausender hatte zwei Tonnen – zwei Tonnen! Und das war schon vorbildlichst! Wir hatten 200 Kilo und wir waren zu zweit. Wir hatten keine Hochträger, niemanden im Basislager und haben es trotzdem geschafft. Am Ende habe ich frech gesagt: Wir hatten mehr Erfolg als die anderen. Die haben von 20 Leuten oft nur zwei hinaufgebracht, wir waren alle, zu 100 Prozent oben. Ich spiele heute mehr als früher. Was ich heute tue, hätte ich früher nie getan, alles auf eine Karte setzen, alles riskieren. Wenn mein Sigmundskron nicht funktioniert, gehe ich pleite. Dann ist das Land Südtirol der Gewinner, denn das Land übernimmt das Ganze. Aber Sigmundskron wird funktionieren. Ich habe da keine Bedenken. Vor 25 Jahren, beim Alleingang am Nanga Parbat, hatte ich mehr Bedenken. Ob ich’s überlebe? Um es auf einen Nenner zu bringen: Ich lebe zwischen der Selbstverschwendung und der möglichen Selbstzerstörung. Das heißt, ich gebe alles an Energie, an Mitteln und Zeit und kann dabei umkommen. Wobei bei den früheren Touren konkret die Selbstzerstörung, der Tod möglich gewesen wäre. Das ist nicht schizophren! Aber jeder sagt: Der muss einen Vogel haben. Alles hergeben, um umzukommen – das ist verrückt. Heute bedeutet die Selbstzerstörung eventuell die Pleite – natürlich auch die Demontage. Das heißt, ich verliere mit dem Scheitern mein Renommee. Aber ich setze nach wie vor alles ein, gehe genau dazwischen durch, zwischen Selbstverschwendung und Selbstzerstörung. Ich hatte auch wegen Sigmundskron viele schlaflose Nächte. Aber früher, vor den großen Touren, hatte ich mehr Angst als heute. Viel mehr. Dieses Aufwachen um drei Uhr früh! Ich kenne es seit vielen Jahren. Es kommt immer vor schwierigen Projekten. Weil ich weiß, dieses oder jenes könnte nicht klappen. Oder ich könnte Fehler machen und bin dann tot. Vor der
Antarktis war es am schlimmsten. Du weißt genau, es ist die Hölle, dauert monatelang, du warst nie dort, es ist immer 40 Grad kalt und es gibt keine Möglichkeit, sich zurückzuziehen. Wenn ich mir das alles vorstelle, sagt mir der Hausverstand: nicht überlebbar. Also darf ich es nicht machen. Und gehe doch! Hitze ist nicht so schwierig zu meistern wie Kälte. Also mehr Angst habe ich vor der Kälte. Kälte auf Dauer, über Monate – kann sich niemand vorstellen. Ich bin überzeugt davon, dass die allermeisten von uns, ob in Innsbruck, Bozen oder München, in einem minus 40 Grad kalten Kühlhaus nach zwei Stunden nicht mehr wissen, was zu tun ist. Unterkühlung macht wahnsinnig. In der Antarktis aber ist es drei Monate lang Tag und Nacht 40 Grad kalt. In ein Kühlhaus rein- und wieder rausgehen ist kein Problem. Aber nach zehn Minuten wird’s kalt und nach zwei Stunden bist du so unterkühlt, dass du nicht mehr weißt, was du tun könntest um zu überleben. In der Antarktis kann ich gehen, in Bewegung bleiben. Du musst etwas tun, sonst ist es nicht zu überleben. In der Hitze, in der Sahara im letzten Sommer zum Beispiel … ich weiß nicht, wie heiß es da war! Der Äquator hat sich ja zu uns hin verschoben. Viel mehr als 40, 45 Grad hat’s dort auch nicht. Man geht in der Früh, mit dem ersten Licht, bis es heiß wird und schaut, sich irgendwo in einer Schlucht im Schatten zu verstecken. Bäume gibt’s keine, aber ab und zu Sträucher. Und am Abend geht man weiter. In der Nacht ist es zu anstrengend. Ich könnte natürlich mit einer Lampe durch die Gegend stolpern, aber auch die kostet zu viel Energie. Ich muss ja alles minimalistisch machen. Ich will ja nicht Batterien mitschleppen. Mein Wüstenprojekt: ein Paar Schuhe für drei Monate, drei Paar Socken, wenn’s gut geht, Zinktabletten, dass ich nicht irgendwelche Furunkel kriege. Man kann sich nicht immer waschen. Wenn ich wenig Wasser zum Trinken habe, wie soll ich mich waschen. Und so schlage ich mich durch, von einem Nomadencamp zum nächsten. Da kaufe ich mir Proviant, gedörrtes Schaffleisch, Tee, erhole mich und gehe weiter. Schon vor 20 Jahren habe ich mir eingebildet: ohne Ende zu Fuß durch eine Wüste! Gehen! Natürlich allein. Ich habe in jeder Sparte Alleingänge gemacht. Also diesmal will ich es durch die Wüs-
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kennt sie nicht. Deshalb kann jeder behaupten, was er will. Solange die Fakten stimmen, Aber, dieses Moralisieren der Lügner und Betrüger geht mir auf die Nerven. War es nicht immer schon so, dass jene, die moralisieren, die Verbrecher sind? Die Hintergründe sind leicht zu durchschauen. Jemand fälscht ein Tagebuch und ein anderer nutzt das Ganze, um dem Messner unter dem Deckmäntelchen der Kameradschaft zu sagen, er habe sich unmoralisch verhalten. Was heißt denn hier unmoralisch? Was ist moralisch richtig? Wenn ich zwischen Leben und Tod stehe. Habe ich nicht das Recht, den Bruder zu retten? Da oben waren nur mein Bruder und ich. Nicht die Anderen, die sich mit meiner Tragödie wichtig machen. Sie waren nicht dabei. Sie haben das, was Günther und mich betrifft, einfach erfunden. Und wenn ich den Journalisten sage, lasst euch das Tagebuch zeigen, ich sehe von weitem, dass es Lug und Trug ist, gefälscht, Kolportage! – das interessiert die in den Medien nicht. Als Skandalmensch bin ich besser verkäuflich, als wenn ich nochmals einen Achttausender besteigen würde. Es gibt Tausende solcher Fälle wie den meinen: Hermann Buhl ist verschwunden, Siegi Löw, Scott Fischer. Wie, weiß niemand genau. Außer diejenigen, die dabei waren. Meine Mutter hat diese Hetze durchschaut. Nur am Ende meiner Achttausender-Zeit hatte sie ein Problem mit meiner Grenzgängerei. Sie hatte Angst. Es ist ja nicht nur mein Bruder Günther am Berg umgekommen, sondern auch ein anderer Sohn, Siegfried: Blitzschlag in den Dolomiten
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te schaffen. 3000 km weit. Ich habe schon einmal eine Wüste allein versucht. Dabei bin ich nicht weit gekommen. Mein Problem, mit 60, ist natürlich das Verwöhntsein. Ja, ich bin verwöhnter als früher. Aber ich glaube, dass ich mich immer noch abkapseln kann. Auf und davon aus dieser Welt! Am Beginn ist alles schwierig. Du speckst ab. Nicht nur Übergewicht. Dann wird es besser. Nach einem Monat geht’s mir so gut, dass ich alles schaffe. Und wenn nicht, ist es nicht schlimm. Ich verliere ja nichts, wenn ich aufgebe. Immer wenn ich mich überanstrenge, weil ich etwas tue, was ich nicht darf, weil ich nicht dementsprechend trainiert bin, regt sich der Körper auf, reagiert. Und dann krieg’ ich Krämpfe. Nicht in der Aktivität, aber nachher oder in der Nacht. Immer nachher. Was nicht ohne ist. 1968, wir waren in einer 300 Meter hohen Wand, gerieten wir in Todesgefahr, mein Bruder und ich. Heute schlägt man normalerweise alle drei Meter einen Haken. Wir haben früher alle 20 Meter einen Haken geschlagen. In diesem Fall habe ich eine ganze Seillänge lang keinen Haken geschlagen. Weil alles so gut lief. Und bevor das Seil ausging, kam ich nicht mehr weiter. Ende. Ich blieb zu lang an winzigen Griffen hängen. Sehr gefährlich. Weil du immer schwächer wirst, du krampfst und dann fällst du einfach aus der Wand. Ich wußte aber: Wenn ich falle, falle ich 40 Meter bis zu meinem Bruder und dann weitere 40 Meter. Sofern das ganze Zeug am Standplatz hält, an dem Günther hing. Sonst reißt’s uns beide aus der Wand. Die Angst und der Adrenalin-Ausstoß müssen so gewaltig gewesen sein, dass ich die letzte Passage frei runterklettern konnte. Um irgendwo stehen zu können. Beim Runterklettern aber hat sich meine rechte Hand verkrampft. Damit war ich am Ende, beim Wegfallen. Irgendwie aber habe ich in dieser Notsituation so viel Energie und Willenskraft mobilisieren können, noch einmal hinaufzuklettern und diese zwei Meter weiterzukommen, sodass ich mich hinstellen konnte. Was ich vorher nicht geschafft hatte, gelang in dieser Überreaktion. Trotz der Krämpfe. Sonst wäre ich runtergefallen, und was dabei passiert wäre, kann ich nicht ausmalen. Die Geschichte mit dem Tod meines Bruders: Ich weiß ja die Hintergründe, aber die breite Öffentlichkeit
kennt sie nicht. Deshalb kann jeder behaupten, was er will. Solange die Fakten stimmen. Aber, dieses Moralisieren der Lügner und Betrüger geht mir auf die Nerven. War es nicht immer schon so, dass jene, die moralisieren, die Verbrecher sind? Die Hintergründe sind leicht zu durchschauen. Jemand fälscht ein Tagebuch und ein anderer nutzt das Ganze, um dem Messner unter dem Deckmäntelchen der Kameradschaft zu sagen, er habe sich unmoralisch verhalten. Was heißt denn hier unmoralisch? Was ist moralisch richtig? Wenn ich zwischen Leben und Tod stehe. Habe ich nicht das Recht, den Bruder zu retten? Da oben waren nur mein Bruder und ich. Nicht die Anderen, die sich mit meiner Tragödie wichtig machen. Sie waren nicht dabei. Sie haben das, was Günther und mich betrifft, einfach erfunden. Und wenn ich den Journalisten sage, lasst euch das Tagebuch zeigen, ich sehe von weitem, dass es Lug und Trug ist, gefälscht, Kolportage! – das interessiert die in den Medien nicht. Als Skandalmensch bin ich besser verkäuflich, als wenn ich nochmals einen Achttausender besteigen würde. Es gibt Tausende solcher Fälle wie den meinen: Hermann Buhl ist verschwunden, Siegi Löw, Scott Fischer. Wie, weiß niemand genau. Außer diejenigen, die dabei waren. Meine Mutter hat diese Hetze durchschaut. Nur am Ende meiner Achttausender-Zeit hatte sie ein Problem mit meiner Grenzgängerei. Sie hatte Angst. Es ist ja nicht nur mein Bruder Günther am Berg umgekommen, sondern auch ein anderer Sohn, Siegfried: Blitzschlag in den Dolomiten. Ich war nicht dabei. Die Mutter hatte jetzt irgendwie immer das Gefühl, Bergsteigen sei gefährlich für mich. Ich verstehe, hat sie gesagt, du musst alle Achttausender machen, aber wenn du es geschafft hast, muss das nicht mehr sein. Okay, hab’ ich gesagt. Und es galt. Solange sie gelebt hat. Nachher machte mein Gelübde keinen Sinn mehr. Ich habe es ihr zuliebe gemacht. Gut, die Achttausender sind abgeschlossen, habe ich ihr versprochen, jetzt gehe ich in die Antarktis. Gute Idee, hat sie gesagt, kannst dich gut dabei erholen.
Rhythmusgruppen
(Fortsetzung von Seite 18)
(Fortsetzung auf Seite 84) 38/39
6h30 Angenommen, es ist 6h30. Dann beginnt mein Tag mit dem Gang zur Bäckerin am Eck. „Ein Butterkipferl, ein Mohn mit Salz.“ Mohnweckerl oder -flesserl oder -striezerl sage ich schon lange nicht mehr, erstens weiß die Bäckerin, was ich will, zweitens würden die unterschiedlichen möglichen Worte das Ostinato stören. Als kenne sie meinen Wunsch noch nicht, sieht sie mir, während ich ihn äußere, wissensdurstig in die Augen und greift dann erst in die betreffenden Körbe. Es kostet immer das gleiche. Sie sagt mir den Preis trotzdem. Und dann kommt ihr Morgenlied: Es dauert etwa 3 Sekunden und geht so: „Auf Wiederseh’n, danke!“ Das „Auf“ etwa in der Mittellage, die drei Silben von „Wiederseh’n“ nutzt sie zu einem virtuosen Sprung in die Tiefe, um mittels des abschließenden „Dan-ke“ wieder in die Ausgangsposition zurückzukehren. Ganz, ganz selten fügt sie an das im Staccato vorgetragene „-ke“ auch noch ein etwas länger gezogenes „-schön!“ hinzu; ob sie sich das wirklich immer nur am Samstag gestattet, ist eine der vielen Vermutungen, die ich noch nicht verifizieren konnte. So verlasse ich ihr Geschäft, mit einem Butterkipferl, so elegant geschwungen wie das „Wiederseh’n“, und einem Mohn mit Salz, so knusprig wie das „Danke“. Bei Redaktionsschluss hing an der Geschäftstür ein Schild: „Wegen Krankheit bis ... geschlossen“, und
das „bis ...“ hat sich beständig verlängert. Vielleicht ist hier ein Ostinato zum Stillstand gekommen … 9h00 Jeden Tag weiß ich, dass es 9h00 ist, weil vor dem Supermarkt am Eck (ein anderes Eck als das der Bäckerin, versteht sich) der kleine Hund bellt. Er ist nicht nur klein, sondern dazu noch weißhaarig und dick. Sein Herrl ist alles das auch. Und es (das Herrl, im Gegensatz zu „er“, der Hund), schert es sich drum? Unlängst versuchte ich, mittels energischen Auftretens im Supermarkt, die Sache zum Finale und Schlussakkord zu bringen, jedoch scheiterte die Verhandlung im Ansatz. Ich: „Der Hund bellt seit einer Viertelstunde.“ – Es: „Stimmt gar nicht, seit zwei Minuten!“ – Ich: „Aber jeden Tag“ – Es: (schweigt) – Ich: „Machen Sie Ihren Hund still!“ – Es: (nimmt das persönlich und schweigt weiter). Es bleibt dabei. Um neune wird gekläfft, vorgeblich zwar mit Zielrichtung ins Innere des Supermarktes, zur Fleisch- und Wurst-Abteilung; doch in Wahrheit gehen die beleidigten Laute natürlich direkt und bewusst an mich, ganz bestimmt. Mit etwas Distanz betrachtet besteht dieses Gebell aus melodisch zwar etwas eintönigem „kläff“, rhythmisch jedoch hochkomplexem Muster: Es erklingt fünfmal die Woche, also werktags, und macht dann zwei Tage Pause. Nur: Die Distanz hab ich nicht. Mir bellt der Hund einen unerträglichen Cantus firmus ins Gemüt.
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Der Architekt Bruno Taut träumte in der Zwischenkriegszeit von der Errichtung kristalliner Gebäude auf Alpengipfeln und der Verschmelzung von Natur und Architektur. Wolfgang Pöschl reist durch diese Gedankenwelt und verfertigt Notizen. Im Handgepäck: Tauts Schrift „Alpine Architektur“ (1919). Seit einiger Zeit geistert eine neue Faszination für „Kristalle“ durch die Avantgarde-Architektur. Eine romantische Metapher, die auf die so benannten Gebäude nicht so recht passen will. Kristalle lösen die gerade noch angesagten Nebel und Wolken ab. Sind es die Ecken und Kanten, die ein Gebäude zum Kristall machen, ist es das Glas? Wenn die Aufmerksamkeit erst einmal auf den Kristall gelenkt ist, häufen sich die Zufälle und die Kristalle sind überall. So begegnet mir im Internet unter dem Stichwort „Alpine Architektur” ein alter Bekannter: Bruno Taut (1880–1938), der deutsche Architekt, der nach dem Ersten Weltkrieg in Berlin tausende Wohnungen gebaut und damit ein menschliches Wohnumfeld realisiert hat, das visionär und zukunftsweisend war. Vor allem aber hat mich als Student Bruno Tauts frecher Einsatz von Farbe in der Architektur beeindruckt. Er gestand der Farbe eine eigenständige Rolle unabhängig von der architektonischen Form zu. Ein harter Schlag gegen die Angst der Architekten vor Farbe, der mich nachhaltig ermutigte und mir Anstoß für eine anhaltende Auseinandersetzung war. Die „Alpine Architektur” Bruno Tauts aber war mir entgangen. In einem Bildzyklus umkreiste er 1918–19 ein visionäres Projekt: Die erhabensten Gipfel der Alpen, ganze Gebirgszüge sollten durch gebaute Kristalle ersetzt werden; Gebäude, in denen sich die Sonne brechen und deren Schönheit die mit Luftschiffen anreisenden Besucher heilen sollte. Am 24. April 1993 hält der Bundeskanzler von Europa eine Rede vor dem europäischen Parlament:
„(…) Es gab einmal eine Zeit (sie ist nicht allzu lange her), da schlief das alte Europa wirklich. Aber einen Schlaf mit den wildesten Träumen. Mord, Raub, Lüge, mit einem altertümlichen Wort gesagt: Krieg wütete, es konnte keine Wirklichkeit sein. Endlich erwachte das alte Europa aus seinem schrecklichen Traum, es erwachte, als es sich nicht mehr langweilte, als seine Arbeitermassen, seine Maschinen, seine Fabriken in eine andere Richtung gelenkt wurden als in die Herstellung von Gebrauchsgegenständen. Messer und Gabeln, Brücken, Eisenbahnen, Kanonen, Klosetts als Endzweck von so viel Kraftaufwand! Oder gab es noch eine höhere Idee? Jeder wollte möglichst gut leben, die Arbeiter schufen ihre soziale Bewegung: Aber gab es irgendwo ein Ziel aller guten Bildung und alles guten Essens? Meine Herren, heute langweilt sich Europa nicht mehr. Wir haben ein Ziel; und wir haben große Schwierigkeiten bis dahin zu überwinden, dass uns fast der Atem ausgeht. Aber wenn Europa vor einem Dreivierteljahrhundert Milliarden auf Milliarden für Millionen von Blutopfern ausgeben konnte, soll es heute verzagen, wo es von einem Ziel des Glanzes, der Schönheit, des Friedens beherrscht wird? Heute weiß jeder, wofür er lebt. Er fühlt sich als einen gütigen Gedanken der Erde, des Heimatsterns, der sich schmücken will. Dieses Ziel lässt keinen untätig beiseite stehen. In kürzester Zeit stellte sich unsere ganze Industrie darauf ein; ja, ihre Aufgaben sind gewachsen. Und heute weiß jeder Arbeiter, an welchem Werk er mittun darf. Er sieht das Werk aufblühen und empfindet dessen Schönheit. Das Sklaventum lässt
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sich nur in seinen Formen mildern; es wird aber erst dann überwunden, wenn allen die Begeisterung zu einer Idee eingepflanzt wird, vom gestaltenden Künstler bis zum Arbeiter an irgendeiner Maschine. (…)“ Neben dieser fiktiven Rede, die Bruno Taut 1920 geschrieben hat, und einigen anderen Texten finde ich den Bildzyklus „Die Alpine Architektur“ (mit japanischen Untertiteln) im Internet, in schlechter Qualität, aber immerhin; antiquarisch könnte ich außerdem einen Band der Originalausgabe um 2.300 Schweizer Franken bestellen. Zwei Fragen drängen sich auf: War Bruno Taut im Krieg? Und welche Beziehung hatte er zu den Alpen, zu Bergen überhaupt? Zu beidem finde ich wenig; mehrmals wird Bruno Taut als Pazifist bezeichnet. Ich kann mir Taut im Krieg nicht vorstellen; er hätte ihn nicht überlebt; er wäre bestimmt gefallen wie Boccioni, mein Lieblingsfuturist. Millionen waren zu einem nicht unbeträchtlichen Teil begeistert (oder gar aus Langeweile?) in den Krieg gezogen. Allzu vielen erschien der Krieg als der einzige Ausweg aus festgefahrenen, perspektivlosen persönlichen und gesellschaftlichen Verhältnissen. Für Millionen endete diese Hoffnung besonders auf der persönlichen Ebene fatal mit Tod auf dem Schlachtfeld, mit Verstümmelung oder einem lebenslangen Trauma. Vor diesem Hintergrund müsste ich Bruno Tauts Vision als zynisch oder zumindest als naiv abtun – wäre da nicht sein architektonisches Werk. Taut ersetzt Krieg und Rüstungsindustrie durch „Alpine Architektur“. Eine „große Idee“ sollte die menschliche Kreativität in friedliche Bahnen lenken: Architektur als kontinentale Arbeitstherapie für eine verrückte Menschheit? Die Idee mit der großen Idee hatten andere auch; nur der Trick funktionierte, wie wir jetzt wissen, mit Krieg einfach besser als mit Architektur.
Als Bruno Taut 1933 von einem Arbeitsaufenthalt in Moskau zurückkehrte, verlor er im Klima des erstarkenden Faschismus seine Professur in Berlin, floh nach Japan und später in die Türkei, wo er am 24. Dezember 1938 an einem Asthmaanfall starb. „Wir müssen das Unerreichbare kennen und wollen, wenn das Erreichbare gelingen soll.“ (B. Taut) An ihrem historischen Umfeld gemessen bleibt Tauts Vision unbegreiflich, aus seiner persönlichen Biografie heraus ist sie umso verständlicher. Die Trümmerfelder nach einem Weltkrieg vor Augen war die „Alpine Architektur“ ein Aufschrei gegen die Resignation, ein Scharren in den Startlöchern; sie war eine trotzige Ansage, jetzt erst recht nicht auf einen architektonischen Anspruch zu verzichten. Jeder einzelne Architekt (auch heute unter auf den ersten Blick weniger dramatischen Umständen) muss seine Vision voranstellen, sich in aller (jugendlichen) Präpotenz die Latte legen und den Horizont erahnen. In Bruno Tauts Vision einer „Alpinen Architektur“ steckt ein rührendes Moment. Er ersetzt verzweifelt das Unerträgliche („Krieg wütete, es konnte keine Wirklichkeit sein“) durch etwas Schönes, Erhabenes. Im Grunde ist das ein religiöser Akt, die reine Hingabe an eine übermächtige Aufgabe, deren Sinn im Metaphysischen liegt, ein Beschwörungs-Ritual. „(…) Die Gedankenwelt liegt in Trümmern: Verherrlichung des Schlachtenruhms, Glorifizierung der Machtausbreitung, Persönlichkeitskultus, Geldanbetung und Materialismus und die dies erzeugenden höheren Ideen: Missachtung des Lebens, Glaube an ein Paradies über den Wolken, weil die Lebensmisere unverbesserlich und die einfache Lehre Christi ‚Töte nicht, führe nicht Krieg, sitze nicht zu Gericht!‘ für dieses traurige Leben unmöglich sei. Der Künstler ein Diener zum Genuss der Reichen, in traurigster Ver-
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einsamung. Alle, die geistigen Dingen dienten, isoliert: der Philologe, der Philosoph, alle nahmen die schlimmsten Mittel, Lüge, Raub, Mord hin und konstruierten Zwecke dazu, lebensferne Zwecke. Ein totes, unrichtig dargestelltes Altertum wurde den Schulen als Ideal gegeben, zusammenhanglos mit der Einheit des Lebens. Kampf ums Dasein verfälschte Naturwissenschaft wie Geschichte. Es war ein geschlossenes Gebäude, das Kunst und Wissenschaft und Religion errichteten, nur ein innerlich zerstückeltes und äußerlich künstlich zusammengehaltenes Konglomerat. Das soll in Trümmer fallen. Aus seinem Staub soll ein neuer Phönix aufsteigen, ein Licht erstrahlen und ein fester Bau entstehen! Ein wahres Gedankengebäude! (…)“ (aus Bruno Taut: „An die sozialistische Regierung“, 1918) Vieles an Bruno Tauts Texten ist brandaktuell. Befinden wir uns nicht wieder in einem scheinbar ausweglosen, geschlossenen System von Zwängen, fixen Ideen und Obsessionen? Nur die naiv idealistische Perspektive ist uns nach den Ereignissen des 20. Jahrhunderts endgültig verwehrt. Wir haben unsere Unschuld inzwischen schon zu oft verloren, um noch an große, einfache Lösungen glauben zu dürfen. Demonstrative Unwissenheit und Geschichtslosigkeit haben heute genauso ausgedient wie unschuldige Naivität und großspurige Ansagen; sie sind zum Ausdruck eines menschenverachtenden Zynismus geworden. Das Starren auf eine Sprungschanze wie das Kaninchen auf die Schlange ist – bei allen unbestrittenen Qualitäten der Architektur – letztlich eine Verwechslung von Mittel und Zweck. Unsere Visionen kreisen um die Mittel und verdecken immer schlechter unsere Ratlosigkeit und Leere bei der Frage: Wozu das Ganze? „Wir dürfen das Erreichbare nicht kennen und wollen, wenn das Unerreichbare gelingen soll.“ (Pragmatismus des Naiven/Zynikers)
Unser Problem mit den Visionen und Utopien besteht nicht länger darin, auf unbekanntes Gebiet vorzudringen und uns damit gegen den Strom der herrschenden Meinungen zu stellen. Unser Problem ist allmählich der immer weitere Bereiche erfassende „Bilbao-Effekt“, die gnadenlose Instrumentalisierung des Visionären und Utopischen; die Vision wird zur zwanghaften, verkaufsfördernden Pose. Oder, wie Josef Lackner es ausdrückte: „Der Frank Gehry könnte jetzt in jedem Dorf bauen, wenn er könnte.“ Das Andersartige und Fremde wird zum modischen Muss und gehört zum guten Ton (wenn es uns nicht gerade als Asylwerber begegnet). Zwischen der hoffnungslos abgestandenen, obwohl eben erst eröffneten Fiktion des Alpin-Rustikalen und der vermeintlich japanischen Zen-Idylle liegen nur wenige Autobahnkilometer. Das unsägliche Aquarium mit Goldfisch wird vom Haifischbecken abgelöst. In diesem Spiel hat die Architektur schlechte Karten. Sie wird zwangsläufig degradiert zur Kulisse und zunehmend zur zweidimensionalen oder dimensionslosen Projektionsfläche für die viel schnelleren und beweglicheren Bilder. Architektur wird so zugunsten einer allgegenwärtigen Illusion verschwinden. Und wie es sich bereits abzeichnet, werden es sich Architekten als Verdienst anrechnen, wenn sie viel gewollt und es nicht erreicht haben. Der Architekt wird in seiner Hilflosigkeit zum Hochspringer, der sich die Latte auf drei Meter legt, um dann mit einem jämmerlichen 1,50 m-Sprung wohlinszeniert und bravourös darunter durchzuspringen. Das ist genauso dumm, wie sich die Latte auf den Boden zu legen und dann noch darüberzustolpern. „Überwunden“ sind die biederen Ideale der Moderne, die eine Übereinstimmung von Inhalt, Form und Konstruktion oder die Angemessenheit und größtmögliche Intelligenz der Mittel verlangten. Diese Ideale waren Bruno Taut noch ein zentrales Anliegen. In der Zeit vor und nach dem Ersten Weltkrieg begann
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die Kunst aus den Museen und Galerien auszuziehen, gegen ihre Isolation vom Leben zu rebellieren. Ist sie jetzt zurückgekehrt auf den Friedhof? Baut ihr die Architektur die Mausoleen und Sarkophage? „(…) Inmitten der vielen heutigen Auseinandersetzungen und Streitigkeiten darüber, ob das Gebaute schön ist oder hässlich, ob es den Anforderungen an die Wohnungsgüte genügt oder nicht, scheint es sehr notwendig zu sein, an der Klärung dieser Fragen, soweit es überhaupt geht, mitzuhelfen. Ein Haus und besonders das Massenwohnhaus, um das es sich vorwiegend handeln soll, ist nicht allein von einem einzigen Standpunkt aus zu verstehen. Der Standpunkt des Fotografen oder des ein Bild zeichnenden Architekten ist schon deshalb ungenügend, weil die Körperlichkeit des Hauses nur durch das Herumgehen begriffen werden kann, in der bildlichen Übertragung also am besten durch die Filmaufnahme mit dem sich um das Haus herum bewegenden Aufnahmeapparat. Doch auch damit allein kann man dem Gebauten nicht gerecht werden; man muss schon in das Haus hineingehen, die Anordnung der Räume und daraufhin den Wert der Wohnungen prüfen und kann erst danach ein Urteil über den Wert der äußeren Erscheinung fällen, die ja eine passende Hülle zu den inneren Vorgängen sein muss. Doch auch selbst das würde noch nicht genügen: Man müsste auch die konstruktive Durchbildung studieren, inwieweit das gewählte Material dem Streben nach größter Sparsamkeit und geringstem Aufwand entspricht, inwieweit wichtige technische Neuerungen verwendet worden sind, welche finanziellen Auswirkungen sie haben, schließlich inwieweit der Entwurf des Hauses überhaupt den sozialen und finanziellen Forderungen gerecht wird und all dgl. mehr. Man müsste auch untersuchen, ob die gewählte Hausform, Stockwerkshaus oder Flachbau, an dieser Stelle richtig ist, ob die Erweiterung der Ortschaften und Städte der Schichtung des gewerblichen Lebens angepasst ist, ja man müsste den Fragen der städtebaulichen Anordnung und
der Verteilung der Wohnkomplexe ein ausführliches Studium widmen (…)“ (aus Bruno Taut „Bauen: Der neue Wohnbau”, 1927) „Wir dürfen das Unerreichbare nicht kennen und wollen, wenn das Erreichbare gelingen soll.“ (Pragmatismus des Unsicheren/Technokraten) Wie ist das mit Bruno Taut und den Alpen, den Bergen, dem Bauplatz seiner Vision? Angeblich waren es englische Adelige und deutsche Poeten, die das Bergsteigen erfanden. Dafür spricht die Behauptung meines Großvaters als Schafhirt, dass nur die dümmsten Schafe auf den Berg hinauflaufen. Trotzdem ist zu bezweifeln, ob es wirklich diese Initialzündung von außen zum Entstehen des Bergsteigens gebraucht hat. Es ist einfach schwierig, in Tirol die Berge zu ignorieren. Sie teilen ihre Bewohner seit jeher in zwei Gruppen: in jene, die den Bergen mit Respekt eher fern bleiben, sie von unten betrachten und ihnen zugleich fast mystische Größe verleihen; und jene, die ihren Respekt in einem Frontalangriff bearbeiten, den unmöglichen Ort zu ihrem Ort machen (und den Berg in immer schwierigeren Routen unter Lebensgefahr bezwingen). Dabei ist ihnen wie fernöstlichen Mönchen meist der Weg das Ziel; sind doch die Gipfel oft von der anderen Seite in einem Spaziergang oder zumindest wesentlich leichter und gefahrenloser zu erreichen. Beide Gruppen nehmen den Berg als Maßstab und werden somit an ihre eigene wahre Größe erinnert. Das war es wohl, was Lords und Poeten und die ersten Touristen faszinierte. Die Idee, einen Berg durch ein Gebäude zu ersetzen oder auch nur mit einem Bauwerk ein Gegengewicht zu einem Berg zu schaffen, kann einem Bergmenschen kaum imponieren; es muss ihm schlicht lächerlich erscheinen. Nur die blindesten Technokraten und ihre
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schärfsten Kritiker können ernsthaft an die Allmacht des Menschen glauben. Zwischen der Vision der „Alpinen Architektur“ Tauts und seiner Architekturpraxis klafft auf den ersten Blick ein Abgrund. Sehen wir die Berge aber als extremen, unzugänglichen, unmöglichen Bauplatz, dann können wir zwei Ermutigungen ableiten: Die erste ist, uns mit der Architektur ins unwegsame Gelände zu begeben, uns in die architektonischen Wüsten vorzuwagen. Die architektonischen Wüsten sind dort, wo Architektur noch kaum ein Thema ist, im Industrie- und Gewerbebau, in der Landwirtschaft und ebenda, wo das Bauen oft schon zur seelenlosen Attrappe (mit traditionellem oder visionärem Anstrich) verkommen ist. Es gibt viele Wüsten, die wir noch gar nicht sehen; von den Wüsten rund um den Globus ganz abgesehen. Wüsten sind für die Architektur der fruchtbarste Boden. Wir müssen das Erreichbare kennen und wollen, wenn das Unerreichbare gelingen soll.“ (Pragmatismus des Grenzgängers) Die zweite Herausforderung, die uns Bruno Taut vorgibt, ist: nicht auf das Träumen zu vergessen – trotz der in Wüsten und im Gebirge lebenswichtigen Bodenhaftung und Erdverbundenheit; stets zu bedenken, dass größte Zweckmäßigkeit und Rationalität immer auch eine irrationale, metaphysische Seite haben und dass wir auf dieses offene Ende nicht verzichten dürfen: Die Magie eines Gebäudes, eines Raumes (manche nennen das „architektonischen Mehrwert“) muss genauso Ziel sein wie seine Funktionalität und Wirtschaftlichkeit. So ist in Tauts Gesamtwerk über dem Abgrund zwischen Vision und Realität eine Brücke zu erkennen.
In schwierigem Gelände ist das Ziel der weite oder hohe Horizont. Der Weg dorthin ist beschwerlich; leicht ist nur der Weg nach unten. Der Absturz, der beim Bergsteigen oft tödlich endet, kann in der Architektur unmerklich sein. Eitelkeit und wirtschaftlicher Erfolg gaukeln uns einen Aufstieg vor, wo wir uns schon im freien Fall befinden. Der hohe Horizont, die Vision kann uns nur die Richtung zeigen, nicht aber vor dem Absturz bewahren. Wie aber Halt finden? Meinen bisherigen Erfahrungen zufolge scheint die einzige Möglichkeit der sorgfältige zwischenmenschliche Umgang zu sein. Das bedeutet: die Menschen wahrzunehmen, für die man baut und mit denen man baut; und das heißt, möglichst jeden einzelnen als unergründliches Universum zu sehen oder wenigstens wie die Figur in einem Film, mit der man sich identifiziert. Dieser konkrete Blick auf den unmittelbar Nächsten bewahrt vor Überraschung und Verbitterung und macht aus dem grauen Alltag ein Abenteuer. Wir müssen uns damit abfinden, auf diese Weise vielleicht Halt zu finden, aber keine wirkliche Sicherheit. Der Zweifel muss sowieso unser bester Freund werden, auch wenn er nur mit Humor (und manchmal mit Sarkasmus) zu ertragen ist; dafür bewahrt er uns am ehesten vor der Verzweiflung und davor, dass uns bei allen großen Visionen die Realität abhanden kommt – oder so verrottet wie zu Zeiten Bruno Tauts (und uns allzu früh den Atem raubt).
Leitartikel
The work was begun after closing time at the Café Central in Innsbruck and lasted for several nocturnal hours. Exclusively for Quart, Martin Gostner created the temporary installation “Monument for Nico and Wesi”, which is shown on the cover of this issue. In line with long tradition, the work of the artist in charge of creating the cover, is presented inside the issue, in this instance by introducing for the first time in print a project entitled “Dear John” and realized by Gostner in California in 2003 (pages 60 to 79): 17 single pages that could have served John Steinbeck as research material for his cult novel “Tortilla Flat”. The “faking of fiction” and other aspects of the Gostner cosmos are addressed by Christian Gögger (pages 52 to 59). And last but not least the literary palate is catered for by Ferdinand Schmatz: “The find lies far far ahead” (pages 80 to 83). 50/51
Dear John
Die Arbeit begann nach der Sperrstunde im Innsbrucker Cafè Central und währte ein paar Nachtstunden lang: Martin Gostner schuf exklusiv für Quart die temporäre Installation „Monument für Nico und Wesi“, die auf dem Titel dieser Ausgabe zu sehen ist. In alter Tradition wird das Werk desjenigen Künstlers, der den Umschlag gestaltet, im Heftinneren ausgebreitet – dieses Mal anhand der Erstveröffentlichung einer Arbeit mit dem Titel „Dear John“, die Gostner 2003 in Kalifornien realisiert hat (Seite 62 bis 79): 17 Einzelblätter, die John Steinbeck bei der Verfassung seines Kultromanes „Tortilla Flat“ als Materialsammlung hätte dienen können. Über die „Fälschung der Fiktion“ und andere Aspekte des Gostner’schen Wirkens schreibt Christian Gögger (Seiten 52 bis 59). Schlussendlich liefert Ferdinand Schmatz entsprechend Literarisches: „Das Gefundene liegt weit weit vorn“ (Seite 80 bis 83).
Leitartikel
The Faking of Fiction
Christian Gögger on the work of Martin Gostner The greatest difficulties lie where we are not looking for them. (J.W. Goethe)
just cause) may well exist – but that has not much to do with art, but at best with providing a service.
Reality is the sum total of all the things we cannot change. (J.W. Gaddis)
The perceived lack of stringency in all that seems to deny any straightforward classification, lies in the artist’s authorship. In his work Martin Gostner is present both on an intellectual and on a personal level; he is the relevant authority. This is a specific and not a commonplace observation, since there are in fact artists that do have a style, or a bias, or a whim, or a bee in the bonnet – even though that sounds almost affectionate.
In an interview for the magazine “Kunstforum” on the occasion of his exhibition at the Kölnische Kunstverein, Cologne, in 1998, Martin Gostner was asked to name the essential element determining the style of his work. The question was aimed at discovering an element linking all work groups, which on the whole appear very heterogeneous: the cotton wool sculptures, the multi-piece lamp installation “Meine toten Ahnen” (My Dead Ancestors), the film “20th Century Boy”, … Martin Gostner countered the question by remarking that most likely, both he and his works were devoid of style at all. An attempt such as this at exploring an artist’s work for the one element linking all his efforts, is by no means unusual. It is characteristic of the underlying uncertainty as to the “correct” conclusions to be drawn from what one has seen. Maybe, however, questions such as these are essentially on the wrong track insofar as they examine an artist’s work as a subject separate from the artist. Where the term “style” implies origin, meaning or a language of shapes, there will be hardly any artist willing – or able – to provide a satisfactory answer. Whoever feels he can do so from his producer’s perspective, selects one dimension only from the multiplicity of meanings of his work, and moreover mistakes his own intentions for the substance of the works. The message of good taste (aesthetics) and the consciousness of a mission (commitment, even to a 52/53
At the 1992 Cologne art fair Martin Gostner presented a series of works using adhesive stickers, with which he furnished his promotional booth situated between the stands of my gallery and that of Sophia Unger: typewritten sequences of one and the same word on standardized carrier foils in different formats. The word “Brechung” – refraction – accumulated on the walls, echoing concrete poetry. Only subsequently, after thorough consideration, I realized that the artist meant to point out, not the weight of the concepts but their severability from meaning and context. A manipulable word structure, the word suddenly on its own and no longer embedded in a sentence, as severable from the paper of the stickers as it is severed from the pragmatics of the text – be it a reference text, a literary text, a supplication, instructions for use, a speech, a judgement, etc. One year earlier Gostner produced a file containing six photographs and typewritten CVs of artists – made to look like objects found, including the “Tyrolean legend” of Peter Salander, the “legend of he-
Die Fälschung der Fiktion
Christian Gögger über Martin Gostners Arbeit Die größten Schwierigkeiten liegen da, wo wir sie nicht suchen. (J.W. Goethe) Realität ist die Gesamtzahl der Dinge, die man nicht ändern kann. (J.W. Gaddis) 1998, anlässlich seiner Ausstellung im Kölnischen Kunstverein, wird Martin Gostner in einem Gespräch für die Zeitschrift „Kunstforum“ nach dem Stil prägenden Moment in seiner Arbeit gefragt. Die Frage zielte auf das Verbindende der insgesamt sehr heterogen erscheinenden Werkgruppen: die Watteskulpturen, die vielteilige Lampeninstallation „Meine toten Ahnen“, der Film „20th Century Boy“ … Martin Gostner entledigte sich der Nachfrage mit der Vermutung, dass er bzw. seine Arbeiten sehr wahrscheinlich stillos seien. Dieses Ausforschen des Künstlers nach dem alles Verbindenden ist keineswegs selten. Sie ist bezeichnend für die mitschwingende Unsicherheit, aus dem Gesehenen die rechten Schlüsse zu ziehen. Vielleicht aber irren solche Fragen grundsätzlich, sofern sie das Werk als ein vom Künstler Geschiedenes untersuchen. Wenn mit „Stil“ Herkunft, Bedeutung oder Formensprache gemeint ist, wird kaum ein Künstler diese Frage je befriedigend beantworten wollen, beantworten können. Wer sich als Produzent dazu in der Lage sieht, zieht nur eine Dimension aus der Mehrdeutigkeit seiner Arbeit hervor und verwechselt zudem die eigene Intention mit dem Gehalt der Werke. Mag es die Botschaft des guten Geschmacks (Ästhetik) und das Bewusstsein für eine Sendung geben (Engagement, und sei es für eine gerechte Sache) – allein: dann handelt es sich nicht um Kunst, um Dienstleistung vielleicht.
Die vermisste Stringenz all dessen, was sich scheinbar gegen klare Einordenbarkeit sperrt, liegt in der Autorschaft des Künstlers begründet: Martin Gostner hat in seinen Arbeiten eine sowohl intellektuelle als auch persönliche Präsenz; er ist die relevante Instanz. Das ist ein Spezifikum, kein Allgemeinplatz, denn tatsächlich gibt es auch Künstler, die einen Stil haben, oder ein Faible, oder eine Marotte, oder einen Vogel – aber das klingt ja schon wieder sympathisch. Zur Messe nach Köln 1992 brachte Martin Gostner eine ganze Reihe von Arbeiten mit Klebeetiketten, mit denen er seine Förderkoje zwischen den Ständen meiner und der Galerie von Sophia Ungers ausstattete: in Schreibmaschinenschrift geschriebene Reihungen ein und desselben Wortes auf standardisierten Trägerfolien unterschiedlicher Formate. Das Wort „Brechung“ häufte sich an den Wänden und echote konkrete Poesie. Erst später, nach eingehender Betrachtung, wurde mir klar, dass es dem Künstler nicht um die Nachdrücklichkeit der Begriffe, sondern um deren Ablösbarkeit von Sinn und Kontext ging. Ein manipulierbares Wortgerüst, das Wort plötzlich vereinzelt und nicht länger im Satz geborgen, ablösbar vom Etikettenpapier einerseits und andererseits losgelöst von Textpragmatik – ob Sachtext, Literatur, Appell, Gebrauchsanweisung, Rede, Urteil usw. Ein Jahr zuvor produzierte Gostner eine Mappe mit sechs Fotografien, mit der Maschine geschriebene Lebensläufe von Künstlern – aufgemacht wie Fundstücke, darunter die „Tiroler Legende“ des Peter Salander, die „Heldenlegende“, die „Akademielegende“, die „Elendslegende“ – in denen auf fatale Weise der Verblendungszusammenhang ihrer Protagonisten ent-
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roes”, the “legend of the academy”, the “legend of misery” – which in a fatal manner reveal the blinding element linking their protagonists – fatal in that you cannot help laughing out loud when first reading them, but cannot be sure – and never again will be sure – that these are not legends at all. A laugh not hearty, but rather grotesque. For his 1997 Munich exhibition “Kurz davor (und lange danach)” (Shortly before (and long afterwards)) Martin Gostner covered the walls of the entire gallery with enlarged drawings on magenta-colored fluorescent paper. The drawings had been copied from pornographic subjects, but with the copulating couples depicted separated and dressed, isolated, contorted and freely floating on the paper. Does the artist refer to the Platonic tale of the loss of our primitive integrity, or rather to the song lyrics used in another work, “Lovers and friends meet again and again on the dear old battlefield“, considering the invitation for this exhibition? This invitation shows a historical topographic map with tactical battle symbols and combat formations, but with the topographic references replaced by references to sex characteristics and smutty expressions. And all his works appear again before the mind’s eye, main roads, side streets or wood paths: the crystalline structures of the candy sculptures entitled “Nation” (1990), the wire showcase without glass and the hovering airy scroll “aria condizionata” (1994), the fictitious posters for a Jimi Hendrix concert at the Müngersdorf stadium in 1983 or the reading by Albert Camus on the occasion of his 90th birthday at the Audi Max of Cologne in 1993; the room of mural drawings depicting campaign formations of historical battles at the gallery Palais Taxis in Innsbruck, or the cotton wool covering the floor of the skylighted base54/55
ment room there, over which you hover on wooden planks like suspended over the bottomless depths of a cistern (entitled: “The Great Server”); or the parablelike poster documentation assembled in this exhibition, featuring the inn “Kupferpfandl” battered by numerous grazing shots of Austrian postwar history. Gostner’s exhibition “Of Milk and Honey” is scheduled for December, 2003, at the Folkwang museum in Essen, where he will realize a large-scale space-filling installation: a large field of cotton wool will be kept in lane by crash barriers, with the scenery illuminated by the beam of a strong spotlight and flanked by computer-generated speech works related to the earlier works involving words and texts on adhesive stickers. Motorways assert an omnipresent reality in this region, dominating the urban space. One or the other of the visitors of the exhibition may remember that and become conscious of it. “Idyllic Days of the Great Depression” (Thomas Fensch) In “Dear John”, the project realized most recently in California, the artist’s alter ego Peter Salander takes on the part of a publisher. Martin Gostner as the publishing manager embarks on the task of verifying the authenticity of a file of documents from the estate of the grandmother of the addressee, John Ibex-Sousa (the German word for ibex being “Steinbock”). The find could have served as research material for the novel “Tortilla Flat” by the American writer John Steinbeck, published in 1935. This novel was Steinbeck’s breakthrough as a writer and comprises a series of loosely connected adventures of Danny and his penniless friends, paisanos all of them (vagabonds and bohemians of Spanish-Indian-Mexican-Caucasian descent). The plot is reminiscent of the leg-
hüllt wird. Fatal deshalb, da man beim ersten Lesen Tränen lacht, man aber nicht sicher sein darf und nie wieder sicher sein wird, dass dies mitnichten Legenden sind. Kein herzhaftes Lachen, ein groteskes Lachen. In der Ausstellung „Kurz davor (und lange danach)“ tapezierte Martin Gostner 1997 in München den gesamten Galerieraum mit vergrößerten Zeichnungen auf magentafarbenem Leuchtpapier. Es handelte sich um Nachzeichnungen pornographischer Motive, wobei er die kopulierenden Paare getrennt und bekleidet dargestellt hat, isoliert, verrenkt und auf der Papierfläche frei flottierend. Folgt er hier der platonischen Erzählung vom Verlust urmenschlicher Ganzheit oder der in einer anderen Arbeit verwendeten Songzeile „Lovers and friends meet again and again on the dear old battlefield“, zumal dann, wenn man die Einladungskarte zu dieser Ausstellung heranzieht? Sie zeigt eine historische Geländekarte mit taktischen Schlachtzeichen und Gefechtsformationen, die topografischen Bezeichnungen aber waren ersetzt durch solche von Geschlechtsmerkmalen und zotige Begriffe. Und alle Arbeiten erscheinen auf Haupt-, Neben- und mitunter Holzwegen vor dem geistigen Auge wieder: die kristallin gebauten Bonbonskulpturen mit dem Titel „Nation“ (1990), die glaslose Drahtvitrine mit der schwebend luftigen Schriftrolle „aria condizionata“ (1994), die konstruierten Plakate zu einem Jimi-Hendrix-Konzert im Müngersdorfer Stadion 1983 oder zu Albert Camus’ Lesung anlässlich seines 90. Geburtstags im Kölner Audi Max 1993; ebenso wie der Raum mit den Wandzeichnungen von Feldzugsformationen historischer Schlachten in der Innsbrucker Taxisgalerie; oder die den Grund des dortigen untergeschossigen Oberlichtsaals bedeckende Watte,
über der man auf Holzplanken wie über der bodenlosen Tiefe einer Zisterne schwebt (Titel: „Der große Server“); oder die in dieser Ausstellung versammelte, parabelhafte Plakatdokumentation des von den vielen Streifschüssen der österreichischen Nachkriegsgeschichte verbeulten Gasthauses „Kupferpfandl“. Für Dezember 2003 ist Gostners Ausstellung „Of Milk and Honey“ im Museum Folkwang in Essen angekündigt, für die er eine große, raumfüllende Installation umsetzen wird. Ein riesiges Wattefeld wird dabei von Straßenleitplanken in der Spur gehalten werden, der Lichtkegel eines starken Scheinwerfers die Szene ausleuchten, flankiert von computergenerierten Spracharbeiten, den früheren Wörtern und Texten auf Klebeetiketten verwandt. Autobahnen behaupten eine omnipräsente Realität in dieser Gegend, sie beherrschen den urbanen Raum. Mancher Ausstellungsbesucher wird sich daran erinnern und dessen bewusst werden. „Idyllic Days of the Great Depression“ (Thomas Fensch) Peter Salander, das Alter Ego des Künstlers, schlüpft in der zuletzt in Kalifornien realisierten Arbeit „Dear John“ aus diesem Jahr in die Rolle des Verlegers. Als „publishing manager“ ist Martin Gostner im Begriff, eine Mappe aus dem Nachlass der Großmutter des angeschriebenen John Ibex-Sousa (ibex, engl. für Steinbock) auf ihre Authentizität hin zu prüfen. Das Fundstück hätte dem amerikanischen Schriftsteller John Steinbeck als Recherchematerial für dessen Roman „Tortilla Flat“ von 1935 dienen können. Der Roman, Steinbecks Durchbruch als Autor, ist eine lockere Folge meist amüsanter Abenteuer der paisanos Danny und seiner mittellosen Freunde (spanisch-
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end of King Arthur and the Knights of the Round Table and is set in the time of economic depression and omnipresent poverty in North America following the 1929 stock exchange crash. Superimposed on its episodic light-hearted mood the novel is dominated by an escapist tendency, including traits of boy-scout social romanticism. The insight into the social environment so characteristic of Steinbeck’s later work is more or less absent in “Tortilla Flat”. The novel is set in Monterey, a small town on the coast south of San Francisco, and nearby Big Sur is the location of Martin Gostner’s 17-piece cycle of “Dear John“. The A4-sized archival documents were enlarged for the outdoor space and realized as foil prints on aluminum. On the aluminum panels both the private and the public history of this find so important for Steinbeck researchers, are displayed: on the one hand the introductory motif of the ambivalent framework story, featuring the letter by the publishing manager, and on the other hand a detailed exhibition of the materials found, originating from the time when the novel was written, i.e. around 1930. They include excerpts, ads and an obituary from the local press, references to possible structural parallels to the legend of King Arthur (a thematically related small child’s drawing), advertisements and handwritten posters as well as holographic sketches related to the plot, and photographic snapshots. The sources used by Martin Gostner for his imagined research materials included the novel itself, a brief introduction for the US paperback edition by Thomas Fensch, a biography on Steinbeck, and a short book on the local history of the Monterey/ Big Sur region. The work has been arranged on the land in a manner both profane and – owing to circumstances – pe56/57
culiar. The panels have been installed on and around a train of ancient rusty trailers, only metaphorically headed by a martial tractor. Is it perhaps a fossilized traveling circus – or are these relics of the great trek, the vehicles on which impoverished farmers from Oklahoma, Arkansas and Missouri had heaped all their possessions and migrated to California in search of refuge and work at the beginning of the 1930s? The latter assumption takes us back to what is perhaps Steinbeck’s best novel, but certainly the one which made the biggest impact: “The Grapes of Wrath” of 1939, portraying the Joad family and their struggle for a new existence in California after leaving their ancestral land and setting out to move west. The most obvious question is why the work “Dear John”, which is per se of a bibliophile nature, has been adapted for the outdoor space at all. It does not seem appropriate to drag literary archival documents into the limelight in this manner. On the patrons’ land – situated in Big Sur, nearby the site where the district of Tortilla Flat actually used to exist in former times – a set of characters covering the entire opus of Steinbeck is revealed. The aluminum panels, attached like flimsy advertising posters to the iron monsters rooted in the ground, mobilize the content of the narratives and their sociocritical substance: props for a documentary film. Another possible interpretation would be that the light-hearted and perhaps ridiculous novel “Tortilla Flat” counteracts the most bitter economic depression of the more recent US American history. The reactions of literary critics on Steinbeck’s novel are indeed mixed: the lives of the protagonists, their strategies for living and survival, which are entirely committed to the present moment, to some appear as a burlesque entertainment and to others as perfidious depravity. A sociocritical reception of “Tortilla Flat” is precluded on the one
indianisch-mexikanisch-kaukasische Streuner und Bohemiens). Der Plot ist an die Sage von König Artus und die Ritter der Tafelrunde angelehnt, das zeitliche Umfeld ist die wirtschaftliche Depression und allgegenwärtige Armut Nordamerikas nach dem Börsenkrach von 1929. Über dieser episodisch heiteren Grundstimmung ist das Buch von eskapistischer Tendenz dominiert und neigt zu pfadfinderhafter Sozialromantik. Das Steinbeck später auszeichnende Gespür für die soziale Umgebung lässt ihn in „Tortilla Flat“ ziemlich im Stich. Monterey, eine kleine Stadt an der Küste, südlich von San Francisco, ist Schauplatz des Romans, das nahe gelegene Big Sur der Standort für Martin Gostners 17-teiligen Zyklus von „Dear John“. Dort wurden die A4-großen Archivdokumente für den Außenraum vergrößert und als Foliendruck auf Aluminium umgesetzt. Auf den Tafeln werden die innere wie die äußere Geschichte um diesen für die Steinbeck-Forschung bedeutsamen Fund ausgebreitet. Einmal das initiierende Motiv der ambivalent ausgerichteten Rahmenhandlung mit dem Brief des Verlagsleiters, dann die detaillierte Ausbreitung des aufgefundenen, aus der Entstehungszeit des Romans um 1930 stammenden Materials selbst. Da finden sich Ausschnitte, Anzeigen und ein Nachruf aus der lokalen Presse, der Verweis auf mögliche strukturelle Parallelen zur Artussage (thematisch dazu eine frühe Kinderzeichnung), Werbung und handgeschriebene Anschläge sowie eigenhändige Skizzen zur Handlung und fotografische Schnappschüsse. Martin Gostner benutzte als Quellen für sein imaginiertes Recherchematerial den Roman, eine knappe Einführung für die amerikanische Taschenbuchausgabe von Thomas Fensch, eine Biografie zu Steinbeck sowie ein schmales, lokalhistorisches Bändchen über die Gegend Monterey/Big Sur.
Die Platzierung der Arbeit auf dem Grundstück ist gleichermaßen profan wie umständehalber kurios. Die Tafeln sind auf und um einen Tross verrosteter, uralter Bauwagen angebracht, der nur noch bildhaft von einem martialischen Schleppwagen angeführt wird. Ein versteinerter Wanderzirkus vielleicht – oder sind das Relikte des großen Treks, die Fluchtgefährte der völlig verarmten Farmer aus Oklahoma, Arkansas und Missouri, die auf der Suche nach Arbeit zu Beginn der 30er Jahre mit allem Hab und Gut nach Kalifornien zogen? Mit letzterer Vermutung kommt man zurück auf Steinbecks vielleicht besten, auf jeden Fall wirkungsvollsten Roman, „Früchte des Zorns“ (Grapes of Wrath) von 1939, in dem er den Kampf der Familie Joad um eine neue Existenz in Kalifornien schildert, nachdem sie ihr angestammtes Land verlassen hatten und Richtung Westen ausgezogen waren. Zunächst stellt sich die Frage, aus welchem Grund die in der vorliegenden Form an sich bibliophile Arbeit „Dear John“ ursprünglich für den Außenraum konzipiert wurde. Es erscheint als nicht angemessen, literarisches Archivmaterial auf diese Weise ans Tageslicht zu zerren. Auf dem Grundstück der Auftraggeber – in der Landschaft des Big Sur, in der Nähe zur ehemals tatsächlich existierenden Siedlung „Tortilla Flat“ gelegen – enthüllt sich ein set of characters des gesamten Steinbeck’schen Werkes. Die Alutafeln, die wie windige Werbeplakate an die eisernen, festgewachsenen Ungetüme angeheftet wurden, mobilisieren den Inhalt der Erzählungen und deren sozialkritischen Gehalt: Requisiten für einen Dokumentarfilm. Ebenso ließe sich deuten, dass der heitere, vielleicht lächerliche Roman „Tortilla Flat“ die bitterste wirtschaftliche Depression der jüngeren amerikanischen Geschichte konterkariert. Das literaturkritische Echo auf Steinbecks Roman ist tatsächlich
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hand by its cheerful light-heartedness and on the other by its cynicism, if the study of the paisanos milieu is interpreted as an exhibition. Martin Gostner’s “Dear John” does not only employ the novel as reference material but integrates the author into the work. Steinbeck’s biography and his importance as a storyteller of American realism become incorporated in Gostner’s work in terms of both content and form. Martin Gostner, too, is a storyteller, and like Steinbeck he centers his subject around his own experience, based on detailed observation and accurate description. In this instance, however, Gostner’s is a realism of second order, assembled from quotations and combined from objects found, or constituted entirely as a fabrication – fabricated realism. Several layers of references and relations harbor and initiate a critical analysis of art history and contemporary history. And we owe all this to the result of artistic production and artistic projection: the Peter Salander Publishing House and the imagined find in the attic, Danny, his friends and their transfigured poverty, the Joad family’s disastrous flight westwards, and, eventually, the Tortilla Flat district of Monterey, the setting of the plot, which in spite of its name is anything but flat – a contradictory fact. “Facts, facts, facts,” proclaims the editor of a weekly magazine in a television commercial: a real actor in a real play Martin Gostner’s works are neither virtuosic nor obvious. They are simple in the manner they deal with so-called “poor” materials but at the same time complex in various ways: in respect of the special characteristics of the locations, of the relationship between reality and fiction, of the artist’s ego, etc. But the es58/59
sential point is not necessarily to grasp all these references right away. During the years of our cooperation I have learned that any spontaneous understanding must be preceded by a certain degree of faith in the works. Martin Gostner is one of the few artists able to maintain the delicate balance between taking a committed stance on the one hand and assuming an original artistic position on the other. Neither does he become lost in the subject of his own research nor does his irony lapse into a merely humorous attitude. And despite his sensibility, which is so indispensable for his work, he still manages to keep the necessary distance. Last year’s exhibition at the gallery Palais Taxis was not expressly intended as a retrospective but nevertheless assembled a large variety of different aspects of the entire opus of Martin Gostner. In spite of the employment of various artistic media – object, mural drawing, video, installation, etc. – the exhibition was very convincing owing to its continual coherence, apparent in the identifiable authorship that succeeds in telling of the state the world is in without going over wholesale to social relevance. This form of authorship may run the risk of being interpreted neither as critically as necessary nor as ironically as possible. It is a personal quality that is evidenced by it, speaking from experience and with competence, and very deliberately refusing any form of generalization.
geteilt: das Leben der Protagonisten, ihre (Über-)Lebensstrategie, die ganz der Gegenwart verpflichtet ist, erscheint den einen als burlesker Spass, den anderen als perfide Verkommenheit. Für eine gesellschaftskritische Rezeption ist „Tortilla Flat“ einerseits zu unbekümmert heiter, andererseits zu zynisch, sofern die Milieustudie der paisanos als Zurschaustellung interpretiert wird. Martin Gostners „Dear John“ benutzt den Roman nicht nur als Vorlage, sondern bezieht den Autor in die Arbeit mit ein. Steinbecks Biografie und seine Wirkung als Erzähler des „amerikanischen Realismus“ gehen in Inhalt und Form darin auf. Auch Martin Gostner ist ein Erzähler und wie Steinbeck zentriert er den Stoff, aus genauer Beobachtung und präziser Beschreibung heraus, um die eigene Erfahrung. Nur ist in diesem Fall Gostners Realismus einer der zweiten Ordnung, der aus Zitaten aufgebaut und aus Fundstücken kombiniert wird oder sich gänzlich als Erfindung konstituiert – erfundener Realismus. Mehrere Lagen an Verweisen und Beziehungen bergen und stiften eine kritische Auseinandersetzung mit Kunst- und Zeitgeschichte. Und das alles ist dem Resultat aus künstlerischer Produktion und künstlerischer Projektion zu verdanken: das Peter Salander Publishing House und der imaginierte Dachbodenfund, Danny, seine Freunde und die verklärte Armut, die von der Familie Joad vollzogene unheilvolle Flucht nach Westen, schließlich „Tortilla Flat“, Ortsteil von Monterey und Schauplatz der Handlung, der wiederum ganz entgegen seiner Bezeichnung alles andere als „brettleben“ ist – ein widersprüchliches Faktum. „Fakten, Fakten, Fakten“ ruft der Herausgeber der Wochenzeitschrift für die eigene Fernsehwerbung: ein echter Schauspieler in einem wirklichen Stück.
Martin Gostners Arbeiten sind weder virtuos noch vordergründig. Sie sind einfach, in der Art wie sie mit sogenannten „armen“ Materialien umgehen, und doch auf verschiedene Weise vielschichtig: bezogen auf das Besondere ihrer Orte, auf das Verhältnis von Realität und Fiktion, auf das Ich des Künstlers u.v.a.m. Dabei geht es nicht darum, dass man all diese Bezüge immer gleich versteht. Vor allem spontanen Verstehen kommt, das ist mir in den Jahren unserer Zusammenarbeit klar geworden, ein gewisses Vertrauen in die Arbeiten. Martin Gostner ist einer der wenigen Künstler, der die feine Balance zwischen einer engagierten Haltung und einer eigenständigen künstlerischen Position austarieren kann. Weder verliert er sich an den Gegenstand der eigenen Recherchen, noch gleitet seine Ironie ins bloß Humorvolle ab. Und trotz der für die Arbeit unabdingbaren Sensibilität bleibt die nötige Distanz erhalten. Die Ausstellung in der Galerie im Taxispalais im vergangenen Jahr versammelte die unterschiedlichsten Aspekte aus dem gesamten Werk Martin Gostners, ohne tendenziell als Retrospektive angelegt gewesen zu sein. Trotz der Verwendung diverser künstlerischer Medien – Objekt, Wandzeichnung, Video, Installation usw. – überzeugte die Ausstellung aufgrund ihrer durchgängigen Kohärenz. Sie zeigte sich in der identifizierbaren Autorschaft, der es gelingt, von der Befindlichkeit der Welt zu erzählen, ohne sich pauschal an gesellschaftliche Relevanz zu verlieren. Diese Form der Autorschaft mag Gefahr laufen, nicht so kritisch wie nötig und nicht so ironisch wie möglich verstanden zu werden. Es ist etwas Persönliches, das sich hierin qualifiziert, das aus Erfahrung und mit Kompetenz spricht und sich dabei ganz vorsätzlich gegen jede Form der Verallgemeinerung sperrt.
Martin Gostner Dear John, Installation, 2003 El Gato Ranch, Big Sur, California 17 Foliendrucke auf Aluminium, je 76,2 x 58, 42 cm auf Hütten und Zaun 17 foil prints on aluminum plates, each 30 x 23 inches on shacks and fence © 2003 Martin Gostner / Lisa & Charly Kleissner © Fotos: 2003 Robert Holmes
Martin Gostner Dear John, 2003 Seiten ?? bis ?? Zyklus, 17 Teile, Mischtechniken auf verschiedenem Papier, je 27,94 x 21,59 cm Imaginäres Recherchematerial, welches John Steinbeck zu seinem Buch „Tortilla Flat“ benutzt haben könnte. Cycle, 17 parts, mixed media on various papers, each 11 x 8,5 inches Fictive research material, which John Steinbeck might have used, while writing his book „Tortilla Flat“. © 2003 Martin Gostner
Leitartikel
The find lies far far ahead.
Ferdinand Schmatz going from Martin Gostner to himself around John Steinbeck. Martin Gostner and I have broken through at the edge, and, I appear to myself as though it were true. I hold nothing in my hands but a book by John Steinbeck, nothing but pages, nothing but sides, which he has read coming from the side. A pick, I am thinking to myself, that might taste bitter. The word in the whereabouts of “foot’ssweetness”, that was once upon a time but still echoes in my ear, leaps on my tongue, and an image is running away with me. “Tortilla Flat”, though, that will take time yet. We are standing bent and stooping over the finds in the attic of the house, and what has been seen and what has been remembered and what has been imagined to have been heard is really getting at me and confused. But at the same time, which every time is some time afterwards, something is condensing resembling solid water, which is derived from the whole of the sea, and which is verily playing its part not only in the book, and getting its plots from it. Here in the attic, too, it moves beyond and to and fro, the thing about the part and the whole, and the ball is rolling, is our universal universe. So the lump of ice is dissolving as well. This has only little to do with the roles we take from the plot and take upon us. After all, the stuff on the floor underneath the roof is on the top and at the bottom at the same time, too. We are standing in the middle and believe in the center, o well. Fundamentally, Steinbeck is a writer rooted in the soil. Even though his west was wild, his wild guys are tame fellows. But it will still do for catching fire, and for setting the red cock on the roof any page is good enough. Indeed paper is the kindler of wood, and in the sea of flames we join in the ride, driving our picture-boat across it without toppling over and going down in the sea. Because our cases, they are not wet but only present in the grammar. Cool in any case, admittedly. But at times, from afar, the verb endings wave the way. So the observation is the incorporation of the cases, I, you, he, she, it, we, you, they – and at the same time the omission of everything: except the whole of it, roughly like that, it is keeping on at me. The heroes, are they intact? Real men, idiots, losers, or just mere puppets of a 80/81
design, a group of backwoods origin pretending to be otherwise, like the Indians of Karl May? Who cares, any image offers quite enough material for a picture, and off we go into the bitter breeze of the day, ”sweets turning into salt where the fire turns festive”, so we cheer him, John, on, and are cheerful behind the parlor up under the roof and have poured out all that is pure into the miniature fragment that can be joined together. From this perspective that breakthrough at the edge appears quite appropriate, if anything can be appropriate in this accuracy of selection making everything possible, in this documentation established page by page. And we are right at the source of the spring, we boys, and, alas, no longer wet behind the ears, and it tastes nicely, I admit that: Edge here or there, all this is a fact of the midpoint, and even though the picture is in a sideways spin, the eye always goes to what is lost, therefore the midpoint, come what may, and the heroes, they are JUST PARTS, TWISTED, SIGNS, WORDS, BUT THEY ARE FULLY EXPOSED TO THE BRILLIANCE OF THE ENTIRETY, which is not only the KNOWLEDGE FROM THE PICTURE TO THE BOOK, I am thinking to myself while I am poking around in the ashes and find the remains of Gostner, which call themselves Steinbeck, and all that mingled with Ferdinand – is the whole unbrilliance, but it radiates: For instance into the things, we have them here, they are, pictured, the wares of what verily is. They have no commercial and we no ism. Stealing is nevertheless not a fault, but is still worth the value of any prohibition. The values, indeed, they are signs made of words, and directly we believe that we have the pictures: So “we fight with the daily miracle of the essence” – Martin with John and with me and I with them and it: That which is dying is alive, the body still giving forth the juice, we stop what is flowing, King Arthur dies, we rise with him from the dead and the grass shroud turns into wallpaper, the whole bug wall is nothing but the canvas of the risen one, squeezings that write themselves as cards, so you see, that's the thing about
Das Gefundene liegt weit weit vorn. Ferdinand Schmatz geht von Martin Gostner aus zu sich über John Steinbeck. Martin Gostner und ich sind am Rand eingebrochen, und, ich komme mir vor, als wäre es wahr. Ich halte nichts als ein Buch von John Steinbeck in den Händen, nichts als Blätter, nichts als Seiten, die er von der Seite her kommend gelesen hat. Diese Lese, denke ich mir, die könnte bitter schmecken. Das Wort am Ort der „fusssüsse“, das war einmal, aber es klingt mir immer noch im Ohr, hüpft auf der Zunge und ein Bild geht mit mir durch. Aber „Tortilla Flat“, das braucht noch. Wir stehen gebückt und über die Fundstücke gebeugt am Dachboden des Hauses und das Gesehene und Erinnerte und das vorgestellt Gehörte kommen mir wirklich durch und einander. Doch gleichzeitig, und das ist immer irgendwann danach, kondensiert sich so etwas wie festes Wasser, das aus dem Ganzen des Meeres herrührt, und das sich wahrlich nicht nur im Buch sein Stückchen spielt und sich seine Stücke daraus holt. Es geht auch hier am Dach darüber hinaus und hin und her, das mit dem Teil und dem Ganzen, und der Ball rollt dahin, ist unser aller All. Der Eisklumpen löst sich also auch auf. Das hat nur wenig mit den Rollen zu tun, die wir dem Stück entnehmen und für uns übernehmen. Das Zeug am Boden des Daches ist ja auch gleichzeitig oben und unten. Wir stehen in der Mitte und glauben an das Zentrum, na ja.
kunft, die sich anders geben, wie Indios des Karl May? Ach was, jede Vorstellung gibt immer noch ein Bild her, ab gehts dann in die bittere Brise des Tages, „süsses wird salz, wo das feuer zur feier dreht“, wir feuern ihn halt, den John, an und sind heiter hinter der Stube oben im Dach und haben all das Reine ins kleine Fragment vergossen, das sich zusammenfügen lässt.
Steinbeck ist im Grund ein bodenständiger Dichter. Auch wenn sein Westen wild war, so sind seine Wilden zahme Burschen. Aber zum Anbrennen reicht es immer noch und den Hahn aufs Dach setzen, dafür ist noch jede Seite gut genug. Denn Papier ist dem Holz sein Gezünde, und auf dem Flammenmeer reiten wir mit, treiben unser Bildboot drauf rum ohne zu stürzen und im Meer unterzugehen. Denn unsere Fälle, die sind nicht nass, sondern nur in der Grammatik gegeben. Kühl jedenfalls, das schon. Aber manchmal winken in der Ferne die Verb-Endungen den Weg. Die Beobachtung ist also Einbauen der Fälle, ich, du, er, sie, es, wir, ihr, sie – und gleichzeitig Weglassen von Allem: außer dem Ganzen, so in etwa halt,
Etwa in die Dinge, die haben wir da, gebildet sind sie die Waren des Wahren. Sie haben keinen Wirt und wir keine Schaft. Stehlen ist deswegen kein Makel, aber dennoch jedes Verbot wert. Ja, die Werte, sie sind Zeichen aus Wörtern und schon glauben wir, die Bilder zu haben: Also „kämpfen wir mit dem täglichen Wunder der Essenz“ – Martin mit John und mit mir und ich mit ihnen und ihr:
redet es auf mich ein. Die Helden, sind die in Takt? Kerle, Idioten, Verlierer oder einfach nur so Marionetten des Entwurfs, eine Gruppe Hinterwäldlerher-
So gesehen war das mit dem Bruch am Rand ziemlich passend, wenn überhaupt etwas passen kann in dieser alles möglich machenden Genauigkeit der Auswahl, in dieser Seite für Seite gefundenen Belegung. Da sitzen wir doch an der Quelle, wir Knaben, und sind leider nicht mehr feucht hinter den Ohren, und sie schmeckt gut, gebe ich zu: Rand hin oder her, das alles ist ein Faktum der Mitte, das Bild ist zwar seitlich im Drall, aber der Blick sucht immer das Verlorene, also die Mitte auf, komme was wolle, und die Helden, die sind HALT TEILE, VERDREHTE, ZEICHEN, WÖRTER, ABER SIE STEHEN VOLL IM GLANZ DES GESAMTEN und das ist nicht nur das WISSEN VOM BILD BIS ZUM BUCH, denke ich mir, während ich in der Asche stöbere und die Reste von Gostner finde, die sich Steinbeck nennen, und das alles mit Ferdinand vermischt – ist das ganze Glanzlose, aber es strahlt aus:
Das Sterbende lebt, der Körper gibt immer noch den Saft her, wir halten das Fließende auf, König Arthur stirbt, wir stehen mit ihm auf und die Todesdecke aus Gras wird zur Tapete, die ganze Wanzenwand ist nichts als die Leinwand des Auferstandenen, Gequetsche, das sich schreibt als Kärtchen, und siehst du, so ist das mit der ganzen Beschriftung, alles Leinwand, Post, also alles danach, hinter her wie der Tod, der immer erst zu spät uns zeigt, wie einer gefallen ist auf den Rücken, diese Flasche, nicht einmal zum Ab-
Leitartikel
this whole lettering, canvas all of it, post, therefore afterwards, all of it, later on like Death, who every time shows us too late how one has fallen on his back, what a flop, not even good enough for a depiction of the King, or for a cock, boat or hen, the quiet is rattling, cackling only the somewhat lost warriors, they fire very calmly, live quietly, are therefore de-pictured in their way, already they are playing about with fire there but nevertheless remain shadowy figures against the strongest blaze it was their lot to start, even if it crumbles, into ashes, we still have that which sucks up, and even they, the ashes need as material for the whole of parts from these parts parts in turn, which may be the hen and the egg, offered for sale at the market I intend to fry mine and then off into the urn and get rid of the cackling, never again to hear, thus I swear on the Scriptures, in return I relinquish my possessory titles and retreat into my corner, as confirmed to me by the map, by the script, marked I am thus bearing the mark and have found thee there, my precious, my heroine, my friend, my everything, given as a gift in the marking, unearthed from the files of soil, ashes again and thereafter dust, sand as well, which trickles through like any poor plot and the race in it is a slow motion horror, but it is the long weary while that joins with the ashes and ascends to the sun suction, which I simply rename, “Dolores”, I say to her, and I am glowing along in the firmament of the new conceptuality, it can all be grasped here on the floor far above the ground, I lift the bottle and suck myself into this world, too, it is gurgling out of me and everything comes to my mind and comes to her, of whom Gostner knows how to persuade me in this winding and yet so straightened twine, we cut Steinbeck short with it, but it is tightened to break and the break itself does not snap, it is a love thread we are thus spinning, ensnaring the picture of the image in the attic, the two of us, a death that, too, lovely, no doubt, but it must, it must be the desire to plunge with her from all these pictures and words of the Lord, who so benignly receives us under his roof, his treasure, which is us in his good will, for himself and for everything that doodles and dawdles, those are the poets like the dogs and the candlesticks, and from this day we shall all be called Francis, making a note of it on the table, where we convenience ourselves, never too early for that, each bit a bean and the free play of thoughts generates the color red for me, so it is not for the bean alone, it may 82/83
also be pepper, chili, a rose with which to prick ourselves, so that notches turn into hatches and the bull into the eye, so that it flows over in the wetness, the boat that is full, which means never to be full, since what is flowing does not set in the fullness, only the sand and the cliffs or simply the mere subsiding of the water, let it run aground, then everything topples, only the grammar remains, and thus we are looking down from the roof on to the dune, plunge downward and therefore upward into the parlor of thoughts and pictures, and once again or yet again or still collect, and band together the parts to form the whole, so as to make this boat shine again as nothing but one single sail to drift away with from that whole net of cases, as a young woman father, less in the light of the candles, but true also. Even, if – the whole stuff is burning, the paper crackling in the flames, the colors are dissolving, everything that we had found in John is going up in smoke and going down in a shower of ash. The Spanish sun blackens a little, heavily breathing the Armenian fire helpers, the Mexican firemen and the other Indian water cannons that have come hurrying up. (She began thus: What is found up in the attic is basically careless stuff to him, under the roof, remember, hardly any blood has been running from the hatches, up there the sturdy ones are carriers at best, and the trousers wide – down there, on the other hand, behind the bends in the road they are fluttering before the wind, thus entering into themselves, no two walking together, but one crease is never alone – He continues: But if you join in and speak that is redeemed which pretends to be lost, in any case there is confusion, but the pages endure, plucking the strings is what accompanies the find in the background, the music in the inner ear, which I place on the floor, like once on the rails, to hear the train pounding its future in the iron, that is prehearing, you understand, mishearing will always do for the fireworks, we turn back the wheel and right away something is going on ahead, if it goes like this, it goes like that, too, otherwise and on –
bild des Königs reicht es, oder zum Hahn, Boot oder Huhn, die Stille rattert, gackern tun nur die etwas verlorenen Krieger, sie knallen ganz ruhig, leben still, also sind auf ihre Weise ab und gebildet, schon zündeln sie daran rum und bleiben trotzdem Schattengestalten vor der stärksten Glut, die zu entfachen ihr Los war, auch wenns zerfällt, zur Asche, es gibt immer noch das, was sich ansaugt und selbst sie, die Asche braucht als Stoff des Ganzen aus Teilen von diesen Teilen wiederum Teile, das kann das Huhn sein mit dem Ei, angepriesen am Markt habe ich vor, das meine zu brutzeln und dann ab in die Urne und das Gackern loswerden, nie mehr zu hören, so schwöre ich auf die Schrift, dafür lege ich meine Besitzansprüche ab und ziehe mich in meine Ecke zurück, die mir der Plan, die Schrift bestätigt, gezeichnet bin ich so ein Gezeichneter und habe ich Dich darin gefunden, mein Schatz, meine Heldin, meine Freundin, mein Alles, in der Zeichengebung geschenkt, ausgegraben aus den Akten aus Erde, wiederum Asche und nachkünftig Staub, Sand auch, der rieselt durch wie jede schlechte Geschichte und das Rennen darin ist ein Zeitlupen-Horror, aber es ist die lange Weile, die sich mit der Asche verbindet und aufsteigt zur Sonnensaugung, die ich einfach umbenenne, „Dolores“ sage ich zu ihr, und glühe dahin im Firmament der neuen Begrifflichkeit, zu greifen ist das alles hier am Boden weit über dem Grund, ich hebe die Flasche und sauge mich in diese Welt mit ein, es gurgelt aus mir raus und alles fällt mir ein und ihr zu, die mir Gostner einzureden versteht in diesem verwinkelten und doch so geradegezogenem Schnürchen, wir kürzen Steinbeck damit ab, aber es ist zum Reißen gespannt und der Riss selbst schnalzt nicht, er ist ein Liebesfaden, den wir so spinnen, umgarnen das Bild der Vorstellung am Boden, wir beide, auch ein Tod, schön schon, aber es muss, es muss die Begierde sein, mit ihr zu Stürzen aus all diesen Bildern und Worten des Herrn, der uns so gütig aufnimmt unter sein Dach, sein Schatz, das sind wir in seinem Wohl Wollen, für sich und für alles, was sich so stiftet und bleibet, das sind die Dichter wie die Hunde und die Leuchter, und ab heute heißen wir alle Franz, halten dieses fest an der Tafel, an der wir es uns bequemen, nie zu früh kann das sein, jedes Stück eine Bohne und das freie Spiel der Gedanken erzeugt mir die Farbe rot, also ist es nicht für die Bohne allein, es kann auch Pfeffer, Chili, eine Rose sein, an der wir uns stechen, dass die Lücken zu Luken werden und der Bulle zum Au-
ge, dass es übergeht im Nass das Boot, das voll ist, was heißt, nie voll zu sein, denn was rinnt, das erstarrt nicht im Vollen, nur der Sand und die Klippen oder nur ganz einfach der Rückgang des Wassers, lassen es stranden, alles fällt dann, nur die Grammatik bleibt bestehen und so sehen wir vom Dach hinunter auf die Düne, stürzen hinab also hinauf in die Stube der Gedanken und Bilder, und sammeln noch einmal oder schon wieder oder noch immer, und rotten zusammen die Teile zum Ganzen, um dieses Schiff wieder erstrahlen zu lassen als einziges Segel mit dem wir entgleiten werden der ganzen Falle aus Fällen, als junge Frau vater,los im Schein der Kerzen, aber auch wahr. Wenn, auch – das ganze Zeug brennt, es knistert das Papier in den Flammen, die Farben lösen sich auf, alles, was wir in John gefunden hatten, steigt als Rauch hoch und sinkt im Ascheregen nieder. Die spanische Sonne wird ein wenig schwarz, schwer atmen die armenischen Brandhelfer, die mexikanischen Feuerwehrleute und die anderen herbeigeeilten indianischen Wasserwerfer. (Sie hob an: Was sich findet am Boden oben ist ihm im Grunde liebloses Zeug, am Dach, bedenke, aus den Luken ist kaum Blut geflossen, dort oben sind die Stämmigen höchstens Träger, und die Hosen weit – wiederum unten, hinter den Biegungen der Strasse flattern sie im Wind, gehen so in sich ein, jeder für sich, aber eine Falte ist nie allein – Er setzt fort: Aber sprichst du dazu, so wird das eingelöst, was sich verloren gibt, jedenfalls geht es durcheinander, aber die Seiten bleiben bestehen, die Saiten zu zupfen ist das, was den Fund im Hintergrund begleitet, die Musik im Innenohr, das ich auf den Boden lege, wie früher auf die Schienen, um den Zug zu hören, der im Eisen seine Zukunft stampft, das ist das Vorhören, verstehst du, Verhören ist immer noch für ein Feuerwerk gut, drehen wir das Rad zurück und schon ist vorne was los, gehts so, dann auch so, anders und weiter –
Rhythmusgruppen
(Fortsetzung von Seite 38)
(Fortsetzung auf Seite 96) 84/85
12h00 Ich verlasse das Haus um 12h00, und schon rasselt die Assoziationskette: „one-two-three-four-five--onetwo-three-four-five--one-two-three-four-five.“ Jack Nickolson sperrt seine Wohnung ab. Zu-auf-zu-aufzu, das ganze dreimal. Besser geht’s nicht. Die Szene, irgendwo knapp nach Beginn des Films „As good as it gets“, erklärt unfreiwillig den deutschen Titel. Besser geht’s nicht. Am Ende wird er immerhin neben Helen Hunt friedlich einhertrotten, einen Fuß im Rinnstein, einen am Gehsteig. Tief-hoch-tief-hochtief-hoch. Als ich den Film sah, erinnerte ich mich an meinen Weg zur Volksschule: Ich entdeckte, dass es am Asphalt Trennlinien aus dunklem Teer gab und dass ich von einer zur nächsten Linie fünf Schritte brauchte. So kam der Fünfertakt in mein Leben. Er ist der einfachste der „schrägen Rhythmen“, um für „unsquare rhythms“ eine hilflose Übersetzung zu verwenden. Später, vielleicht mit fünfzehn, hörte ich zum ersten Mal „take five“ und versuchte in Brubecks Tempo von Teerlinie zu Teerlinie zu eilen. Und im Fernsehen gab es das „Panoptikum“, eine Art Rundschau über Skurrilitäten aus aller Welt. Die Kennmelodie war noch viel schräger, und obwohl da jemand mitklatschte, konnte ich diesen Siebener(!)-Takt nur mühsam mithalten. Als ich dann schließlich die ganze LP „time out“ mit dem schönen Mirò am Cover erwarb, war mir daher der „Unsquare Dance“ (so heißt das „Panoptikum“-Stück) bereits vertraut … 12h35 Um 12h35 überfahre ich mit dem Rad mehrmals eine der fetten trägen Tauben. Beinahe. Leider? Dafür kommt mir ein bezauberndes kleines Stück von Johann Strauß in den Sinn. Es heißt „Die Tauben von San Marco“, Strauß’ opus 414, und angesichts dieser Zahl frage ich mich, ob die Alltags-Ostinati des Walzerkönigs einzig aus Tanzrhythmen bestanden. Nr. 414 also, ist eine elegante Polka francaise im Zweivierteltakt. Hier freilich irrte Strauß. Die Tauben, egal ob auf dem Markusplatz oder auf der Ringstraße, gurren im Fünfertakt: „u / uu uu u / uu uu u / uu uu“, ist gleich „fünf-einzwei-dreivier-fünf-einzweidreivier …“, kurz-laang-laang-kurz-laang-laang- … Wien ist nicht London und unsere Rasen nicht englisch. Damit sie also grün bleiben, müssen sie regelmäßig besprengt werden. Schrebergarten, Stadtpark, Fußballplatz: Überall hocken die kleinen Wasserhähne und krähen nicht, sondern zischen und spucken und drehen sich dabei um sich selbst. Immer im Kreis wandert der Wasserstrahl. Einmal pro Umdrehung wird er von einem geheimnisvollen Mechanismus kurz an-
gehalten, der Hahn verschluckt sich kurz und spuckt kürzer, damit auch die nähere Umgebung nass wird: „pfffffft-tschk-pfffffft-tschk-pfffffft-tschk-pfffffft tschk.“ In größeren Grünanlagen sind dementsprechend mehr Hähne bei der Arbeit, und setzt man sich an einem akustisch günstigen Punkt auf eine Bank, entsteht ein polyrhythmisches Geflecht höchster Präzision. Der Komponist György Ligeti hätte daran sicher seine Freude. Ligeti beruft sich immer wieder auf die Feldforschungen von Gerhard Kubik, der in Uganda mehrere Musiker beim Xylophonspiel aufnahm. Dabei spielten alle auf demselben Instrument, standen nebeneinander und einander gegenüber, und jeder musizierte sein Ostinato, scheinbar ohne Rücksicht auf den anderen. Wenigstens uns Mitteleuropäern erscheint es nur dann möglich, dermaßen exakt „gegen“ den Rhythmus eines anderen zu spielen, wenn man nur auf den eigenen hört. Die Wasserhähne im Park sind taub und seelenlos; ihre Perfektion wird bald langweilig. Ich fahre am Ring entlang, es ist Mittag und daher wenig Verkehr, und daher gebärden sich die wenigen Autofahrer, als wären sie auf der Autobahn. Miles Davis fällt mir ein, wie er zu den Bildern von Louis Malle „sur l’autoroute“ improvisiert. („Ascenseur pour L’echauffeaut“, 1957) Der Jazz ist vielleicht die wichtigste und ganz sicher die typischste Musik des 20. Jahrhunderts, weil er in sich einen Widerspruch trägt, der für das Leben steht: motorische Gleichfömigkeit und größtmögliche Freiheit. Über (oder trotz?) einer beständigen rhythmischen Begleitung äußert ein Mensch (mittels Saxophon, Trompete, Stimme etc.) eigene, freie, spontane Gedanken. Wobei hier jeder Schlagzeuger Einspruch erheben würde.Rhythmisch gleichförmig ist sein Spiel sicher nicht, er gestaltet die Begleitung, lebt also den Widerspruch noch intensiver. Freilich, es gibt auch die bemüht swingenden, die „puritanisch-amerikanisch“ (© N. Harnoncourt!) swingenden Jazzer. Ihnen und allen sei zugerufen: „Jazz braucht groove!“ Hier, wieder einmal, eine Kurzbeschreibung: „groove“ heißt „Furche, Rinne, Rille“. Wer „in the groove“ ist, befindet sich im richtigen Fahrwasser, in bester Form. Wer die „groove“ erst zu graben sucht, während er spielt, ist zu spät dran. Die „groove“ muss vorhanden sein, als gemeinsames Bewusstsein. Dann erst kann die Musik „fahren“, wie in Musikerkreisen oft zu hören ist. Und damit sie fährt, muss das Tempo sicher sein; es muss „stehen.“ Ein schönes Paradoxon, fast so schön wie das mit der Motorik, die unser Leben bestimmt und gegen die wir unsere eigenen Gedanken aufzubringen suchen.
Google, 11. 11. 2003, 16.37 Uhr
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Dazu ein Beitrag von David Schalko und Fred Schreiber, FM4-Duo und Macher der „Sendung ohne Namen“. TIROL Es ist ein seltsames Land, dieses Tirol. Und seltsam zersplittert. Von Wien kommend, erreicht man es nur durch eine Fahrt durchs Ausland, in welchem man sich mit bayrischen Grenzpolizisten herumschlagen darf. Der Osten Tirols liegt orientierungslos abgesplittert im Süden, wohingegen Südtirol sowieso im Ausland zu finden ist. Ein Land, das in den Medien primär als Verhinderer von zwölfspurigen Autobahnen auftaucht und als Erfinder des Lokalpatriotismus gilt. Der Lokalpatriotismus ist in Tirol deshalb so lokal, weil sich das Leben in den eingeschneiten Tälern völlig unterschiedlich entwickelt hat. Tirol, das Madagaskar Europas. ANDREAS HOFER Rache! APRÈS-SKI Die Rache der Franzosen für Andreas Hofer. TOBIAS MORETTI Die späte Rache von Andreas Hofer an Österreich. POLEMISIEREN = franz.: „polémique“, griechisch „polemikos“ = streitbar, kriegerisch. Heute: literarischer oder wissenschaftlicher Meinungsstreit; scharfe, unsachliche Kritik. Ist es nicht wunderbar, wie dieses Wort immer wieder als Entschuldigung gebraucht wird. „Sorry, ich war nur polemisch“ = „Sorry, ich war nur kriegerisch“. Klingt irgendwie verharmlosend und könnte genauso gut aus einem Gespräch von Bush und Cheney stammen. Doch leider sind Polemiken heutzutage relativ harmlos. Denn wir leben in homogenen (➝ homogen) Zeiten. Oder besser gesagt, wünschen wir uns nichts sehnsüchtiger als Homogenität, Harmonie, Gleichschaltung. Ich kann mich nicht erinnern, welche Generation (➝ Generation) so harmoniebedürftig war wie diese. Liegt wahrscheinlich an
meinem Alter. Kenne ja nicht so viele Generationen. Muss etwas mit dem Krieg zu tun haben. Dass wir so unkriegerisch kriegerisch sind. Wie alles irgendetwas mit dem Krieg zu tun hat. Doch in einer derartig professionellen Welt tut Polemik manchmal gut. Ja! Lassen Sie uns unsachlich sein. Lassen Sie uns einmal aus dem Bauch heraus argumentieren! Lassen Sie einmal unsere Wut sprechen! Lassen Sie uns guten Herzens polemisieren! ASYL Die Asylgesetzgebung in der Antike: Zeitweiliger Aufenthalt in Heiligtümern, durch den Sklaven und andere Minderprivilegierte sich kurzfristig vor dem unmittelbaren Zugriff ihrer Eigentümer oder anderer mächtiger Personen schützen. Die neue Asylgesetzgebung der mächtigen Personen legt wohl sehr viel mehr Wert auf die Begriffe „zeitweilig“ und „kurzfristig“. Kein Wunder: Denn schließlich können Orte wie der Transitbereich in Schwechat und das Asylantenwohnheim in Traiskirchen wohl kaum als Heiligtümer bezeichnet werden. Dürften Asylsuchende Zuflucht in den Heiligtümern unseres Landes suchen, würde das Publikum von Millionenshow, Musikantenstadl und Starmania fast ausschließlich aus Drogendealern und Taschendieben bestehen. BETRIEBSSYSTEM ➝ Generation EKLEKTISCH griech.: zusammengelesen, unoriginell Seit der gleichnamigen Architekturströmung des 19. Jahrhunderts und der eigenwilligen Formensprache der Postmoderne oftmals von der Musikindustrie bei Musiksamplern wie „Eclectic sound of … “ verwendeter Terminus. Von den Herstellern im Sinne der griechischen Definition richtig interpretiert, von den Käufern als mehrwertig missverstanden.
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FACHCHINESISCH Dringt der Homo sapiens televisionis tiefer in unbekannte Materie vor – wie zum Beispiel bei der Programmierung von Videorecordern – so spricht er gelegentlich von Fachchinesisch. Welches Idiom benutzen dann eigentlich die Chinesen? Vielleicht ist es dem eher dürftigen Angebot von Videorecordern in China zu verdanken, dass sich der Begriff Fachchinesisch so lange gehalten hat. Sagen ungebildete Iberer auch, sie verstünden nur spanisch, wenn sie ihre Unkenntnis zum Ausdruck bringen wollen? Und: Kann die Bevölkerung in den Vororten von Gablonz, Haida und Steinschönau mit dem Begriff „Böhmische Dörfer“ auch etwas anfangen? FRIEDENSPROZESS Bekommen Sie es auch mit der Angst zu tun, wenn Sie dieses Wort in den Nachrichten hören? Haben Sie auch das Gefühl, dass jetzt alles noch viel schlimmer wird? Spüren Sie es? Das Ende der Welt. Die Apokalypse. Wer vom Friedensprozess spricht, steht mitten im Krieg. GENERATION Haben Sie sich schon öfter gefragt, wann sie anfängt und wo sie aufhört? Angeblich soll ja die Zeitspanne einer Generation 7 Jahre ausmachen. Ab wann diese 7 Jahre gelten, kann keiner sagen. „Talkin ’bout my generation“ bedeutet also nichts anderes als nicht zu wissen, worüber man redet. Jeder Generation ihre Etikette. Wie wird meine Generation (sind das jetzt die zwischen 70 und 77 Geborenen oder eher die 67 bis 74er – was weiß ich?) wohl genannt werden? Wolfgang Schüssel – ein Mann, der diese Generation kennt, wie kein anderer – hat sie wohlweislich als „Internetgeneration“ bezeichnet: Was wurde wohl aus der „CD-Generation“? Und die „PC-Generation“ hatte es wirklich schwer. Und die „Bügeleisen-Generation“ erst. Dann schon lieber X. Danke, lieber Wolfgang aus der Kühlschrankgeneration. GENERATIONSKONFLIKT ➝ Generationenvertrag
Markt wirklich frei wäre, dann würde er keinen Gesetzen folgen. Zumindest keinen, die irgendjemand festlegt. Also müssten es Naturgesetze sein. Was hieße, dass der freie Markt etwas Natürliches wäre, etwas von der Schöpfung Vorgesehenes. Etwas, um das sich Umweltschützer genauso zu kümmern haben wie um Ölteppiche und Atomreaktoren. Denn wenn das ökonomische Gleichgewicht des freien Marktes erst einmal in Gefahr ist, gibt es kein Zurück. Und wehe ein Land der Dritten Welt unterschriebe die Kyotoprotokolle der freien Märkte nicht … HOMOGEN = aus dem spätlateinischen „homogeneus“: von gleichem Geschlecht, gleichmäßig aufgebaut, einheitlich, aus Gleichartigem zusamengesetzt Wir tragen die gleichen Marken, wir essen das gleiche Essen, wir hören die gleiche Musik, wir sehen die gleichen Filme, wir haben die gleichen Ansichten, wir sehen gemeinsam fern, wir träumen von den gleichen Jobs, wir leben das gleiche Leben. Wir sind alle homo. INTERNETBOOM Im Jahre 1993 umfasste das Internet schätzungsweise 90 Millionen DIN-A4-Seiten. Zehn Jahre später sollen es 12.300 Milliarden sein. Von einem Boom zu sprechen ist verfrüht, trotzdem wird sich das Internet langfristig wohl gegen den ORF-Teletext durchsetzen. KARRIERE = von dem französischen „carrière“ abstammend = Rennbahn, Laufbahn Karriere ist wichtig. Mehr gibt’s darüber nicht zu sagen.
GENERATIONENVERTRAG ➝ Generationskonflikt
P.S.: Dass sich des Staates größter Karrierist, Frank Stronach, so sehr ins Thema Rennbahn vertieft, kann kein Zufall sein.
GESETZ DES FREIEN MARKTES Ein Oxymoron der besonderen Art. Denn wenn der
KOMPENSATIONSGESCHÄFTE Eigentlich Gegengeschäft. Beim Kauf der Eurofighter
Meinungsforschung
HWL-HWY Marktpsychologie . Werbepsychologie. Verkaufspsychologie. ... HWL-HWY Marktpsychologie . Werbepsychologie. Verkaufspsychologie. Verkehrspsychologie. ... HWL-HWY Marktpsychologie . Werbepsychologie. Verkaufspsychologie. ...
nulldefizit
Nulldefizit auf dem kulturellen Terrain kultur.at
florist - Fachzeitschrift der deutschen Floristen
... Schulterschluss . Reduzierte Mehrwertsteuer für Blumen und Pflanzen muss bleiben. Der Fachverband Deutscher Floristen und die Industriegewerkschaft ...
europa-digital /aktuell/dossier/ erweiterung/index.shtml
... Die EU und Russland GASP 2000 Fischers Europa-Rede Ost -Erweiterung Die Reform ... Ein starkes Duett Wie präsentiert die EU das Thema Osterweiterung im Internet? ...
Positives Denken
.Positives Denken , . ... Positives Denken , nichts für Europäer? Die meisten Autoren (oder Voneinander-Abschreiber) auf diesem Gebiet sind Amerikaner. ...
American Reform Party - [ Diese Seite übersetzen ] The American Reform Party (ARP) was established as a democratic, self-governing, free-standing national party. . AMERICAN REFORM PARTY. ... 90/91
[PDF] Die Person als Synergieeffekt Dateiformat: PDF/Adobe Acrobat Page 1. Die Person als Synergieeffekt Persönlichkeit als Ergebnis der Interaktion basaler Informationsverarbeitungsprozesse Harald Schaub Vortrag auf der 8 ..
Unterseeboot
Moorhennen. Moorhexen. Blackjack. Dame. Striptease. Unterseeboot . Ufos. Driver. Kanzler Generator. Spielanleitung Unterseeboot . SCRIPT-K.DE -Die Webhilfe Seite-.
sollen die Gegengeschäfte die Höhe des Kaufpreises sogar noch übertreffen. Frage: Warum nehmen wir dann nur 18 Stück? MARKTPSYCHOLOGIE Weltweit beschäftigen sich etwa 300 Institute mit der Forschung auf dem Gebiet der Marktpsychologie. Methodik: computergestützte Interviews, Mail Surveys und Onlinefragebögen. Eine Wissenschaft also, die noch nicht einmal in den Kinderschuhen steckt, aber gehörig den ➝ Internetboom beeinflusst. NULLDEFIZIT Die Ergebnisse von Gelehrten wie Thales, Pythagoras und Keppler verblassen sämtlich gegen den Geistesblitz eines unscheinbaren jungen Mathematikers namens Grasser, der im Jahre 2000 in Österreich die Existenz der defizitären Null bewies. Hier die verblüffend einfache Formel: Annahme: Es sei: Die Steuermenge S, die Menge aller Privatisierungen P, die Menge der Ausgaben A, die Variable des Wirtschaftswachstum W als infinitesimal kleiner Wert gegen 0. Es gelte: S+P–A+W=0 Rechnung: S + P – A = –W => 0 = – W => Null ist nicht Null, sondern ein infinitesimal kleiner, defizitärer Wert gegen Null. q.e.d. OSTERWEITERUNG Der arme Osten. Er soll also erweitert werden. Ist er denn nicht schon weit genug? Versuchen Sie mal mit öffentlichen Verkehrsmitteln von Warschau über Prag nach Budapest zu reisen und stellen Sie sich die endlosen Weiten in einer erweiterten Fassung vor. Bei der Erweiterung Spaniens, Portugals und Griechenlands sprach man noch davon, dass Europa zusammenrückt. Aber damals war schließlich auch nicht von einer Süd- oder Westerweiterung die Rede. POSITIVES DENKEN Unkritischster Zustand, den ein Mensch erreichen kann. REFORM = aus dem französischen: „réforme“. Umgestaltung, Neuordnung, Verbesserung des Bestehenden.
Wer die Zeitung aufschlägt, merkt es sofort. In Europa wird reformiert. Und zwar, was das Zeug hält. Steuern, Renten, soziale Systeme, … u.v.a. Nirgends ist mehr von revolutionären Ansätzen die Rede. Nein, eine Reform muss her. Geht auf die Straßen! Für die große Reform! Alles bleibt besser! Nur nicht zuviel des Guten! Wir wollen keine grundlegenden Veränderungen. Unsere Eltern hatten recht. Wieso sollte ich mit ihnen streiten? Nein, du musst verstehen, wenn du einmal Kinder hast und sie kommen nicht pünktlich nach Haus, würdest du dir auch Sorgen machen? Man kann nicht früh genug mit der Altersvorsorge beginnen. Was willst du einmal werden? Ich habe mich bereits mit zehn Jahren entschieden. Traditionen sind wichtig. Durch das Reden kommen die Leute zusammen! Lass uns vernünftig sein! Viva la reformatione (oder so)! oder: Scheiß auf neue Ideen! P.S.: Die Reform ist der Japaner unter den Veränderungen. SCHULTERSCHLUSS Seit den ersten Tagen der neuen und mittlerweile schon alten und mittlerweile auch schon alten und neuen Regierung wird von den Verantwortungsträgern oft der Begriff Schulterschluss in die Medien getragen. Aber immer nur dann, wenn Vorhaben ohne breite Unterstützung durchgesetzt werden sollen. Zumeist in Verbindung mit der Floskel „die überwältigende Mehrheit der Österreicher“. Der Schulterschluss soll dazu dienen, dass sich die Schulterschließenden trotz schlechtem Gewissen nicht in die Augen sehen müssen. SYNERGIEEFFEKT Fälschliche Annahme, dass erlangtes Wissen auf einem Gebiet, notwendigerweise positive Entwicklungen auf einem anderen Gebiet hervorruft. Zukunftsträchtige Ausnahme: Wer hätte gedacht, dass unsere alten FCKW–Kühlschränke auf den Mars einen Terraformingeffekt ausüben könnten? UNTERSEEBOOT Ein Unterseeboot fährt ja wohl nicht unter dem See. Eigentlich Imseeboot, oder Inseeboot. Aber bitte.
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Julia Bornefeld Originalbeilage Nr. 3
Taschentuch mit Tentakeln: In der Hochkonjunktur des papierenen Wegwerftempos gestaltet die Künstlerin Julia Bornefeld mit ihrer Quart-Originalbeilage eine Hommage an ein altes und traditionsreiches Wäschestück. Von Marion Piffer Damiani Dem kleinen Stoffquadrat, das hier ein künstlerisches Comeback feiert, war einstmals eine glänzende Karriere auf dem gesellschaftlichen Parkett beschienen. Das war, bevor es nur noch dem Schneuzen diente und bevor es in den goldenen Zwanziger Jahren vom praktischen Sinn der Amerikaner durch das hygienischere Kleenex ersetzt wurde, um sich alsbald in den Ruhestand in die verschiedenen Museen der Volksund Alltagskultur zurückzuziehen. Verschiedenen Quellen zufolge fand das Taschentuch in vorchristlicher Zeit als praktisches Schweißtuch Verwendung und diente dann in der kirchlichen Liturgie zum Säubern des Kelches. Den Höhepunkt seines gesellschaftlichen Erfolges aber feierte das „fazzoletto“ als begehrtes Luxus- oder Lustobjekt in den höfischen Kreisen seit der italienischen Renaissance. Gerne beschenkten sich die Verlobten gegenseitig mit Taschentüchern aus feinstem Gewebe. Der kostbare Fetisch und Liebesbeweis wurde angeblich in der Hand, am Hut oder im Ärmel getragen und dann und wann auch schon einmal zum fatalen Beweisstück: Als der vor Eifersucht rasende Othello sein Taschentuch bei dem vermeintlichen Nebenbuhler vorfindet, fasst er den festen Entschluss, seine Frau Desdemona zu töten. Erst nach getaner Tat erkennt er seinen Irrtum und jagt sich verzweifelt selbst den Dolch in die Brust. Das Shakespeare’sche Drama ist die wohl meist besungenste Geschichte, in der das alltägliche
Modeaccessoir Taschentuch eine verschlüsselte Botschaft beinhaltet und zum verhängnisvollen Zeichen auf der Bühne gesellschaftlicher Symbolsysteme mutiert. Die Künstlerin Julia Bornefeld reizen die Stofflichkeit, das Volumen und die Intimität körpernaher Tücher und Hüllen; dazu gehört auch das Taschentuch. Vor allem faszinieren sie aber Kleidungsstücke wie Strümpfe oder Büstenhalter, die im Farbton die Haut selbst imitieren, um mit dem Körper als möglichst kompakte Einheit zu erscheinen. Strümpfe und Unterwäsche bilden eine erste Schicht, die wir im Rahmen unserer körperlichen Kodierungsrituale überziehen, eine Art Interface im Wechsel von einem Zustand in einen anderen. Mit diesen Hüllen geht Julia Bornefeld auf künstlerische Tuchfühlung, mit Hüllen, die am Abend wieder abgestreift werden, die der Körper hinter sich lässt wie die Schlange ihre Haut oder die Raupe den Kokon. Häutungen abgelegter oder ausgestandener Emotionen bilden das konzeptuelle und stoffliche Rohmaterial für ihre Skulpturen und Objekte. Menschliche Organe, geflügelte oder vielbeinige Insekten und Tiere, Anspielungen an Geschlechtliches wie Sexuelles bevölkern die Vorstellungswelt der Künstlerin. Natürliche Zeichen werden in ästhetische transformiert, Menschliches und Tierisches vernäht
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und verflochten. Die Schnittmuster stammen von diversen Kreuzungen – vorzugsweise zwischen Tieren mit Tentakeln (wie Spinnen, Quallen oder Tintenfische): Wahlverwandtschaften mit Symbolkraft, die nach Strich und Faden umgesetzt werden. Die Künstlerin spannt die Stoffhäute in Metallrahmen auf, stopft sie aus oder spinnt sie zu mandalaartigen Figurationen, wo selbst noch in den abstraktesten Bearbeitungen existentielle körperliche Befindlichkeiten mitschwingen. Der metallene Rahmen erinnert an eine Art Korsett oder Unterrock und hat neben seiner Funktion der Formgebung auch noch einen weiteren praktischen Aspekt: Er steift die Skulptur zum Kostüm aus, das sich die Künstlerin selbst überstreift, um es in schamanenhaften Performances zu animieren und die gestisch-theatralischen Sequenzen der eigenen Verwandlung später in Bilderserien zu demonstrieren: Die Künstlerin verschwindet im Tier, das Menschliche versinkt im rituellen Tanz einer archetypischen Figur. Zurück zum Taschentuch: Das fremde Wesen, das auf Julia Bornefelds Edition für Quart auftaucht, ist eine eigenwillige Verschränkung der Gestalt von Spinne und Oktopus und damit zweier typischer Symbole für tierische Instinkte und animalische Verführungskunst. In der Welt der Traumdeutung steht die Spinne angeblich auch für das Künstlerische in der Träumenden und erhält eine selten positive Bedeutung – wohingegen in den Sprüchen der Alltagswelt ihr Bild meistens negativ besetzt ist („Intrigen spinnen“, „spinnefeind“). Schließlich handelt es sich da um ein Insekt, das seine Opfer auf grausame Weise ins Netz lockt, um sie zu vergiften und auszusaugen. In den Nachschlagewerken zur Tiersymbolik taucht die Spinne vor allem im Mittelalter als ein Symbol für
das Triebhafte oder das Geizige (Avaritia) auf. Kaum besser in seinem Image schneidet da der Oktopus ab, seine tödlichen Tentakel assoziiert die christliche Bildsprache mit negativen Affekten der Trieb- und Instinktnatur des Menschen wie auch mit Lüge oder Verrat. Als Sexualsymbol erscheint der Tintenfisch hingegen im japanischen Kulturkreis, hier zeigen die Darstellungen den vielbeinigen Oktopus meistens dabei, wie er eine Frau umklammert und dabei ein Tentakel, das (wie in der Natur) als Geschlechtsglied fungiert, unter ihr Kleid führt. Sucht man schließlich im Internet nach weiteren Informationen zur Symbolik der Spinne oder des Tintenfischs, taucht interessanterweise eine Vielzahl unterschiedlichster Anbieter von Tattoos auf: In diesem Metier gehören die beiden Tiersymbole zum Standardrepertoire … Die Plastiken und Objekte von Julia Bornefeld – wie ihr „Spinnenoktopus“ (oder umgekehrt: ihre „Tintenfischspinne“) – verkörpern in der Tradition von Tierdarstellungen in Kunst, Kult, Religion und Mythologie das Zusammenspiel und den Widerstreit von Tierseele und Geistnatur im Menschen und die damit verbundenen Kräfte, Instinkte, Ängste. Die Skulpturen experimentieren mit den Bildern des Geschlechtlichen und Animalischen, evozieren sie in einem spannungsreichen Pas de Deux von Nähe und Distanz, Erfüllung und Frustration, Umarmung und Abtrennung, lustvoller Hingabe und beklemmender Fremdheit. Wie sich die Skulpturen der Künstlerin in Kostüme verwandeln lassen, so wird das vielbeinige Tier auf dem kleinen quadratischen Taschentuch lebendig, sofern man sich nur auf das illusionäre Spiel mit dem Gefährten einlässt.
Rhythmusgruppen
(Fortsetzung von Seite 84)
(Fortsetzung auf Seite 116) 96/97
17h30 Um 17h30 bin ich im Ö1-Studio, und meine Sendung beginnt mit der Kennmelodie von Werner Pirchner. Pirchners Alltag wurde, scheint mir, von einer Fülle von Klängen strukturiert. Einfacher ausgedrückt: Sein Leben war voller Musik … Als gewesener Jazzmusiker war er an einen Tagesablauf gewohnt, der eher spät begann und spät endete. Das blieb auch so, als er das Vibraphon endgültig in das oberste Zimmer seines Kompositionsturmes zur Ruhe stellte und nur mehr komponierte. Man erreichte ihn durchschnittlich frühestens ab elf Uhr vormittags und mindestens bis zwei Uhr nachts. (Inwieweit verändert sich meine Erinnerung an ihn durch die schönfärbende Trauer?) Der scheinbar ad acta gelegte Jazz bliebt freilich in seiner Musik erhalten; es war ihm ein großes Anliegen, auch klassischen Musikern die selbstverständliche rhythmische Souveränität beizubringen, die im Jazz eine Grundbedingung ist. Vor Pirchners Haustür in Thaur hängen zwei Röhrenglocken; eine ist im Ton a gestimmt, die andere in d. Bevor man das Haus betritt, schlägt man „d – a“, geht man wieder, dann umgekehrt … So begann und endete ein Besuch bei Pirchner mit einem feinen, zweitönigen, variierten Ostinato. Pirchner war auch ein genialer Wortakrobat. Kaum ein Werktitel ohne Doppelsinn, jede Tempoangabe oder Spielanweisung eine mögliche Lebenshilfe. Im Takt fünf des ersten Satzes „Ungezähmt“ aus dem Klaviertrio „Wem gehört der Mensch …?“, schreibt er über die Noten: „Spüren statt zählen“ … 18h30 Um 18h30 fahre ich nach Hause. Beim Halt neben einer Straßenbahn höre ich aus der sich öffnenden Türe Ing. Kaida, einen Bediensteten der Wiener Verkehrsbetriebe. Franz Kaidas Stimme erzählt mir seit Jahr und Tag, welche Station die nächste sein wird. Wenn es kalt wird, und das Rad eingekellert ist, wird er mir zum verlässlichen Begleiter aller Wege. Berühmte Haltestellen wie „Stephansplatz“ oder „Schönbrunn“, ausgefallene wie „An den langen Lüssen“ oder „Zentralfriedhof, drittes Tor“ – vor seinem Tonfall sind alle gleich. Egal, ob ich den letzten Zug
erwischt habe, allein einen Viererplatz belege oder zwischen zwei Beißkorb-losen Rottweilern eingeklemmt stehe – Kaida lässt seine Stimme keinen Deut mehr ausschwingen, er reiht Umsteigemöglichkeiten gleichwie Hinweise auf ältere Fahrgäste in der immer gleichen Abgeklärtheit aneinander. Während meiner Aufenthalte in Innsbruck bin ich dann immer wieder von dem kernigen Bariton überrascht, der mir hier das Orts-Ostinato verkündet … Übrigens: Wenn sich die Waldbahn von Wilten nach Lans und Igls hinaufschlängelt, wechselt sie die Klangumgebung: Das Grundgeräusch vom Südring weicht dem Grundrauschen des Waldes. Stationen dieser Klangentwicklung sind zwei Friedhöfe: Wilten und Tummelplatz, gleichsam schweigende Orte als Begleiter. Die zahmen Eichhörnchen beim Teich gleich neben dem Lanser See schauen beim Aufsammeln der von zahllosen Spaziergängern hingeworfenen Nüsse kaum auf, wenn die Bahn ein paar hundert Meter entfernt vorüberrattert, die Schwellen als „groovende“ Grundlage. Der Klang einer Stadt besteht aus organisierten, „absichtlichen“ Geräuschen. Durch ihre Überlagerung, Überlappung und Vermischung entsteht ein sich ständig wandelndes, waberndes akustisches Gebilde. Jeder hat seine eigene Instrumentation, die Stadt erklingt in so vielen Symphonien, wie sie Einwohner hat. Ich stelle mein Rad in den Hof, gehe in den zweiten Stock, schließe meine Tür auf (one-two-three-four-five) und öffne das Fenster. Der Supermarkt liegt friedlich da, wird nur umrauscht vom ewig aktiven Kühlapparat seiner Frischwaren. In etwa sieben Stunden, so um zwei Uhr früh, wird in den Milchglasfenstern neben dem Eingang zur Bäckerei das Licht angehen. Hoffentlich. Der Bäcker wird sich dann an den Teig meines Mohn mit Salz machen. Und die Bäckerin – übt sie die verschiedenen kleinen Concerti, zu denen sie ihre Begrüßungen zu formen versteht? AlltagsOstinati werden nicht geprobt. Sie entstehen auf der Bühne, also im Laden, im Park, auf der Straße. Auf Wiedersehen, danke. Kläff. One-two-three-four-five. u / uu uu u / uu uu u / uu uu. pfffffft tschk. / d / a / a / d
Werkauswahl
Innungen
Die untere Schenke (1950)
Am Magnetberg (1982)
Erfolg (1984)
Im Zeitsee (1986)
Die Katze am Meer (1986)
Bay City Blues (1986)
Der Name der Rose (1986)
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Liederzyklus nach Gedichten von Theodor Kramer Produktion: ORF
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Klaus Hoffer Regie: Urs Widmer, Produktion: SWF
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Lion Feuchtwanger Regie: Hartmut Kirste, Produktion: SWF/NDR
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Günter Herburger Regie: Hermann Naber, Produktion: SWF/NDR/SFB
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Wilhelm Genazino Regie: Arturo Möller, Produktion: SWF/RB
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Raymond Chandler Regie: Hermann Naber, Produktion: SWF
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Umberto Eco Regie: Otto Düben, Produktion: BR/SWF/NDR/ORF
Wie es war
Er hatte mich schon am Telefon gewarnt: „Ich sitz’ dann in der Restauration vom Baden-Badener Bahnhof, da ist’s besonders hässlich, und deshalb sehenswert!“. Treffpunkt um 11.18 Uhr an einem Montagvormittag mit Peter Zwetkoff, dem ich noch nie begegnet war. Von Peter Herbert Seine Stimme, die mit jedem weiteren Telefonat freundlicher wurde, hatte etwas unheimlich Lebendiges. – „Erwarten Sie sich nicht zu viel“, sagte er mir in einem dieser Gespräche. – „Aber Sie haben doch ein Leben lang mit Musik verbracht.“ – „Ach, die Musik, das war nie das Wichtigste in meinem Leben, das Wichtigste war die Politik.“ Das machte mich neugierig – wie auch die Tatsache, dass Zwetkoff 1954 mit seiner Berufung zum Südwestrundfunk (SWR) als Hauskomponist und musikalischer Berater der Hörspielabteilung spur- und klanglos vom Konzertbetrieb verschwand. Auf der Zugfahrt von Bregenz nach Baden-Baden nochmals die beiden CDs mit seiner Musik angehört: die gespenstischen Scheren in „Wie es war“, die tiefen Klaviercluster aus „Am Magnetberg“ oder die schwebenden Kontrabässe im unteren Register in „Je nachdem, wie der Wind weht“ – eine reiche und intelligente musikalische Sprache, der ich mich sehr verbunden fühle (exklusive Verwendung akustischer Geräuschquellen, Absenz akademischer Kompositionstechniken). Noch einmal die biografischen Daten rekapituliert: 1925 in Bulgarien geboren, ab 1926 bei Hall in Tirol aufgewachsen, als Kommunist aktiv am Wider-
stand beteiligt, studierte in Innsbruck Klavier, Harmonielehre und Kontrapunkt, am Salzburger Mozarteum und bei Carl Orff Komposition, 1951–54 Klavierlehrer und Leiter des Orff-Schulwerks an der Musikschule Innsbruck; seit 1954 beim SWR. Liederzyklen, Kammermusik, Klaviermusik; Theater-, Film-, und Hörspielmusik. Zahlreiche Preise. Beeindruckendes Resümee. Ob ich mir das alles merke würde? Ich wollte gut vorbereitet zu unserem Gespräch kommen. Dank der notorischen Verspätungen der DBB erreiche ich schließlich Baden-Baden eine Stunde nach unserem abgemachten Termin. Ich treffe Peter Zwetkoff schnitzelessend in dem wirklich abscheulichen Bahnhofsrestaurant an. Ein kleiner, untersetzter Mann, schneeweiße, fliegende Haare, kleine, unglaublich flinke Augen und ungeduldige, gepflegte Hände. Im Hintergrund heult Whitney Houston aus der Jukebox, flankiert von geschmacklosen Möbeln und an der Wand von einer noch geschmackloseren Plastik: ein Dandy, der einer lasziv gekleideten Dame Feuer gibt. Nicht gerade das Umfeld für eine ernste Begegnung. Ich bestelle auch was zum Essen, Zwetkoff bedauert mehrmals den Umstand, dass wir nicht mehr Zeit haben, um in ein anständiges Lokal zu gehen, ich muss in zwei Stunden weiter zu einem Konzert nach Frankfurt. Hier sitze ich also in dieser lauten Umge-
Innungen
Mord im Regen (1986)
Gilgamesch (1987)
Die Platane am Ilissos (1987)
Stadtluftundliebe (1988)
Der Störfall, Nachrichten eines Tages (1988)
Der Mann, der Hunde liebte (1988)
„Wie es war“ (1988)
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Raymond Chandler Regie: Hermann Naber, Prod.: SWF/NDR
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Garleff Zacharias-Langhans Regie: Petra Kiener, Produktion: SWF
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Garleff Zacharias-Langhans Regie: Garleff Zacharias-Langhans, Produktion: SWF
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Ursula Krechel Regie: Hans Gerd Krogmann, Produktion: SWF/NDR
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Christa Wolf Regie: Götz Frisch, Produktion: ORF/HR/SFB/SWF
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Raymond Chandler Regie: Hermann Naber, Produktion: SWF
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für Streichquartett und Schlagzeug, Sandblocks, Becken, Scheren, Produktion: ORF
bung mit DEM Peter Zwetkoff, dessen Musik mir zu einem Begriff geworden ist, dennoch weiß ich nicht so recht, wo beginnen. Er erleichtert mir den Einstieg in unser Gespräch: höfliches verbales Beschnuppern (von woher und wohin). Bald frage ich ihn nach seiner Zeit in Tirol. „Das ist lange her“, sagt er, „ich bin ja 1954 weg, aber ich hab’s alles noch in der Nase, das Gute und das Schlechte, das verschwindet ja nicht, hab’s alles in der Nase. Durch die Jugend und die damit verbundene Empfänglichkeit erscheinen mir die schönen Erinnerungen vielleicht wie zu lautes Licht.“ Zwetkoffs Biografie habe ich entnommen, dass er sehr früh politisch aktiv war. „Keine Kinder in die Welt setzen“ – unvermittelt und impulsiv kommen diese Worte aus seinem Mund, während er mit den Fingern imaginär klavierspielend auf die Tischplatte klopft – „wenn andere Menschen einem so was antun können, warum dann?“. Er spricht in Andeutungen: wie er von der Gestapo misshandelt worden ist, damals in Tirol. Seine Geschichte, die frühen, lebensprägenden Erlebnisse, von denen dieser Mann redet, machen mich sprachlos. „Ich habe keine Zeit für Blödeleien“, sagt er, „ich schlafe sehr wenig, nur so circa fünf Stunden pro Tag und bin immer sehr beschäftigt – mit Politik!“ „Und die Musik“, frage ich. „Ja, sehen Sie, ich war quasi ein Gebrauchsgraphiker, ich habe Texte oder Inhalte mit Musik illustriert und damit mein Geld verdient.“ Eine bemerkenswerte Selbsteinschätzung angesichts eines beeindruckend umfangreichen Werkes (darunter Musik zu ca. 250 Hörspielen und fast 60
Spielfilmen). Ich frage, ob es ihn nie interessiert hätte, eine Oper zu schreiben. Wer einen derartigen Sinn für musikalische Dramaturgie hat, ist prädestiniert für die Königsdisziplin der Komponisten. – „Ja, eine Oper, die war schon im Entstehen, wurde dann aber doch nicht realisiert.“ – „Und woran ist das Unterfangen gescheitert?“ – „An mir, nein, eigentlich am Flippern. Sehen Sie, ich hatte eine Periode von circa zehn Jahren, wo ich sehr viel getrunken habe, und ich liebte flippern. Ich hab’ so viel geflippert, in dieser Zeit hat Balzac wahrscheinlich sein Lebenswerk geschrieben.“ Wie sympathisch, denke ich, gibt es doch auch in meinem gegenwärtigen Kollegenkreis diese exzessiven Naturen, die Großartiges schaffen und gleichzeitig diese tägliche Überdosis brauchen, als gäbe es kein Morgen. Gesundheitliche Gründe zwangen Zwetkoff, seinen Lebensstil zu ändern. Während ich einen Schluck von meinem mittelmäßigen Côtes du Rhône nehme, bedauert er einmal mehr, dass wir uns um die Mittagszeit treffen, da könne er noch nichts trinken, erst abends. „What a mensch“, denke ich (wobei der Begriff „mensch“, wie er im Jiddischen in New York verwendet wird, viel mehr bezeichnet – nämlich jemanden mit Statur, Charakter und Großzügigkeit im weitesten Sinn.) „Ich mag keine Menschen mehr kennenlernen, ich mag diese Öffentlichkeit nicht“, fährt Zwetkoff fort. Ob das wohl der Grund für seinen plötzlichen Rückzug aus dem Konzertbetrieb war? – „Da sitzen die Menschen im Konzert und sagen, ach, wie schön haben sie diesen Beethoven gespielt, wie zauberhaft diesen Brahms interpretiert … das
Innungen
Die JĂźterbog Konnexion (1989)
Der Afrika-Forscher (1989)
Schinderhannes (1990)
Nevada Gas (1990)
Je nachdem, wie der Wind weht (1990)
Am Morgen wirst du sehen (1993)
Umschlagplatz (1993)
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Roderich Feldes Regie: Norbert Schaeffer, Produktion: SWF/HR
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Urs Widmer Regie: Urs Widmer, Produktion: SWF
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Gerd Fuchs Regie: Hartmut Kirste, Produktion: SWF
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Raymond Chandler Regie: Hermann Naber, Produktion: SWF
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Helga Ziegler Regie: Peter Reichenberg, Nikolas Ryhiner, Produktion: SWF
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7 Lieder nach Gedichten von Urs Widmer Leitung: Othmar Costa, Musikregie: Peter Zwetkoff
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Musikregie: Peter Zwetkoff
interessiert mich alles nicht. Mein bester Freund Otto Grünmandl sagte: ‚Wir alle schmieren uns Senf um’s Maul und flöten: Ach wie süß ist heuer der Honig!‘“ – „Aber im Radio gibt’s doch auch ein Publikum –“ – „Ja, aber das sehe ich ja nicht.“ Wir reden über meine Vision der eigenen Stimme am Instrument und meine Versuche als konzertierender Musiker, das vor Publikum zu übermitteln. Zwetkoff kennt mich und meine Musik nicht. Ein paar Tage später wird er mich anrufen und mir zu der CD mit Musik für Streichquartett und Kontrabass gratulieren, die ich ihm gegeben habe. „Wunderbar, sehr viel Kraft“, wird er sagen. Das sind Komplimente, die zählen. In Gedanken an den Abgabetermin für diesen Text und meine ungünstige Eigenschaft, immer bis zur letzten Minute an allem zu arbeiten, frage ich mich, ob er mit Faxgerät oder e-mail vertraut sei, da ich ihm den Text gerne noch vor Drucklegung zukommen lassen würde. „Nein, das brauche ich alles nicht“, sagt er. „Wissen Sie, jetzt im Alter hab’ ich die Arabeske entdeckt: Wenn ich von A nach B gehe, habe ich oft das Gefühl, zu schnell gegangen zu sein. Es gibt doch immer so viel zu entdecken.“ – „Eine andere Erkenntnis ist das ewige Problem der Dialektik. Man kann eine Sache von zwei entgegengesetzten Standpunkten aus vertreten. Man muss nur aufpassen, dass sich in der Erkenntnis dieser Realität keine Resignation einstellt.“ – Von wegen Resignation. Mein Gegenüber ist ein Junggebliebener, ein Interessierter, wacher Mensch mit kleinen, funkelnden Augen und ungeduldigen, klavierspielenden Händen.
So kann man alt werden, denke ich mir. Beim Kaffee sprechen wir über die politische Farce in Österreich und in den Vereinigten Staaten, die viel globalere Auswirkungen hat, über das Klavierspielen, das er studiert hat und ich in meiner Jugend motivationslos lernen musste, ich erzähle ihm von meinen Kletterjahren, bevor ich mich entschloss, Musiker zu werden, er klagt über die Phantasielosigkeit der heutigen Zeit – und dass ihn die Müdigkeit übermanne und er jetzt gehen werde. „Aber jetzt trinken wir noch einen Topinambur“, sagt er, „kennen sie den? Das ist der einzige Schnaps, den man auch als Diabetiker trinken kann, und den gibt’s hier!“ Er bestellt zwei davon und die Rechnung bei der freundlichen, alten Kellnerin, während eine gebrechliche alte Dame am Nebentisch Platz nimmt und mit kaum hörbarer Stimme einen Kaffee bestellt. – „Auf Ihr Wohl!“ Er lehnt sich weit zurück, kippt den milden Schnaps in einem Zug hinunter, lässt es sich nicht nehmen, die ganze Rechnung zu begleichen (auch den Kaffee der Dame vom Nebentisch spendiert er), verabschiedet sich mit einem kräftigen Händedruck eine halbe Stunde, bevor mein Zug abfährt. Mit einem langen Seufzer der Genugtuung hat er das Schnapsglas geräuschvoll abgestellt und gemeint: „Wann sind Sie in Wien, im Dezember? Da treffen wir uns, im Anzengruber, da kann man gut essen, abends, dann kann ich auch was trinken, und dann erzähl’ ich Ihnen mehr von meiner Geschichte.“
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Heft 3/04
Š Freytag-Berndt u. Artaria, 1231 Wien
Grundverkehr
1 „Ich kam über ein Joch, Brenner genannt, wo ich unter großer Kälte zu leiden hatte. Sogar im Sommer fehlte es hier nicht an Schnee, Reif und Eis.“ (Felix Faber, 1483) 2
„Endlich brach die Sonne hervor. Die gefrorenen Scheiben begannen aufzutauen, die Fichtenvegetation wurde üppiger. Es geht nach Italien, sagten wir, und doch froren dem Postillion Wangen und Nase derart, daß sie dieselben Farben hatten wie die Morgenwolke.“ (Hans Christian Andersen, 1840)
3
„In Mittewald punkt zwölf Uhr fand ich alles in tiefem Schlafe, außer dem Postillion, und so ging es weiter auf Brixen …“ (Goethe, Italienische Reise, 1786) 4
„In der neunten Abendstunde war der Sachsen Not zu Ende, die Hälfte derer, die vor zwei Tagen den Marsch gegen Brixen angetreten hatten, 1000 Mann, war gefallen oder gefangen, unter letzteren ein grosser Teil verwundet. Der zweitägige Kampf, der sich auch unter den Bauern so manches Todesopfer geholt, hatte die Furie roher Kraftäusserung unter ihnen entfesselt. Im Augenblick des siegreichen Eindringens konnte sie nicht gleich gebannt werden. Gewaltakte und Beraubung der Gefangenen sind vorgekommen. Schnell jedoch machte das Toben besseren Regungen Platz. Man kümmerte sich um die Pflege der Blessierten, die nach Neustift gebracht wurden, und für die Gesunden gestaltete sich der unfreiwillige Aufenthalt im Lande zu einem erträglichen. – Also war die Eisackschlucht zur Sachsenklemme geworden.“ (Josef Hirn, Tirols Erhebung, 2. Aufl. 1909, 578 f., zum 5. Aug. 1809) 106/107
Landvermessung No. 1, Sequenz 3 Reisen auf Linie Geschichten kann man auch durch geometrische Operationen auf der Landkarte generieren: Stefanie Holzer und Walter Klier folgen südlich des Alpenhauptkammes einer pfeifgeraden Linie, die vom äußersten Winkel des Südtiroler Vinschgaus zur Wallfahrtskirche von Obermauern im Osttiroler Virgental führt. Hier das dritte Teilstück: über drei heilige Jungfrauen, die auf die bemerkenswerten Namen Aubet, Cubet und Quere hören, über die rechtmäßige Zubereitung von Blutnudeln und warum es nicht strafbar ist, in Südtirol jemanden einen „Eiertreter“ zu nennen. I. Umschau dort, wo man nie stehen bleibt Am 4. 9. ging es nach Sterzing, um die dritte Tranche der QUART-Landvermessung in Angriff zu nehmen. Wir hatten das, was der Tiroler oder zumindest der Innsbrucker ein „Wetterle“1 nennt. Das Wetterle ist bekanntlich die ultimative Steigerungsstufe von Schönwetter. In diesem Licht sah der leicht angezuckerte Habicht gar nicht wie ein Mörderberg aus, auf dem in jeder Saison Einheimische und Touristen zu Tode kommen. Die Gondelbahn auf den Sterzinger Roßkopf war in Betrieb. An der Autobahn glänzten der grünsilbrige und orange Sanddorn mit den strahlendroten Ebereschen um die Wette. Die Mautstation in Sterzing wirkte an diesem strahlenden Tag wie ein Triumphbogen des Transits.2 Unsere Vermessungslinie touchiert im Eisacktal Mauls. Der Gasthof „Sachsenklemme“ sollte der südlichste Erkundungspunkt des Tages sein. Hier kamen 1797 und 1809 die Franzosen in die Bredouille, was auf gut Deutsch bedeutet: Sie steckten in der Klemme. Die Sachsen waren bloß die Vorhut. Die Bauern schlugen jedenfalls die Soldaten mit solcher Vehemenz zurück, daß der Eisack „rot von Blut geflossen sei“. In dem rund hundert Jahre alten Gasthaus bereiteten sich Andrea und Paula auf das Mittagsgeschäft vor. Berufskraftfahrer unterbrachen im Schnitt vier Minuten lang ihre Fahrt, um einen Macchiato zu trinken und sofort weiter zu brausen.3 Wir fragen Andrea, wie oft am Tag sie ihren Gästen erklären muß, weshalb das Gasthaus diesen Namen trägt. Niemand fragt sie nach dem Namen. Nicht einmal Gäste aus Deutschland? Aus Sachsen? Schließ-
lich sei „Sachsenklemme“ doch ein ungewöhnlicher Name? Andrea kann das nicht finden, schließlich hat das Gasthaus immer schon so geheißen.4 Vor dem Haus grasen ein weißes und ein braunes Lama, sie sind angestierlt wie früher Ziegen. Lama oder Alpaka? Der trotz Zigarettenpause von Gulaschdunst umwehte Koch ist sicher, daß es Lamas sind. Wenn Andrea einmal eine Tochter haben sollte, wird diese möglicherweise überzeugt sein, bei der Sachsenklemme hätten immer schon Lamas gegrast. Die Kapelle zur Hl. Anna im Sack war verschlossen. Statt dessen zog eine Ritterrüstung über dem Eingang den Blick des nach Sehenswürdigem dürstenden Besuchers nach oben in den ersten Stock über der Wirtshaustür: Historisch ist dieses Schmuckstück nicht mit dem Ort zu verbinden, touristisch geht das offenkundig ganz leicht. Gleich nördlich der Sachsenklemme tritt mit dem Pflerscher Tribulaun einer der imposanteren Berge der Region ins Bild. Wir folgen dem Schild Mauls/ Mules centro. Maximal hundert Meter hinter der Transithölle herrscht das dörfliche Idyll. Just am Tag unseres Besuches ist die Straße nach Ritzail gesperrt. Von einer Baustelle war aber nichts zu bemerken, also fahren wir trotz Sperre forsch bergan. Als sich einmal ein freier Blick auf den Bach ergab, sahen wir eine braune Suppe, die sich ins ins Tal ergoß, was darauf schließen ließ, daß weiter oben eine Baustelle war. Wenigstens bis dorthin wollten wir kommen: Bei den Tornanten 5 und 6 stand jeweils ein im Verfall begriffener Hof. Weiter oben waren die Höfe prächtig: Vorbei am Loachnhof, dem Pfitscherhof und dem Kaspererhof kamen wir oben beim Bairerhof an: Der Ausblick auf die südlichen Stubaier und ins Ridnaun erfreute – bis der eigentliche Höhepunkt dieses Aus-
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flugs sich ins Blickfeld drängte: Vier Tage vor dem Fest Maria Geburt, das bekanntlich am 8. September gefeiert wird, zeigten die Schwalben, was eine Flugshow ist. Sie sausten dicht am Hang entlang, stiegen auf, machten ein Looping, das alle Draken und Eurofighter matt aussehen läßt. An einem neu erbauten Stadel rasteten sie kurz, schauten den Kollegen zu und stürzten sich unter dem Motto „Besser machen!“ wieder ins Getümmel. Bachstelzen und Rotschwänze ließen sich auch nicht lumpen, aber dieser Nachmittag gehörte den Schwalben. Im Juni, wenn sie Junge haben, werden wir wiederkommen. Schwalben bringen bekanntlich Glück. Die steilen Wiesen waren grün gestreift, wie ein frischgemähter und dann vertikal aufgestellter Fußballplatz. Dort, wo kein Mäher zugang gewesen war, hatte sich das Gras schon braun verfärbt. Die Straße war übrigens dank der ausführlichen Mittagspause in Italien auch retour frei befahrbar. Ob wir so mutig gewesen wären, wenn wir gewußt hätten, daß Carabinieri seit neuestem nicht nur strafen, sondern auch Fahrzeuge beschlagnahmen? An der Außenmauer der Pfarrkirche zum Hl. Oswald im Mauls findet sich der Stein zur Grabstätte der Familie Hofer Plana-Thaler: Die Eheleute Hofer Josef (1843 – 1927) und Pichler Helene (1848 – 1919) hatten vier Kinder. Johann starb 1880 mit zehn Jahren, Josef 1871 zwei Tage nach seiner Geburt, Anna wurde 1954 offenbar ledig mit 82 Jahren zu Grabe getragen. Der jüngste hieß wieder Josef (1874–1956), er hatte Maria Mayr (1880 –1943) geheiratet, mit der er drei Kinder hatte: Anonymus 5.4.1902 – 5.4.1902, Alois 4.12.1903 – 20. 3.1904, Anonymus 5. 3. 1905– 5.3.1905. Am Ende adoptierten die trauernden Eltern einen Knaben, der 1944 im Krieg gefallen ist. Wer Grabsteine liest, ist erschüttert über das Ausmaß der Kindersterblichkeit vor hundert Jahren. Nicht weit von der Hoferschen Grabstätte ist die der Familie Seeber: Die Seebers hatten 12 Kinder, von denen vier am Leben blieben. Der Maulser Kirchenpatron „Oswald König“, ein Sohn von Ethelfrid, dem König von Northumbrien, ist in den Deckenfresken dargestellt, wie er Almosen an die Armen verteilt. Nicht untypisch für einen Engländer übersieht er bei seinen milden Gaben auch ein schwarz-weißes Hündchen nicht.
Das örtliche Despar-Geschäft hatte nicht einfach wegen Urlaubs vom 1. bis zum 7. 9. geschlossen, sondern zeigt, wie weit gefühlige Sprachhülsen sich aufs Land hinaus verbreitet haben: Statt schlicht den Urlaub als Begründung für die einwöchige Abwesenheit anzugeben, formulierte der Geschäftsinhaber: „Wir sammeln neue Kräfte!“ Den nächsten Halt an der Bundesstraße würde der wißbegierige Tourist gern beim Castel Guelfo einlegen, doch da dieses Schlößchen ohnehin in Privatbesitz und nur hundert Jahre alt ist, ging es einfach weiter zur nächsten klerikalen Sehenswürdigkeit: Valgenein oder Valgenäun mit der Kirche zum Hl. Valentin liegt weithin sichtbar östlich der Bundesstraße am Hang. Das Auto bei der Kirche abzustellen, ist schwierig: Der Bauer war gerade im Stall. Die Kühe brüllten. Er brüllte etwas im lokalen Idiom. Wir meinten das Wort „Schweine“ verstanden zu haben. W. befürchtete, er könnte uns gemeint haben, schließlich stand zumindest unser halbes Auto auf seinem Privatgrund. (Er hat uns aber schließlich nichts getan.) Die Kirche selbst ist ein schöner, innen weitgehend schmuckloser Bau aus der Zeit um 1500. Auf einem Bauernsträßchen gondelten wir in den Wallfahrtsort Maria Trens: Die meisten Votivtafeln in der spätgotischen Kirche zeigen eine Kopie des Gnadenbildes und verraten nur „Maria hat geholfen“. Viel schöner sind die raren Tafeln, auf denen abgebildet ist, warum Maria hat helfen müssen: Ein Stier steht über einer am Boden liegenden Person. Selbige hat das Votivbild anfertigen lassen: „Durch Anrufung der Gnadenmutter von Trens bin ich von augenscheinlicher Todesgefahr gerettet worden und durch ihre Vorbitte habe ich wiederum volle Gesundheit erhalten. Dank und Ehre sei der göttlichen Mutter.“ Kurios ist, daß unter all den gleichförmigen Bildern der Gnadenmutter zwei Darstellungen das Jesuskind auf der falschen Seite haben. Auf der anderen Talseite liegt Stilfes, ein überaus katzenreiches, lauschiges Dorf, durch das die alte Brennerstraße führte. Südtirol ist naturgemäß in jeder Hinsicht eine wunderbare Gegend, allerdings besteht ein schwer zu verwindender Mangel darin, daß kaum ein Südtiroler Pfarrer einen Führer zu seiner Kirche anfertigen läßt. Kirchen sind in erster Linie für Gläubige da, doch die Pfarrer sollten auch an die Möglichkeit denken, daß Kunstsinnige einer Spontanbekeh-
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„ … medieval legends made the Sterzinger Moos the last dwelling-place of defunct spinsters, each will-o’-the-wisp flame floating at night-time over the marsh representing an unhappy maiden lady searching restlessly for a husband. What has become of these poor souls since navvies have trenched and drained the place history does not relate. Let us hope that they now share those breezy dwelling-places of elfs and fairies high up in the ice-caves of glaciers, where the eternal snow can best quench the hell-fire of their torments.“ (W. A. Baillie-Grohman, Tyrol. 1908, p. 114)
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„In dieser Stadt ließ er den Schulmeister rufen, um sich mit ihm auf lateinisch unterhalten zu können; aber es war ein Dummkopf, von dem er nichts über die Verhältnisse der Gegend erfahren konnte.“ (Michel de Montaigne, 1580) 7 „Von Brixen aber kamen sie ins Gebirge und erreichten gerade nach Essenszeit Sterzing. Und da die Leute kein Brot zur Hand hatten und die Brüder nicht wußten, wie sie bitten sollten, zogen sie in der Hoffnung, daß sie gegen Abend irgendwohin kämen, wo sie von mildreichen Leuten gelabt würden, weiter bis Mittewalde (=Brenner) …“ (Jordan von Giano, 1221)
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rung anheimfallen könnten, was in der Kirche allemal wahrscheinlicher ist als außerhalb. W. jedenfalls fürchtete lange Zeit, daß ihn dieses Schicksal einmal ereilen könnte. Auf der Höhe von Sterzing ist nach Süden blickend rechts die Burg Reifenstein. Dorthin stiegen wir auf. Aus einem der Fenster blickte eine Dame, die ein Bügeleisen in der Hand hielt, was uns als Beweis genügte, daß die Burg im Sommer tatsächlich bewohnt wird. Fünfmal täglich (9 Uhr 30, 10 Uhr 30, 14 Uhr, 15 Uhr, 16 Uhr) werden Führungen abgehalten, wir allerdings kamen so ungünstig dazwischen an, daß wir dieses Vergnügen noch aufschieben mußten. Wir statteten dafür der Kapelle St. Zeno auf dem Burghügel einen Besuch ab und stellten wieder einmal fest, daß sich die Gewerbezone rund um Sterzing beunruhigend ausdehnt. Wenn man von oben auf deren Wucherungen westlich von Reifenstein blickt, wünscht man sich, Wirtschaft und Gemeinden sähen es als gemeinsames Interesse, Gewerbegebiete ästhetisch befriedigend zu gestalten. Gleich hinter Reifenstein findet sich in Elzenbaum/ Pruno mit der unterhalb der Penser-Joch-Straße gelegenen, zinnenbewehrten Burgschenke das, was man gemeinhin einen Geheimtipp nennt. Dort gibt es Hausmannskost zwischen Hauswurst mit Kraut und Tortellini. Den einsamen Exotik-Höhepunkt auf der Speisekarte markierte mit „Blutnudeln“ eine alte Tiroler Speise. Der Name klingt nicht unbedingt verlockend, doch aus Prinzip und Recherchegründen mußte einer von uns beiden der sublimen Verlockung der Blutnudeln erliegen. Es sei vermerkt, daß das weibliche Geschlecht schreckhaft Zuflucht zur Hauswurst nahm, während das männliche unerschrocken den Blutnudeln nähertrat – was ihm gelohnt wurde. Laut Maria Drewes’ Kochbuchklassiker „Tiroler Küche“ werden Blutnudeln im Prinzip wie Hausnudeln fabriziert. Der einzige Unterschied liegt darin, daß das Mehl „mit gewässertem Blut zu einem mittelfesten Nudelteig verarbeitet“ wird. Im Kontext ist von Hausschlachtungen die Rede, deswegen ist anzunehmen, daß es sich um Schweinsblut handelt. Genauso geradlinig wie die Blutnudeln ist übrigens eine Pension an der Penser-Joch-Straße mit dem Namen „Transit“ benannt. Sterzings Stadtmuseum im Deutschhaus wird seit geraumer Zeit renoviert. Die Fertigstellung ist für das
Fühjahr 2004 projektiert. Abgesehen von der hübschen Altstadt blieb die eigenartige Stadtpfarrkirche als einzige Muß-Sehenswürdigkeit übrig: Sie steht zum einen außerhalb der Altstadt und zum anderen hat sie keinen Turm. Die abseitige Lage der Kirche wird damit erklärt, daß die Ridnauner Bergknappen es so näher gehabt hätten, die sich am Bau finanziell erheblich beteiligt hatten (klingt an den Haaren herbeigezogen!). Die Stadtpfarrkirche zu Unserer lieben Frau im Moos steht, wie der Name sagt, auf dem trokkengelegten Sterzinger Moos.5 Der Untergrund drohte unter dem Gewicht des zum imposanten Gotteshaus passenden Turms nachzugeben, also sah man davon ab, ihn überhaupt zu errichten. Im Inneren ist die im 15. Jahrhundert errichtete Kirche weitgehend barockisiert. Wir schlenderten vorbei an den prächtig geschnitzten und absperrbaren Kirchenbänken, blickten gebannt auf die Decke mit den bunt-schönen Fresken des Josef Adam Mölkh, „accademicis vienensis“, drängten uns, um genauer zu sehen, an einem Absperrgitter beim Taufstein vorbei, und lasen zu unserer Überraschung ein Schild mit dem Text „Pericolo caduta in tonaco!“ Tatsächlich: über uns war ein riesiger Sprung im Gewölbe. An der Außenwand der Kirche ist ein Grabstein von Alexander Colin, der bekanntlich die Reliefs am Grabmal Kaiser Maximilians I. geschaffen hat. Dieses Kunstwerk aus dem Jahr 1602 steht in einem ungünstigen Verhältnis zu einem modernen künstlerischen Zeichen der Frömmigkeit im Eingangsbereich der Kirche. Es kann nur Angst, große Angst vor der modernen Kunst sein, die es ermöglicht, daß ästhetisch unterbelichtete Amateurskunst so prominent im öffentlichen Raum aufgestellt wird. Der Tag klang aus im Schanigarten des Café-Restaurant Lilie, „Wirtshaus seit 1461“6: Unter einer beachtlichen Menge Touristen sitzt der eine, der in Südtirol nie fehlt. Er trägt einen grünen Hut, und die Wirtin weiß schon, was er will. „A Glasl?“ fragt sie ihn pro forma, er nickt nur. Eigentlich schon auf dem Heimweg kam es noch im Stadtgebiet zu einer Fahrtunterbrechung: Das Ziel war der Hofer-Parkplatz nördlich der Altstadt. Auch wenn man eigentlich gar nichts braucht, gibt man beim Hofer ungefähr hundert Euro aus, weil es nirgendwo sonst so viele unterschiedliche Nudeln und Weine gibt, denen allen zu widerstehen praktisch unmöglich ist.7
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8 „ … vorbei am heute grausam gesprengten und entstellten Ochsensprung, einer einst sehr malerischen Felspartie …“ (Josef Rampold, Pustertal, 1975)
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II. Das Wunder Südlich von Franzensfeste querten wir den Eisack und bogen ins Pustertal ab. Das Verkehrsaufkommen in diesem Tal ist berühmt-berüchtigt, weshalb uns das Herz gar nicht schwer wurde, als wir gleich noch einmal abbogen, um das Südtiroler Valser Tal zu erkunden. Früher führte die Straße abenteuerlich steil am Talboden entlang. Heutzutage bringen ein paar sehenswerte Gustostückerl von Ingenieurskunst hoch über dem Tal dem Autofahrer Bequemlichkeit. Während man sich noch fragt, ob das viele Geld nicht anderswo besser investiert worden wäre, ob das Valser Tal wohl so viele Bewohner hat, daß sich so eine Investition auszahlt, erreicht man Vals: Dem stattlichen Gasthof Masl kennt man jedenfalls an, daß zumindest der Wirt in Vals seit 1680 ein wohlhabender Mann war. Dann tauchten nagelneue und riesige Hotelburgen auf. Die Zweifel bezüglich der Straße waren damit ausgeräumt, die bezüglich der Ästhetik der Hotels nicht. Wir kurvten weiter talein: Vals liegt auf 1363 m, der Parkplatz vor dem endgültigen Fahrverbot liegt über dem „Ochsensprung“ auf 1697 m8. In etwa hundert Autos parkten dort, allesamt gelenkt von Unerschrockenen, die zwar schlecht zu Fuß sein mögen, aber ohne jede Angst vor Engstellen und Abgründen. Sieben Gehminuten vom Parkplatz erreicht man eine der schönsten Almsiedlungen Tirols: etwa dreißig zum Teil aneinander gebaute, mit Holzschindeln gedeckte Hütten, großteils für Vieh, einige auch für Menschen. Die Hänge über der Fane-Alm waren braun – von der Trockenheit des Sommers wie vom ersten Frost. In buschigen Gruppen standen abgeblühte Weideröschen, deren weinrot-silbrige Samenstände für einen Moment an exotische Gewächse denken ließ. Im Süden ist das Felsmassiv der Geislergruppe auch oder gerade für Nicht-Alpinisten ein Blickfang. Der höchste Berg im Umkreis ist mit 3132 m die Wilde Kreuzspitze. Viereinhalb Stunden sind für den Aufstieg von der Alm zu veranschlagen. Die meisten der Besucher, die wir sahen, dürften sich mit etwas bescheideneren Zielen begnügt haben. Mittagsrast hielten wir in der neuerbauten Käserei der Fane-Alm. Wer sich vor Dosenfutter fürchtet, ist hier richtig, denn hier kocht die Bäuerin selber eine Gulaschsuppe aus magerem Fleisch, Karotten, Zucchini, Erdäpfeln und Stangensellerie. Gewürzt wur-
de mit Salz, Paprika, Kümmel, Pfeffer und Lorbeer. Zum Trinken bestellten wir, um uns richtig almmäßig zu fühlen, nein, kein Schnapsl, sondern Molke und Buttermilch. Am Nebentisch wurde beobachtet, wie handschriftliche Notizen in ein dickes Buch gemacht wurden. „Das ist eine Schriftstellerin“, stellten die schwäbischen Wanderer fest und nahmen sich dennoch nicht in acht. Sie besprachen eine Bekannte, die seit einiger Zeit in Neuseeland lebt. Jüngere Frau: Die Christl ist nicht einmal zum Begräbnis ihrer Mutter gekommen. Ältere Frau: Das kostet ja auch viel Geld. Junger Mann: Der Flug 2000 Mark. Kostet ja der Charterflug auch 1500 Mark. Jüngere Frau: Sie hat dem Pfarrer was gefaxt, was der in der Kirche vorlesen soll. Ältere Frau: Ist eh super. Jüngere Frau: Ich würde auch gern einmal nach Neuseeland. Junger Mann: Gestern war’s noch Mauritius. Jüngere Frau: Und Afrika, die zwei täten mich reizen. Ich tät so eine Safari machen wollen … Junger Mann: Für das Geld kannst weit in Deutschland rumfahren, und da ist es genauso schön. Älterer Mann: So ist es. Kirchen sind nicht nur Orte des Glaubens und des Kunstsinns, immer wieder entdeckt man auch berührende Dokumente der Sozialgeschichte. Außen an der Pfarrkirche zum Hl. Andreas in Vals steht zu lesen: „Hier ruht Frau Maria Huber, geb. Zingerle, welche zu Vals am 16. März 1876 geboren und am 28. Nov. 1900 gestärkt mit der hl. Oelung selig im Herrn entschlafen ist; und ihr unschuldiges Kind, geb. 28. Nov. 1900, gest. 12. März 1901.“ Selbst bei warmem Sonnenschein wird einem fröstelig zumute, wenn man sich eine schwierige Geburt in Vals vor hundert Jahren vorstellt. Eine bedeutende religiöse Sehenswürdigkeit erwartet den Besucher auf dem Hochplateau von Meransen, einer Fraktion der Gemeinde Mühlbach unten im Tal. Die Kirche selbst ist 750 Jahre alt, außen an der Westseite ist ein riesiger Christophourus, der mit dem Jesulein auf seinen Schultern durch einen mit allerlei wunderbaren Tierchen bevölkerten Fluß geht: Seesterne, Fische mit Hühnerkämmen und verschiedene
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9 „Sie wären also Engländerinnen gewesen und man könnte in ihnen, die mit so viel Muth, Geschick und Glück vom Rhein bis ins Pustertal durchgedrungen, sogar ein Vorbild jener modernen englischen Touristinnen erblicken, die sich ja auch mit staunenswerther Verwegenheit bis unter die Menschenfresser hineinwagen.“ (Ludwig Steub, Drei Sommer in Tirol, 1848/72, Bd. III, S. 178) Ursula wäre in Wirklichkeit erst durch die – projektierte – Heirat mit dem englischen Fürstensohn Aetherius Engländerin geworden, wurde aber vorher ermordet. „Die Rede von 11.000 Leidensgenossinnen beruht auf einer versehentlichen Multiplikation der tatsächlichen Zahl mit dem Faktor Tausend.“ (Ökumenisches Heiligenlexikon)
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Mensch-Fisch-Wesen, die ein bißchen an die Wunderwesen in der Traminer Kirche St. Jakob in Kastelaz erinnern. Auf diesem Gemälde haben Pilger einander mit Rötelstift Nachrichten oder einfach ihre Signatur hinterlassen. Schon beim Eintritt in den Friedhof erspähten wir ein frisches Grab mit einem hellen Holzkreuz und einem schwarzen Schleier. Die Inschrift besagte, daß die am 11. 12. 1926 geborene und am 6. 5. 2003 verstorbene „Aubet Cubet Quere Untersteiner“ hier begraben war. Aubet, Cubet und Quere waren drei heilige Jungfrauen, denen zu Ehren von alters her am 16. 9. in Meransen eine Prozession durchgeführt wird. Als wir das lasen, schauten wir auf die Uhr und stellten fest, daß wir uns durch ein Wunder, jedenfalls zufällig genau am Ehrentag der Jungfrauen in Meransen eingefunden hatten. Die moderne Zeit ging auch an den „drei Bethen“ nicht spurlos vorüber: Heutzutage wird die Prozession am Sonntag nach ihrem Ehrentag durchgeführt. Die Jungfrauen wurden von der Orthodoxie nie als katholische Heilige zugelassen. Die Legende besagt, sie seien burgundische Prinzessinnen im 11.000 Jungfrauen zählenden Gefolge der Hl. Ursula9 gewesen, die vor Attila, dem Hunnenkönig, geflohen seien. Ungefähr auf halber Höhe zwischen Mühlbach und Meransen haben die drei gerastet. Die Wanderkarte verzeichnet dieses Faktum mit dem Wort „Jungfernrast“. Zur Labung der strapazierten Wandererinnen entsprang stracks eine Quelle, und ein Kirschbaum bot seine Früchte dar. Heute steht an dieser Stelle übrigens eine Linde. Manche halten Aubet, Cubet und Quere für ursprünglich keltische Göttinnen, die in den christlichen Kontext übernommen wurden. Sie könnten auch die Vorläuferinnen der allenthalben beliebten „drei heiligen Madl“ Margarethe, Barbara und Katharina sein, die man bekanntlich mit dem Merkspruch „Margaretha mit dem Wurm, Barbara mit dem Turm, Katharina mit dem Radl, das sind die drei heiligen Madl“ auswendig lernt, so als brauchte man eine Gedächtnisstütze. Einmal Gelerntes umzulernen ist fast unmöglich, wie all jene wissen, die zum Beispiel das Glaubensbekenntnis noch mit Formulierungen wie „Auferstehung des Fleisches“ memoriert haben. Im Nordtiroler Oberland gibt es jedenfalls mit St. Vigil in Obsaurs eine zweite, ebenfalls sehr idyllisch
gelegene Stelle, wo die Jungfrauen bis heute verehrt werden. Die Wirtin des Hotel-Restaurant Stubenruß, wo man übrigens köstliche selbstgemachte Kuchen (Buchweizentorte, Weintorte) bekommt, konnte beruhigen, daß die Prozession auch heuer stattfinden würde, obwohl der Pfarrer kürzlich verstorben war. Meransen hat Glück: Ein neuer, „ganz netter“ Pfarrer kommt aus Meran nach Meransen. Die Schwierigkeit, heutzutage Pfarrer zu kriegen, wüßte die Wirtin auch zu lösen: „Wenn sie sie heiraten lassen täten, wäre das anders! Aber da müßten’s auch für die Familien zahlen.“ Ein Ort, an dem Halt zu machen uns bisher noch nie eingefallen ist, ist Mühlbach an der Rienz. Und das ist ein Fehler, denn Mühlbach ist ausnehmend hübsch mit seinem mittelalterlichen Kern und einer wunderschönen Pfarrkirche zur Hl. Helena. Letztere schmückt ein minder schöner moderner Anbau, doch darüber trösten im Inneren Fresken von Friedrich Pacher hinweg und eine von anderer Hand stammende Darstellung der Geschichte von den drei Jünglingen im Feuerofen, eine Art alttestamentarischer Comic-strip: Der König befiehlt, Schadrach, Meschach und AbedNego mögen eine Säule anbeten. Als gläubige Juden verweigern sie das, werden in den Ofen geworfen und treten alsbald unversehrt wieder heraus. Dies überzeugt den König von der Überlegenheit ihres Glaubens. Er fackelt nicht lange und läßt die Säule umreißen. Landeskundlich interessant schien uns eine Zeitungsnotiz unter dem Motto „Erweitern Sie Ihren Wortschatz“: Eine Boznerin hatte ihren Nachbarn beim Bäcker einen „rompiballe“ genannt. Unsereiner, der kein Italienisch versteht, denkt sich nichts. Der Nachbar jedoch ging wegen übler Nachrede zu Gericht. So weit wäre das noch nichts Besonderes. Doch nun urteilte eine Richterin, daß dieses „rompiballe“, von der „Tageszeitung“ mit „Eiertreter“ (was ist das?) übersetzt, keinen Straftatbestand ergebe, denn dieser Terminus sei „mittlerweile weit verbreitet“ und bei seiner Verwendung stehe „nicht unbedingt der Bezug auf Schamteile im Vordergrund“. Für die weite Verbreitung spricht auch, daß die „Dolomiten“ vom Tage den Ausdruck unübersetzt ließen. Fortsetzung folgt.
Empfehlungsschreiben
(Fortsetzung von Seite 96)
(Fortsetzung auf Seite 18) 116/117
„Österreich ist um ein seriöses, erstaunlich assoziativ arrangiertes (und ästhetisch außerordentlich gestaltetes) Kunstmagazin reicher.“ (profil, Wien) – „Eine Zeitschrift, die selbst fast als Kunstwerk daherkommt. ... Die Ausgabe 2 der neuen Kulturzeitschrift Quart liest sich fast wie eine Sammlung von Kurzgeschichten, enthält zum Schauen und zum Nachdenken. Mit ihren ganz unterschiedlichen Ansätzen spricht sie ein breites Publikum an.“ (Dolomiten, Bozen) – „Das Salz in Tirols Kultursuppe“ (Tiroler Tageszeitung) – „Und darüber hinaus würde ich das Heft gerne für meine Agentur abonnieren. Ich finde, dass Quart eines der besten Magazine momentan am Markt ist.“ (Florian Lambl, Meiré und Meiré /Gestalter von „brand eins“, Köln) – „Auch Design und Gestaltung des Quartheftes … von der nobelsten Qualität. Originalität und Information, nicht Machenschaft, stehen allein im Vordergrund. Auch ist man vor seriösen Langweilern, geschwätzigen Medienfritzen und wissenschaftlichen Wichtigtuern wirksam geschützt. ... In Deutschland existiert im Augenblick kein einziges Publikationsorgan, das es an Kühnheit, Themenpluralität und Intelligenz mit diesem Quartheft aufnehmen könnte. Auch kein vergleichbarer Ort, an dem soviel Intelligenz gefördert und zur Sprache kommt. Bravissimo Tirol.“ (SPAZZ, Ulm) – „feine Feder ... jede Menge ausführlicher Texte“ (Falter, Wien) – „Noch nie war Kultur so gut eingekleidet wie bei Quart ...“ (ff – Südtiroler Wochenmagazin, Bozen) – „ ... mit Begeisterung auch außerhalb der engen Grenzen des heiligen Landes aufgenommen ... Die Reaktionen auf die ersten beiden Ausgaben, zu denen international angesehene Künstler, Architekten, Schriftsteller und Musiker aus halb Europa Beiträge geleistet haben, gibt der Philosophie der Macher Recht: Sich nicht nur in einem Elfenbeinturm verstecken.“ (Kurier, Innsbruck) – „Da ist Euch ein ganz besonders schönes Stück Tirol gelungen!“ (Prof. Fons M. Hickmann, Universität für Angewandte Kunst, Institut für Design, Wien) – „Der Stier schaut nach dem Orgasmus drein wie er vor dem Orgasmus dreingeschaut hat. – Diese perfekte Analyse steht in der aktuellen Ausgabe der Tiroler Kulturzeitschrift Quart und sagt schon sehr viel über das ganze Heft aus, das sich umschreiben lässt mit witzig, jäh, unvermutet und aufklärend. Das Konzept ist auch in der zweiten Nummer einleuchtend. Die rechte Seite liefert den sogenannten Stoff und die linke ist die Spritze zur Verabreichung. Manche Leser haben mit dieser Seite noch ihre Probleme, weil sie ständig ihr Aussehen ändert. Dabei hat sie eine starke Empfehlung eingebaut: Lies jedesmal anders, und du hast immer einen neuen Text, heißt die animierende Botschaft.“ (Helmuth Schönauer, Tiroler Gegenwartsliteratur 663, Innsbruck)
Paarlauf
Ambulanzformular 1
In Innsbruck gibt es eine Eifersuchtsambulanz – was weltweit einzigartig ist. Erika Wimmer über einen unterschätzten Schmerz: Achtundneunzig Prozent aller Personen haben mit ihr Bekanntschaft gemacht, und doch wirkt einer, der darunter leidet, wie von gestern. In der Ära der Lebensabschnittspartner ist es nicht eben zeitgemäß, toll Vergangenheit: en krassen Fall gibt es heute eine Ambulanz. Stehe da wie vor Jahren. Nur im Reden gewandter, im Ganzen gewiefter. Psychiatrie, 2. Stock links. Der Arzt von damals: ähnelt dem heutigen. Selbstverständlich, daß da welche kommen und ein Problem haben. Die seltsamsten Dinge, sie kosten ihnen keine Irritation, nicht das kürzeste Augenflirren. Nicht einmal ein kleines Knistern. Der Boden ist immer gleich clean. Wenn eine was fallen läßt, Brösel oder Exkrement, wird es sofort weggewischt. Sie strahlen Wissen aus und geben den Hinweis, ein dominanter Vater sei das Problem: Ich bin gekommen, um zu interviewen. Eine Ambulanz für so etwas, da müssen wir nachschauen. Wiewohl wir aus ganz verschiedenen Welten kommen, darf ich mich heute mit dem Arzt auf einer Ebene über Allzumenschliches unterhalten. Doch ich weiß von dem Gefälle hier. Ich wolle etwas in Erfahrung bringen. Er steht zur Verfügung. Nur zwei Stunden zwischen Anruf und Gespräch, noch nie habe ich so rasch einen Interviewtermin bekommen. Hier ist es merkwürdig fad, nichts riecht, nichts stinkt. Es sind die Sterne: Von ihnen rührt Furcht her. Sie, die Unfaßbaren. Toll weiß. Erscheinen völlig kalt. Obwohl sie funkeln, leuchten sie mir nicht ein. Sie erhellen mich nicht, sondern ziehen sich dunkel vor meine Stirn. Während einer Attacke schnappe ich nach Luft. Wegen der Schweißausbrüche habe ich immer ein Deo: dabei. Zugleich bedeutet es mir nichts, gut zu riechen. Ich. Keine Ahnung, wo ich im Verhältnis zu den Planeten bin. Weil ich nicht eigentlich bin. Sie schleifen mich hinter sich her. Sie treiben mich vor sich her. Sie türmen sich über mir auf, drücken mir auf die Brust. 118/119
Ich gebe vor, neugierig zu sein. Aber er wird mir nichts Neues sagen, allenfalls ein paar Begriffe liefern. Ich kenne mich hier aus. Und ich kenne seinen Artikel. Außerdem gehöre ich zu den achtundneunzig Prozent der Menschheit, die ihre Bekanntschaft: gmacht haben. Doch ich bin normal. Eine Pathologie der Eifersucht ist nur graduell zu definieren. Was kann man nur gegen Sterne und Planeten haben. Was einen veranlaßt, die Ambulanz aufzusuchen. Man ist in Beziehung verstrickt. Die Eifersucht ist ein Problem der Partnerschaft: nicht unbedingt der Liebesbeziehung. Geschwister kennen sie oft, die Großen eifern auf die Kleinen. Freunde können in die Falle tappen, Mütter gehen ihr auf den Leim. Am häufigsten ist das Problem aber doch in sexuellen Beziehungen zu finden. Hat der andere den schwarzen Peter, so ertappt man sich womöglich dabei, Schutzbehauptungen aufzustellen. Nein, man sei nicht mit ihm unterwegs gewesen. Nein, man sei etwas länger im Büro geblieben. Ja, man habe angerufen, ihn aber nicht erreicht. Er sei der Einzige. Hat man selbst den Makel:an sich, ruft man im Büro an, um zu sehen, ob sie noch da ist oder durchwühlt Manteltaschen auf der Suche nach Indizien. Soweit, so bekannt. Sie erinnern mich ans Ende. Aber geh, Sterben ist doch das letzte große Abenteuer, sagen die Väter. Im Fernsehen höre ich eine Frau behaupten, sie habe keine Angst vor:dem Sterben. Sie sagt es zu schnell, zu geschliffen. Für Derartiges habe ich ein Sensorium. So clean. Welche Putzfrau, welche Schwester geht hier um. Was treibt sie:an, einen derartig sauberen Ring um die krassen Fälle zu legen. Ein Schutzring vielleicht. Ein Komm-mir-nicht-zu-nahe-Ring eher. Er trägt einen frischen weißen Kittel. Braungebrannt. Hat wohl in diesem Sommer eine Frau über das Meer gesegelt. Eifersucht ist kein Thema, vermute ich. Ob er nach Dienstschluß: in Lokal aufsucht, möchte ich fragen. Immerhin gibt er etwas preis, was sich per
Gefährdete, Gefährliche
In Innsbruck gibt es eine Eifersuchtsambulanz – was weltweit einzigartig ist. Erika Wimmer über einen unterschätzten Schmerz. Achtundneunzig Prozent aller Personen haben mit ihr Bekanntschaft gemacht, und doch wirkt einer, der darunter leidet, wie von gestern. In der Ära der Lebensabschnittspartner ist es nicht eben zeitgemäß, toll vor Eifersucht zu sein. Duelle sind Vergangenheit. Für den krassen Fall gibt es heute eine Ambulanz. Stehe da wie vor Jahren. Nur im Reden gewandter, im Ganzen gewiefter. Psychiatrie, 2. Stock links. Der Arzt von damals ähnelt dem heutigen. Selbstverständlich, daß da welche kommen und ein Problem haben. Die seltsamsten Dinge, sie kosten ihnen keine Irritation, nicht das kürzeste Augenflirren. Nicht einmal ein kleines Knistern. Der Boden ist immer gleich clean. Wenn eine was fallen läßt, Brösel oder Exkrement, wird es sofort weggewischt. Sie strahlen Wissen aus und geben den Hinweis, ein dominanter Vater sei das Problem. Ich bin gekommen, um zu interviewen. Eine Ambulanz für so etwas, da müssen wir nachschauen. Wiewohl wir aus ganz verschiedenen Welten kommen, darf ich mich heute mit dem Arzt auf einer Ebene über Allzumenschliches unterhalten. Doch ich weiß von dem Gefälle hier. Ich wolle etwas in Erfahrung bringen. Er steht zur Verfügung. Nur zwei Stunden zwischen Anruf und Gespräch, noch nie habe ich so rasch einen Interviewtermin bekommen. Hier ist es merkwürdig fad, nichts riecht, nichts stinkt. Es sind die Sterne. Von ihnen rührt Furcht her. Sie, die Unfaßbaren. Toll weiß. Erscheinen völlig kalt. Obwohl sie funkeln, leuchten sie mir nicht ein. Sie erhellen mich nicht, sondern ziehen sich dunkel vor meine Stirn. Während einer Attacke schnappe ich nach Luft. Wegen der Schweißausbrüche habe ich immer ein Deo dabei. Zugleich bedeutet es mir nichts, gut zu riechen. Ich. Keine Ahnung, wo ich im Verhältnis zu den Planeten bin. Weil ich nicht eigentlich bin. Sie schleifen mich hinter sich her. Sie treiben mich vor sich her. Sie türmen sich über mir auf, drücken mir auf die Brust.
Ich gebe vor, neugierig zu sein. Aber er wird mir nichts Neues sagen, allenfalls ein paar Begriffe liefern. Ich kenne mich hier aus. Und ich kenne seinen Artikel. Außerdem gehöre ich zu den achtundneunzig Prozent der Menschheit, die ihre Bekanntschaft gemacht haben. Doch ich bin normal. Eine Pathologie der Eifersucht ist nur graduell zu definieren. Was kann man nur gegen Sterne und Planeten haben. Was einen veranlaßt, die Ambulanz aufzusuchen. Man ist in Beziehung verstrickt. Die Eifersucht ist ein Problem der Partnerschaft, nicht unbedingt der Liebesbeziehung. Geschwister kennen sie oft, die Großen eifern auf die Kleinen. Freunde können in die Falle tappen, Mütter gehen ihr auf den Leim. Am häufigsten ist das Problem aber doch in sexuellen Beziehungen zu finden. Hat der andere den schwarzen Peter, so ertappt man sich womöglich dabei, Schutzbehauptungen aufzustellen. Nein, man sei nicht mit ihm unterwegs gewesen. Nein, man sei etwas länger im Büro geblieben. Ja, man habe angerufen, ihn aber nicht erreicht. Er sei der Einzige. Hat man selbst den Makel an sich, ruft man im Büro an, um zu sehen, ob sie noch da, ist oder durchwühlt Manteltaschen auf der Suche nach Indizien. Soweit, so bekannt. Sie erinnern mich ans Ende. Aber geh, Sterben ist doch das letzte große Abenteuer, sagen die Väter. Im Fernsehen höre ich eine Frau behaupten, sie habe keine Angst vor dem Sterben. Sie sagt es zu schnell, zu geschliffen. Für derartiges habe ich ein Sensorium. So clean. Welche Putzfrau, welche Schwester geht hier um. Was treibt sie an, einen derartig sauberen Ring um die krassen Fälle zu legen. Ein Schutzring vielleicht. Ein Komm-mir-nicht-zu-nahe-Ring eher. Er trägt einen frischen weißen Kittel. Braungebrannt. Hat wohl in diesem Sommer eine Frau über das Meer gesegelt. Eifersucht ist kein Thema, vermute ich. Ob er nach Dienstschluß ein Lokal aufsucht, möchte ich fragen. Immerhin gibt er etwas preis, was sich per-
Ambulanzformular 2
Paarlauf
und Medikamente: Als Arzt will er den Patienten die Segnungen einer medikamentösen Behandlung nicht vorenthalten. Endlich wieder schlafen. Zwang:ablegen. Den Zwang:unaufhörlich zu denken. Unaufhörlich Bestimmtes zu denken. Gedanken kleben an den Hirnwindungen, rotieren und rotieren. Man mag sie nicht mehr denken, man denkt, ein anderer rede einem im Inneren was vor. Man muß agieren, um nicht mehr bloß zu denken. Schriftrollen voller Behauptungen austricksen. Sich dabei erschöpfen. Die Denkmaschine wird zum Zwang, das oder jenes zu tun. Die Erinnerung:dominiert, während ich mich frage, was er wirklich denkt. Ein Satz haftet an meinen Hirnwindungen: Es verbietet sich, den Gegenstand des Interesses von oben herab zu beleuchten. Heute, nach fünf Jahren Versorgungsarbeit, hat er sich profiliert, von Rechtsanwälten oder außergerichtlichen Schiedsstellen werden Leute geschickt. Gefährdete, Gefährliche. Über die Mörder aus Eifersucht will er nicht reden. Wir wollen die Ambulanz nicht auf diese Weise bekannt machen. Das Wir kommt plötzlich hereingeschneit. Um die Hemmschwelle: nicht zu vergrößern, fügt er hinzu. Denn sie sollen kommen und sich helfen lassen, auch wenn sie nicht gefährlich sind. Die Wenigsten sind es. Sie haben meist ein anderes Problem. Eins, das allgemein ernster genommen wird, sage ich mir. Alkoholismus: zum Beispiel. Oder Depression. Etwa 500 Patienten haben bisher von der Einrichtung Gebrauch gemacht. Wenn man Sterne leibhaftig spürt, dann hat man ein Sensorium. Darauf darf man sich was einbilden. Man scheißt darauf. Diese Art der Selbstwahrnehmung: kenne ich. Man entnimmt dem Beipackzettel, daß
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Antidepressiva, zum Beispiel. Ja, die Chemie ist wichtig. Ja, Präparate sind oftmals nötig und hilfreich. Sie nehmen die Spitze, erst dann kann der Patient überhaupt auspacken. Er muß sich schälen, damit etwas sichtbar wird. Damit man ihm helfen kann, bis er sich selber hilft. Damit er den Ursprung erkennt. Heftige Eifersucht ist eine Sekundärstörung, eine Zwangserkrankung, die auf andere Zwänge und Süchte:zurückgeht. Ja, und auf eine Selbstunsicherheit. Welches Selbst. Das eine oder das andere. Das, von dem man glaubt, daß man es ist, oder jenes, das man ist. Ich unterlasse jede Nachfrage und höre zu. Hier setzen wir an und vermitteln die Patienten gegebenfalls weiter. Wir sind eine reine Versorgungssprechstunde. Ja, es gibt Forschungen, aber anderswo. Diplomarbeiten etwa. Eine ärztliche Dissertation ist dem Thema gewidmet. Da frage ich mich was. Sind wir damals hier gesessen oder im Raum gleich gegenüber:Wahrscheinlich abwechselnd da oder dort. Früher war hier wenig Platz. Ich rechne die Jahre zurück. Das Gebäude wurde mittlerweile renoviert und erweitert, es entspricht heute dem Standard. Wir sitzen also – gerade hier. Heute sind wir wir und damals war ich zu zweit allein. Ich hasse mich, wie ich verkrampft dasitze und von Sternen rede, die mich bedrohen, wobei ich mich kaum gerade halten kann vor lauter innerem Zittern. Diese Art von Dramatik ist wahrscheinlich pathologisch. Habe ich doch festgestellt, daß das Zittern niemandem auffällt, daß ich noch als normal gelte. Sogar für den Arzt, kommt mir vor. Innerlich:
sönlich anhört. Anfangs sei er für seine Initiative belächelt worden. Eine Eifersuchtsambulanz, ausgerechnet bei uns, habe man ausgerufen. Man habe getuschelt, er wolle sich eine Nische suchen, einen Erstling schaffen. Da haben wir die erste interessante und überdies einschlägige Information. Während er erzählt, erinnere ich mich und resümiere: Hier wird man so oder so dazu gebracht zu funktionieren. Das Verhalten in akzeptable Bahnen lenken. Gesprächsweise schürfen. Sich beruhigen. Den Zwang ablegen. Den Zwang unaufhörlich zu denken. Unaufhörlich Bestimmtes zu denken. Gedanken kleben an den Hirnwindungen, rotieren und rotieren. Man mag sie nicht mehr denken, man denkt, ein anderer rede einem im Inneren was vor. Man muß agieren, um nicht mehr bloß zu denken. Schriftrollen voller Behauptungen austricksen. Sich dabei erschöpfen. Die Denkmaschine wird zum Zwang, das oder jenes zu tun. Die Erinnerung dominiert, während ich mich frage, was er wirklich denkt. Ein Satz haftet an meinen Hirnwindungen: Es verbietet sich, den Gegenstand des Interesses von oben herab zu beleuchten. Heute, nach fünf Jahren Versorgungsarbeit, hat er sich profiliert, von Rechtsanwälten oder außergerichtlichen Schiedsstellen werden Leute geschickt. Gefährdete, Gefährliche. Über die Mörder aus Eifersucht will er nicht reden. Wir wollen die Ambulanz nicht auf diese Weise bekannt machen. Das Wir kommt plötzlich hereingeschneit. Um die Hemmschwelle nicht zu vergrößern, fügt er hinzu. Denn sie sollen kommen und sich helfen lassen, auch wenn sie nicht gefährlich sind. Die Wenigsten sind es. Sie haben meist ein anderes Problem. Eins, das allgemein ernster genommen wird, sage ich mir. Alkoholismus, zum Beispiel. Oder Depression. Etwa 500 Patienten haben bisher von der Einrichtung Gebrauch gemacht. Wenn man Sterne leibhaftig spürt, dann hat man ein Sensorium. Darauf darf man sich was einbilden. Man scheißt darauf. Diese Art der Selbstwahrnehmung kenne ich. Man entnimmt dem Beipackzettel, daß man eine schizophrene Seite, einen paranoiden Zug hat. Das sitzt, man fühlt sich beschmutzt. Ein solches Gefühl ist wahrscheinlich pathologisch. Ich nehme die Tabletten, damit ich kein Deo mehr brauche. Der
eifersüchtige Mann bringt die Schublade, in der er gewühlt hat, wieder in Ordnung. Was eine Ambulanz so leistet. Die Behandlung ist kombiniert: Verhaltenstherapie, Gesprächstherapie und Medikamente. Als Arzt will er den Patienten die Segnungen einer medikamentösen Behandlung nicht vorenthalten. Endlich wieder schlafen. Antidepressiva, zum Beispiel. Ja, die Chemie ist wichtig. Ja, Präparate sind oftmals nötig und hilfreich. Sie nehmen die Spitze, erst dann kann der Patient überhaupt auspacken. Er muß sich schälen, damit etwas sichtbar wird. Damit man ihm helfen kann, bis er sich selber hilft. Damit er den Ursprung erkennt. Heftige Eifersucht ist eine Sekundärstörung, eine Zwangserkrankung, die auf andere Zwänge und Süchte zurückgeht. Ja, und auf eine Selbstunsicherheit. Welches Selbst. Das eine oder das andere. Das, von dem man glaubt, daß man es ist, oder jenes, das man ist. Ich unterlasse jede Nachfrage und höre zu. Hier setzen wir an und vermitteln die Patienten gegebenenfalls weiter. Wir sind eine reine Versorgungssprechstunde. Ja, es gibt Forschungen, aber anderswo. Diplomarbeiten etwa. Eine ärztliche Dissertation ist dem Thema gewidmet. Da frage ich mich was. Sind wir damals hier gesessen oder im Raum gleich gegenüber. Wahrscheinlich abwechselnd da oder dort. Früher war hier wenig Platz. Ich rechne die Jahre zurück. Das Gebäude wurde mittlerweile renoviert und erweitert, es entspricht heute dem Standard. Wir sitzen also – gerade hier. Heute sind wir wir, und damals war ich zu zweit allein. Ich hasse mich, wie ich verkrampft dasitze und von Sternen rede, die mich bedrohen, wobei ich mich kaum gerade halten kann vor lauter innerem Zittern. Diese Art von Dramatik ist wahrscheinlich pathologisch. Habe ich doch festgestellt, daß das Zittern niemandem auffällt, daß ich noch als normal gelte. Sogar für den Arzt, kommt mir vor. Innerlich fühle ich mich schief, doch keiner merkt etwas. Ich habe mich unter Kontrolle, leide und funktioniere.
Paarlauf
Man muß ein wenig eifersüchtig sein, das weiß jeder. Gar keine Eifersucht zu kennen, gilt nicht als gesund. Kalt, gefühllos oder gleichgültig. Verlogen jedenfalls. Es geht um das Halten der Waage. Die sprichwörtliche Mitte. Eifersucht, wie der Name: schon sagt. Diese Gesellschaft will Sucht, aber bitte nicht zuviel davon. Wo käme das System da hin. Man wäre bald am Ende mit der Wirtschaft. Man wäre nicht mehr zu gängeln. Für ewig dein, das singt man uns von klein auf vor. Also: Dauerhaft ein wenig Besitz ergreifen. Gemäßigte Eifersucht funktioniert gut. Leiden: Aber Sterben ist nun mal Leiden, und die Geschichte vom Abenteuer ein Märchen. Unsere Position im Weltall, genau besehen, tatsächlich brutal. Er verläßt das Hotelzimmer und überlegt, was er ihr sagen wird. Sie wartet und schaut sich die Millionenshow an. Er ärgert sich: schon wieder hat sie getrunken. Eine zeichnet immer die gleichen Dreiecke. Ein Messer wird blutig. Ameisen krabbeln auf seiner Bettdecke: herum, keiner reagiert darauf. Es gibt Götter, die durchbohren einen mit ihren Strahlen. Er denkt, er kann den Arm nicht mehr heben. Sie schluckt den eigenen Speichel nicht mehr. Es gibt Tatsachen und Erfundenes. Er ist in Ordnung. Ein freundlicher Mensch, ein engagierter Arzt. Die Nische hat Berechtigung. Das sagen auch andere Therapeuten: die ich zum Gegenstand befrage. Ja, eine Eifersuchtssprechstunde ist gut. Super sogar. Ich sitze da und stelle ihm, sozusagen auf gleicher Ebene, ein paar Fragen. Nicht einmal bitten hat er sich lassen. Unkompliziert, gar nicht von oben herab. Und außerdem geht er segeln, solange er will und mit wem er will. Ich fühle mich widersprüchlich und suche nach einer gerechten Einschätzung. Was kann man gegen Sterne und Planeten haben, sind sie doch unsere romantische Kulisse. Was hat man gegen Eifersucht, widerlegt sie doch Gleichgültigkeit. Soweit die Normalität. Wo das Leiden beginnt, dämmert Wissen, daß man weder jene dort noch den Geliebten hier kontrollieren kann. Eine großartige Erkenntnis, nur leider selten durchdringend. Beides vermag zu provozieren: ein Plädoyer für den Haß:auf das Universum und ein Lob des Besitzergreifens. 122/123
Ambulanzformular 3
Daß er sich auf die Suche nach dem Ursprung des Übels macht, kann man wohl nur positiv bewerten. Da ist dann meist die Eifersucht kein Thema mehr. Die Leute, behandelt man sie einmal als Alkoholiker oder Depressive, hören bald auf, zwanghaft jemandes Manteltaschen:nach Indizien zu durchsuchen. Sie brauchen das Symptom nicht mehr, das Signal versickert. Und: Ist es nicht eine Leistung, Blutbäder zu verhindern. Zumal oftmals Kinder dabei die Opfer sind. Und ist es nicht fein, daß es in Innsbruck endlich einmal etwas gibt, was man anderswo suchen muß. Wo wir doch hierzulande im allgemeinen hinterherhinken. Ich sitze da und suche mit Eifer nach dem Grund für meine Unbehaglichkeit. Mich interessieren nicht die Fakten. Allenfalls die Krankengeschichten aus Fleisch und Blut:fände ich spannend. Wer wen wo und unter welchen Umständen geprügelt oder erpreßt hat. Ich interessiere mich für Sensationelles. Zumindest für Kurioses. Jedenfalls suche ich nach ein bißchen Saft in der ganzen Geschichte. Solch ein Drang ist wahrscheinlich pathologisch. Die Krankengeschichten sind verräumt. Ist doch logisch, es gibt ein Arztgeheimnis. Hier reden wir über eine Institution. Über Erkenntnisse. Der Begriff Wahn:sei präzise formuliert. Krankhaft ist nicht der Inhalt, sondern die Unbeeinflußbarkeit durch Erfahrung und zwingende Schlüsse. So steht es in dem Artikel. Damit muß ich auskommen. Sich nicht zufrieden zu geben, mindert die Lebensqualität: Sich nicht zufrieden zu geben, paßt zum Thema Eifersucht. Keine Ahnung, was ich da schreiben werde, so trocken und sauber kommt das Pilotprojekt Eifersuchtsambulanz daher. Da kann nur ein jeder den eigenen Film einschalten. Schon will ich gehen, doch etwas dreht mich noch einmal zum Arzt hin und läßt mich fragen. Warum gerade Eifersucht. Warum nicht eine andere Störung, um eine Ambulanz zu gründen. Er lacht und hebt die Hand wie zur Abwehr. Lieber nicht fragen. Lieber nicht:
Man muß ein wenig eifersüchtig sein, das weiß jeder. Gar keine Eifersucht zu kennen, gilt nicht als gesund. Kalt, gefühllos oder gleichgültig. Verlogen jedenfalls. Es geht um das Halten der Waage. Die sprichwörtliche Mitte. Eifersucht, wie der Name schon sagt. Diese Gesellschaft will Sucht, aber bitte nicht zuviel davon. Wo käme das System da hin. Man wäre bald am Ende mit der Wirtschaft. Man wäre nicht mehr zu gängeln. Für ewig dein, das singt man uns von klein auf vor. Also: Dauerhaft ein wenig Besitz ergreifen. Gemäßigte Eifersucht funktioniert gut. Leiden sollte keiner müssen. Aber Sterben ist nun mal Leiden, und die Geschichte vom Abenteuer ein Märchen. Unsere Position im Weltall, genau besehen, tatsächlich brutal. Er verläßt das Hotelzimmer und überlegt, was er ihr sagen wird. Sie wartet und schaut sich die Millionenshow an. Er ärgert sich: Schon wieder hat sie getrunken. Eine zeichnet immer die gleichen Dreiecke. Ein Messer wird blutig. Ameisen krabbeln auf seiner Bettdecke herum, keiner reagiert darauf. Es gibt Götter, die durchbohren einen mit ihren Strahlen. Er denkt, er kann den Arm nicht mehr heben. Sie schluckt den eigenen Speichel nicht mehr. Es gibt Tatsachen und Erfundenes. Er ist in Ordnung. Ein freundlicher Mensch, ein engagierter Arzt. Die Nische hat Berechtigung. Das sagen auch andere Therapeuten, die ich zum Gegenstand befrage. Ja, eine Eifersuchtssprechstunde ist gut. Super sogar. Ich sitze da und stelle ihm, sozusagen auf gleicher Ebene, ein paar Fragen. Nicht einmal bitten hat er sich lassen. Unkompliziert, gar nicht von oben herab. Und außerdem geht er segeln, solange er will und mit wem er will. Ich fühle mich widersprüchlich und suche nach einer gerechten Einschätzung. Was kann man gegen Sterne und Planeten haben, sind sie doch unsere romantische Kulisse. Was hat man gegen Eifersucht, widerlegt sie doch Gleichgültigkeit. Soweit die Normalität. Wo das Leiden beginnt, dämmert Wissen, daß man weder jene dort noch den Geliebten hier kontrollieren kann. Eine großartige Erkenntnis, nur leider selten durchdringend. Beides vermag zu provozieren: ein Plädoyer für den Haß auf das Universum und ein Lob des Besitzergreifens.
Daß er sich auf die Suche nach dem Ursprung des Übels macht, kann man wohl nur positiv bewerten. Da ist dann meist die Eifersucht kein Thema mehr. Die Leute, behandelt man sie einmal als Alkoholiker oder Depressive, hören bald auf, zwanghaft jemandes Manteltaschen nach Indizien zu durchsuchen. Sie brauchen das Symptom nicht mehr, das Signal versickert. Und: Ist es nicht eine Leistung, Blutbäder zu verhindern. Zumal oftmals Kinder dabei die Opfer sind. Und ist es nicht fein, daß es in Innsbruck endlich einmal etwas gibt, was man anderswo suchen muß. Wo wir doch hierzulande im allgemeinen hinterherhinken. Ich sitze da und suche mit Eifer nach dem Grund für meine Unbehaglichkeit. Mich interessieren nicht die Fakten. Allenfalls die Krankengeschichten aus Fleisch und Blut fände ich spannend. Wer wen wo und unter welchen Umständen geprügelt oder erpreßt hat. Ich interessiere mich für Sensationelles. Zumindest für Kurioses. Jedenfalls suche ich nach ein bißchen Saft in der ganzen Geschichte. Solch ein Drang ist wahrscheinlich pathologisch. Die Krankengeschichten sind verräumt. Ist doch logisch, es gibt ein Arztgeheimnis. Hier reden wir über eine Institution. Über Erkenntnisse. Der Begriff Wahn sei präzise formuliert. Krankhaft ist nicht der Inhalt, sondern die Unbeeinflußbarkeit durch Erfahrung und zwingende Schlüsse. So steht es in dem Artikel. Damit muß ich auskommen. Sich nicht zufrieden zu geben, mindert die Lebensqualität. Sich nicht zufrieden zu geben, paßt zum Thema Eifersucht. Keine Ahnung, was ich da schreiben werde, so trokken und sauber kommt das Pilotprojekt Eifersuchtsambulanz daher. Da kann nur ein jeder den eigenen Film einschalten. Schon will ich gehen, doch etwas dreht mich noch einmal zum Arzt hin und läßt mich fragen. Warum gerade Eifersucht. Warum nicht eine andere Störung, um eine Ambulanz zu gründen. Er lacht und hebt die Hand wie zur Abwehr. Lieber nicht fragen. Lieber nicht nach tieferen Gründen forschen. Da werd ich ja grad verlegen, sagt er. Die Sprechstunde ist seine Erfindung. Gedanken gestalten sich so oder so.
Bildfälschung
Margarethe Maultasch war eine Schönheit. Lassen Sie sich nicht beirren, so Sie einmal ein hässliches Bildnis unserer Landesfürstin gesehen haben (hängende Unterlippe … Maultasch! Sie verstehen –) … Richtig: Das Medium Ölbild lügt! Andrea van der Straeten machte sich im Auftrag von Quart auf die Suche nach dem Beweis: an einem Samstagmorgen auf Schloß Tirol bei Meran, wo sie Margarethe Hochzeitsbecher mit der Inschrift „Liebes langer Mangel ist Maines Herzen Angel“ vorfand, der aber eigentlich eine Leihgabe von Schloß Ambras ist - wie sie selben Tag abends in Innsbruck in Erfahrung brachte. Die Mischung aus Recherche und assoziativem Zugang ist typisch* „Meine interdisziplinären künstlerischen Arbeiten verbindet die Frage danach, wie sich unsere
Erfahrung von Welt in und durch Medien und in kommunikativen Prozessen vermittelt. Dabei steht nicht so sehr die medienkritische Analyse im Vordergrund als vielmehr die Suche nach einer Struktur, einem vermuteten sinngebenden Text: Wie verbinden sich einzelne Bilder, einzelne Elemente (Fotografien, Grafiken, Ikons) zu visuellen Texten? Welche Rolle spielen dabei das individuelle und das kollektive Gedächtnis? Ich versuche, einen zweiten Blick herauszufordern: Wie sicher sind wir uns dessen, was wir sehen?“
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M.
Margarethe Maultasch war eine Schönheit. Lassen Sie sich nicht beirren, so Sie einmal ein hässliches Bildnis unserer Landesfürstin gesehen haben (hängende Unterlippe … Maultasch! Sie verstehen –) … Richtig: Das Medium Ölbild lügt! Andrea van der Straeten machte sich im Auftrag von Quart auf die Suche nach dem Beweis: an einem Samstagmorgen auf Schloss Tirol bei Meran, wo sie Margarethes Hochzeitsbecher mit der Inschrift „Liebes langer Mangel ist Maines Herzen Angel“ vorfand, der aber eigentlich eine Leihgabe von Schloss Ambras ist – wie sie selben Tag abends in Innsbruck in Erfahrung brachte. Die Mischung aus Recherche und assoziativem Zugang ist typisch* für die Arbeit der Künstlerin. Sie faszinierte das Verhältnis von historisch belegbaren Fakten zu dem Gespinst aus Sagen und Gerüchten, mit dem das Bild der Gräfin überzogen ist. – Zu sehen auf den folgenden Seiten:
Liebes
„ M i ch h e t a i n s ch ö n e f r a u g e l a d e n , d a s i ch m i t i r s o l t e s s e n u n d p a d e n u n d m i t i r s p i l n i n d e r t a s ch e n … “ ( 2 )
langer
„ M i t p e i n l i ch s t e r S o r g e p f l e g t e s i e i h r e n Kö r p e r. S i e n a h m t ä g l i ch e i n D a m p f b a d , w u s ch s i ch m i t K l e i e n w a s s e r, f r a n z ö s i s ch e r S e i f e . S i e w i ck e l t e d a s Z a h n p u l v e r i n f r i s ch g e s ch o r e n e Wo l l e , e h e s i e i h r e g r o s s e n , s ch r ä g v o r s t e h e n d e n Z ä h n e r e i n i g t e . S i e p f l e g t e i h r e H a u t m i t We i n s t e i n ö l , g e b r a u ch t e r o t e S ch m i n k e a u s B r a s i l h o l z , w e i s s e a u s g e p u l v e r t e n Zy k l a m e n k n o l l e n . D e s N a ch t s l e g t e s i e e i n e Wa ch s m a s k e a u f , u m i h r e n u n r e i n e n Te i n t z u b e s s e r n . S o r g l i ch , m i t O p f e r n , g e h o r ch t e s i e j e d e r n e u e n M o d e v o r s ch r i f t .“ ( 3 )
Mangel
ist maines
„ D a r u n t e r w e i s s i ch w o l e i n m a u l t a s ch e n , d e r a u ch g u t w a r i n d e n s ch n a b e l z u w a s ch e n .“ ( 4 )
Herzen
„ S i e u m a r m t d i e M ä n n e r, e r d r ü ck t s i e u n d s a u g t i h n e n d a s B l u t a u s . Z u r A b w e ch s l u n g b a d e t s i e s i ch a u ch g e r n e i m B l u t d e r E r d r ü ck t e n . N a ch t s b r a u ch t s i e j e w e i l s z w ö l f M ä n n e r, d i e s i e e b e n f a l l s d e r R e i h e n a ch e r d r ü ck t . M a n e r z ä h l t e a u ch , d i e M a u l t a s ch s e i n u r u n t e r d e r A ch s e l h ö h l e v e r w u n d b a r g e w e s e n . A u f d e m Z u g v o n H e i l i g e n s t a d t n a ch S t . L a m b r e ch t s e i i h r e i n m a l e i n M a n n b e g e g n e t , d e r i h r n a ch d e m L i e b e s a k t - a l s s i e i h n e r d r ü ck e n w o l l t e – d a s Ta s ch e n m e s s e r u n t e r d i e A ch s e l h ö h l e s t o s s e n w o l l t e ; d a r a u f h i n s e i s i e a b g e z o g e n . I n S t . B l a s e n a b e r h a b e s i e e i n e n P r ä l a t e n e r h ä n g e n l a s s e n .“ ( 5 )
Angel
1 Liebes langer Mangel ist maines Herzen Angel Inschrift auf dem Hochzeitsbecher der Herzogin Margarethe Maultasch. Schloss Ambras 2 „ > Ta s c h e < w i r d i m b a y e r i s c h e n D i a l e k t z u n ä c h s t f ü r d i e G e s c h l e c h t s o r g a n e u n d d a n n v e r ä c h t l i c h auch für die weibliche Person gebraucht. Erst später taucht dann eine andere Deutung auf, nach der > M a u l t a s c h < e i n e M i s s b i l d u n g d e s M u n d e s a u s d r ü c k e n s o l l . D a d i e s e Ve r s i o n i n d e r d e u t s c h e n Geschichtsschreibung weniger anstössig war als die sexuelle wurde sie bevorzugt und setzte sich a l s I n t e r p r e t a t i o n s m u s t e r d u r c h .“ I n : W i l h e l m B a u m : M a r g a r e t e M a u l t a s c h . E r b i n z w i s c h e n d e n M ä c h t e n . G r a z , Wi e n , Kö l n , 1 9 9 4 . S . 2 0 6 3 Lion Feuchtwanger: Die häßliche Herzogin. Berlin, 3. Auflage 2003. S. 36 4 S i e h e Wi l h e l m B a u m , a . a . O . , S . 2 0 6 5 W a l t e r B r u n n e r : „V o n B u r g e n , R i t t e r n u n d F r a n z o s e n “ , z i t . n a c h W i l h e l m B a u m , a . a . O . , S . 2 3 3 6 D i e G a n z k ö r p e r p o r t r a i t s i m s p a n i s c h e n S a a l a u f S c h l o s s A m b r a s v o n 1 5 6 9 –72 z e i g e n e i n e s c h ö n e Herzogin Margarete zwischen 26 männlichen Fürsten, Herzögen etc.
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F ü r H i n w e i s e h e r z l i ch e n D a n k a n : M o n a H a h n , B e r n h a r d M e r t e l s e d e r, D o r i s P r l i c , M a r g o t R a u ch (KH M Schloß Ambras). Alle Fotografien/ Bilder: Andrea van der Straeten
Tränental
Erinnerung an meine Leidenstage vom 8. bis zum 14. Februar 1848 in Leermoos … … dem Heimathorte meiner Gattin Rosina Mantl geborene Hundertpfund von Michael Mantl Buchbinder in Reutte in Tyrol. – Der Komponist, Filme- und Radiomacher Bert Breit (s. Heft 1, S. 30–35) ließ der Redaktion ein sonderbares Zeitdokument zukommen: Ein genau 313 Strophen umfassendes Gedicht, eine Art Moritat, darin ein Buchbinder im Tiroler Außerfern kleinweis Klage führt, dass ihn seine Frau verlassen habe. Breit erhielt die Tirolensie auf mehrmalige Nachfrage hin vom Archivar des Heimatmuseums Reutte in Form von 40 schreibmaschingeschriebenen Blättern. Wer das Werk zu welchem Zeitpunkt auf diese Weise editiert hat, ist unbekannt. Sicher ist hingegen, dass der Herausgeber ein ergreifendes Vorwort geschrieben hat, das zu zitieren hier nicht versäumt werden soll:
„Unter anderen Umständen würde ich mir nicht getrauen, in einem Buche die persönlichen Schicksale eines Menschen zu berühren, von welchem vielleicht Anverwandte leben, denen solche Zeilen zu Gesicht kommen. Indessen dachte ich, mir Solches in diesem Falle wohl erlauben zu dürfen, da Mantl, welcher nicht nur Buchbinder, sondern auch Bauer und Dichter war, den wichtigsten Teil seiner Erlebnisse selbst in Versen beschrieb, welche 1848 zu Füßen in Form einer Broschüre gedruckt erschienen. Auch zeigt sich, da ein Lebensbild, von welchem manch ähnlicher Zug in den kleinbürgerlichen Verhältnissen frommer Tiroler Marktflecken und Städtchen anzutreffen sein mag. Der Sachverhalt ist kurz erzählt folgender: Mantl war fromm erzogen worden, wie die meisten seiner Landsleute und kannte als junger Mann kein höheres Ideal, als Meßner in einem Kloster zu werden. (…) Indessen, mag die Veranlassung wo immer hergekommen sein, die Absicht blieb unausgeführt und Mantl lernte zu seinem Unglück ein Mädchen aus Lermoos kennen, Rosina Hundertpfund, der zu Lieb seine Gedanken die weltliche Richtung nach Hochzeit und Heirat nahmen. Im Uebrigen wich er durch diesen Entschluß insofern nicht sehr weit von seinem bisherigen Thun und Treiben ab, als Rosina, nicht minder fromm wie er, zwar in die Heirat willigte, jedoch einen eigenthümlichen Vorbehalt machte. Es war nicht so sehr eine sogenannte ‚heilige‘ oder Josephsehe, (eine ziemlich häufige Sitte) über welche sie sich einigen, als vielmehr eine hinreichend hohe Anzahl von Tobiasnächten, deren Wesen ich dem Leser zu erklären überlasse und nur bemerke, daß hier die Parteien des Vertrages für eine beschränkte Zeit vorerst jene Verpflichtung übernahmen, welche ihnen die ‚heilige‘ Ehe für immer auferlegt. So wurden also Michael Mantl und Rosina Hundertpfund ein Paar. Nach einiger Zeit des Zusammenlebens drängte Mantl auf die Aufhebung des besagten Vertrages. Seine Gattin wies ihn voll Entrüstung zurück und ihr Verhältnis blieb wie zuvor. Mantl sah ein, daß er, wenn auch nur in Gedanken, gesündigt habe und wurde frömmer, als er je gewesen war. Die öffentliche Meinung aber be-
zeichnete jene Entrüstung der Hundertpfund als Koketterie; denn es ist erwiesen, daß kurze Zeit später unzweifelhafte Eröffnungen, die nicht minder den Vertragsbruch zum Zweck hatten, von ihrer Seite ausgingen. Mantl war aber nun einmal wieder völlig Asket geworden und so kam es, daß seine Gattin, ihres Daseins aus irgendeinem Grund überdrüssig, ihm plötzlich bei Nacht und Nebel davon ging und sich in das Haus ihrer Eltern zu Lermoos begab. (…) Einer der Angehörigen des Mädchens, dem die fortwährenden Bestürmungen und Nachforschungen Mantls lästig wurden, suchte der Geschichte dadurch ein Ende zu machen, daß er ihm mittheilte, Rosina sei abgereist und nach Amerika ausgewandert. (…) Flugs ging er nach Hause und machte alle seine Habe zu Geld. Das Schiff aber, mit dem jener Auswanderertrupp in die neue Welt befördert werden sollte, war schon abgesegelt. Mantl besann sich nicht lange und nahm einen Platz auf einem Dampfschiffe, welches die langsame Fahrt des Seglers weit überholen würde, wie man ihm sagte. So war es auch. Als er in Lima anlangte und beklommenen Herzens nach jenem Schiff fragte, erhielt er die frohe Nachricht, daß es noch nicht angekommen sei. Nun wartete er Woche um Woche. Endlich – kündigten die Signale sein Einlaufen an. Mit welchen Gefühlen er an den Strand stürzte, den ersten Tiroler um sein Weib befragte, wie er entsetzt von einem seiner Landsleute nach dem anderen vernehmen mußte, daß es gar nicht auf dem Schiffe gewesen sei und Niemand von ihm wisse (…) Die Lage Mantls war schrecklich. Er sah, daß er betrogen worden war. Indessen waren seine Mittel durch die bedeutenden Kosten der Ueberfahrt auf dem Southamtondampfer und das lange Warten in der theuren Hafenstadt so geschmälert worden, daß der Arme nicht mehr daran denken konnte, nach Reutte zurückzukehren. So ging er landeinwärts und arbeitete zuletzt in einem Bergbaue. Vor etwa fünf Jahren gelangte die Nachricht in seinen Heimatsort, daß er von Indianern erschlagen worden sei. Rosina Hundertpfund aber ist noch heute wohlgenährte Köchin bei einem geistlichen Herrn im frommen Vaterland. Nun bestreite noch Einer die Möglichkeit von Dorfromanen.“
Auf den folgenden linken Seiten: Auszüge aus Michael Mantls Gedicht – 134/135
auch zeigt sich : da : ein leben : s : b : i : l : d 1 mantl : 100 pfund Die Redaktion überließ Mantls Strophen dem Tiroler Autor Händl Klaus mit der Bitte, die Geschichte weiterzuschreiben. Nur wenige Tage darauf kam die Textlieferung – mit einem Begleitschreiben: „… ganz seltsam ist das geworden (…) es sind halt Fragmente des Verlassenseins, das ist ja auch ein Zerfallen immer, ein Ein- und Auseinanderbrechen, so wie hier. (…) – Atemfetzen – ich hatte als Folie die Musik von Bert Breit im Ohr, sein Memento mori, hier: von ratlosen Frauen und rastlosen Männern verstummend gehechelt –– (…) Ich bin bei der ‚biblischen‘ Seitenanzahl von 40 geblieben und habe aus jeder dieser Seiten einen Kern gefischt; die Anfangszeilen dieser Seiten habe ich zur Orientierung noch einmal zusammengestellt: G’wiß morgen komm ich wieder, Wohl ging am frühen Morgen Der bald von Leermoos komme, Und als ich nach ihr fragte, Ihr hättet sollen sagen, Ging dann herab ins Zimmer, Nun ja sprach ich ich bleibe Und sprach aufs neu voll Liebe, So kam der Abend wieder Der heut zurücke komme, Als fort ihr Bruder eilte Er hab nichts mehr erfraget Gott weiß wie gut wir’s meinen, Du hast ein hartes Kissen Es kam zurück voll Freuden Obgleich er mir im Stillen Doch hab ich sichre Kunde Und sprach: Ich will ihr geben Dann sprach ich: Geht und eilet Und folgte seinem Rathe: Da saß ihr jüngster Bruder Ich legte mich nun nieder, Mein Gott verzeih und segne Will deine Wünsch erfüllen Doch liebvoll und in Güte Doch all mein Wort und Bitten
Doch ach, was nun erschiene, Ich sprach nun zu Kathrine: Mit ihr kann reden heute Denn sie hat oft schon Hilfe Doch weinend ruft ich immer Von Reutte angekommen, Nur kurz nicht lang war dorten Sieh morgen schon wird kommen Da nun der Weg der Strenge Doch alles sei verziehen, Wenn es dein heil’ger Wille Denn Lüg ist mir nicht eigen, Bei so viel Arbeit dachte Und wenn ich einst im Grabe
Diese Anfänge bilden, kommt mir vor, ihre eigene Logik aus. (Aber innerhalb kreiselt es nur noch, und ich bin kreuzstichartig, auch seitenweise, gesprungen.) Alles in allem schnappt dieser arme Mantl immer nach Luft.“ Auf den folgenden rechten Seiten: „hundertpfundgedichte“ von Händl Klaus –
Tränental
G’wiß morgen komm ich wieder, Dies war ihr Abschiedswort, Und einer ihrer Brüder Nahm dann sie von mir fort.
Da sprach ich warum fliehen? O liebe Schwägerin, laß Friede uns umziehen, Führ mich zur Gattin hin.
Nun wartete ergeben Ich bis der Bruder kam, Und richtete mein Streben Zu Gott der mir sie nahm.
Nun schwanden hin die Tage, Ihr Wort das hielt sie nicht, Ihr Bruder bracht mir Klage, Daß sie ganz anders spricht.
Doch leider auch sie sagte, Sie wiss’ nicht, wo sie sei, Wie liebend ich auch fragte, Ob sie gewissensfrei.
Denn ohne seinen Willen Fällt ja vom Haupt kein Haar, Und zuläßt er im Stillen So manches sonderbar.
Dann ist ein Mann gekommen Von ihr zu mir geschickt, von dem ich, ach! vernommen Die Kund’, die mich erdrückt.
Nun ja sprach ich ich bleibe Nun Tag und Nacht dahier, Bis daß man mich vertreibe, Dann sitz ich vor die Thür.
Und als der Bruder kommen, Fragt ich: bist du allein? Ganz düster und beklommen, Wo ist die Gattin mein?
Sie sei nun anders g’sonnen, Und bleibe nun zu Haus, Wie im Vertrag begonnen, Und kommt nicht mehr heraus.
Und beth’ für sie und liebe Sie immer mehr dahier; Je mehr sie mich betrübe, Je lieber ist sie mir.
Da sprach er falsch voll Tücke Ganz friedlich her die Wort, Daß sie ein Schreiben schicke Allwo sie bleibt von dort.
Und nun hat sie gebrochen, Was sie nach dem Vertrag Mir letzthin hat versprochen Sie bleib nun ohne Klag.
Sprach ich, und blieb nun sitzen Im Zimmer auf der Bank, Bis durch die Fensterritzen Mich’s Morgenlicht umrank.
… Dann bin ich hingeeilet Voll Hoffnung zum Verein, Ins Haus, allwo sie weilet, Die liebe Gattin mein. … Und als ich nach ihr fragte, Sprach man sie sei nicht da; Und wiederholt man sagte, Daß man sie gar nicht sah. Da sprach ich, muß sie fliehen? Ist das Gewissensruh, Ihr Trachten und ihr Mühen Geht nicht dem Himmel zu. … Warum sie mich denn hasse, Was ich ihr denn gethan; Warum sie mich verlasse, Auf meiner Lebensbahn. … Da sprach man auch sie wäre Nicht da von Hause fort, Daß sie sich auch nicht kehre nach meinem guten Wort. Doch horch, was kracht da oben, Sprach ich, und schleicht so fort, Und schnell hab ich gehoben Die Falltür von dem Ort. Und sah die Schwester stehen, voll Eifer horchend mir, Und dachte mir, umwehen muß Lüge mich nun hier. …
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Und Wort hab ich gehalten, Ich schlief nur wenig ein; O sonderbares Walten Dacht ich beim Morgenschein. Und ging nun eiligst weiter Zur Kirch durch’s Dorf hinab; Da war ich wieder heiter In meinem Leidensgrab. Konnt wenig zwar nur beten Mein Herz es war zu voll, Doch opferte die Nöthen Ich Gott auf für ihr Wohl. Schritt hoffnungsvoll begleitet Dann wiederum hinauf, Ins Haus, wo mir bereitet Solch Leid im Lebenslauf. Und sprach aufs neu voll Liebe, Sagt mir doch, wo sie weilt, Mein Herz voll Sorg und trübe Dann eilig heimwärts eilt.
… Als fort ihr Bruder eilte Nach Reutte auf den Markt, Kein Wort von ihm mich heilte Von Falschheit eingepackt. Dann stund ich auf zu rüsten Mich schnell nun auf die Reis’, Nichts konnt mich überlisten, Als Wahrheit und Beweis. Da brachte mir ins Zimmer Die Schwester noch Kaffee, Ach, essen kann ich nimmer Sprach ich, mir ist so weh! Ich muß wohl lange missen Die liebe Gattin mein; Sag mir auf dein Gewissen Soll sie denn hier nicht sein. Ich will nun fort sie suchen, Und bin schon halben krank, Thu ihr und euch nicht fluchen Mich treue Lieb umrank.
…
O laß mich nicht fortziehen, O sag mir’s Gott zu lieb, Bath ich sie auf den Knieen, Ob sie bei dir nicht blieb.
Da sprach man meine Liebe Sei fort ins Oberland, Mein Herz sich nicht betrübe Früh an des Bruders Hand.
Und wieder mußt ich hören Die Wort: Ich weiß es nicht, Geh hin, thu mich nicht stören; Da weint mein Herz und spricht:
… Ich ging nun nachzufragen Zu den Verwandten hin, Und meine Leidensklagen Die mußten sie umzieh’n. …
Leb’ wohl und Gott vergelte, Was du mir Gut’s gethan, Ich weiß, wie oft mich prellte Dein Herz und eitler Wahn. …
g : wiß : morgen : komm : ich : wieder : schwanden hin : die tage : die : hat sie : gebrochen : sie da wir so friedlich : lebten sie : habe keine : klage : klage : ja : nach : haus um : wasch : und kleid im dorf leer : moos dort : ging ich : ging : ging zu : zu meinem : lieblings : ort : beklommen : um das : glück und dinge die : geschahen : zerstörten : meine ruh man sagt : sie sei : nicht da man sagt : sie sei : nicht da ich bin : nur da : in güte ich : tracht : ich : streb : ich : ringe : ihr : ihr : hättet sollen : sagen so : halte : ihm dein wort schnell : hab ich : auf : gehoben : die falltür : von dem ort nun ernst und : trüb : ins zimmer : weil : weil sie : entflohen : war : warum laß : liebe : schwägerin : laß : mich : zur gattin : hin ich will : sie schon er : warten : im : zimmer auf : der bank zur kirch : da war ich : heiter sagt mir : wo : sie weilt ihr : bruder gab : die hand : zum zeichen : weiß nicht : ob : sie hier da : machte : froh und bieder : die schwester : feuer an ach : ach : ich kann nicht : essen : zur ruh : ach : schlafen : nicht ob sie : nicht weiter : schritt : zu den : verwandten hin : wohl : fort : bist du : allein : da sie : ein schreiben fort : fort : fort : sie : suchen : sag : ich weiß : es nicht :
Tränental
Nun war ich fest entschlossen, Und dacht mir, wo sie ist, In Innsbruck, unverdrossen Mein Herz sie schon erwischt. Bei ihrem Bäslein weilet Sie sicher dieser Tag, Bis sie nach Schwaz hineilet, Wo sie dann bleiben mag.
Wir steh’n dir gut, o bleibe Verborgen hier im Haus, Nicht Falschheit dich vertreibe Mein Gott, es ist ein Graus. …
…
Ich blieb nun still verborgen, Und folgte gutem Rat, Vielleicht ich könn’ sie morgen Am Kirchweg in der That
Allwo ich sie könnt finden Im schönen Innthal dort, Dies muß ich euch noch künden Wenn wahr auch euer Wort.
Selbst sprechen und sie fragen, Was ihr am Herzen lieg; Warum sie dieser Tagen Mich und sich selbst betrüg.
Und alles schwieg nun stille, Und legte sich zur Ruh, Und fest war nur mein Wille Frühmorgens Innsbruck zu.
Doch nie konnt man sie sehen Beim Vielgeliebten dort, Sie ließ sich nicht umwehen Von unserm Lieblingsort.
…
…
Und betete voll Kummer Bis bald um Mitternacht, Dann sucht ich auf den Schlummer Bis morgens ich erwacht.
Da fühlt’ ich Seitenstechen, Und sprach: Gott will es nicht; Ich kann sie hier nicht sprechen, Mich mahnt nun and’re Pflicht.
… So schwand nun hin die Stunde Doch hört was nun geschah, Vor Mittag schon kam Kunde Daß man Rosina sah! … Dies milderte mein Leiden Ich blickte himmelwärts, Ein schwacher Strahl voll Freuden Umleuchtete mein Herz. Ich wußt nur, daß sie nahe, Ja nahe wohl bei mir, Wenn ich sie gleich nicht sahe, Und dankte Gott dafür. Dann ging, um was zu leihen Ein Mädchen in ihr Haus, Und sah sie dort entweichen Schnell durch das Zimmer aus. … Nun eilte ich hinüber Zu Anverwandten dort, Man sprach: Kehr zu mein Lieber, Bevor du eilest fort. Und als ich hingekommen Gerüstet nun zum geh’n, Wohl traurig und beklommen, So mußt ich Thränen seh’n. Man weint mit mir und theilet Das Leiden treu mit mir, Man sprach: Mein Freund sie weilet Im Dorfe Leermoos hier.
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Doch ging ich noch zum Freunde, Der meiner Lieb vertraut, Denn ach! mein Herz es meinte, Daß der noch auf mich schaut. Weil ich ihm schon durch Jahren Viel Gut’s und Lieb’s gethan; Doch mußt ich nun erfahren, Wie falsch auch dieser Mann. – … Da sprach er, mir vertraue: Hier hast du meine Hand, Nur sicher auf mich baue Lüg ist mir unbekannt. Wenn sie dahier sollt weilen, Das ich zwar glaube nicht, – So kommen diese Zeilen Ihr heut noch zu Gesicht. … Ich bat ihn mir zu leisten Die Hilfe die er Könn’, Weil er am allermeisten Bei ihr noch gelt, und wenn, Er sie im Haus getroffen, Soll bitten er statt mein, Und sagen frei und offen, Daß ich gekehret ein. … Und schnell vor Eifer eilte Er fort zu ihr ins Haus, Kam bald zurück und theilte, Statt Wahrheit Lug mir aus.
Sie sei gar nicht zu finden, Sie sei gewiß nicht hier, Er könn’ mir’s sicher künden, Er brächt sie sonst zu mir. Ich blieb die Nacht dort liegen Auf einer Gemsbockhaut, Und dacht mir, mich betrügen Die Leute still und laut. Ich sann nun and’re Mittel Mir auf der Bank dort aus, Wo gleich ein schön’rer Titel Gekommen mir heraus. Und sprach: Ich will ihr geben Das Testament zurück, Und spreche durch mein Leben Hier nicht mehr an dies Glück. Ich will es schriftlich machen Hier bei dem Anwalt dort, Bei so Gestalt der Sachen Halt ich gewiß mein Wort. Da war auf einmal Freude Und Frohsinn eingekehrt, Man gab mir Trost im Leide, Ganz anders nun belehrt. Wenn das ich thu, könn’ heute Ich fahren noch nach Haus, Rosina an der Seite Nach Reutte heim hinaus. … So kam der Sonntagmorgen Da schlich ich heimlich fort, Ins Haus wo ich verborgen Zwei Tage war schon dort. Und sprach, was nun erfüllen Aus Lieb zu ihr ich woll, Da sagte man im Stillen: Freund, überleg es wohl. Gib’s Heft nicht aus den Händen Erhol dich Rath bevor, Es könnt nicht gut dir enden Noch ärger als zuvor. …
mein leid : sie ist : wo : wo sie ist und alles schwieg : nun stille : und legte : sich : zur ruh : und fest : fest war : mein wille : will : ich morgen : weiter : ziehn auf : höre : auf : zu weinen : herauf : im schnellen : lauf man weint : mit mir : so : muß ich : wohl : muß : tränen sehn : und stehn zurück : sie ist : am kirchweg : nie gott will : es nicht mein : herz : zum freund geh dann : und : ohne : zagen : mit mir : von hier : nach haus : hier : hast du : meine : hand : so : komm : so kommen : ihr : die zeilen : eilen : eilen zu : gesicht sie : sei : gar : nicht : zu : finden ich spreche : durch : aus : lieb : hin : aus
Tränental
Ich betete nun wieder So gut mir’s möglich war, Für alle ihre Brüder, Für meiner Feinde Schaar.
Da sprach er: Mich nicht frage, Ich kann dir’s sagen nicht, Sie kam mir dieser Tage wohl nie hier unters G’sicht.
Da bath ich nun die Alte, Sie möcht mir schließen auf, Daß ich bei ihr mich halte Nur kurz nicht lange auf.
Kein Groll war nicht im Herzen, Kein Funke nicht von Haß, Ich opferte die Schmerzen Gott auf, und sprach: Merkt das:
Nun ja, Gott wird dich richten, Sprach ich, ich geh nach Haus, Will jetzt auf sie verzichten, Bis sie kommt selbst hinaus.
Doch diese sprang voll Schrecken Im Zimmer hin und her, Rosina nun verstecken, Das konnt sie nimmermehr.
…
…
Und dacht mir, arger Bube! Mein Herz nach ihr sich sehnt, Dort in der hintern Stube Sind Balken zugelehnt.
Nun ging zur andern Seite Zum Fenster ich noch hin, Da sprang sie auf die Seite, Und wollte mir entflieh’n.
Nun mußt ich doch dich finden, Blick dankend himmelwärts, O könnt ich an mich binden Dich liebend wie mein Herz.
Doch hört nun was geschahe: Daß sie mir nicht entwisch, Ging ich zurück und sahe Sie gar nun unterm Tisch.
Mein Gott es soll Dein Wille Hier stets an mir gescheh’n Doch laß mich in der Stille Sie heut nun einmal seh’n. – Darnach ging ich voll Sorgen Zu einem jungen Mann, Und klagte ihm verborgen Ein Theil des Leidens an. Und folgte seinem Rathe: Geh doch nicht weiter ein, Weil dir schon Unglück nahte, Dem vorgebeugt soll sein. Geh vor Gericht und klage, Daß ein Dekret erscheint, Damit man sie fortjage, Und sie dir bald vereint. Da sprach ich, wenn ich zwingen Sie muß zu mir hinaus, Könnt neues Unglück bringen Ich dann mit ihr ins Haus. Und ging voll Dank und heiter Nun wieder s’Dorf hinein, Ins Haus, wo man nicht weiter Mich ziehen fort ließ drein. … Doch nun ging ich voll Güte Fort in ihr Heimathaus, Und dacht’ mich Gott behüte Sonst wirft man mich hinaus. Da saß ihr jüngster Bruder Im Zimmer auf der Bank, Und blickte wie sein Fuder Voll Korn ihn umrank. Gott grüß dich lieber Schwager, Sprach ich, ich bin nun hier, Wohl abgezehrt und mager, Weil stets folgt Leiden mir.
… Ich rief nun ihren Namen Wohl dreimal still hinein, Und sieh auf einmal kamen Die Hüter zum Vorschein. Es war die alte Base Sabine Hundertpfund, Die hinterm Ofen saße, Auch schlafend und zwei Hund. Auch meine Lieb erwachte, Schlug schnell die Hand vor’s G-sicht; Da sprach ich still und sachte: Rosina liebst mich nicht? – O sieh, Gott ließ mich finden Nach vielen Leiden dich, Und nun will ich dir künden, Wie gut es meine ich. Nun öffne mir und sage, Was dir am Herzen liegt, Was ist denn deine Klage, Bist du wohl hier vergnügt. Will deine Wünsch erfüllen Dich liebend treu und rein, – und manches sprach im Stillen, Ich noch zu ihr hinein.
…
Doch ach! mein Gott sie stellte Sich stumm und sprach kein Wort; – Kein Mitleid sie beseelte – Sie blieb am Bank noch dort.
Und sag mir, wo Rosine, Die liebe Gattin weilt, Vertreib die finst’re Miene, Womit dich übereilt.
Und öffnete mir leider! Die Zimmertür auch nicht, Sie wich vom Platz nicht weiter Die Hand nicht vom Gesicht.
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Allwo sie sich verborgen, Es war verwirrt ihr Haar, Ganz blaß vor Gram und Sorgen Ihr Angesicht auch war. Da sprach ich, ach! ich sehe Dich heut im Werktagskleid, – Es thut mei’m Herz wohl wehe, Daß dich die Kirch nicht freut. Du darfst dich nicht verstecken Vor mir als wie ein Thor, Du bist voll Angst und Schrecken; Da kam sie schnell hervor. Und sah mich an und eilte Zurück zur Ofenbank, Wo sie schon früher weilte Zum Lohn mir und zum Dank. Sie schlug die Händ zusammen, Wußt ihr zu helfen nicht; Weil an dem Tag nun kamen Was Lüg’ mir zugericht. – Doch all mein Wort und Bitten Erweichte nicht ihr Herz, Das steinhart mir verstritten, Da blickt ich himmelwärts. Und betete und weinte Im Stillen vor der Thür; Doch keine Hilf erscheinte, Weil all’s verschworen mir. Und fort zum Bruder eilte Ich tiefgekränkt voll Schmerz, Der schlafend noch dort weilte Wo fortschlich sich mein Herz. …
gebt acht : habt fleißig : wacht : kein funke : nicht von haß : mein gott : laß mich : sie : in der stille klage : zwinge : in : der stille : folge : nahe : geh : und : jage ich : ich kann : dir sagen : nicht im zimmer : auf der bank : denk : denk : ver : treib : die liebe : dieser : tage schlaf : umrank : und öffne : die balken : auf der bank : zum fenster : o verzeih : ich rief : die hüter still : ich will : dich liebend : in güte : angst : und : schrecken blaß : vor : sorgen gram : sprang sie auf : die seite wirr : zu boden : nach : und nach : im schmerz
Tränental
Doch ach, was nun erschiene, Es kam mein ärgster Feind, Genannt des Rafflers Trine Die aus der Kirch erscheint.
Mit ihr kann reden heute Dann eil ich heimwärts zu, Schnell fort in ferner Weite Zu suchen meine Ruh’.
Und als bekannt ihr machte Mein Herz, daß ich sie sah, Sie falsch und tückisch lachte Und sprach das Wort: Ja, ja.
Da sprach er, du wirst sehen Ich werf dich noch hinaus, Wenn du nicht fort willst gehen Nun bald aus meinem Haus.
… Geläugnet und gesprochen, O nein, sie ist nicht hier, Der Schwager hats gerochen, Und beigestimmt auch ihr. Da ist ein Mann gekommen Ins Haus vom Dorfe Lähn, Da hab ich ihn beklommen, Als Zeug mir auserseh’n. Ich sprach mein Freund hier weilet Versperrt die Gattin d’rinn, Man läugnet sie und eilet Ihr helfen zu entflieh’n. … Ich sprach nun zu Kathrine: Den Schlüssel den hast du, Sperr auf nun falsche Miene Ich ford’re dich dazu. Da sprach sie: Nein, ich schließe Die Zimmerthür nicht auf, Wie es dich auch verdrieße, Und sprang im schnellen Lauf; … Mein Freund ich will nun schweigen Sprach ich, vergiß dies nicht, Ich ford’re dich zum Zeugen Sollt kommen ich vor’s G’richt. Dann ging er hin und machte Dem Schwager nun bekannt, Warum er da und lachte Im Stillen vor der Hand. Verkaufte seine Sache, Und ging dann wieder fort, Da dacht ich mir, wie mache Ich es nun weiter fort.
Doch als die größte Hitze Des Zornes war vorbei, Da sprach er gut nun sitze Und bleibe still und treu. Und morgen in der Frühe Kannst reden du mit ihr Und Freitags dann nun ziehe Ich selbst hinaus mit ihr. Da sprach ich ja, nur weiche Nicht ab von deinem Wort, Und auch die Hand mir reiche Zum festen sichern Hort. Da sprach er: Ja und reichte Mir treulich seine Hand, Worauf ich dann entweichte, Und bald im Haus verschwand. Zur Kirche nun forteilend Zum letzten Rosenkranz, Wo lang ich betend weilend Auch meinen Leidenskranz. … Da mußte laut ich weinen Mein Herz es war zu voll, Ach! solches Leid erscheinen Wird nirgends in Tirol. … Doch weinend ruft ich immer Dein Herz o Gattin mein, Ach! dies ertrag ich nimmer Ist härter als ein Stein. – Wenn Tugenden dich zierten, So sind sie lau und träg, Da kamen nun und führten Zwei Mädchen mich hinweg. …
Und ging nun liebvoll wieder, Stets Hoffnung noch im Herz, Zum jüngsten ihrer Brüder, Und sprach voll Leid und Schmerz.
Man tröstete und mühte Sich ab mit mir noch lang; Denn ach, mein Herz es glühte In solchem Leidensdrang.
Blick auf zur Himmelspforte, Und sei nicht gar so hart, Mach daß ich ein paar Worte In deiner Gegenwart.
Doch endlich wurde leichter Mein schwermuthsvolles Herz, Ich blickte nach dem Leuchter Dort oben himmelwärts.
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Und dankte noch und legte Mich nun zur Ruhe hin, Weil ich zu sagen pflegte: Nun will ich weiter zieh’n. … Lebt wohl ihr guten Seelen Im ganzen Dorfe hier, Ich kann es nicht verhelen; O, helft doch beten mir! Daß Gott der Herr mir sende Die liebe Gattin mein, Ihr Herz bald zu mir wende In Liebe still und rein. Dann ging ich fort zu beten Zur Kirche still hinein, Und Trost und Ruh umwehten Mich dort bei’m Liebsten mein. Nur kurz nicht lang war dorten Mein schöner Aufenthalt, Es riß mich durch die Pforten Nun heimwärts mit Gewalt. … Mein Herz nun nicht mehr weinte Am Weg nach Hause fort, Da traf ich noch zwei Freunde Vom Dorfe Leermoos dort. Und einer ließ mich fahren Ein Stück mit ihm hinaus, Mußt manches noch erfahren Bis ich nun kam nach Haus. … Dann ging ich fort und eilte Zuerst zum Herrn Dekan, Dem ich nun treu mittheilte Die ganze Leidensbahn. Mein Herz voll Leid nun harrte Auf Antwort solcher Klag, – Da sprach er Freund nun warte Mir ruhvoll vierzehn Tag.
mann : da ist : als zeug : versperrt : die tür sie ist : nicht hier nein : ich schließe : schweige nun sitze : still : die hand : verschwand : im haus : weich : still : und treu auch auf : der wange : weit : die träne : weit : von weit : zur tür : hinein : und : enger : auch : mein herz : soll sein ein solches : herz : zur ruh : erwacht : glüht : lau : ein keil : verkeile lebt : so schritt : ich fort : vorüber heimwärts : mit gewalt : hinaus : begleite mich : mein leid : hinaus : vergrabe : heimwärts : mich
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Sieh morgen schon wird kommen Der Pfarrer selbst von dort, Zu reden vorgenommen Hab ich mir, dir ein Wort.
Du kannst das Herz erweichen Der lieben Gattin mein, Daß sie die Hand wird reichen Mir liebend still und rein.
Hab zwanzig und fünf G’schirre Voll Milch nun jeden Tag, Dabei ich nicht verwirre, Und reinlich Sorge trag.
Ich laß sie dreimal rufen Zu ihm dann dort ins Haus, Und dann hernach berufen Im Stillen da heraus.
Du kannst die Herzen leiten, Die von ihr irrgeführt, Daß sie den Weg bereiten, Der uns zusammen führt.
Und daß nun schon zwei Wochen Die dritte fängt schon an, Ich hoff, was er versprochen, Das hält der Herr Dekan.
Dann werden wir im Zimmer Hier schließen ein Vergleich, Daß sie dir dann wohl nimmer Von Hause fort entweich.
Du kannst die Brüder richten, Und auch die Schwestern dort, Daß sie nach Christenpflichten Mir reden gutes Wort.
Bei so viel Arbeit dachte Ich auch dies Lied noch aus, Ging auch zur Kirch und wachte Für meiner Seele Haus.
Dies ich nun Dir mittheile, Hier hast Du meine Hand, Versprich es mir und eile Nach Haus zu deinem Stand.
Du kannst die größten Feinde, Die mir zerstört mein Glück, Als wahre gute Freunde Mir stellen bald zurück.
Nur eins ich nicht erfülle Es kann einmal nicht sein, Das Handwerk, das steht stille Und Arbeit stellt sich ein.
D’rum will ich voll Vertrauen Nun ganz zu Dir allein, Will hoffend aufwärts schauen Zu Dir Geliebter mein.
Doch werde ich schon bringen Die Zeit dann wieder ein, Wenn ich kann fröhlich singen: Sie ist nun wieder mein. –
… Dann bin ich fortgegangen Voll Angst, voll Leid, voll Müh’n Und weg war mein Verlangen Sie vor Gericht zu zieh’n. … Da nun der Weg der Strenge Mich auch nicht glücklich macht, Und listig dicht und enge Mich mancher Feind bewacht. – Man legt mir laut und stille Ganz falsch die Liebe aus, Mein Denken und mein Wille Er sagt es frei heraus. … Sie ist noch meine Freude, Mein größtes Glück dahier, Und winkt auch bis ich scheide Mit Gottes Gnade mir. Ich sag’s voll Freud nicht trübe, Warum mir lieb und werth, Rosina, meine Liebe, Und sie mein Herz verehrt. … Nur’s Geld und böse Leute Die haben uns getrennt, Weil nie ihr Herz sich freute, Daß man uns glücklich nennt. Doch alles sei verziehen, Ruf ich mein Gott zu Dir, Laß allen Segen blühen An Leib und Seele hier. Du kannst mich stets beschirmen, Wenn auch die ganze Welt, Sollt gegen mich anstürmen Dir bleib ich heimgestellt.
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… Ich leg nun dies mein Leiden Der Schmerzensmutter hin, Die dort bei Deinem Scheiden Dein Wort noch mußt umzieh’n. Sieh Deinen Sohn – und allen, Den Deinen, auf der Welt, Soll Ihre Hilf erschallen, Weil es Dir wohlgefällt. Und darum will ich richten Auf Sie nun meinen Blick Sie mög den Handel schlichten Zu meinem Heil und Glück. Und will zum Schluß nun schreiten mit meinem trauten Sang, Und bitt man woll nicht deuten Falsch meines Herzensklang. – … Denn ohne falsch und offen, So wie ich denke spricht, Mein Herz, das nun getroffen Solch Leid, doch mahnt mich Pflicht. … Ich thu nun ganz alleine Die Arbeit in dem Haus, Und hoff, daß sie erscheine, Und wart die Zeit nun aus. Ich koch, ich wasch, ich fege, und scheue keine Müh’, Und darf wohl sein nicht träge Bei Kälber und vier Küh.
Und allen zum Begehren Die Frag sie nicht verdrieß, Die mir noch liegt am Herzen, Bevor ich gänzlich schließ. Wo ist ein Herz zu finden, das meiner sich annimmt, Das sicher mir kann künden, Daß sie mir zugestimmt. Wenn alles fehl sollt schlagen Und sie nicht kommt zu mir; Wer hilft mir dann ertragen Dies neue Leiden hier. Ach, keines wird sich zeigen – Nur Du mein Gott winkst mir, Ich soll sie ganz Dein eigen Nun ferne schenken Dir. O betet mir im Stillen, Und auch der Gattin mein, Daß Gottes heil’ger Willen An uns erfüllt soll sein. Und wenn ich einst im Grabe Vom Erdenleid ruh aus, so weiht mir eine Gabe Von Blumen einen Strauß. Und sagt ein Herz voll Liebe Von dem man falsch gedenkt, – Ruht hier, doch sei voll Liebe, Ein Tränlein ihm geschenkt. … Reutte, den 1. März 1848
da : da : bin ich : gegangen : da : im stillen : da man legt : mir : falsch : die liebe : aus : es : welkt es : fällt es : scheide : nun : der weg : der strenge : ich will mich : ergeben : ich : will mich : zerstört : ergeben du : mein alles : bist : nur du : nur du : wo nicht : laß mich : vergessen scheue : kälber : scheue küh : eigen : wirre milch : von wochen : wasch ich : koch ich : träge pflicht singen : ferne : stille : schlagen : aus der : ferne und : im stillen : ferne stille : stille tragen blumen : blumen : liebe : gabe : einst : im grabe : einen strauß
Besetzung
Julia Bornefeld, Kiel → Bruneck: Bildende Künstlerin (Malerei, Objekt, Fotografie). Zahlreiche Ausstellungen im In- und Ausland: Innsbruck, München, Köln, Amsterdam, Toronto, New York. Hans Danner, Kufstein → Innsbruck: derzeit Zivildiener beim Tiroler Blinden- und Sehbehinderten Verband. Studium Germanistik, Politikwissenschaft, Theologie. 1999– 2003 Schauspieler an der Elisabethbühne/Schauspielhaus Salzburg. Fred Einkemmer, Thaur → Innsbruck: Fotograf. Schwerpunkt Werbefotografie. Seit 1996 selbständige Tätigkeit. Christian Gögger, München → München: Publizist und Kurator. Studium der Germanistik und Philosophie. 1984–1998 eigene Galerie in München, 1999–2000 Leiter des Kunstvereins Ludwigsburg. Seit 1997 Leitung des „spiegel“ (screen, videothek, archiv) in München. Martin Gostner, Innsbruck → Innsbruck: Bildender Künstler. 1978–1979 Universität Wien (Geschichte), 1979–1983 Akademie der bildenden Künste Wien (Malerei). Zahlreiche Einzel- und Gruppenausstellungen in ganz Europa, Projekte in den USA. Händl Klaus, Rum/Innsbruck → Wien, Berlin, Port am Bielersee: Schauspieler und Autor. Schauspielausbildung bei Julia Gschnitzer. Spielte in Filmen von Jessica Hausner, Christian Berger, Michael Haneke, Wolfram Paulus u.a., schreibt Prosa, Hörspiele und Drehbücher. Arbeitet derzeit am Spielfilm „März“ (Buch und Regie). Auszeichnungen: Robert-Walser-Preis, Rauriser Literaturpreis, Großes Literaturstipendium des Landes Tirol, Hermann-Lenz-Stipendium. Peter Herbert, Bludenz → New York, Paris: Kontrabassist, Komponist. Studium am Konservatorium Bregenz, an der Hochschule für Musik in Graz und am Berklee College of Music in Boston. Gehört mit jährlich ca. 100.000 Meilen und 120 Auftritten weltweit in verschiedensten Szenen zu den gefragtesten und meistbeschäftigsten Musikern. Über 50 CDs. Zahlreiche Kompositionen (u.a. für Theater und Film), künstlerischer Direktor des Any Art Festival, New York. 2001 Hans-Koller-Preis in der Kategorie „Musiker des Jahres“. Robert Holmes, GB → San Francisco: Reisefotograf. Begann seine Karriere als Begleiter der britischen Everest-Expedition von 1975. Bereist seither die Welt für alle wichtigen Magazine, inklusive National Geographic, Geo, Time, Life … Erhielt als bislang einziger zweimal den „Photographer of the Year Award“ der „American Travel Writers“. Stefanie Holzer, Ostermiething → Innsbruck: Freie Schriftstellerin. 1989–1997 Herausgeberin der Literatur- und Kulturzeitschrift „Gegenwart“ (gemeinsam mit Walter Klier). Zuletzt erschienen: das Reisebuch „In 80 Tagen um Österreich“ (Mandelbaum Verlag, 2003) Albert Hosp, Wien → Wien: Musikjournalist. Diverse unvollendete Studien, bis 2000 Chorleiter und Sänger, seit 1987 Moderator & Musikjournalist für Ö1 („Pasticcio“, „Spielräume“, „Ausgewählt“, u.v.m.), Sprecher in Werken zeitgenössischer Musik, Kurator des Festivals „Glatt & Verkehrt“. Walter Klier, Innsbruck → Innsbruck: Freier Schriftsteller, Literaturkritiker, Essayist und Übersetzer. 1989–1997 Herausgeber der Literatur- und Kulturzeitschrift „Gegenwart“ (gemeinsam mit Stefanie Holzer). Zuletzt erschienen: „Hotel Bayer. Eine Geschichte aus dem 20. Jahrhundert“ (Haymon Verlag, 2003). Gustav Kuhn, Salzburg → Erl … : Dirigent, Regisseur, Komponist, Festivalleiter. Studium bei Herbert von Karajan und Bruno Maderna, dirigiert die führenden Orchester in den wichtigen Opernhäusern und Konzertsälen. 1997 Gründung der Tiroler Festspiele Erl, deren Präsident und künstlerischer Leiter er ist, 158/159
seit 1997 künstlerischer Leiter des Orchestra Filarmonica Marchigiana, Gründer der Accademia di Montegral in Lucca, seit 2003 künstlerischer Leiter des Haydn Orchesters Bozen/Trient. Paul Albert Leitner, Jenbach → Jenbach/Wien: Freischaffender Künstler. Zahlreiche Gruppen- und Einzelausstellungen im Inund Ausland. Auszeichnungen: 1995 Rupertinum-Fotopreis, 1997 Parisstipendium des bm:wvk, 2002 großes Kunststipendium des Landes Tirol, 2003 New-York-Aufenthalt (Auslandsstipendium für Fotografie der Kunstsektion des Bundeskanzleramtes). Walter Pamminger, Gmunden → Wien: Chemiker, Typograph, Kurator. Veröffentlichungen zu visuellem Design, demnächst: „Typographie des Singulären“ in: Pawlik et al. „Postscript“ (Hatje-Cantz-Verlag) Marion Piffer Damiani, Brixen → Bozen: Kuratorin für Gegenwartskunst. Vertragsprofessorin für Bildsemiotik an der Freien Universität Bozen/Fakultät für Design und Künste. 1989 – 2000 Leiterin der Ar/ge Kunst, Galerie Museum Bozen. Wissenschaftliche Beirätin im Museion – Museum für moderne und zeitgenössische Kunst Bozen. Kuratorin zahlreicher Ausstellungen. Zuletzt: Walter Niedermayr „Zivile Operationen“ (u.a. Kunsthalle Wien 2003, Museion Bozen 2004, Katalog im Hatje-CantzVerlag). Wolfgang Pöschl, Telfs → Innsbruck: derzeit Architekt (tatanka ideenvertriebsgesellschaft m.b.h.) Manuela Prossliner, Völs am Schlern → Lana: Fotografin. Arbeiten für Superstudio Industria von Fabrizio Ferri, Modelagentur Fashion, Hugendubel-Verlag München. Seit 1996 diverse Ausstellungen. W. G. Sebald, Wertach/Allgäu → St. Gallen, Manchester, Norwich: Schriftsteller, Dozent für Literaturwissenschaften. Bekannt und international berühmt für seine großen erzählenden Werke „Die Ausgewanderten“, „Die Ringe des Saturn“, „Schwindel. Gefühle“ und „Austerlitz“. Unfalltod am 14. 12. 2001. David Schalko, Wien → Wien: Brach das Betriebswirtschaftsstudium ab, um die Sendung „Zapp“ auf dem früheren KabelSender Wien 1 zu machen, die aber abgesetzt wurde. Regie bei Werbe- und Musikvideos, Sexkolumnist (Wienerin) und Musikjournalist. Jetzt „Sendung ohne Namen“ (ORF). Hat außerdem einen Roman geschrieben, der noch auf Verleger wartet und fertigt gerade einen zweiten an. Will irgendwann einmal Spielfilme drehen. Ferdinand Schmatz, Korneuburg → Wien: Schriftsteller. Ab 1972 Studium der Germanistik, Geschichte und Philosophie an der Universität Wien. 1975 erste literarische Veröffentlichungen. 1983-85 Lektor an der Nihon University in Tokio, 1986–89 Lehrauftrag an der Hochschule für industrielle und künstlerische Gestaltung in Linz, 1989 –92 Lehraufträge an der Hochschule für Angewandte Kunst in Wien, 1992 Gastprofessur an der Hochschule für Angewandte Kunst, 1993 Betreuung des Autorenlabors in der Alten Schmiede in Wien. Verwalter und Herausgeber der Werke und des Nachlasses von Reinhard Priessnitz. Zahlreiche Preise und Auszeichnungen, u.a. Anton-WildgansPreis 2003. Fred Schreiber, München → Wien: brach das Archäologiestudium ab, um bei Radio Gong 2000 eine Sendung zu machen, die aber abgesetzt wurde. Begann für andere Radiosender wie Ö3 und FM4 zu sprechen. Kommt aber eigentlich von der musizierenden Zunft: ist Sänger der Wiener/Münchner Band „Die Falschen Freunde“. Jetzt „Sendung ohne Namen“ (ORF), FM4-Moderator. Hat gerade ein brandneues Album geschrieben, das noch auf eine Plattenfirma wartet und fertigt soeben ein zweites brandneues an. Will irgendwann die Filmmusik zu Schalkos Spielfilmen machen.
Andrea van der Straeten: Trier → Wien: Bildende Künstlerin, Textautorin. Studium der Germanistik und Politikwissenschaften in Marburg/Lahn, der Visuellen Kommunikation an der Hochschule für Bildende Künste Hamburg und Postgraduate-Studium an der Hochschule für angewandte Kunst Wien, Meisterklasse Maria Lassnig (DAAD-Stipendium). Seit 1987 Leitung des Institutes für Bildende Kunst und Kulturwissenschaften an der Kunstuniversität Linz. Studienaufenthalte in Rom, Tokio, Kanada und den USA.
Erika Wimmer, Bozen → Innsbruck: Autorin, Literaturwissenschaftlerin. Seit 1997 Leiterin des Literaturhauses am Inn, Innsbruck. Publikationen im Bereich Prosa, Hörspiel, Drama. Zuletzt erschienen: „Im Winter taut das Herz“, Roman (Deuticke 2002); „Auf Messers Schneide“, Bühnenstück, UA im Theater in der Altstadt Meran 2002 und Hörspielversion (RAI Bozen 2003).
Quart Heft für Kultur Tirol
Herausgeber: Kulturabteilung des Landes Tirol Anschrift der Redaktion: Circus, Kochstraße 10, A-6020 Innsbruck, office@circus.at Abobestellungen und Anzeigen: Skarabaeus c/o Studienverlag, A-6020 Innsbruck, Amraser Straße 118 T 0043-(0)512 / 39 50 45, F 0043-(0)512 / 39 50 45 –15, order@studienverlag.at, www.skarabaeus.at oder Skarabaeus c/o Studienverlag, I-39100 Bozen, Rosengartenstraße 1a T 0039-0471 / 32 64 14, F 0039-0471 / 32 64 13, studienverlag@tin.it Chefredakteur: Andreas Schett Stv. Chefredakteurin: Heidi Hackl Geschäftsführer/ Verleger: Markus Hatzer Redaktionssekretariat: Carmen Ferrada Mitarbeiter dieser Ausgabe: Julia Bornefeld, Hans Danner, Fred Einkemmer, Christian Gögger, Martin Gostner, Händl Klaus, Peter Herbert, Robert Holmes, Stefanie Holzer, Albert Hosp, Walter Klier, Gustav Kuhn, Paul Albert Leitner, Marion Piffer Damiani, Wolfgang Pöschl, Manuela Prossliner, David Schalko, Fedinand Schmatz, Fred Schreiber, W.G. Sebald, Andrea van der Straeten, Erika Wimmer Kuratoren: Bert Breit, Othmar Costa, Eduard Demetz, Georg Diez, William Engelen, Helmut Groschup, Franz Hackl, Hans Heiss, Gabriele Kaiser, Otto Kapfinger, Martin Kofler, Christoph Mayr-Fingerle, Milena Meller, Walter Methlagl, Wolfgang Mitterer, Walter Niedermayr, Thomas Nußbaumer, Dominique Perrault, Robert Renk, Arno Ritter, Helmut Reinalter, Benedikt Sauer, Benno Simma, Gerhard Steixner, Roman Urbaner, Vitus H. Weh, Lois Weinberger, Maria Welzig u.a. Übersetzung: Astrid Tautscher (S. 52–58, 80/82) Konzeption und Gestaltung der linken Seiten: Walter Pamminger Visuell-editorisches Basiskonzept: Walter Pamminger Farbkonzept: Peter Sandbichler Grafische Realisation: Michaela Wurzer / Circus Druckvorstufe: Laserpoint, Innsbruck Druck: Athesia-Tyrolia Druck GmbH, Innsbruck Verwendung der Karte „Tirol – Vorarlberg 1:200.000“ auf den Seiten 104/105 mit freundlicher Genehmigung von Freytag-Berndt u. Artaria KG, Kartografische Anstalt. Abdruck des Textes von W. G. Sebald mit freundlicher Genehmigung des Eichborn Verlages. Sämtliche inhaltlichen Beiträge dieses Heftes sind Ersterscheinungen, Auftragswerke, Uraufführungen.